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Full text of "Namenverzeichniss und sachregister zu Wundt's Logik"

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LOGIK. 

EQffi  1IHTEB8UCEDN&  DDR  FMCMEN  DIR  EBEEMNISS 


UND  DER 


METHODEN  WISSENSCHAFTLICHER  FORSCHUNG 


VON 


WILHELM  WUNDT. 


Z'WEI  BÄNDE. 


ZWEITER  BAND. 


METHODENLEHRE. 


ZWEITE  ABTHEIIÜKO. 


Zweite  umgearbeitete  Auflage. 


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STUTTGART. 
VERLAG  VON   FERDINAND   ENKE. 

1895. 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart 

Eine  Untersuchung  der  Principien  der  Erkenntniss  und  der  Methoden 

wissenschaftlicher  Forschung. 

Von  Prof.  Dr.  Wimelm  Wnndt. 

Zwei  Büfide» 
Zweite  umgearbeitete  Auflage. 

I.  Band :  ErkenntniBBlehre.    gr.  8.    1893.    geh.    M.  15.  — 
II.  Band:  Hethodenlehre.    I.  Abtheilung.    gr.  8.  1894.  geh.   M.  13.— 

KTMIK. 

Eine  Untersuchung  der  Thatsachen  und  Gesetze  des  sittlichen  Lebens. 

Von  Wllbelm  Wandt. 

Z'^welie    u.zxxgea.r'beltete    .^^Txflage. 


gr.  8.    1892.    geh.  M.  15.  — 


Die  physikalischen  Axiome 

und  llire  Sezleliiizigf  zum  Oausalprinolp. 

Ein  Kapitel  aus  der  Philosophie  der  Naturwissenschaften. 

Von  Wimelm  Wandt. 

8.    1866.    geh.    M.  2.40. 

Die  Ethik  des  Stoikers  Epictet. 

Anhang: 

Exkurse  über  einige  wichtige  Punkte  der  stoischen  Ethik. 

Von  Adolf  Bonböffer. 

gr.  8.    1894.    geh.    M.  10.  — 

Epictet  und  die  Stoa. 


Von  Adolf  Bonbftffer. 

gr.  8.    1890.    geh.    M.  10.— 


Die  Naturwissenschaft 

und  die    socialdemokratische  Theorie. 

Ihr  Verbältniss, 
dargelegt  auf  Grund  der  Werjce  von  Darwin  und  Bebel. 

Zugleich  ein  Beitrag  zur  wissenschaftlichen  Kritik  der  Theorien  der  derzeitigen 

Socialdemokratie. 

Von  Prof.  Dr.  H.  £•  Ziegler. 

8.    1894.    geh.    M.  4.  — 


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LOGIK. 


Eon  nüTEBSnCMe  DSB  FMCIPIiN  DER  EBEMTHSS 


UND  DER 


METHODEN  WISSENSCHAFTLICHER  FORSCHUNG 


VON 


WILHELM  WUNDT. 


ZWEI  BÄNDE. 


ZWEITER  BAND. 

METHODENLEHRE. 

ZWEITE  ABTHEILUire. 


Zweite  umgearbeitete  Auflage. 


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STUTTGART. 
VERLAG  VON   FERDINAND   ENKE. 

1895. 


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METHODENLEHRE. 


VON 


WILHELM  WUNDT. 


ZWEITE  ABTHEHTJNO. 


LOaiK  DEE  GEISTESWISSENSCHAFTEN. 


Ztoeite  nMigearbeUete  Auflage. 


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STUTTGART. 
VERLAG  VON  FERDINAND   ENKE. 

1895. 
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TILOEN  FObNCATlONB, 
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Das  Recht  der  Uebenetzung  wird  TorbehaJten. 


Drack  der  Union  Deutsche  YerlagsgesellBohait  in  Stuttgart. 


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Inhalt. 


Vierter  Abschnitt. 

Von  der  Logik  der  GtoiBteswiBBenschaften. 

Seite 
Erstes  Capitel.    Die  allgemeinen  Grundlagen  der  Qeistes- 

wissenschaften. 

1.  Die  Entwicklung  und  Gliederung  der  GeisteswissenBchaften  .    .  1 

a.  Die  Entwicklung  der  Geisteswissenschaften 1 

b.  Das  System  der  Geisteswissenschaften 10 

c   Das  Yerhältniss  der  Geisteswissenschaften  zur  Philosophie    .  24 

2.  Heuristische  Principien  der  Geisteswissenschaften 27 

a.  Das  Prindp  der  subjectiven  Beurtheilung 27 

b.  Das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Umgebung  34 

c.  Das  Princip  der  Naturbedingtheit  der  geistigen  Vorgänge  41 

d.  Causale  und  teleologische  Betrachtung  innerhalb  der  Geistes- 
wissenschaften      46 

3.  Die  allgemeinen  Methoden  und  Hülfsmittel  der  Greisteswissen- 
Schäften ^ 51 

a.  Verhältniss  zu  den  naturwissenschaftlichen  Methoden  ...  51 

b.  Die  psychologische  Analyse  und  Abstraction 57 

c.  Die  vergleichende  Methode 64 

d.  Die  Interpretation 81 

e.  Die  Kritik 113 

f.  Der  Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.    .    .  129 

Zweites  Capitel.    Die  Logik  der  Psychologie. 

1.   Die  allgemeinen  Richtungen  der  Psychologie 151 

a.  Die  materialistische  Psychologie       158 

b.  Die  intellectualistische  Psychologie 156 

c.  Die  Yoluntaristische  Psychologie 164 


VI  Inhalt. 

Seite 

2.  Die  Individualpsychologie 168 

a.  Die  Aufgaben  der  Individualpsychologie 168 

b.  Die  zufUllige  innere  Wahrnehmung 170 

c.  Die  allgemeine  Bedeutung   der  experimentellen  Methode  für 

die  Psychologie 172 

d.  Die  Methoden  der  psychischen  Grössenmessung 178 

e.  Die  elementare  psychische  Analyse 196 

f.  Die  caueale  Analyse  der  Vorstellungen    .     .* 201 

g.  Die  Analyse  der  Qeföhle,  Affecte  und  Willensvorg&nge     .    .  215 
h.   Die  Physiologie  als  psychologische  Hülfswissenschaft  und  die 

Psychophysik 227 

3.  Die  Völkerpsychologie .  231 

4.  Die  Principien  der  Psychologie 241 

a.  Der  Begriff  der  Seele 241 

b.  Das  Princip  des  psychophysischen  Parallelismus 250 

c.  Das  Princip  der  psychischen  Actualität 259 

d.  Das  Princip  der  schöpferischen  Synthese 267 

e.  Das  Princip  der  Contrastverstärkung 282 

f.  Das  Princip  der  beziehenden  Analyse 28^ 

g.  Das  Grimdgesetz  der  psychischen  Causalität 289 

h.    Der  Begriff  der  geistigen  Gemeinschaft 291 

5.  Die  Anwendungen  der  Psychologie 297 

Drittes  Capitel.    Die  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

1.  Die  Philologie 303 

a.  Philologie  und  Geschichte 303 

b.  Die  philologische  Interpretation 307 

c.  Die  philologische  Kritik 813 

2.  Die  Geschichte 318 

a.  Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtsforschung .    .     .     .  318 

b.  Die  historische  Kritik 333 

c.  Die  historische  Interpretation 340 

8.   Die  philologisch-historischen  Wissenschaften 358 

a.  Die  Sprachwissenschaft 353 

b.  Die  Mythologie 361 

c.  Die  Ethologie 369 

4.   Die  Principien  der  Geschichtswissenschaft 376 

a.  Geschichtswissenschaft  und  Geschichtsphilosophie      ....  376 

b.  Die  allgemeinen  Bedingungen  der  geschichtlichen  Entwicklung  378 

c.  Die  historischen  Gesetze 382 

d.  Der  Zweckbegriff  in  der  Geschichte 421 

Viertes  Capitel.    Die  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

1.   Die  allgemeinen  Gesellschaftswissenschaften 436 

a.  Die  Sociologie 436 

b.  Die  Ethnologie 448 

c.  Die  Bevölkerungslehre 455 

d.  Die  Staatswissenschaft 477 


Inhalt.  VII 

Seite 

2.  Die  Volkswirth8chaft«lehre 499 

a.  Aufgaben  und  Richtungen  der  Volkswirtbachaftalehre  .     .     .  499 

b.  Die  abstracte  Wirthschaftstheorie 508 

c   Die  concrete  Yolkswirthschaftslehre 522 

d.  Theoretische  und  praktische  Nationalökonomie 529 

3.  Die  Rechtswissenschaft 533 

a.  Die  Entwicklung  des  Rechts 533 

b.  Der  Begriff  des  Rechts   und  die  Aufgaben  der  Rechtswissen- 
schaft      542 

c.  Die  civilistische  und  die  publicistische  Methode 561 

d.  Rechtsnormen  und  Rechtsdefinitionen 577 

e.  Die  Rechtsdeduction  und  der  juristische  Thatsachenbeweis    .  585 

4.  Die  Principieu  der  Sociologie 589 

a.  Gesellschaft  und  Gemeinschaft 589 

b.  Die  Organisation  der  Gesellschaft 602 

c.  Die  socialen  Gesetze 614 

d.  Die  socialen  Normen 626 

FQnftes  Capitel.    Die  Methoden  der  Philosophie. 

1.  Die  methodologischen  Richtungen  der  Philosophie 631 

2.  Die  empirische  Methode 638 

8.  Die  dialektischen  Methoden 634 

a.  Die  antithetische  Methode 634 

b.  Die  ontologische  Methode 635 

c  Die  Methode  der  immanenten  Begriffsentwicklung    ....  638 

4.  Die  Philosophie  als  Wissenschaftslehre 641 


Vierter  Abschnitt. 


Von  der  Logik  der  Geisteswissenschaften. 


Erstes  Gapitel. 
Die  allgemeinen  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

1.    Die  Entwicklung  und  Gliederung  der  GeisteswiBsen- 

Bchaften. 

a.    Die  Entwicklung  der  Geisteswissenschaften. 

Aehnlich  der  Mathematik  und  Naturforschung  sind  auch  die 
Geisteswissenschaften  aus  der  Philosophie  hervorgegangen.  Sittliche 
Lebensregeln,  die,  der  Beobachtung  des  menschlichen  Handel^^  und 
seiner JlAfotive  entnommen,  in  einer  uralten  Spruchweisheit  nieder- 
gelegt sind,  bilden  neben  einer  naiven  Reflexion  über  den  allge- 
meinen Zusammenhang  der  Naturerscheinungen  überall  den  Anfang 
des  wissenschaftlichen  Nachdenkens.  Aber  zunächst  ist  dieses  be- 
herrscht von  dem  Interesse  an  den  kosmologischen  Problemen.  Dies 
hat  lange  Zeit  vor  allem  darin  noch  nachgewirkt,  dass  die  Wissen- 
schaft von  den  geistigen  Eigenschaften  des  Menschen,  die  Psycho- 
logie, von  der  man  denken  sollte,  dass  sie  stets  als  die  Grund- 
lage der  andern  Geisteswissenschaften  hätte  gelten  sollen,  sehr  spät 
erst  zu  einem  selbständigen  Forschungsgebiet  geworden  ist,  vor- 
her aber  zunächst  als  ein  Zweig  der  Naturphilosophie  und  dann  als 
ein  Anhang  zur  Metaphysik  behandelt  wurde.  Nicht  von  ihr  ist 
darum  auch  die  Entwicklung  der  Geisteswissenschaften  ausgegangen, 
sondern  von  einzelnen  Arbeitsgebieten,  deren  Zusamengehörigkeit 
zu  einem  der  Gesammtheit  der  Naturwissenschaften  analogen  Ganzen 

Wundt.  Logik.  II,  e.    2.  Aull.  1 


2  Allgemeine  Gnmdlagen  der  Geisteswiflsenschafben. 

man  spät  erst  erkannt  hat.  Schon  der  Ausdruck  «^eist^^sseji- 
Schäften**  ist  daher  neuesten  Ursprungs.  Er  ist  wohl  zum  ersten 
Mal  in  einigen  Versuchen  einer  allgemeinen  Classification  der  Wissen  <^ 
Schäften  zu  finden,  die  den  ersten  Jahrzehnten  unseres  Jahrhundert» 
angehören  *), 

Das  erste,  was  aus  dem  Gebiet  des  geistigen  Lebens  die  Auf- 
merksamkeit fesselte,  war  der  Reflex  dieses  Lebens  in  den  Hand- 
lungen der  Völker.  Doch  selbst  die  Geschichtschreibung  lag 
anfänglich  in  den  Banden  jener  kosmologischen  Auffassung,  welche 
das  geistige  Geschehen  aus  einer  äusseren  Naturordnung  ableitete, 
die  sich  in  den  Gestalten  rächender  und  lohnender  Schicksalsgötter 
verkörpere.  Noch  die  Geschichtserzahlung  eines  Herodot  trägt 
diesen  mythologischen  Charakter  an  sich.  Schon  in  Thukydides 
hat  aber  die  geschichtliche  Darstellung  eine  Form  erreicht,  die  in 
der  kritischen  Prüfung  des  üeberlieferten  nicht  minder  wie  in  der 
psychologischen  Auffassung  des  historischen  Geschehens  noch  späteren 
Zeiten  als  Vorbild  dienen  konnte. 

In  näherer  Verbindung  mit  der  Philosophie  blieb  ein  anderer 
Zweig  der  Geisteswissenschaften,  der  neben  der  historischen  Forschung' 
allmählich  heranreifte:  die  Staatslehre.  Li  den  ethischen  Sen- 
tenzen, die  eine  sagenhafte  Ueberlieferung  den  ältesten  Weisen 
Griechenlands  zuschreibt,  vereinigt  sich  praktische  Lebensklugheit 
mit  dem  ernsten  politischen  Sinn,  der  auch  die  Gesetzgebung  der 
Zeit  beherrschte.  Von  einer  wissenschaftlichen  Reflexion  über  diV 
ethischen  und  politischen  Aufgaben  kann  aber  weder  hier  noch  in 
der  Pythagoreischen  Schule,  trotz  ihrer  tieferen  philosophischen  An- 
schauungen, die  Rede  sein.  Erst  als  im  5.  Jahrhundert  in  den 
Sophisten  ö£Eentliche  Lehrer  der  politischen  Beredsamkeit  auf*^ 
traten,  die,  alle  Speculationen  über  den  Zusammenhang  der  Natur- 
erscheinungen als  nutzlos  verwerfend,  ihre  Dienste  dem  Bedürfnis» 
des  Lebens  nach  praktischer  und  vor  allem  nach  politischer  Aus- 
bildung der  Einzelnen  widmeten,  erwachte  auch  das  Interesse  an  den 
theoretischen  Problemen,   die   mit  der  rhetorischen   und  politischen 


*)  So  trennt  Bentham  in  Reiner  «Ghrestomathia*  (Oeuvres  de  J.  Bent- 
ham,  Brnzelles  1829,  III,  p.  811)  alle  Wissenschaften  in  Somatologie  und 
Pneumatologie ,  Ampere  (Essai  sur  la  Philosophie  des  Sciences,  Paris  1834) 
in  Kosmologie  und  Noologie.  Hegel  bezeichnet  als  «Greisteslehre*  das  ganze 
den  Geisteswissenschaften  entsprechende  Gebiet  der  Philosophie  (Encyklopädie  III, 
§.  886).  Eine  «Log^k  der  Geisteswissenschaften*  hat  wohl  zuerst  John  Stuart 
Hill  der  Log^k  der  Naturwissenschaften  gegenübergestellt. 


•  • 


Entwicklung  der  Geisteswissenschaften.  3 

Thätigkeit  in  Verbindung  standen.  In  der  Frage,  ob  die  wichtigsten 
Erzeugnisse  des  gesellschaftlichen  Lebens,  Sprache,  Sitte,  Staat,  von 
Natur  oder  durch  Satzung  entstanden  seien,  kündet  sich  zum  ersten 
Mal  ein  Gegensatz  an,  der  bis  in  die  neuesten  Zeiten  auf  den  rer- 
schiedensten  Gebieten  die  Anschauungen  entzweit  hat.  Einen  ent- 
scheidenden Wendepunkt  für  die  Entwicklung  der  gesammten  Geistes- 
wissenschaften bildet  dann  die  Stiftung  der  Platonisch  en  Akademie. 
In  ihr  ist,  wahrscheinlich  nach  Pythagoreischem  Vorbild,  zum  ersten 
Mal  jene  Organisation  wissenschaftlicher  Arbeit  erstrebt  worden,  deren 
entfernte  und  freilich  auch  verblasste  Abbilder  noch  unsere  heutigen 
Akademien  sind.  Aber  in  Plato  selbst  überwog  allzu  sehr  der 
reformatorische  Trieb,  in  dem  der  Sokratische  Einfluss  bei  ihm  nach- 
wirkte, als  dass  es  ihm  möglich  gewesen  wäre,  die  gestellten  Auf- 
gaben im  empirischen  Sinne  zu  lösen.  Nicht  wie  die  Dinge  sind, 
sondern  wie  sie  sein  sollen,  suchte  er  in  seinem  zum  Theil  nach 
dorischem  Vorbild  entworfenen  Staatsideal  zu  zeigen.  Die  Politik 
hat  daher  bei  ihm,  wie  die  Physik,  nicht  die  Aufgabe  die  wirkliche 
Welt  zu  begreifen,  sondern  eine  ideale  Welt  dichterisch  nachzu- 
erzeugen.  Erst  Aristoteles  forderte  auf  allen  Gebieten  eine  um- 
fassende Sammlung  empirischer  Thatsachen  als  Vorbereitung  für 
die  allgemeine  philosophische  Betrachtung.  Seine  Staatslehre  war 
eine  verstandesmässige  Abstraction  aus  den  Verhältnissen  seiner  Zeit 
und  Umgebung,  gegründet  zugleich  auf  eine  verhaltnissmässig  ein- 
gehende Eenntniss  der  geschichtlichen  Vergangenheit  seines  Volkes. 
War  die  Platonische  Akademie  auch  darin  vorangegangen,  dass  sie 
das  Princip  der  gemeinsamen  Bearbeitung  grosser  Wissensgebiete 
einfQhrte,  das  von  da  an  für  die  Entwicklung  der  griechischen  Wissen- 
schaft fruchtbar  wurde,  so  kam  doch  innerhalb  der  Platonischen 
Schule  diese  wissenschaftliche  Arbeitstheilung  nur  der  Mathematik 
und  Astronomie  zu  gute.  In  der  Aristotelischen  Schule  erst  wurde 
jene  sorgfaltige  Untersuchung  des  Einzelnen,  in  der  sich  die  Sonde- 
rung  der  Einzel  Wissenschaften  aus  der  Philosophie  vorbereitet,  auf 
fast  alle  Gebiete  der  Natur-  wie  der  Geisteswissenschaften  übertragen. 
Wie  dem  Lehrer  Alexanders  des  Grossen  zu  seinen  zoologischen 
Forschungen  Thiere  aller  Zonen  zu  Gebote  standen,  so  verfügte 
er  ak  der  Erste  über  eine  Büchersammlung,  aus  der  er  und  seine 
Schüler  eine  eindringende  Kenntniss  der  Literatur  und  Philosophie 
der  Vergangenheit  zu  schöpfen  vermochten.  Und  wie  er  diesen 
literarischen  Forschungen  die  Anregung  zu  seiner  Rhetorik  und  Poetik 
und  die  kritische  Methode  seiner  philosophischen  Arbeiten  verdankte, 


4  Allgemeine  Grundlagen  der  Geuteswissenschaften. 

so  waren  sie  es  insbesondere,  aus  denen  das  reifste  seiner  Werke, 
die  „Politik*^,  hervorging.  Gerade  hier  hat  in  neuester  Zeit  erst 
die  Entdeckung  der  Schrift  ^üeber  den  Staat  der  Athener*^ ,  die 
sichtlich  nur  einen  Ausschnitt  aus  einer  grösseren  Sammlung  ähn- 
licher „Politien"  und  mit  diesen  eine  historisch-kritische  Vorarbeit 
zu  der  mehr  philosophischen  Untersuchung  der  „  Politik '^  bildet,  eiii 
neues  Licht  auf  die  Methode  der  Aristotelischen  Forschung  ge- 
worfen. Für  die  weitreichende  Bedeutung  der  Aristotelischen  Staats- 
lehre ist  es  aber  bezeichnend,  dass  die  in  ihr  aufgestellte  Classifi- 
cation der  Staatsformen  mit  geringen,  durch  den  üebergang  des 
griechischen  Stadtestaats  in  den  Volksstaat  und  durch  die  Entwick- 
lung der  Repräsentativsysteme  bedingten  Modificationen  vielfach  noch 
heute  unsere  Auffassung  des  Staatslebens  beherrscht. 

Gleichwohl  fehlte  dem  griechischen  Philosophen  die  Vertiefung 
in  ein  auch  fQr  das  staatliche  Leben  überaus  wichtiges  System  socialer 
Normen:  das  Recht.  Erst  der  eigenthümlichen  Beanlagung  des 
römischen  Geistes  verdankt  man  die  Ausbildung  dieses  Gebietes, 
das  zunächst  völlig  unabhängig  von  der  Philosophie  aus  den  Be- 
dürfnissen der  praktischen  Gesetzgebung  heraus  entstand.  Auf  die 
wissenschaftliche  Bearbeitung  des  im  Privatrecht  der  Römer  ent- 
haltenen Stoffs,  die  im  1.  Jahrhundert  vor  Chr.  beginnt  und  im 
6.  Jahrhundert  nach  Chr.  in  der  Codification  Justinians  vorläufig 
endet,  hat  aber  wiederum  die  griechische,  namentlich  die  Aristotelische 
und  Stoische  Philosophie,  mächtig  eingewirkt. 

In  die  gleiche  Zeit  der  hellenistisch-römischen  Cultur  fällt  end- 
lich die  Entwicklung  eines  weiteren,  auf  lange  hinaus  für  das  ge- 
sammte  wissenschaftliche  Leben  wichtigen  Zweiges:  der  Philologie. 
Schon  bei  den  Sophisten  hatte  die  Beschäftigung  mit  der  Rede  und 
ihrem  Hülfsmittel,  der  Sprache,  ein  Interesse  an  grammatischen  und 
namentlich  an  etymologischen  Fragen  erregt,  das  freilich  noch  ganz 
des  Zügels  wissenschaftlicher  Methodik  entbehrte.  Aristoteles  mit 
seiner  Schule  hatte  dann  zum  ersten  Mal  planmässige  literargeschicht- 
liche  Sammlungen  ausgeführt.  Die  Weiterbildung  dieser  Anfänge 
und  ihre  Verbindung  zu  einem  regelmässigen  wissenschaftlichen 
Betrieb  gehört  der  hellenistisch-römischen  Zeit  an.  Da  die  philo- 
logische f^orschung  ihren  Hauptantrieb  dem  Bestreben  verdankt,  die 
geistigen  Erzeugnisse  einer  fremd  gewordenen  Vergangenheit  in  dem 
Bewusstsein  der  Gegenwart  neu  zu  beleben,  so  ist  es  begreiflich, 
dass  ihre  Entwicklung  verzugsweise  den  üebergangsepochen,  die  aus 
einer  älteren  in  eine  neue  Cultur  hinüberführen,  anheimfällt.    Darum 


Entwicklung  der  Geisteswisaenschaiten.  5 

hat  nach  jener  ersten  Begründung  eine  zweite  Blüthe  der  Philologie 
in  der  Zeit  der  Wiedererneuerung  der  Wissenschaften  begonnen,  als 
die  Scholastik,  die  in  einseitiger  Weise  und  mit  unhistonschem  Sinn 
die  Schatze  der  Vergangenheit  gepflegt,  in  Verfall  gerathen  war  und 
der  Geist  der  Zeit  an  der  Ideenwelt  der  Griechen  und  Römer  sich 
zu  verjüngen  strebte.  Jetzt  stand  die  Philologie  auf  der  Höhe  ihres 
Einflusses:  sie  erweckte  selbst  Philosophie  und  Naturwissenschaft  zu 
neuem  Leben. 

Alle  andern  Geisteswissenschaften  sind  dann  erst  in  der  neuesten 
Zeit  als  einzelne  Abzweigungen  der  Geschichte,  der  Staats-  und 
Kechtswissenschaft  sowie  der  Philologie  entstanden.  So  löste  sich 
allmählich  im  Laufe  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  von  der  Staats- 
lehre ein  Forschungsgebiet  ab,  das  zu  ihr  in  ein  ähnliches  Ver- 
hältniss  zu  treten  bestimmt  war  wie  die  Philologie  zur  Geschichte: 
die  Wirthschaftslehre.  Sie  umfasste  zunächst  die  Untersuchung 
der  Ton  der  politischen  Theorie  ausser  Betracht  gelassenen  Verhält- 
nisse der  Güterproduction,  des  Waaren-  und  Geldverkehrs.  Aber  in 
der  messenden  Richtung,  die  eine  solche  Untersuchung  allmählich 
vermöge  ihrer  Gegenstände  einschlug,  lag  eine  Nöthignng  zu  ihrer 
Anwendung  auf  noch  andere  Seiten  des  menschlichen  Daseins.  Dem- 
nach begann  die  Statistik  die  Verhältnisse  der  Lebensalter,  Ehe- 
schUessungen,  Geburten  und  Sterbefälle,  des  Berufsstandes  und  der 
Verbrechen  einer  numerischen  Auswerthung  zu  unterwerfen  und  auf 
diese  Weise  das  Material  für  den  Aufbau  einer  Bevölkerungskunde 
zu  sammeln,  die  gegenwärtig  im  Begriff  ist,  sich  zu  einer  allge- 
meinen Gesellschaftslehre  zu  erweitem.  Diese  steht  aber  wieder 
in  naher  Beziehung  zur  Geschichte,  da  die  geistigen  Eigenschaften 
der  Völker  und  die  Zustände  der  Gesellschaft  auf  geschichtlicher 
Entwicklung  beruhen  und  zugleich  als  wichtige  Factoren  in  diese 
Entwicklung  eingreifen.  So  treten  sich  schliesslich  Geschichte 
und  Gesellschaftslehre  als  zwei  nahe  verbundene  allgemeine 
Wissenschaften  gegenüber,  von  denen  jede  wieder  eine  Anzahl  von 
Einzelwissenschaften  unter  sich  enthält,  deren  Trennung  grossentheils 
von  praktischen  Bedürfnissen  bestimmt  wird.  Unter  ihnen  scheiden 
sich  verhältnissmässig  am  selbständigsten  von  der  eigentlichen  Ge- 
schichte die  Philologie,  von  der  allgemeinen  Gesellschaftslehre  die 
Wirthschaftslehre  und  die  Rechtswissenschaft. 

Ein  analoger  Scheidungsprocess  hat  sich  im  Gebiet  der  Philo- 
logie vollzogen.  War  diese  in  der  Alezandrinischen  Periode  aus- 
schliesslich auf  die  literarischen  Denkmale   des  griechischen  Alter- 


^ 
» 


6  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

thums  gerichtet  gewesen,  so  begann  sich  schon  in  der  Renaissancezeit 
ihr  Gesichtskreis  nicht  bloss  auf  die  römische  Literatur  der  Ver- 
gangenheit, sondern  auch,  vornehmlich  angeregt  durch  die  Sprache 
des  alten  Testaments,  auf  die  semitischen  Culturen  des  Orients  aus- 
zudehnen. Zugleich  zog  dieses  Zeitalter  neben  der  Sprache  und 
Literatur  die  Kunst  des  Alterthums  in  den  Umkreis  seiner  Inter- 
essen. Damit  beginnt  eine  doppelte  Ausdehnung  der  philologischen 
Arbeit,  die  zu  zwei  neben  einander  hergehenden  Verzweigungen 
der  ursprünglich  ungetheilten  philologischen  Mutterwissenschaft  führte. 
Auf  der  einen  Seite  sondert  sich  die  Philologie  in  die  Philologien 
der  einzelnen  Sprach-  und  Literaturgebiete  und  Zeitalter;  auf  der 
andern  gliedert  sie  sich  in  die  verschiedenen  philologischen  Special- 
gebiete, die  in  mehr  oder  minder  umfassender  Weise  die  einzelnen 
geistigen  Erzeugnisse  vergleichend  und  geschichtlich  behandeln:  so 
die  Sprache,  die  Kunst,  den  Mythus,  die  Sitte,  das  Recht.  In  Folge 
des  ersten  dieser  Scheidungsprocesse  ist  im  Laufe  namentlich  des 
letzten  Jahrhunderts  eine  FoUe  philologischer  Specialwissenschaften, 
wie  die  deutsche,  englische,  französische,  italienische,  femer  die 
semitische,  indische,  ägyptische,  chinesische  Philologie  entstanden. 
Der  zweite,  der  noch  keineswegs  abgeschlossen  ist,  hat  eine  Anzahl 
vergleichender  Geisteswissenschaften  entstehen  lassen,  die  hier 
den  ungefähr  in  der  gleichen  Zeit  emporgekommenen  vergleichen- 
den Naturwissenschaften  gegenüberstehen  (vgl.  Abschn.  I,  S.  53) :  so 
die  vergleichende  Sprachwissenschaft,  Mythologie,  Jurisprudenz  u.  s.  w. 
Da  sich  alle  diese  geistigen  Erzeugnisse  geschichtlich  entwickelt 
haben,  so  liegt  es  übrigens  in  der  Natur  der  Sache,  dass  in  keiner 
dieser  vergleichenden  Wissenschaften  der  vergleichende  Gesichts- 
piuikt  ausschliesslich  festgehalten  werden  kann,  sondern  dass  sich 
derselbe  stets  mit  dem  genetisch-geschichtlichen  verbindet.  Hier- 
bei ist  es  bemerkenswertb ,  dass  die  Vergleichung  einen  um  so 
breiteren  Raum  einzunehmen  pflegt,  je  mehr  die  Geisteserzeugnisse 
selbst  durch  die  unvrillkürliche  oder  mindestens  der  geschichtlich 
zu  verfolgenden  Wirksamkeit  des  Willens  entzogene  Art  ihrer  Ent- 
stehung einigermassen  Naturproducten  ähnlich  sind:  so  bei  der 
Sprache,  dem  Mythus,  der  Sitte,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wohl 
auch  bei  dem  Recht;  wogegen  die  rein  geschichtliche  Behandlung 
um  so  mehr  vorherrscht,  je  ausschliesslicher  die  Gegenstände  will- 
kürlichen und  namentlich  auch  individuellen  Ursprungs  sind :  so  bei 
der  Kunst  und  den  Werken  der  Literatur.  Darum  g^bt  es  zwar 
eine  Kunst-  und  Literaturgeschichte,  aber  keine  vergleichende  Kunst- 


EstwickluBg  der  GeisteswisBenschaften.  7 

and  Literaturwissenschaft,  während  aUe  die  vorher  genannten  ver- 
gleichenden Disciplinen  immer  zugleich  der  historischen  Behandlung 
zQgangUch  sind  und  sogar  einer  solchen  neben  der  Vergleichung 
bedürfen:  neben  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  besitzen  wir 
4aher  eine  Sprachgeschichte,  neben  der  vergleichenden  Mythologie 
eine  Geschichte  des  Mythus  u.  s.  w.  Hierbei  bringt  es  der  Charakter 
der  Untersuchungen  mit  sich,  dass  die  vergleichenden  Wissenschaften 
immer  zugleich  die  universelleren  sind,  indem  sie  sich  über  ein 
grosses  Gebiet,  wenn  nicht  über  die  Gesammtheit  der  Geisteserzeug- 
nisse derselben  Art  erstrecken,  indess  die  geschichtliche  Betrach- 
tung nothwendig  auf  einen  Zusammenhang  beschränkt  bleibt,  dessen 
einzelne  Theile  noch  in  irgend  einer  historischen  Wechselwirkung 
mit  einander  stehen,  und  innerhalb  dieses  Zusammenhangs  wieder 
beinahe  jede  beliebige  engere  Gruppe  von  Erscheinungen  heraus- 
greifen kann.  So  bildet  beispielsweise  die  Geschichte  der  indo«* 
germanischen  Sprachen  eines  der  weitesten  Gebiete,  das  als  eine 
historische  Sprachwissenschaft  möglich  ist.  Aus  einem  engeren  Um- 
kreis, wie  der  deutschen  Sprache,  lässt  sich  aber  ein  noch  engerer, 
wie  das  Niederdeutsche,  das  Neuhochdeutsche  oder  selbst  der  Dialekt 
«mer  einzelnen  Landschaft,  für  die  geschichtliche  Betrachtung  aus- 
sondern. 

Wie  nun  die  so  entstandenen  Gebiete  als  Theile  der  Philologie 
im  weiteren  Sinne  gelten  können,  so  sind  sie  natürlich  nicht  minder 
als  Einzelgebiete  der  Geschichte  anzusehen.  Zu  diesen  philologi- 
schen Geschichtsdisciplinen  sind  dann  aber  noch  andere,  der  eigent- 
lichen Geschichte  durch  ihre  engen  causalen  Beziehungen  zu  den 
politischen  Vorgängen  näher  stehende  hinzugetreten,  die  sich  aus 
der  Staatslehre  und  aus  der  Rechtswissenschaft  abzweigten:  so  die 
Verfassungs-,  die  Bechtsgeschichte  und  die  an  die  Wirthschaftslehre 
sich  anlehnende  Wirthschaftsgeschichte.  Diese  Gebiete,  die  mehr  die 
Zustände,  aus  denen  die  geschichtlichen  Begebenheiten  hervor- 
gehen, als  diese  selbst  untersuchen,  hat  man  zusammen  mit  der 
Kunst-  und  Literaturgeschichte  in  neuerer  Zeit  auch  unter  dem  etwas 
mehrdeutigen  Namen  der  Gulturgeschichte  zusammengefasst  und 
der  politischen  Geschichte  gegenübergestellt. 

Auf  diese  Weise  hat  namentlich  die  Entwicklung  des  gegen- 
wärtigen Jahrhunderts  eine  Fülle  einzelner  Geisteswissenschaften 
entstehen  lassen,  so  dass  man  angesichts  dessen  wohl  zweifelhaft 
sein  könnte,  ob  unsere  Zeit  nicht  in  höherem  Grade  noch  den  Namen 
eines  Zeitalters  der  Geisteswissenschaften  als  den  des  Zeitalters  der 


8  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Naturwissenschaften,  der  für  sie  vorgeschlagen  worden  ist,  verdient* 
Wenigstens  wenn  man  den  wissenschaftlichen  Geist  einer  Periode 
nach  der  Menge  eigenartiger  Ideen  und  Arbeiten  und  neuer 
Forschungsrichtungen,  die  in  ihr  hervortreten,  bemisst,  so  will  es 
mir  scheinen,  dass  die  Naturwissenschaften  bei  allem  Reichthum 
und  trotz  neuer,  durch  ihre  praktische  Bedeutung  blendender  Ent- 
deckungen doch  im  Ganzen  nur  dieselbe  Bahn  weiterverfolgen,  die 
sie  im  17.  Jahrhundert  bereits  eingeschlagen  haben.  Die  Geistes* 
Wissenschaften  aber  haben,  seitdem  die  vergleichende  und  die  ge- 
schichtliche Behandlung  der  Probleme  in  sie  eingedrungen  sind  und 
allmählich  auf  alle  möglichen  Gegenstände  geistigen  Interesses  aus- 
gedehnt wurden,  so  ungeheure  innere  Wandlungen  erfahren,  dass 
sich  deren  Bedeutung  heute  noch  kaum  ermessen  l'ässt,  um  so  mehr 
da  die  allgemeinen  Gesichtspunkte  und  namentlich  die  Pflege  der 
grundlegenden  psychologischen  Disciphnen  mit  der  in  den  einzelnen 
Gebieten  verarbeiteten  Fülle  des  Steffis  kaum  Schritt  halten  konnten""). 
Dieser  im  Gknzen  noch  unfertige  Zustand  der  Geisteswissen- 
schaften bringt  es  mit  sich,  dass  die  logische  Ordnung  derselben, 
bis  jetzt  weit  hinter  der  systematischen  Verfassung  der  Natur- 
forschung zurücksteht.  Zwei  besondere  Schwierigkeiten  tragen  daran^ 
neben  der  späten  Ausbildung  der  zuletzt  genannten  vergleichenden 
und  historischen  Disciplinen,  wohl  die  Hauptschuld.  Erstens  ist 
das  Ineinandergreifen  der  verschiedenen  Gebiete  hier  ein  noch  un- 
gleich mannigfaltigeres  als  in  den  Naturwissenschaften.  Dasselbe 
lässt  heute  noch  schwer  entscheiden,  wo  die  eine  Wissenschaft 
anfangt  und  die  andere  aufhört,  ja  es  macht  diese  Frage  über- 
haupt vielleicht  zu  einer  ziemlich  nichtigen,  weil  sich  zwischen  ein- 
zelnen der  Hauptdisciplinen,  wie  zwischen  Philologie  und  Geschichte,, 
Gultur-  und  politischer  Geschichte,  endlich  sogar  zwischen  Gesell- 
schaftslehre und  Geschichte  überhaupt,  keine  festen  Grenzen  ziehen 
lassen.     Zweitens  fehlt  es  innerhalb  der  Geisteswissenschaften  heute 


*)  Dass,  wie  H.  v.  Treitschke  (Deutsche  Geschichte  im  19.  Jahrhundert, 
Bd.  b,  S.  425)  annimmt,  in  unserem  Jahrhundert  die  Entwicklung  der  Natur- 
wissenschaften von  der  exacten  historischen  Forschung  aus  heeinflusst  worden 
sei,  scheint  mir  freilich  nicht  nur  unerweishar  zu  sein,  sondern  in  völligem 
Widerspruch  mit  der  wirklichen  Geschichte  der  neueren  Naturforschung  zu  stehen. 
Wohl  aber  hat  umgekehrt  diese  und  hahen  namentlich,  wie  wir  unten  (Cap.  III 
und  IV)  sehen  werden,  gewisse  aus  ihr  hervorgegangene  naturphilosophisch e 
Strömungen  auf  einzelne  Richtungen  der  Geschichts-  und  Gesellschaftswissen- 
schaften einen  bedeutenden  Einfluss  ausgeübt. 


Entwicklung  der  Geisteswissenschaften.  9 

noch  an  einer  ähnlich  grundlegenden  Disciplin,  wie  eine  solche  für 
die  Naturwissenschaften  zweifellos  die  Mechanik  ist,  weniger  da- 
durch, dass  sie  etwa  die  allgemeingültigen  Voraussetzungen  dar- 
geboten hätte,  mittelst  deren  alle  physikalischen,  chemischen  und 
biologischen  Probleme  zu  lösen  sind  —  mindestens  kann  man  darüber 
verschiedener  Meinung  sein  — ,  als  vielmehr  deshalb,  weil  sie  die 
Methoden  an  die  Hand  gab,  mittelst  deren  die  einzelnen  Probleme 
exact  zu  behandeln  waren.  Innerhalb  der  Geisteswissenschaften  sind 
wir  Yon  der  sicheren  Anerkennung  einer  derartigen  Grundwissen- 
schaft noch  weit  entfernt.  Wenn  man  heute  unter  den  Vertretern 
dieser  Wissenschaften  Stimmen  darüber  sammeln  wollte,  welche  der 
vorhandenen  sie  als  eine  solche  anzuerkennen  geneigt  seien,  so 
würde  wahrscheinlich  das  Elesultat  äusserst  widersprechend  lauten: 
die  einen  würden  wohl  die  Philologie,  die  andern  die  Geschichte, 
noch  andere  die  sogenannte  Sociologie  als  dieselbe  ansehen;  eine 
verschwindende  Minderheit  würde  vielleicht  auch  auf  die  Psychologie 
rathen.  Nicht  minder  widersprechend  sind  die  Meinungen  über  das 
Verhältniss  zur  Philosophie.  Dass  die  Geistes-  so  gut  wie  die 
Naturwissenschaften  aus  der  Philosophie  hervorgegangen  sind,  weiss 
man.  Ob  aber  diese,  nachdem  nun  einmal  Geschichte,  Philologie, 
Jurisprudenz  und  Staatswissenschaften  theils  aus  ihr  abgezweigt,  theils 
durch  die  Verbindung  philosophischer  Lebren  mit  gewissen  Normen 
des  praktischen  Lebens  entstanden  sind,  nicht  ihre  Schuldigkeit  gethan 
und  daher  ein  für  allemal  zu  verschwinden  habe,  oder  ob  sie  nun 
den  einzelnen  Geisteswissenschaften  gegenüber  einen  neuen  Zweck 
und  eine  unter  den  geänderten  Bedingungen  nicht  minder  unerläss- 
liche  Aufgabe  erfüllen  solle  wie  jene,  die  ihr  im  Anfang  der  wissen- 
schaftlichen Entwicklungen  zugefallen,  —  darüber  herrscht  nicht  die 
mindeste  Einmüthigkeit  der  Ueberzeugungen;  und  selbst  da,  wo  man 
der  Philosophie  in  der  Gemeinschaft  der  Geisteswissenschaften  nicht 
entraihen  möchte,  ist  man  doch  durchaus  uneins  darüber,  welche 
Stelle  ihr  eigentlich  anzuweisen,  ob  sie  inner-  oder  ausserhalb  der- 
selben, über  oder  unter  sie  zu  ordnen  sei.  Diese  Schwierigkeiten 
machen  es  wünschenswerth ,  zunächst  auf  den  systematischen  Zu- 
sammenhang der  Geisteswissenschaften  unter  einander  und  sodann 
auf  ihre  Beziehungen  zur  Philosophie  einen  orientirenden  Blick  zu 
werfen. 


10  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteBwissenschaften. 


b.    Das  System  der  Geisteswissenschaften. 

Ohne  Zweifel  besitzt  das  System  der  Geisteswissenschaften  das 
vornehmste  Zeugniss  seiner  Berechtigung  darin,  dass  die  einzelnen 
Wissenschaften,  die  wir  zu  diesem  System  rechnen,  die  Geschichte, 
Philologie,  Nationalökonomie,  Jurisprudenz  u.  s.  w.,  wirklich  existiren, 
und  dass  sie  von  Anfang  an  in  enge  Beziehungen  zu  einander  ge- 
treten sind.  Wenn  darum  auch  der  zusammenfassende  Name  «Geistes- 
wissenschaften* neueren  Ursprungs  ist,  so  kann  man  doch  von  ihnen 
sagen,  dass  sie  thatsächlich  eine  ähnliche  Verbindung  verwandter 
Gebiete  bilden  wie  die  Naturwissenschaften  oder  die  verschiedenen 
Zweige  der  Mathematik.  Eine  solche  Verbindung  schliesst  ja  nicht 
aus,  dass  die  Glieder  derselben  auch  Beziehungen  zu  ausserhalb  ge* 
legenen  Disciplinen  darbieten,  ähnlich  wie  solche  schon  zwischen 
Mathematik  und  Naturforschung  bestehen.  Aber  die  engere  Ver* 
wandtschafb  wird  sich  doch  immer  darin  verrathen,  dass  zwischen 
den  zusammengehörigen  selbständigeren  Wissenschaften  üebergangs- 
gebiete  sich  einschieben,  über  deren  Zugehörigkeit  man  zweifelhaft 
sein  kann,  oder  dass  für  das  eine  Gebiet  theils  die  Ergebnisse,  theils 
die  Methoden  und  Hülfsmittel  des  andern  unerlässlich  sind.  Dass  bei 
den  Geisteswissenschaften  solche  Uebergänge  und  Beziehungen  überall 
stattfinden,  ergibt  sich  nun  schon  aus  ihrer  geschichtlichen  Entwick- 
lung, in  der  eine  grössere  Anzahl  der  heute  selbständig  bestehenden 
Gebiete  aus  der  Theilung  einer  ursprünglich  einheitlichen  Mutter- 
wissenschafb  hervorgegangen  ist  und  auch  nach  dieser  Abzweigung  die 
Verwandtschaft  mit  jener  und  mit  den  andern  aus  ihr  entsprungenen 
Tochterdisciplinen  nicht  verleugnen  kann. 

Gleichwohl  enthebt  die  that«ächliche  Existenz  der  Geisteswissen- 
schaften und  ihrer  wechselseitigen  Beziehungen  nicht  der  Verpflich- 
tung, den  Ursachen  nachzuforschen,  die  ihrer  Zusammenfassung  in 
ein  einziges  grosses  Arbeitsgebiet  zu  Grunde  liegen,  und  aus  denen 
sich  eben  jene  im  Laufe  der  geschichtlichen  Entwicklung  hervor- 
getretene genealogische  Verwandtschaft  ergeben  musste.  Diese  Ver- 
pflichtung erscheint  im  vorliegenden  Fall  um  so  dringender,  da  es 
nicht  nur  einer  weit  längeren  Zeit  bedurft  hat,  um  hier  den  all- 
gemeineren Zusammenhang  zu  deutlichem  Bewusstsein  zu  bringen, 
sondern  da  auch  heute  noch  Zweifel  darüber  bestehen,  ob  eine  Ver- 
bindung mittelst  irgend  einer  grundlegenden  Wissenschaft  möglich 
sei,   und  welche  unter  den   bestehenden  man  etwa  als  eine  solche 


Syatem  der  Geisteswissenschaften.  11 

anzuerkennen  habe.  Da  nun  überdies  die  geschichtliche  Entwick- 
lang der  Wissenschaften  von  mancherlei  zufälligen  und  äusseren 
Einwirkungen  beeinflusst  werden  kann,  die  den  logischen  Zusammen- 
hang trQben,  so  wird  es  für  die  Untersuchung  der  tieferen  Ursachen 
jenes  Zusammenhangs  erspriesslich  sein,  hier  von  allen  geschicht- 
lichen Bedingungen  abzusehen,  um,  bloss  die  thatsächlichen  Auf- 
gaben der  einzelnen  Gebiete  im  Auge  behaltend,  zu  fragen,  worin 
denn  wohl  der  ihnen  allen  gemeinsame  Zug  besteht,  der  sie  zunächst 
mehr  instinctiv  als  in  Folge  bewusster  üeberlegung  als  ein  Ganzes 
erscheinen  liess. 

Die  Hauptschwierigkeit  dieser  Frage  liegt  offenbar  darin,  dass 
wir  hier  nicht,  wie  bei  den  Objecten  der  Naturforschung,  auf  be- 
stimmte Erscheinungen  hinweisen  können,  deren  Zusammenhang 
sich  ohne  weiteres  durch  ihre  räumlichen  Beziehungen  der  Beobach- 
tnng  aufdrangt  und  daher  frühe  schon  in  der  Annahme  eines  allen 
Naturerscheinungen  gemeinsamen  Substrates  seinen  Ausdruck  fand. 
Vielmehr  sind  uns  die  ,, geistigen  Erscheinungen*^  oder,  besser  gesagt, 
die  Erscheinungen,  aus  denen  wir  auf  geistige  Vorgänge  schliessen, 
immer  nur  an  Objecten  gegeben,  die  zugleich  der  Körperwelt  an- 
gehören und  in  dieser  Eigenschaft  dem  Untersuchungsgebiet  der 
Naturwissenschaften  zufallen.  Für  die  naturwissenschaftliche  Be- 
trachtung besteht  eine  analoge  Schwierigkeit  deshalb  nicht,  weil  es 
eine  unendliche  Anzahl  von  Erscheinungen  gibt,  bei  deren  Betrach- 
tung wir  gar  keinen  Anlass  haben,  irgend  welche  Factoren  des 
geistigen  Geschehens  vorauszusetzen.  In  Folge  dessen  sind  wir  dann 
in  der  Lage,  bei  der  verhältnissmässig  kleinen  Anzahl  von  Objecten, 
wo  dies  der  Fall  ist,  für  die  Zwecke  der  naturwissenschaftlichen 
Untersuchung  von  dieser  Coexistenz  geistiger  Factoren  zu  abstrahiren ; 
und  wir  thun  dies  zweifellos  mit  Recht,  insofern  wir  eben  die  Be- 
rücksichtigung dieser  Factoren  einem  ausserhalb  der  Naturforschung 
gelegenen  Gebiet  überlassen  wollen.  Die  Objecte  der  Oeisteswissen- 
sehaften  dagegen  sind  stets  zugleich  Naturobjecte.  Jene  für  die 
Naturwissenschaften  erlaubte  und  innerhalb  der  von  ihnen  selbst 
gezogenen  Grenzen  nothwendige  Abstraction  ist  darum  hier  ein  Ding 
der  Unmöglichkeit.  Die  Naturwissenschaft  würde  etwa  dann  in  einer 
ähnUchen  Lage  sein,  wenn  der  Mensch  und  die  ihm  ähnlichen  be- 
seelten Wesen  die  einzigen  Objecte  der  Natur  wären,  so  dass  die 
Naturforschung  mit  der  menschlichen  Physiologie  statt  mit  der 
Mechanik  schwerer  Körper  ihren  Weg  hätte  beginnen  müssen.  Es 
ist  sehr  zweifelhaft,   ob  unter  solchen  Bedingungen  die  Trennung 


12  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

der  Natur-  und  der  Geisteswissenschaften  überhaupt  zu  Stande  ge- 
kommen wäre;  jedenfalls  aber  würde  sie  in  ganz  anderer  Weise 
erfolgt  sein,  als  es  thatsächlich  geschehen  ist. 

Man  umgeht  diese  Schwierigkeit,  wenn  man  mit  den  grossen 
Classificatoren  aus  dem  Anfang  unseres  Jahrhunderts,  einem  Bentham 
und  Ampere,  von  der  Fiction  ausgeht,  es  gebe  körperliche  und 
geistige  Objecte,  die  ähnlich  einander  gegenüberzustellende  Gegen- 
stände der  Eintheilung  seien  wie  etwa  die  Pflanzen  und  Thiere  oder 
unter  diesen  die  Wirbelthiere  und  die  Wirbellosen.  Geistige  Objecte 
in  demjenigen  Sinne,  in  dem  wir  von  Naturobjecten  reden,  gibt  es 
überhaupt  nicht;  sondern  es  gibt  nur  Naturobjecte,  an  denen  wir 
Erscheinungen  wahrnehmen,  die  uns  auf  geistige  Vorgänge  zurück- 
schliessen  lassen.  Nicht  minder  aber  heisst  es  das  Ziel  verfehlen, 
wenn  man  nun  auf  Grund  dieser  unumstösslichen  Thaisache  der 
Naturbedingtheit  des  geistigen  Geschehens  mit  Auguste  Gomte 
die  Geisteswissenschaften  den  einzelnen  Naturwissenschaften  coor- 
dinirt,  da  ihre  Objecte  von  denen  der  Physiologie  nur  dadurch 
verschieden  seien,  dass  diese  den  lebenden  Organismus  als  einen 
einzelnen  untersuche,  während  Geschichte,  Nationalökonomie,  Juris- 
prudenz u.  s.  w.  es  überall  mit  einer  Vielheit  gleichartiger  mensch- 
licher Wesen  zu  thun  haben*).  Diese  Betrachtungsweise,  nach  der 
sich  die  „Sociologie**  bloss  als  höheres  Glied  an  die  Stufenleiter  der 
Naturwissenschaften  anschliesst  und  von  ihnen  nicht  principiell, 
sondern  nur  durch  die  grössere  Coraplication  der  Erscheinungen  ver- 
schieden ist,  steht  genau  unter  dem  nämlichen  Vorurtheil,  aus  dem 
jene  Eintheilung  der  Dinge  in  Körper  und  Geister  entsprungen  ist. 
Weil  es  solche  selbständige  und  unabhängig  von  den  Körpern 
existirende  Geister  nicht  gibt,  deshalb  wird  hier  die  relativ  selb- 
ständige Existenz  der  Geisteswissenschaften  überhaupt  geleugnet. 
Gewiss  wäre  dies  zutreffend,  wenn  diese  Wissenschaften  specifische, 
von  den  Naturobjecten  toto  genere  verschiedene  Objecte  haben 
müssten.  Aber  da  es  solche  Objecte  nicht  gibt,  während  doch  die 
einzelnen  Geisteswissenschaften  wirklich  existiren,  so  sollte  man 
daraus  vielmehr  den  Schluss  ziehen,  dass  diese  ganze  Scheidung  der 
Wissenschaften  nach  Gegenständen  unhaltbar  ist.  Das  einzige  Motiv, 
das  von  Anfang  an  die  Theilung  der  wissenschaftlichen  Arbeiten 
bestimmte,  war  die  Unterscheidung  der  verschiedenen  Classen  der  uns 
in  der  Erfahrung  gegebenen  Vorgänge,  theils  mit  Rücksicht  auf  die 


*)  Comte^  Philosophie  positive,  I,  Le9.  1,  III,  Le9.  46. 


System  der  GeisteswiflsenBchaflen.  13 

an  diesen  Vorgingen  selbst  objectiv  hervortretenden  Merkmale, 
theÜB  mit  Rflcksicht  auf  die  von  uns  subjectiv  mit  dieser  Unter- 
scheidung verbundenen  WerÜibestimmungen.  Erst  nachdem  der 
Sonderung  der  einzelnen  Vorgänge  eine  Zusammenfassung  gewisser 
wichtiger  Erscheinungsgebiete  gefolgt  war,  wurde  dann,  namentlich 
in  der  Naturwissenschaft,  in  untergeordneter  Weise  in  der  Mathematik 
und  den  Geisteswissenschaften,  die  Unterscheidung  bestimmter  Ob- 
jecte  ein  nebenhergehendes  Hülfsprindp  für  die  Sonderung  der 
Gebiete,  wobei  jedoch  der  steigende  Werth,  den  man  im  letzteren 
Fall  auf  die  Entstehung  der  Objecte  legt,  auch  hier  eine  Reduction 
auf  differente  Vorgänge  als  die  eigentliche  Triebfeder  der  Unter- 
scheidung erkennen  lässt. 

Suchen  wir  uns  nun,  von  dem  Gesichtspunkte  aus,  dass  die 
ursprüngliche  Unterscheidung  von  Erfahrungsgebieten  in  der  Unter- 
scheidung gewisser  Glassen  von  Vorgängen  ihren  Grund  haben 
muss,  über  die  Sonderung  der  einzelnen  Wissenschaften  Rechenschaft 
zu  geben,  so  erscheint  es  vollkommen  begreiflich,  dass  ein  und 
dasselbe  Object  Gegenstand  ganz  verschiedener  Wissenschaften 
sein  kann.  Beruht  doch  jede  solche  Arbeitstheilung  auf  einer  durch 
den  Inhalt  der  Erfahrung  nahe  gelegten  und  sodann  willkürlich 
durch  das  logische  Denken  weitergeführten  Abstraction.  Diese  zerlegt 
zunächst  den  einheitlichen  Thatbestand  des  Wirklichen  mehr  oder 
minder  künstlich,  um  dann  durch  eine  darauf  folgende  Determination 
der  gewonnenen  abstracten  Begriffe  diese  durch  ein  rückwärts  ge- 
kehrtes Verfahren  wieder  so  viel  als  möglich  der  Wirklichkeit  an- 
zunähern. Durch  jenes  Verfahren  isolirender  Abstraction  hat  sich 
schon  die  Mathematik  als  ein  System  von  Begriffen  und  Ope- 
rationen, die  auf  Grund  der  formalen  Eigenschaften  der  wirklichen 
Dinge  zu  Stande  kommen,  von  den  realen  Wissenschaften,  die 
neben  der  Form  zugleich  den  Inhalt  der  empirischen  Wirklichkeit 
zu  erfassen  suchen,  getrennt.  Innerhalb  der  dem  realen  Inhalt 
der  Erfahrung  zugewandten  Forschungen  hat  sich  dann  wieder  das 
System  der  Naturwissenschaften  durch  seine  ausschliessliche  Richtung 
auf  die  der  äusseren  Wahrnehmung  zugänglichen  Erscheinungen  als 
ein  im  allgemeinen  wohl  definirbares  ausgesondert,  falls  man  dabei 
nur  im  Auge  behält,  dass  sich  diese  Beschränkung  auf  die  äussere 
Wahrnehmung  nicht  bloss  auf  die  Objecte,  sondern  namentlich  auch 
auf  den  Zweck  der  naturwissenschaftlichen  Untersuchung  selbst  be- 
zieht. Dieser  Zweck  ist  erftült,  sobald  die  Frage  beantwortet  ist, 
wie  bestimmte  unserer  sinnlichen  Wahrnehmung  gegebene  Erschei- 


14  Allgemeine  Orundlagen  der  Geisteewisieiiscliafteii. 

nungen  sich  in  den  gesammten  Zusammenhang  dieser  Wahrnehmung 
widerspruchslos  einordnen.  Darum  nimmt  die  Naturwissenschaft  zur 
Erklärung  der  Naturerscheinungen  immer  nur  andere  Naturerschei- 
nungen zu  Hülfe;  und  wo  sie  etwa  genöthigt  wird,  hypothetische 
Objecte  oder  Vorgänge  einzuf&hren,  die  selbst  gar  nicht  wahr- 
genommen werden  können,  da  geschieht  dies  doch  immer  nur  in  der 
Absicht,  die  objectiv  wahrnehmbaren  Erscheinungen  in  eine  logische 
Verbindung  zu  bringen. 

Lässt  sich  demnach  die  Naturwissenschaft  kurz  definiren  als 
ein  System  widerspruchsloser  Interpretation  der  sinn- 
lichen Wahrnehmung,  so  scheint  es  nahe  zu  liegen,  im  Gegen- 
sätze hierzu  die  Geisteswissenschaftien  als  ein  wissenschaftliches  System 
aufzufassen,  welchem  die  Interpretation  der  sogenannten  inneren 
oder  seelischen  Wahrnehmungen  obliege.  Nun  ist  aber  unschwer 
zu  erkennen,  dass  diese  Gegenüberstellung  nicht  nur  unzulänglich, 
sondern  fehlerhaft  ist.  Sie  beruht,  gerade  so  wie  die  Unterscheidung 
des  äusseren  und  des  inneren  Sinnes  in  der  älteren  Psychologie,  die 
sich  in  ihr  wiederspiegelt,  nicht  auf  einer  berechtigten  Abstraction, 
sondern  auf  einer  falschen  Analogie.  Wie  es,  so  oft  auch  von  ihnen 
geredet  wurde,  keine  «Gegenstände  des  inneren  Sinnes'',  sondern  nur 
solche  der  äusseren  Sinne  gibt,  so  sind  auch  die  Vorgänge,  die  wir, 
bildlich  gesprochen,  auf  die  Existenz  einer  „geistigen  Welt*^  beziehen, 
ganz  und  gar  in  der  sinnlichen,  körperlichen  Welt  mit  enthalten. 
Schon  für  die  Psychologie  trifiFt  darum  jene  Begriffsbestimmung  einer 
nur  der  sogenannten  inneren  Erfahrung  zugewandten  «reinen''  Geistes- 
wissenschaft nicht  zu ;  denn  keine  Psychologie  kann  von  den  physi- 
schen Bedingungen  und  Aeusserungen  des  Seelenlebens  absehen.  Wie 
viel  weniger  vollends  lässt  sich  eine  solche  Abstraction  bei  den 
Problemen  der  Geschichte,  Philologie,  Wirthschafbslehre ,  Juris- 
prudenz u.  s.  w.  ausführen,  die  alle  erst  durch  das  Vorhandensein 
der  physischen  Welt  und  durch  die  Bedingungen,  die  diese  für  das 
menschliche  Leben  herbeiführt,  ihren  eigenthümlichen  Inhalt  ge- 
winnen! Hier  überall  bestätigt  sich  eben,  dass  es  keine  geistigen 
Objecte,  sondern  nur  Vorgänge  gibt,  die  wir  auf  geistige  Factoren 
beziehen,  wobei  aber  mit  diesen  letzteren  immer  zugleich  physische 
Factoren  unauflöslich  verbunden  sind.  Selbst  die  Annahme  geistiger 
Vorgänge  bleibt  daher  eine  Abstraction,  bei  der  wir  von  begleitenden 
physischen  Vorgängen  absehen.  Freilich  aber  darf  man  dabei  nicht 
vergessen,  dass  die  Voraussetzung  rein  physischer  Vorgänge  im 
Grunde  eine  ähnliche  Abstraction  ist,   die   uns  nur  durch  die  Be- 


System  der  GeisteflwiMenschafben,  15 

dingiingen  der  sinnlichen  Wahrnehmung  erleichtert  wird.  Da  wo 
diese  beiden  zu  einem  falschen  realen  Gegensatz  erhobenen  Er- 
fahrongen,  die  äussere  und  die  innere,  zusammentreffen,  beim  Menschen 
mid  den  ihm  verwandten  Wesen,  sehen  wir  in  die  physischen  Vor- 
ige gerade  so  gut  psychische  Factoren  wie  in  die  psychischen 
physische  eingehen.  Es  bleibt  daher  stets  der  begründete  Verdacht, 
dass  eine  bloss  physische  Welt  ebenso  wenig  irgendwo  eine  reale 
Existenz  besitze,  wie  diese  einer  bloss  geistigen  Welt  zukommt. 

Können  wir  nun  weder  Objecte  noch  Vorgänge  aus  dem  6e- 
sammtinhalt  unserer  Erfahrung  aussondern,  die  sich  als  Aufgaben 
der  Geisteswissenschaften  ohne  weiteres  erkennbar  den  Gegenständen 
der  Naturerkenntniss  gegenüberstellen  Hessen,  ähnlich  etwa  wie  die 
Objecte  des  Oehörssinnes  von  denen  des  Gesichtssinnes  zu  trennen 
sind,  ohne  dass  dabei  eine  nähere  Aufzeigung  unterscheidender  Merk- 
male ndthig  oder  im  letzten  Grunde  überhaupt  möglich  wäre,  so 
bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  anzunehmen,  dass  uns  an  dem  im 
übrigen  der  allgemeinen  Erfahrung  angehörenden  Inhalte  dessen, 
was  wir  auf  eine  Betheiligung  geistiger  Vorgänge  zurückführen, 
irgend  welche  Eigenschaften  entgegentreten,  die  auf  eine  wesentliche 
Unterscheidung  solcher  Erscheinungen  von  blossen  Naturerscheinungen 
drangen.  Gerade  das,  was  der  Unterscheidung  von  Eindrücken  ver- 
schiedener Sinne  fehlt;  die  Existenz  bestimmt  zu  definirender  Merk- 
male, muss  also  hier  entscheidend  sein.  Denn  diese  ganze  Ent- 
wicklung bringt  es  mit  sich,  dass  die  Unterscheidung  des  Geistigen 
und  des  Physischen  keine  Sache  unmittelbarer  Empfindung  ist,  wie 
es  die  irreführende  Gegenüberstellung  der  äusseren  und  der  inneren 
Wahrnehmung  erwarten  liess,  sondern  dass  sie  aus  einer  Reflexion 
über  den  Erfahrungsinhalt  hervorgeht,  mag  auch  die  klare  Ver- 
g^enwärtigung  der  logischen  Motive  dieser  Reflexion  verhaltniss- 
mässig  spät  erst  eingetreten  sein,  so  dass  ihr  die  praktischen  Motive 
der  wissenschaftlichen  ArbeitsÜieilung  lange  vorangingen  und  ihre 
Ei^ebnisse  vorausnahmen.  Freilich  darf  man  aber,  wenn  wir  von 
unterscheidenden  Merkmalen  zwischen  Geist  und  Natur  reden,  nicht 
Ton  vornherein  erwarten,  dass  auf  beiden  Seiten  positive  Eigen- 
schaften einander  gegenüberstehen,  von  denen  die  einen  der  Natur 
zukommen  und  dem  Geistigen  fehlen,  die  andern  aber  umgekehrt 
diesem  zukommen  und  jener  fehlen,  sondern  es  wird  dem  Unter- 
scheidungsbedürfniss  vollkommen  Genüge  geleistet  sein,  wenn  nur 
auf  der  einen  Seite  Merkmale  existiren,  die  auf  der  andern  nicht 
Torbanden   sind.     Dies   ist  denn  auch  nicht  nur  das  wirkliche  Ver- 


l(j  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

hältniss,  sondern  auch  dasjenige,  das  von  vornherein  erwartet 
werden  muss,  weil  eben  die  geistige  Welt  nicht  der  körperlichen 
äusserlich  gegenübersteht,  wie  die  Cartesianische  Metaphysik  an- 
nimmt, wenn  sie  die  Materie  das  Ausgedehnte  und  Nichtdenkende, 
den  Qeist  das  Denkende  und  Nichtausgedehnte  nennt,  sondern  weil 
das  Geistige  überall  ein  zu  dem  physischen  Sein  Hinzukommendes 
ist,  welches  darum  auch  begrifflich  niemals  von  diesem  gesondert 
werden  kann. 

In  der  That  gibt  es  drei  allgemeine  Merkmale,  die  wir  überall, 
wo  sie  uns  an  einem  Erfahrungsinhalte  entgegentreten,  auf  einen 
geistigen  Theilinhalt  desselben  beziehen.  Diese  drei  Merkmale,  die 
wieder  innig  unter  einander  zusammenhängen,  indem  jedesmal  das 
vorangehende  auf  das  folgende  als  seine  innere  Bedingung  hinweist, 
sind:  die  Werthbestimmung,  die  Zwecksetzung  und  die 
Willensbethätigung. 

Das  Moment  der  Werthbestimmung  bildet  das  nächste  ent- 
scheidende Merkmal  des  Geistigen  gegenüber  dem  bloss  Physischen. 
Die  naturwissenschaftliche  Betrachtung  verzichtet  geflissentlich  auf 
Werthbestimmungen.  Wo  sie  sich  einmengen,  da  bleiben  sie  ein 
von  aussen  Hinzugekommenes:  die  Erscheinungen  an  und  für  sich 
betrachtet  sind  aber  weder  gut  noch  böse,  weder  schön  noch  häss- 
lich.  Selbst  ihr  Nutzen  bleibt  für  die  theoretische  Wissenschaft 
ausser  Frage.  Die  geistige  Welt  dagegen  ist  die  Welt  der 
Wert  he.  Diese  können  in  den  mannigfaltigsten  qualitativen  Modi- 
ficationen  und  in  den  verschiedensten  Graden  vorkommen.  Die  sinn- 
lichen, ästhetischen,  ethischen  und  intellectuellen  Werthe  bilden  nur 
stärker  hervortretende  Hauptgruppen  derselben,  zwischen  denen  die 
mannigfaltigsten  üebergänge  und  Verbindungen  stattfinden.  Ihnen 
allen  ist  es  gemeinsam,  dass  sie  sich  zwischen  Gegensätzen  bewegen. 
Hierdurch  weisen  sie  auf  das  Gefühl  als  die  subjective  Bedingung 
ihres  Daseins  hin.  In  dem  Werthurtheil  verbindet  sich  diese 
zunächst  im  Gefühl  vor  sich  gehende  Werthbestimmung  mit  der 
intellectuellen  Abw's^ng  der  Werthgrade  und  Werthqualitäten.  In 
der  geistigen  Welt  hat  alles  seinen  positiven  oder  negativen,  seinen 
grösseren  oder  geringeren  Werth :  die  Indifferenzlage  zwischen  jenen 
beiden  Richtungen  bezeichnet,  wie  die  Indifferenzlage  des  Gefühls 
im  subjectiven  Bewusstsein,  immer  nur  eine  augenblickliche  Wirkungs- 
losigkeit bestimmter  Motive  oder,  wenn  die  intellectuelle  Betrach- 
tung hinzukommt,  eine  absichtliche,  von  mangelndem  Interesse  oder 
auch  von  Zweifel  oder  Vorsicht  zeugende  ürtheilsenthaltung. 


System  der  Geisteswissenschaften.  17 

Jede  Werthbestimmung  beruht  nun  aber  auf  Zwecksetzung: 
nicht  auf  einer  subjectiven  Zweckbeirachtung ,  wie  sie  aus  rein 
logischen  Motiven  auf  jeden  beliebigen  Causalzusammenhang  an- 
gewandt werden  kann,  sondern  auf  mit  OefühlsmotiYen,  also  Werth- 
bestimmungen  verbundenen  Zweckvorstellungen,  die  dem  Zweck  selbst 
die  Bedeutung  einer  objectiv  wirkenden  Ursache  verleihen.  (Vgl. 
Bd.  I,  S.  646.)  Die  geistige  Welt  ist  das  Reich  der  Zwecke. 
Darum  sieht  sich  schon  die  naturwissenschaftliche  Betrachtung  vor- 
nehmlich da  zur  Anwendung  des  Zweckbegriffs  als  einer  Umkehrung 
des  Causalprincips  gedrängt,  wo  bei  der  Entstehung  physischer  Objecte 
oder  physischer  Vorgänge  geistige  Factoren  mitwirken :  so  die  Mechanik 
bei  der  künstlichen  Maschine  (Bd.  II,  Abth.  1,  S.  302)  und  die  Biologie 
bei  den  lebenden  Organismen  (ebend.  S.  537  ff.). 

Die  Zwecksetzung  in  dieser  Bedeutung  einer  auf  Werthbestim- 
mungen  beruhenden  objectiven  Realisirung  vorher  vorhandener  Zweck- 
YorsteUungen  ist  endlich  stets  das  Erzeugniss  einer  Willens- 
thätigkeit.  Denn  nicht  die  Vorstellung  als  solche  vermittelt  die 
Zwecksetzung,  sondern  der  Wille,  der  von  Anfang  an  mit  der  Werth- 
bestimmung aufs  engste  verknüpft  ist.  Das  Gefühl,  dem  die  Werth- 
bestimmung entspringt,  ist  selbst  nichts  anderes  als  das  Wollen  in 
dem  Anfangsstadium  seiner  psychologischen  Entwicklung*).  Die  Natur 
gilt  uns  überall  da  als  willenlos,  wo  sie  uns  als  ein  Zusammenhang 
passiver,  nur  durch  äussere  Kräfte  mit  einander  in  Wechselwirkung 
tretender  Gegenstände  erscheint.  *  Wo  uns  aber  in  ihr  Vorgänge 
entgegentreten,  die  wir  auf  ein  wirkliches,  unserem  eigenen  gleichendes 
Wollen  beziehen,  da  schliessen  wir  auch  auf  das  Vorhandensein 
geistiger  Factoren,  und  da  fallen  demnach  solche  Erscheinungen 
ganz  oder  theilweise  in  den  Umkreis  der  Geisteswissenschaften.  So 
ist  das  Merkmal  der  Willensbethätigung  das  letzte  und  zugleich  das 
entscheidende,  das  die  beiden  andern  als  nähere  Bestimmungen  in 
sich  schliesst.  Das  Geistige  ist  das  Reich  des  Willens. 
Nicht  die  Vorstellung,  nicht  die  Intelligenz  oder  das  Denken  geben 
den  Ausschlag.  Die  Vorstellung,  losgelöst  gedacht  vom  Willen  und 
von  den  ihm  anhängenden  Zwecksetzungen  und  Werthbestimmungen, 
fallt  unterschiedslos  mit  ihrem  Objecte  zusammen,  das  getrennt  von 
allen  jenen  geistigen  Eigenschaften  lediglich  ein  Gegenstand  natur- 
wissenschaftlicher Betrachtung  ist.  Die  Intelligenz  aber  ist  die  ein- 
heithche  Verbindung  von  Wollen  und  Vorstellen  in  ihren  zusammen- 


*)  Grundzüge  der  physiol.  Psychologie,  4.  Aufl.,  II,  S.  498. 
Wundt,  Logik.  H,  2.    2.  Anfl. 


lg  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

gesetzten,  auf  die  Erkenntniss  der  Naturrorgänge  wie  des  geistigen 
Lebens  und  auf  die  zweckmässige  Beherrschung  der  eigenen  Hand- 
lungen gerichteten  Bethätigungen.     Darum   ist   die   Intelligenz   ei» 
Merkmal  des  Geistigen  eben  nur  insofern,    als  sie  die  elementaren 
Merkmale  der  Willensthätigkeit,  Zwecksetzung  und  Werthbestimmung 
in  sich  vereinigt.    Erst  indem  zu  diesen  allgemeinen  Gesichtspunkten 
der  weitere  hinzutritt,    dass  die  Gegenstände  wissenschaftlicher  Be- 
trachtung in  dem  Masse  an  Wichtigkeit  zunehmen,  als  ihre  Zwecke 
bedeutender  und  die  an  diese  Zwecke  geknüpften  Werthurtheile  in- 
haltsvoller  werden,    ergibt    sich    die    denkende   Bethätigung   des 
Willens  als  ein  Kriterium  jener  Erscheinungen,  die  vorzugsweise  die 
Objecto  der  Geisteswissenschaften  bilden.    Deshalb  ist  der  fast  aus- 
schliessliche Gegenstand  dieser  der  Mensch,  freilich  nicht  der  Mensch 
in  seiner  abstracten  Isolirung  von  der  ihn  umgebenden  und  zugleich 
sein  eigenes  Wesen  mitbestimmenden  Natur,   sondern  der  wirkliche 
Mensch.     Die  Thiere  besitzen  für  die  Geisteswissenschafben  nur  ein 
beschränktes,    überall   erst   durch   die  Rücksicht  auf  den  Menschen 
bestimmtes  Interesse,  theils  indem  sie  mit  zu  jener  Naturumgebung 
gehören,  in  der  sich  menschliches  Handeln  bethätigt,  theils  weil  sie 
für  die  psychologische  Entwicklungsgeschichte  des  Geistes  bedeutsame 
Vorstufen   menschlicher   Entwicklung   bilden.     Hiernach    kann    die 
Scheidung  der  Geistes-  und  der  Naturwissenschaften  schliesslich  da- 
hin bestimmt  werden,    dass   die  Aufgaben  der  ersteren  überall  be- 
ginnen,   wo    der   Mensch    als    wollendes    und    denkendes 
Subject  ein  wesentlicher  Factor  der  Erscheinungen  ist,    und  dass 
dagegen   alle  die  Erscheinungen,   bei  denen  diese  Beziehung  zu  der 
geistigen  Seite   des  Menschen  ausser  Betracht  bleibt,   den   Gegen- 
stand  rein   naturwissenschaftlicher  Betrachtung   bilden.     Hierin    ist 
zugleich  ausgesprochen,    dass  die  Objecte  der  Geisteswissenschaften 
von    andern    Gesichtspunkten    aus    stets    auch    Gegenstände    natur- 
wissenschaftlicher Betrachtung  sind,  und  dass  jene  Objecte  der  Rück- 
sicht auf  die  Naturbedingungen  des  geistigen   Geschehens   niemals 
entrathen  können. 

Zunächst  ist  uns  nun  der  einzelne  Mensch  als  denkendes 
und  wollendes  Subject  in  der  Erfahrung  gegeben.  Ohne  die  Er- 
kenntniss  des  Einzelmenschen  würde  die  Erkenntniss  der  Erschei- 
nungen, die  an  irgend  welche  menschliche  Vereinigungen  gebunden 
sind,  ein  unlösbares  Problem  bleiben.  Die  Erkenntniss  des  Einzel- 
menschen muss  femer  zwar  von  concreten  und  individuellen  Er- 
fahrungen ausgehen;    zu  einer  allgemeineren  Anwendung  wird  aber 


System  der  GeisteswiBsenschaften.  19 

nur  das  geeignet  sein,  was  sich  unter  diesen  Erfahrungen  als  allgemein- 
gültig, als  eine  solche  Eigenschaft  oder  Thätigkeit  des  Einzelnen 
herausstellt,  die  in  den  allgemein  menschlichen  Trieben  und  Fähig- 
keiten ihre  Quelle  hat.  Nicht  der  Einzelmensch  als  Individuum 
sondern  als  Gattung  ist  daher  das  Object,  dessen  Erkenntniss  die 
nächste  Bedingung  jeder  Art  von  Untersuchungen  im  Qebiete  der 
Geisteswissenschaften  ist.  Die  wissenschaftliche  Disciplin,  die  den 
Menschen  in  diesen  seinen  allgemeingültigen  Eigenschaften  zu  ihrem 
Gegenstande  hat,  ist  die  Psychologie.  Principiell  muss  es  demnach 
als  eine  selbstverständliche  Voraussetzung  gelten,  dass  die  Psycho- 
logie gegenüber  allen  andern  Oeisteswissenschaften  die  Bedeutung 
einer  grundlegenden  Disciplin  besitzt;  und  zwar  ist  es  die  Individual- 
psychologie,  die  eben  insofern,  als  sie  die  allgemeingültigen  gßistigen 
Functionen  des  Einzelmenschen  erforscht,  zugleich  allgemeine 
Psychologie  ist.  Wenn  sich  dies  Verhältniss,  so  einleuchtend  es 
anch  an  und  für  sich  zu  sein  scheint,  bei  den  Vertretern  der  Oeistes- 
wissenschaften keineswegs  allgemeiner  Anerkennung  erfreut,  so  liegt 
der  Grand  hiervon  wahrscheinlich  darin,  dass  man  in  der  Psychologie 
bis  dahin  keine  sonderliche  Hülfe  für  die  besonderen  wissenschaft- 
lichen Zwecke  glaubte  finden  zu  können,  und  dass  man  deshalb 
zwar  nicht  auf  psychologische  Begründungen  verzichtete,  aber  sich  für 
diese  doch  mit  dem  zu  behelfen  suchte,  was  die  allgemeine  Lebens- 
erfahrung Jedem  ohne  weitere  Mühe  zur  Verfügung  stellt.  Die 
Psychologie  theilt  hier  einigermassen  mit  der  Politik,  in  der  bekannt- 
lich ebenfalls  beinahe  jedermann  sachverständig  ist  oder  zu  sein 
glaubt,  das  Schicksal,  dem  ein  Oebiet  anheimfallen  muss,  in  dem 
ein  gewisses,  wenn  auch  geringes  Mass  von  Kenntnissen  allverbreitet 
und  zugleich  für  Jedermann  in  gewissem  Grade  unerlässlich  ist. 
Dazu  kommt,  dass  in  Wirklichkeit  das,  was  man  zumeist  wissenschaft- 
liche Psychologie  nennt,  für  die  Lösung  psychologischer  Probleme 
kaum  etwas  geleistet  hat,  woraus  der  Einzelforscher  auf  dem  Oebiet 
der  Geisteswissenschaften  hätte  Nutzen  ziehen  können.  Gilt  doch 
Vielen  noch  heute  die  Psychologie  für  eine  „  philosophische '^  Disciplin 
und  wird  dem  entsprechend  von  Solchen  behandelt,  die  nicht  aus 
der  Beschäftigung  mit  Aufgaben  der  psychologischen  Erfahrung, 
sondern  besten  Falls  aus  der  Beschäftigung  mit  Erkenntnisstheorie 
oder  mit  metaphysischen  Systemen  ihre  Competenz  zu  einem  sach- 
verstimdigen  ürtheil  ableiten.  Gerade  diese  noch  jetzt  bestehende 
innere,  nicht  bloss  äussere  Verbindung  mit  der  Philosophie  —  die 
letztere   würde  ja  als  eine  Art  Personalunion  verhältnissmässig  un- 


20  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

schädlich  sein  können  —  ist  es  aber,  in  der  sich  in  Wahrheit  die 
rückständige  Beschaffenheit  dieser  von  Philosophen  gepflegten  Psycho- 
logie verräth.  Ist  die  Psychologie  von  allen  Geisteswissenschaften 
die  einzige,  fUr  die  noch  immer  diese  Verbindung  existirt  oder  doch 
nur  langsam  in  der  Gegenwart  sich  zu  lösen  beginnt,  so  ist  damit 
auch  gesagt,  dass  sie  eine  selbständige  Methodik  positiver  Forschung, 
deren  sich  jene  längst  schon  erfreuen,  erst  zu  erwerben  im  Begriffe 
steht.  Unter  diesen  Umständen  kann  es  nicht  wundernehmen,  dass 
die  Psychologie  nur  als  eine  Summe  populärer  Abstractionen ,  die 
auf  den  Namen  einer  Wissenschaft  keinen  Anspruch  erheben  kann, 
in  dem  heutigen  System  der  Geisteswissenschaften  eine  Rolle  spielt. 
Darum  würde  es  aber  auch  nicht  berechtigt  sein,  nach  solchen  zwar 
begreiflichen,  aber  doch  nothwendig  iransitorischen  Bedingungen  die 
Stellung  zu  bestimmen,  die  der  Psychologie  nach  der  Natur  ihrer 
Aufgaben  zukommt.  Nach  dieser  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein, 
dass  sie  in  Wirklichkeit  die  allgemeinste  Geisteswissenschaft  und 
zugleich  die  unentbehrliche  Grundlage  ftlr  alle  andern  ist.  Je  mehr 
aber  die  falsche  Verbindung  mit  der  Philosophie,  die  geschichtlich 
betrachtet  nur  die  fortdauernde  Erhaltung  eines  von  den  andern 
Natur-  wie  Geisteswissenschaften  längst  zurückgelegten  Stadiums  der 
Entwicklung  ist,  mit  diesem  rückständigen  Charakter  der  Psychologie 
zusammenhängt,  um  so  mehr  erscheint  es  in  der  Gegenwart  als 
nächste  Aufgabe  dieser  Wissenschaft,  jene  ihre  selbständige  Ent- 
wicklung schädigende  Verbindung  zu  lösen.  In  der  That  ist  es  klar, 
dass  logisch  betrachtet  die  Psychologie  mit  der  Philosophie  unmittel- 
bar ebenso  viel  oder  ebenso  wenig  zu  thun  hat  wie  die  Physik  oder 
die  Geschichte.  Die  Bildung  unserer  Vorstellungen,  die  Entwicklung 
des  Willens,  die  Beschaffenheit  der  Gefühle  und  ihre  Verbindung 
mit  andern  Bewusstseinsvorgängen  —  alles  dies  sind  einzelne  Probleme 
der  Erfahrung,  gerade  so  gut  wie  die  Erscheinungen  von  Wärme 
und  Licht  oder  die  historischen  Ereignisse.  Warum  es  bei  jenen 
psychologischen  Aufgaben  der  Erleuchtung  durch  irgend  eine  Meta- 
physik bedürfe,  um  sich  mit  ihnen  zu  beschäftigen,  ist  nicht  einzu- 
sehen. Wohl  aber  ist  es  begreiflich,  dass  die  Ausbildung  empirischer 
Methoden,  die  zur  Analyse  dieser  besonderen  Erscheinungen  geeignet 
sind,  sowie  die  Unbefangenheit  der  Beobachtung  unter  jenen  meta- 
physischen Anticipationen  Noth  leiden  mussten.  Indem  die  folgende 
Darstellung  die  Psychologie,  wie  sie  es  verdient,  als  eine  gänzlich 
ausserhalb  der  Philosophie  stehende  Geisteswissenschaft  behandelt, 
die   zu   der  specifisch  philosophischen  Psychologie  in  keinem  andern 


System  der  Geisteswissenschaften.  21 

Verhälinisse  steht  als  etwa  die  wirkliche  Geschichte  zur  Philosophie 
der  Geschichte,  wird  es  zugleich  ein  Hauptaugenmerk  derselben  sein, 
auf  diejenigen  Anschauungen  und  Methoden  der  neueren  Psychologie 
näher  einzugehen,  mittelst  deren  sie  hoffen  darf,  der  Gesammtheit 
der  andern  Geisteswissenschaften  eine  gesichertere  Grundlage  zu 
bieten. 

Neben  dieser  Beziehung  zu  den  andern  Geisteswissenschaften 
ist  jedoch  für  die  Stellung  der  Psychologie  nicht  minder  der  Um- 
stand massgebend,  dass  der  Mensch  als  Naturwesen  zugleich  Object 
der  Naturwissenschaften,  speciell  der  Physiologie  ist.  In  Folge  der 
engen  Verbindung,  die  zwischen  den  psychischen  und  den  physischen 
Vorgängen  im  Organismus  besteht,  bildet  daher  die  Psychologie 
zugleich  eine  Art  von  Grenzgebiet  zwischen  den  Natur-  und  Geistes- 
wissenschaften,  ein  Gebiet  auf  dem  einerseits  noch  eine  der  natur- 
wissenschaftlichen verwandte  Methodik  mit  Erfolg  angewandt  werden 
kann,  anderseits  aber  die  für  die  Geisteswissenschaften  massgebenden 
Gesichtspunkte  in  ihren  fundamentalsten  Formen  zur  Geltung  kommen. 
Dieser  nahen  Beziehung  zu  beiden  grossen  Wissenschaftsgebieten 
entspricht  es,  dass  sich  schon  innerhalb  der  Psychologie  aus  der 
allgemeinen  oder  Individualpsychologie  gewisse  psychologische  Special- 
gebiete aussondern,  die  jenen  Uebergang  nach  der  einen  wie  nach 
der  andern  Seite  vermitteln  helfen.  So  beschäftigt  sich  die  Psycho- 
physik  mit  den  Wechselbeziehungen  der  körperlichen  und  geistigen 
Vorgänge,  während  sich  die  Völkerpsychologie  die  Untersuchung 
derjenigen  Erscheinungen  zur  Aufgabe  nimmt,  die,  wie  Sprache  und 
Sitte ;  aus  der  Verbindung  menschlicher  Individuen  zu  engeren  oder 
umfassenderen  geistigen  Gesammtheiten  hervorgehen.  Dazu  kommt 
endUch  die  Pädagogik  als  eine  praktische  Disciplin,  die  sich  in 
ihren  Mitteln  ganz  und  gar  auf  die  Psychologie  stützt,  indess  ihre 
Zwecke  ethischer  Art  sind  und  ausserdem  auf  dem  besonderen 
Felde  der  Unterrichtspädagogik  in  die  verschiedensten  andern  Wissens- 
gebiete übergreifen. 

Diesen  allgemeinen  Geisteswissenschaften,  die  wir  wegen  der 
centralen  Stellung  der  Psychologie  inmitten  derselben  unter  dem 
Gesammtnamen  der  psychologischen  Wissenschaften  vereinigen 
können,  treten  nun  alle  jene  vorhin  kurz  in  ihrer  geschichtlichen 
Entwicklung  verfolgten  Gebiete,  Geschichte,  Philologie,  Jurisprudenz, 
Nationalökonomie  u.  s.  w.  als  specielle  Geisteswissenschaften 
gegenüber,  insofern  es  stets  einzelne  Seiten  geistiger  Entwicklung 
oder  einzelne  Formen   geistiger  Schöpfungen   sind,   die   sie  heraus- 


22  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

greifen  und  entweder  in  ihrem  allgemeinen  Zusammenhang  oder  in 
bestimmteren  geschichtlichen  oder  ethnologischen  Sonderungen  der 
Betrachtung  unterwerfen.  Dabei  entwickelt  sich  nothwendig  ein 
bis  jetzt  freilich  nur  wenig  zur  Ausbildung  gelangtes  Wechselver- 
hältniss  zwischen  ihnen  und  den  allgemeinen  psychologischen  Dis- 
ciplinen,  insbesondere  der  Völkerpsychologie.  Einerseits  nämlich  über- 
liefern alle  jene  einzelnen  Gebiete  selbst  dieser  letzteren  zu  einem 
grossen  Theil  den  Stoff  zu  ihren  Untersuchungen,  andererseits  werden 
die  Resultate  der  psychologischen  Wissenschafben  wieder  frucht- 
bringend und  wegweisend  für  die  Interpretation  der  einzelnen  geistigen 
Erscheinungen. 

Bei  der  Gliederung  der  speciellen  Geisteswissenschaften 
kann  man  sodann  von  zwei  Gesichtspunkten  ausgehen.  Entweder 
lassen  sich,  analog  wie  die  Naturwissenschaft  Naturvorgänge  und 
Naturobjecte  und  danach  erklärende  und  systematische  Wissen- 
schaften einander  gegenüberstellt,  so  auf  dem  Gebiet  des  Geistes 
geistige  Entwicklungsvorgänge  und  geistige  Erzeugnisse  und  danach 
geschichtliche  und  systematische  Wissenschaften  unterscheiden'*'). 
Oder  man  kann  davon  ausgehen,  dass  die  Objecte  der  einzelnen 
Geisteswissenschaften  theils  vorübergehende  Erscheinungen  sind,  die 
in  der  Form  geschichtlicher  Vorgänge  verlaufen,  theils  aber 
mehr  oder  minder  bleibende  oder  doch  als  bleibend  betrachtete 
Zustände,  die  als  Bestandtheile  eines  allgemeinen  gesellschaft- 
lichen Zustandes  erscheinen.  Mag  nun  auch  die  erste  dieser  Ein- 
theilungen,  namentlich  wenn  man  auf  die  Wechselbeziehungen  und 
die  Zwischenformen  zwischen  den  beiden  dort  entstehenden  Wissen- 
schaftsclassen  Rücksicht  nimmt,  die  logisch  zutreffendere  sein,  so 
entspricht  doch  die  zweite  unmittelbarer  dem  praktischen  Bedürfnisse, 
da  sich  ihr  die  thatsächlich  vorhandenen  Wissenschaften  in  ihren 
natürlichen  Verwandtschaftsbeziehungen  ohne  Zwang  einordnen, 
während  im  ersten  Fall  der  Umstand,  dass  jede  systematische  Dis- 
ciplin  zugleich  einen  geschichtlichen  Theil  enthält,  wie  die  Rechts- 
wissenschaft die  Rechtsgeschichte,  die  Nationalökonomie  die  Wirth- 
schaftsgeschichte  u.  s.  w.,  eine  gewisse  Incongruenz  zwischen  logischer 
Eintheilung  und  praktischer  Arbeitstheilung  herbeiführt.     Das  tritt 


*)  Diesen  für  eine  allgemeine  logische  Behandlung  strengeren  Eintheilongs- 
grund  habe  ich  nebst  einigen  weiteren  die  speciellere  Classification  bestimmen- 
den Momenten  angewandt  in  meiner  Abhandlung  über  die  Eintheilung  der 
Wissenschaften,  Phil.  Studien  V,  S.  44  flF. 


System  der  Geisteswissenscliaften.  23 

fiun  freilich  auch  bei  der  zweifceu  Eintheilung  insofern  ein,  als  die 
gesellschaftlichen  Zustände  stets  Producte  einer  geschichtlichen  Ent- 
wicklung und  ihrerseits  wieder  der  Veränderung  durch  diese  unter- 
worfen sind.  Aber  hier  wird  dann  der  praktische  Gesichtspunkt 
massgebend  sein  können,  ob  für  ein  bestimmtes  Qebiet  mehr  das 
Moment  der  Entwicklung  oder  das  des  relativ  beharrenden  Zustandes 
ins  Gewicht  fällt.  Dies  gibt  sich  unmittelbar  darin  zu  erkennen, 
dass  dort  die  Zustandsschilderungen ,  hier  die  geschichtlichen  Be- 
trachtungen bestimmten  Hülfsdisciplinen  überlassen  bleiben,  die  dann 
zugleich  die  Bedeutung  von  Uebergangsgebieten  besitzen.  Sonach 
scheiden  wir  die  Gesammtheit  der  speciellen  Geisteswissenschaften  in 
die  beiden  grossen  Classen  der  Geschichtswissenschaften  und 
der  Gesellschaftswissenschaften.  Zu  den  ersteren  gehört  ausser 
den  historischen  Disciplinen  im  engeren  Sinne  die  Philologie.  Da 
sich  diese  ihrem  allgemeinsten  Begriff  nach  die  Untersuchung  der 
werthvoUeren  geistigen  Erzeugnisse  jeder  Art,  insbesondere  aber  die 
der  literarischen  Denkmäler,  zur  Aufgabe  macht,  so  ist  sie  nament- 
lich durch  ihre  Methodik  eine  Hülfsdisciplin  für  alle  Geisteswissen- 
schaften. Ihrem  eigensten  Inhalte  nach  steht  sie  aber  doch  in  der 
nächsten  Beziehung  zur  Geschichte,  weil  sie  durchgehends  ihre  Gegen- 
stände unter  dem  Gesichtspunkte  der  geschichtlichen  Entwicklung 
betrachtet.  Die  Gesellschaftswissenschaften  begreifen  unter  sich  als 
Einzelgebiete,  die  sich  durch  ihre  praktische  Wichtigkeit  eine  selb- 
ständige Stellung  errungen  haben,  die  Ethnologie,  die  National- 
ökonomie und  die  Jurisprudenz,  neben  denen  gegenwärtig  noch  eine 
die  Erscheinungen  des  Zusammenlebens  in  ihren  wechselseitigen  Be- 
ziehungen untersuchende  allgemeine  Sociologie  in  der  Entwicklung 
begriffen  ist.  Sie  steht  durch  ihre  Richtung  auf  den  ganzen  Zu- 
sammenhang des  socialen  Daseins  der  allgemeinen  Geschichte  gegen- 
über; durch  den  Inhalt  ihrer  Untersuchungen  aber  ist  sie  vorzugsweise 
auf  das  von  den  einzelnen  Theilen  der  Gulturgeschichte  dargebotene 
Material  angewiesen  und  hat  zugleich  ihrerseits  dieser  vorzuarbeiten. 
Diese  Wechselbeziehungen  zusammen  mit  dem  gegenwärtig  noch 
wenig  ausgebildeten,  namentlich  durch  philosophische  Richtimgen 
beeinflussten  Zustand  der  Sociologie  bedingen  es,  dass  sie  von  anderen 
Gebieten,  wie  der  Gulturgeschichte  und  Nationalökonomie,  noch  wenig 
sicher  abgegrenzt  ist. 

Da  alle  gesellschaftlichen  Zustände  Erzeugnisse  geschichtlicher 
Entwicklung  sind,  so  wird  in  der  folgenden  Darstellung  die  Logik 
der  Geschichts-   derjenigen   der   Gesellschaftswissenschaften    voran- 


24  Allgemeine  Grundlagen  der  GeiBteswissenschaften. 

zustellen  sein.  Der  nahe  Zusammenhang  beider  Gebiete  findet 
übrigens  darin  seinep  Ausdruck,  dass  jede  sociale  Wissenschaft  zu- 
gleich historische  Disciplinen  oder  mindestens  eine  solche,  nämlich 
die  Geschichte  ihres  eigenen  Gegenstandes,  wie  der  Volkswirthschaft, 
des  Rechts,  des  Staates,  in  sich  schliesst.  Bei  der  gewählten  An- 
ordnung erscheinen  dann  die  historischen  Theile  der  Gesellschafts- 
wissenschaften in  systematischer  Hinsicht  als  Verbindungen  mit  dem 
vorangegangenen  Gebiet,  in  methodischer  als  Anwendungen  der  ge- 
schichtlichen Betrachtung  auf  bestimmte,  aus  der  Gesammtheit  der 
gesellschaftlichen  Bildungen  ausgesonderte  Cultursysteme. 


c.    Das  Verhältniss  der  Geisteswissenschaften  zur  Philosophie. 

Bilden  die  Geisteswissenschaften,  wie  soeben  darzuthun  versucht 
wurde,  eine  den  Naturwissenschaften  coordinirte  und  sie  ergänzende 
Classe  von  Erfahrungswissenschaften,  der  insbesondere  auch  die 
Psychologie  als  ihre  allgemeinste  Disciplin  zugehört,  so  liegt  darin 
eigentlich  schon  ausgesprochen,  dass  das  Verhältniss  zur  Philosophie 
hier  kein  anderes  sein  werde  als  dort.  Keine  ^vissenschaftliche 
Philosophie  kann  dieser  Erfahrungsgebiete  entbehren :  sie  selbst  aber 
können  an  und  für  sich  ohne  alle  philosophische  Voraussetzungen 
an  ihre  speciellen  Aufgaben  herantreten,  und  je  mehr  sie  es  thun, 
um  so  erspriesslicher  wird  dies  im  allgemeinen  für  die  Untersuchung 
selbst  sein.  Aber  diese  Forderung  der  Freiheit  von  jeder  Art 
metaphysischer  Anticipationen ,  die  erst  möglich  geworden  ist,  seit 
sich  die  einzelnen  Gebiete  vollständig  von  der  Philosophie  getrennt 
haben ,  schliesst  doch  keineswegs  ein ,  dass  Erwägungen ,  die  den 
Boden  der  Erfahrung  und  der  direct  aus  Erfahrungen  abzuleitenden 
Folgerungen  verlassen,  und  die  also  ihrem  ganzen  Charakter  nach 
dem  Bereich  philosophischer  Untersuchung  angehören,  ein  für  alle- 
mal in  diesen  Wissenschaften  keine  Stelle  finden  dürfen.  Wer  dies 
verlangen  wollte,  der  müsste  in  der  That  aus  dem  Bestand  der 
positiven  Wissenschaften,  wie  sie  gegenwärtig  sind,  und  wie  sie 
nach  ihrer  definitiven  Trennung  von  der  Philosophie  sich  gestaltet 
haben,  wesentliche  Stücke  als  ungehörig  beseitigen ;  und  beim  Lichte 
besehen  würde  nach  der  Beseitigung  dieser  philosophischen  Bestand- 
theile  wenig  mehr  übrig  bleiben  als  ein  todter  empirischer  StofiF» 
an  dem  gerade  das,  was  vorzugsweise  den  Charakter  der  Wissen- 
schaft ausmacht,  am  meisten  zu  vermissen  wäre.  Denn  so  wichtig 
und   wünschenswerth    die   Erfüllung   der   Forderung   ist,    dass    man 


Verhältniss  der  Geisteswissenschaften  zur  Philosophie.  25 

ohne  philosophische  Vorurtheile  an  die  Bearbeitung  der  Erfah- 
rung herantrete,  so  sch'ädlich  und  vielleicht  auch  unmöglich  würde 
die  der  anderen  sein,  dass  man  auch  ohne  Philosophie  die  Arbeit 
abschliesse.  Vielmehr  lehrt  die  Geschichte  dies  als  einen  wichtigen 
Zug  in  der  Entwicklung  der  Erfahrungswissenschaften  kennen,  dass 
in  dem  Masse,  als  sie  dem  Einäuss  bestimmter  philosophischer 
Schulen  entzogen  werden;  nun  innerhalb  der  Einzelforschung  selbst 
eine  philosophische  Behandlung  der  Probleme  entsteht,  die  nur  des- 
halb verborgener  bleibt,  weil  sie  sich  zunächst  nicht  für  Philosophie, 
sondern  meist  für  ein  Ergebniss  rein  empirischer  Erwägungen  aus- 
gibt. Der  Unterschied  dieser  neuen,  den  Einzelwissenschaften  imma- 
nenten Philosophie  von  jener  alten,  die  ihnen  von  aussen  aufge- 
zwungen war,  besteht  daher  theils  in  ihrem  unsystematischen 
Charakter,  wie  nach  diesem  Ursprung  erklärlich  ist,  theils  darin, 
dass  sie  das  Ende,  nicht  den  Anfang  der  Untersuchung  zu  bilden 
pflegt.  Indem  sie  sich  so  als  das  Resultat  der  letzteren  darstellt, 
bereitet  sie  aber  eine  entsprechend  veränderte  Stellung  der  Philo- 
sophie vor.  Hat  diese  ihre  dereinstige  Aufgabe,  die  Wissenschaft 
überhaupt  in  sich  zu  vereinigen,  eingebüsst,  so  kann  sie,  will  sie 
nicht  auf  einem  verlorenen  Posten  zurückbleiben,  nichts  anderes 
thun,  als  nun  den  Einzelwissenschaften  wiederum  nachzufolgen,  sorg- 
fältig zu  sammeln,  was  diese  an  allgemeinen  Erkenntnissen  ge- 
wonnen haben,  das  Gesammelte  kritisch  zu  sichten,  von  den  zwischen 
den  einzelnen  Betrachtungsweisen  etwa  zurückbleibenden  Wider- 
sprüchen zu  reinigen  und  ihm  so  die  Eigenschaft  zu  verleihen,  die 
ihm  jene  den  Einzelgebieten  immanente  Philosophie  nicht  in  zu- 
reichender Weise  geben  kann :  die  endgültige  systematische  Ordnung. 
Da  wir  zu  jenem  philosophischen  Theil  der  Wissenschaft  alles  das 
rechnen  müssen,  was  einen  principiellen  und,  insofern  es  sich 
als  ein  directes  Ergebniss  der  Untersuchung  nicht  betrachten  lässt, 
zugleich  einen  hypothetischen  Charakter  an  sich  trägt,  so  ist 
an  diesen  beiden  Kriterien  ohne  Schwierigkeit  der  philosophische 
von  dem  positiven  Bestandtheil  der  Einzel  Wissenschaften  zu  sondern. 
In  der  That  haben  sich  jene  Kriterien  in  der  Logik  der  Natur- 
wissenschaften durchweg  bewährt,  indem  sich  hier  die  axiomati- 
schen  Hülfssätze  des  Causalprincips,  wie  das  Trägheits-,  das  Energie- 
princip  u.  a. ,  sowie  die  Voraussetzungen  über  die  Eigenschaften 
der  Materie  als  metaphysische  Annahmen  herausstellten,  die  sämmt- 
lich  principiell  und  hypothetisch  zugleich  sind,  wenn  auch  bei  den 
causalen  Axiomen   mehr  die   principielle ,   bei   den  Substanzbegriffen 


2ij  Allgemeine  Grundlagen  der  GeiBteflwisaenschafleii. 

mehr  die  hypothetische  Seite  herrortritt.     (Vgl.  Abschn.  III,  S.  427, 
447  ff.) 

Nun  wird  man  freilich  aa  die  Geisteswissenschaften  nicht  von 
vornherein  mit  der  Forderung  herantreten  dürfen,  dass  sieb  bei  ihnen 
alles  ähnlich  verbalten  müsse,  wie  auf  dem  in  so  mancher  Beziehung 
auf  andern  Erkenntnissbedingungen  beruhenden  Gebiet  der  NatiJr- 
forschung.  Doch  ist  das  eine  zweifellos,  daas  philosophische  Be- 
trachtungen nicht  nur  in  der  Geschichte  der  Geistes wissenacbaften 
eine  grosse  Rolle  gespielt  haben,  sondern  dass  sie  auch  heute  noch 
tiberall  in  ihnen  anzutreffen  sind.  In  der  That  ist  die  historische 
Bedeutung  der  Philosophie  hier  eine  so  ungeheure,  dass  sich  der 
Kampf  widerstreitender  Lehren  zumeist  durchaus  nicht  um  Fragen 
des  thatsächlichen  Verhaltens,  sondern  um  allgemeine,  durch  den 
philosophischen  Standpunkt  bestimmte  Anschauungen  dreht.  Zwar 
ist  gegenwärtig  auch  unter  den  Vertretern  der  einzelnen  Geistes- 
wissenschaften, und  am  meisten  vielleicht  unter  den  Historikern,  noch 
immer  die  Meinung  anzutreffen,  dieses  philosophische  Stadium  sei 
gänzlich  Überwunden  und  durch  eine  positiv  gewordene  Wissenschaft 
abgelöst  worden.  Aber  wer  sich  vergegenwärtigt,  was  im  Grunde 
heute  noch  der  Inhalt  aller  Erörterungen  über  das  Wesen  von 
Recht,  Staat,  Wirthschaft  und  Gesellschaft  sei  —  Fragen,  deren 
sich  auch  die  einzelnen  Gesellschaflswissenschaflen  nicht  völlig  ent- 
schlagen können  — ,  der  wird  in  solchen  Debatten  den  nie  erlöschen- 
den Streit  zum  Theil  uralter  phil.isophiseiier  Gegensätze  nicht  ver- 
kennen, wobei  nur  diese  neue  Fonuen  annehmen,  weil  sie  sich  jeweds 
der  Waffen  bedienen,  die  ihnen  dus  Wissen  der  Zeit  zur  VerfQgung 
stellt.  Und  auch  in  der  Geschichtswissenschaft  darf  man  sich  da- 
durch, dass  gewisse  Systeme  der  Geüchichtsphilosophie,  die  sich  aus- 
drücklich diesen  Namen  beileglin.  als  überwunden  gelten,  nicht 
darüber  hinwegtäuschen  lassen,  (hiss  es  schliesslich  Unterschiede  der 
philosophischen  Geschichtsauffaesniif;  sind,  die  heute  noch  die  Haupt- 
richtungen der  historischen  Forsi  iuiug  bestimmen.  So  scheint  denn 
hier  Oberhaupt  der  eigenthümliclü^  Unterschied  der  Geistes-  von  den 
Naturwissenschaften  wesentlich  iliirin  zu  liegen.  das,s  sich  in  den 
letzteren  bereits  bestimmte  phil'i-Hphische  Principini  und  Voraus- 
setzungen zu  allgemeiner  Geltuiig  liurchgerungen  haliLu,  während 
in  den  ersteren  noch  verschiedim-  Weltanschauung-'u  ■"■'* 
streiten.  Da  in  dieser  Beziehung  d'-  ''■—•^—A  i. 
Schäften   von  heute   einigermass^^ii  i 

im  Zeitalter  ihrer  Erneuerung  erin 


Verhältnias  der  Geisteswissenschaften  zur  Philosophie.  27 

annehmen,  dass  es  bloss  ein  unterschied  verschiedener  Entwicklungs- 
stadien sei,  der  uns  hier  entgegentritt. 

Kann  es  nun  auch  erst  an  einer  spateren  Stelle  unsere  Auf- 
gabe sein,  die  philosophischen  Begriffsbildungen,  die  in  jedem  der 
Hauptgebiete  der  Geisteswissenschaften  hervorgetreten  sind,  und  dabei 
zugleich  den  Zusammenhang  der  einzelnen  Theorien  mit  den  psycho- 
logischen Grundanschauungen  über  das  geistige  Leben  und  mit  be- 
stimmten metaphysischen  Doctrinen  der  Philosophie  nachzuweisen,  so 
ist  doch  auf  eine  Art  philosophischer  Voraussetzungen  schon  hier 
einzugehen:  auf  gewisse  leitende  Maximen  nämlich,  die  auch  in  den 
Geisteswissenschaften  überall  den  speciellen  Problemen  entgegen- 
gebracht werden,  und  die  schon  deshalb  dem  Arsenal  philosophischer 
Betrachtung  entnommen  sein  müssen,  weil  sie  jeder  Analyse  des 
Einzelnen  vorausgehen  und  demnach  die  Entwicklung  der  positiven 
Wissenschaften  von  ihrem  Ursprung  aus  der  Philosophie  her  begleitet 
haben.  Obgleich  also  vorwissenschaftlichen  Ursprungs,  können  doch 
diese  heuristischen  Principien,  wie  wir  sie  in  Analogie  mit 
den  leitenden  Maximen  der  Naturforschung  (Abschn.  in,  S.  272) 
nennen  wollen,  niemals  entbehrt  werden;  und  wenn  auch  jedes 
einzelne  dieser  Principien  in  seiner  einseitigen  Ausprägung  zu  einer 
umfassenden  Würdigung  der  geistigen  Vorgänge  und  Erzeugnisse 
unzureichend  ist,  so  bilden  sie  in  ihrer  Verbindung  doch  ein  unent- 
behrliches Werkzeug  der  Reflexion  über  die  Erscheinungen,  welches 
fortan  den  wichtigen  Dienst  leistet,  dass  es  die  Untersuchung  der 
Probleme  in  Fluss  bringt. 


2.  Heuristische  Principien  der  Geisteswissenschaften. 

a.   Das  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung. 

Von  den  früher  betrachteten  analogen  Grundsätzen  der  Natur- 
forschung unterscheiden   sich   die   leitenden  Principien   der   Geistes- 
wissenschaften wesentlich  dadurch,   dass  jedem   derselben   innerhalb 
gewisser  Grenzen  eine  unbestreitbare  Geltung  zukommt.    Ein  Kampf, 
wie  er  dort  um  Sein  oder  Nichtsein  gewisser  Voraussetzungen  geführt 
*^V|e,  ist  darum  hier  von  Anfang  an  unmöglich  gewesen.    Dass  wir 
'^  selbst  Andere  und  ihre  Handlungen  beurtheilen,   dass  die 
■%  der  geistigen  Welt  nicht  bloss  Handlungen  Einzelner,  son- 
"^W|^o^K^  mindestens  zum  Theil  Erzeugnisse  der  geistigen 


28  Allgemeine  Grandlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Umgebung  sind,  in  der  sie  entstehen,  endlich  dass  die  Einzelnen  wie 
die  Gemeinschaften  von  der  Natur  und  den  besonderen  Naturbedin- 
gungen, die  auf  sie  einwirken,  bestimmt  werden,  —  diese  Sätze  haben 
sich  zu  jeder  Zeit  einer  so  allgemeinen  Zustimmung  erfreut,  dass  sie 
beinahe  für  selbstverständliche  Wahrheiten  gelten  könnten.  Augen- 
scheinlich steht  diese  Evidenz  im  engsten  Zusammenhang  mit  dem 
Charakter  unmittelbarer  Thatsächlichkeit,  der  der  psychologischen  im 
Unterschiede  von  der  Naturerkenntniss  zukommt.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  436.) 
Alle  jene  heuristischen  Principien  der  Geisteswissenschaften  sind  eben 
im  Grunde  psychologische  Maximen,  da  sie  jeder  psychologischen 
Beurtheilung,  insbesondere  schon  der  des  praktischen  Lebens  zu 
Grunde  liegen.  Nichtsdestoweniger  fehlt  es  auch  hier  nicht  an  einem 
Streit  der  Anschauungen.  Dieser  bezieht  sich  aber  nicht  auf  die 
Geltung  irgend  eines  jener  Principien,  sondern  auf  den  relativen 
Geltungsbereich  derselben.  In  der  Frage  nach  dem  Gewicht,  das 
jedem  Princip  im  Verhältniss  zu  den  andern  zukomme,  besteht  in  der 
That  ein  so  grosser  Zwiespalt  der  Meinungen,  dass  Einflüsse,  die  den 
Einen  als  die  ausschliesslich  massgebenden  erscheinen,  von  Andern 
als  verschwindende  Grössen  angesehen  werden;  und  dieser  Streit,  weit 
entfernt  ausgeglichen  zu  sein,  scheint  heute  auf  allen  Gebieten  der 
Geisteswissenschaften  lebhafter  zu  sein  als  jemals,  vielleicht  vornehm- 
lich deshalb,  weil  man  sich  allmählich  der  streitigen  Punkte  selbst 
deutlicher  bewusst  geworden  ist.  Dies  zeigt  sich  schon  bei  dem 
ersten  der  hier  in  Frage  kommenden  Principien,  das  trotz  seiner 
Selbstverständlichkeit  hinsichtlich  der  Art  und  des  Grades  seiner 
Anwendung  vielleicht  am  meisten  verschiedener  Deutung  fähig  ist: 
bei  dem  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung. 

Wo  immer  wir  Erscheinungen  ausser  uns  wahrnehmen,  die  wir 
mit  geistigen  Vorgängen,  welche  den  in  uns  erlebten  ähnlich  sind, 
in  Verbindung  bringen,  da  ist  an  und  für  sich  das  eigene  innere 
Erlebniss  der  nächste  Massstab  der  Beurtheilung.  Die  ursprüngliche 
Unterscheidung  des  Geistigen  ist  stets  ein  mehr  instinctiv  als  plan- 
mässig  geübtes  Verfahren,  das  nach  dem  Gesammteindruck,  nicht 
nach  klar  erfassten  einzelnen  Merkmalen  urtheilt,  und  das  daher  in 
der  mannigfaltigsten  Weise  fehlgreifen  kann,  indem  es  die  Grenzen 
bald  zu  weit  bald  zu  eng  zieht.  Schon  für  den  ersten  rohen  Ge- 
sammteindruck ist  aber  das  eigene  innere  Erlebniss  massgebend. 
Wo  sich  auch  nur  theil weise  die  objective  Erfahrung  mit  diesem 
zu  decken  scheint,  da  ist  der  Mensch  sofort  bereit,  sie  der  ihm  ge- 


Princip  der  subjectiven  Beurtheilang.  29 

läufigsten  aller  Erfahrungen,  der  subjectiven,  einzuordnen.  Darum 
ist  von  jenen  beiden  Fehlern  der  Grenzbestimmung  der  erste,  die 
Erweiterung  des  Psychischen  über  alle  erlaubten  Grenzen  hinaus, 
der  nächstliegende.  Das  mythologische  Denken  umspannt  auf  diese 
Weise  die  Gesammtheit  des  äusseren  Geschehens  mit  einem  Netz 
geistig  wirkender  Kräfte.  Um  so  mehr  ist  dann  eine  fortschreitende 
wissenschaftliche  Reflexion  geneigt,  in  den  entgegengesetzten  Fehler 
zu  verfallen :  sie  verlangt  ein  Mass  intellectueller  Leistungen,  wie  es 
erst  auf  einer  •höheren  Stufe  geistiger  Entwicklung  anzutreflPen  ist. 
Zwischen  diesen  Extremen  die  richtige  Mitte  zu  finden,  wird  endlich 
die  Aufgabe  einer  besonneneren  empirischen  Forschung,  —  eine  um  so 
schwierigere  Aufgabe,  da  sie  verlangt,  nicht  nur  nach  eigenen  psycho- 
logischen Erfahrungen  die  Dinge  zu  beurtheilen,  sondern  auch  wo 
nöihig  von  dem  eigenen  Erlebniss  alles  das  in  Abzug  zu  bringen, 
was  mit  dem  objectiven  Eindruck  nicht  übereinstimmt. 

Auf  diese  Weise  geht  aus  jener  naiv  und  instinctiv  nach  sub- 
jectiven Motiven  erfolgenden  Auffassung  der  geistigen  Erscheinungen 
allmählich  das  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  als  ein  be- 
wusstes  und  planmässig  geübtes  Hineinversetzen  des 
Subjectes  in  die  Objecte  hervor.  Schon  die  psychologische 
Selbstbeobachtung  wendet  dieses  Princip  in  gewissem  Masse  auf  das 
Subject  selbst  an,  indem  es  dieses  in  einer  der  Vergangenheit  an- 
gehörenden und  insofern  objectiv  gewordenen  Lebenslage  wie  ein 
Object  behandelt.  Denn  auch  für  die  gewöhnliche,  objectiver  Hülfs- 
mittel  entbehrende  psychologische  Selbstbeobachtung  bildet  niemals 
die  unmittelbare  Gegenwart,  sondern  irgend  ein  sei  es  soeben,  sei 
es  vor  längerer  Zeit  verflossenes  Erlebniss  den  Gegenstand  der  Be- 
trachtung, da  es  völlig  unmöglich  ist,  naiv,  ohne  Störung  durch  die 
Absicht  der  Beobachtung,  etwas  in  uns  zu  erleben  und  zugleich  das 
Erlebte  zu  beobachten.  In  das  frühere  Erlebniss  muss  sich  also  der 
Beobachtende  zurückversetzen,  und  er  muss  dasselbe  auf  Grund  dessen, 
was  ihm  die  unmittelbare  subjective  Wahrnehmung  darbietet ,  be- 
urtheilen. Die  Psychologie  erweitert  dann  ihren  Beobachtungskreis, 
indem  sie  das  nämliche  Verfahren  auf  andere  Menschen  oder  über- 
haupt auf  andere  geistige  Wesen  überträgt.  Die  übrigen  Geistes- 
wissenschaften aber  bedienen  sich  desselben  successiv  in  drei  Formen. 
Zunächst  beurtheilen  sie  nach  ihm,  der  zuletzt  erwähnten  objectiven 
psychologischen  Beobachtung  folgend,  handelnde  Persönlich- 
keiten mit  Rücksicht  auf  die  von  ihnen  ausgehenden  geschicht- 
lichen und  gesellschaftlichen  Wirkungen.    Sodann  betrachten  sie  nach 


30  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

seiner  Anleitung  collective  Ereignisse,  die  an  und  für  sich 
auf  eine  Mehrheit  betheiligter  Personen  zurückweisen,  und  aus  denen 
es  gilt,  die  individuellen  Einflüsse  auszusondern  und  in  ihren  ursach- 
lichen Beziehungen  zu;  dem  Gesammtereigniss  zu  begreifen.  End- 
lich unterliegen  dem  nämlichen  Princip  geistige  Erzeugnisse 
rgend  welcher  Art,  wie  literarische  Schöpfungen,  Kunstwerke,  histo- 
rische Denkmäler  u.  s.  w. ,  mögen  sie  nun  sonst  geschichtlich  be- 
kannte Persönlichkeiten  zu  ihren  Urhebern  haben  oder  nicht:  in 
beiden  Fällen  beruht  das  Verständniss  auf  einer  sufojectiven  Beur- 
theilung,  wobei  nur  diese  im  ersten  Fall  sich  noch  auf  Thatsachen 
stützen  kann,  die  ausserhalb  der  untersuchten  Erzeugnisse  stehen, 
während  sie  sich  im  zweiten  ganz  und  gar  durch  diese  selbst  muss 
leiten  lassen.  Die  Probleme  dieser  Art,  wo  der  psychologische 
Charakter  eines  geistigen  Schöpfers  selbst  erst  aus  seiner  Schöpfung 
construirt  werden  muss,  sind  begreiflicher  Weise  die  schwierigsten, 
wie  die  bekannten  Streitfragen,  welche  sonst  geschichtlich  bekannten 
Pelrsonen  die  Urheber  bestimmter  Erzeugnisse  seien,  oder  ob  man 
gewisse  Schöpfungen  auf  eine  einzige  Persönlichkeit  oder  auf  eine 
Mehrheit  solcher  zurückführen  solle,  beweisen. 

So  unentbehrlich  das  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  ist, 
so  augenfällig  ist  es  hiernach,  dass  dasselbe  durch  die  Art  und  den 
Umfang  seiner  Anwendung  theils  zu  Fehlem  theils  mindestens  zu 
einseitiger  Auffassung  der  Dinge  verfahren  kann.  Gerade  um  es 
in  fruchtbringender  Weise  anwenden  zu  können,  muss  man  sich 
daher  diese  Fehler  und  ihre  psychologischen  Quellen  gegenwärtig 
halten.  Solcher  Quellen  sind  aber  vornehmlich  zwei  zu  unter- 
scheiden, die  aus  der  eigenthümlichen  Bethätigungsweise  des  Princips 
selbst  entspringen.  Die  eine  besteht  in  der  Uebertragung  der  bei 
der  subjectiven  Beurtheilung  stattfindenden  Geistesthätigkeit  auf  die 
zu  beurtheilenden  Erscheinungen:  so  entsteht  die  Neigung  zu  einer 
einseitig  intellectualisti sehen  Erklärung  und  Motivirung  der 
geistigen  Vorgänge  und  Handlungen.  Die  zweite  besteht  in  der 
Uebertragung  der  individuellen  Eigenschaften  des  Beurtheilenden  auf 
das  beurtheilte  Object:  hieraus  entspringt  die  Neigung  objectiv  ge- 
gebene geistige  Vorgänge  und  Erzeugnisse  durchgehends  auf  be- 
stimmte Einzelpersönlichkeiten  zurückzuführen,  also  die  Tendenz  zu 
einer  einseitig  individualistischen  Auffassung  der  Dinge,  sowie 
ausserdem  die  Nichtbeachtung  der  mit  den  geschichtlichen  Bedingungen 
wechselnden  Eigenschaften  der  Menschen  oder  die  ungeschichtliche 
Beurtheilung  der  Zeiten  und  Individuen. 


Princip  der  Bubjectiven  Beurtheilung.  31 

Von  den  genannten  drei  Fehlem  ist  der  erste,  der  einseitige 
Intellectualismus,  vielleicht  der  yerbreitetate.  So  bemüht  sich 
überall  die  rationalistische  Erklärung  der  wichtigsten  Erscheinungen 
des  geistigen  Lebens,  der  Sittlichkeit,  des  Rechtes,  der  Religion, 
diese  ausschliesslich  als  die  Erzeugnisse  von  Zweckmässigkeitserw'ä- 
gungen  begreiflich  zu  machen.  Wenn  ferner  Boeckh  „die  Erkennt- 
niss  des  Erkannten **  als  die  Aufgabe  der  Philologie  bezeichnet,  so 
zeigt  dies  nicht  minder,  dass  nicht  bloss  fdr  das  Yerständniss  der 
geistigen  Erzeugnisse,  sondern  auch  fllr  diese  selber  der  Erkenn tniss- 
werth  Ton  ihm  als  der  massgebende  angesehen  wird'*').  Wie  oft 
endlich  im  einzelnen  namentlich  bei  der  Interpretation  historischer 
Ereignisse  als  Product  planmassiger  Absicht  betrachtet  werden  mag 
was  mindestens  nur  theilweise  aus  logischer  Reflexion,  zumeist  aber 
aus  sehr  zusammengesetzten,  die  mannigfachsten  Gefühlselemente  in 
sich  schliessenden  Motiven  hervorging,  oder  wie  oft  ein  wirklich 
vorhandener  Wille  in  Folge  des  Hinzutritts  secundärer  Motive  statt 
des  erstrebten  Ziels  ein  völlig  anderes  erreichte,  aus  dem  nun  auf 
ursprünglich  gar  nicht  vorhandene  Zweckvorstellungen  zurück- 
geschlossen wird  —  alles  das  entzieht  sich  wohl  in  den  meisten 
Fällen  unserer  den  Ereignissen  nachfolgenden  Deutung  derselben  **). 
So  anerkannt  häufig  solche  Fehler  sind,  so  wird  aber  dabei  meist 
nicht  beachtet,  dass  es  gerade  der  zur  Unbefangenheit  des  Urtheils 
erforderliche  Zustand  des  ürtheilenden  selbst  ist,  der  sie  herbei- 
ftihren  hilft.  Je  kühler  abwägend  dieser  den  Ereignissen  gegenüber- 
steht,  um   so   leichter  ist   er   geneigt,    den   gleichen   Zustand   rein 


*)  A.  B  ö  c  k  h ,  Encyklopädie  und  Methodologie  der  philologischen  Wissen- 
schaften, herausgegeben  von  E.  Bratuscheck.    Leipzig  1877,  S.  52. 

**)  Sehr  anschaulich,  wenn  auch  nicht  frei  von  dem  ihm  eigenen  Mysti- 
cismus  und  Fatalismus,  hat  Leo  Tolstoj  diese  nachträgliche  ümdeutung  der 
Erfolge  in  Zwecke  in  seinem  grossen  geschichtsphilosophischen  Roman  «Krieg 
nnd  Frieden'  geschildert.  Er  zeigt,  wie  alle  die  Ereignisse  des  Jahres  1812 
bis  znm  Brande  von  Moskau  mit  innerer  Nothwendigkeit  kommen  konnten,  ohne 
da«  bei  der  Vorbereitung  der  Ereignisse  bei  irgend  einem  der  Handelnden  jene 
planmässige  Absicht,  die  man  ihnen  zuschrieb,  bestanden  hätte.  , Während  der 
ganzen  Zeit  des  Krieges  hatten  die  Russen  nicht  im  geringsten  den  Wunsch 
gehabt,  die  Franzosen  in  die  Tiefen  Russlands  zu  locken,  sondern  alles  dafQr 
gethan,  sie  bei  ihrem  ersten  Einfall  in  Russland  aufzuhalten.  .  .  .  Die  Russen 
beschuldigten  die  Franzosen,  die  Franzosen  die  Russen,  Moskau  absichtlich  ver- 
bnumt  zu  haben;  Moskau  aber  verbrannte,  weil  es,  verlassen  von  seinen  Ein- 
wohnern, occupirt  von  unvorsichtig  mit  dem  Feuer  umgehenden  Soldaten,  in 
einer  Lage  war,  in  der  jede  hölzerne  Stadt  verbrennen  musste'  u.  s.  w. 


32  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

intellectueller  Erwägung  in  den  betheiligten  Personen  vorauszusetzen 
und  so  aus  erschlossenen  Zwecken  und  Absichten  abzuleiten,  was 
entweder  ohne  solche  oder  aus  völlig  abweichenden  Bestimmungs- 
grUnden  entsprungen  ist. 

Der  zweite  Fehler,  die  individualistische  Auffassung,  ist  an 
die  subjective  Beurtheilung  so  innig  gebunden,  dass  er,  da  diese 
immer  zunächst  gefordert  wird,  von  Anfang  an  der  Betrachtung 
objectiver  geistiger  Vorgänge  und  Erzeugnisse  anhaftet.  Einer  naiven 
Reflexion  erscheinen  die  Zustände  und  Schicksale  der  Völker  als 
unmittelbare  Erfolge  der  Handlungen  einzelner  hervorragender 
Menschen,  und  diese  Betrachtung  fühlt  sich  wieder  um  so  befriedigter, 
je  mehr  sie  es  vermag,  eine  zusammenhängende  Reihe  von  Begeben- 
heiten oder  von  geistigen  Erzeugnissen  auf  eine  einzige  schöpferische 
Persönlichkeit  zurückzuführen.  Der  Trieb  zu  dieser  Individualisirung 
des  gesammten  geistigen  Lebens  reicht  aber  noch  weit  in  eine  fort- 
geschrittene Reflexion  hinein.  Die  Ereignisse  erscheinen  dem  Be- 
obachter klarer,  in  sich  zusammenhängender,  wenn  er  das  was  sich 
objectiv  als  ein  Ganzes  von  Gründen  und  Folgen  darstellt  auch 
subjectiv  auf  die  unmittelbare  Einheit  der  Motive  und  Zwecke  eines 
individuellen  Willens  zurückführen  kann.  Indem  die  Hineinversetzung 
in  •  einen  geistigen  Zusammenhang  eine  Verbindung  im  Bewusstsein 
des  Urtheilenden  fordert,  strebt  dieser  naturgemäss  die  auf  solche 
Weise  in  ihm  zur  persönlichen  Einheit  verknüpften  Motive  des  Ge- 
schehens auch  wieder  zu  objectiviren.  Darum  gehört  die  Ein- 
schränkung dieser  Individualisirung  des  historischen  Geschehens  und 
der  geschichtlich  gewordenen  Erzeugnisse  in  die  ihr  gebührenden 
Grenzen  zu  den  schwierigsten ,  die  grösste  Selbstüberwindung  ein- 
gewurzelter psychologischer  Neigungen  fordernden  Aufgaben  der 
Forschung. 

Aber  das  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  treibt  nicht 
bloss  dazu  an,  jedes  objective  geistige  Geschehen  überhaupt  zu 
subjeetiviren  und  zu  individualisiren,  sondern  der  natürlichen  Neigung 
des  Beobachters  entspricht  es  auch,  seine  eigene  individuelle  Persön- 
lichkeit, wie  sie  durch  die  besonderen  Zeit-  und  Culturbedingungen 
in  denen  er  lebt  bestimmt  ist,  in  seine  Objecte  hineinzudenken. 
Das  Thun  und  Denken,  das  Fühlen  und  Wollen  von  Menschen,  die 
einer  entfernten  Zeit  oder  auch  nur  einem  uns  fremden  Lebenskreise 
angehören,  ist  eine  zwar  in  gewissen  allgemein  menschlichen  Be- 
dingungen mit  der  unseren  übereinstimmende  und  darum  unserer 
Beurtheilung  zugängliche  Welt,  in  die  sich  hineinzudenken  aber  eine 


Princip  der  subjectiven  Beurtheilung.  33 

Selbstentäusserung  fordert,  die  Wenigen  nur  annähernd,  vollkommen 
sicherlich  Keinem  gelingen  wird.  Nur  die  anhaltende  Beschäfti- 
gung mit  den  geistigen  Erzeugnissen  einer  solchen  fremden  Welt 
kann  jenem  Ziel  einiger massen  nahebringen,  dessen  Erreichung 
überdies  noch  durch  äussere  Hindemisse,  wie  mangelhafte  üeber- 
lieferung  der  Zeugnisse,  ünkenntniss  gewisser  äusserer  und  innerer 
Culturfactoren .  die  als  selbstverständliche  Bestandtheile  des  Lebens 
durch  keine  Tradition  aufbewahrt  bleiben  oder  nur  aus  zufallig 
erhaltenen  Zügen  errathen  werden  müssen,  erschwert  wird.  Wenn 
trotzdem  die  Lösimg  dieser  Aufgabe  selbst  bei  einer  nur  lücken- 
haften Eenntniss  der  Thatsachen  manchmal  in  verhältnissmässig 
vollkommener  Weise  gelingen  mag,  so  verdanken  wir  das  wesentlich 
dem  glücklichen  umstände,  dass  jede  der  mannigfachen  Abweichungen 
des  menschlichen  Charakters  eine  durch  den  psychologischen  Zu- 
sammenhang des  Seelenlebens  bedingte  innere  Einheit  besitzt,  aus 
der  sich  auch  dem  subjectiven  Beurtheiler,  wenn  er  nur  erst  einzelne 
ZQge  der  fremden  Individualität  richtig  erfasst  hat,  die  übrigen 
Eigenschaften  von  selbst  ergeben. 

Die  Einseitigkeiten  und  Mängel,  denen  das  Princip  der  sub- 
jectiven Beurtheilung  durch  die  Hereintragung  der  eigenen,  durch 
besondere  Zeit-  und  Culturbedingungen  bestimmten  Persönlichkeit  in 
die  Individuen,  Ereignisse  und  Schöpfungen  einer  andern  Cultur  unter- 
worfen ist,  bringen  jene  Fehler  des  Urtheils  hervor,  die  man  speciell 
im  ßebiet  der  Geschichte  als  die  der  unhistorischen  Auffassung 
bezeichnet.  Unhistorisch  ist  jedes  ürtheil,  das  an  eine  gegebene 
Zeit  den  Massstab  einer  andern  anlegt.  Die  hierbei  zum  allgemeinen 
Massstabe  dienende  Zeit  ist  aber  in  der  Regel  die  eigene,  weil  sie 
es  ist,  die  nach  dem  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  jede 
historische  Auffassung  nothwendig  in  gewissem  Grad  bestimmen 
muss.  Doch  ist  es  nicht  allein  die  Geschichte,  die  diesem  Mangel 
unterUegt:  der  Ethnologe,  der  Nationalökonom,  der  Jurist  und  der 
Aesthetiker,  welche  die  Culturen,  Wirthschafts-  und  Rechtsformen 
oder  künstlerischen  Leistungen  anderer  Völker  untersuchen,  können 
mehr  oder  minder  dem  nämlichen  Fehler  anheimfallen,  wenn  ihnen 
auch  in  der  Regel  die  Entschuldigung  einer  lückenhaften  Beschaffen- 
heit der  Zeugnisse  nicht  in  gleichem  Grad  zur  Verfügung  steht. 
Der  Fehler  des  ünhistorischen  ist  also  nur  ein  Specialfall  des  all- 
gemeineren Fehlers  mangelhafter  Objectivität.  Dieser  weist 
aber  in  noch  höherem  Grade  als  die  andern  dem  Princip  der  sub- 
jectiven Beurtheilung  anhaftenden  Mängel  eines  einseitigen  Intellec- 

Wnndt,  Logik.   11,  >.    ».Aufl.  3 


34  Allgemeine  Grandlagen  der  Geisteswissenschaften. 

tualismus  und  Individualismus  darauf  hin,  dass  dieses  Princip  über- 
haupt andere  es  ergänzende  Maximen  voraussetzt.  In  der  That 
schliesst  die  zuletzt  erhobene  Forderung  der  objectiven,  nament- 
lich die  geschichtlichen  Thatsachen  im  Lichte  ihrer  eigenen  Zeit  und 
Cultur  erfassenden  Betrachtung  schon  vollständig  das  folgende  Princip 
in  sich. 


b.   Das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Umgebung. 

Dieses  Princip  steht  anscheinend  in  einem  Gegensatz  zu  dem 
vorangegangenen.  Verlangte  jenes  ein  Hineinversetzen  des  urtheilen- 
den  Subjects  in  eine  andere  handelnde  Persönlichkeit  und  eine  auf 
Orund  dieser  üebertragung  sich  vollziehende  Ableitung  der  Ereig- 
nisse und  Erzeugnisse  aus  individuellen,  in  ihrem  geistigen  Wesen 
dem  Beurtheiler  ähnlichen  Persönlichkeiten,  so  fordert  dieses,  bei  den 
Einzelnen  und  ihren  Schöpfungen  solle  vor  allen  Dingen  nach  dem 
geistigen  Medium  gefragt  werden,  das  sie  umgibt,  um  so  viel  als 
möglich  aus  den  Einflüssen  dieses  Mediums  alles  Geschehen,  die 
Handlungen  der  Einzelnen  wie  der  Gemeinschaften  verstehen  zu 
lernen.  Aber  dieser  Gegensatz  ist  doch  nur  ein  scheinbarer.  Da 
die  geistige  Umgebung  selbst  immer  wieder  aus  Einzelnen  und  ihren 
Erzeugnissen  besteht,  bei  deren  Auffassung  wir  kein  anderes  Hülfs- 
mittel  als  das  der  subjectiven  Beurtheilung  besitzen,  so  bedeutet 
dieses  neue  Princip  eigentlich  nur  eine  Verlegung  der  AngriflBspunkte 
jenes  ersten.  Und  da  zu  dem  geistigen  Medium  eines  Zeitalters, 
Volkskreises  oder  eines  Erzeugnisses  schliesslich  Jeder  gehört,  der 
an  ihm  Theil  nimmt  und  jedenfalls  nicht  zum  wenigsten  der,  der 
etwa  die  in  Frage  stehende  That  selbst  vollbracht  hat,  so  handelt 
es  sich  schliesslich  in  diesem  Fall  nur  um  eine  Erweiterung  des 
Princips  der  subjectiven  Beurtheilung,  durch  die  wir  angewiesen 
werden,  es  sei  dasselbe  nicht  bloss  auf  einzelne  wenige,  sondern  so 
viel  als  möglich  auf  alle  geistigen  Factoren  anzuwenden,  die  zum 
Verständniss  bestimmter  Thatsachen  der  geistigen  Welt  dienen  können. 
Besonders  augenfällig  ist  dieses  Verhältniss  im  Gebiet  der  geschicht- 
lichen Betrachtungen.  Hier  findet  die  individualistische  Tendenz, 
zu  der  die  einseitige  Anwendung  des  Princips  der  subjectiven  Be- 
urtheilung anregt,  ihre  vollkommenste  Befriedigung  in  der  indivi- 
duellsten Form  der  Geschichte,  in  der  Biographie.  Sie  wird  daher 
mit  Vorliebe  von  solchen  Historikern  gepflegt,  die  auf  die  herrschende 
Bolle  der  Individuen  in  der  Geschichte  einen  entscheidenden  Werth 


Princip  der  Abhängigkeit  von  der  gdstigen  Umgebung.  35 

legen.  Nichts  desto  weniger  gehört  es  zu  den  regelmässigen  Eigene 
Schäften  aller,  und  zumeist  auch  derjenigen  Biographen,  denen  in 
Folge  jener  historischen  üeberzeugung  die  Biographie  im  Ghninde 
genonunen  als  die  vollendetste  Form  der  Geschichte  gilt,  dass  sie 
auf  das  geistige  Medium  einen  hohen,  in  manchen  Fällen  vielleicht 
einen  übertriebenen  Werth  legen*).  Diese  Eigenschaft  des  Bio- 
graphen ist  offenbar  gerade  an  die  Beschäftigung  mit  der  Einzel* 
Persönlichkeit  auf  das  engste  geknüpft.  Jeder  Versuch,  sich  ihre 
Entwicklung. zu  vergegenwärtigen,  muss  hier  noth wendig  zu  einem 
wesentlichen  Theile  in  der  Erinnerung  an  die  Bedingungen  bestehen, 
unter  denen  diese  Entwicklung  erfolgte.  Je  mehr  man  sich  selbst 
in  die  fremde  Persönlichkeit  hineinversetzt,  um  so  mehr  muss  ja 
hier  deren  Leben  als  ein  unter  steter  Wechselwirkung  mit  äusseren 
Kraften  ablaufender  Process  erscheinen.  So  kommt  es,  dass  die 
dem  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  entspringende  Einseitigkeit 
gerade  da,  wo  diese  das  ihrer  eigenen  Neigung  adäquateste  Object, 
die  Einzelpersönlichkeit  wählt,  nothgedrungen  in  diesem  Gegenstand 
ihrer  Studien  selbst  eine  Correctur  findet. 

Indem  das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Um- 
gebung zu  einer  Ausdehnung  der  subjectiven  Beurtheilung  über  zahl- 
reiche in  geistiger  Wechselwirkung  stehende  Individuen  führt,  er- 
geben sich  nun  aber  zugleich  vielfach  geistige  Einflüsse,  die  überhaupt 
nicht  mehr  individueller  Art  sind  oder  sich  wenigstens  nicht  auf 
bestimmte  einzelne  Persönlichkeiten  zurückführen  lassen.  Sprache, 
Sitte,  Qlaube  bilden  um  jeden  Menschen  eine  geistige  Atmosphäre, 
ohne  die  er  in  der  ihm  eigenen  geistigen  Individualität  nicht  existiren 
würde,  und  die,  so  sehr  sie  sich  einer  genaueren  quantitativen  Ab- 
schätzung ihrer  Bedeutung  entzieht,  doch  wahrscheinlich  das  Ganze 
seines  Charakters  in  höherem  Masse  als  irgend  einer  der  speciellen 
Einflüsse  bestimmt.  Zu  ihnen  treten  dann  aber  noch  mannigfache 
Bedingungen  hinzu,  die  zwar  schliesslich  an  sich  individueller  Art 
sind,  deren  individueller  Ursprung  aber  nirgends  mehr  aufgefunden 


*)  Ich  erinnere»  um  nur  wenige  Beispiele  zu  nennen,  an  Max  Lehmanns 
Biographie  Schamhorsts  mit  ihi'er  eingehenden  Schilderung  der  kriegerischen 
Einflüsse,  die  den  Helden  «fast  von  der  Wiege  an"  umgaben  (Bd.  I,  S.  6),  und 
an  R.  Hayms  »Hegel  und  seine  Zeit",  in  welchem  Werk  die  scholastische  und 
zugleich  streng  architektonische  Darstellungsform  der  HegeFschen  Logik  auf 
den  damaligen  Beruf  des  Philosophen  als  Gymnasiallehrer  und  auf  sein  Leben 
in  Nürnberg,  einer  Stadt,  .wo  er  von  Bau-  und  Skulptui-werken  deutscher  Kunst 
umgeben  war',  zurückgeführt  wird  (S.  290  und  301). 


36  Allgemeine  Grandlagen  der  Geisteswiflsenschaften. 

werden  kann,  so  dass  sie  als  besondere,  für  jede  einzelne  Persön- 
lichkeit wechselndere  Bestandtheile  jenem  geistigen  Medium,  das  den 
Einzelnen  umgibt,  ebenfalls  zugehören.  Indem  nun  die  rein  indivi- 
duellen Eigenschaften  den  einer  öesammtheit  mehr  oder  minder  ge- 
meinsamen gegenüber  als  ein  Wechselndes  und  Zufalliges  erscheinen, 
führt  das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Umgebung 
zu  dem  Streben,  dieses  Medium  einer  bestinmiten  Zeit  und  Gultur 
als  den  über  allen  Einzelnen  stehenden  geistigen  Gesammtcharakter 
einer  Gesammtheit  nach  seinen  wesentlichsten  Eigenthümlichkeiten 
zu  untersuchen  und  andern  ähnlichen  Gesammterscheinungen  gegen- 
über wissenschaftUch  zu  definiren.  Eine  solche  in  dem  Begriff  des 
geistigen  Mediums  wurzelnde  Betrachtungsweise  kann  dann  wieder 
bald  den  Charakter  eines  bestimmten  Zeitalters  bald  den  eines  be- 
stimmten Bevölkerungskreises  herausgreifen,  oder  sie  kann  wohl 
auch  die  hauptsächlichsten  geistigen  Erzeugnisse  der  einzelnen  Zeit- 
alter und  Gulturkreise,  wie  Sprache,  Sitte,  Literatur,  Kunst,  zu  ihren 
Gegenständen  nehmen.  Dabei  wird  dann  aber  selbstverständlich  bei 
solchen  Gebieten,  in  denen,  wie  in  Literatur  und  Kunst,  die  be- 
sondere Wirksamkeit  individueller  Persönlichkeiten  eine  wichtige  Rolle 
spielt,  eine  Rücksichtnahme  auf  die  Verbindungen  und  Wechsel- 
wirkungen beider  Einflüsse,  des  allgemeinen  und  des  individuellen, 
unerlässlich ,  während  diese  bei  einem  Objeet  wie  der  Sprache,  das 
uns  unmittelbar  als  eine  geistige  Gesammtschöpfung  gegeben  ist, 
fast  ganz  zurücktritt.  Nichts  desto  weniger  muss  man  im  Auge 
behalten,  dass  es  sich  hier  überall  nur  um  Grad-  nicht  um  Wesens- 
unterschiede handeln  kann.  Mag  uns  die  Literatur  eines  Volkes 
zunächst  als  das  Erzeugniss  der  Schriftsteller  gelten,  die  an  ihr 
mitgearbeitet  haben,  und  ,von  denen  jeder  dem  von  ihm  herrühren- 
den Antheil  seine  Eigenart  mittheilte,  sie  trägt  doch  auch  überall 
wieder  das  Gepräge  ihrer  Zeit  und  der  specifischen  nationalen  Cultur 
derselben.  Und  mag  dagegen  eine  Sprache  in  ihrem  Wortvorrath 
wie  in  ihrem  Bau  und  in  ihren  geschichtlichen  Wandlungen  so  sehr 
die  individuellen  Einflüsse  abgestreift  haben,  dass  sie  fast  wie  ein 
Naturerzeugniss  erscheint,  eine  den  einzelnen  Thatsachen  auf  den 
Grund  gehende  Forschung  vermag  doch  überall  zugleich  bestimmte 
Persönlichkeiten  nachzuweisen,  die  auf  die  Sprachen  der  geschicht- 
lichen Völker  als  Bildner  und  Umbildner  einwirkten. 

Nun  bringt  es  schon  die  verschiedene  Richtung  wissenschaft- 
licher Interessen  und  Begabungen  mit  sich,  dass  der  einzelne  Forscher 
bald   die   eine   bald   die  andere  Betrachtungsweise  bevorzugen,    und 


Piincip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Umgebung.  37 

dass  demoacli  unter  Umständen  ein  und  dasselbe  Gebiet  von  entgegen- 
gesetzten Standpunkten  aus  bearbeitet  werden  kann:  entweder  mit 
Rücksicht  auf  den  geistigen  Gesammtcharakter  der  Erscheinungen, 
oder  in  der  Absicht  den  Antheil  einzelner  Persönlichkeiten  an  dem- 
selben nachzuweisen.  In  diesem  Verhältniss  liegt  an  und  für  sich 
noch  kein  Gegensatz,  sondern  eher  eine  wechselseitige  Ergänzung 
von  Untersuchungen,  die  beide  nothwendig  sind,  aber  wegen  ihrer 
abweichenden  Eigenthümlichkeiten  in  der  Kegel  nicht  in  einem  und 
demselben  Zusammenhang  ausgeführt  werden  können.  Zu  einem 
Gegensatz  wird  das  Verhältniss  erst,  wenn  jede  dieser  Betrachtungs- 
weisen sich  selbst  als  die  einzig  berechtigte  hinstellt,  wenn  also  auf 
der  einen  Seite  behauptet  wird,  die  allgemeinen  geistigen  Zustände 
seien  Nichts  und  die  Persönlichkeiten  Alles,  oder  wenn  auf  der 
andern  Seite  diese  als  die  bloss  zufälligen  Träger  von  Ideen  gelten, 
die  ausschliesslich  in  der  Gesammtheit  wurzeln,  und  als  die  YoU- 
bringer  von  Handlungen,  die  auch  ohne  sie  hätten  geschehen  müssen. 
Begreiflicher  Weise  bildet  die  eigentliche  Geschichte  einen  besonders 
geeigneten  Tummelplatz  für  den  Kampf  dieser  Gegensätze,  weil  sich 
in  ihr  individuelle  und  allgemeine  Wechselwirkungen  zu  einem  so 
verwickelten  Gewebe  verflechten,  dass  der  Antheil  der  einzelnen 
Factoren  schwer  mit  Sicherheit  nachzuweisen  ist*).  Dennoch  durch- 
zieht der  nämliche  Widerstreit  der  Beurtheilungen  alle  Gebiete  der 
Geisteswissenschaften,  und  er  wird  bei  den  concreten  Fragen,  bei 
denen  thatsächlich  jene  verschiedenen  Einflüsse  neben  einander  be- 
stehen, immer  wieder  actuell:  in  der  Psychologie  und  Pädagogik 
nicht  weniger  wie  in  der  Nationalökonomie  und  Jurisprudenz.  5n 
jenen  dreht  er  sich  um  die  alte  Frage,  ob  äussere  Einflüsse  oder 
innere  Anlagen  bei  der  Charakterentwicklung  des  Einzelnen  die 
hervorragendere  Rolle  spielen ;  in  diesen  entsteht  er,  wenn  entweder 
der  letzte  Ursprung  einer  Massregel  der  Gesetzgebung  oder  ihr  Ein- 
finss  auf  die  allgemeine  Lage  in  Erwägung  gezogen  wird. 

Natürlich  ist  auch  dieser  Streit  leichter  im  allgemeinen  und 
principiell  als  in  den  concreten  Fällen  zu  entscheiden,  in  denen  er 
eben  deshalb  nie  aufhören  wird,  weil  beide  Gesichtspunkte  der  Inter- 
pretation sich  nicht  ausschliessen  sondern  ergänzen,  so  dass  von  einer 
endgültigen   Beseitigung    des   einen   durch   den   andern   niemals   die 


*)  In  der  That  ist  es  daher  ein  Historiker,  nämlich  H.  Taine,  der  dem 
Prindp  der  geistigen  Umgebung  seine  schärfste  Ausprägung  gegeben  hat.  üeber 
Taines  Theorie  des  ,  Milieu"  vgl.  unten  Cap.  III,  1  und  4. 


38  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteswiMenschailen. 

Rede  sein  kann.  Immerhin  darf  man  wohl  erwarten,  eine  Anerkennung 
dieses  ergänzenden  Verhältnisses  werde  allmählich  überall  dahin 
führen ,  dass  jede  Betrachtungsweise  die  andere  auf  ihrem  Gebiete 
gelten  lässt  An  und  für  sich  ist  es  ja  klar,  dass  die  individuelle 
Persönlichkeit  niemals  vollständig  aus  den  Beziehungen  zu  ihrer 
geistigen  Umgebung  lösbar  ist,  und  dass  sie  daher  ebensowohl  durch 
diese  in  ihren  Handlungen  mitbestimmt  wird,  wie  sie  ihrerseits  wieder 
auf  sie  zurückwirkt.  Da  nun  die  geistige  Umgebung  eines  Menschen 
selbst  in  eine  Summe  individueller  Persönlichkeiten  zerfallt,  so  bleibt 
es  schliesslich  wahr,  dass  alles  Thun  und  Denken  der  Einzelnen, 
auch  da  wo  sie  selbst  von  aussen  bestimmt  sind,  doch  immer  wieder 
auf  Einzelne  zurückführt.  Aber  indem  die  individualistische  Be- 
trachtung auf  diese  Erwägung  die  Yeraussetzung  gründet,  alles  geistige 
und  insbesondere  alles  geschichtliche  Geschehen  sei  als  die  That 
Einzelner  zu  betrachten,  übersieht  sie  gerade  die  zwei  Thatsachen, 
aus  denen  das  Princip  des  geistigen  Mediums  in  der  ihm  nicht  abzu- 
streitenden Bedeutung  hervorgegangen  ist.  Die  erste  dieser  That- 
sachen besteht  darin,  dass  eben  jene  Summe  einzelner  Persönlichkeiten, 
die  wir  zur  geistigen  Umgebung  eines  Menschen  rechnen,  fttr  uns 
unanalysirbar  ist  oder  doch  nur  insofern  analysirt  werden  kann, 
als  wir  diese  Umgebung  als  ein  Ganzes  betrachten,  dessen  einzelne 
Eigenschaften  nicht  durch  die  Einzeluntersuchung  der  Individuen, 
sondern  durch  die  Betrachtung  der  geistigen  Schöpfungen  und  Rich- 
tungen sowie  der  durchschnittlichen  Gharaktereigenthümlichkeiten  des 
Ganzen  selbst  gewonnen  werden  können.  Neben  dieser  die  mannig- 
faltigsten Wege  einschlagenden  und,  wo  es  sich  um  gewisse  in 
bestimmten  Daten  festzustellende  Erscheinungen  handelt,  wo  möglich 
die  statistische  Methode  befolgenden  collectiven  Untersuchung  bildet 
der  Theil  der  geistigen  Umgebung,  der  sich  selbst  wieder  aus  Indi- 
viduen von  bekannten  Eigenschaften  zusammensetzt,  einen  geradezu 
verschwindenden  Theil,  um  so  verschwindender,  je  allgemeiner  die 
Ereignisse  sind,  um  deren  Untersuchung  es  sich  handelt.  So  ist 
jene  individuelle  Umgebung  ein  wichtiger  Factor  für  den  Biographen, 
ein  minder  erheblicher  fllr  den  politischen  oder  gar  fllr  den  Wirth- 
schafts-  und  Rechtshistoriker,  für  den  nicht  nur  überhaupt  die  ein- 
zelnen Persönlichkeiten  hinter  den  allgemeinen  Erscheinungen  und 
Zuständen  zurücktreten,  sondern  für  den  auch  wiederum,  wo  für  ihn 
das  persönliche  Wirken  von  Einzelnen  in  Frage  steht,  als  Umgebung 
dieser  Einzelnen  der  vorhandene  allgemeine  Zustand  ungleich  wich- 
tiger ist  als  ihr  Verkehr  mit  andern  Individuen.     Die  zweite  That- 


Princip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Umgebung.  39 

Sache,  die  wo  möglich  noch  zwingender  als  die  soeben  besprochene 
darauf  hinweist,  dass  die  geistige  Umgebung  nicht  bloss  als  eine 
unbestimmte  Summe  betrachtet  werden  kann,  deren  Analyse  in  indi- 
viduelle Factoren  als  letzte  Aufgabe  der  Untersucliung  gelten  müsse, 
besteht  in  der  auf  allen  Gebieten  des  geistigen  Lebens  wieder- 
kehrenden Erscheinung,  dass  die  Lebens  Vorgänge  und  Erzeugnisse 
der  Gemeinschaften  Eigenschaften  besitzen,  die  auf  das  engste  an 
ein  organisches  Zusanunenwirken  einer  Vielheit  Einzelner  geknüpft, 
und  dass  sie  in  Folge  dieser  Gebundenheit  an  die  Gemeinschaft  Ent- 
wicklungsgesetzen unterworfen  sind,  die  in  erster  Linie  von  dem 
Leben  imd  den  Lebensschicksalen  der  Gesammtheit  und  nur  in  ver- 
schwindender Weise  von  dem  Eingreifen  bestimmter  Individuen  ab- 
hängen. Bei  der  Sprache,  dem  Mythus,  der  Sitte  liegt  dies  auf  der 
Hand.  Keine  dieser  Formen  und  Normen  gemeinsamen  Lebens 
würde  jemals  von  einem  Einzelnen  oder  von  einem  absichtlichen 
Zusammenwirken  Einzelner  hervorgebracht  werden  können.  Aber 
in  gewissen  Ghrenzen  verhält  sich  dies  nicht  anders  bei  allen  sonstigen 
Erscheinungen  des  gemeinsamen  Lebens,  wie  dem  wirthschaftlichen 
Verkehr,  dem  Recht,  wenn  auch  hier  individuelle  Einflüsse  neben 
den  coUectiven  eine  grössere  Rolle  spielen.  Nun  können  wir  aller- 
dings ein  psychologisches  Verständniss  dieser  socialen  Erscheinungen 
überall  nur  mittelst  der  individuellen  psychologischen  Erfahrung 
gewinnen.  Dennoch  muss  ihre  Literpretation  stets  auf  die  besonderen 
Bedingungen  Rücksicht  nehmen,  die  sich  aus  jener  allgemeinen, 
dem  Willenskreis  des  Einzelnen  entzogenen  Entstehung  ergeben; 
und  was  für  die  psychologische,  das  gilt  nicht  minder  für  jede  andere 
wissenschaftliche  Betrachtung  dieser  Erscheinungen.  Es  entspricht 
diesem  Verhältniss  beider  Principien,  dass  sich  schon  innerhalb  der 
Psychologie  eine  entsprechende  Scheidung  vollzieht  in  die  Individual- 
psychologie,  welche  den  individuellen,  und  in  die  Völkerpsycho- 
logie, welche  den  an  die  Gemeinschaft  gebundenen  Erscheinungen 
des  geistigen  Lebens  zugewandt  ist.  Wie  die  erstere  die  allgemeine 
Grundlage  der  Geisteswissenschaften,  so  bildet  die  letztere  die  specielle 
Vorbereitung  zu  jenen  Gebieten,  die  sich  mit  den  Erscheinungen 
des  gemeinsamen  Lebens  beschäftigen.  Die  Forderung  der  Reduction 
der  geistigen  Thatsachen  auf  individuelle  Ursachen  ist  demnach  auch 
f&r  die  einzelnen  Socialwissenschaften  genau  nur  in  dem  Umfange 
erfüllbar,  in  dem  sie  es  fUr  die  Völkerpsychologie  in  Bezug  auf  die 
von  ihr  untersuchten  allgemeingültigen  Erscheinungen  des  gemein- 
schaftlichen Lebens,   wie  Sprache,   Sitte  u.  dgl.,   ist:   die  geistigen 


40  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteswissenBchaften. 

Kräfte,  die  in  der  Gemeinschaft  wirksam  sind,  müssen  den  Vorgängen 
des  individuellen  Bewusstseins  conform  sein,  und  es  können  in  der 
Gemeinschaft  keine  geistigen  Anlagen  wirksam  werden,  die  nicht 
schon  in  jedem  Einzelnen  der  ihr  angehört  liegen.  Aber  die  Gemein- 
schaft führt  für  die  Wirksamkeit  dieser  Kräfte  und  Anlagen  neue 
Bedingungen  mit  sich,  durch  welche  eigenthümliche  Erscheinungen 
auftreten,  deren  Yerständniss  immer  eine  Berücksichtigung  beider 
Factoren,  des  individuellen  und  des  allgemeinen,  erfordert.  Hiermit 
ist  zugleich  das  Verhältniss  der  beiden  Principien  der  subjectiven 
Beurtheilung  und  der  Berücksichtigung  der  geistigen  Umgebung  zu 
einander  bestimmt.  Das  erste  ist  das  fundamentalere,  das  bei  der 
Anwendung  des  zweiten  immer  zugleich  vorausgesetzt  wird;  dieses 
zweite  ist  aber  nicht  minder  unerlässlich,  und  es  kann  nicht  einmal 
für  das  Yerständniss  der  Einzelpersönlichkeit  entbehrt  werden,  weil 
die  Gemeinschaft  der  Menschen  eine  ebenso  ursprüngliche  Thatsache 
ist  wie  die  Existenz  der  Einzelnen. 

Das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Umgebung 
führt  nun  aber  femer,  indem  es  die  der  einzelnen  Persönlichkeit 
immanenten  Bedingungen  durch  die  Einflüsse  zu  ergänzen  sucht, 
die  von  aussen  auf  sie  einwirken,  zugleich  zu  einem  dritten  Princip, 
welches  erst  mit  den  beiden  genannten  zusammen  alle  empirischen  Be- 
dingungen erschöpft,  denen  das  geistige  Geschehen  überhaupt  unter- 
worfen ist.  Hatte  das  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  durch  seine 
ausschliesslich  psychologische  Richtung  zunächst  bei  der  Ausdehnung 
auf  die  Umgebung  die  geistige  Seite  dieser  in  den  Vordergrund 
treten  lassen,  so  führt  nun  die  Beachtung  der  Umgebung  wieder 
von  selbst  die  Unterscheidung  in  eine  geistige  und  in  eine  materielle 
Aussen  weit  mit  sich,  die  zwar  in  Wirklichkeit  ebenso  unlösbar  ver- 
bunden sind  wie  in  der  Einzelpersönlichkeit  selbst  die  physischen 
und  die  geistigen  Eigenschaften,  die  aber  doch  dort  wie  hier  ver- 
möge der  Verschiedenheit  der  zu  Grunde  liegenden  Thatsachen  von 
frühe  an  der  Beobachtung  sich  aufdrängen,  so  dass  jene  Unter- 
scheidung einmal  entstanden  durch  ihren  praktischen  Nutzen  fortan 
ihre  Geltung  behauptet.  Auf  diese  Weise  findet  die  Summe  der  von 
den  Geisteswissenschaften  befolgten  heuristischen  Maximen  in  dem 
Princip  der  Naturbedingtheit  der  geistigen  Vorgänge  iliren 
Abschluss. 


Princip  der  Naturbedingtheit  der  geistigen  Vorgänge.  41 


c  Das  Princip   der  Naturbedingtheit  der  geistigen  Vorgänge. 

Da  der  Mensch  ein  Naturwesen  ist,  so  ist  er  in  allem  was  er 
denkt,  fÖhlt  und  thut  den  Einflüssen  der  physischen  Natur  unter- 
worfen, und  zwar  sowohl  denen  seiner  eigenen  physischen  Natur, 
wie  denen  seiner  natürlichen  Umgebung.  Auch  ist  es  einleuchtend, 
dass  sich  diese  Natureinflüsse  nur  in  Folge  einer  zwar  naheliegenden 
und  zweckmässigen,  aber  im  letzten  Grunde  doch  willkürlichen  Ab- 
straction  von  den  geistigen  Einflüssen  sondern  lassen.  Der  Mensch 
ist  ja  keine  Vereinigung  von  zwei  verschiedenartigen  Substanzen, 
sondern  ein  einheitliches  Ganzes,  dessen  Eigenschaften  unsere  unter- 
scheidende Begriffsbildung  zu  einer  Sonderung  physischer  und  psy- 
chischer Erscheinungen  veranlassen.  Aber  wie  diese  in  der  Wirk- 
lichkeit niemals  getrennt  vorkommen,  so  lassen  sie  sich  nicht  einmal 
getrennt  denken.  Unser  Vorstellen,  Fühlen  und  Handeln  schliesst 
flberall  einen  sinnlichen  Inhalt  ein,  den  es  nur  aus  dem  Zusammen- 
hang mit  der  physischen  Natur  empfangen  kann.  Dieser  Zusammen- 
hang, der  den  einzelnen  Menschen  beherrscht,  gilt  nicht  minder  für 
die  Verbindung  der  Einzelnen.  Die  Organisation  der  Gesellschaften 
und  Gemeinschaften  beruht  auf  physischen  Lebensbedingungen,  und 
auch  sie  ist  daher  nie  eine  bloss  geistige,  sondern  immer  zugleich 
eine  physische  Organisation. 

Wie  nun  die  geistigen  Einflüsse  in  innere  und  äussere  unter- 
schieden werden  konnten,  so  auch  die  Natureinflüsse.  Während 
aber  dort  keine  Art  wissenschaftlicher  Betrachtung  der  gleichzeitigen 
Rücksicht  auf  beide  Factoren,  den  individuellen  und  den  allgemeinen, 
entrathen  kann,  zeigt  es  sich  hier,  dass  von  den  entsprechenden 
beiden  Formen  des  Natureinflusses  je  nach  den  Aufgaben  der  einzel- 
nen Geisteswissenschaften  bald  der  eine  bald  der  andere  eine  über- 
wiegende Rolle  spielt.  Das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  phy- 
sischen Natur  des  Einzelnen  steht  in  fast  beinahe  ausschliesslicher 
Geltung  in  der  Psychologie  und  in  den  durch  die  psychologische 
Interpretation  bestimmten  Disciplinen,  die  sich,  wie  die  Pädagogik, 
die  Erforschung  ästhetischer,  ethischer  und  intellectueller  Erzeug- 
nisse, vorzugsweise  mit  individuellen  psychischen  Leistungen  be- 
schäftigen, so  dass  auch  für  sie  der  psychologische  Standpunkt  mass- 
gebend ist.  Das  Princip  des  äusseren  Natureinflusses  dagegen  kommt 
Tornehmlich  in  den  Gebieten  zur  Geltung,  die  in  der  Untersuchung 
gemeinsamer  Leistungen  und   gesellschaftlicher  Zustände  und  Vor- 


42  Allgemeine  Grundlagen  der  GreisteswiBsenschaften. 

gänge  ihre  Hauptaufgabe  sehen,  also  in  der  eigentlichen  Geschichte 
sowie  in  den  Socialwissenschafben.  Das  erste  dieser  Principien  führt 
einseitig  durchgeführt  zu  einer  materialistischen  Psychologie,  das 
zweite  zu  einer  materialistischen  Geschichts-  und  Gesellschaftslehre. 
Doch  ist  zu  bemerken,  dass  beide  Formen  des  Materialismus  nicht 
nothwendig  mit  einander  verbunden  sind,  und  dass  die  zweite  eigent- 
lich mit  Unrecht  diesen  Namen  führt,  da  man  möglicher  Weise  an 
eine  Beherrschung  der  menschlichen  Cultur  durch  äussere  materielle 
Factoren  glauben  kann,  ohne  deshalb  auch  im  psychologischen  Sinne 
dem  Materialismus  zu  huldigen.  Dagegen  ist  allerdings  nicht  zu 
verkennen,  dass  zwischen  beiden  Anschauungen  um  so  mehr,  je  ein- 
seitiger sie  ausgeprägt  sind,  eine  innere  Wahlverwandtschaft  besteht, 
indem  sich  namentlich  der  psychologische  Materialist  stets  auch 
einem  socialen  Materialismus  zuneigen  wird,  während  die  Tendenz 
des  socialen  zum  gleichzeitigen  psychologischen  Materialismus  aller- 
dings nicht  von  gleicher  allgemeiner  Geltung  ist. 

Das  Princip  der  physischen  Bedingtheit  des  Einzelnen  durch 
seine  eigene  physische  Natiu*  wird  uns,  als  ein  specifisch  psychologi- 
sches Princip,  erst  im  folgenden  Capitel  näher  beschäftigen.  Dagegen 
ist  das  Princip  des  Einflusses  der  äusseren  Naturumgebung  eine  für 
die  Gesammtheit  der  Geisteswissenschaften  geltende  Maxime,  die, 
innerhalb  der  zulässigen  Grenzen  angewandt,  jedenfalls  ebenso  be- 
rechtigt und  sogar  unerlässlich  ist  wie  die  beiden  vorangegangenen. 
Freilich  aber  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  die  Anwendung  dieses 
Princips  grössere  Schwierigkeiten  macht,  weil  die  Thatsachen,  die 
man  auf  dasselbe  zurückführen  kann,  häufig  vieldeutiger  Art  sind, 
so  dass  es  ungewiss  ist,  wie  viel  oder  wie  wenig  von  ihnen  zugleich 
auf  andere  Einflüsse  zurückzuführen  sei.  Gerade  diese  Vieldeutig- 
keit der  zu  Grunde  liegenden  Erscheinungen  ist  es  aber,  die  hier 
bald  eine  unbillige  Nichtbeachtung  bald  eine  einseitige  Uebertreibung 
des  Princips  veranlasst  hat.  Allgemein  kann  nun  dieses  in  zwei 
wesentlich  verschiedenen  Formen  Anwendung  finden,  die  zugleich 
mit  abweichenden  psychologischen  Auffassungen  verbunden  zu  sein 
pflegen.  Die  erste  dieser  Formen  lässt  sich  als  die  des  ästhetischen, 
die  zweite  als  die  des  teleologischen  Einflusses  der  Naturum- 
gebung bezeichnen. 

Aesthetisch  wirkt  die  Naturumgebung  auf  den  Menschen  durch 
die  Vorstellungen  und  Gefühle,  die  sie  in  ihm  erzeugt,  und  durch 
die  dauernden  Gemüths-  und  Charaktereigenschaften,  die  diese  Vor- 
stellungen und  Gefühle  durch  ihre  fortwährende  Wiederholung  her- 


Princip  der  Naturbedingtheit  der  geistigen  Vorgänge.  43 

vorbringen.     Nach  den  ihm  aus  der  Umgebung  zufliessenden  Ein- 
drücken denkt  er  sich  nicht  bloss  den  Zusammenhang  der  sinnlichen, 
sondern  auch  den  einer  übersinnlichen  Welt,    die  er  als  freies  Er- 
zeugniss  seiner  Phantasie  jener   hinzufügt.     Besonders   das  vorige 
Jahrhundert  hat  unter  dem  Eindruck  der  theils  übertriebenen  theils 
irrigen   Schilderungen,   in   denen   die  Entdecker  der   polynesischen 
Inselwelt  die  Bewunderung  der  Naturschönheiten    dieser    auf  ihre 
Bewohner  übertrugen,  einen  solchen  äsÜietischen  Einfluss  der  Natur 
in   weitgehendem  Masse  angenommen*).     Ein  in  gewissen  Grenzen 
zweifellos  berechtigter  Rest  dieser  Theorie  des  ästhetischen  Einflusses 
ist  in   den  {mythologischen  Theorien  zurückgeblieben,   die  nament- 
lich für  den  Naturmythus  eine  umfassende  Betheiligung  ästhetischer 
Factoren  annehmen.     Dennoch  ist   man  auf  Grund  psychologischer 
Erwägungen   und   gründlicherer   ethnologischer  Kenntnisse   allmäh- 
lich   zu    einer  EinschriLnkung    dieses    natürlich    nicht    ganz    abzu- 
leugnenden Einflusses   übergegangen.     Psychologisch  nämlich  liegt 
gegen  denselben  der  Einwand  nahe,  dass  bekanntermassen  eine  tiefer 
gehende  ästhetische  Wirkung  erst  einer  Höhe  der  Cultur  zukommt, 
bei  der  die  wesentlichsten  geistigen  Eigenthümlichkeiten  des  Menschen 
auch  in  ihrer  specifisch   nationalen  Richtung   bereits  ihr  festes  Ge- 
präge empfangen    haben.     Die   ethnologische  Forschung  aber   hat 
mehr  und  mehr  jene  imponderabeln  ästhetischen  Wirkungen   durch 
die  gröberen  und  zwingenderen  Einflüsse  der  materiellen  Existenz- 
bedingungen zu  ersetzen  gesucht.     Dies  gilt  insbesondere  auch  für 
das  am  längsten  jenen  Wirkungen   noch  ofiTengehaltene  Gebiet  der 
Mythologie  mit  ihren  Ausstrahlungen   in  die   Sitte.     Theils  treten 
hier  statt  des  Naturmythus  andere  Vorstellungsformen,   die  an  all- 
gemein menschliche  Verhältnisse,  den  Tod,  den  Traum,  die  Ver- 
ehrung der  Verstorbenen  und  die  Furcht  vor  ihnen,  anknüpfen,  in 
den  Vordergrund;    erweisen    sich  doch   selbst  bei  dem  classischen 
Volk  des  Naturmythus,  bei  den  Griechen,  solche  Ideen  als  die  letzten 
Trager  des  gesammten  mythischen  Vorstellungskreises**).     Theils 
spielen  auch  in   dem  Naturmythus  Hoffiiungen  und  Befürchtungen, 
die  an  das  Walten  wohlthätiger  und  schädlicher  Naturmächte,  also 
wieder  an  allgemein  menschliche  Verhältnisse  oder  an  die  äusseren 
Lebensbedingungen  geknüpft  sind,  eine  überwiegende  Rolle. 

*)  Man  vergleiche  z.  B.  Herders  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte 
der  Menschheit,  Buch  YIII,  II. 

**)  Vgl.  Erwin  Rhode,  Psyche,  Seelencult  und  Unsterblichkeitsglaube 
der  Griechen.     1894,  S.  1  ff. 


44  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  teleologischen  Einfluss  der 
Naturumgebung.  Er  bezieht  sich  nicht  auf  den  Wahmehmungs- 
inhalt  als  solchen,  wie  er  theils  unmittelbar  theüs  durch  die  Gefühle 
die  er  anregt  das  mehr  theoretische  Verhalten  der  Seele  bestimmt, 
sondern  auf  die  Bedingungen,  die  durch  die  Naturumgebung  dem 
überall  auf  die  Erreichung  bestimmter  Lebenszwecke  und  vor  allem 
auf  die  Erhaltung  und  Verbesserung  des  Daseins  gerichteten  Streben 
des  Menschen  gestellt  sind.  Dass  diese  Einflüsse  einen  äusserst 
wichtigen  Factor  physischer  wie  geistiger  Entwicklung  abgeben,  kann 
nicht  zweifelhaft  sein;  nur  über  den  Umfang  in  dem  sie  wirken 
und  darüber,  wie  sie  sich  etwa  mit  noch  anderen  Bedingungen  kreuzen, 
kann  man  natürlich  verschiedener  Meinung  sein*).  In  der  Art  und 
Weise  aber,  wie  man  sich  diese  Einflüsse  wirksam  denkt,  lassen 
sich  deutlich  wieder  zwei  Entwicklungsstadien  der  Anschauungen 
unterscheiden.  Zunächst  überträgt  man,  wie  in  so  vielen  andern 
Fällen,  auch  hier  den  Zweck  von  der  menschlichen  Thätigkeit,  die 
durch  die  äussern  Bedingungen  bestimmt  wird,  auf  diese  Bedingungen 
selbst :  die  Natur  erscheint  als  eine  Veranstaltung,  die  zur  Erreichung 
der  letzten  Zwecke  menschlicher  Cultur  den  Menschen  durch  äussere 
zwingende  Ursachen  in  der  ihm  vorbestimmten  Richtung  in  mannig- 
facher Weise  erzieht.  Das  ist  die  Art,  wie  sich  das  vorige  Jahr- 
hundert gemäss  seiner  allgemeinen  Bevorzugung  anthropocentrisch- 
teleologischer  Betrachtungsweise  den  Einfluss  der  Naturumgebung 
verständlich  zu  machen  suchte.  Herders  Geschichtsphilosophie,  die 
überall  auf  die  Nachweisung  dieser  Wechselwirkungen  zwischen  der 
Natur  und  der  menschlichen  Cultur  ausgeht,  ist  das  reifste  Er- 
zeugniss  dieser  Art.  Die  heutige  Natur-  und  Geschichtsbetrachtung 
hat  diesen  Standpunkt  verlassen:  sie  nimmt  die  Natur  in  ihren  durch 
Klima  und  andere  Eigenschaften  bestimmten  Eigenschaften  als  eine 
gegebene  Reihe  von  Ursachen  hin,  die,  wie  sie  in  ihrem  ursprüng- 
lichen Sein  der  Herrschaft  des  Menschen  entzogen,  so  auch  ohne 
Rücksicht  auf  menschliche  Bedürfnisse  entstanden  sind.  Dagegen 
bricht  sich  unter  dem  Einflüsse  des  der  Biologie  entlehnten  Begriffs 
der  Anpassung  allmählich  die  entgegengesetzte  Auffassung  Bahn: 
nicht  die  Natur  ist  bestimmten,  zur  Erziehung  des  Menschen  und 
zugleich  zu  seiner  Differenzirung  nach  verschiedenen  Richtungen 
geeigneten  Zwecken  angepasst,  sondern  der  Mensch  passt  sich  überall 


*)  Vgl.   die    allgemeine  Würdigung    dieser  Einflüsse    in  meiner  Ethik, 
2.  Aufl.,  S.  237  ff". 


Princip  der  Naturbedingtheit  der  geisügen  Vorgänge.  45 

der  Naturumgebung  an,  und  die  Art  dieser  Anpassung  ist  es,  die 
dann  wieder  direct  auf  die  Zwecke  die  er  sich  setzt  und  indirect 
auf  die  Cultur  die  er  sich  gibt  zurückwirkt. 

Nachdem  es  die  zuletzt  erwähnte  mit  den  sonst  gültigen  Normen 
wissenschaftlicher  Forschung  allein  vereinbare  Form  angenommen, 
hat  das  Princip  der  Abhängigkeit  von  der  Naturumgebung  seine 
fruchtbarste  Anwendung  zunächst  auf  dem  Gebiet  gefunden,  das 
schon  durch  die  Beschaffenheit  seiner  Aufgaben  auf  dasselbe  hin- 
gewiesen und  zu  einer  Prüfung  seiner  Wirksamkeit  genöthigt  wird, 
auf  die  Nationalökonomie.  Insofern  sich  das  wirthschaftliche 
Leben  in  einer  Reihe  von  Processen  bewegt,  die  in  letzter  Instanz 
darauf  ausgehen,  die  in  der  Natur  vorhandenen  Hülfsquellen  zur 
Befriedigung  menschlicher  Lebensbedürfnisse  zweckmässig  zu  ver- 
werthen  und  die  so  entstandenen  Nutzungsproducte  zweckmässig  zu 
Tertheilen,  lässt  sich  eigentlich  die  ganze  Wirthschaftslehre  als  eine 
Doctrin  betrachten,  die  einerseits  den  Einäuss  der  Natur  auf  die 
socialen  Verhältnisse  und  anderseits  den  Einfluss  dieser  auf  die  Yer- 
werthung  der  Naturkräfke  zu  ihrem  Inhalte  hat.  Da  nun  der  erste 
dieser  Factoren  der  primäre,  der  zweite  der  von  ihm  abhängige 
ist,  so  ist  es  begreiflich,  dass  sich  jener  zur  Alleinherrschaft  drängt, 
um  so  mehr  da  der  Versuch  die  Erscheinungen  möglichst  aus  einem 
Princip  zu  deduciren  vor  dem  der  Analyse  einer  verwickelten  Com- 
bination  von  Bedingungen  immer  den  äusseren  Vorzug  der  Einfach- 
heit voraushat.  Auf  diesem  Standpunkte  erscheint  zunächst  das 
wirthschaftliche  Leben  und  dann  die  ganze  auf  diesem  sich  erhebende 
Cultur  lediglich  als  ein  Product  der  äusseren  Existenzbedingungen 
des  Menschen.  Obgleich  nicht  selten  mit  grosser  Energie  als  all- 
gemeines Princip  betont,  ist  übrigens  diese  Anschauung  des  socialen 
Materialismus  niemals  folgerichtig  durchgeführt  worden,  da  der  Ver- 
such dies  zu  thun  regelmässig  daran  scheitert,  dass  die  zweite  Seite 
der  hier  stattfindenden  Wechselwirkungen,  die  Rückwirkung  der 
socialen  Verhältnisse  auf  die  Auswerthung  der  Natur,  stets  eine 
Mitberücksichtigung  heischt.  In  der  That  findet  diese  Rückwirkung 
auch  in  den  praktischen  Programmen  ihren  Ausdruck,  die  nicht 
selten  gerade  an  die  materialistische  Gesellschaftslehre  geknüpft 
werden,  namentlich  in  der  Forderung  bestimmter  socialer  Reformen 
zum  Behuf  der  angemesseneren  Gewinnung  und  Vertheilung  der 
durch  die  Ausnützung  der  Natur  gewonnenen  Güter. 

Aus  der  Nationalökonomie  geht  dann  das  nämliche  Princip  in 
die  Geschichte   über.     Entweder    dient   es  hier  nur  als   ein   all- 


46  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

gemeiner  Leitfaden,  um  in  ähnlicher  Weise  wie  in  der  Ethnologie  die 
allgemeinen  Charaktere  der  Völker,  so  die  historischen  Eigenschaften 
und  Schicksale  derselben  aus  den  Einflüssen  der  Naturumgebung 
verständlich  zu  machen  "*").  Oder  es  sind  wiederum  speciell  die  wirth- 
schaftJichen  Zustände,  die  als  die  Bedingungen  betrachtet  werden, 
deren  Veränderungen  wesentlich  die  Schicksale  der  Völker  bestimmt 
haben.  Hier  gilt  dann  die  Wirthschafbsgeschichte  zunächst  als 
Grundlage  der  Gulturgeschichte  und  mit  dieser  als  der  wesentlichste, 
weil  den  eigentlichen  Causalmomenten  des  historischen  Geschehens 
zugewandte  Theil  der  Geschichtsforschung  überhaupt.  So  zweifellos 
es  ist,  dass  diese  Auffassung  in  ihrer  einseitigen  Geltendmachung 
der  Mannigfaltigkeit  der  Bedingungen  der  historischen  Entwicklung 
nicht  gerecht  wird,  so  wenig  kann  verkannt  werden,  dass  sie  in  der 
Betonung  des  Einflusses  der  Naturbedingungen  ein  Moment  zur 
Geltung  bringt,  das  früher  allzu  sehr  vernachlässigt  wurde,  und  das 
darum  zusammen  mit  den  andern  heuristischen  Principien  der  Geistes- 
wissenschaften ein  gutes  Recht  für  sich  in  Anspruch   nehmen  darf. 


d.    Causale  und  teleologische  Betrachtung  innerhalb  der 

Geisteswissenschaften. 

Dass  die  drei  oben  erörterten  Principien  die  einzig  möglichen 
sind,  die  in  den  Geisteswissenschaften  von  Anfang  an  und  ehe  noch 
bestimmtere  Ergebnisse  der  Untersuchung  zu  Gebote  stehen,  befolgt 
werden  können,  darf  man  nach  dem  Gesetz  des  ausgeschlossenen 
Dritten  annehmen,  sobald  die  Gegenüberstellung  von  Geist  und  Natur, 
von  Innen-  und  Aussenwelt  als  massgebend  für  die  erste  Auffassung 
der  Erscheinungen  anerkannt  wird.  Denn  unter  dieser  Voraus- 
setzung sind  offenbar  die  Bedingungen,  unter  denen  menschliches 
Denken,  Wollen  und  Handeln,  diese  allgemeinen  Objecte  der  Geistes- 
wissenschaften, stehen,  entweder  geistige  oder  materielle,  und,  in- 
sofern sie  das  erstere  sind,  gehören  sie  entweder  der  Innenwelt  oder 
der  Aussenwelt  einer  Persönlichkeit  an,  rühren  also  entweder  von 
den  geistigen  Einflüssen  Einzelner  oder  von  denen  geistiger  Gemein- 
schaften her.  Mit  diesen  drei  in  der  mannigfaltigsten  Weise  in 
einander  eingreifenden  und  zuweilen  in  der  Herrschaft  einander  ab- 
lösenden heuristischen  Principien  kreuzt  sich  nun  aber  ein  Streit  der 


*)  In  dieser  Weise  hat  z.  B.  noch  Max  Duncker  in  seiner  Alten  Ge- 
schichte namentlich  die  Geschichte  der  altorientalischen  Völker  behandelt 


Caoiale  und  teleologische  Betrachtung  innerhalb  der  Geistesvrissenschaften.       47 

Anschauungen f  der,  den  Geistes-  mit  den  Naturwissenschaften  ge- 
meinsam, in  diesem  Fall  auf  das  engste  an  die  Entwicklung  der 
übrigen  Prindpien  geknüpft  ist:  der  Streit  der  causalen  mit  der 
teleologischen  Betrachtung  der  Erscheinungen. 

Da  innerhalb  der  Naturerklärung  die  ursprüngliche  Anwen- 
dung des  Zweckbegriffs  auf  einer  üebertragung  menschlicher  Zweck- 
Torstellungen  auf  die  Objecto  beruht  (Abschn.  III,  Cap.  I,  S.  274  f.), 
so  liegt  hierin  schon  angedeutet,  dass  auf  geistigem  Gebiet  die 
Zweckbetrachtung  von  Anfang  an  den  Vorzug  der  üebereinstimmung 
mit  gewissen  fundamentalen  Thatsachen  des  geistigen  Lebens  selber 
besitzen  wird.  In  der  That  erscheint  sie  hier  als  eine  unmittelbare 
Folge  der  Anwendung  desPrincips  der  subjectiven  Beurtheilung. 
Indem  wir  uns  mit  unserem  eigenen  Selbst  in  die  zu  beurtheilenden 
objectiTen  Vorgänge  hineinversetzen,  verlegen  wir  damit  auch  unsere 
Zweckvorstellungen  und  unsere  zwecksetzenden  Thätigkeiten  in  sie; 
und  diese  Betrachtungsweise  erweist  sich  an  der  Erfahrung  ge- 
messen überall  da  im  allgemeinen  als  eine  berechtigte,  wo  jenem 
Hineinversetzen  des  Subjectes  in  die  Objecto  selbst  sein  Recht  zu- 
kommt. Freilich  aber  zeigt  es  sich  schon  hier,  dass  diese  in  dem 
unmittelbaren  inneren  Erleben  zweckthätiger  Wirkungen  begründete 
Teleologie  nicht  einmal  für  den  Inhalt  des  eigenen  Bewusstseins 
zureicht.  In  der  Entstehung  und  Verknüpfung  der  Vorstellungen 
und  Gefühle  treten  uns  fortwährend  seelische  Vorgänge  entgegen, 
die  zwar  auf  das  mannigfaltigste  unsere  zweckthätigen  Willenshand- 
lungen beeinflussen  können,  an  sich  selbst  jedoch  ein  Geschehen  sind, 
das,  wo  überhaupt  seine  Bestandtheile  in  eine  Beziehung  nach 
Gründen  und  Folgen  zu  einander  treten,  analog  der  Verknüpfung 
der  Naturerscheinungen  eine  rein  causale  Interpretation  heraus- 
fordert. So  kann  denn  auch  die  teleologische  Auffassung  dieser  Er- 
scheinungen nur  durch  eine  ähnliche  willkürliche  Zweckübertragung 
wie  die  teleologische  Naturbetrachtung  zu  Stande  kommen.  In  der 
Psychologie  selbst  findet  diese  Üebertragung  vornehmlich  in  der 
Annahme  zweckthätiger  Kräfte,  der  Seelenvermögen,  ihren  Aus- 
druck, denen  der  Charakter  von  Zweckursachen  dadurch  gewahrt 
wird,  dass  man  sie  nicht  fortwährend  oder  nach  fest  gegebenen 
Bedingungen,  wie  die  Naturkräfte,  sondern  nach  Analogie  freiwillig 
handelnder  Wesen  wirksam  denkt,  so  dass  immer  erst  aus  dem 
Eintritt  eines  Erfolgs  auf  ihre  Thätigkeit  zurückgeschlossen  werden 
kann,  während  ohne  dies  ein  Unterbleiben  des  Erfolgs  ebenso  gut 
denkbar  gewesen  wäre.    So  wird  hier  an  eben  dem  Merkmal,  welches 


48  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

das  Vermögen  von  der  Kraft  unterscheidet,  der  Ursprung  dieses 
teleologischen  Begriffs  aus  der  Uebertragung  des  eigenen  Willens 
sichtbar,  und  da  jenes  Merkmal  jedem  einzelnen  Vermögen  zu- 
geschrieben wird,  so  verwandelt  sich  dadurch  die  Seele  eigentlich 
in  eine  Vielheit  handelnder  Subjecte,  die  eine  Art  freier  Gesellschaft 
mit  einander  bilden.  Obgleich  nun  diese  Lehre  fast  zu  allen  Zeiten 
Gegner  fand,  so  verliessen  doch  auch  diese  meist  nicht  den  Boden 
teleologischer  Anschauungen.  Vielmehr  bestand  der  Unterschied 
ihres  Standpunktes  im  wesentlichen  nur  darin,  dass  sie  die  Einheit 
des  Subjectes  der  inneren  Erfahrung  stärker  betonten  und  demnach 
alles,  was  dort  als  ein  Handeln  verschiedener  zweckthätiger  Kräfte 
gedacht  war,  auf  die  verschiedenen  Stufen  der  Thätigkeit  einer  ein- 
zigen Kraft  zurückführten.  Dazu  boten  namentlich  im  vorigen  Jahr- 
hundert die  Ideen  der  Leibni zischen  Philosophie  den  metaphysischen 
Anhaltspunkt.  Entsprechend  der  Stufenreihe  dunkler  und  klarer 
Vorstellungen  konnten  hier  die  scheinbar  passiv  erlebten  oder  durch 
äussere  Ursachen  bestimmten  Empfindungen  und  Gefühle  als  ein 
Geschehen  gedeutet  werden,  das  von  den  zweckbewussten  Hand- 
lungen nicht  der  Art,  sondern  nur  dem  Grade  nach  verschieden  sei. 
Erst  durch  die  Uebertragung  der  naturwissenschaftlichen  Causalitäts- 
lehre  auf  die  psychologische  Erfahrung  ist  die  teleologische  Richtung 
in  beiden  Gestaltungen  allmählich  erschüttert  worden.  Am  frühesten 
geschah  dies  durch  die  freilich  ganz  im  Gebiet  metaphysischer 
Theorien  verbleibende  materialistische  Deutung  der  psychischen  Vor- 
gänge, die  bis  ins  Alterthum  zurückreicht.  Vom  18.  Jahrhundert 
an  begann  dann  aber  die  aus  der  neueren  Aera  der  Naturwissen- 
schaften entsprungene  streng  empirische  Richtung  in  den  Formen 
der  Association  Erscheinungen  herauszugreifen,  die  der  Forderung 
nach  causaler  Interpretation  des  psychischen  Geschehens  vor  andern 
zu  entsprechen  schienen.  Hatte  die  Vermögenslehre  und  derLeibniz- 
sche  Unitarismus  die  Associationen  als  dunkle  Entwicklungsstufen 
der  höheren  zweckthätigen  Handlungen  aufgefasst,  so  betrachtete 
umgekehrt  die  Associationspsychologie  diese  als  die  Erzeugnisse 
jener,  denen  man  eine  analoge  mechanische  Nothwendigkeit  psychi- 
scher Art  zuschrieb  wie  auf  physischer  Seite  den  einfachsten 
Naturgesetzen,  so  dass  man  in  diesem  Sinne,  freilich  mit  starker 
Ueberschätzung  ihrer  Bedeutung,  die  so  genannten  Associations- 
gesetze  sogar  auf  gleiche  Linie  mit  dem  Gravitationsgesetz  gestellt 
hat.  Einen  andern  Versuch  causaler  Begründung  der  Psychologie 
machte   endlich   Herbart    in   seiner    „Mechanik    des   Geistes",   der 


Causale  und  teleologische  Betrachtung  innerhalb  der  Geisteswissenschaften.       49 

übrigens  den  vorigen  dadurch  ideenverwandt  ist,  dass  er  sich  an 
die  naturwissenschaftliche,  hier,  wie  der  Name  schon  andeutet, 
speciell  an  die  mechanische  Betrachtung  anlehnt.  In  der  Form  der 
eiacteste  ist  dieser  Versuch  einer  streng  alle  Teleologie  aus- 
schliessenden  Auffassung  des  psychischen  Geschehens  freilich  auch 
wegen  der  gänzlich  hypothetischen  Natur  der  Voraussetzungen  der 
fragwürdigste  von  allen. 

Auf  völlig  abweichenden  Wegen  bewegte  sich  von  Anfang  an 
die  Zweckbetrachtung  in  den  historischen  Wissenschaften.  Hier 
entwickelte  sich  schon  bei  den  Griechen  aus  jeuer  ursprünglichen 
naiven  und  transcendenten  Zweckerklärung,  welche  die  Geschicke 
der  Menschen  als  Fügungen  übersinnlicher  Mächte  betrachtet,  eine 
immanente  Teleologie,  die  aus  dem  zweckthätigen  Willen  der 
historischen  Persönlichkeiten  selbst  die  Dinge  erklärt.  Dieser  letzteren, 
freilich  durchweg  individualistischen  und  intellectualistischen  Ge- 
schichtsauffassung der  Griechen,  welche  die  objective  Wirksamkeit 
des  Zwecks  schon  völlig  auf  das  ihm  durch  die  unmittelbare  Er- 
fahrung gesicherte  Gebiet  einschränkte,  stellte  die  christliche  Welt- 
anschauung ein  planvoll  ausgearbeitetes  System  einer  transcendenten 
Geschichtsphilosophie  gegenüber,  in  welchem  die  Weltgeschichte 
als  eine  von  der  Vorsehung  in  Scene  gesetzte  grosse  Tragödie  er- 
scheint, die  mit  dem  Sündenfall  Adams  beginnt,  in  dem  Erlösungs- 
werk Christi  ihren  Höhepunkt  erreicht  und  im  jüngsten  Gericht  ihre 
Lösung  findet.  Die  Reste  dieser  Teleologie  erstrecken  sich  bis  in 
die  Geschichtsphilosophie  der  neuesten  Zeit.  Selbst  eine  Schrift  wie 
Lessings  „Erziehung  des  Menschengeschlechts **  ist  gewissermassen 
nur  eine  Umdichtung  dieses  Plans  der  christlichen  Welttragödie  in 
die  Ideen  des  Aufklärungszeitalters.  In  der  Geschichtsforschung 
aber  wurde,  in  dem  Masse  als  in  ihr  die  Frage  nach  dem  realen 
lohalt  der  Begebenheiten  die  nach  der  transcendenten  Bedeutung 
derselben  verdrängte,  wieder  jene  immanente  Teleologie  vorherrschend, 
die  sich  durch  den  Einfluss  einzelner  Persönlichkeiten  auf  das  histo- 
rische Geschehen  von  selbst  der  Beobachtung  aufdrängt.  Neben  sie 
traten  dann  zugleich  mit  der  Berücksichtigung  der  geistigen  Um- 
gebung und  des  Natureinflusses  Bruchstücke  einer  causalen  Inter- 
pretation. So  ist  diese  hier  eng  gebunden  an  die  Ergänzung,  die 
das  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  durch  die  beiden  andern 
Principien  findet.  Freilich  vollzieht  sich  auch  bei  diesen  die  Ueber- 
windung  einer  rein  teleologischen  Anschauung  nicht  widerstandslos, 
lässt  sich   doch  die   geistige  Umgebung  wieder  in  Individuen  zer- 

WoD dt,  Logik,  n,  2.   2.  Aofl.  4 


50  Allgemeine  Grandlagen  der  Geisteswissenschaften. 

legen;   die  NaturumgebuDg   aber  wird  zumeist  als   ein  nebensäch- 
licher Factor  betrachtet. 

So  kommt  es,  dass  erst  von  einem  dritten  Gebiet,  dem  der 
Gesellschaftswissenschaften  her  allmählich  diejenige  Auf- 
fassung zur  thatsächlichen  Herrschaft  durchgedrungen  ist,  die  heute 
als  die  massgebende  fOr  alle  Geisteswissenschaften  angesehen  werden 
darf,  wenn  es  ihr  auch  noch  nicht  völlig  gelang,  sich  gegen  wider- 
strebende Richtungen  und  gegen  einseitige  Uebertreibungen  ihres 
eigenen  Princips  zu  behaupten.  Indem  nämlich  die  Socialwissen- 
Schäften  in  ungleich  höherem  Masse  als  die  Geschichte  über  die 
allgemeinen  Einflüsse  Rechenschaft  geben  müssen,  die  von  dem  Zu- 
sammenwi]4:en  einer  grossen  Zahl  von  Persönlichkeiten  sowie  von 
den  Naturbedingungen  des  menschlichen  Daseins  ausgehen,  kommt 
nothwendig  in  ihnen  die  causale  Betrachtung  zum  Uebergewicht. 
Sie  verfällt  aber  leicht  in  Folge  der  vorwiegenden  Rücksicht  auf 
die  materiellen  Existenzbedingungen  ihrerseits  in  ein  Extrem,  indem 
sie,  unterstützt  durch  den  gleichzeitig  verbreiteten  psychologischen 
Materialismus,  das  menschliche  Dasein  in  allen  seinen  Formen  bloss 
als  eine  verwickelte  Gestaltung  der  allgemeinen  Naturcausalität  auf- 
fasst,  eine  Annahme  die  dann  auch  auf  die  Geschichte  über- 
tragen wird.  , 

Diese  ganze  Entwicklung  zeigt,  dass  den  Geisteswissenschaften 
in  allen  ihren  Theilen  der  reine,  von  der  Zweckvorstellung  völlig 
gelöste  Causalbegriff  ursprünglich  von  der  Naturwissenschaft  über- 
liefert worden  ist,  in  der  er  ja  vermöge  der  eigenthümlichen  Er- 
kenntnissbedingungen der  Naturerscheinungen  ein  ungleich  günstigeres 
Gebiet  vorfand.  Aber  die  Wissenschaften  des  Geistes  würden  doch 
nimmermehr  diesen  Begriff  als  einen  auch  ihren  Gegenständen  ad- 
äquaten aufgenommen  haben,  hätten  sich  nicht  auch  ihnen  zahlreiche 
Thatsachen  dargeboten,  auf  die  teleologische  Betrachtungen  nur  ver- 
mittelst einer  willkürlichen  Uebertragung  anwendbar  sind.  So  be- 
gegnet schon  die  Psychologie  neben  den  aus  Zweckmotiven  ent- 
springenden Handlungen  zahlreichen  Vorgängen  im  Bewusstsein,  die 
unter  einander  in  causalen  Verbindungen  stehen,  für  die  aber  das 
Zweckprincip  nur  in  jener  Form  subjectiver  Umdeutimg  möglich  ist, 
in  der  schliesslich  jede  Causalreihe  in  eine  Zweckverknüpfung  um- 
gewandelt werden  kann.  In  den  specielleren  Geisteswissenschaften 
forderte  ebenso  die  steigende  Geltendmachung  der  Einflüsse  der 
geistigen  Umgebung  und  der  Naturbedingungen  eine  Ergänzung  der 
auf  die  bloss  menschliche  Zweckthätigkeit  gerichteten  ursprünglichen 


Cauale  und  teleologische  Betrachtung  innerhalh  der  Geisteswissenschaften.       51 

Betrachtungsweise.  Bei  diesem  Punkte  angelangt  bietet  nun  aber 
TOD  selbst  das  allgemeine  logische  Verhältniss  der  beiden  Begriffe 
die  Gesichtspunkte  dar,  die  es  möglich  machen  dem  Zweck  in  der 
Welt  des  geistigen  Geschehens  seine  ihm  hier  zukommende  Bedeu- 
tung zu  wahren,  ohne  damit  in  den  cäusalen  Zusammenhang  der 
Erscheinungen  heterogene  Elemente  einzuführen,  und  hinwiederum 
der  Causaliföt  auch  auf  diesen  Gebieten  ihre  ausnahmslose  Geltung 
zu  sichern,  ohne  die  thatsächlich  vorhandenen  Zweckvorstellungen 
und  Zweckhandlungen  für  einen  täuschenden  Schein  zu  erklären. 
Denn  vermöge  jenes  logischen  Zusammenhangs  ist  die  Zweckthätig- 
keit  nur  eine  besondere  Form  causaler  Wirksamkeit,  die  an  bestimmte 
psychologische  Bedingungen  geknüpft  ist,  also  auch  schliesslich  mit 
den  allgemeinen  Eigenschaften  der  psychischen  Causalität  vereinbar 
sein  muss.  Hieraus  ergibt  sich  das  heuristische  Princip,  dass  alle 
geistigen  Vorgänge  und  demnach  auch  alle  Objecte  der  Geistes- 
wissenschaften causal  zn  interpretiren  sind,  und  dass  innerhalb  dieser 
allgemeinen  Gausalerklärung  jedem  Bestandtheil ,  also  ebensowohl 
den  Einwirkungen  der  Naturcausalitat  wie  den  einer  specifischen 
Zweckbedeutung  entbehrenden  psychischen  Wirkungen  und  endlich 
den  Zweckhandlungen  selbst,  die  ihnen  nach  Massgabe  der  Erfah- 
rung gebührende  SteUe  anzuweisen  ist.  Demnach  erscheinen  die 
Zweckmotive  hier  lediglich  als  jene  in  der  allgemeinen  Untersuchung 
des  Zweckbegriffs  bereits  hervorgehobenen  Fälle  der  Causalität  des 
Geschehens,  in  denen  der  Zweck  unmittelbar  eine  objective 
causale  Bedeutung  gewinnt  (vgl.  Bd.  I,  S.  646  ff.).  Der  Zu- 
sammenhang dieses  objectiven  Zweckprincips  mit  der  psychischen 
Cansahtät,  von  der  es  nur  einen  besonderen  Bestandtheil  bildet, 
gehört  aber  vor  das  Forum  einer  speciellen  Untersuchung  des  psycho- 
logischen Causalprincips  und  wird  uns  daher  im  folgenden  Capitel 
beschäftigen. 


3.   Die  aUgemeinen  Methoden  und  Hlüfsmittel  der 

Geisteswissenschaften. 

a.    Verhältniss  zu  den  naturwissenschaftlichen  Methoden. 

Gleichförmigkeiten  des  Geschehens,  die  es  uns  gestatten  die 
^ielgestaltigkeit  der  Erfahrung  vereinfachenden  Regeln  unterzuordnen, 
treten  uns  im  Gebiet  des  geistigen  Lebens  nicht  weniger  entgegen 
^e  in  dem  der  Natur.    Aber  sobald  wir  uns  das  Verh'ältniss  dieser 


52  Allgemeine  Grandlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Regeln,  der  Natur-  und  der  Geistesgesetze,  zu  den  wirklichen  That- 
sachen  vergegenwärtigen,  so  beginnt  ein  tiefgreifender  Unterschied 
fühlbar  zu  werden.  Die  Naturgesetze  beherrschen  bis  ins  einzelnste 
den  Gang  der  Ereignisse.  Wo  ihre  Anwendung  auf  diese  vollständig 
gelungen  ist,  da  gestatten  sie  darum  eine  Voraussage  des  zukünf- 
tigen Geschehens.  Nur  die  lebende  Natur  widersetzt  sich,  insoweit 
künftige  Entwicklungsformen  derselben  in  Frage  kommen,  einer 
solchen  Vorausbestimmung;  wir  haben  aber  mehrfach  darauf  hin- 
gewiesen, dass  eben  hier  die  Grenze  liegt,  wo  geistige  Kräfte  in  das 
natürliche  Geschehen  einzugreifen  beginnen  (Bd.  I,  S.  649,  Bd.  II,  1, 
S.  579).  Und  je  freier  diese  sich  entfalten,  um  so  nichtiger  wird 
die  Hoffnung,  aus  den  allgemeinen  Gesetzen  des  geistigen  Lebens 
die  einzelnen  Thatsachen  auch  nur  für  die  kürzeste  Zeitstrecke  vor- 
ausbestimmen zu  wollen. 

Den  singulären  Charakter  der  geschichtlichen  und  eines  grossen 
Theils  der  socialen  Ereignisse  hat  man  nun  im  allgemeinen  auf 
zweierlei  Art  zu  erklären  gesucht.  Auf  der  einen  Seite  wird  der- 
selbe dadurch  seiner  Eigenthümlichkeit  entkleidet,  dass  man,  etwa 
an  die  Meteorologie  mit  ihren  zweifelhaften  und  kurzdauernden 
Wetterprognosen  erinnernd,  die  ungeheure  Complication  der  geistigen 
Thatsachen  betont,  die  unsere  Erkenntniss  zwinge,  hier  mindestens 
vorläufig  auf  der  Oberfläche  der  Erscheinungen  zu  bleiben*).  Eine 
andere  Partei,  der  sich  zumeist  die  Vertreter  der  speciellen  Geistes- 
wissenschaften zuneigen,  verwirft  jede  Anwendung  des  Causalbegriffs 
auf  das  geistige  Leben;  insbesondere  erblickt  sie  die  Freiheit  des 
Willens  in  seiner  Causalitätslosigkeit.  So  entnimmt  die  erste  dieser 
Anschauungen  in  logisch  ungerechtfertigter  Weise  einer  speciellen 
Anwendungsform  der  Causalität  deren  allgemeingültige  Eigenschaften. 
Die  zweite  ist  in  dem  nämlichen  naturalistisch  verengten  Begriff  der 
Ursache  befangen;  nur  weil  sie  keinen  andern  kennt,  sieht  sie  sich 
genöthigt,  an  die  Stelle  der  vollendetsten  Gesetzmässigkeit  ein  gesetz- 
loses Spiel  des  Zufalls  zu  setzen.  Das  Resultat  ist  in  beiden  Fällen 
das  nämliche,  und  wenn  es  auf  die  Behandlung  der  speciellen  Geistes- 
Wissenschaften  meist  nicht  so  schädlich  gewirkt  hat,  als  man  erwarten 
sollte,  so  beruht  dies  nur  auf  dem  glücklichen  Umstand,  dass  In- 
consequenz  des  Denkens,  wenn  sie  zu  tiefer  liegenden  Irrthümem 
hinzutritt,  zu  einer  schätzbaren  Eigenschaft  werden  kann. 


*)  Mi  11,  Logik,  Buch  VI,  Cap.  III.    Deutsche  Ausg.  von  Schiel,  2.  AuB. 
II,  S.  449. 


Yerhäliniss  zu  den  natorwissenschafUichen  Methoden.  53 

Noch  leidet  hier  die  wissenschaftliche  Logik  wie  die  Wissen- 
schaft überhaupt  unter  den  üebeln  eines  IJebergangszustandes.  Das 
Aufblühen  der  Naturwissenschaften  hat  der  Philosophie  bis  in  dieses 
Jahrhundert  hinein  ihren  vorherrschenden  Charakter  aufgeprägt.  Auf 
den  spiritualistischen  Richtungen  lastete  der  Druck  der  mechanischen 
Weltanschauung  darum  nicht  minder  schwer,  weil  sie  sich  desselben 
oft  nicht  bewusst  waren.  So  ist  besonders  auch  Kant  noch  ganz 
Ton  dem  mechanischen  Causalbegriff  beherrscht;  sein  Versuch,  für 
das  menschliche  Handeln  eine  Art  doppelter  Buchführung  anzuwenden, 
wird  nur  unter  diesem  Gesichtspunkt  yerständlich*).  Doch  unver- 
kennbar verschiebt  sich  allmählich  der  Schwerpunkt  der  wissen- 
schaftlichen Forschungen.  Die  Naturwissenschaften  haben  ihre  Blüthe 
hinter  sich,  die  Geisteswissenschaften  gehen  ihr  entgegen.  Die  Ein- 
flüsse des  Naturalismus  auf  diese,  die  noch  überall  in  geschichts- 
philosophischen  Systemen,  in  sociologischen  und  naturrechtlichen 
Theorien  zu  spüren  sind,  werden  damit  von  selbst  verschwinden. 
Freilich  ist  es  ein  Irrthum  vieler  Specialforscher,  wenn  sie  in  d^r 
Beschränkung  auf  das  Thatsächliche,  in  der  rein  historischen  Auf- 
fassung der  geistigen  Erscheinungen  das  wirksame  Hülfsmittel  gegen 
jene  Einflüsse  gefunden  zu  haben  meinen.  Der  skeptische  Empirismus 
ist  hier  ebenso  undurchführbar  wie  in  der  Naturforschung.  Ohne 
Psychologie,  Erkenntnisslehre  und  Ethik  bleibt  die  historische  Geistes- 
wissenschaft ein  steuerloses  Fahrzeug,  das  von  dem  Wellenschlag 
zufalliger  Tagesmeinungen  hin-  und  hergeworfen  wird.  Insbesondere 
ist  die  Psychologie  dazu  berufen,  ihre  Rechte  als  grundlegende 
Geisteswissenschaft  geltend  zu  machen.  Dem  Einfluss  der  mechani- 
schen Physik  vermag  sie  aber  nur  dann  die  Wage  zu  halten,  wenn 
sie  der  Methodik  der  exacten  Naturforschung  die  Wafl'en  entlehnt, 
am,  so  weit  es  möglich  ist,  selbst  zur  exacten  Wissenschaft  zu 
werden. 

Vermöge  ihrer  Stellung  zwischen  Natur-  und  Geisteswissen- 
schaften verfügt  in  der  That  die  Psychologie  selbst  über  einen  grossen 
Reichthum  methodischer  Hülfsmittel.  Während  ihr  auf  der  einen 
Seite  die  experimentelle  Methode  zur  Verftlgung  steht,  bieten  sich 
ihr  auf  der  andern  in  den  objectiven  Geisteserzeugnissen  zahlreiche 
Gegenstande  einer  vergleichenden  psychologischen  Analyse.  Dies 
ändert  sich  einigermassen  in  den  speciellen  Geisteswissenschaften. 
Die  singulare  Natur  der  Thatsachen   schliesst   hier  insbesondere  im 


♦)  Vgl.  hierzu  Bd.  I,  S.  553  ff. 


54  Allgemeine  Qnindlagen  der  GeiBteBwisseiiBcliafteii. 

Gebiet  der  eigentlichen  Geschichte  alle  die  Holfsmittel  aus,  die  eine 
unabänderliche  Gleichförmigkeit  des  Geschehens  voraussetzen.   Darum 
bleibt  die  vergleichende  Methode  die  hier  allein  mögliche.   Wenn 
man  zuweilen  von  einer  üebertragung  des  experimentellen  Ver- 
fahrens namentlich  auf  die  Socialwissenschaften  gesprochen  hat,  so 
konnte  dies  nur  mittelst  einer  Verallgemeinerung  des  Begriffs  ge- 
schehen,  die   diesen  gerade  der  dem  Experiment  charakteristischen 
Merkmale,   der  willkflrlichen  Herbeiführung  und  Variirung  der  Be- 
dingungen beraubte.     Empirisch  soll  natürlich  die  Methodik  der 
Geisteswissenschaften  ebenso  gut  wie  die  der  Naturforschung  in  dem 
Sinne   sein,   dass  sie  in  erster  Linie   auf  eine  FeststeUung  der  Er- 
fahrungsthatsachen  und  in  zweiter  auf  eine  Verknüpfung  derselben 
unter  einander  ausgeht,   wobei  die  letztere  unserem  logischen  Er- 
klarungsbedürfnisse  genügen  soll,  ohne  dass  etwas  zu  den  Thatsachen 
hinzugefügt  wird,  was  in  diesem  Bedürfniss  keine  zureichende  Recht- 
fertigung findet.   Die  Art  aber,  wie  diese  empirische  Methode  anzu- 
wenden ist,  muss  sich  selbstverständlich  nach  der  Beschaffenheit  der 
Gegenstände   richten.     Nun   gibt   es   in   dem   ganzen  Umfang   der 
Geisteswissenschaften  nur  ein  Gebiet,  das  innerhalb  gewisser  Grenzen 
einer   planmässigen   experimentellen   Einwirkung   im   Interesse   der 
Untersuchung   zugänglich    ist:    das    individuelle    Seelenleben.      Die 
Geschichte,  geschichtliche  Erzeugnisse  und  Zustände  müssen  wir  hin- 
nehmen so  wie  sie  sind:  wir  können  sie  in  ihrer  Entstehungsweise 
und  in  ihrem  gegenwärtigen  Bestand  analysiren,  und  wir  können 
die  Bedeutung  innerer  und  äusserer  thatsächlicher  Bedingungen  für 
ihre  Entstehung   festzustellen  suchen;   aber  wir  können  in  keiner 
Weise  die  Bedingungen  selbst   im  Interesse  unserer  Untersuchung 
verändern.     Es  ist  darum  bezeichnend,  dass,  wo  man  bei  Gesetzen, 
Staatsverfassungen  u.  dergl.   gelegentlich   von   Experimenten   redet, 
dies  in   der  Regel  in  einem  missbilligenden  Sinne  geschieht,   weil 
wir  eben  der  Ueberzeugung  sind,  dass  sich  das  geschichtliche  Leben 
mit  allen  seinen  Erzeugnissen  aus  seinen  eigenen  Bedingungen  heraus 
entwickeln  müsse  und  darin  nicht  durch  Eingriffe,  die  nicht  in  jener 
Entwickelung  selbst  begründet  sind,  gestört  werden  solle.     Wenn 
wir  darum  allenfalls  ein  politisches  Experiment  durch  das  praktische 
Interesse,   aus  dem  es  entstanden  ist,   gerechtfertigt  finden  mögen, 
als  blosses  Mittel  unsere  theoretische  Wissbegierde   zu  befriedigen 
würden  wir  es  stets  verwerfen. 

Mit  der  Sammlung  und  Vergleichung  der  Thatsachen  ist  nun 
aber  auf  dem  Gebiet  der  Geistes-  ebenso  wenig  wie  auf  dem  der 


Yerhältniüs  za  den  naturwissenschaftlichen  Methoden.  55 

Naturwissenschaften  alles  getban,  sondern  hier  wie  dort  müssen  von 
Anfang  an  bestimmte  Grundlagen  vorhanden  sein,  die  als  mass* 
gebend  für  die  Beurtheilung  und  Verknüpfung  der  Thatsachen  gelten. 
In  der  Naturwissenschaft  hat  seit  lange  die  Mechanik  die  Bedeu- 
tung einer  solchen  grundlegenden  Disciplin  errungen.  Dass  für  die 
Geisteswissenschaften  die  Psychologie  die  ähnliche  Stellung  einzu- 
nehmen habe,  kann  nach  deren  Aufgabe  nicht  zweifelhaft  sein,  ja 
darf  an  und  für  sich  für  weit  gesicherter  gelten  als  die  entsprechende 
Beziehung  der  Mechanik  zur  Physik,  Chemie  und  Biologie.  In  beiden 
Fällen  beruht  nämlich  diese  Stellung  auf  der  Anerkennung  der  für 
die  verschiedenen  Wissensgebiete  massgebenden  heuristischen  Prin- 
cipien.  Hier  haben  nun  aber  die  für  die  Naturwissenschaften  gel- 
tenden Principien  dieser  Art,  insbesondere  das  Princip  der  Anschau- 
lichkeit und  der  Einfachheit,  von  Anfang  an  einen  einigermassen 
hypothetischen  Charakter,  wie  dies  aus  den  allgemeinen  Bedingungen 
der  Naturerkenntniss  leicht  erklärlich  ist  und  namentlich  in  der 
hypothetischen  Beschaffenheit  der  letzten  Voraussetzungen  über  das 
Substrat  der  Naturvorgänge,  die  der  Forderung  der  Reduction  auf 
Mechanik  auf  das  engste  angepasst  sind,  seinen  Ausdruck  findet. 
Ganz  anders  verhält  es  sich  mit  den  heuristischen  Principien  der 
Geisteswissenschaften.  Dass  wir  die  geistigen  Vorgänge  ausser  uns 
nach  unseren  eigenen  inneren  Erlebnissen  beurtheilen  müssen,  kann 
an  und  für  sich  niemals  zweifelhaft  sein;  ebenso  entspricht  die 
Annahme  des  Einflusses  der  geistigen  Umgebung  und  die  Natur- 
bedingtheit alles  geistigen  Lebens  unseren  geläufigsten  Erfahrungen, 
Darum  bewegt  sich  ja  auch  hier  aller  Streit  der  Meinungen  im 
Grunde  nicht  um  die  Gültigkeit  der  Principien  an  sich,  sondern  um 
den  relativen  Werth  der  einzelnen  und  höchstens  noch  um  die  Frage, 
ob  nicht  eines  derselben  auch  für  die  andern  bestimmend  sei,  ein 
Gesichtspunkt  der  namentlich  bei  dem  Princip  des  Natureinflusses 
geltend  gemacht  wurde.  Wenn  demnach  die  Naturwissenschaft  in 
der  hohen  Ausbildung  ihrer  Orundwissenschaft,  der  Mechanik,  einen 
Vortheil  vor  den  Geisteswissenschaften  voraushat,  so  besitzen  dagegen 
diese  wieder  den  Vorzug,  dass  sie  der  gioindlegenden  Bedeutung  der 
psychologischen  Principien  sehr  viel  sicherer  sein  können.  Diese 
Bedeutung  spricht  sich  schon  darin  aus,  dass  nicht  nur  die  allgemeine 
Unterscheidung  der  Geisteswissenschaften  und  ihre  Gliederung  in 
Terschiedene  Gebiete,  sondern  auch  die  Untersuchung  im  einzelnen 
durchaus  von  psychologischen  Erwägungen  geleitet  wird.  Auf  diese 
Weise  bildet  die  psychologische  Analyse  und  Abstraction  ein 


56  Allgemeine  Grondlagen  der  Geisteswissenschaften. 

fundamentales  Hülfsmittel  der  Geisteswissenschaften,  das  die  Anwen- 
dung der  vergleichenden  Methode  überall  regelt,  indem  es  theils 
dieser  ihre  Richtung  anweist  theils  zur  Interpretation  ihrer  Ergeb- 
nisse überführt. 

Vollzieht  sich  die  vergleichende  Methode  im  wesentlichen 
innerhalb  der  Geisteswissenschaften  in  einer  dem  gleichbenannten 
naturwissenschaftlichen  Verfahren  ähnlichen  Weise,  nur  modificirt 
durch  die  eigenthümliche  Verschiedenheit  der  üntersuchungsobjecte, 
und  findet  die  psychologische  Analyse  und  Abstractiou  in  der  An- 
wendung der  mechanischen  Abstractionen  und  Analysen  auf  die 
einzelnen  naturwissenschaftlichen  Gebiete  wenigstens  ein  Analogon, 
so  treten  uns  nun  aber  schliesslich  in  der  Kritik  und  Interpre- 
tation zwei  complexe  Methoden  entgegen,  die  man  als  die  specifisch 
geisteswissenschaftlichen  bezeichnen  könnte.  Wohl  reden  wir  auch 
von  einer  Eü-itik  naturwissenschaftlicher  Ergebnisse  und  Methoden 
oder  auch  nach  dem  Vorbilde  Bacons  von  einer  «Interpretatio 
naturae''.  Aber  im  ersten  dieser  Fälle  behandelt  die  Kritik  jene 
Ergebnisse  und  Methoden  im  Sinne  von  geistigen  Erzeugnissen  be- 
stimmter Forscher  oder  des  intellectuellen  Entwicklungsganges  der 
Wissenschaft;  und  im  zweiten  ist  der  Ausdruck  Interpretation  eigent- 
lich nur  ein  bildlicher.  Die  Erklärung  ist  der  allgemeinere  Begriff: 
sie  kann  auf  jeden  beliebigen,  auch  auf  einen  an  sich  selbst  nicht- 
geistigen Inhalt  Anwendung  finden  und  wird  daher  vorzugsweise  in 
diesem  Sinne  gebraucht.  Nur  wo  ein  geistiger  Inhalt  erklärt  werden 
soll,  da  wird  die  Erklärung  zur  Interpretation  oder  Auslegung.  Der 
Dolmetscher,  Ausleger  oder  Interprete  substituirt  nicht  erst,  wie  der 
Erklärer  thun  kann  und  in  der  Regel  thut,  dem  natürlichen  Zu- 
sammenhang einen  logischen,  der  mindestens  nicht  mit  jenem  identisch 
ist,  sondern  er  will  möglichst  unverändert  einen  an  und  für  sich 
schon  vorhandenen  geistigen  Zusammenhang  verdeutlichen  oder,  wo 
er  verloren  gegangen  ist,  wiedererwecken.  Eben  darum  redet  Bacon 
bildlich  von  einer  Interpretation  der  Natur:  sie  soll  nach  ihm  nur 
den  Zusammenhang  der  Natur  selbst  wiedergeben,  nicht  fremde 
Ideen  in  sie  hineinlegen.  Diese  Aufgabe  aber  ist  eben  für  die  Natur- 
wissenschaft im  eigentlichen  Sinne  unlösbar,  wie  aus  der  hypotheti- 
schen Beschaffenheit  ihrer  allgemeinsten  Voraussetzungen  ohne  wei- 
teres hervorgeht.  In  den  Geisteswissenschaften  dagegen  kann  sie 
wenigstens  als  ideale  Aufgabe  festgehalten  werden,  deren  Lösung 
man  hoffen  darf  näher  und  näher  zu  kommen,  weil  ihr  hier  wesent- 
liche innere  Hindernisse  nicht  im  Wege  stehen. 


Verhältnisfl  zu  den  naturwiBsenschaftlicben  Methoden.  57 

Hiernach  ist  der  Reichtfaum  der  Geisteswissenschaften  an  logi- 
schen Hülfsmitteln  kein  geringer.  Die  psychologische  Abstraction 
and  Analyse  ist  unter  allen  umständen  anwendbar ;  denn  sie  fordert 
nicht,  wie  die  Reduction  der  Naturerscheinungen  auf  Mechanik,  eine 
relativ  umfassende  Eenntniss  des  Zusammenhangs  der  Erscheinungen. 
Ferner  ist  die  Durchbildung  der  vergleichenden  Methode,  aus  deren 
Anwendung  wieder  Kritik  und  Interpretation  entspringen,  hier  eine 
ungleich  grössere  als  in  der  Naturforschung,  deren  Erfolge  fast  aus- 
schliesslich auf  dem  Experimente  beruhen.  Eine  zureichende  Kennt- 
niss  der  logischen  Verfahrungsweisen,  die  der  vergleichenden  Methode 
zur  Verfügung  stehen,  lässt  sich  daher  allein  aus  dem  Studium  der 
Geisteswissenschaften  gewinnen.  Die  Methodik  der  letzteren  ver- 
dankt aber  diese  Vollkommenheit  wiederum  der  EigenthQmlichkeit 
des  psychologischen  Causalprincips ,  das,  indem  es  den  Reichthum 
und  die  Yielgestaltigkeit  der  Oeistesschöpfungen  begründet,  zugleich 
die  Beziehungen  vermehrt,  die  der  Vergleichung  als  Anknüpfungs- 
pmikte  dienen  können.  Diese  Vielseitigkeit  der  Beziehungen  ver- 
leibt den  Vermuthungen  und  Gedankenverbindungen,  die  überall  der 
eigentlichen  Untersuchung  den  Weg  bahnen,  eine  grosse  Beweglich- 
keit und  Fruchtbarkeit,  ein  Umstand  der  bei  Naturforschem  zu- 
weilen der  Ansicht  Vorschub  leistet,  in  den  Geisteswissenschaften 
herrsche  überhaupt  weniger  eine  klar  bewusste  Methodik  als  eine  Art 
instinktiver  Intuition.  Diese  Meinung  ist  aber  irrig.  Das  Glück  des 
bstinktes  ist  in  den  Geisteswissenschaften  ebenso  wenig  ausreichend 
wie  in  der  Naturforschung,  und  es  ist  in  dieser,  wie  die  Beispiele 
eines  Kepler  oder  Faraday  zeigen,  nicht  minder  fruchtbar  wie 
dort.  Je  verwickelter  und  vielseitiger  die  Thatsachen  werden,  um 
80  wichtiger  wird  es  freilich,  dass  rascher  Ueberblick  und  reiche 
Combinationsfahigkeit  von  Anfang  an  das  richtige  Ziel  ins  Auge 
fassen,  während  auf  exactem  Gebiete  die  zu  jenen  Eigenschaften 
in  einem  gewissen  Gegensatze  stehende  Kraft  der  Abstraction  das 
mächtigste  Werkzeug  glücklicher  Entdeckungen  zu  sein  pflegt. 

b.    Die  psychologische  Analyse  und  Abstraction. 

Wo  immer  geistige  Vorgänge  oder  Objecte,  die  wir  auf  solche 
zarQckfQhren ,  der  Untersuchimg  gegeben  sind,  da  hat  diese  noth- 
wendig  zunächst  die  Aufgabe,  festzustellen  inwiefern  ihrem  Gegen- 
stande wirklich  ein  geistiger  Inhalt  zukommt,  und  welche  allge- 
meinen Merkmale  ihm  eigenthümlich  sind.     Diese  Aufgabe  ist  eine 


58  Allgemeine  Grundlagen  der  Greisteswiasenachaften. 

psychologische :  sie  setzt  eine  von  psychologischen  Begriffen  geleitete 
Analyse  der  Erscheinungen  und  eine  Abstraction  von  denjenigen 
physischen  Bestandtheilen  derselben  voraus,  denen  vermöge  ihrer 
Beschaffenheit  weder  unmittelbai'  noch  mittelbar  eine  geistige  Be- 
deutung zugeschrieben  werden  kann.  Eine  solche  Untersuchung 
stellt  überall  erst  fest,  dass  der  Gegenstand  in  den  Umkreis  der 
Geisteswissenschaften  gehört;  und  die  unmittelbar  daran  geknüpfte 
Bestimmung  der  ihm  eigenthümlichen  psychologischen  Merkmale 
pflegt  ihn  dann  auch  sofort  dem  ihm  adäquaten  Gebiet  dieser  Wissen- 
schaften einzuordnen. 

In  diesem  ihrem  ersten  Stadium  kommt  nun  allerdings  der 
Untersuchung  in  der  Hegel  der  Umstand  zu  statten,  dass  die  geistigen 
Vorgänge  und  die  geistigen  Erzeugnisse  so  augenfällig  als  solche 
gekennzeichnet  und  schon  in  der  äusseren  Erscheinung  mit  dem 
Gebiet  zu  dem  sie  gehören  verbunden  sind,  dass  jene  psychologische 
Analyse  und  Abstraction  im  allgemeinen  bereits  dem  vorwissenschaft- 
lichen Denken  angehört,  so  dass  meist  ohne  nähere  Motivirung 
irgend  ein  neu  auftretendes  Problem  einer  bestimmten  einzelnen 
Geisteswissenschaft  zugewiesen  wird.  Aber  in  schwierigeren  Fällen 
ist  doch  eine  solche,  die  specielle  Zuordnung  des  einzelnen  Objectes 
vermittelnde  Untersuchung  unerlässlich.  So  ist  in  manchen  Fällen 
ein  Streit  darüber  entstanden,  ob  gewisse  an  einigen  Orten  im 
Diluvialsand  gefundene,  anscheinend  künstlich  bearbeitete  Steine 
wirklich  Producte  einer  frühen  menschlichen  Gultur  oder  zufallige 
Naturproducte  seien.  Ebenso  ist  es  eine  bei  vielen  Gelegenheiten 
von  den  Historikern  erörterte  Frage,  ob  gewisse  Ueberlieferungen 
ganz  oder  theilweise  als  historische  Zeugnisse  oder  aber  als  Mythen- 
bildungen anzusehen,  ob  sie  also  der  Geschichte  oder  der  Mythologie 
zuzurechnen  seien.  In  allen  solchen  Fällen  sind  die  entscheiden- 
den Kriterien,  welche  die  Einordnung  des  Gegenstandes  bestimmen, 
schliesslich  psychologischer  Art,  wenn  auch  natürlich  andere  Beur- 
theilungsmomente,  z.  B.  sonstige  historische  Zeugnisse  oder  im  zweiten 
der  obigen  Beispiele  der  Zusammenhang  mit  andern  Mythenbildungen, 
eine  entscheidende  Bolle  spielen  können.  Gleichwohl  bleiben  diese 
Momente  nur  Hülfsmittel,  welche  die  psychologische  Analyse  unter- 
stützen. Denn  ob  z.  B.  einem  vorgeblichen  Steinwerkzeug  seine 
Form  durch  die  Kunstfertigkeit  eines  primitiven  Menschen  möglicher 
oder  wahrscheinlicher  Weise  gegeben  wurde,  das  vermögen  wir  nur 
zu  beurtheilen,  indem  wir  uns  in  die  Bedür&isse  und  in  die  Fällig- 
keiten eines  solchen  zu  versetzen  suchen.     Und  ob  eine  Ueberliefe- 


Psychologische  Analyse  und  Abstraction.  59 

niDg  mythisch  sei,  darüber  entscheiden  zu  einem  wesentlichen  Theile 
die  Gesetze  der  mythenbildenden  Phantasicthätigkeit. 

Aber  noch  in  einer  andern  Weise  bestimmt  die  psychologische 
Analyse  der  Erscheinungen  schon  die  erste  Ordnung  der  Wissens- 
objecte.  Auch  ftir  die  Geisteswissenschaften  ist  der  Gesichtspunkt 
massgebend,  dass  im  allgemeinen  die  Gegenstände  nicht  von  selbst 
in  bestimmte,  durch  die  ihnen  objectiv  zukommenden  Merkmale  fest 
charakterisirte  Ghruppen  aus  einander  treten,  sondern  dass  es  der 
Standpunkt  des  Betrachtenden  und  namentlich  die  von  ihm  her- 
rührende Einfahrung  verschiedener  Gesichtspunkte  der  Betrachtung 
ist,  die  einen  und  denselben  Gegenstand  an  ganz  verschiedenen  Orten 
und  zu  verschiedenen  Zwecken  der  Untersuchung  überliefert.  So 
kann  eine  Sage  als  Zeugniss  für  frühe  Culturzustände  ein  histori- 
sches, durch  den  Zusammenhang  mit  dem  Mythus  ein  mythologisches 
und  endlich  durch  die  sprachliche  Bedeutung  bestimmter  in  ihr  vor- 
kommender Namen  ein  sprachgeschichtlich-etymologisches  Document 
sein.  Ein  Bechtsinstitut  kann  bald  unter  dem  Gesichtspunkt  der 
socialen  und  wirthschaftlichen  Verhältnisse  die  es  voraussetzt,  bald 
unter  dem  der  Verfassungsverhältnisse,  bald  endlich  im  Zusammen- 
bang mit  der  allgemeinen  Rechtsentwicklung  betrachtet  und  so  gleich- 
zeitig in  der  Wirthschafts-  und  der  Culturgeschichte,  der  historischen 
Nationalökonomie,  der  politischen  und  der  Rechtsgeschichte,  und  in 
jedem  dieser  Gebiete  wieder  zum  Theil  von  andern  Gesichtspunkten 
ans  in  Betracht  gezogen  werden.  Ein  jeder  derartige  Gesichtspunkt 
repiäsentirt  aber  ein  Ergebniss  psychologischer  Abstraction,  das  eine 
psychologische  Analyse  der  complexen  Erscheinung  voraussetzt,  auf 
Grund  deren  die  wechselnde  Zuordnung  der  Erscheinung  zu  andern^ 
in  ahnlicher  Weise  mittelst  der  Analyse  gewonnenen  Theilphänomenen 
rotgenommen  wird. 

Ueber  alle  diese  Gebietstheilungen  erstreckt  sich  nun  diejenige 
Unterscheidung,  die  in  der  Reflexion  über  jene  Vorgänge,  zu  denen 
psychologische  Analyse  und  Abstraction  selbst  gehören,  ihre  Quelle 
hat  Wo  immer  in  den  speciellen  Geisteswissenschaften  diese  psycho- 
logischen Hülfsmittel  zur  Anwendung  kommen,  da  geschieht  solches 
in  der  Absicht,  den  geistigen  Gehalt  bestimmter  Thatsachengruppen 
tfaeils  an  und  fOr  sich  theils  in  seiner  Beziehimg  zu  bestimmten 
Naturbedingungen  zu  erforschen.  Aus  diesen  mannigfachen  An- 
wendungen entsteht  dann  allmählich  die  Forderung,  die  geistigen 
Erscheinungen  überhaupt  ohne  Rücksicht  auf  die  besonderen  Fälle 
ihres  Vorkommens  nach  ihren  allgemeinen  Eigenschaften  zu  unter- 


(30  Allgemeine  Grandlagen  der  Oeisteswissenschaften. 

suchen.  So  wird  es  begreiflich,  dass  die  Psychologie,  obgleich 
ihrer  Aufgabe  nach  die  Grundlage  der  Geisteswissenschaften,  doch 
spät  erst  aus  den  in  diesen  vorhandenen  einzelnen  Anwendungen  als 
eine  ihnen  gleichgeordnete  empirische  Wissenschaft  entstanden  ist. 
An  die  mehr  auf  Grund  einer  vorläufigen  als  einer  planmässig 
ausgeführten  psychologischen  Analyse  entstandene  Gebietstheilung 
der  Geisteswissenschaften  schliesst  sich  dann  jene  tiefer  eindringende 
Bethätigung  dieser  Methode,  die  sich  die  Untersuchung  der  ein- 
zelnen Probleme  mit  Rücksicht  auf  ihre  ursächlichen  Bedingungen 
und  Zusammenhänge  zum  Ziel  setzt.  So  tritt  zunächst  die  Psycho- 
logie selbst  ihren  eigenen  Objecten  vor  allen  Dingen  mit  der  Ab- 
sicht gegenüber,  den  complexen  Thatbestand  des  Einzelbewusstseins 
in  seine  Bestandtheile  zu  zerlegen,  um  dann  die  functionellen  Be- 
ziehungen der  Elemente  zu  einander  festzustellen.  Dann  wendet  sie 
sich  in  erweiterter  Betrachtung  solchen  psychischen  Erscheinungen 
zu,  die  als  Erzeugnisse  des  Zusammenlebens  der  Einzelnen  entstehen, 
wie  Sprache,  Mythus,  Sitte.  Indem  sie  diese  nur  mit  Rücksicht  auf 
die  in  ihnen  zur  Wirkung  gelangenden  psychischen  Thätigkeiten 
berücksichtigt,  unterscheiden  sich  auch  hier  ihre  Probleme  durchaus 
von  denen  der  historischen  Disciplinen,  in  deren  Gebiet  gleichfalls 
jene  Erscheinungen  des  gemeinsamen  Lebens  gehören.  Bei  allen 
diesen  Untersuchungen  folgt  die  Psychologie  der  Maxime,  dass  jeder 
Bestandtheil  des  psychischen  Geschehens  als  ein  fttr  sich  wirksames 
Element  desselben  angesehen  werden  dürfe ,  der  entweder  relativ 
unverändert  bleiben  könne,  während  die  andern  mit  ihm  verbundenen 
Inhalte  wechseln,  oder  der  umgekehrt  wechseln  könne,  während  die 
andern  constant  bleiben.  Diese  Maxime  wird  dann  auch  in  allen 
Untersuchungen  der  speciellen  Geisteswissenschaften  zum  Grundsatz 
der  Analyse.  Es  unterscheidet  sich  aber  dadurch  die  psychologische 
Analyse  und  Abstraction  wesentlich  von  den  entsprechenden  Ver- 
fahrungsweisen  der  Naturwissenschaft  und  speciell  von  den  Analysen 
und  Abstractionen  der  Mechanik.  Während  hier  von  gewissen 
Eigenschaften  der  Körper  oder  der  Bewegungsvorgänge  abgesehen 
wird,  die  wir  an  den  wirklichen  Körpern  und  bei  den  wirklichen  in 
der  Natur  vorkommenden  Bewegungen  immer  wahrnehmen,  isolirt 
die  psychologische  Analyse  The ilinh alte  des  Bewusstseins ,  deren 
jeden  sie  als  einen  unlösbaren  Zusammenhang  von  Eigenschafben 
festhält,  die  stets  an  einander  gebunden  und  daher  in  diesem  Sinne 
unanalysirbar  sind.  Die  Mechanik  verwandelt  ferner  mit  Hülfe  ihrer 
Abstractionen  relative   in    absolute  Eigenschaften,   indem   sie    die 


Psjchologische  AnalyBe  und  Abstraction.  61 

Begriffe  des  starren  Körpers,  der  absolut  verschiebbaren  Flüssig- 
keit, der  absolut  geradlinigen  und  gleichförmigen  Bewegung  bildet. 
Die  Psychologie  dagegen  denkt  sich  jene  Theilinhalte,  wie  Gefühle, 
Vorstellungen,  Willensacte,  als  selbständige  Vorgänge,  denen  sie 
zwar  Beziehungen  zu  den  übrigen  Bestandtheilen,  dabei  aber  doch 
eine  für  sich  bestehende  Realität  zuschreibt.  Diese  Differenz  der 
beiden  Abstractionsweisen  hängt  mit  den  Grundunterschieden  des 
naturwissenschafÜichen  und  des  psychologischen  Erkennens  auf  das 
engste  zusammen.  Das  erstere  wird  von  den  Eigenschaften  der 
Baum-  und  Zeitanschauung  von  Anfang  an  geleitet  und  daher  ver- 
anlasst diese  in  abstract  begrifflicher  Form  erfassten  Eigenschaften 
auf  das  Substrat  der  Naturvorgänge  zu  übertragen.  Die  psycho- 
logische Erfahrung  muss  die  Bewusstseinsinhalte  als  ein  Gegebenes 
hinnehmen,  das  sie  zwar  in  Theile  zerlegen,  niemals  aber  auf  einen 
in  sich  homogenen  Begriff  zurückführen  kann,  aus  dessen  Modi- 
ficationen  dann  die  übrigen  empirischen  Bestandtheile  abzuleiten 
wären.  Dieser  Umstand  ist  es,  der  die  Psychologie  immer  und 
immer  wieder  veranlasst  hat,  im  Widerspruch  mit  ihrem  Erkenntniss- 
princip  und  ihrer  eigenthümlichen  Aufgabe,  eine  der  naturwissen- 
schaftlichen nachgeahmte  Abstractionsmethode  auch  auf  ihren  Gegen- 
stand zu  übertragen.  Dies  ist  im  allgemeinen  in  doppelter  Weise 
geschehen:  erstens  indem  man  die  einzelnen  durch  die  Analyse  ge- 
wonnenen Theilinhalte  unter  gewisse  Generalbegriffe  ordnete  und 
demnach  jede  Glasse  psychischer  Vorgänge  als  die  Wirkung  einer 
specifisch  eigenthümlichen  seelischen  Kraft  ansah,  die  mit  den  übrigen 
auf  ähnliche  Weise  gewonnenen  Kräften  nur  in  einer  äusseren 
Functionsbeziehung  stehe ;  und  zweitens  indem  man,  älinlich  wie  die 
Mechanik  die  Raumerfüllung  als  die  allen  andern  zu  Grunde  liegende 
Eigenschaft  der  Materie  betrachtet,  so  einen  jener  psychischen 
Theilvor^lnge  als  denjenigen  ansah,  der  alle  andern  hervorbringe 
oder  dieselben  doch  in  ihrer  Wirkungsweise  bestimme.  In  der  Regel 
verbanden  sich  sogar  diese  beiden  Voraussetzungen  mit  einander. 
Aas  dieser  Verbindung  ist  die  bis  in  die  neueste  Zeit  in  der  Psycho- 
logie und  in  den  Interpretationen  der  speciellen  Geisteswissenschaften 
noch  gegenwärtig  vorherrschende  intellectualistische  Auffassung 
des  geistigen  Lebens  hervorgegangen.  Die  specielle  Ausbildung,  die 
gerade  die  intellectuellen  Processe  in  der  logischen  Technik  des 
Denkens  gefunden  haben,  begünstigte  diese  Einseitigkeit,  und  sie 
bewirkte,  dass  die  psychologische  und  die  erkenntnisstheoretische 
Analyse  der  Thatsachen,  die  nachträglichen  Reflexionen  des  wissen- 


(32  Allgemeine  Grundlagen  der  GeiBieswifieenschafben. 

schaftlichen  Beobachters  und  die  psychischen  Motive  der  Erschei- 
nungen selbst  häufig  in  ein  unentwirrbares  Gemenge  zusammen- 
flössen. Falsche  psychologische  Abstraction  und  einseitig  beschränkte 
Anwendung  des  Princips  der  subjectiven  Beurtheilung  unterstützen 
sich  hier,  um  die  objective  Auffassung  der  Thatsachen  durch  eine 
subjective  und  sogar  durch  eine  bloss  auf  eine  Richtung  subjectiver 
Thätigkeit  beschränkte  Auffassung  zu  ersetzen.  Die  teleologische 
und  die  causale  Interpretation  der  Erscheinungen  sind  beide  geeignet, 
eine  solche  Umwandlung  der  für  die  Beurtheilung  unerlässlichen 
logischen  Principien  in  eine  den  Objecten  selbst  immanente  Logik 
zu  unterstützen.  Der  Fehler  selbst  ist  aber  in  diesem  Fall  um  so 
schwieriger  zu  überwinden,  weil  die  logischen  Vorgänge,  wenn  auch 
nicht  in  der  abstracten  Form,  in  der  wir  sie  der  Ableitung  der 
logischen  Normen  zu  Grunde  legen,  doch  immerhin  in  einer  alle 
andern  psychischen  Elemente  durchdringenden  concreten  Bethätigung 
wirklich  zu  den  Grundbestandtheilen  des  seelischen  Lebens  gehören, 
so  dass  die  intellectualistische  Auffassung  nicht  absolut  unrichtig, 
sondern  eben  nur  partiell  richtig  ist,  und  es  daher  an  scheinbar 
triftigen  Bestätigungen  derselben  nicht  fehlen  kann. 

Gerade  dies  ist  nun  ein  Punkt,  wo  die  aus  einer  sorgsameren 
Analyse  der  psychischen  Vorgänge  erwachsenen  Anschauungen  der 
neueren  Psychologie  den  speciellen  Geisteswissenschaften  weniger 
durch  einzelne  Methoden  als  durch  ihren  gesammten  Inhalt  forder- 
lich werden  können.  Die  hier  gestellte  Aufgabe  ist  freilich  um  so 
schwieriger,  je  mehr  jene  logisirende  Tendenz  der  natürlichen  Eigen- 
schaft des  Beurtheilers  einer  Erscheinung  entspricht,  nicht  nur  seine 
Subjectivität  überhaupt,  sondern  auch  das  besondere  Stadium  der 
Reflexion,  in  dem  er  sich  bei  der  Untersuchung  befindet,  als  Mass- 
stab an  die  geistigen  Objecte  anzulegen.  Dem  kann  nur  die  imauf- 
hörliche  Vergegenwärtigung  der  Wahrheit  entgegenwirken,  dass  alle 
jene  Theilinhalte  des  Bewusstseins,  welche  die  psychologische  Analyse 
unterscheidet  und  zum  Zweck  der  wissenschaftlichen  Verständigung 
noth wendig  unterscheiden  muss,  nicht  real  getrennte  oder  auf  ein 
einziges  gleichartiges  Element  zurückführbare  Thatsachen,  sondern 
dass  sie  unauflöslich  an  einander  gebundene  Bestandtheile  unseres 
geistigen  Lebens  sind,  so  dass  irgend  ein  psychischer  Erfolg  nie- 
mals aus  einem  der  Theilinhalte  allein,  sondern  immer  nur  aus 
ihrer  aller  Verbindung  abgeleitet  werden  kann.  Jener  psychologi- 
schen Abstraction,  die  versuchsweise  aus  bloss  einem  Factor  des 
gesammten  psychischen  Thatbestandes  Folgerungen  zieht,  muss  da- 


Pajchologiache  Analyse  nnd  Abstraction.  68 

her  stets  zunächst  die  ähnliche  Betrachtung  der  übrigen  Factoren 
und  dann  die  Rücksichtnahme  auf  deren  wechselseitige  Beziehungen 
nachfolgen.  In  dieser  successiven  Behandlungäweise  trägt  erst  die 
psychologische  Analyse  ihre  Früchte.  Sie  vermeidet  den  Fehler  einer 
Umwandlung  der  Abstractionsproducte  in  reale  Vorgänge  dadurch, 
dass  sie  das  nämliche  Verfahren  auf  alle  Producte  der  abstrahiren- 
den  Zerlegung  anwendet  und  durch  die  nachfolgende  Synthese  die 
anfaDghche  Sonderung  wieder  aufhebt. 

Dagegen  gibt  es  in  der  Anwendung  der  psychologischen  Ana- 
lyse auf  specielle  Probleme  der  Geisteswissenschaften  eine  andere 
Schwierigkeit,  die  durch  eine  solche  Vervollständigung  und  üm- 
kehrung  des  analytischen  Verfahrens  nicht  beseitigt  wird.  Sie  be- 
steht in  dem  grossen  Spielraum  individueller  Anlagen  und  Gharakter- 
entwicklungen  des  Menschen.  Würde  doch  jeder  Beurtheiler  histori- 
scher Persönlichkeiten ,  auch  wenn  er  den  oben  gerügten  Fehler 
einseitiger  Abstraction  vermeiden  sollte,  immer  noch  leicht  irre 
gehen,  wenn  er  nur  das  eigene  subjective  Bewusstsein  zum  Masse 
jeder  fremden  Persönlichkeit  machen  wollte.  Zwar  gibt  es  für  ihn 
schliesslich  kein  anderes  Hülfsmittel  psychologischen  Verständnisses 
als  die  eigene  seelische  Erfahrung.  Aber  er  muss  es  zugleich  ver- 
stehen die  Stärke  der  verschiedenen  Elemente,  die  er  in  sich  selbst 
findet,  auf  das  mannigfachste  abgeändert  zu  denken  und  sich  so  das 
lebendige  innere  Anschauungsbild  einer  andern  Persönlichkeit  zu 
erzeugen,  die  durchaus  von  der  eigenen  verschieden  und  dieser  über- 
haupt nur  deshalb  verständlich  ist,  weil  es  eben  wegen  jenes  reichen 
Ineinanderspielens  seelischer  Kräfte,  die  mit  irgend  einer  einseitigen 
Ableitung  unverträglich  ist,  gar  keine  individuellen  Entwicklungen 
gibt,  zu  denen  nicht  in  irgend  einem  Grade  die  Anlagen  auch  in 
jedem  andern  Subjecte  vorhanden  wären.  Die  psychologische  Ana- 
lyse objectiver  geistiger  Vorgänge  und  geistiger  Erzeugnisse  fordert 
daher  neben  dem  Hinübertragen  des  eigenen  subjectiven  Bewusst- 
seins  stets  zugleich  ein  Umdenken  der  eigenen  Persönlichkeit 
nach  den  dem  Beobachter  entgegentretenden  äusseren  Merkmalen. 
Der  Ethnologe  und  der  Historiker  sollen  hier  die  ähnliche  Kunst 
txL  üben  wissen,  wie  sie  dem  grossen  Schauspieler  zu  Gebote  steht. 
der  sich  für  kurze  Zeit  mit  der  Rolle  die  er  spielt  eins  weiss,  so 
Terschieden  auch  an  sich  der  Charakter  dessen  sein  mag  den  er 
darstellt. 

Nun  ist  es  zweifellos,   dass  hier  ursprüngliche  Begabung  und 
glücklicher  Instinkt  schliesslich  das  beste  leisten  müssen,   und  dass 


(34  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

ohne  diese  Gaben  eine  auf  dem  vollen  Hineindenken  in  das  psy- 
chische Object  beruhende  psychologische  Analyse  nicht  möglich  ist. 
Aber  damit  ist  doch  nicht  gesagt,  dass  wissenschaftliche  Ueberlegung 
und  Uebung  nicht  im  Stande  sein  sollten,  auch  dieser  ümdenkung 
der  eigenen  Persönlichkeit  nach  gewissen  objectiv  gegebenen  Merk- 
malen wesentliche  Dienste  zu  leisten.  Das  würde  die  Aufgabe  einer 
praktischen  Psychologie,  speciell  einer  Charakterologie  sein,  die 
auf  der  Grimdlage  der  allgemeinen  theoretischen  Psychologie  die 
Grundformen  des  individuellen  Charakters  an  typischen  Beispielen 
zu  untersuchen  und  aus  der  Verbindung  und  Wechselwirkung  der 
psychischen  Elemente  abzuleiten  hätte.  Eine  solche  Charakterologie 
hat  schon  Bacon  als  eine  Art  Vorschule  der  Politik  und  Geschichte 
gefordert"").  Man  kann  leider  nicht  sagen,  dass  seit  Bacon  die 
Aufgabe  wesentliche  Fortschritte  gemacht  hätte.  Aber  man  darf 
wohl  voraussagen,  dass  einer  Lösung  derselben  vor  allem  die 
Ueberwindung  der  metaphysischen  und  der  einseitig  intellectualisti- 
schen  Richtungen  der  Psychologie  sowie  nicht  minder  die  Vervoll- 
kommnung der  psychologischen  Analyse  überhaupt  zu  statten 
kommen  wird. 


c.   Die  vergleichende  Methode. 

Die  vergleichende  Methode  bildet  denjenigen  Bestandtheil  der 
Methodik  der  Geisteswissenschaften,  in  welchem  diese  am  meisten 
mit  den  entsprechenden  Verfahrungsweisen  der  Naturforschung  über- 
einstimmen. Begreiflich  daher,  dass  wo  immer  man  den  Versuch 
gemacht  hat,  gemeinsame  Forschungsprincipien  für  alle  Wissens- 
gebiete aufzustellen,  die  vergleichende  Methode  den  geeigneten  Stoff 
für  solche  Verallgemeinerungen  darbot.  In  diesem  Sinne  hat  sie 
von  Bacon  an  bis  auf  John  Stuart  Mill  die  Grundlage   für  die 


*)  Bacon,  De  dignitate  et  augmentis  scient.,  VII,  3.  Auch  J.  St.  Mill 
legt  grossen  Werth  auf  eine  derartige  angewandte  Psychologie,  die  er  als 
, Ethologie*  bezeichnet  und  freilich  wohl  etwas  einseitig  als  eine  streng  deductive, 
überall  das  Einzelne  aus  allgemeinen  psychologischen  Gesetzen  ableitende  Dia- 
ciplin  auffasst  (Logik,  II,  Buch  VI,  Cap.  V).  Manche  Beiträge  zu  diesem  Gebiet 
lieferte  die  deutsche  «Erfahrungsseelenkunde*  des  vorigen  Jahrhunderts;  sie 
werden  aber  durch  die  Mängel  der  psychologischen  Grundanschauungen  ent- 
werthet  und  sind  daher  nicht  ganz  mit  Unrecht  fast  völlig  der  Vergessenheit 
anheimgefallen. 


Vergleichende  Methode.  65 

allgemeine  Theorie  der  Induction  gebildet.  Dabei  wird  aber  über- 
sehen, dass  sie  an  und  für  sich  nur  ein  Hülfsverfahren  der  Induction 
ist,  dem  in  der  Naturwissenschaft  die  experimentellen  Methoden  und 
die  Bildung  von  Hypothesen  auf  6rund  allgemeiner  Voraussetzungen, 
namentlich  auf  Orund  der  mechanischen  Principien,  zur  Seite  treten, 
während  in  den  Geisteswissenschaften  psychologische  Analyse  und 
Abstraction  stets  mit  der  Vergleichung  Hand  in  Hand  gehen.  Bilden 
dort  alle  jene  Bestandtheile  zusammen  das,  was  wir  eine  natur- 
wissenschaftliche Induction  nennen,  so  setzen  sich  hier  aus  der 
psychologischen  Analyse  und  dem  vergleichenden  Verfahren  erst  die- 
jenigen Methoden  zusammen,  die  den  Geisteswissenschaften  in  logi- 
scher Hinsicht  ihr  charakteristisches  Gepräge  verleihen:  die  Kritik 
und  die  Interpretation. 

Die  logischen  Normen,  auf  welche  die  vergleichende  Methode 
zurückführt,  sind  hier  die  nämlichen  wie  in  der  Naturforschung;  sie 
bestehen  in  der  Feststellung  von  üebereinstimmungen  und  Unter- 
schieden, wobei  die  letzteren  wieder  entweder  in  Merkmalen  bestehen 
können,  die  in  gewissen  Fällen  vorhanden  sind  und  in  andern  mangeln, 
oder  aber  in  Gradabstufungen  d.  h.  in  solchen  Unterschieden,  die 
nicht  bloss  qualitativer  sondern  zugleich  quantitativer  Art  sind.  (Vgl. 
Bd.  n,  1,  Abschn.  HI,  S.  339  S.)  Ebenso  kehren  die  beiden  Grund- 
fonnen  der  individuellen  und  der  generischen  Vergleichung 
in  wesentlich  unveränderter  Weise  wieder.  Nicht  auf  diesen  der  ver- 
gleichenden Methode  an  und  für  sich  zukommenden  Normen,  sondern 
auf  den  besonderen  Bedingungen  denen  sie  begegnen  beruhen  da- 
her die  Eigenthümlichkeiten  ihrer  Anwendung.  Die  Objecte  der 
naturwissenschaftlichen  Vergleichung  sind  vor  allem  Gegenstände, 
erst  in  zweiter  Linie  Vorgänge  die  an  Gegenständen  beobachtet 
werden.  Darum  spielt  die  vergleichende  Methode  ihre  Hauptrolle 
in  den  descriptiven  Zweigen  der  Naturforschung.  Wo  es  sich 
dagegen  um  die  Erklärung  der  Erscheinungen  durch  den  Nachweis 
ihres  causalen  Zusammenhangs  handelt,  da  wird  wo  irgend  möglich 
das  Experiment  zu  Hülfe  gerufen.  Die  blosse  Vergleichung  der 
Beobachtungen  kann  hier  überhaupt  nur  in  den  einfachsten  Fällen, 
wie  im  Gebiet  der  Astronomie,  zu  einer  Theorie  der  Erscheinungen 
gelangen;  und  auch  dann  gelingt  dies  nur  dadurch,  dass  sich  eine 
solche  Theorie  auf  physikalische  Thatsachen  stützen  kann,  die  der 
experimentellen  Beobachtung  zugänglich  sind  (Abschn.  HI,  S.  340). 
Die  Objecte  der  Geisteswissenschaften  dagegen,  die  der  vergleichen- 
den Methode    unterworfen   werden,    sind   in  letzter   Instanz   immer 

Wandt,  Logik.  11,8.  2.  Aufl.  5 


66  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

geistige  Vorgänge,  Gegenstände  nur  insofern  als  diese  die  Er- 
zeugnisse geistiger  Vorgänge  sind,  so  dass  der  eigentliche  Endzweck 
des  Verfahrens  nie  auf  die  Gegenstände  als  solche,  sondern  auf  die 
zu  ihrer  Hervorbringung  erforderlichen  Vorgänge  gerichtet  ist. 
Wenn  z.  B.  zwei  Denkmäler,  die  sich  auf  ein  und  dasselbe  Ereigniss 
beziehen  oder  muthmasslich  aus  der  nämlichen  Zeit  herrühren,  oder 
wenn  zwei  Handschriften,  die  den  nämlichen  Text  überliefern,  die 
Gegenstände  der  Untersuchung  des  Philologen  oder  Historikers  bilden, 
so  sind  es  nur  die  in  diesen  Objecten  verkörperten  geistigen  Leistungen, 
die  das  Interesse  erregen.  Weist  etwa  die  Gestalt  der  Schriftzüge 
auf  verschiedene  Jahrhunderte  der  Abfassung  hin,  verräth  sich  in 
einzelnen  Merkmalen  die  Abhängigkeit  von  einer  älteren  Vorlage 
oder  das  unzureichende  Verständniss  des  Abschreibers  u.  dergl. ,  so 
ist  hier  offenbar  der  Gegenstand  überall  nur  das  Mittel,  aus  dem 
wir  auf  die  Leistungen  eines  Urhebers  zurückschliessen,  und  nur 
diese  Leistungen  selbst  bilden  den  eigentlichen  Inhalt  der  Unter- 
suchung, mag  diese  nun  ein  für  sich  selbst  bestehender  Zweck  sein 
oder,  wie  in  den  angeführten  Beispielen,  ihrerseits  nur  als  Mittel  zu 
weiter  zurückliegenden  Zwecken  dienen.  Auch  diese  tragen  dann 
immer  und  im  allgemeinen  um  so  mehr,  je  näher  sie  an  die  end- 
gültigen Probleme  der  Geisteswissenschaften  heranreichen,  das  Ge- 
präge des  Actuellen,  in  einem  Ereigniss  oder  einer  zusammen- 
hängenden Reihe  von  Ereignissen  sich  vollziehenden,  nicht  des 
Gegenständlichen  an  sich.  Denn  das  geistige  Leben  in  seinen 
mannigfachen  Gestaltungsformen  ist  eben  nicht  ein  ruhendes  Sein, 
als  welches  die  Natur  wenigstens  in  vielen  ihrer  Bildungen  erscheint, 
sondern  ein  unablässiges  Werden  und  Geschehen,  so  dass  jene  für 
die  Aussenwelt  in  einem  weiten  Umfang  zutreffende  Abstraction 
eines  Beharrenden  hier  auch  nicht  für  einen  Augenblick  festgehalten 
werden  kann. 

Mit  dieser  ersten  hängt  eine  zweite  Eigenthümlichkeit  auf  das 
engste  zusammen.  Sie  besteht  darin,  dass  die  individuelle  Ver- 
gleichung  in  diesem  Fall  durchaus  nicht  bloss  ein  die  umfassendere 
generische  Methode  vorbereitendes  und  einleitendes  Verfahren  ist, 
sondern  dass  sie  stets  einen  selbständigen  Werth  und  nicht  selten 
eine  endgültige  Bedeutung  hat.  Diese  Bevorzugung  der  indivi- 
duellen Vergleichung  liegt  darin  begründet,  dass  die  geistigen  Vor- 
gänge und  Leistungen,  mögen  sie  nun  einen  allgemeinen  Charakter 
besitzen ,  wie  Sprachen ,  Staatenbildungen ,  Wirthschaftszustande, 
Rechtsanschauungen,   oder  mögen   sie   individuellster  Art  sein,    wie 


Vergleichende  Methode.  67 

Handlungen  Einzelner,  Kunstschöpfungen,  wissenschaftliche  Arbeiten, 
Qberall  Erzeugnisse  einer  geschichtlichen  Entwicklung  sind.  Die 
Erzeugnisse  der  Geschichte  haben  aber  durchweg  eine  singulare 
Bedeutung,  das  heisst:  mag  eine  einzelne  Thatsache  auch  noch 
so  sehr  einer  andern  in  ihrer  eigenen  Beschaffenheit  wie  in  den 
Bedingungen  aus  denen  sie  hervorging  ähnlich  sein,  identisch  sind 
niemals  zwei  geschichtliche  Vorgänge,  und  zwar  sind  sie  nicht 
bloss  in  gewissen  äusseren  und  unwesentlichen  Merkmalen  ver- 
schieden, sondern  jede  Thatsache  hat  ihre  selbständige  Bedeutung 
und  ihre  eigenen,  sie  von  jeder  andern  noch  so  ähnlichen  unter- 
scheidenden Werthbestimmungen.  Dies  ist  der  Punkt,  wo  sich  die 
Erzeugnisse  der  geistigen  Entwicklung  von  Grund  aus  unterscheiden 
von  den  Producten  der  Natur.  Wohl  mag  es  auch  von  diesen  wahr 
sein,  dass  kein  Gegenstand  und  kein  Vorgang  völlig  dem  andern 
gleich  ist.  Zwei  Thier-  oder  Pflanzenindividuen  der  nämlichen  Species, 
selbst  zwei  Krystallindividuen  des  nämlichen  Minerals  werden  vor- 
aussichtlich niemals  identisch  sein,  an  irgend  welchen  qualitativen 
oder  quantitativen  Differenzen  wird  es  nie  fehlen.  Aber  das  unter- 
scheidende ist  hier,  so  weit  es  als  bloss  individuelle  EigenthQm- 
lichkeit  zu  gelten  hat,  durchgängig  von  unwesentlicher  Bedeutung, 
80  dass  es  gegenüber  den  generischen  Merkmalen  vernachlässigt 
werden  kann.  Darum  subsumiren  wir  nicht  nur  die  unzähligen  Er- 
scheinungen des  Falls  der  Körper  oder  gewisser  Schall-,  Wärme-, 
Lichterscheinungen  übereinstimmenden  Grundgesetzen,  ohne  uns  um 
die  besonderen  Modiflcationen  der  individuellen  Erscheinungen  zu 
kümmern,  sondern  auch  die  sänmitlichen  wesentlichen  Eigenschaften 
eines  Thier-  oder  Pflanzenindividuums  gelten  uns  für  erschöpft  durch 
die  allgemeinen  Merkmale  der  Species,  es  sei  denn  dass  die  indivi- 
duellen Abweichungen  ihrerseits  wieder  eine  allgemeine  Bedeutung 
besitzen,  so  dass  sich  zahlreiche  solche  Abweichungen  abermals 
einem  Allgemeinbegriff  unterordnen.  Wo  der  Mensch  selber  nur 
als  Naturwesen  in  Betracht  kommt,  bei  der  Untersuchung  seiner 
anatomisch-physiologischen  Eigenschafken  oder  seiner  Stammes-  und 
Gattungscharaktere,  da  verliert  daher  auch  bei  ihm  das  Individuelle 
und  Singulare  seine  Bedeutung.  Umgekehrt  dagegen  gibt  es  einen 
Fall,  wo  auf  dem  Gebiet  der  Naturwissenschaft  der  Unterschied 
individueller  und  generischer  Betrachtung  hinfällig  ist,  oder  wo, 
wie  man  hier  wohl  treffender  sagen  könnte,  die  individuelle  von 
selbst  zur  generischen  Betrachtung  wird :  er  ereignet  sich  da,  wo  das 
Object  der  naturwissenschaftlichen  Untersuchung   an   und   für   sich 


68  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteswiBsenschaften. 

nur  ein  einzelnes  ist.  So  ist  die  Erde  ein  individueller  Gegen- 
stand, und  jedes  auch  nur  einmal  auf  ihr  vorkonunende  Object  hat 
daher  für  die  Physik  der  Erde  seine  Bedeutung.  Aber  während 
sich  auf  geistigem  Gebiet  das  Allgemeine  fortwährend  in  einer  Fülle 
einzelner  Bildungen,  deren  jede  ihren  besonderen  Werth  hat,  in- 
dividualisirt,  erhebt  sich  hier  umgekehrt  das  Einzelne  erst  durch 
sein  ausnahmsweise  bloss  individuelles  Vorkommen  zu  einem  Gene- 
rellen. 

Insofern  nun  die  singulare  Bedeutung  geistiger  Vorgänge  und 
Leistungen  wesentlich  an  ihre  Entstehungsbedingungen  ge- 
bunden ist,  wird  es  begreiflich,  dass  es  in  erster  Linie  die  histori- 
schen Wissenschaften  im  engeren  Sinne  des  Wortes  sind,  in  denen 
entweder  ausschliesslich  oder  doch  in  ganz  überwiegender  Weise  das 
Verfahren  der  individuellen  Vergleichung  herrscht.  Jedes  ge- 
schichtliche Ereigniss  steht  unter  bestimmten  Bedingungen  der  Zeit 
und  des  Ortes,  die  sich  zu  keiner  andern  Zeit  und  an  keinem  andern 
Orte  völlig  übereinstimmend  wiederholen.  Demnach  sind  schon  die 
Zeugnisse,  auf  Grund  deren  der  Historiker  den  Verlauf  eines  Er- 
eignisses feststellt,  individueller  Art:  sie  bestehen  in  Denkmälern, 
Ueberlieferungen,  Wirkungen  auf  die  Folgezeit,  die  sämmtlich  an 
der  singulären  Natur  des  Vorganges  auf  den  sie  sich  beziehen  theil- 
nehmen.  Nicht  minder  gilt  dies  von  den  einzelnen  Thatsachen,  aus 
denen  sich  der  geschichtliche  Vorgang  zusammensetzt,  sowie  von 
der  eigenthümlichen  Verknüpfung'  der  Bedingungen,  die  ihm  voran- 
gehen und  ihn  begleiten. 

Dies  Verhältniss  ändert  sich  einigermassen  bei  den  Objecten 
philologischer  Untersuchung.  Da  die  Erzeugnisse  der  Literatur 
und  Kunst  ebenfalls  geschichtlich  geworden,  zu  einer  bestimmten 
Zeit  imd  an  einem  bestimmten  Orte  entstanden  sind,  so  werden  natür- 
lich die  nämlichen  Regeln  individueller  Vergleichung  auf  sie  an- 
gewandt, die  für  das  geschichtliche  Werden  überhaupt  gelten.  Aber 
dabei  fordern  doch  zugleich  solche  in  dauernden  Formen  erhaltene 
Erzeugnisse  geistiger  Thätigkeit  die  Vergleichung  mit  andern  Er- 
zeugnissen ähnlicher  Art  heraus,  zunächst  mit  solchen  die  der  Zeit 
wie  dem  Ort  der  Entstehung  nach  jenen  nahe  liegen,  dann  aber 
weiterhin  mit  beliebig  zeitlich  und  räumlich  entfernten,  bei  denen 
nur  der  verwandte  geistige  Charakter  des  Objectes  eine  Vergleichung 
anregt.  So  gehen  hier  die  individuelle  und  die  generische  Methode 
neben  einander  her:  sucht  die  erstere  die  geschichtliche  Stellung 
und  die  specieUen  Entstehungsursachen  des  Objectes  zu  bestimmen, 


Vergleichende  Methode.  69 

so  tritt  die  zvf  eite  der  Frage  nach  seiner  allgemeinen  Bedeutung 
innerhalb  der  ganzen  Summe  menschlicher  Geistesschöpfungen  näher. 
Darum  bereitet  die  generische  Methode  gegenüber  der  durch  die 
individuelle  geübten  einseitig  historischen  Betrachtung  eine  philo- 
sophische Würdigung  des  Gegenstandes  vor.  So  gründet  sich 
z.  B.  die  ästhetische  Erklärung  und  Kritik  eines  dichterischen  Werkes 
auf  die  generische  Vergleichung  mit  Werken  ähnlicher  Art,  während 
das  Yerständniss  der  geschichtlichen  Entstehung  eines  solchen  die 
individuelle  Vergleichung  seines  Inhaltes  mit  andern  geschichtlichen 
Thatsachen  und  Erzeugnissen  der  nämlichen  Zeit  verlangt.  Für  die 
Reihenfolge  der  Methoden  ist  hierbei  massgebend,  dass  das  geschicht- 
liche Yerständniss  im  allgemeinen  der  philosophischen  Würdigung 
vorausgehen  muss,  dass  aber  sodann  diese  wieder  die  geschicht- 
liche Beurtheilung  beeinflusst.  Daraus  ergibt  sich,  dass  zunächst 
die  individuelle  Methode  den  Vortritt  hat,  dass  sie  aber  ausserdem 
der  Anwendung  der  ihr  folgenden  generischen  Methode  wieder 
nachfolgen  und  deren  Ergebnisse  unter  geschichtliche  Beleuchtung 
bringen  kann. 

Naturgemäss  wird  nun,  je  nach  dem  Zweck  den  eine  einzelne 
Untersuchung  verfolgt,  die  eine  oder  andere  dieser  vergleichenden 
Methoden  im  Vordergrund  stehen.  Die  hierdurch  bedingten  Unter- 
schiede treten  besonders  deutlich  dann  hervor,  wenn  ein  und  das- 
selbe Object  in  neben  einander  hergehenden  Untersuchungen  von 
verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  behandelt  wird.  Da  bei  der  in- 
dividuellen Vergleichung  das  logische  Verfahren  selbst  hinter  der 
Hervorhebung  der  historischen  Thatsachen  einigermassen  zurück- 
tritt, so  pflegt  man  hierbei  insbesondere  dann  von  vergleichender 
Methode  zu  sprechen,  wenn  speciell  die  generische  Vergleichung 
im  Vordergrund  steht.  In  diesem  Sinne  ist  die  Scheidung  in  eine 
geschichtliche  und  eine  vergleichende  Behandlung  für  ganze 
Wissensgebiete  herrschend  geworden.  So  gibt  es  neben  der  Sprach- 
geschichte eine  vergleichende  Sprachwissenschaft,  neben  der  histori- 
schen eine  vergleichende  Mythologie,  u.  s.  w.  Wie  schon  diese 
Beispiele  zeigen,  sind  es  besonders  geistige  Erzeugnisse  von  all- 
gemeingültiger Art,  die  eine  solch  doppelte  Untersuchung  zu- 
lassen und  fordern.  Natürlich  kann  es  sich  aber  dabei  immer  nur 
am  ein  Uebergewicht,  niemals  um  eine  Alleinherrschaft  der  einen 
oder  andern  handeln.  Die  vergleichende  Sprachwissenschaft  z.  B. 
kann  ebenso  wenig  der  geschichtlichen  Betrachtung  mit  ihrer  in- 
dividuellen Vergleichung  wie   die  Sprachgeschichte   der  generischen 


70  Allgemeine  GniDdlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Vergleichung  der  Sprachformen  entbehren.  Immerhin  prägt  sich 
die  abweichende  Richtung  darin  aus,  dass  die  vergleichende  Behand- 
lung einer  Wissenschaft,  also  das  Vorwalten  der  generischen  Ver- 
gleichung, zu  einer  Erweiterung  der  Betrachtung  auch  über  solche 
Objecte  antreibt,  die  geschichtlich  gar  nicht  mit  einander  zusammen- 
hängen, während  die  geschichtliche  Forschung  an  und  für  sich  der 
Bedingung  unterworfen  ist,  dass  ihre  Gegenstände  in  einer  wirk- 
lichen historischen  Verbindung  stehen  müssen.  Darum  gibt  es  eine 
Geschichte  der  griechischen,  lateinischen,  deutschen  Sprache  und  im 
äussersten  Fall  auch  noch  eine  solche  des  Gesammtgebiets  des  indo- 
germanischen Sprachstamms,  aber  keine  allgemeine  Sprach- 
geschichte. Ja  eine  Geschichte  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes, 
gegründet  auf  eine  stufenweise  die  sprachlichen  Erscheinungen  ver- 
folgende individuelle  Vergleichung,  ist  sogar  nur  bei  den  beschränkteren 
Gebieten  möglich:  schon  die  indogermanische  Sprachgeschichte  sieht 
sich  vielfach  genöthigt  an  die  Stelle  der  historischen  die  bloss  ver- 
gleichende Betrachtung  treten  zu  lassen.  Vollends  können  solche 
Sprachen,  die  nicht  irgendwie  stammverwandt  sind,  also  an  keinem 
Punkte  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung  mit  einander  zusammen- 
hängen, zwar  in  beliebigem  Umfange  den  Inhalt  einer  vergleichen- 
den, niemals  aber  den  einer  geschichtlichen  Behandlung  bilden. 

Hat  hiernach  die  vergleichende  vor  der  historischen  Methode 
den  Vorzug  der  unbeschränkteren  Anwendbarkeit,  so  ist  dagegen 
diese  dadurch  gegenüber  jener  im  Vortheil,  dass  der  äussere  'ge- 
schichtliche Zusammenhang  der  Ereignisse  in  der  Regel  auch  einem 
inneren  Zusammenhang  derselben  entsprechen  wird,  so  dass  die 
individuelle  Vergleichung,  die  diesem  nachgeht,  leichter  im  Stande 
ist  den  wirklichen  Bedingungen  des  Geschehens  auf  die  Spur  zu 
kommen,  während  eine  bloss  von  der  allgemeinen  Aehnlichkeit  ge- 
leitete generische  Vergleichung  zunächst  bei  AllgemeinbegriJBFen  stehen 
bleibt,  die  erst  durch  eine  hinzukommende  psychologische  Analyse 
oder  eine  Reihe  individueller  geschichtlicher  Untersuchungen  in  ihrer 
Bedeutung  erkannt  werden.  Dieser  Nachtheil  macht  sich  am  aller- 
meisten da  geltend,  wo  die  generische  Vergleichung  auf  das  ihr 
ursprünglich  inadäquateste  Gebiet,  auf  das  der  eigentlichen  Geschichte, 
angewandt  wird.  Eine  solche  vergleichende  Geschichtsbehandlung, 
die  sich  über  alle  Grenzen  von  Zeit  und  Raum  hinwegsetzt,  um  die 
den  verschiedensten  Perioden  angehörigen  Ereignisse  und  Zustände 
nach  gewissen  generischen  Merkmalen  in  denen  sie  übereinstimmen 
in  Parallele  zu  bringen,   bildet  nicht  zum  geringsten  Theil  den  In- 


Vergleichende  Methode.  71 

halt  dessen  was  man  Philosophie  der  Geschichte  zu  nennen 
pflegt.  Aber  auch  in  der  Geschichte  selbst  spielt  sie  überall  da 
eine  Rolle,  wo  zu  der  historischen  Untersuchung  der  Versuch  einer 
Beurtheilung  und  einer  Kritik  des  allgemeingültigen  Werthes  der 
Vorgänge  oder  Zustände  hinzutritt.  Damit  geht  freilich  stets  zu- 
gleich in  gewissem  Masse  die  historische  in  eine  philosophische 
Betrachtungsweise  über,  die  je  nach  den  besonderen  Bedingungen 
wieder  einen  ethischen,  politischen  oder  sociologischen  Charakter 
besitzen  kann.  Einer  derartigen  immanenten  Geschichtsphilosophie 
hat  sich  in  der  That  die  Geschichtsforschung  selten  nur  ganz  zu 
entaussern  gesucht.  Sie  findet  hauptsächlich  ihren  Ausdruck  in 
historischen  Analogien,  bei  denen  mit  Absicht  nicht  geschicht- 
lich zusammenhängende,  sondern  entlegene,  ausserhalb  jeder  directen 
Causalbeziehung  stehende  Vorgänge  auf  Grund  gemeinsamer  Merk- 
male verglichen  werden. 

Sobald  wir  nun  die  in  solcher  Weise  zur  unmittelbaren  Unter- 
suchung der  Geistesobjecte  hinzutretende  allgemeinere  philosophische 
Betrachtung  als  einen  berechtigten  Bestandtheil  der  Untersuchung 
selbst  gelten  lassen,  so  lösen  demnach  bei  den  Objecten  der  Geistes- 
wissenschaften die  individuelle  und  die  generische  Methode  durch- 
gängig in  nicht  anderer  Weise  einander  ab,  als  bei  den  Objecten  der 
naturwissenschaftlichen  Untersuchung.  Zugleich  ist  es  aber  unver- 
kennbar, dass  die  Ergänzung  der  individuellen  durch  die  generische 
Vergleichung  um  so  mehr  zu  einem  integrirenden  Bestandtheil  der 
einzelnen  Geisteswissenschaft  selbst  wird,  je  vollkommener  sich  diese 
methodisch  entwickelt  hat,  und  je  mehr  sie  sich  auf  geistige  Ent- 
wicklungen von  allgeraeingültiger  Bedeutimg  bezieht,  Bedingungen 
die  in  der  Regel  mit  einander  verbunden  sind,  da  die  allgemein- 
gültige Beschaffenheit  der  Objecte  ihre  Untersuchung  wesentlich  zu 
erleichtem  pflegt.  In  dem  Umkreis  der  historischen  Disciplinen 
steht  daher  in  dieser  Beziehung  die  eigentliche  Geschichte  erheblich 
zurück  gegenüber  solchen  Gebieten,  welche  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung gewisser  Arten  geistiger  Schöpfungen  zu  ihrem  Inhalte 
haben.  Insbesondere  dürfte  die  Sprachgeschichte  unter  allen 
historischen  Wissenschaften  die  sein,  in  der  die  vergleichende  Methode 
nach  ihren  beiden  Richtungen  bis  jetzt  am  vollkommensten  aus- 
gebildet ist.  Das  einfachste  Object,  das  diese  historische  Disciplin 
der  geschichtlichen  Betrachtung  unterwerfen  kann,  ist  das  einzelne 
Wort.  Dasselbe  ist  in  doppelter  Beziehung,  nach  seiner  Lautform 
und    nach    seinem    Bedeutungsinhalt,     zunächst    Gegenstand    einer 


74  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Geschichte.    Da  die  politischen  Wandelungen  diejenigen  sind,  die 
sich  am  meisten  in  einer  Reihe  auf  einander  folgender  Ereignisse 
darstellen,  in   diesem  Sinne  also  dem  Begriff  der  „Geschichte*  als 
dem  Inbegriff  des  Geschehenen   zunächst   zu   entsprechen   scheinen, 
während   sich   Culturzustände   stetiger   und   allmählicher   zu  ändern 
pflegen,  so  entspringen  aus  der  mehr  oder  minder  starken  Betonung 
dieser  verschiedenen  Factoren  der  Geschichte  Unterschiede,  die  auch 
in  methodischer  Beziehung  von  entscheidenden  Folgen  sind.     (Vgl. 
unten  Cap.  III.)     Fasst  man   die  Geschichte   in  der  Weise,   wie   es 
die   Geschichtswissenschaft  fast   durchgängig  bis   zur  neuesten  Zeit 
gethan  hat,  als  den  Verlauf  des  Geschehenden  und  insbesondere  als 
die  Aufeinanderfolge    der   politischen   Ereignisse    auf,    so    kann 
innerhalb   einer   solchen  Geschichtsdarstellung  selbst  von  einer  An- 
wendung der  vergleichenden  Methode  überhaupt  nicht  die  Rede  sein, 
sondern  diese  gehört  einzig  und  allein  der  philologischen  Vorunter- 
suchung  an:   sie   besteht   hier  in  einer  individuellen  Vergleichung 
der  Zeugnisse,  durch  welche  die  Data  der  Geschichte  beglaubigt  und 
in   ihrer   thatsächlichen   Beschaffenheit    festgestellt    werden   können. 
Sobald   diese   Feststellung    erfolgt    ist,    hat   dann    die    methodische 
Arbeit   des   Historikers   ihr   Ende    erreicht.     Demgemäss   wird    von 
diesem  Standpunkte   aus  in   der   Regel   auch    als   die   Aufgabe   der 
Geschichte   die   bezeichnet,   die  Ereignisse   so   zu   schildern, 
wie  sie  wirklich  gewesen  sind.   Eine  solche  Schilderung  ver- 
langt vor  allen  Dingen  scharfe  Beobachtung  und  Kritik  der  Quellen 
und  XJeberlieferungen ;  sie  kann  auch,  wo  sie,  über  die  Schilderung 
hinausgehend,    die  Handlungen   der  geschichtlichen  Personen  nach 
ihren  Motiven  und  Zwecken  berücksichtigt,  der  psychologischen  Ana- 
lyse und  Abstraction  nicht  entrathen;  aber  eine  Anwendung  der  ver- 
gleichenden  Methode  kommt  hier  nirgends   in  Frage.     Darin  liegt 
der  Grund,  dass  sich  die  namentlich  in  technischer  Beziehung  hoch 
ausgebildete  Methodik  dieser  Geschichtswissenschaft  eigentlich  durch- 
weg nur  auf   die  Mittel    und  Wege    bezieht,    die  zur  Feststellung 
der  Thatsachen   dienen,   niemals  aber  auf  die  Art  und  Weise,   wie 
diese  Thatsachen  selbst  methodisch  zu  verarbeiten  sind.    Diese  Be- 
schränkung ist,  sobald  man  jenen  Standpunkt  der  einseitig  politischen 
Historie   einnimmt,   nicht  etwa  eine  bloss  zeitweise  vorhandene  und 
vorübergehende,    sondern    eine   sachlich   nothwendige,    da   die   ver- 
gleichende Verfolgung    der   Objecte   in   der   Aufeinanderfolge    ihrer 
Zustände,  die  das  Wesen  der  individuellen  Vergleichung  und  damit 
die  Grundlage   der  vergleichenden  Methode   in   allen  geschichtlichen 


Vergleichende  Methode.  75 

Wissenschaften  ist,  schlechterdings  unanwendbar  bleibt,  so  lange  als 
Gegenstande  der  Beobachtung  nur  Ereignisse  gegeben  sind,  deren 
jedes  einen  neuen  Erkenntnissinhalt  darstellt.  Damit  eine  wirkliche 
Vergleichung  des  Zusammengehörigen  stattfinden  könne,  müssen 
Objecte  existiren,  die  mindestens  nach  ihren  Haupteigenschaften 
stetigen,  nicht  sprungweisen  Veränderungen  unterworfen  sind. 
Solche  Objecte  können  nun  auf  historischem  Gebiet  nur  Zustände 
sein.  Nur  insoweit  die  eigentliche  Geschichte  Zustandsgeschichte  ist 
und  als  solche  in  einer  Verbindung  der  einzelnen  Gebiete  der  Wirth- 
ächafts-,  Verfassungs-,  Rechts-  und  Culturgeschichte  ihre  Wurzeln 
hat,  kann  sie  daher  auch  über  die  zur  Feststellung  der  Thatsachen 
dienende  Voruntersuchung  hinaus,  in  der  Verwerthung  der  histori- 
schen Thatsachen  selbst,  an  den  Vortheilen  der  vergleichenden  Methode 
theilnehmen. 

Dass  eine  Berücksichtigung  der  stetig  veränderlichen  Zustände 
der  Völker  in  der  gegenwärtigen  Geschichtswissenschaft  im  all- 
gemeinen noch  nicht  die  Berücksichtigung  gefunden  hat,  die  eine 
umfassende  Anwendung  der  vergleichenden  Methode  auf  die  Geschichte 
ermöglicht,  dies  beruht  nun  aber  zweifellos  zu  einem  nicht  geringen 
Theile  auf  einem  Umstände,  der  die  natürliche  Tendenz  zu  einer 
Individualisirung  der  historischen  Ereignisse  von  frühe  an  begünstigt 
hat.  Geschichtliche  Ereignisse,  die  plötzlich  weitgreifende  Verände- 
rungen herbeiführen,  insbesondere  Handlungen  einzelner  Personen 
die  an  solchen  Ereignissen  betheiligt  sind,  prägen  sich  ohne  weiteres 
der  Beobachtung  auf  und  werden  daher  durch  directe  und  indirecte 
Zeugnisse  von  mancherlei  Art  dem  Gedächtniss  überliefert.  Aber 
stetig  veränderliche  Zustände  verrathen  sich  zumeist  nur  in  einzelnen 
Zügen,  die  mehr  durch  Zufall  als  durch  Absicht  auf  die  Nachwelt 
kommen,  oder  die  doch  immer  erst  aus  einer  grossen  Summe  indivi- 
dueller Leistungen  erschlossen  werden  können.  Mehr  oder  minder 
handelt  es  sich  also  stets,  wo  Zustände  in  Betracht  kommen,  nicht 
um  individuelle  und  darum  leicht  fixirbare  Thatsachen,  sondern 
um  Massenerscheinungen,  die  selbst  erst  aus  der  Vergleichung 
und  Verbindung  einer  grossen  Anzahl  individueller  Thatsachen  ge- 
wonnen werden  können.  Frühere  Zeitalter  haben  diesen  Massen- 
erscheinungen keine  oder  doch  keine  von  geschichtlichem  Interesse 
geleitete  Aufmerksamkeit  zugewandt.  In  vielen  ihrer  Theile  ist  also 
die  Geschichte  schon  um  deswillen  eine  blosse  Kunde  der  Ereignisse, 
weil  sie  eine  solche  der  Zustände  nur  in  verhältnissmässig  geringem 
Grade  sein  kann. 


7(5  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisieswisBenschaften. 

Um  so  mehr  fordert  dagegen  der  Theil  der  Geschichte,  der 
vou  uns  an  und  für  sich  als  ein  relativ  beharrendes  Sein,  als 
ein  Zustand  oder  als  eine  Verkettung  mannigfacher  Zustände,  hin- 
genommen wird,  die  Gegenwart,  eine  methodische  Behandlung, 
der  andere  historische  Perioden  immer  nur  in  lückenhafter  Weise 
zugänglich  sind.  Auf  die  Zustände  der  Gegenwart  angewandt  bildet 
nun  die  vergleichende  Methode  das  Haupthülfsmittel  der  Gesell- 
schaftswissenschaften. Allerdings  greifen  diese  nicht  nur 
deshalb  in  die  Geschichte  ein,  weil  die  Gegenwart  aus  der  Vergangen- 
heit hervorgegangen,  in  diesem  Sinne  also  eben  nur  der  uns  nächst- 
liegende Theil  der  Geschichte  ist,  sondern  auch  insofern,  als  die 
socialen  Zustände  irgend  welcher  Gemeinschafben  und  Epochen  der 
Vergangenheit  an  und  für  sich  ebenso  gut  wie  die  der  Gegenwart 
Objecte  der  socialen  Wissenschaft  sein  können.  Aber  gerade  der 
Umstand,  dass  wir  erst  in  der  Gegenwart  oder  mindestens  in  einer 
der  Gegenwart  nalierliegenden  Zeit  über  die  zur  Untersuchung  der 
Massenerscheinungen  erforderlichen  Daten  in  zureichender  Weise 
verfügen,  hat  hier  die  Ausbildung  der  Methoden  zumeist  auf  die 
Gegenwart  eingeschränkt.  Sie  haben  hier  in  den  Verfahrungsweisen 
der  Statistik  ihre  scharfe  und  den  verschiedensten  Arten  der 
Massenerscheinungen  zweckmässig  angepasste  Ausbildung  empfangen. 

In  der  That  ist  die  statistische  Methode  nichts  anderes  als 
eine  exacte  Anwendung  der  vergleichenden  Methode  überhaupt.  Das 
statistische  Verfahren  erstreckt  sich  daher  an  und  für  sich  über  alle 
Gebiete,  die  einer  solchen  Anwendung  zugänglich  sind,  und  sie  ist 
also  keineswegs  den  socialen  Wissenschaften  allein  eigenthümlich. 
Aber  die  Statistik  steht  allerdings  unter  zwei  Bedingungen,  die  es 
bewirken,  dass  die  Socialwissenschaft,  speciell  die  Bevölkerungslehre, 
das  vornehmste  Gebiet  ihrer  Anwendungen  ist.  Erstens  kann  die 
statistische  Methode  nur  da  rein  in  die  Erscheinung  treten,  wo  nicht 
zugleich  das  experimentelle  Verfahren  Anwendung  fin det,  dessen 
Methoden  von  vornherein  so  eingerichtet  sind,  dass  sie  ohne  Samm- 
lung zahlreicher  Beobachtungen,  schon  auf  wenige  entscheidende  Be- 
obachtungen hin  zu  Ergebnissen  führen.  Darum  sind  es  nur  wenige 
Naturwissenschaften,  in  denen,  wie  in  der  Astronomie  und  Meteoro- 
logie, statistische  Methoden  oder  doch  solche,  die  ihnen  verwandt 
sind,  benützt  werden.  Neben  ihnen  bildet  die  Psychophysik  ein 
Gebiet,  in  welchem  die  Unsicherheit  der  Einzelurtheile  und  zugleich 
das  selbständige  psychologische  Interesse,  das  die  Schwankungen  der 
Urtheile   unter  verschiedenen  Bedingungen   beanspruchen,   zu   einer 


Vergleichende  Methode.  77 

innigen  Verbindung  statistisclier  Abzahlungen  mit  dem  experimentellen 
Verfahren  geführt  hat.  Zweitens  setzt  die  statistische  Methode 
überall  eine  grosse  Anzahl  von  Beobachtungen  gleicher  Art  voraus : 
dies  aber  ist  ein  Fall,  der  in  den  historischen  Wissenschaften  im 
engeren  Sinne  niemals  und  selbst  in  den  Naturwissenschaften  nicht 
immer  vorkommt,  dagegen  bei  den  Massenerscheinungen  der  Gesell- 
schaft durchgangig  verwirklicht  ist,  so  dass  im  letzteren  Fall  nie 
der  Gegenstand  an  sich,  sondern  nur  unter  Umständen  die  unvoll- 
standige  Sammlung  der  Beobachtungen  der  zureichenden  Anwendung 
der  Methode  ein  Ziel  setzt,  üeberall  da,  wo  es  sich  um  die  Analyse 
individueller  Erscheinungen  handelt,  kann  nun  die  statistische 
Methode  höchstens  in  indirecter  Weise,  dadurch  dass  sie  auf  eine 
Häufung  der  Beobachtungen  eines  und  desselben  individuellen 
Phänomens  angewandt  wird,  eine  gewisse  Hülfe  leisten.  In  letzterem 
Sinne  bedient  sich  namentlich  die  naturwissenschaftliche  Beobachtung 
derselben :  dabei  ist  es  aber  eigentlich  weniger  die  statistische  Methode 
selbst,  die  hier  benützt  wird,  als  das  ihr  an  und  fQr  sich  mit  jeder 
Sanmdung  einer  grossen  Anzahl  von  Beobachtungen  gemeinsame 
Abzählungsverfahren  nebst  den  an  das  letztere  sich  anschliessenden 
Erwägungen  über  die  aus  solchen  Abzahlungen  zu  gewinnenden 
Durchschnittswerthe.  Im  ersten  Fall,  dem  der  eigentlichen  Statistik, 
handelt  es  sich  also  um  wirkliche  Massenerscheinungen,  im 
zweii.en,  der  namentlich  in  der  Astronomie  sowie  bei  physikalischen 
Beobachtungen  und  in  der  Psychophysik  eine  wichtige  Rolle  spielt, 
um  oft  wiederholte  Beobachtungen  individueller  Erschei- 
nungen. Dieser  Umstand  rechtfertigt  es  zugleich,  zwischen  der 
Statistik  als  Methode  und  der  Statistik  als  Wissenschafts- 
gebiet zu  imterscheiden.  Die  Statistik  als  Methode  ist  schlechter- 
dings nur  eine  Anwendung  der  vergleichenden  Methode  auf  eine 
sehr  grosse  Anzahl  von  Fällen  gleicher  und  verschiedener  Art,  mag 
nun  die  Vielheit  der  Fälle  durch  eine  Wiederholung  der  Beobach- 
tung individueller  Erscheinimgen  oder  aber  dadurch  entstehen,  dass 
sich  die  Erscheinungen  selbst  in  sehr  grosser  Zahl  wiederholen. 
Dieser  letztere  Fall,  der  dem  engeren  Begriff  der  Statistik  ent- 
spricht, hat  aber,  wenn  man  von  den  Anwendungen  auf  die  so- 
genannten Glücks-  und  Zufallsspiele  absieht,  die  wissenschaftlich  nur 
als  praktische  Beispiele  der  Wahrscheinlichkeitstheorie  ein  gewisses 
hiteresse  besitzen,  sein  einziges  umfassenderes  Anwendungsgebiet  in 
der  Bevölkerungslehre,  so  dass  der  Begriff  der  Statistik  als  Wissen- 
schaft mit   dieser  sich   deckt.     Auch   sind  es   immerhin  eigenthüm- 


78  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

liehe  Modifieationen,  welche  die  Statistik  als  Methode  auf  diesem 
wichtigsten  Gebiet  ihrer  Anwendungen  erfahrt,  da  die  Beobachtung 
von  Massenerscheinungen  und  die  Sammlung  massenhafter  Beobach- 
tungen zwar  ähnliche,  aber  doch  keineswegs  identische  geistige 
Functionen  sind. 

Gerade  auf  diesem  engeren  Gebiet  der  Statistik  bieten  sich 
nämlich  für  die  Ausbildung  der  vergleichenden  Methode  besonders 
günstige  Bedingungen  dar,  weil  hier  —  vorausgesetzt  dass  nicht 
äussere  Hindernisse  der  Verwerthung  der  Hülfsmittel  und  der  Samm- 
lung der  Beobachtungen  im  Wege  stehen  —  die  Herrschaft  des 
Beobachters  über  sein  Material  in  doppelter  Beziehung  ein  unum- 
schränktes ist :  erstens  ist  er  meist  in  der  Lage,  seine  Beobachtungen 
über  beliebig  viele  Fälle  auszudehnen,  und  zweitens  vermag  er 
wieder  beliebig  die  Classen  allgemeiner  Erscheinungen  in  besondere, 
ihm  zweckmässig  erscheinende  Gruppen  zu  gliedern.  Er  ist  also 
unbeschränkt  sowohl  in  der  Art  der  Generalisirung  wie  in  der 
Individualisirung  der  Beobachtungen,  eine  Willkür  die  auf 
diesem  an  und  für  sich  jedem  experimentellen  Eingriff  entzogenen 
Gebiete  gleichwohl  dem  Verfahren  etwas  von  der  willkürlichen 
Variirung  der  Umstände  beim  Experimente  gibt.  Nur  ist  es  so  zu 
sagen  ein  umgekehrtes  Experimental verfahren,  das  hier  vorkommt: 
während  bei  dem  eigentlichen  Experiment  die  Bedingungen  variirt 
werden,  die  an  der  Entstehung  der  Erscheinungen  betheiligt  sind, 
werden  bei  dem  statistischen  Verfahren  die  Erscheinungen  selbst 
willkürlich  in  variabler  Weise  mit  einander  verknüpft,  um  hieraus 
auf  die  bei  ihnen  wirksamen  Bedingungen  Rückschlüsse  machen  zu 
können.  Durch  die  kunstgerechte  Handhabung  dieses  Verfahrens 
ist  die  vergleichende  Methode  der  Statistik  zu  einem  hohen  Mass 
der  Vollendung  gebracht  worden,  durch  das  sie  sich  in  mancher 
Beziehung  ebenbürtig  der  Ausbildung  der  Beobachtungsmethoden  in 
der  Astronomie  oder  der  experimentellen  Verfahrungsweisen  in  Physik 
und  Chemie  an  die  Seite  stellen  kann.  Da  diese  methodische  Aus- 
bildung aber  durchaus  an  die  Bedingungen  gebunden  ist,  die  speciell 
den  Massenerscheinungen  der  menschlichen  Gesellschaft  eigenthüm- 
lich  sind,  so  widerlegt  dieser  Umstand  zugleich  die  noch  immer 
verbreitete  Meinung,  als  sei  die  Ausbildung  einer  exacten  Methodik 
von  den  specifischen  Eigenthümlichkeiten  und  der  verhältnissmässig 
einfachen  Beschaffenheit  der  Naturerscheinungen  abhängig.  Daneben 
zeigt  freilich  auch  dieses  Beispiel,  dass  jedem  Wissenschaftsgebiet 
wieder   besondere   Gestaltungen   exacter  Methodik    eigen   sind,    und 


Vergleichende  Methode.  79 

dass  in  Folge  dessen  namentlich  in  gewissen  Geisteswissenschaften 
solche  Methoden  zu  einer  hohen  Entwicklung  gelangen,  die  in  den 
gewöhnlich  so  genannten  exacten  Wissenschaften,  in  Mathematik 
und  Naturforschung,  relativ  unausgebaut  bleiben. 

Natürlich  kann  sich  nun  auf  statistischem  Gebiet  in  der  regel- 
mässigen Aufeinanderfolge  der  Bestandtheile  der  Vergleichungs- 
methode  nichts  wesentliches  ändern.  Auch  hier  muss  zunächst  die 
individuelle  Vergleichung  der  generischen  vorausgehen.  Durch  jene 
werden  die  einzelnen  Fälle  gewonnen,  die  einer  einzelnen  Gruppe 
statistischer  Data  als  Unterlage  dienen.  Die  generische  Methode 
setzt  dann  verschiedene  auf  solche  Weise  gesonderte  Gruppen  zu 
einander  in  Beziehung,  indem  sie  die  den  räumlichen,  zeitlichen  und 
qualitativen  ünterschiedsmerkmalen  parallel  gehenden  numerischen 
Werthe  feststellt.  Dabei  ist  aber  das  vergleichende  Verfahren  des 
Statistikers  durch  zwei  Eigenschaften,  die  nahe  mit  einander  zu- 
sammenhängen, vor  sonstigen  Anwendungen  der  gleichen  Methode 
ausgezeichnet.  Erstens  muss  die  auf  Grund  der  individuellen  Ver- 
gleichung vorgenommene  Gruppirung  der  Thatsachen  auf  präcis  be- 
stimmte Merkmale  gegründet  sein;  und  zweitens  müssen  die  so 
bevorzugten  Merkmale  leicht  abzählbare  Gruppen  ergeben,  deren 
Wahl  zugleich  dem  Zweck  der  Untersuchung  angepasst  ist.  Durch 
diese  Eigenschaften  der  exacten  Unterscheidung  und  der  numerischen 
Ausmessung  der  Gruppen  ermöglicht  die  vergleichende  Methode  in 
diesem  Fall  eine  ähnliche  Anwendung  der  für  Messungen  und 
Zählungen  gültigen  Principien  der  Wahrscheinlichkeitstheorie,  wie 
sie  filr  oft  wiederholte  Beobachtungen  bestimmter  Phänomene  statt- 
findet, wobei  nur  der  für  den  letzteren  Fall  aufgestellte  Begriff  des 
Beobachtungsfehlers  aus  seiner  subjectiven  in  eine  objective  Bedeu- 
tung übergeht,  indem  er  hier  den  Spielraum  bezeichnet,  innerhalb 
dessen  die  imtersuchten  Massenerscheinungen  schwanken  können. 

Eine  weitere  wichtige  Eigenschaft  der  statistischen  Anwendung 
der  vergleichenden  Methode  besteht  sodann  darin,  dass  sich  dieselbe 
nicht  auf  eine  einmalige  Aufeinanderfolge  der  beiden  Vergleichungs- 
modi, der  individuellen  und  generischen,  beschränkt,  sondern  dass 
sich  das  nämliche  Verfahren  fast  beliebig  an  einem  und  demselben 
Gegenstände  wiederholen  kann.  Auf  diese  Weise  bedient  sich  die 
Statistik  namentlich  bei  allen  irgendwie  verwickeiteren  Problemen 
gewissermassen  einer  potenzirten  Anwendung  der  Vergleichungs- 
methode. So  kann  z.  B.  die  Moralstatistik  zunächst  durch  eine  erste 
Aufeinanderfolge    individueller  und   generischer  Vergleichungen   die 


80  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteswiBsenschaften. 

in  einer  gegebenen  Zeit  und  in  einem  bestimmten  Territorium  be- 
gangenen Verbrechen,  geordnet  nach  gewissen  ünterschiedsmerkmalen, 
mit  ihren  numerischen  Werthen  feststellen.  Hierauf  kann  sie  jede 
Gruppe  durch  eine  Umkehrung  des  Verfahrens  specialisiren,  indem 
sie  innerhalb  derselben  eine  neue  individuelle  Vergleichung,  eventuell 
in  mehrfacher  Wiederholung  dieses  umgekehrten  Verfahrens,  vor- 
nimmt, also  z.  B.  die  untersuchte  Bevölkerungsgruppe  nach  Geschlecht, 
Lebensalter,  Berufsstand  oder  auch  nach  den  einzelnen  Theilen  der 
in  Frage  stehenden  Zeit-  und  Raumgebiete  gliedert,  um  schliesslich 
die  so  gewonnenen  Gruppen  abermals  nach  ihren  numerischen  Werthen 
zu  vergleichen. 

Besonders  bemerkenswerth  unter  diesen  Wiederholungen  des 
Verfahrens  sind  diejenigen,  bei  denen  das  Ergebniss  einer  ersten 
generischen  Vergleichung  von  neuem  als  ein  individueller  Fall  be- 
handelt wird,  der  mit  andern  in  ähnlicher  Weise  künstlich  geschaffenen 
Individualbegriffen  abermals  einer  Vergleichung  unterworfen  wird. 
Es  entstehen  so  im  eigentlichen  Sinne  generische  Vergleichungen 
zweiter  Ordnung.  Ueberall  wo  die  Statistik  Durchschnitts- 
werthe  für  gewisse  Eigenschaften  oder  für  Complexe  von  Eigen- 
schaften feststellt,  da  repräsentiren  solche  Werthe  in  der  That  neue, 
künstlich  gebildete  Individualbegriffe.  Bestimmt  man  z.  B.  durch 
eine  Folge  individueller  und  generischer  Vergleichungen  die  durch- 
schnittlichen Eigenschaften  verschiedener  Gruppen  von  Menschen,  so 
lässt  sich  die  Summe  dieser  Durchschnittswerthe  als  ein  neuer  In- 
divi^ualbegriff  behandeln,  der  bei  der  Vergleichung  mit  weiteren 
in  ähnlicher  Weise  entstandenen  Begriffen  ganz  und  gar  die  Rolle 
des  ursprünglich  gegebenen  Individuums  spielt,  also  auch  wie  dieses 
abermals  einer  individuellen  und  generischen  Vergleichung  unter- 
worfen werden  kann,  üebrigens  darf  man  niemals  ausser  Acht 
lassen,  dass  solche  künstlich  gebildete  Individualbegriffe,  eine  so 
wichtige  Hülfe  sie  auch  der  vergleichenden  Methode  leisten,  doch 
niemals,  wie  die  wirklichen  Individuen,  die  Bedeutung  realer  Objecte 
gewinnen  können.  Quetelet,  der  sich  in  seinen  statistischen 
Arbeiten  um  die  in  Rede  stehende  Behandlungsweise  der  Durch- 
schnittswerthe manche  Verdienste  erworben  hat,  ist  dieser  Ver- 
wechselung in  der  That  nicht  ganz  entgangen*).  Der  „mitÜere 
Mensch"  erscheint  bei  ihm  nicht  bloss  als  ein  Hülfsbegriff  der  ver- 


*)  Quetelet,  Sur  rhomme  et  le  developpement  de  ses  facultas  ou  essai 
de  physique  sociale.    2  vol.  1885.   2.  Aufl.  u.  d.  T.  Phjaique  sociale.  1869. 


InterpretAtion.  81 

gleichenden  Methode,  was  er  in  Wahrheit  ist,  sondern  zugleich  als 
ein  reales  Wesen,  dessen  Eigenschaften  für  sich  allein  schon  zu* 
reichen  sollen,  über  die  physischen,  intellectuellen  und  moralischen 
Eigenschaften  der  Gesanuntheit,  von  der  jener  Durchschnitts werth 
gewonnen  ist,  ein  entscheidendes  ürtheil  abzugeben.  Eine  solche 
Bedeutung  hat  aber  der  ,ymittlere  Mensch '^  deshalb  nicht,  weil  in 
allen  jenen  Richtungen  die  Bedeutung  einzelner  wirklicher  Indi- 
Tidnen  ftir  die  Gesammtheit  ein  Factor  ist,  der  sich  nicht  in  Rech- 
Qung  ziehen  lässt,  und  der  in  solchen  allgemeinen  Durchschnitts- 
werthen  völlig  verschwindet.  Es  wiederholt  sich  also  hier  in  anderer 
Form  der  nämliche  Fehler,  wie  er  auf  naturwissenschaftlichem  Ge* 
biete  begangen  wurde,  wenn  man  Classen-  und  Gattungsbegriffe 
fär  eine  höhere  Ordnung  realer  Individuen  ansah.  (Vgl.  Bd.  II, 
Abschn.  1,  S.  57  f.)  In  der  That  sind  die  statistischen  Durch* 
schnittswerthe  in  dieser  Verwendung  genau  so  wie  die  Allgemein- 
begrifPe  der  Naturgeschichte  lediglich  Hülfsbegriffe  der  vergleichen- 
den Methode,  nur  darin  zu  ihrem  Vortheil  von  diesen  verschieden, 
dass  sie  noch  in  viel  höherem  Masse  Producte  willkürlicher  Bildung 
sind  und  daher  fast  fortwährend  nach  den  augenblicklichen  Zwecken 
der  Untersuchung  abgeändert  werden  können.  Freilich  bringt  es 
aber  dieser  methodische  Vorzug  auch  mit  sich,  dass  ihre  reale  Be- 
deutung nooh  hinter  der  der  naturwissenschaftlichen  Gattungsbegriffe 
zurücksteht. 


d.    Die  Interpretation. 

Als  die  Hauptaufgabe  der  Wissenschaften,  deren  Objecto  geistige 
Vorgänge  und  geistige  Erzeugnisse  sind,  betrachten  wir  es,  dass  sie 
ans  diese  Objecte  verstehen  lehren.  Die  Methode  aber,  die  ein 
solches  Verständniss  vermitteln  soll,  nennen  wir  die  Interpretation. 
Nach  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  setzt  diese,  ebenso  wie  die 
synonymen  Begriffe  der  Hermeneia  und  der  Exegese,  zwei  erkennende 
Subjecte  voraus,  den  Interpreten,  der  das  Verständniss  des  Objectes 
besitzt,  und  den  Hörer  oder  Leser,  dem  es  durch  jenen  vermittelt 
wird.  Indem  die  Aufgaben  der  Interpretation  sich  erweiterten  und 
vertieften,  musste  aber  mehr  und  mehr  der  Schwerpunkt  dieser  ver- 
mittelnden Thätigkeit  in  die  vorbereitenden  Erkenntnissfunctionen 
des  Interpreten  verlegt  werden,  durch  die  dieser  zunächst  für  sich 
selbst  das  Verständniss  dessen  gewinnt,  was  er  dann  nachträglich 
auch  Andere  verstehen  lehrt.    So  hat  der  Begriff  der  Interpretation 

Wundt.  Logik.  II,  2.    9.  Anfl.  6 


82  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

in  seiner  meihodologisclien  Anwendung  schliesslich  die  prakidsch- 
pädagogische  Bedeutung,  die  ihm  ursprQnglich  anhaftete,  abgestreift 
und  sich  auf  die  in  ihm  zuerst  nur  als  Yorbeding^gen  des  eigent* 
liehen  Geschäftes  der  Auslegung  vorausgesetzten  intellectuellen  Func- 
tionen des  Auslegenden  selber  zurückgezogen.  Als  Interpretation 
bezeichnen  wir  daher  allgemein  den  Inbegriff  der  Methoden,  die 
uns  ein  Yerständniss  geistiger  Vorgänge  und  geistiger 
Schöpfungen  yerschaffen  sollen. 

Aus  dieser  Begrifisbestimmung  erhellt  ohne  weiteres,  dass  die 
Interpretation  nicht  nur  eine  allen  Oeisteswissenschaften  unentbehr- 
liche, sondern  dass  sie  auch  diejenige  Methode  ist,  der  dieselben 
wesentlich  ihre  Eigenthümlichkeiten  und  ihre  charakteristischen 
logischen  Unterschiede  von  der  andern  grossen  Abtheilung  realer 
empirischer  Wisseuschaftien,  von  den  Naturwissenschaften,  verdanken. 
Die  Natur  wollen  wir  erklären:  dieses  Ziel  ist  erreicht,  wenn  die 
uns  in  der  sinnlichen  Wahrnehmung  gegebenen  Erscheinungen  in 
einen  widerspruchslosen  Zusammenhang  gebracht  sind,  der  mit  den 
allgemeinen  Voraussetzungen  und  Forderungen  unseres  logischen  Er- 
kennens  in  üebereinstimmung  steht.  Die  Erscheinungen  aber,  die 
uns  entweder  unmittelbar  als  geistige  Vorgänge  gegeben  sind,  oder 
die  wir  nach  bestimmten  objectiven  Merkmalen  auf  solche  beziehen^ 
wollen  wir  nicht  bloss  erklären  sondern  auch  verstehen.  Erklären 
wollen  wir  sie  nicht  weniger  wie  die  Nahirerscheinungen.  Wir  wollen 
begreifen,  wie  sie  unter  einander  und  mit  den  Naturerscheinungen 
zusammenhängen.  Dass  dieser  Zusammenhang  ein  widerspruchsloser 
und  den  allgemeinen  Gesetzen  unseres  Erkennens  conform  sei,  for- 
dern wir  hier  nicht  weniger  wie  dort.  Aber  auch  verstehen  woUen 
wir  die  geistigen  Objecte:  das  heisst  wir  wollen  wissen,  wie  sie 
wirklich  sind  oder  gewesen  sind.  Eines  solchen  Verstehen» 
können  wir  uns  —  mindestens  so  lange  wir  auf  dem  Boden  der 
empirischen  Forschung  bleiben  —  innerhalb  der  Naturwissenschaft 
nicht  anheischig  machen.  Warum  die  Natur  im  Ganzen  und  darum 
schliesslich  auch  im  Einzelnen  so  geworden  ist  wie  sie  ist,  das  ent- 
zieht sich  unserem  Verständnisse.  Wir  nehmen  die  Naturobjecte  als 
thatsächlich  gegebene  hin,  die  wir  in  ihrer  Verbindung  mit  der 
gesammten  Erscheinungswelt  zu  begreifen  suchen,  die  wir  aber,  eben 
darum  weil  die  Natur  eine  uns  gegebene  Erscheinungswelt  ist  und 
bleibt,  niemals  in  ihrem  eigenen  Sein  verstehen  können.  Sollte  uns 
das  letztere  möglich  werden,  so  müssten  wir  uns  in  die  Naturobjecte 
selbst  hineinversetzen  können,  ähnlich  wie  wir  uns  in  einen  andern 


Interpretation.  83 

Menschen,  den  wir  nach  bestimmten  psychischen  Motiven  handehi 
sehen,  versetzt  denken,  um  die  Vorstellungen  und  Triebe,  die  ihn 
bewegen,  innerlich  nachzuerleben.  Es  ist  daher  klar,  dass  dieser 
fundamentale  Unterschied  der  Zwecke  der  Naturerklärung  von  denen 
der  Interpretation  in  dem  unterschied  der  unmittelbaren  Auffassung 
onserer  psychischen  Erlebnisse  von  der  Naturerfahrung  seinen  Grund 
hat  (vgl.  Bd.  I,  S.  422  f.).  Da  aber  dieser  Unterschied  ein  erst 
durch  die  wissenschaftliche  Reflexion  entstandener,  nicht  in  der  ur- 
sprOngKchen  Erfahrung  selbst  schon  vorhandener  ist,  so  wird  es  zu- 
gleich begreiflich,  dass  das  unausgesetzte  Bestreben  der  Philosophie, 
die  sich  an  jene  Schranken  der  empirischen  Reflexion  nicht  gebunden 
glaubt,  darauf  gerichtet  ist,  jenes  Verstehen,  das  die  Interpretation 
f&r  die  Geisteswissenschaften  zu  leisten  sucht,  und  auf  das  die 
empirische  Naturwissenschaft  verzichten  muss,  einer  philosophi- 
schen Naturbetrachtung  vorzubehalten'").  Wie  man  nun  auch  über 
solche  Versuche  denken,  ob  man  sie  für  berechtigte  halten  mag 
oder  nicht,  jedenfalls  gehören  sie  der  Metaphysik  an,  und  aus  der 
Naturwissenschaft  sind  sie  unwiderruflich  verschwunden,  seit  diese 
auf  das  System  der  teleologischen  Naturerklärung  verzichtet  hat, 
welches  eben  seiner  Grundtendenz  nach  nichts  anderes  war  als  der 
Versuch,  ein  subjectives  inneres  Verstehen  an  die  Stelle  der  objectiven 
äusseren  Erklärung  zu  setzen. 

Ist  die  Interpretation  geistiger  Objecte  von  der  Erklärung  der 
Naturerscheinungen  ihrem  letzten  Zwecke  nach  verschieden,  weiter 
gehend,  deshalb  aber  auch  in  mancher  Beziehung  unsicherer  als 
diese,  die  in  ihrer  Beschränkimg  leichter  nach  exacten  Normen  zu 
rer&hren  vermag,  so  ist  von  vornherein  zu  erwarten,  dass  die  Inter- 
pretation in  ihren  wesentlichen  logischen  Eigenthttmlichkeiten  nicht 
ohne  weiteres  den  Methoden,  die  der  Naturerklärung  dienen,  gleichen 
werde.  Da  sie  jedoch  immerhin  selbst  dem  Begriff  der  „ Erklärung*' 
sich  unterordnet  und  nichts  anderes  als  eine  durch  die  besonderen 
Eigenschaften  der  geistigen  Objecte  bedingte  Erklärungsweise  sein 
will,  so  kann  es  gleichwohl  an  bestimmten  logischen  Beziehungen 
zwischen  beiden  Gebieten  nicht  fehlen.  So  zweifellos  es  darum  ein 
Fehlgriff  war,  wenn  Mi  11  den  Grundsatz  aufstellte,  dass  die  in  den 
Naturwissenschaften  bewährten  Methoden  in  der  form,  in  der  sie 
sich  in  diesen  erprobt  haben,  auch  auf  die  Objecte   der  Geistes- 


*)  Vgl.  hierzu  die  charakteristischen  Bemerkimgen  Lotzes  am  Schlüsse 
seiner  Logik,  S.  597. 


84  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Wissenschaften  anwendbar  sein  müssten*),  so  ist  es  gewiss  nicht  minder 
fehlerhaft,  wenn  man  ohne  weiteres  von  der  Voraussetzung  ausgeht, 
dass  beide  Gebiete  überhaupt  eine  total  yerschiedene  logische  Grund- 
lage besässen*'").  Vollends  wenn  eine  solche  Structurverschiedenheit 
nicht  etwa  aus  einer  wirklich  ausgeführten  Analyse  der  Methoden, 
sondern  bloss  aus  der  freilich  nicht  zu  bestreitenden  geschichtlichen 
Thatsache  gefolgert  wird,  dass  die  Naturwissenschaften  viel  später 
als  die  Geisteswissenschaften  ihrer  heutigen  Ausbildung  nahe  gekommen 
sind.  Denn  die  logische  Vollkommenheit  einer  Wissenschaft  hängt 
nur  wenig  von  den  relativen  Fortschritten,  die  sie  seit  ihrem  Anfang 
gemacht  hat,  sondern  sie  hängt  vor  allem  von  der  Natur  ihres 
Gegenstandes  und  von  der  absoluten  Ausbildung  ab,  die  sie  in  Folge 
dessen  erreichen  konnte.  Die  Erkenntnissfunctionen  aber  sind  schliess- 
lich immer  und  überall  die  nämlichen:  die  des  Historikers  oder 
Aesthetikers  können  nicht  wohl  andere  sein  als  die  des  Physikers 
oder  Physiologen ;  und  mag  auch  die  abweichende  Natur  der  Gegen- 
stände wichtige  Modificationen  der  Methoden  mit  sich  führen,  ge- 
wisse mit  den  allgemeingültigen  Normen  des  Denkens  zusanmien- 
hängende  Verfahrungsweisen  werden  doch  überall  wiederkehren.  In 
der  That  wäre  es  seltsam,  wenn  die  Art,  wie  der  Sprach-  oder  Ge- 
schichtsforscher aus  einzelnen  Thatsachen  allgemeine  Sätze  ableitet 
oder  aus  vorausgesetzten  Principien  einzelne  Erfahrungen  erklart, 
mit  der  Art  und  Weise,  wie  der  Naturforscher  auf  seinen  Gebieten 
das  nämliche  leistet,  gar  nichts  zu  thun  hätte.  Freilich  dürfen  diese 
Beziehungen  nicht  dazu  verführen,  die  Methoden  der  Wissenschaften 
nach  einer  von  aussen  an  sie  herangebrachten  Schablone  zu  con- 
struiren,  sondern  hier  wie  überall  können  jene  nur  ihren  wirklichen 
Anwendungen  entnommen  werden.  Nur  unter  dieser  Voraussetzung 
kann  zugleich  die  Feststellung  der  üebereinstimmimgen  und  Unter- 
schiede in  den  logischen  Grundlagen  der  verschiedenen  Gebiete  zur 
Beleuchtung  der  einzelnen  Erkenntnisswege  selbst  dienen***). 

*)  Mill,  Logik  II,  Buch  VI,   Cap.  L    Uebers.  von  Schiel,  S.  435  f. 
**)  W.  Dilthey,  Einleitung  in  die  Geisteswissenschaften.   Bd.  I.   Leipzig 
1883,  8.  136. 

***)  Dass  übrigens  die  allgemeinen  Regeln,  welche  die  Baconische  In- 
ductionslehre  aufstellt,  auch  mit  den  wirklichen  Methoden  der  Naturforschung 
nur  zu  einem  geringen  Theil  übereinstimmen,  hat  uns  der  vorige  Abschnitt 
(vgl.  Bd.  II,  Abth.  1,  S.  363,  Anm.)  gelehrt.  Die  Fortbildung  der  Baconischen 
Inductionslehre  hat  daher  bei  der  üebertragung  der  gleichen  Regeln  auf  die 
Geisteswissenschaften  nur  den  ursprünglich  begangenen  Fehler  wiederholt,  dass 
sie  ihre  Vorschriften  nicht  aus  den   wirklich    von    der  Wissenschaft  geübten 


Interpretation.  85 

Auf  eigenthümliche  Unterschiede  in  den  Erkenntnissmethoden 
der  Geistes-  von  denen  der  Naturwissenschaften  weist  nun  schon 
der  äussere  Umstand  hin,  dass  den  beiden  Methoden  der  Induction 
und  Deduction,  in  denen  die  Naturerklärung  wesentlich  verschiedene 
Gestaltungen  annimmt,  bei  der  Untersuchung  der  geistigen  Objecte 
die  Interpretation  als  ein  einheitliches  Verfahren  gegenübertritt. 
Aber  dieser  äussere  Unterschied  wird  sofort  wieder  dadurch  ermässigt, 
dass  sich  ja  auch  innerhalb  der  Naturforschung  jene  beiden  Methoden 
keineswegs  so  von  einander  absondern,  wie  man,  verführt  durch  die 
Uebertragung  der  inductiven  und  deductiven  Schlussformen  auf  die 
ihnen  entsprechenden  zusammengesetzten  Methoden ,  anzunehmen 
pflegte.  Wie  vielmehr  in  die  naturwissenschaftliche  Induction  de- 
ductive  Bestandtheile  eingehen,  die  sich  theils  an  einzelne  bereits 
feststehende  Sätze  theils  an  provisorische  Hypothesen  anschliessen, 
so  verläuft  anderseits  keine  zusammengesetzte  Deduction  ohne  irgend 
welche  inductive  Hülfsoperationen  (vgl.  Bd.  U,  1,  Abschn.  I,  S.  25  ff. 
und  Abschn.  III,  S.  359  ff.).  Nur  die  vorherrschende  Rich- 
tung des  Verfahrens  ist  es  daher,  die  als  Kriterium  für  die  Unter- 
scheidung beider  Methoden  festgehalten  werden  konnte.  Nun  ist 
von  vornherein  zu  erwarten,  dass  auf  die  Objecte  der  Geistes- 
wissenschaften vermöge  der  Verschiedenheit  ihrer  Bedingungen  nicht 
genau  die  nämlichen  Operationen  unseres  Erkennens  anwendbar  sein 
werden,  zu  denen  die  Gegenstände  der  Natur  herausfordern.  Aber 
diese  Operationen  müssen  doch  schliesslich  in  ihren  Grundbestand- 
theilen  die  nämlichen  bleiben,  und  insbesondere  werden  jene  beiden 
Hauptrichtungen  des  Denkens,  die  in  der  naturwissenscbaftlichen 
Induction  und  Deduction  ihren  Ausdruck  finden,  auch  hier  nicht 
fehlen.  Wie  sollten  wir  auch  anders  zu  einer  Erkenntniss  einzelner 
Thatsachen  kommen  als  dadurch,  dass  wir  entweder  aus  ihrer  Ver- 
bindung allgemeine  Erfahrungssätze  ableiten,  oder  dass  wir  auf  Grund 
ii^end  welcher  als  feststehend  geltender  Principien  das  Einzelne  zu 
begreifen  suchen?  Wenn  wir  die  Methoden  des  Verstehens  und  der 
Erklärung  im  Gebiet  der  Geisteswissenschaften  unterschiedslos  als 
Interpretation  bezeichnen ,  so  werden  wir  also  in  dieser  als  ihre 
Bestandtheile  wiederum  inductive  und  deductive  Operationen  zu 
erwarten  haben.  Die  Einheit  der  Bezeichnung  legt  nur  die  Ver- 
muthung  nahe,   dass  hier  in  jeder  einzelnen  Erklärung  beide  innig 

Methoden  abstrahirte,  sondern  philosophischen  Voraussetzungen  entnahm,  wobei 
eich  dann  freilich  das  entworfene  Scliema  von  dem  wirklichen  Verfahren  immer 
weiter  entfernen  musste. 


gt)  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

an  einander  gebunden  sind,  so  dass  sich  das  Bedürfhiss  sie  nach 
bestimmten  vorherrschenden  Richtungen  des  Denkens  zu  trennen 
nicht  Alhlbar  gemacht  hat.  In  der  That  bestätigt  sich  diese  Voraus- 
sage bei  jedem  Schritt,  den  wir  in  der  Analyse  irgend  welcher 
Leistungen  höherer  oder  niederer  Interpretationskunst  thun  mögen. 
Die  Aufgabe  einer  Logik  der  Interpretation  ist  es  daher,  zunächst 
die  eigenthümliche  Verwebung  elementarer  logischer  Operationen 
nachzuweisen,  die  diese  Methode  einschliesst,  und  sodann  die  speci- 
fischen  Voraussetzungen  zu  ermitteln,  unter  denen  in  diesem  Fall 
die  Anwendung  der  Denkgesetze  steht,  und  von  denen  schon  wegen 
der  abweichenden  Anforderungen,  die  der  Zweck  des  Verstehens 
zu  dem  allgemeineren  der  Erklärung  hinzubringt,  erwartet  werden 
darf,  dass  sie  wesentlich  andere  sein  werden  als  auf  dem  Gebiet  des 
Naturerkennens. 

Mit  Rücksicht  auf  die  äusseren  unterschiede  der  Aufgaben  der 
Interpretation  sondern  sich  mm  zwei  Anwendungsweisen  derselben, 
die  wir  als  die  niedere  und  die  höhere  Form  bezeichnen  können. 
Die  erstere  entspricht  dem  vul^lren  Begriff  der  Interpretation.  An 
die  ursprünglichste  Wortbedeutung  sich  anlehnend,  umfasst  sie  alle 
die  Verfahrungsweisen ,  durch  die  ein  geistiges  Object  mittelst  der 
Subsumtion  unter  bereits  vorhandene  Begriffe  verständlich  gemacht 
wird.  Die  Uebersetzung  aus  einer  fremden  in  die  eigene  Sprache 
kann,  als  der  einfachste  Fall,  zugleich  als  typisch  für  diese  niedere 
Form  der  Interpretation  überhaupt  gelten.  Bei  der  uebersetzung 
wird  jedes  Wort  und  jede  Wortverknüpfung  einem  geläufigen  Begriff 
und  einer  bekannten  Begriffsverknüpfung  subsumirt:  das  unverstan- 
dene wird  also  verständlich,  indem  man  es  auf  ein  Bekanntes,  auf 
die  geläufigen  Formen  der  eigenen  Sprache,  zurückführt.  Dieses 
Verfahren  wird  im  Princip  nicht  geändert,  wenn  an  die  SteUe  der 
Subsumtion  unter  bekannte  sprachliche  Formen  eine  solche  unter 
bekannte  mythologische,  geschichtliche  oder  technische  Gesichts- 
punkte tritt,  oder  wenn  sich  diese  verschiedenen  Hülfsmittel  zu  jenem 
Zweck,  das  unbekannte  durch  seine  Zurückfbhrung  auf  Bekanntes 
verständlich  zu  machen,  verbinden.  Die  verschiedenen  Arten  der 
Interpretation,  die  die  philologische  Hermeneutik  zu  unterscheiden 
pflegt,  wie  die  grammatische,  historische,  individuelle  und  generische, 
oder  die  grammatische,  historische  und  technische  u.  a.*"),  haben  im 


*)  Vgl.  Boeckh,   Encjklopädie  und  Methodologie  der  philologischen 
Wissenschaften.    Herausgegeben   von  E.  Bratuschek.     Leipzig  1877,    S.  79  fF. 


InterpretatioQ.  g7 

allgemeinen  vorzugsweise  diese  niedere  Form  im  Auge,  ohne  jedoch 
die  Ghrenzen,   die  ihr  zu  ziehen  sind,   deutlich  zu  bezeichnen  oder 
strenge  einzuhalten'*').    Dies  wird  daraus  verständlich,  dass  die  philo* 
logische  Hermeneutik   die    praktisch*pädagogische  Nebenbedeutung, 
die  ihr  ursprünglich  eigen  war,  immer  noch  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  beibehalten  hat.    Für  die  logischen  Eigenschafben  der  Methode 
sind  jene  philologischen  Unterscheidungen  ohne  Bedeutung,   da  sie 
sich  nur  auf  die  Hülfsmittel  der  Erklärung  beziehen,  nicht  auf  das 
logische  Verfahren,  das  diese  einschlägt.   Jene  Hülfsmittel  sind  mm 
in   hohem  Gh*ade  von  den  betrachteten  Objecten  abhängig,  auf  die 
logischen  Operationen  der  Untersuchung  haben  sie  keinen  oder  doch 
nur  einen  indirecten  Einfluss.     Ueberhaupt   aber  hat  jene  niedere 
Interpretation,  auf  Grund  deren  zumeist  diese  Unterscheidungen  ge* 
macht  wurden,   an  sich  zwar  ein  hohes  technisches,   aber  nur  ein 
geringes  logisches  Interesse.   Wo  sie  in  ihrer  unvermischten  Gestalt 
vorkommt,   wie   bei  der  Uebersetzung ,   da  besteht  sie  eben  nur  in 
einer  Reihe  einzelner  Subsumtionen.     Sobald   dagegen  der  den  ge- 
läufigen Begriffen  subsumirte  Inhalt  selbst  zur  Vervollständigung  der 
bereits  vorhandenen  Erkenntnisse  beiträgt,  so  ist  damit  der  Anlass 
zur  Verbindung  dieser  niederen  mit  der  höheren  Interpretation  ge- 
geben, die  wir  auch  die  productive  nennen  können,  weil  sie  allen 
Erweiterungen  unserer  Erfahrung  auf  diesen  Gebieten  zu  Grunde 
liegt.   Sie  ist  es  in  der  That  allein,  die  mit  den  allgemeinen  Methoden 
der    naturwissenschaftlichen    Forschung    auf  gleiche    Linie    gestellt 
werden  kann,   während  die  bloss  subsumirende  Interpretation   etwa 


Fr.  Bla8  8,  Hermeneutik  und  Kritik  in  Iwan  Müllers  Handbuch  der  klassischen 
Alterihamswissenschaft,  Bd.  I.    NOrdlingen  1866,  S.  150  ff. 

*)  Auf  dieser  Verwischung  der  Grenzen  beruht  es,  wenn  B  o  e  c  k  h  (a.  a.  0. 
S.  85  f.)  von  einem  Cirkel  spricht,  den  die  Aufgaben  der  Hermeneutik  zuweilen 
enthalten  sollen,  weil  die  Interpretation  einerseits  den  Gegenstand  erkennen 
wolle,  anderseits  aber  ihn  als  bekannt  voraussetze.    Der  Girkel  verschwindet, 
wenn  man  erwägt,  dass  die  Subsumtion  des  unbekannten  unter  Bekanntes  und 
die  Erkenntniss  neuer  Thatsachen  zwei  verschiedene  Aufgaben  sind,  die  sich 
aber  freilich  in  der  Regel  bei  einem  und  demselben  Problem  mannigfach  durch- 
kreuzen.   Blass  (a.  a.  0.  S.  158)  bezeichnet  nach  dem  Vorgang  von  Ast  als 
höhere  Interpretation  diejenige,  die  das  geistige,  also  bei  einem  philosophi- 
schen Werk  das  philosophische,  bei  einem  medicinischen  das  medicinische,  bei 
«inem  Werk  der  Kunst  das  Ästhetische  Verst&ndniss  vermittle,  und  schliesst 
diese  Aufgabe  von  der  eigentlichen  Interpretation  aus.     Da  sich  dieser  Begriff 
der  höheren  Interpretation  auf  den  speciellen  Inhalt,  nicht  auf  den  methodi- 
schen Zweck  derselben  bezieht,  so  fällt  er  logisch  mit  dem  oben  festgehaltenen 
nicht  zusammen. 


gS  Allgemeine  Orondlfigen  der  Creisteswissenschaften. 

nur  in  den  Yerfahrungsweisen  der  Exemplification  bekannter  Natur- 
gesetze und  «der  Classification  von  Naturobjecten  nach  allgemeinen 
Merkmalen  gewisse  Analogien  hat.  Immerhin  zeichnen  sich  jene 
InteipretatioDsformen  vor  diesen  naturwissenschaftlichen  Methoden 
dadurch  aus,  dass  sie  in  ihrer  Ausübung  auf  das  engste  mit  der 
höheren  Interpretation  verflochten  sind,  so  dass  sie  mit  dieser  bei 
allen  irgendwie  verwickelten  Problemen  in  ein  einziges  Verfahren 
verschmelzen. 

Diese  höhere  Interpretation  geht  nun  darauf  aus,  neue  geistige 
Inhalte,  die  den  vorhandenen  Begriffen  nicht  einfach  subsumirt  werden 
können,  zum  Verständnisse  zu  bringen.  Die  so  vermittelte  Erwei- 
terung der  Erkenntniss  kann  wiederum  nur  durch  die  Verbindung 
mit  gegebenen  geistigen  Inhalten  zu  Stande  kommen,  und  diese  Ver- 
bindung muss,  da  sie  sich  nur  auf  Obereinstimmende  Eigenschaften 
gründen  kann,  welche  die  der  einfachen  Subsumtion  im  Wege 
stehenden  unterschiede  begleiten,  nothwendig  auf  Beziehungen 
der  Analogie  beruhen.  Fassen  wir  also  die  sich  überall  durch- 
dringenden und  ergänzenden  Aufgaben  beider  Formen  zusammen,  so 
lässt  sich  die  Aufgabe  der  Interpretation  überhaupt  dahin  bestimmen^ 
dass  sie  geistige  Vorgänge  und  geistige  Schöpfungen  theils  durch 
die  Subsumtion  unter  bereits  vorhandene  Erkenntnisse  theils  durch 
die  Ausdehnung  dieser  letzteren  auf  neue,  ihnen  analoge  Inhalte  zu 
erklären  und  zu  verstehen  sucht.  Der  Subsumtions-  und  der 
Analogieschluss  sind  so  die  beiden  logischen  Fundamentalopera- 
tionen, auf  die  das  Interpretationsverfahreu  hinweist. 

Doch  diese  beiden  Schlussformen  bezeichnen  durchaus  nur  die 
allgemeinen  Richtungen,  in  denen  sich  die  Interpretation  be- 
wegt. Innerhalb  dieses  allgemeinen  Verlaufs  setzt  sie  sich  aber  aus 
einer  Anzahl  einzelner  Methoden  zusammen,  die,  im  allgemeinen  mit 
einer  bestimmten  Regelmässigkeit  auf  einander  folgend,  ihre  wesent- 
lichen unterschiede  von  andern  wissenschaftlichen  Methoden  aus- 
machen. Einerseits  nämlich  muss  das  objective  Material  zu  den 
Subsumtions-  und  Analogieschlüssen  auf  methodischem  Wege  ge- 
wonnen werden:  es  ist  neben  der  unmittelbaren  Beobachtung  der 
Thatsachen  oder  der  Zeugnisse,  auf  denen  die  Annahme  gewisser 
Thatsachen  beruht,  vor  allem  die  vergleichende  Methode,  die 
diesem  vorbereitenden  Zweck  dient.  Anderseits  gründen  sich  jene 
Schlüsse  auf  gewisse  allgemeine  und  für  das  Gesammtgebiet  der 
Geisteswissenschaften  allgemeingültige  Voraussetzungen.  Solche  Vor- 
aussetzungen, die,  wie  früher  (S.  56)  bemerkt,  vor  den  analogen  all- 


Interpretation.  89 

gemeinen  Prämissen  der  naturwissenschaftlichen  Untersuchung  den 
grossen  Vorzug  haben,  dass  sie  auf  die  unmittelbare  Erfahrung  zurück- 
gehen, können  aber  nur  der  psychologischen  Analyse  und  Ab- 
straction  entnommen  werden.  Auf  diese  Weise  sind  es  die  beiden 
zuvor  erörterten  einfacheren  Methoden,  die  als  wesentliche  Bestand- 
theile  in  die  Interpretation  eingehen,  und  die  durch  die  Art,  wie  sie 
angewandt  und  mit  einander  verknüpft  werden,  den  einzelnen  Ge- 
staltungen des  Verfahrens  ihr  Gepräge  verleihen.  Zunächst  haben 
nämlich  jene  beiden  Bestandtheile  in  dem  Ganzen  der  Methode  eine 
je  nach  dem  Object  und  dem  Zweck  der  Untersuchung  verschiedene 
Bedeutung.  Zu  ihrer  vollen  Entfaltung  gelangen  sie  beide  begreif- 
licher Weise  nur  bei  der  höheren  oder  productiven  Interpretation, 
auf  die  wir  uns  daher  auch  im  folgenden  vorzugsweise  beziehen 
werden.  Die  niedere  Methode  bedient  sich  abgekürzter  Formen:  die 
Subsumtion  unter  feststehende  Begriffe  gestattet  es  hier,  das  ver- 
gleichende Verfahren  auf  eine  kleine  Anzahl  von  Gliedern,  eventuell 
auf  bloss  zwei,  nämlich  auf  den  zu  erklärenden  und  auf  den  erklären- 
den Factor,  einzuschränken,  und  der  psychologische  Theil  des  Ver- 
fahrens pflegt  zumeist  in  dem  blossen  Hinweis  auf  den  zu  dem  Ver- 
ständnisse unerlässlichen  psychischen  Thatbestand  zu  bestehen.  Auch 
die  Interpretation  eines  bis  dahin  noch  nicht  verstandenen  geistigen 
Objectes,  die  zu  der  Subsumtion  in  mehr  oder  minder  weitgehendem 
Masse  die  Analogie  hinzunimmt,  zeigt  jedoch  noch  wesentliche  Unter- 
schiede und  Eigenthümlichkeiten  nach  den  besonderen  Bedingungen 
der  Probleme.  Je  singulärer  die  Thatsachen  sind,  um  deren  Ver- 
ständniss  es  sich  handelt,  d.  h.  je  weniger  sie  zu  andern  ihnen  ähn- 
lichen in  Beziehung  gesetzt  werden  können,  um  so  geringer  ist  natür- 
lich der  Spielraum,  der  der  vergleichenden  Methode  zur  Verfügung 
steht.  Das  absolut  Alleinstehende  würde  ja  überhaupt  nicht  mehr 
verglichen  werden  können.  Nun  gibt  es  solch  absolute  Isolirung  im 
geistigen  Leben  so  wenig  wie  in  der  Natur.  Anlässe  zu  irgend 
welchen  Vergleichungen  sind  daher  immer  vorhanden.  Aber  es  be- 
gründet doch  einen  wesentlichen  Unterschied,  ob  diese  auf  ein  bloss 
individuelles  Vergleichen  beschränkt  bleibt,  wie  bei  den  Thatsachen 
der  eigentlichen  Geschichte,  oder  ob  sie  von  da  aus  zu  einer  generi- 
schen  Vergleichung  nach  natürlichen  oder  Entwicklungsmerkmalen 
übergehen  kann,  wie  in  der  Geschichte  der  meisten  geistigen 
Schöpfungen,  oder  endlich  ob  sie  diese  Vergleichung  auf  eine  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  willkürliche  Gombination  der  Einzelthatsachen 
zu   grQnden    vermag,    wie   bei    den   von    der  Statistik    behandelten 


90  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Massenerscheinungen.  Je  mehr  sich  die  Untersuchung  auf  eine 
individueUe  Vergleichung  von  Ereignissen  beschränken  muss,  um  so 
spärlicher  wird  naturgemäss  der  Antheil,  den  die  yei^^leichende 
Methode  überhaupt  an  der  Interpretation  nimmt.  Diese  geht  daher 
in  solchen  Ffillen  fast  ganz  in  der  psychologischen  Analyse  und  Ab- 
straction  auf.  Will  z.  B.  der  Biograph  eine  Handlung  seines  Helden 
erklären,  so  wird  er  nach  kurzer  Vergleichung  der  vorausgehenden 
und  der  begleitenden  Umstände  sofort  mit  Hälfe  der  psychologischen 
Analyse  des  Falls  sein  Ziel  zu  erreichen  suchen.  Dies  ändert  sich 
sobald  die  generische  Vergleichung  hinzukommt.  Es  pflegen  sich 
dann  von  vornherein  die  der  vergleichenden  Methode  zufallenden 
Bestandtheile  der  Interpretation  ungleich  schärfer  von  der  nachher 
kommenden  psychologischen  Untersuchung  zu  sondern,  so  dass  das 
ganze  Verfahren  deutlich  in  zwei  Hälften  zerfallt.  So  kann  der 
Sprachforscher  die  Bedeutungsentwicklung  einer  Glasse  von  Wörtern 
mittelst  auf  einander  folgender  individueller  und  generischer  Ver* 
gleichungen  zunächst  ganz  unbekümmert  um  die  psychologische 
Natur  der  Processe  studiren.  Soll  aber  die  Interpretation  voll- 
ständig sein,  so  wird  allerdings  eine  hinzukommende  psychologische 
Analvse  nicht  fehlen  können.  Denn  es  ist  klar,  dass  diese  überall 
erst  das  wirkliche  Verstehen  der  Erscheinungen  vermittelt,  während 
die  Vergleichung  immer  nur  zur  Verallgemeinerung  gewisser  That- 
Sachen  und  zur  Subsumtion  neuer  Erscheinungen  unter  die  so  ge- 
wonnenen empirischen  Regeln  führen  kann.  In  diesem  wechselnden 
Verhältniss  der  beiden  Bestandtheile  liegt  es  zugleich  begründet, 
dass  in  den  Gebieten,  in  denen  die  vergleichende  Methode  in  weiterem 
Umfange  angewandt  werden  kann,  nicht  selten  der  psychologische, 
das  eigentliche  Verständniss  erst  vermittelnde  Theil  des  Verfahrens 
zurückstehen  muss,  so  dass  die  höhere  productive  Interpretation  in 
solchen  Fällen  eine  unvollständige  bleibt,  indem  sie  sich  auf  die  Fest- 
stellung bestimmter  empirischer  Regeln  beschränkt,  ohne  deren  eigent- 
liche Ursachen  anzugeben.  Die  niedere  Interpretation  pflegt  dann 
aber  um  so  exacter  ausführbar  zu  sein,  da  das  Einzelne  ohne 
weiteres  einer  solchen  Regel  subsumirt  werden  kann.  In  einem 
Gebiet,  auf  dem  die  vergleichende  Methode  überhaupt  von  geringer 
Bedeutung  und  namentlich  nur  in  der  Form  einer  die  äusseren  Ver- 
änderungen verfolgenden  individuellen  Vergleichung  möglich  ist,  würde 
dagegen  von  dem  Versuch  einer  Interpretation  nicht  mehr  die  Rede 
sein  können,  wenn  man  auf  die  psychologische  Analyse  der  Fälle 
verzichtete.     Auf  diese  Weise  erklärt  sich  die  auf  den  ersten  Blick 


Interpretation.  91 

paradoxe  Erscheinung,  dass  Versuche  endgültiger  psychologischer 
Erklärung  im  allgemeinen  in  den  Geisteswissenschaften  eine  um  so 
grössere  Rolle  spielen,  je  unexacter  diese  sind,  d.  h.  je  weniger  sie 
eine  umfangreichere  Anwendung  der  vergleichenden  Methode  zulassen, 
und  dass  man  sich  um  so  häufiger  mit  vorläufigen  empirischen 
Regeln  begnügt  und  auf  endgültige  psychologische  Deutungen  ver- 
zichtet, je  mehr  schon  in  der  Aufstellung  solcher  Regeln  eine  werth- 
ToUe  wissenschaftliche  Leistung  besteht.  Immerhin  macht  sich  dann 
das  Bedürfniss  nach  einer  ergänzenden  psychologischen  Analyse 
meistens  sehr  lebhaft  geltend,  und  dasselbe  pflegt  in  mancherlei  vor- 
läufigen Hypothesen  seinen  Ausdruck  zu  finden. 

Von  den  beiden  hier  hervorgehobenen  Bestandtheilen  der  Inter- 
pretation zieht  nun  der  erste,  die  vergleichende  Methode,  durch- 
weg die  Erscheinungen,  nur  in  den  ihnen  zukommenden  objectiven 
Eigenschaften  in  Betracht.  Die  psychologische  Analyse  und  Ab- 
straction  dagegen  versucht  es,  die  so  gewonnenen  objectiven  Ergeb- 
nisse zu  deuten,  theils  indem  sie  dieselben  unmittelbar  den  aus 
eigenen  inneren  Erlebnissen  zu  Gebote  stehenden  psychologischen 
Erfahrungen  subsumirt,  theils  und  vornehmlich  aber  indem  sie,  durch 
das  oben  angedeutete  productive  Analogieverfahren  geleitet,  diese 
Erfahrungen  selbst  durch  die  Ausdehnung  auf  die  neuen  objectiven 
Thatsachen  erweitert.  Sind  es  demnach  zunächst  objective  Merk- 
male, auf  die  sich  die  beiden  Bestandtheile  der  Interpretation  stützen, 
so  wird  nun  aber  das  Yerhältniss  dieser  Merkmale  zu  einander  da- 
durch näher  bestinmit,  dass  der  Vergleichung  die  vorbereitende,  der 
psychologischen  Analyse  die  endgültig  erklärende  Function  zukommt, 
und  dass  die  Art,  wie  die  erstere  in  den  beiden  Formen  der  indi- 
viduellen und  generischen  Vergleichung  angewandt  wird,  mit  den 
Objecten  der  Untersuchung  wechselt.  Dem  entsprechend  sind  die 
Ton  der  Vergleichung  benützten  Merkmale  durchgängig  concrete: 
sie  gehören  unmittelbar  den  untersuchten  Erscheinungen  selbst  an. 
Die  psychologische  Analyse  hingegen  verwerthet  erst  die  Merkmale, 
die  ihr  die  vergleichende  Methode  zur  Verfügung  stellt:  sie  sind 
demnach  allgemeine  und  mehr  oder  minder  abstracte,  wenn  die 
Analyse  auf  Grund  einer  generischen  Vergleichung  vorgenommen 
wird;  sie  bleiben  concrete,  wenn  sich  dieselbe  sofort  oder  nur  auf 
Grund  einer  individuellen  Vergleichung  der  Erscheinungen  bemächtigt. 
Das  erste  findet  sich,  wie  aus  den  früheren  Erörterungen  hervorgeht, 
in  den  eben  nach  dieser  die  Analyse  vorbereitenden  Vergleichung  so 
genannten  vergleichenden,   das   zweite  in  den  im  engeren  Sinne 


92  Allgemeine  Grandlagen  der  Geisteswissenschaften. 

historischen  Geisteswissenschaften.  So  knüpft  die  vergleichende 
Sprachwissenschaft  ihre  psychologische  Analyse  der  allgemeinen  Ur- 
sachen der  Veränderungen  der  Laute  und  der  zusammengesetzten 
sprachlichen  Formen  an  allgemeine  Regeln,  die  durch  ein  umfassen- 
des vergleichendes  Verfahren  gewonnen  sind.  Das  Substrat  der  den 
Gründen  der  Erscheinungen  nachgehenden  psychologischen  Analyse 
besteht  also  hier  in  allgemeinen,  nicht  in  individuellen  Merkmalen , 
und  auf  die  letzteren  geht  die  Analyse  immer  nur  dann  zurück, 
wenn  sie  die  allgemeine  Erscheinung  durch  den  einzehien  Fall  be- 
leuchten, oder  auch  wohl  wenn  sie  den  besonderen  Bedingungen 
nachspüren  will,  die  eine  scheinbare  Ausnahme  von  einer  allgemeinereu 
Gesetzmässigkeit  bedingt  haben.  Die  politische  Geschichte  dagegen 
stützt  sich  bei  der  Analyse  der  ursächlichen  Verkettung  der  Begeben- 
heiten unmittelbar  auf  die  individuellen  Thatsachen  mit  den  ihnen 
zukommenden  concreten  Merkmalen.  Dass  jedoch  zwischen  diesen 
beiden  äussersten  Fällen  die  mannigfachsten  Uebergänge  vorkommen, 
versteht  sich  nach  dem  früher  über  die  Unterschiede  der  Standpunkte 
und  Methoden  in  den  einzelnen  Gebieten  Bemerkten  von  selbst.  So 
nähert  sich  die  specifisch  sprachgeschichtliche  Behandlung  durch 
ihre  grössere  Beachtung  der  individuellen  Fälle  und  ihrer  Bedingungen 
der  gewöhnlichen  individuellen  Methode  des  Historikers,  ebenso  wie 
auf  der  andern  Seite  der  Versuch,  mittelst  der  Vergleichung  der 
Zustände  eine  Unterlage  für  die  Analyse  der  geschichtlichen  Ver- 
änderungen zu  gewinnen,  die  Methode  der  Geschichtsforschung  theil- 
weise  in  die  der  vergleichenden  Wissenschafben  übergehen  lässt. 
Abgesehen  von  diesen  durch  die  Standpunkte  der  Auffassung  und 
die  abweichenden  Behandlungsweisen  entstehenden  Unterschieden 
folgt  übrigens  die  Interpretation  in  allen  Gebieten  den  nämlichen 
hier  in  ihren  allgemeinen  Grundzügen  entwickelten  Normen.  Selbst 
die  Psychologie  macht  hiervon  keine  Ausnahme.  Denn  die 
wissenschaftliche  Psychologie  kann  der  objectiven  Hülfsmittel  nicht 
entbehren.  Zwar  tritt  in  ihr  gerade  in  dem  Theil,  der  für  die  all- 
gemeine Erkenntniss  der  psychischen  Vorgänge  und  damit  für  die 
in  allen  Geisteswissenschaften  geübte  psychologische  Analyse  grund- 
legend ist,  in  der  Individualpsychologie,  die  vergleichende 
gegenüber  der  experimentellen  Methode  zurück.  Aber  sowohl 
die  praktischen  Anwendungen  der  Individualpsychologie  auf  das  Stu- 
dium der  typischen  Unterschiede  der  geistigen  Charaktere  wie  die 
Gebiete  der  Völker-  und  der  Thierpsychologie  machen  in  so  vor- 
waltender Weise   von   der   vergleichenden   Methode   Gebrauch,   dass 


Interpretation.  93 

man  sie  nicht  mit  unrecht  als  die  beiden  Theile  einer  „vergleichen- 
den Psychologie*  betrachtet  hat.  Unter  ihnen  ist  die  Völkerpsycho- 
logie insbesondere  ein  Gebiet,  das  den  einzelnen  vergleichenden 
Geisteswissenschaften  parallel  geht  und  den  Interpretationen  derselben 
als  Grundlage  dienen  sollte.  Uebrigens  darf  man  wohl  darin,  dass 
die  Individualpsychologie  an  Stelle  der  vergleichenden  die  experi- 
mentelle Methode  zur  Verfügung  hat,  um  mit  ihrer  Hülfe  die  in 
ihrer  unmittelbar  gegebenen  Form  überaus  unsicheren  und  schwanken- 
den Thatsachen  der  inneren  Wahrnehmung  einer  ezacten  Analyse  zu 
unterwerfen,  eine  für  die  Methodik  der  gesammten  Geisteswissen- 
schaften überaus  glückliche  und  zugleich  in  dem  allgemeinen  logi- 
schen Zusammenhang  der  Methoden  tief  begründete  Fügung  erblicken. 
Dass  die  Thatsachen  unserer  psychischen  Erfahrung  in  ihrer  inneren 
Structur  aufgehellt  und  einem  causalen  Verständnisse  lediglich  da- 
durch zugänglich  gemacht  werden  sollten,  dass  man  viele  Thatsachen 
vergleicht  und  zu  Allgemeinbegriffen  verbindet,  dies  ist  absolut  aus- 
geschlossen. Denn  die  vergleichende  Methode  kann  mit  Erfolg  ihre 
Hebel  überall  erst  ansetzen,  sobald  die  einzelnen  Thatsachen  selbst 
genau  beobachtet  und  analysirt  sind.  Eine  generische  Vergleichung, 
die,  ehe  diese  Vorbedingung  erfüllt  ist,  eine  logische  Ordnung  vor- 
nehmen will,  kann  nicht  mehr  leisten,  als  dass  sie  aus  ungenau  be- 
kannten Thatsachen  unbestimmte  Allgemeinbegriffe  von  zweifelhaftem 
Werth  bildet,  ein  Schicksal  dem  die  Vermögenspsychologie  früherer 
Tage  verfallen  ist.  Soll  jene  psychologische  Analyse,  die  in  allen 
speciellen  Geisteswissenschaften  zu  einem  mehr  oder  minder  aus- 
gebildeten vergleichenden  Verfahren  hinzutreten  muss,  um  eine  Inter- 
pretation zu  Stande  zu  bringen,  wirklich  einen  wissenschaftlichen 
Charakter  haben,  so  muss  daher  das  Gebiet,  das  die  Ghnindlagen 
dieser  Analyse  hergibt,  die  Psychologie,  über  andere  Hülfsmittel 
verftLgen,  die  den  Ergebnissen  einen  exacten  Charakter  geben.  Das 
einzige  Hülfsmittel,  das  aber,  wenn  die  vergleichende  Methode  aus- 
geschlossen ist,  möglich  bleibt,  ist  das  experimentelle  Verfahren,  das 
in  der  That,  wie  wir  sehen  werden,  in  der  Individualpsychologie  die 
spedfische  Bedeutung  annimmt,  dass  es  nicht,  wie  in  der  Regel  in 
der  Naturwissenschaft,  die  durch  exacte  Beobachtung  bekannten 
Erscheinungen  willkürlich  varürten  Bedingungen  unterwirft,  um  sie 
dadurch  in  ihren  causalen  Beziehungen  zu  erkennen,  sondern  dass 
es  überhaupt  erst  die  Bedingungen  herstellt,  unt^r  denen  eine  exacte 
Beobachtung  möglich  ist.     (Vergl.  unten  Gap.  II,  2.) 

Diese  Zwischenstellung,  welche  die  Psychologie  durch  ihre  Me- 


94  Allgemeine  Grundlagen  der  G^eisteswiasenschaften. 

thodik  zwischen  den  Natur*  und  Oeisteswissenschaften  einnimmt,  ist 
wesentlich  darin  begründet,   dass  die  psychischen  Vorgänge  nicht 
bloss  unter  einander,   sondern  dass  sie  immer  zugleich  mit  physi- 
schen Vorgängen  zusammenhängen,  da  sie  allgemein  betrachtet  nur 
einen  Theil  der  Lebensvorgänge  ausmachen,  die  in  allen  ihren  Be- 
standtheilen  eng  mit  einander  verknüpft  sind.   Indem  nun  die  physi- 
schen Organe  als  Naturobjecte  unserer  willkürlichen  experimentellen 
Beeinflussung  zugänglich   sind,  kann  eben  damit  indirect  auch  das 
psychische  Leben  der  nämlichen  willkürlichen  Variation  seiner  Er- 
scheinungen unterworfen  werden.   Dieses  Verhältniss  hat  weittragende 
Bückwirkungen  auf  alle  geistigen  Objecte  und  damit  auf  die  Geistes- 
wissenschaften  selbst  zur  Folge,   Bückwirkimgen  die  auch   in   den 
allgemeinen  Methoden  derselben  zu  Tage  treten.     Wie   das  Object 
der  Individualpsychologie ,  das  individuelle  Bewusstsein ,  ein  überall 
nur  durch  Abstraction  zu  gewinnender  Bestandtheü  eines  die  physi- 
schen wie  die  psychischen  Lebensvorgänge  umfassenden  Processes 
ist,  so  gibt  es  auch  in  der  Oesammtheit  der  geistigen  Vorgänge  und 
Schöpfungen,    in   deren  Interpretation   die   einzelnen   Geisteswissen- 
schaften ihre  Aufgabe  sehen,  nichts  was  dieser  physischen  Bedingt- 
heit völlig  entzogen  wäre.    Das  Princip  der  Naturbedingtheit  bildet 
darum  eine  in  verschiedenen  Gebieten   in  verschiedenem  Masse    zur 
Anwendung  kommende,   nirgends   aber  ganz  zu  entbehrende  heu- 
ristische Maxime   der  Forschung.     (Vergl.   oben  S.  41.)     In  me- 
thodischer Beziehung  begründet  aber  dieser  Umstand  von  vornherein 
Schwierigkeiten    und  Verwicklungen,    die  den   Naturwissenschaften 
wenigstens  in  ihren  fundamentalen  Gebieten,  in  der  Mechanik,  Physik 
und  Chemie,  unbekannt  sind.     Hier  überall  ist  es  möglich,  nur  auf 
die  Naturseite  der  Erscheinungen  zu  reflectiren,   selbst  da  wo  diese 
nebenbei    noch   als   Objecte    der  Geisteswissenschaften   in   Betracht 
kommen  sollten.     Auch   die   Physiologie  macht   daher  von  diesem 
Princip  in  weitem  Umfange  Gebrauch,  obgleich  freilich  hier  bei  den 
letzten  Problemen  die  nämliche  durch  keine  Abstraction  zu  beseiti- 
gende Wechselbeziehung  sich  aufdrängt.   Was  innerhalb  der  Natur- 
wissenschaften nur   als   ein   letzter  Grenzfall   sich  ereignet,   das  ist 
nun  in  den  Geisteswissenschaften  von  der  Psychologie  an  eine  nirgends 
aufzuhebende  Bedingung  der  Untersuchung.     Es  liegt  aber  in  der 
Natur  der  Verfahrungsweisen,  dass  sich  dieses  Verhältniss  innerhalb 
der  vergleichenden  Methode  weniger  geltend  macht  als  in  der  end- 
gültig  die  Interpretation   abschliessenden   psychologischen  Analyse. 
Indem  sich  jene  auf  die  Sammlung,  Sichtung  und  nöthigenfalls  auf 


Interpretation.  95 

die  Yerallgemeinerung  concreter  Erscheinungen  beschränkt,  kann  sie 
TÖllig  dahingestellt  lassen,   ob  überhaupt  oder  in  welchem  Umfang 
die  festgestellten  Thatsachen  oder  die  durch  generische  Yergleichung 
gew^onnenen  Regeln  eine  physische   oder  eine  psychische  Bedeutung 
besitzen.    So  fallen  z.  B.  die  Laut-,  Bedeutungs*  und  Formverglei- 
chungen  der  Sprachwissenschaft  in   das   Gebiet  der  Geisteswissen- 
schaften, weil  die  Sprache  an  sich  eine  geistige  Schöpfung  ist.   Aber 
da  sie,   wie   alle  geistigen  Schöpfungen,   zugleich  physisch  bedingt 
ist,   so  sind  für  die  auf  Grund  der  Yergleichung  gewonnenen  Laut- 
regeln  ebensowohl  physiologische  wie  psychologische  wie  gemischte, 
aus  physischen  und  psychischen  Elementen   zusammengesetzte  Deu- 
tungen möglich.   Je  mehr  es  sich  um  eng  begrenzte  Erscheinungen 
handelt,   um  so  leichter  wird  es  im  allgemeinen  geschehen  können, 
dass  sich  auch  die  Erklärung  auf  einen  dieser   Bestandtheile    be- 
schrankt.    Bei  irgend  umfassenderen  Problemen  ist  aber  von  vom- 
herein    zu   erwarten,   dass   die    zusammengesetzte   psychophysische 
Natur  der  sprachlichen  Functionen  filr  die  einzelne  Erscheinung  eine 
Deutung  fordert,  die  diese  verschiedenen  Factoren  einschliesst.     So 
weist  z.  B.  der  Lautwandel  zunächst  auf  bestimmte  physische  Yer- 
änderungen  der  Sprachorgane  hin;  aber  unter  den  Bedingungen  für 
diese  Yeränderungen  werden  Yerhältnisse  der  allgemeinen  geistigen 
Cultur  oder  Einflüsse  anderer  Sprachgemeinschaften,  die  wir  im  all- 
gemeinen als  psychische  Factoren  aufzufassen  haben,   nicht  auszu- 
schliessen  sein.     Das  nämliche  gilt  fttr  alle  geistigen  Objecte.    All- 
gemein besteht  daher  der  psychologische  Theil  der  Interpretation  in 
einer  Analyse  dieser  sämmtUchen  physischen  wie  psychischen  Fac- 
toren  mit  Rücksicht  auf  ihre  Beziehungen  und  Wechselwirkungen. 
Der  Ausdruck  «psychologische  Analyse"  fttr  dieses  Geschäft  bedeutet 
also  nicht  eine  rein  psychische  Analyse  —  eine  solche   gibt  es 
nirgends,  und  vor  allem  ist  sie  auch  innerhalb  der  Psychologie  selbst 
unmd^ch   —  sondern  er  will  eben  diejenige  Analyse   bezeichnen, 
deren  sich  die  Psychologie  auf  Gnmd  der  ihr  gegebenen  Erfahrungs- 
inhalte bedient,  imd   die   sich  von  ihr  aus  auf  alle  geistigen  That- 
sachen erstreckt,  an  denen  ähnliche  Erfahrungsinhalte  betheiligt  sind. 
Wenn  wir  diese  Analyse  eine  psychologische  und  nicht  etwa  eine 
psychophysische  nennen,  so  hat  dies  seinen  guten  Grund  darin,  dass 
die  endgültigen  Bedingungen  der  Erscheinungen  dem  Gebiet  des 
Psychischen  zufallen,  weil  bei  der  Entstehung  geistiger  Yorgänge  und 
geistiger  Enseugnisse  zwar  überall  physische   und  psychophysische 
Factoren  als  nähere  oder  entferntere  Bedingungen  wirksam  sind,  die 


96  Allgemeine  Grundlagen  der  Geist eswiseenschafben. 

für  die  Eigenthümlichkeit  der  Erscheinungen  entscheidenden  Ur- 
sachen aber  stets  in  psychischen  Motiven  gesucht  werden  müssen. 
Da  nun  die  psychologische  Analyse  auf  alle  diese  Elemente  Bück- 
sicht nimmt,  so  muss  sie  sich  zugleich  mit  einer  isolirenden 
Abstraction  verbinden,  welche  die  Thatsachen  in  ihre  einzelnen  Be- 
standtheile  zerlegt,  um  die  Wirkungen  eines  jeden  zunächst  fOr  sich 
allein,  dann  die  einzelnen  unter  ihnen  in  ihrer  Verbindung  und 
endlich  die  Wirkungen  aller  in  ihrer  Beziehung  zu  dem  Ganzen  der 
Erscheinungen  abzuwägen.  Bei  jeder  dieser  durch  die  Abstraction 
ermöglichten  Einzeluntersuchungen  pflegt  aber  das  Verfahren  dem 
allgemeinen  Gang  psychologischer  Analyse  darin  zu  entsprechen,  dass 
von  physischen  Bedingungen  ausgegangen,  hierauf  deren  Einfluss 
auf  die  entscheidenden  psychologischen  Ursachen  erforscht  und 
schliesslich  von  diesen  wieder  auf  die  physischen  Wirkungen  zurück- 
gegangen wird,  die  ihnen  nach  allgemeinen  psychophysischen  Er- 
fahrungen zukommen  müssen.  So  wird  eine  auf  die  Thatsachen  der 
Lautgeschichte  angewandte  psychologische  Analyse  zunächst  auf 
Grund  der  Ergebnisse  der  vergleichenden  Methode  die  physischen 
Veränderungen  in  den  Bewegungen  und  Bewegungstendenzen  der 
Sprachorgane  ermitteln,  dann  über  die  nächsten  psychophysischen 
und  die  weiter  zurückliegenden  psychologischen  Ursachen  dieser  all- 
mählich eingetretenen  Veränderungen  Rechenschaft  geben  und  end- 
lich die  Rückwirkungen  betrachten,  die  diese  psychischen  Vorgänge 
auf  den  physischen  Mechanismus  der  Sprache  ausüben  mussten.  Oder 
die  psychologische  Analyse  der  Verfassungsänderungen  einer  staat- 
lichen Gemeinschaft  wird  die  in  diesem  Fall  durch  individuelle  Ver- 
gleichung  gewonnenen  geschichtlichen  Thatsachen  in  erster  Linie  in 
Beziehung  setzen  zu  den  äusseren  Schicksalen,  den  wirthschaftlichen 
und  sonstigen  Cidturveränderungen.  Diese  sämmtlichen  Factoren, 
die  wieder  theils  physischer  theils  psychophysischer  Art  sind,  wird 
sie  dann  in  ihrer  Bedeutung  als  psychische  Motive  für  die  handeln- 
den Individuen  und  Gemeinschaften  betrachten,  und  sie  wird  end- 
lich weiterhin  die  aus  den  so  motivirten  Handlungen  residtirenden 
physischen  und  psychophysischen  Erfolge  abzuleiten  und  mit  den  in 
der  Erfahrung  gegebenen  Thatsachen  zu  vergleichen  suchen.  So 
besteht  die  psychologische  Analyse  aus  einem  hin-  und  hergeben- 
den, von  der  Breite  der  psychophysischen  Erfahrung  zu  den  psychi- 
schen Ursachen  aufsteigenden  und  hierauf  von  diesen  wieder  zu 
jener  Erfahrung  zurückkehrenden  Verfahren,  das  an  den  verschiedenen 
durch  Abstraction   gewonnenen  Bestandtheilen   einer  Erscheinungs- 


Interpretation.  97 

gruppe  zuerst  isolirt,  dann  so  viel  als  möglich  an  mehreren  vereint 
vorgenommen  wird.  Dabei  ist  aber  der  absteigende  Theil  dieses 
Verfahrens  seinem  Inhalte  nach  keineswegs  eine  blosse  Umkehrung 
der  vorangehenden  aufsteigenden  Motivirung,  sondern  es  pflegt  sich 
dabei  ziemlich  regelmässig  der  Umfang  der  in  Betracht  gezogenen 
empirischen  Thatsachen  zu  erweitem.  So  kann  etwa  ein  aus  einer 
bestimmten  sprachlichen  Veränderung  gewonnenes  psychologisches 
Motiv  zugleich  den  Erklämngsgrund  für  andere  ursprünglich  gar 
nicht  in  Betracht  gezogene  Thatsachen  der  Sprachgeschichte  ergeben. 
Oder  ein  aus  bestimmten  geschichtlichen  Vorgängen  abgeleitetes 
politisches  Motiv  kann  auf  weitere  Folgen  schliessen  lassen,  die, 
fiäUs  sie  empirisch  nachweisbar  sind,  auf  diese  Weise  ebenfalls 
psychologisch  erklärt  werden.  Eine  solche  Erweiterung  des  Gebiets 
ist  z.  B.  in  der  Sprachgeschichte  bei  der  psychologischen  Analyse 
der  so  genannten  „Analogiebildungen**  eingetreten.  Ursprünglich 
verstand  man  unter  ihnen  lautliche  Veränderungen  der  Wörter,  die 
den  allgemeinen  Gesetzen  des  Lautwandels  nicht  entsprechen,  in 
diesem  Sinne  also  scheinbare  Ausnahmen  von  den  Lautgesetzen  sind. 
Indem  man  nun  die  Einwirkung  der  Lautformen  anderer,  in  ihrer 
formalen  Bedeutung  verwandter  Wörter,  nach  deren  Analogie  sich 
die  den  regelmässigen  Lautgesetzen  widerstreitenden  Formen  gebildet 
hatten,  als  die  Ursachen  dieser  Erscheinung  erkannte,  musste  als 
das  psychologische  Motiv  derselben  der  Vorgang  der  Association 
angesehen  werden:  die  „Analogie**  wurde  demnach  als  eine  specielle 
Form  der  Lautassociation  interpretirf*").  Einmal  eingeführt 
musste  aber  unvermeidlich  das  Princip  der  Association  seine  Herr- 
schaft weiter  imd  weiter  ausdehnen.  In  diesem  Sinne  wurde  es  denn 
auch  bald  als  Erklärungsprincip  für  alle  die  Thatsachen  der  Formen- 
lehre und  Syntax  angesehen,  bei  denen  überhaupt  eine  Wirkung 
gewisser  Wortgruppen  auf  andere  muthmasslich  angenommen  werden 
konn*^.  Das  von  einer  beschränkten  Erscheinungsgruppe  aus  auf- 
gefundene psychologische  Motiv  erwies  sich  also  für  ein  unendlich 
weiteres  Gebiet  fruchtbar,  als  aus  dem  es  ursprünglich  gewonnen 
worden  war.  So  hatte  man  femer  zunächst  aus  den  bei  Katur- 
Tölkem  gesammelten  Beobachtungen  und  aus  den  im  Aberglauben 
der  Culturvölker  erhalten  gebliebenen  mythischen  Rudimenten  er- 
schlossen,   dass    der    „Animismus**,    der   Glaube    an   Dämonen  und 

*)  Osthoff  und  Brngmann,  Morpholog^che  Untersuchungen  auf  dem 

Gebiete  der  indogermanischen  Sprachen.    I.    Leipzig  1878.    Vorwort 

**)  H.  Paul,  Prindpien  der  Sprachgeschichte,  2.  Aufl.   Halle  1866,  S.  85  ff. 
Wuttdi,  Logik,  n,  S.    2.  Aufl.  7 


98  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenscliaften. 

Geister  mit  den  an  ihn  gebundenen  Cultfonnen,  die  primitive  Gestalt 
der  Religion  sei,  und  hierauf  die  Annahme  gegründet,  dass  das  ur- 
sprüngliche religiöse  Motiv  nicht  in  der  Verehrung  übermenschlicher 
Mächte,  sondern  in  dem  Wunsch  bestehe,  die  Geister  der  Ver- 
storbenen als  Schutzm'achte  zu  gewinnen  oder  durch  ihnen  wohl- 
gefällige Leistungen  zu  versöhnen*).  Dieses  animistische  Motiv 
primitiver  Religionen  hat  man  dann  aber  mit  Erfolg  angewandt,  um 
zahlreiche  Bestandtheile  in  den  Religionen  der  orientalischen  Cultur- 
völker  sowie  der  Griechen,  Römer  und  Germanen  zu  erklären**). 

Der  in  diesen  Interpretationen  zu  Tage  tretende  Grundsatz, 
dass  die  letzten  Gründe  der  Erklärung  psychische  Vorgänge  und 
Motive  sind,  gilt  nun  ausnahmslos :  er  kann  daher  als  das  Kriterium 
betrachtet  werden,  an  dem  sich  das  Erklärungsgebiet  der  Geistes- 
wissenschaften von  andern  Gebieten,  insbesondere  von  dem  der 
Naturforschung  unterscheiden  lässt.  Mögen  nach  den  besonderen 
Bedingungen  der  Untersuchung  die  Interpretationsmethoden  noch  so 
sehr  abweichen,  dadurch  dass  einzelne  Bestandtheile  des  allgemeinen 
Verfahrens  ganz  gegen  andere  zurücktreten,  oder  dass,  wie  bei  der 
Herbeiziehung  statistischer  Vergleichungen,  Hülfsmethoden  erfordert 
werden :  daran  ist  stets  das  Object  als  ein  den  Geisteswissenschaften 
zugehöriges  zu  erkennen,  dass  die  Untersuchung  schliesslich  auf 
eine  psychologische  Analyse  hinausführt,  mittelst  deren  allein  der 
Endzweck  jeder  Interpretation,  ein  mit  der  Erklärung  sich  ver- 
bindendes Verstehen  des  Gegenstandes,  erreicht  werden  kann.  Dass 
es  innerhalb  der  physiologischen  Forschung  Probleme  gibt,  zu  deren 
Erklärung  psychische  Factoren  nicht  entbehrt  werden  können,  und 
dass  sich  auf  der  andern  Seite  die  Psychologie  vielfach  physiologischer 
Erklärungsgründe  bedienen  muss,  ändert  an  jenem  Verhältnisse 
nichts.  Findet  doch  in  allem  dem  nur  die  Thatsache  ihren  Aus- 
druck, dass  die  geistigen  Objecte  immer  zugleich  Objecte  der  physi- 
schen Welt  sind,  weshalb  zwar  die  Grenze,  wo  die  biologische  in 
die  psychologische  Untersuchung  überführt  eine  fliessende  ist,  nicht 
aber  die  allgemeine  Forderung  umgestossen  wird,  dass  die  Objecte 
der  Geisteswissenschaften  auf  psychische  Motive  als  ihre  entschei- 
denden Bedingungen  zurückführen.  Ebenso  wenig  darf  es  an  der 
Allgemeingültigkeit  dieses  Merkmals  irre  machen,  wenn  es  vorkommt, 

*)  E.  Tylor,  Anfänge  der  Cultur,  I,  S.  70,  411  ff. 
**)  Ed.  Meyer,  Geschichte  des  Alterthums,  I,  S.  4,  71  ff.    Mogk,  Mytho- 
logie, in  Pauls  Grundriss  der  germanischen  Philologie,  I,  S.  998.    £.  Roh  de. 
Psyche,  Seelencult  und  Unsterblichkeitsglaube  der  Griechen.     1894,  S.  5  ff. 


Interpretation.  99 

dass  sich  die  endgültige  psychologische  Motivirung  hinter  objectiven 
Erwägungen  verbirgt.  Die  nähere  Analyse  wird  hier,  sofern  es  sich 
wirklich  um  Objecte  der  Geisteswissenschaften  handelt,  stets  nach- 
weisen können,  dass  die  psychologischen  Motive  stillschweigend  hin- 
zngedacht  worden  sind.  Dieser  Fall  pflegt  namentlich  dann  einzu- 
treten, wenn  die  psychischen  Ursachen  der  Erscheinungen  verhältniss- 
mässig  einfacher  Art,  die  objectiven  Bedingungen  aber,  unter  denen 
die  Ursachen  wirksam  werden,  von  mehr  oder  minder  verwickelter 
Beschaffenheit  sind.  Am  häufigsten  wohl  ereignet  sich  dies  bei 
nationalökononüschen  Untersuchungen,  wo  die  mannigfachen  objec- 
tiven Factoren  der  Ereignisse  eine  umfassende  Anwendung  der  ver- 
^eichenden  Methode,  meist  unter  Zuhülfenahme  der  Statistik,  und 
eine  darauf  folgende  Abschätzung  der  Bedeutung  und  des  relativen 
Einflusses  jedes  einzelnen  jener  Factoren  erfordern.  Hier  spielt  in 
den  zuletzt  erwähnten  Theil  der  Untersuchung  stets  die  Erwägung 
psychischer  Motive  hinein,  ja  eigentlich  ist  diese  ganze  Betrachtung 
nur  eine  psychologische  Analyse,  bei  der  die  psychischen  Elemente 
als  selbstverständlich  verschwiegen  werden.  So  würden  z,  B.  die 
Preisschwankungen  eines  Handelsartikels  nicht  möglich  sein,  wenn 
das  menschliche  Bedürfniss  diesen  nicht  zu  einem  Object  des  Be- 
gehrens machte,  und  wenn  nicht  das  Streben  nach  Besitz  und  nach 
äusseren  Vortheilen  als  letzte  Motive  die  Production  und  den  Ver- 
trieb der  Waaren  regelten.  Aber  diese  Motive  werden  bei  allen 
volkswirthschaftlichen  Untersuchungen  in  so  gleichförmiger  Weise 
als  naturgemäss  wirkende  Kräfte  vorausgesetzt,  und  es  wird  dabei 
von  andern  psychischen  Ursachen,  die  sich  etwa  imregelmässiger 
und  darum  unberechenbar  in  den  Process  einmischen,  so  allgemein 
und,  falls  eine  Ausgleichung  dieser  Bedingungen  anzunehmen  ist,  mit 
Recht  abstrahirt,  dass  die  psychologischen  Grundlagen  einer  solchen 
wirthschaftlichen  Analyse  unerwähnt  bleiben  können. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  hiemach  den  allgemeinen  logischen 
Charakter  der  Interpretation,  so  ist  es  augenfällig,  dass  diese  Methode 
in  ihren  ersten  grundlegenden  Bestandtheilen  eine  besondere,  der 
Eigenthümlichkeit  der  Probleme  und  Hülfsmittel  der  Geisteswissen- 
schaften entsprechende  Modification  der  inductiven  Methode  ist, 
and  dass  sie  in  ihrem  abschliessenden  Theil,  in  der  auf  Grund  der 
psychologischen  Analyse  unternommenen  Erklärung  der  Thatsachen, 
ein  deductives  Verfahren  darstellt.  Gegenüber  der  naturwissen- 
schaftlichen  Untersuchung   liegt   also    der    eigenthümliche   logische 


100  Allgemeine  Qrundlagen  der  Geisteswusenschaften. 

Charakter  der  Interpretation  darin,  dass  sie  Induction  und  De- 
duction  zugleich  ist.  Dabei  entspricht  aber  die  Aufeinanderfolge 
dieser  beiden  Theilmethoden  in  dem  Ganzen  der  Interpretation  der 
Stellung,  die  dieselben  auch  in  der  Naturforschung  zu  einander  ein- 
nehmen: die  inductiven  Bestandtheile  haben  die  Materialien  herbei- 
zuschaffen, auf  Grund  deren  die  Deduction,  die  in  diesem  Fall  stets, 
wenn  sie  einen  endgültigen  Werth  haben  soll,  eine  psychologische 
sein  muss,  ausgeführt  werden  kann.  Insofern  nun  auch  in  die  natur- 
wissenschaftliche Induction  Hülfsdeductionen  eingehen,  nähert  sich 
demnach  die  Interpretation  mehr  der  inductiven  als  der  deductiven 
Methode  der  Naturforschung,  und  es  beruht  durchaus  auf  einer 
Yerkennung  des  wahren  Charakters  dieser  Methoden,  wenn  man  die 
Geisteswissenschaften  im  Gegensatze  zur  Naturforschimg  deduetiv 
genannt  hat*).  Eher  ist  das  Gegentheil  richtig.  Während  die 
exacteren  Naturwissenschaften  fast  vollständig  deduetiv  geworden 
sind  und  dies  werden  konnten,  weil  sie  im  letzten  Grunde  auf 
Hypothesen  über  das  Substrat  der  Erscheinungen  und  auf  hypo- 
thetisch-axiomatische  Principien  aufgebaut  sind,  werden  die  Geistes- 
wissenschaften niemals  der  inductiven  Grundlegung  entbehren  können. 
Diese  wird  zugleich  um  so  umfassender,  die  inductiven  Bestandtheile 
der  Interpretation  nehmen  einen  um  so  grösseren  Raum  ein,  in  je 
weiterem  Umfang  die  der  psychologischen  Analyse  vorausgehende 
vergleichende  Methode  zu  Rathe  gezogen  und  für  die  besonderen 
Zwecke  ausgebildet  wird.  Gerade  dies  ist  aber  die  Tendenz,  die 
sich  unverkennbar  allmählich  von  den  socialen  auch  auf  die  histori- 
schen Wissenschafken  auszubreiten  beginnt.  Während  daher  die 
Naturwissenschaften  immer  mehr  einer  deductiven  Entwicklung  zu- 
streben, suchen  umgekehrt  die  Geisteswissenschaften  inductiver  zu 
werden.  Ein  Historiker,  der  die  Ereignisse  nach  bestimmten  ihm 
vorliegenden  Zeugnissen  schildert  und  aus  den  auf  Grund  dieser 
Zeugnisse  angenommenen  Motiven  der  handelnden  Individuen  ab- 
leitet, verfährt,  abgesehen  von  der  vorausgehenden  philologischen 
Untersuchimg  der  Quellen,  vollständig  deduetiv.  Ein  Historiker  da- 
gegen, der  mittelst  einer  umfassenden  Erwägung  materieller  und 
geistiger  Vorbedingungen  und  Zustände  ein  Ereigniss  zu  verstehen 
sucht,  bedarf  umfassender  Inductionen.  Im  vollen  Gegensatze  zu  dem 
ofb  behaupteten,  aber  einseitig  aus  einzelnen  Gebieten  der  Natur- 
forschung abstrahirten  und  selbst  fttr  diese  nur  halbwahren  Schema 


•)  J.  St.  Mill,  Logik,  II.    üebers.  von  Schiel.    2.  Aufl.,  S.  479,  512  ff. 


Interpretation.  101 

von  der  Aufeinanderfolge  der  wissenschaftlichen  Methoden  kann  man 
also  sagen,  dass  die  Geschichte  zur  Zeit  des  Thukydides  fast  ganz 
eine  deductive  Wissenschaft  gewesen  ist,  und  dass  sie  heute  immer 
mehr  zu  einer  inductiven  zu  werden  strebt.     Gleichwohl  behält  sie 
hier   wie   dort   den   der  Interpretation   eigenen,    aus  jenen   beiden 
logischen  Methoden  zusammengesetzten   Charakter:    nur  zieht  sich 
im    einen    Fall    die   Induction    auf   eine    beschränkte   Vergleichung 
individueller  Beobachtungen  zusammen,  während  sie  sich  im  andern 
über  zahlreiche,    in  näherer  und  fernerer  Beziehung  zu  den  Ereig- 
nissen stehende  Objecte  ausdehnt.     Was  aber  dabei  stets  die  Inter- 
pretation von  der  naturwissenschaftlichen  luduction  trennt,    das  ist 
die  Terschiedene  Stelle,  welche  die  in  sie  eingreifenden  Deductionen  ein- 
nehmen.   Die  Hülfsdeductionen  der  naturwissenschaftlichen  Induction 
können  an  den  verschiedensten  Pimkten  des  Verlaufs  derselben  ein- 
setzen ;  die  Interpretation  dagegen  schliesst  regelmässig  mit  der  durch 
die   psychologische  Analyse   vermittelten  Deduction   ab,    und   diese 
spielt  darum  hier  nicht  bloss  die  Rolle  einer  Hülfsoperation,  sondern 
die   eines   wesentlichen,    für  jede  vollständige  Interpretation  unent- 
behrlichen Verfahrens.     Darin  liegt  wohl  auch  der  Grund  und  eine 
gewisse,  freilich  sehr  beschränkte  relative  Berechtigung  dafür,  dass 
man  den  Geisteswissenschaften  im  allgemeinen,   abgesehen  von  der 
Psychologie,   den   deductiven  Charakter  zugeschrieben  hat.     In  der 
That  verbietet  diese  regelmässige  und  wesentliche  Stellung  der  ab- 
schliessenden Deduction  die  Zurechnung  zu  der   einen  oder  andern 
Methode.     Denn  von   einer  Gesammtrichtung   des  Verfahrens  kann 
hier  nicht  mehr,    wie  bei   den  Methoden  der  Naturforschung,    die 
Rede  sein.     Vielmehr  spaltet  sich  die  Methode  in  zwei  Richtungen: 
in  die  im  allgemeinen  vorausgehende  inductive  Sammlung  und  Ver- 
arbeitung der  Thatsachen,  und  in  die  abschliessende  psychologische 
Deduction.     Die  Interpretation  im  ganzen  kann  man  also  nur  als 
ein  aus  beiden  Methoden   zusammengesetztes  Verfahren   auffassen, 
in  dem  je   nach  den  besonderen  Bedingungen   bald  der  eine,   bald 
der  andere  dieser  Bestandtheile  überwiegt.    Dabei  vertheilt  sich  nun 
aber   das   inductive  Stadium   der  Untersuchung   wieder    auf  zwei 
£inzelmethoden :    auf  die  vergleichende  Methode  in  ihren  beiden  in 
der  Regel    auf  einander  folgenden   Formen   der  individuellen   und 
generischen  Vergleichung,  und  auf  jenen  aufsteigenden  Theil  der 
psychologischen  Analyse,  der  in  einer  Zerlegung  der  durch  Beobach- 
tung und  Vergleichung   gewonnenen   individuellen   und    generellen 
Thatsachen  in  ihre   einzelnen  physischen  und  psychischen  Bestand- 


102  Allgemeioe  Gnmdlagen  der  Geisteswissenschaften. 

theile  besteht.  Das  deductive  Stadium  des  Verfahrens  beschränkt 
sich  dann  auf  die  durch  diese  Analyse  und  Abstraction  vorbereitete 
Deutung  der  Erscheinungen.  Schematisch  lässt  sich  demnach  der 
vollständige  Oang  der  Interpretation  durch  die  folgende  üebersicht 
darsteUen : 


{Individuelle  Vergleichung 
Generische  Vergleichung 


Vergleichende  Methode. 


Psychologische   Analyse 
und  Abstraction. 


Endgültige  Induction    Aufst.  psychol.  Analyse 
Psychologische  Deduction    Abst.  psycho!.  Analyse 

Modificationen  dieses  Verfahrens  können  bald  dadurch  ver- 
anlasst werden,  dass  die  generische  Vergleichung  vermöge  der  Be- 
dingungen des  Gegenstandes  hinwegfällt,  bald  dadurch,  dass  die 
endgültige  psychologische  Deduction  von  sehr  verschiedenem  Um- 
fange ist.  Wichtiger  als  dies  sind  die  Abänderungen,  die  die  Methode 
durch  die  AufsteUung  leitender  Hypothesen  erßLhrt,  die  an 
den  verschiedensten  Stellen  eingreifen  können.  Diese  Hypothesen 
spielen  hier  eine  ähnliche  Rolle  wie  die  provisorischen  Hypothesen 
innerhalb  der  naturwissenschaftlichen  Induction.  Sie  können  näm- 
lich, sobald  sie  auftreten,  zu  einem  deductiven  Verfahren  Anlass 
bieten,  welches  durch  die  versuchte  Ableitung  der  Thatsachen  ent- 
weder die  Hypothese  in  eine  gültige  Voraussetzung  umwandelt  oder 
sie  widerlegt  und  so  nach  andern  Voraussetzungen  zu  suchen  auf- 
fordert. Aber  diese  Hülfshypothesen  der  Interpretation  haben  ausser- 
dem noch  eine  andere  Bedeutung,  die  mit  der  eigenthümlichen 
Verwebung  psychologischer  Motive  zusammenhängt  und  in  ihrer 
Bezeichnung  als  leitende  Hypothesen  seinen  Ausdruck  findet.  Bei 
geistigen  Vorgängen  und  geistigen  Erzeugnissen  erschöpft  fast  nie- 
mals eine  Voraussetzung  die  Summe  der  entscheidenden  Bedingungen. 
Doch  um  diese  aus  ihrer  complexen  Verbindung  zu  lösen,  ist  es 
erforderlich,  dass  man  unter  den  sich  als  möglich  bietenden  An- 
nahmen eine  nach  der  andern  prüfe,  um  auf  diese  Weise  schliesslich 
diejenige  unter  ihnen  zu  finden,  die  zu  einem  endgültigen  Verständ- 
niss  nothwendig  ist.  Je  verwickelter  und  in  ihrer  Mannigfaltigkeit 
unerschöpflicher  die  Erscheinungen  sind,  um  so  wünschenswerther, 
ja  unerlässlicher  wird  es,  von  Anfang  an,  noch  ehe  die  planmässige 
Sammlung  und  Verarbeitung  der  Thatsachen  beginnt,  solche  leitende 
Hypothesen  aufzustellen  und  nach  ihnen  die  Ordnung  und  Samm- 
lung der  Thatsachen  einzurichten.    Diese  genügt  aber  ihren  Zwecken 


InierpretaÜoD.  103 

wiederum  am  besten,  je  weniger  die  leitenden  Hypothesen  starr  oder 
einseitig  festgehalten  werden.  Darum  ist  das  Verfahren  im  all- 
gemeinen dann  erst  ein  einwandfreies,  wenn  alle  irgendwie  wahr- 
scheinlichen Annahmen  sowohl  einzeln  wie  in  den  verschiedenen 
Yerhindungen ,  die  zwischen  ihnen  möglich  sind,  geprüft  und  mit 
der  Erfahrung  verglichen  werden. 

Schon  bei  der  niederen,  erst  das  thatsächliche  Material  ftir  die 
eigentliche  Untersuchung  herbeischaffenden  Form  der  Interpretation 
kann  die  Hypothese  in  dieser  Weise  ihre  führende  und  sichtende 
Rolle  spielen.  So  sind  die  philologische  Gonjectur,  die  in  eine  lücken- 
haft oder  verderbt  überlieferte  Textstelle  grammatisch  und  logisch 
einen  sachgemässen  Sinn  zu  bringen  sucht,  und  die  zur  Erklärung 
des  Widerspruchs  zweier  diplomatischer  Aktenstücke  aufgestellte 
Annahme,  dass  bei  einem  derselben  eine  Fälschung  vorliege,  inter- 
pretatorische  Hypothesen,  die  erste  von  einfachster,  die  zweite  schon 
von  etwas  verwickelterer  Art.  In  beiden  Fällen  ist  die  Hypothese 
leitend  für  die  sich  anschliessende,  die  Hülfsmittel  der  vergleichenden 
Methode  und  der  psychologischen  Analyse  benützende  Untersuchung. 
Dort  muss  durch  diese  nachgewiesen  werden,  dass  die  angenommene 
Lesart  mit  dem  allgemeinen  und  dem  individuellen  Sprachgebrauch, 
sowie  mit  dem  aus  historischen,  logischen  oder  sonstigen  allgemeinen 
Gründen  zu  erwartenden  Sinn  der  Stelle  übereinstimmt.  Hier  muss 
gezeigt  werden,  dass  auf  irgend  einer  Seite  eine  starke  Tendenz  zu 
der  begangenen  Fälschung  vorhanden  war,  dass  Persönlichkeiten 
existirten,  denen  sie  sich  aus  bestimmten  Oründen  zuschreiben  lässt, 
und  dass  sonstige  Indicien  mit  der  Yermuthung  übereinstimmen. 

Zu  ihrer  voUen  Entfaltung  gelangt  aber  doch  die  Bedeutung 
der  leitenden  Hypothesen  erst  bei  jener  höheren  Interpretation,  die 
den  Zusammenhang  geistiger  Vorgänge  und  Entwicklungen  dem 
Verständnisse  näher  zu  bringen  sucht.  Nicht  selten  wird  hier  die 
Geschichte  ganzer  Wissensgebiete  durch  den  Charakter  der  sie  be- 
herrschenden Hypothesen  bestimmt,  und  zumeist  muss  in  solchen 
Fällen  zwischen  einer  Mehrheit  zuerst  in  einseitiger  Bevorzugung 
einander  ablösender  oder  bekämpfender  Voraussetzungen  eine  Aus- 
gleichung stattfinden,  die  jeder  zu  einer  gewissen  partiellen  Geltung 
verhilft.  So  war  es  ein  überaus  fruchtbarer  Gedanke,  ohne  den  ein 
so  dunkles  und  in  directen  Ueberlieferungen  unzugänglich  gewor- 
denes Gebiet  vielleicht  immer  der  Untersuchung  verschlossen  ge- 
blieben wäre,  als  Jacob  Grimm  in  seiner  „Deutschen  Mythologie^ 
TOD  der  Hypothese  ausging,   dass  in  Sitte,  Sage,  Märchen,  Volks- 


104  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteswünenBchaften. 

aberglauben  die  Reste  eines  mythologischen  Systems  der  Urzeit  ent" 
halten  seien,  die,  unter  Mithülfe  der  Vergleichung  mit  den  üeber- 
lieferungen  stammverwandter  Nationen  und  durch  psychologische 
Vertiefung  in  ein  ursprüngliches  naives  Denken,  die  Göttervorstellungen 
der  alten  Germanen  wiederherstellen  liessen.  Aber  bei  der  Fort- 
führung der  mythologischen  Forschungen  erwies  sich  diese  Hypothese 
zum  mindesten  als  eine  einseitige.  Nicht  nur  war  bei  ihr  das 
namentlich  im  Aberglauben  deutlich  erkennbare  selbständige  Fort- 
wuchern einer  primitiven  Mythologie,  die  keiner  historischen  Ueber- 
lieferung  bedarf,  weil  sie  überall  wieder  neu  entstehen  kann,  ausser 
Betracht  geblieben,  sondern  auch  den  geschichtlichen  Wechsel- 
wirkungen der  Völker  und  den  mannigfachen  Uebertragungen  mythi- 
scher Ueberlieferungen  war  keine  zureichende  Rechnung  getragen. 
Ueber  beide  Bedingungen  verbreitete  dann  die  umfassendere  An- 
wendung der  vergleichenden  Methode  ein  neues  Licht.  Sie  führte 
aber  wieder  zu  abweichenden  Gesichtspunkten,  je  nachdem  entweder 
auf  die  Ergebnisse  einer  allgemeineren  generischen  Vergleichung.  oder 
auf  die  der  individuell-historischen  der  Hauptwerth  gelegt  wurde. 
Geschah  das  erste,  so  wandelte  sich  die  leitende  Hypothese  Grimms 
in  ihr  Gegentheil  um:  was  er  in  Sitte,  Sage  und  Volksglauben  als 
Reste  eines  dereinst  lebendigen  mythologischen  Systems  angesehen 
hatte,  wurde  zur  primitiven  mythologischen  Form,  aus  der  sich  alle 
ausgebildeten  Mythologien  entwickelt  haben,  und  die  nach  deren 
Absterben  wieder  zurückbleiben*).  Führte  man  dagegen  das  Werk 
Grimms  in  der  Richtung  der  historischen  Vergleichung  weiter,  so 
konnten  hier  zwei  bis  zu  einem  gewissen  Grade  entgegengesetzte 
und  darum  meist  einander  bekämpfende  Anschauungen  zu  leitenden 
Hypothesen  erhoben  werden.  Entweder  erweiterte  man  die  von 
Grimm  auf  die  Völker  germanischer  Abstammung  beschränkte  Ver- 
gleichung, den  Spuren  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  folgend, 
auf  alle  indogermanischen  Stämme:  so  entstand  der  in  seinen  Er- 
gebnissen freilich  spärliche   und  zum  Theil  recht  zweifelhafte  Ver- 


*)  Auf  die  germanische  Mythologie  hat  diese  Auffassung  wohl  zuerst 
W.  Schwartz  angewandt  (Der  Volksglaube  und  das  alte  Heidenthum.  2.  Aufl. 
1862.  Ursprung  der  Mythologie.  1860.)  In  noch  allgemeinerem  Umfang  und 
mit  entsprechend  ausgedehnterer  Anwendung  der  vergleichenden  Methode  liegt 
sie  den  Arbeiten  von  A.  Bastian  (Der  Mensch  in  der  Geschichte,  3  Bde.  1860» 
Beiträge  zur  vergleichenden  Psychologie.  1868,  u.  a.)  und  von  E.  Tylor  (Ur- 
geschichte der  Menschheit,  deutsche  Ausg.  1867,  Die  Anfänge  der  Cultur,  2  Bde. 
1873),  sowie  vielen  anderen  neueren  ethnologischen  Arbeiten  zu  Grunde. 


Interpretation.  105 

such  einer  allen  Indogermanen  gemeinsamen  mythologischen  Ent- 
wicklungsgeschichte*). Oder  die  durch  die  individueUe  Vergleichung 
gewonnenen  Ergebnisse  wurden  unter  dem  Gesichtspunkt  einer  äussern 
historischen  Beeinflussung  betrachtet:  man  suchte  sie  als  Erschei- 
nungen zu  verstehen,  die  sich  von  bestinmiten  Punkten,  begünstigt 
durch  Wanderungen,  Handelsverkehr  und  andere  den  geistigen  Zu- 
sammenhang der  Völker  unterstützende  Verhältnisse,  in  mündlicher 
oder  literarischer  Ueberlieferung  ausgebreitet  hätten.  Ihre  haupt- 
sachlichste Stütze  hat  diese  Annahme  in  einigen  der  verbreitetsten 
mythischen  Formen,  der  Thierfabel,  zum  Theil  auch  dem  Märchen 
gefunden,  wobei  besonders  die  Ausstattung  der  einzelnen  Erzählungen 
mit  individuellen  Zügen,  die  in  dieser  Verbindung  weder  durch  Zu- 
faU  noch  aus  übereinstimmenden  psychologischen  Motiven  mehrfach 
entstanden  sein  können,  auf  einen  einheitlichen  Ursprung  hinweist, 
während  doch  das  Vorkommen  der  gleichen  Stoffe  bei  völlig  stammes- 
fremden Völkern  die  Zurückführung  auf  eine  gemeinsame  ürmytho- 
logie  unmöglich  macht**).  Aehnlich  wie  die  Fabel-  und  Märchen- 
sioffe  können  sich  aber  auch  andere  mythische  und  religiöse  Vor- 
stellungen durch  äussere  Mittheilung  verbreitet  haben,  eine  Annahme 
die  in  der  That  in  vielen  Fällen  in  weitgehenden  Uebereinstimmungen 
scheinbar  unabhängiger  mythischer  Vorstellungskreise  eine  Stütze 
findet***). 

Aus  aUem  dem  ersieht  man,  wie  sehr  in  diesem  Fall  die  lei- 
tenden Hypothesen  die  Untersuchung  anregen,  wie  sehr  sie  aber 
auch  von  vornherein  die  Verwerthung  der  durch  die  vergleichende 
Methode  gewonnenen  Ergebnisse  bestimmen  können.  Wenn  gegen- 
wärtig die  mythologischen  Theorien  zumeist  noch  unsicher  sind,  so 
beruht  dies   aber  wesentlich  darauf,   dass  sich    die  Erscheinungen 


*)  AoBgeftÜirt  namentlich  von  Adalb.  Kuhn  (Die  Herabkunfb  des  Feuers 
und  des  Göttertranks.     1859.    Entwicklungsstufen  des  Mythus.    1873). 

*^  Dass  der  Ursprung  der  meisten  über  die  Culturwelt  verbreiteten  Fabel- 
Stoffe  wahrscheinlich  Indien  ist,  hat  yomehmlich  Th.  Benfej  gezeigt  (Pantscha- 
tantra,  2  Bde.  1859).  Vgl.  dazu  Mankowski,  Der  Auszug  aus  der  Pantscha- 
tantra  etc.    Leipzig  1892. 

*^)  Abgesehen  von  der  wohl  als  zweifellos  anzusehenden  Wanderung  der 
altbabjrlonischen  Schöpfungs-,  Paradieses-  und  Fluthsagen  zu  andern  semitischen 
Völkern  und  von  manchen  ähnlichen  Beispielen  gehört  hierher  als  eine  der 
merkwürdigsten  Thatsachen  die  üebereinstimmung  vieler  einzelner  Züge  der 
nordischen  Mythologie  mit  christlichen  Legenden  und  antiken  Sagenstoffen. 
Vgl  hierüber  Sophus  Bu gge,  Studien  über  die  Entstehung  der  nordischen 
Gdtter*  und  Heldensage.    Deutsch  von  Oscar  Brenner.    München  1889. 


106  Allgemeine  Grandlagen  der  GeiBteswissenichafien. 

unter  verschiedene  leitende  Hypothesen  bringen  lassen,  und  dass  es 
daher  in  der  Regel  dahingestellt  bleibt,  ob  die  in  den  einzelnen 
Hypothesen  aufgestellten  Bedingungen  neben  einander  wirkend  an- 
zunehmen, oder  ob  gewisse  Hypothesen  falsche  ümdeutungen  der 
Erscheinungen  sind.  Nur  eine  umfassende  Anwendung  der  histori- 
schen sowohl  wie  der  generischen  Yergleichung  kann  hier  allmählich 
das  Richtige  treffen.  Dabei  ist  zu  beachten,  dass  in  diesem  Fall 
die  yerschiedenen  Formen  der  vergleichenden  Methode  nicht  gleich- 
werthig,  und  dass  daher  die  Reihenfolge  ihrer  Anwendung  nicht 
gleichgültig  ist.  Vielmehr  sollte  stets,  wenn  es  sich  um  die  Frage 
nach  der  Herkunft  irgend  einer  verbreiteten  Yorstellungsform  handelt, 
die  individuell-historische  Yergleichung  vorausgehen,  bei  ihr  aber  in 
erster  Linie  wieder  auf  diejenigen  Zeugnisse  Rücksicht  genommen 
werden,  die  auf  eine  äussere  Mittheilung  schliessen  lassen,  weil 
nur  wenn  solche  Zeugnisse  fehlen  auf  einen  gemeinsamen  Ursprung 
zurückgeschlossen  werden  kann.  Da  der  geschichtlichen  Entlehnung 
directe  Zeugnisse  zu  Gebote  stehen  müssen,  während  für  den  ge- 
meinsamen geschichtlichen  Ursprung  in  der  Regel  nur  indirecte 
Merkmale  zur  Yerfilgung  stehen,  so  ist  eigentlich  immer  der  Ver- 
dacht der  Entlehnung  zuerst  gerechtfei*tigt ,  und  erst  wenn  er  be- 
seitigt ist,  darf  die  Vermuthung  der  genealogischen  Verwandtschaft 
Platz  greifen.  Mit  dieser  tritt  dann  aber  zugleich  die  durch  die 
genereUe  Yergleichung  zu  prüfende  Annahme  eines  unabhängigen, 
in  allgemeinen  psychologischen  Bedingungen  begründeten  Ursprungs 
in  Wettbewerb.  Wie  zwischen  diesen  verschiedenen  Annahmen  zu 
wählen,  oder,  wenn  sich  eine  Verbindung  derselben  als  nothwendig 
erweisen  sollte,  wie  viel  jedem  einzelnen  Factor  zuzuweisen  sei,  das 
kann  dann  nur  durch  weitere  vergleichende  Prüfungen  entschieden 
werden,  bei  denen  so  viel  als  möglich  directe  Zeugnisse  für  jeden 
der  vorausgesetzten  Einflüsse  aufgesucht  werden  müssen.  Solche 
ergeben  sich  z.  B.  für  die  Migrationstheorie  des  Mythus  aus  der  bis 
in  die  individuellsten  Züge  übereinstimmenden  Beschaffenheit  gewisser 
mythischer  Formen  bei  Völkern  verschiedener  Abstammung,  be- 
sonders aber  aus  der  mit  einer  bestimmten  Richtung  der  Uebertragung 
übereinstimmenden  Aufeinanderfolge  in  den  einzelnen  Literaturen; 
für  die  Entwicklungstheorie  in  den  in  der  Sprache  erhalten  ge- 
bliebenen übereinstimmenden  Bezeichnungen  mythischer  Gestalten 
von  analoger  Bedeutung  u.  dgl.  Die  endgültige  Entscheidung  bei 
dieser  in  einer  fortgesetzten  Anwendung  der  beiden  vergleichenden 
Methoden    sich    bethätigendeu    Prüfung    der    leitenden  Hypothesen 


Interpretation.  107 

kommt  jedoch  wiederum  der  psychologischen  Analyse  zu,  da  jede 
Annahme  nothwendig  in  letzter  Instanz  eine  bestimmte  psychologische 
Ansdiauung  in  sich  schliesst.  So  ist  z.  B.  die  historische  Continuitat 
der  üeberlieferungen  in  einer  Volks-  oder  Stammesgemeinschaft 
ebenso  gut  ein  psychischer  Vorgang  wie  die  äussere  Wanderung 
mythischer  Stoffe ;  und  die  Annahme  einer  selbständigen  Entstehung 
übereinstimmender  mythischer  Motive  an  verschiedenen  Orten  pflegt 
sich  ausdrücklich  auf  die  allgemeine  Uebereinstimmung  psychischer 
Anlagen  zu  berufen.  Auch  der  Versuch  eine  Ausgleichung  zwischen 
den  verschiedenen  Auffassungen  zu  finden  sucht  daher  überall  die 
objectiven  Thatsachen  an  der  psychologischen  Möglichkeit  oder 
Wahrscheinlichkeit  der  vorauszusetzenden  geistigen  Vorgänge  zu 
messen.  Wie  unerlässlich  eine  solche  auf  Grund  der  objectiven 
Thatsachen  schliesslich  vorzunehmende  psychologische  Analyse  ist, 
das  zeigt  sich  gerade  an  dem  Beispiel  der  Mythenentwicklung  darin, 
dass  es  Erscheinungen  gibt,  die,  wenn  man  sie  bloss  objectiv  be- 
trachtet, hinsichtlich  des  Verhältnisses  von  Ursache  und  Wirkung 
zweideutig  sind.  Wir  treffen  z.  B.  noch  heute  in  der  Sprache 
eine  Fülle  metaphorischer  Ausdrücke,  die  nach  ihrer  wörtlichen  Be- 
deutung einen  mythologischen  Sinn  haben,  wie  etwa  „die  tod- 
bringenden Pfeile  der  Sonne**,  „der  mild  lächelnde  Mond*  u.  dgl. 
Es  liegt  daher  nahe  anzunehmen,  dass  sie,  in  manchen  Fällen  wenig- 
stens, die  verblassten  Ueberreste  ursprünglicher  mythologischer  An- 
schauungen seien*).  Man  kann  aber  auch  behaupten,  der  bewusste 
metaphorische  Gebrauch  sei  überall  der  ursprüngliche,  und  wo  solche 
Metaphern  mit  früheren  mythologischen  Vorstellungen  zusammen- 
treffen, da  seien  daher  umgekehrt  diese  zu  irgend  einer  Zeit  aus 
dem  Missverstehen  sprachlicher  Metaphern  hervorgegangen**).  Die 
objectiven  Thatsachen  dürften  hier  kaum  eine  Entscheidung  zwischen 
beiden  Annahmen  zulassen;  dass  aber  die  zweite  psychologisch  un- 
haltbar ist,  wird  man  nicht  bloss  aus  allgemeinen  psychologischen 
Gründen,  sondern  auch  angesichts  einer  Fülle  anderer  völkerpsycho- 
logischer Erscheinungen,  die  geeignet  sind  auf  die  Stufe  des  mythen- 
bildenden Bewusstseins  Licht  zu  werfen,  nicht  wohl  bezweifeln 
können.     So  wichtig   eine    sorgfältige  psychologische  Analyse    der 


*)  Dies  ist  in  der  That  die  Annahme  von   J.  Grimm,  W.  Schwartz, 
sowie  der  meisten  andern  Anhänger  der  Entwicklungstheorie  des  Mythus. 

**)  Diese  Hypothese  ist  hauptsächlich  von  Max  Müller  in  dem  Aufsatze 
«üeber  vergleichende  Mythologie*  (Essays,  II)  ausgeführt,  aher  auch  von  A.  Kuhn 
angenommen  worden  (Entwicklungsstufen  der  Mythenhildung,  S.  123). 


108  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

objectiven  Thatsachen  ist,  so  wenig  ist  freilich  das  gerade  im  Gebiet 
der  Mythologie  bis  in  die  neueste  Zeit  so  oil  geübte  Verfahren  zu- 
lässig, bloss  auf  Grund  psychologischer  Reflexionen  ohne  eine  gründ- 
liche Eenntniss  der  geschichtlichen  Zusammenhänge  allgemeine 
Theorien  aufzustellen. 

Bei  den  Problemen,  die  der  eigentlichen  Geschichte  an- 
gehören, pflegt  der  Gegensatz  der  leitenden  Hypothesen  zumeist 
darauf  hinauszufahren,  dass  diese  ganz  verschiedene  Bestaiidtheile 
des  untersuchten  Zusammenhangs  berücksichtigen,  wodurch  dann 
immer  zugleich  die  Vorstellungen,  die  man  sich  von  den  entschei- 
denden psychischen  Bedingungen  macht,  wesentlich  abweichende 
werden  müssen.  So  stellt  die  politische  Geschichtschreibung  die 
deutsche  Verfassungsentwicklung  im  Mittelalter  und  im  Beginn  der 
Neuzeit  in  der  Regel  als  einen  Vorgang  dar,  der  durch  die  Fort- 
setzung des  ^Imperium  Romanum"  in  das  deutsche  Kaiserthum  und 
durch  das  hierin  begründete  Verhältniss  zur  Kirche,  zuletzt  aber 
durch  das  im  Gefolge  der  Reformation  sich  allmählich  stärkende 
LandesfQrstenthum  hauptsächlich  sein  Gepräge  empfangen  habe. 
Eine  vorzugsweise  die  socialen  Zustände  ins  Auge  fassende  Ge- 
schichtsbetrachtung dagegen  sieht  die  entscheidenden  Kräfte  der 
eingetretenen  Wandelungen  in  den  Wirkungen,  welche  die  Verän- 
derungen des  wirthschaftlichen  Lebens  ausüben  mussten,  und  sie 
rückt  daher  jene  äusserlich  mehr  hervortretenden  politischen  Ver- 
hältnisse theüs  in  die  zweite  Linie,  theils  fasst  sie  dieselben  als 
Wirkungen  der  tiefer  liegenden  Lebensbedingungen  auf.  Natürlich 
wird  damit  stillschweigend  auch  die  psychologische  Motivirung  ver- 
schoben: dort  wird  auf  den  Wettstreit  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Mächte  sowie  des  Kaiserthums  und  des  aus  dem  mittelalter- 
lichen Lehensstaat  entsprungenen  Territorialfürstenthums ,  hier  auf 
die  völkerpsychologischen  Culturmotive ,  auf  die  Folgen  des  Ueber- 
gangs  der  Naturalwirthschaft  in  den  Geldverkehr,  der  Ständescheidung, 
der  Entstehung  des  Welthandels,  endlich  auf  das  im  Gefolge  dieser 
Entwicklungen  eintretende  wachsende  Selbstbewusstsein  der  An- 
gehörigen aller  Lebenskreise  der  Hauptwerth  gelegt*). 

Kann  es  in  den  historischen  Gebieten  oft  schwer,  ja  unmög- 
lich sein,  die  verschiedenen  leitenden  Hypothesen  gerecht  gegen 
einander  abzuwägen,  weil  das  zureichende  Material  zur  Entscheidung 

*)  K.  Lamprecht,  Deutsche  Geschichte,  3.  und  5.  Band.  Die  Stufen  der 
deutschen  Verfassungsentwicklung ,  Festschr.  zur  Versammlung  der  deutschen 
Historiker  in  Leipzig.     1894,  S.  165  ff. 


Interpretation.  109 

durch  die  vergleichende  Methode  kaum  zu  gewinnen  ist,  so  befinden 
sich  in  dieser  Beziehung  die  socialen  Wissenschaften  in  einer 
ungleich  günstigeren  Lage.  Ihnen  steht  dieses  Material,  da  sie  es 
mit  relativ  dauernden  Zuständen  zu  thun  haben,  meist  leichter  zu 
Gebote.  Darum  pflegt  hier  die  Untersuchung  von  Anfang  an  die 
Form  einer  umfassenden  Induction  anzunehmen,  in  die  aber  eine 
Menge  einzelner  HQlfsdeductionen  eingehen.  Ist  durch  unmittelbare 
Beobachtung  oder  mittelst  der  vergleichenden  Methode  eine  Er- 
scheinung festgestellt,  so  werden  durch  eine  vorläufige  Refiexion 
deren  als  möglich  oder  wahrscheinlich  anzunehmende  Bedingungen 
Ä^  B,  C,  D  .  .  .  erwogen  und,  so  weit  es  erforderlich  scheint,  die 
aus  diesen  Bedingungen  und  ihren  etwaigen  Wechselwirkungen  zu 
erwartenden  Erscheinungen  zunächst  hypothetisch  deducirt.  Dann 
werden  nach  den  durch  diese  Folgerungen  dargebotenen  Gesichts- 
punkten die  einzelnen  Beobachtungen  gesammelt  und  geordnet,  um 
schliesslich  auf  die  Yergleichung  derselben  Schlüsse  über  die  wirk- 
lichen Ursachen  der  untersuchten  Erscheinung  zu  gründen.  Dieses 
Verfahren  ist  bis  zu  dem  Punkte,  wo  die  letzte,  immer  auf  die  Mit- 
wirkung psychischer  Motive  zurückgreifende  Ableitung  der  Ereignisse 
aus  ihren  Bedingungen  eintritt,  ihrer  allgemeinen  Richtung  nach  eine 
Induction.  Die  Sammlung  der  Thatsachen,  die  Feststellung  des 
relativen  Einflusses  jeder  einzelnen  äusseren  Bedingung  ist  ganz  und 
gar  ein  inductives  Verfahren:  dasselbe  würde  denkbarer  Weise  auch 
ohne  die  vorangehende  Reflexion  vor  sich  gehen  können;  diese  Re- 
flexion und  die  durch  sie  vermittelten  hypothetischen  Hülfsdeductionen 
erleichtem  aber,  darin  ganz  mit  den  deductiven  Hülfsoperationen  der 
naturwissenschaftlichen  Induction  übereinstimmend,  in  hohem  Masse 
die  Erledigung  der  Aufgabe,  indem  sie  von  vornherein  die  ent- 
scheidenden Gesichtspunkte  in  den  Vordergrund  stellen. 

Die  nach  diesen  Gesichtspunkten  vorgenommene  statistische  Ver- 
gleichung  spielt  in  diesem  Fall  eine  vollkommen  analoge  Rolle  wie 
die  experimentelle  Prüfung  in  den  Hülfsdeductionen  der  natiurwissen- 
schafüichen  Induction.  Insbesondere  kommt  hierbei  die  oben  (S.  78) 
erwähnte  Eigenschaft  des  statistischen  Verfahrens,  dass  es  zum  Theil 
nach  selbstgewählten  Begriffen  die  Thatsachen  gruppirt,  der  Unter- 
suchung in  ähnlicher  Weise  zu  statten  wie  die  planmässige  Variation 
der  Bedingungen  bei  der  experimentellen  Methode.  Handelt  es  sich 
z.  B.  darum,  eine  volkswirthschaftliche  Erscheinung,  etwa  das  Sinken 
der  Getreidepreise  innerhalb  eines  bestimmten  Territoriums  und 
während  einer  bestimmten  Zeitperiode,   zu  untersuchen,   so  ist  zu- 


110  Allgemeine  Gmndlagen  der  Geisteswissenschalten. 

nächst  die  Thatsache,  Yon  der  die  Untersuchung  ausgeht,  in  der 
Regel  selbst  durch  individuelle  Vergleichung  der  die  Periode  zu- 
sammensetzenden kleineren  Zeitabschnitte  gewonnen  und  mittelst 
einer  statistischen  Zusammenstellung  quantitativ  fixirt.  Nun  ist  von 
vornherein  klar,  dass  eine  derartige  Erscheinung  mit  einer  Menge 
anderer  coexistirender  wirthschaftlicher  Vorgänge  zusammenhängt, 
und  dass  daher  ihre  Bedingungen  nur  ermittelt  werden  können, 
wenn  diese  Vorgänge  sämmtlich  so  viel  als  möglich  in  ähnlicher 
Weise  quantitativ  untersucht  sind.  Die  Statistik  des  ursprünglichen 
Phänomens  muss  also  durch  die  statistische  Verfolgung  der  parallel 
laufenden  Phänomene,  insoweit  diese  eine  causale  Beziehung  zu 
jenem  erwarten  lassen,  ergänzt  werden.  Demnach  hat  die  Erwägung 
dieser  möglichen  causalen  Beziehungen  der  Ausführung  der  weiteren 
statistischen  Ermittelungen  voranzugehen.  Jeder  der  Gesichtspunkte, 
die  auf  solche  Weise  die  statistische  Untersuchung  bestimmen,  hat 
den  Charakter  einer  versuchsweise  eingeführten  leitenden  Hypothese, 
die  zugleich  als  eine  Frage  betrachtet  werden  kann,  auf  welche  die 
generelle  statistische  Vergleichung  die  Antwort  geben  soll.  Jede 
derartige  Frage  pflegt  sich  aber  wieder  in  eine  Anzahl  von  Unter- 
fragen zu  gliedern,  die  sämmtlich  besondere  statistische  Vergleichungeu 
erfordern.  So  können  z.  B.  der  allgemeinen  Frage  nach  den  Ur- 
sachen des  Sinkens  der  Getreidepreise  zunächst  zwei  leitende  Hypo- 
thesen zu  Grunde  gelegt  werden.  Dieses  Sinken  kann  1)  bedingt 
sein  durch  die  Werthsteigerung  des  den  Preis  bestimmenden  Zahlungs- 
mittels, nehmen  wir  an  des  Goldes,  oder  2)  durch  die  Werthabnahme 
der  Waare.  Natürlich  können  nun  beide  leitende  Hypothesen  neben 
einander  gelten,  und  die  Untersuchung  hat  daher  für  diesen  Fall  zu 
entscheiden,  in  welchem  Grade  die  eine  wie  die  andere  herbeizuziehen 
sei.  Jede  dieser  Annahmen  zeriallt  aber  wieder  in  eine  Anzahl  ihr 
untergeordneter  Fälle,  für  die  im  allgemeinen  die  nämliche  Möglich- 
keit der  Coexistenz  vorauszusetzen  ist.  So  kann  die  Steigerung  des 
Goldwerthes  verursacht  sein:  a)  durch  verminderte  Goldgewinnung 
(relative  Erschöpfung  der  Goldminen);  b)  durch  erhöhte  Nachfrage 
für  Ausprägungs-  und  eventuell  auch  für  Luxuszwecke,  wie  ersteres 
z.  B.  beim  Uebergang  eines  Landes  zur  ausschliesslichen  Goldwährung 
stattfinden  wird;  c)  in  Folge  einer  allgemeinen  Erschütterung  des 
Credits,  wie  sie  durch  ungünstige  politische  und  Handelsverhältnisse 
verursacht  sein  kann  und  regelmässig  in  der  Abnahme  des  den 
directen  Goldverkehr  ersetzenden  Creditverkehrs  (Giroverkehrs)  und 
der  Steigerung    des   Zinsfusses    für  kurze  Darlehen   (des  Diskont- 


Interpretation.  111 

Satzes)  ihren  Ausdruck  findet;  endlich  kann  auch  durch  die  Werth- 
abnahme  anderer  Währungsmittel,  des  Silbers,  des  Papiergeldes 
(welches  letztere  jedoch  im  allgemeinen  mit  den  soeben  erwähnten 
Veränderungen  des  Credits  zusammenfallen  wird)  der  Goldwerth  eine 
bloss  relative  Steigerung  erfahren  haben.  Nicht  minder  lässt  die 
zweite  der  an  die  Spitze  gestellten  leitenden  Hypothesen  eine  mehr- 
fache Deutung  zu.  Die  Werthabnahme  der  Waare,  in  dem  gewählten 
Beispiel  des  Getreides,  kann  bedingt  sein:  a)  durch  vermehrte  Pro- 
duction  an  Ort  und  Stelle  (Vermehrung  der  Arbeitskräfte,  Ver- 
besserung der  Productionsmittel  mittelst  landwirthschaftlicher  Ma- 
schinen, rationellerer  Ausnützung  des  Bodens);  b)  durch  vermehrte 
Zufuhr  von  aussen  (in  Folge  der  erhöhten  Wirksamkeit  der  Ver- 
kehrsmittel, der  die  Einfuhr  erleichternden  Handelsverträge  u.  s.  w.); 
c)  durch  verminderte  Ausfuhr,  wodurch  die  Waare  auf  den  inlän- 
dischen Markt  beschränkt  und  daher  das  Angebot  vergrössert  werden 
muss,  eine  Wirkung  die  wieder  durch  ungünstige  Handelslagen,  Zoll- 
schranken u.  dergl.  herbeigeführt  sein  kann;  endlich  d)  möglicher 
Weise  durch  Abnahme  der  verzehrenden  Bevölkerung;  doch  wird 
hier  bei  der  allgemeinen  Tendenz  zur  Bevölkerungszunahme  eher 
diese  als  eine  in  entgegengesetztem  Sinne  wirkende  Bedingung  in 
Betracht  kommen;  wie  denn  überhaupt,  da  die  untersuchte  Erschei- 
nung eine  Resultante  aus  vielen  zum  Theil  entgegengesetzt  wirkenden 
Ursachen  ist,  auch  unter  den  zuvor  angeführten  Factoren  einzelne 
derart  wirken  können,  dass  sie  einen  Theil  der  Gesammtwirkung 
wieder  aufheben.  Jede  der  Einzelfragen,  in  die  ein  solches  wirth- 
sdiafUiches  Problem  zerlegt  wird,  ist  nun  principiell  einer  exacten 
statistischen  Untersuchung  zugänglich.  Wie  sich  die  Production  der 
Edelmetalle,  ihre  Verwendung  zu  Münz-  und  zu  Luxuszwecken,  die 
Ein-  tmd  Ausfuhr  des  Getreides,  die  Erzeugung  desselben,  endlich 
Giroverkehr,  Diskontsatz  und  Valuta  verändert  haben,  lässt  sich 
nach  Zahlenwerthen  feststellen;  weiterhin  können  aber  auch  noch 
statistische  Ermittelungen  über  andere,  in  ihrem  Charakter  verwandte 
wirthschaftliche  Erscheinungen  zur  Aufklärung  herbeigezogen  werden. 
So  wird  es  z.  B.  von  entscheidender  Bedeutung  sein,  ob  das  Sinken 
der  Preise  eine  auf  die  untersuchte  Waare  beschränkte  Erscheinung 
ist,  oder  ob  andere  Gattungen  von  Waaren  ebenfalls  von  ihr  be- 
troffen werden.  Je  mehr  das  letztere  zutrifft,  um  so  wahrscheinlicher 
wird  es  offenbar  sein,  dass  die  Erscheinung  allgemeinere  Ursachen 
hat,  mögen  diese  nun  in  einer  Preissteigerung  des  Zahlungsmittels 
oder  in  Veränderungen  des  gesammten  Waarenmarktes  oder  in  beiJ  uaa 

6 

\ 
\ 


112  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

zugleich  bestehen.  Principiell  wird  es  hiemach  stets  möglich  sein, 
auf  die  Frage  nach  den  Bedingungen  solcher  in  allen  ihren  beglei- 
tenden Vorgängen  statistisch  auszuwerthender  Erscheinungen  min- 
destens mit  einem  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  zu  antworten. 
Wenn  dies  gleichwohl  in  dem  gegenwärtigen  Stadium  der  Entwick- 
lung der  Statistik  in  der  Regel  thatsächlich  noch  nicht  der  Fall  ist, 
so  liegt  der  Grund  vielfach  noch  darin,  dass  manche  statistische 
Nachweise  unvollständig  oder  wegen  der  Verbindung  verschiedener 
für  den  gegebenen  Zweck  zu  trennender  Factoren  in  den  benutzten 
statistischen  Quellen  unsicher  sind.  So  ist  es  z.  B.  unmöglich  den 
für  Münzzwecke  alljährlich  erforderlichen  Vorrath  neuen  Metalls  zu 
ermitteln,  wenn  in  den  statistischen  Angaben  über  die  Summe  der 
Neuprägungen  die  Menge  der  umgeprägten  alten  Münzen  nicht  mit 
angegeben  wird.  Vor  allem  aber  sind  es  zwei  Gründe,  die  es,  selbst 
wenn  die  statistischen  Unterlagen  solcher  wirthschaftlicher  Probleme 
dereinst  einmal  viel  vollkommener  sein  sollten  als  sie  es  heute  sind, 
trotzdem  nur  gestatten  werden,  die  wirklichen  Ursachen  mit  grösserer 
oder  geringerer  Wahrscheinlichkeit  qualitativ  zu  bestimmen,  kaum 
jemals  aber  sie  einzeln  in  ihrem  quantitativen  Effect  abzuschätzen. 
Der  eine  dieser  Gründe  liegt  in  der  Gomplication  der  mit  verschie- 
dener Stärke  und  zum  Theil  nach  verschiedenen  Richtungen  wirkenden 
Bedingungen;  der  andere  und  wichtigste  darin,  dass  in  diese  Be- 
dingungen als  endgültig  entscheidende  Factoren  psychische  Motive 
eingreifen.  Die  Wirkung  solcher  Motive  können  wir  aber  aus  den 
für  sie  bestehenden  objectiven  Bedingungen,  die  durch  die  statistische 
Untersuchung  zu  ermitteln  sind,  höchstens  in  ihrer  allgemeinen 
Richtung  voraussehen,  in  ihrem  quantitativen  Erfolg  aber  immer 
erst  aus  der  thatsächlich  eingetretenen  Wirkung  nachträglich 
bestimmen.  Wo  daher  mehrere  Bi^ngungen  a,  6,  o  .  .  .  nach  einer 
bestimmten,  andere  w,  n,  o,  j?  .  .^^^^ch  einer  entgegengesetzten 
Richtung  wirken,  da  ist  schlechterdin^d  niemals  im  voraus  zu  ent- 
scheiden, ob  der  Effect  im  Sinne  der  ersten  oder  der  zweiten  Reihe 
erfolgen,  oder  um  wie  viel  die  eine  "Bedingung  durch  die  andere  über- 
troffen werde.  Dabei  pflegen  zugh  ?h  aus  nahe  liegenden  psycho- 
logischen Gründen  alle  die  Bedingung  n,  die  mit  constant  andauernden 
Trieben  und  Bedürfnissen  zusammenhängen,  gleichmässiger  zu  wirken 
als  solche,  die  mehr  oder  minder  plötzliche  Affecte  hervorbringen. 
Deshalb  sind  die  Vorausberechnungen  der  Statistik  unter  gleichbleiben- 
den Verkehrsbedingungen  am  sichersten.  Plötzliche  Erschütterungen 
-^-   Weltmarktes  durch  politische  Ereignisse  und  bedenkliche  Handels- 


Interpretation.  113 

conjuncturen  pflegen  aber  in  ihren  Wirkungen,  wenigstens  was  die 
Grösse  und  Dauer  der  letzteren  betrifft,  unberechenbar  zu  sein. 
Darum  sind  die  Schwankungen  der  Börsencurse  ein  wahres  QefUhlsr 
barometer:  sie  sind  so  überaus  schwankend  und  unzuverlässig,  eben 
weil  das  menschliche  Handeln,  auch  im  Oebiet  des  wirthschaftlichen 
Lebens,  nicht  bloss  von  intellectuellen  Erwägungen  und  kluger 
Vorausberechnung,  sondern  nicht  minder  von  dem  Schwanken  der 
Gefühle,  vor  allem  der  Furcht  und  der  Hoffnung  abhängt,  deren 
Wirkungen  sich  zwar  nachträglich  verstehen,  aber  nie  im  voraus 
sicher  bestimmen  oder  gar  mathematisch  berechnen  lassen.  Darum 
wird  nun  aber  auch  der  erfahrene  Statistiker  diesen  Momenten  in 
seiner  Abschätzung  der  einzelnen  Factoren  wirthschaftlicher  Ereig-* 
nisse  Rechnung  tragen,  er  wird  die  wahrscheinlichen  psychischen 
Effecte  der  einzelnen  von  ihm  untersuchten  Bedingungen  und  die 
verschiedene  Intensität  dieser  Effecte  je  nach  Art  und  Schnelligkeit 
der  verursachenden  Bedingungen  in  ihren  Bückwirkungen  auf  die 
äusseren  wirthschaftlichen  Erscheinungen  nie  aus  dem  Auge  ver- 
lieren. So  bewährt  es  sich  auch  auf  diesem  Gebiet,  das  auf  den 
ersten  Blick  ganz  und  gar  in  einer  auf  die  Erwägung  objectiver 
Bedingungen  gegründeten  Induction  aufzugehen  scheint,  dass  die 
bterpretation  in  einer  psychologischen  Analyse  endet,  die,  indem  sie 
die  Beziehung  der  objectiven  Bedingungen  zu  den  psychischen  Mo* 
tiven  des  wirthschafUich  handelnden  Menschen  ins  Auge  fasst,  ein 
endgültiges  Yerständniss  der  Erscheinungen  zu  gewinnen  sucht. 

e.    Die  Kritik. 

Das  Wort  xpiveiv,  das  der  Kritik  ihren  Namen  gegeben  hat, 
vereinigt  schon  in  seinen  frühesten  Bedeutungen  die  Begriffe  des 
Scheidens  und  des  Entscheidens.  Beide  sind,  zugleich  in  dem 
Sinn  einer  Aufeinanderfolge  von  Denkhandlungen,  auch  in  dem  Be- 
griff der  kritischen  Methode  erhalten  geblieben:  diese  scheidet  die 
Bestandtheile,  aus  denen  sich  die  geistigen  Objecte  zusammensetzen, 
sowie  die  Quellen  und  Hülfsmittel,  mittelst  deren  Aufschluss  über 
ihre  Entstehung  Und  über  ihre  Bedeutung  zu  gewinnen  ist,  um 
dann  auf  Orund  dieser  sondernden  Thätigkeit  schliesslich  über  die 
(Gültigkeit  des  Einzelnen  oder  ^es  Ganzen  zu  entscheiden.  Aber 
diese  Worterklärung  gibt  doch*  nur  eine  ungefähre  Vorstellung  von 
der  Richtung,  in  der  sich  die?*- kritische  Methode  bewegt,  und  von 
der  allgemeinen  Natur   der  logischen  Functionen   der  Analyse  und 

Wnndt,  Logik,  n,  8.    S.  Anfl.  8 


114  Allgemeine  GrondlageB  der  Geiateswissenschaften. 

des  ürtheils,  die  bei  ihr  zur  Anwendung  kommen;  sie  erschöpft 
nicht  entfernt  den  Inhalt  des  Begriffs,  wie  er  sich  in  Folge  der 
Ausbildung  der  Methode  allmählich  entwickelt  und  den  Ausdruck 
«Kritik"  zu  einem  unübersetzbaren  gemacht  hat.  Immerhin  liegt 
in  jener  unmittelbaren  Wortbedeutung  schon  ein  Hinweis  auf  die 
berichtigende  und  ergänzende  Stellung,  welche  die  Kritik  zur  Inter- 
pretation einnimmt.  Diese  sucht  den  Gegenstand  zu  verstehen,  ohne 
Bücksicht  darauf,  wie  er  etwa  aus  Echtem  und  unechtem,  Wahrem 
und  Falschem  gemischt  ist,  oder  welcher  Werth  ihm  selber  zukommt. 
Die  Kritik  dagegen  will  ihn  auf  Orund  des  gewonnenen  Verständ- 
nisses beurtheilen,  über  das  was  an  ihm  echt  oder  unecht,  wahr 
oder  falsch  ist  und  endlich  über  seinen  Werth  überhaupt  entscheiden. 
Wie  von  einem  Verstehen  im  eigentlichen  Sinne  nur  bei  geistigen 
Vorgängen  und  geistigen  Erzeugnissen  die  Bede  sein  kann,  so  auch 
von  einer  derartigen  Werthbestimmung.  Interpretation  und  Kritik 
sind  daher  specifische  Methoden  der  Geisteswissenschaften.  In  andern 
Gebieten  haben  sie  überall  nur  da  eine  Stelle,  wo  sich  dieselben, 
wie  etwa  in  der  Interpretation  und  Kritik  der  geübten  Methoden, 
insofern  diese  logische  Operationen  sind,  mit  den  Geisteswissen- 
schaften berühren.  Die  ergänzende  Stellung,  die  beide  zu  einander 
einnehmen,  bringt  es  aber  mit  sich,  dass  zwar  im  allgemeinen  die 
Interpretation  der  Kritik  vorausgeht,  dass  jedoch  diese  wieder  auf 
jene  einen  entscheidenden  Einfluss  ausübt:  man  muss  einen  Gegen- 
stand verstehen,  um  ihn  kritisch  beurtheilen  zu  können,  aber  das 
kritische  Urtheil  wirkt  wieder  zurück  auf  das  Verständniss.  So  ent- 
wickelt sich  eine  wiederholte  Hin-  und  Herbewegung:  nachdem  ein 
erstes,  vielleicht  noch  mangelhaftes  Verständniss  gewonnen  ist,  be- 
mächtigt sich  die  Kritik  des  Stoffes  und  übergibt  ihn  gesichtet,  das 
Falsche  oder  Werthlose  ausscheidend,  das  Echte  und  WerthvoUe 
in  stärkere  Beleuchtung  rückend,  der  abermaligen  Interpretation. 
Das  bessere  Verständniss,  das  diese  nunmehr  auf  kritisch  gesicherter 
Grundlage  gewinnt,  erlaubt  dann  der  Kritik  von  neuem  ihre  Hebel 
anzusetzen,  feinere  Unterscheidungen,  eine  tiefer  eindringende  Be- 
urtheilung  auszuführen.  Dieser  Process  der  allmählichen  Vervoll- 
kommnung der  Interpretation  durch  die  Kritik  und  der  fortschreitenden 
Läuterung  der  Kritik  durch  die  Interpretation  bringt  es  von  selbst 
mit  sich,  dass  eine  umfassende  Interpretation  erst  geschehen  kann, 
wenn  die  Kritik  alle  ihre  Hülfsmittel  erschöpft  hat,  um  den  Gegen- 
stand in  seiner  wahren  Bedeutung  zu  würdigen,  und  dass  hin- 
wiederum eine  erschöpfende  Kritik  erst  möglich  wird,  nachdem  die 


Kritik.  115 

Interpretation  voUständig  in  das  Verständniss  des  Gegenstandes  ein- 
gedrungen ist.  Wie  dieser  zusammengesetzte  Process  nothwendig 
mit  der  Interpretation  beginnt,  so  hat  er  daher  mit  der  endgültigen 
Kritik  des  Gegenstandes  aufzuhören,  es  sei  denn  dass  man  sich  aus 
iigend  welchen  Ghründen  eines  letzten  ürtheils  enthalten  will  und 
sich  damit  begnügt  den  Gegenstand  so  wie  er  ist,  wie  er  sich  nach 
kritischer  Sichtung  und  Prüfung  des  über  ihn  zu  Gebote  stehenden 
Materials  darstellt,  zu  begreifen.  Aus  diesem  Yerhältniss  folgt  mit 
Notfawendigkeit,  dass  die  Kritik,  ebenso  wie  die  Interpretation,  nach 
dem  Zweck  den  sie  erstrebt  eine  tiefere  oder  höhere  Stufe  einnimmt. 
Gerade  bei  der  Kritik  gibt  aber  hierbei  die  Frage,  ob  sie  bloss  als 
Holfsmittel  einer  nachfolgenden  Interpretation  zur  Verwendung  kommt, 
oder  ob  sie  einen  selbständigen  Zweck  verfolgt,  ein  entscheiden* 
des  Kriterium  ab.  Die  erste  dieser  Stufen,  die  der  endgültigen 
Interpretation  vorausgeht,  vermittelt  ein  richtiges  Verständniss  des 
Gegenstandes;  die  zweite,  die  der  endgültigen  Interpretation  nach- 
folgt, nicht  selten  freilich  auch  zuvor  schon  versucht  wird,  erstrebt 
auf  Ghrund  des  gewonnenen  Verständnisses  eine  Werthbeurtheilung 
des  Gegenstandes.  Dass  sich  hierbei,  namentlich  auf  der  ersten 
dieser  Stufen,  sehr  oft  Kritik  und  Interpretation  innig  verbinden, 
so  dass  sie  kaum  oder  doch  nur  innerhalb  ganz  beschränkter  Grenzen 
der  Anwendung  als  successive  Operationen  dargestellt  werden  können, 
ist  selbstverstöndlich.  Man  kann  daher  das  so  entstehende  gemischte 
Verfahren  auch  als  kritische  Interpretation  bezeichnen.  Immerhin 
lägst  sich  dasselbe  stets  in  eine  Summe  einzelner  interpretatorischer 
und  kritischer  Akte  zerlegen,  die  bei  jedem  Bestandtheil  der  Unter- 
suchung mit  einander  abwechseln.  Doch  bringen  es  diese  Ver- 
bindungen mit  sich,  dass  in  solchen  Fällen  beide  Verfahrungsweisen 
oft  mit  einander  vermengt  oder  mindestens  einseitig  benannt  werden. 
So  sind  die  so  genannte  «Gonjecturalkritik'^  und  die  „divinatorische 
Kritik '^  der  Philologen  gemischte  Verfahrungsweisen,  bei  denen  die 
Interpretation  eigentlich  die  Hauptrolle  spielt.  Bei  der  Gonjectural- 
kritik  sucht  der  Kritiker  einen  irgendwie  mangelhaft  oder  verfälscht 
überlieferten  Text  durch  Conjeeturen  über  die  richtige  Lesart  zu 
Terbessem.  Solche  Conjeeturen  sind  aber,  wie  schon  oben  (S.  103) 
bemerkt,  hermeneutische  Hypothesen,  und  die  Kritik  ist  in  diesem 
Fall  nur  bei  der  Ausscheidung  des  Falschen  sowie  bei  der  Auswahl 
unter  den  verschiedenen  etwa  denkbaren  Hypothesen  wirksam.  Die 
,divinatorische  Kritik"  ist  eine  höhere  Stufe  des  nämlichen  Ver- 
fahrens:  man   redet  von  ihr   dann,   wenn   es  an  bestimmten  That- 


116  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

Sachen  zur  Begründung  einer  hermeneutischen  Hypothese  mangelt, 
so  dass  diese  lediglich  aus  der  allgemeinen  Eenntniss  der  Objecte, 
ihrer  individuellen  und  geschichtlichen  Bedingungen  vermittelst  der 
psychologischen  Vertiefung  in  dieselben  zu  Stande  kommt.  Auch 
hier  spielt  die  Kritik  nur  eine  secundäre  Rolle:  sie  prüft  die  innere 
Wahrheit  einer  solchen  hypothetischen  Interpretation;  man  würde 
daher  dies  Verfahren  besser  eine  divinatorische  Interpretation  statt 
einer  divinatorischen  Kritik  nennen'*'). 

Von  Philologen  und  Historikern  ist  mehrfach  versucht  worden, 
die  einzelnen  Formen  der  Kritik  nach  ihrem  Inhalt  und  nach  ihren 
specifischen  Merkmalen  zu  unterscheiden  und  allgemeine  Regeln  für 
die  Handhabung  der  kritischen  Methode  zu  geben'*''*').  Da  hierbei 
stets  die  methodische  Technik  der  einzelnen  Wissensgebiete  im  Vorder- 
grund des  Interesses  steht,  so  wird  aber  begreiflicher  Weise  in 
diesen  Darstellungen  auf  jene  Formen  der  Kritik,  in  denen  dieselbe 
als  Hülfsmittel  der  Interpretation  dient,  der  Hauptwerth  gelegt  und 
dagegen  ihre  selbständige  und  abschliessende  Aufgabe  nur  nebenbei 
berührt  oder  auch  ausdrücklich  in  andere  Wissenschaften  verwiesen. 
Man  theilt  also  z.  B.  der  specifisch  philologischen  Kritik  nur  jene 
sichtende.  Echtes  und  Unechtes  sondernde  Thätigkeit  zu,  die  zu 
einer  ausreichenden  Interpretation  erfordert  wird;  die  auf  diese 
gegründete  innere  Kritik  des  Oegenstandes  aber  wird,  ebenso  wie  die 
entsprechende  inhaltliche  Interpretation,  der  Aesthetik,  Philosophie, 
Naturwissenschaft  u.  s.  w.  überlassen,  je  nachdem  es  sich  um  ein 
Werk  der  Kunst,  der  Philosophie,  der  Naturwissenschaft  handelt. 
In  der  historischen  Methodik  hat  man  diesen  Standpunkt  zwar  nicht 
für  die  Interpretation  eingehalten,  wo  das  Verständniss  nicht  bloss 
der  zur  Feststellung  der  Thatsachen  dienenden  Hülfsmittel,  sondern 
der  Thatsachen  selbst  und  ihres  Zusammenhangs  stets  als  eine 
wesentliche  Aufgabe  gelten  musste.  Um  so  mehr  wurde  aber  auch 
hier  die  Kritik  auf  jene  vorbereitende  Thätigkeit  beschränkt,  die 
das  Verständniss  selbst  zu  fördern,  nicht  das  was  einmal  in  seinem 
causalen  Zusammenhang  verstanden  sei  besonderen  kritischen  Werth- 


*)  H.  Usener,  Philologie  und  Geschichtswissenschaft.  Berlin  1882, 
S.  33  f.  F.  Blas s,  Henneneutik  und  Kritik,  in  Iwan  Müllers  Handhnch  der 
klassischen  Alterthnmswissenschaft,  I,  S.  264  f. 

**)  Schleiermacher,  Begriff  und  Eintheilung  der  philologischen  Kritik, 
Werke  zur  Philosophie,  Bd.  3,  S.  387  ff.  Böckh,  Encyklopädie,  S.  169  ff. 
Blass  a.  a.  0.  S.  145,  226  ff.  Bernheim,  Lehrbuch  der  historischen  Methode, 
2.  Aufl.  1894,  S.  236  ff. 


Kritik..  117 

nrtheflen  zu  unterwerfen  habe.  Inwiefern  dieser  Standpunkt  hier 
wie  dort  berechtigt  ist,  mag  vorläufig  dahingestellt  bleiben  *) ;  that- 
sächlich  ist  er  jedenfalls  fQr  die  Behandlungsweise  der  philologischen 
wie  der  historischen  Methodik  bestimmend  gewesen  und  hat  als  eine 
naturgemässe  Folge  die  hervorgebracht,  dass  sich  diese  Methodik 
ausschliesslich  mit  jener  vorbereitenden  Kritik  beschäftigt,  die  die 
Unterscheidung  des  Echten  und  Unechten  als  Vorbedingung  einer 
endgültigen  Interpretation  zu  ihrem  Zweck  hat.  Diesem  technischen 
Charakter  entsprechen  auch  die  üblichen  Unterscheidungen  verschiede- 
ner Formen  der  Kritik,  die  meist  den  Formen  der  Interpretation 
paraUel  gehen,  wie  grammatische,  historische,  individuelle  und  Gat- 
tungskritik, oder  grammatische,  historische  und  technische  Kritik, 
Textkritik  und  Quellenkritik  u.  dgl.  mehr.  Es  ist  selbstverständ- 
lich, dass  eine  solche  im  wesentlichen  nach  äusseren  Merkmalen  und 
Hülfsmitteln  ausgeführte  Eintheilung  für  die  specielle  Untersuchung 
werthvoll  und  für  die  technische  Anweisung  zur  Handhabung  der 
Kritik  unerlässlich  ist.  Davon  sind  aber  die  logischen  Eigen- 
thümUchkeiten  der  Methode  im  ganzen  unabhängig.  Sie  können 
bei  verschiedenen  jener  äusseren  Formen,  z.  B.  bei  der  individuellen 
und  der  historischen,  übereinstimmen,  und  hinwiederum  bei  einer 
und  derselben  Form  je  nach  dem  bespnderen  Zweck,  z.  B.  bei  der 
historischen  Sjitik  einer  einzelnen  Quelle  und  bei  derjenigen  einer 
Anzahl  einander  widerstreitender  geschichtlicher  Ueberlieferungen, 
sehr  abweichend  sein.  Die  Untersuchung  der  fundamentalen  logischen 
Operationen  ist  eben  auch  hier,  gerade  so  wie  bei  den  chemischen 
oder  physikalischen  Methoden,  nicht  eine  Aufgabe  der  vorherrschend 
Ton  technischen  Gesichtspunkten  geleiteten  Methodik  der  Einzel- 
wissenschaften, sondern  der  Logik,  da  eine  solche  Untersuchung 
die  ZurückfÜhrung  auf  die  allgemeinen  Denkoperationen  und  die 
Vergleichung  mit  andern  logischen  Methoden  erfordert. 

Die  Kritik  hat  gleich  der  Interpretation  ihre  letzte  Quelle  in 
einer  Gemüthslage  des  Untersuchenden,  die  in  einem  für  jedes  dieser 
Verfahren  charakteristischen  Gefühl,  dort  in  dem  des  Interesses 
an  dem  Gegenstand,  hier  in  dem  des  Zweifels,  ihren  Ausdruck 
findet.  Jedes  Streben  nach  Verständniss  wird  von  einem  intellectuellen 
Interesse  geleitet.  Sobald  zu  diesem  Interesse  der  Zweifel  an  dem 
Inhalt  oder  Werth  des  untersuchten  Gegenstandes  hinzukommt,  so 
wird  die  kritische  Prüfung  herausgefordert.     Darin  ist  schon   an- 


^  Vgl.  darüber  unten  Cap.  111. 


118  Allgemeine  Grundlagen  der  GeiBteswissenschaften. 

gedeutet,  dass  dieser  Zweifel  eine  doppelte  Richtung  haben  kann: 
bezieht  er  sich  auf  den  Inhalt  des  Gegenstandes  als  solchen  oder 
einzelner  Theile  desselben,  so  regt  er  eine  kritische  Prüfung  des 
thatsächlichen  Gehalts  der  durch  die  vorangegangene  Inter- 
pretation erschlossenen  Erkenntnissobjecte  an.  Bezieht  er  sich  auf 
den  Werth  des  Gegenstandes,  so  fordert  er  eine  kritische  Unter- 
suchung seines  Werthgehaltes.  Jenes  ist  die  niedere,  nur  der 
Vervollkommnung  der  Interpretation  dienende  Form  der  Kritik :  wir 
können  sie  deshalb  als  die  hermeneutische  Kritik  bezeichnen. 
Dieses  ist  die  höhere,  endgültige  Form,  wo  die  Kritik,  auf  den 
inneren  Gehalt  des  erkannten  Objectes  gerichtet,  sich  selbst  Zweck 
ist:  wir  wollen  sie  die  Werthkritik  nennen.  Haben  aber  auch 
diese  beiden  Stufen  der  kritischen  Methode  einen  verschiedenen  mate- 
rialen  Zweck,  so  stimmen  sie  doch  formal  insofern  überein,  als 
die  Scheidung  des  Richtigen  und  Falschen  und  die  Entscheidung 
darüber,  was  nach  Aussonderung  des  unechten  oder  Verwerflichen 
als  das- Wahre  und  zu  Billigende  anzusehen  sei,  in  beiden  Fällen 
das  Wesen  der  Methode  ausmacht.  Dem  gegenüber  ist  es  nur  ein 
nebensächlicher  Unterschied,  wenn  bei  der  hermeneutischen  Kritik 
das  als  unecht  Verworfene  in  der  Regel  für  die  weitere  Untersuchung 
keine  wesentliche  Rolle  mehr  spielt,  während  in  der  Werthkritik 
die  verworfenen  Bestandtheile  des  untersuchten  Objectes  nicht  weniger 
wie  die  als  werthvoll  anerkannten  bei  der  Beurtheilung  des  Ganzen 
Beachtung  finden.  Für  die  Interpretationen  des  Philologen  und  des 
Historikers  existiren  eine  als  falsch  anerkannte  Lesart  oder  ein  als 
völlig  erfunden  nachgewiesener  Bericht  nicht  mehr;  für  die  Beur- 
theüung  eines  Kunstwerks  sind  die  durch  die  Kritik  nachgewiesenen 
Fehler  und  Schwächen  ebenso  bedeutsam  wie  seine  Schönheiten  und 
Vorzüge. 

Hat  die  Kritik,  wie  ihr  Ursprung  aus  dem  Zweifel  andeutet, 
Gefühle  zu  ihrer  psychologischen  Grundlage,  so  entspricht  es  dem, 
dass  sie  in  der  That  in  den  einzelnen  Fällen  ihrer  Anwendung  überall 
von  Gefühlen  der  Uebereinstimmung  und  des  Widerspruchs,  des 
Wahren  und  Falschen,  des  Schönen  und  Hässlichen  und  andern 
Gegensätzen  ausgeht  —  Gefühlen  die  zugleich  im  allgemeinen  das 
Gebiet  bezeichnen,  dem  die  Kritik  angehört.  Diese  selbst  besteht 
aber  in  den  durch  solche  Gefühle  angeregten  und  die  Ergebnisse 
vorausgegangener  Interpretation  zu  Hülfe  nehmenden  logischen 
Denkoperationen.  Für  die  letzteren  bleibt  dabei  massgebend, 
dass  Werthbestimmungen  die  Gesichtspunkte  sind,  von  denen  sie 


Kritik.  119 

geleitet  werden.  Die  Kritik  will  ttber  die  in  jenen  Gefühlen  unvoll- 
kommen anticipirten  Wertliunterschiede  logisciie  Sechenschaft  geben, 
indem  sie  dieselben  auf  ihre  intellectuellen  Motive  nrückfUhrt  und 
auf  diesem  Wege  zugleich  die  ursprünglichen,  bloss  gefühlsmftnaigen 
Werthbestimmungen  berichtigt.  Da  Werthbestimmungen  im  eigent^ 
liehen  Sinne  bloss  geistigen  Vorgängen  und  geistigen  Erzeugnissen 
zukommen,  und  auf  andere  Objecte  inmier  nur  übertragen  werden 
können,  wenn  diese  zu  zwecksetzenden  Wesen,  also  zur  geistigen 
Welt  in  der  weitesten  Bedeutung  des  Wortes  in  Beziehung  treten, 
so  gibt  sich  hierdurch  auch  die  Kritik  als  eine  den  Geisteswissen- 
schaften specifisch  eigenthümliche  Methode  kund.  Die  Objecte  der 
Natur  wollen  wir  erkennen,  wie  sie  sind,  oder,  falls  dies  nicht 
möglich  sein  sollte,  wie  sie  von  uns  begriffen  werden  können.  Bei 
den  geistigen  Objecten  wollen  wir  nicht  bloss  erkennen  wie  sie  sind, 
sondern  immer  zugleich,  ob  sie  in  sich  selbst  wahr  oder  falsch,  gut 
oder  schlecht,  schön  oder  h'ässlich  sind,  mit  einem  Wort,  welcher 
Werth  ihnen  in  einem  engeren  oder  weiteren  Zusammenhang  geistigen 
Lebens  und  geistiger  Schöpfungen  zukommt. 

Hier  erhebt  sich  nun  aber  eine  sachlich  wie  methodisch  be- 
sonders für  die  höhere  Kritik  entscheidende  Frage,  deren  falsche 
Beantwortung  zu  Zeiten  für  die  Kritik  selbst  verhängnissvoll  ge- 
worden ist.  Alle  Werthbestimmung  ist  eine  Art  geistiger  Grössen- 
messung.  Ein  Vergleichen  nach  Gradunterschieden  und  ein  Ein- 
reihen der  einzelnen  Werthe  in  irgend  eine  Werthscala  ist  dabei 
unerlässlich.  Woher  wird  aber  der  Massstab  genommen,  mit  dem 
die  einzelnen  Werthe  zu  messen  sind?  Die  nächstliegende  Antwort 
scheint  die  zu  sein,  dass  dieser  Massstab,  ähnlich  wie  bei  der  räum- 
lichen Messung,  von  aussen  an  das  Object  angelegt,  also  gewissen 
allgemeingültigen  Regeln  des  Denkens,  Handelns  oder  künstlerischen 
Schaffens  oder  auch  mustergültigen  Beispielen,  in  denen  sich  jene 
Begeln  verkörpert  haben,  enÜehnt  werde.  Eine  solche  transcen- 
dente,  nicht  aus  dem  Gegenstand  selbst  hervorgehende,  sondern 
durch  die  äussere  Yergleichung  desselben  mit  Segeln  oder  Beispielen 
gewonnene  Kritik  kann  aber  der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  des 
geistigen  Lebens  niemals  gerecht  werden,  und  sie  muss  von  vorn- 
herein auf  eine  aus  dem  Gegenstand  selbst  geschöpfte  und  deshalb 
allein  individuell  überzeugende  Begründung  verzichten.  An  deren 
Stelle  setzt  sie  den  Zwang  einer  äusseren  Autorität,  die  entweder 
gläubig  hingenommen  oder  deren  Beglaubigung  wenigstens  ausser- 
halb des  betrachteten  Gegenstandes,  etwa  in  einer  allgemeinen  nor- 


120  Allgemeine  Grundlagen  der  GeisteswiBsenschaften. 

Diativen  Wissenschaft,  wie  der  Logik,  EÜiik  oder  Aeathetik,  gesucht 
werden  soll.  Mögen  nun  auch  unter  den  Eigenschaften  geistiger 
Objebte  manche  vorkommen,  die  wir  unter  allen  umstanden  billigen 
oder  missbilligen,  so  empfängt  doch  ein  solches  ürtheil  jedesmal 
durch  die  besonderen  Bedingungen  des  Falls  seine  eigenthümliche 
Färbung  und  Abstufung,  und  im  allgemeinen  wird  daher  überhaupt 
•erst  ein  kritisches  ürtheil  möglich,  wenn  der  Gegenstand  desselben 
in  seinem  besonderen  Zusanunenhang  betrachtet  wird.  Auf  alle  Fälle 
ist  aber  ein  solches  aus  der  eigenen  Erkenntniss  des  Objectes  ge- 
wonnene ürtheil,  das  nun  auch  den  Massstab  seines  Werthes  aus 
ihm  selber  und  seinen  Beziehungen  nimmt,  das  überzeugtere  und 
überzeugendere,  während  die  blosse  Yergleichung  mit  äusseren  Regeln 
und  Vorbildern  eigentlich,  um  überzeugend  zu  sein,  jedesmal  des 
Nachweises  bedürfte,  dass  Regel  und  Vorbild  nicht  nur  selbst  richtig, 
sondern  auch  für  den  besonderen  Fall  richtig  angewandt  seien.  Qilt 
dies  doch  sogar  für  Regeln  von  so  unbestreitbarer  Allgemeingültig- 
keit wie  die  logischen:  der  Nachweis,  dass  ein  Gedanke  wahr  oder 
falsch  ist,  wird  stets  am  einleuchtendsten  aus  seinem  eigenen  Zu- 
sammenhang geführt  werden ;  der  Hinweis  auf  die  logischen  Gesetze, 
mit  denen  er  übereinstinmit  oder  nicht,  kann  allenfalls  nachträglicli 
zur  Verstärkung  dieser  üeberzeugung  beitragen,  nie  aber  jene  innere 
Begründung,  die  zugleich  eine  Exemplification  der  allgemeinen  Normen 
enthält,  ersetzen*  Dagegen  führt  die  Gewohnheit,  die  geistigen 
Objecte  nach  äusseren  Massstäben  zu  messen,  leicht  dazu,  dass  con- 
ventionelle  und  überlebte  Regeln  als  unverletzbare  Gesetze  angesehen 
werden,  mag  nun  eine  solche  Regel  in  Denkgewohnheiten  bestehen, 
mit  denen  man  neuen  wissenschaftlichen  Aufschlüssen  gegenüber- 
tritt, oder  in  selbstgewählten  moralischen  oder  politischen  Stand- 
punkten, nach  denen  man  über  geschichtliche  Ereignisse  urtheilt, 
oder  endlich  in  ästhetischen  Vorschriften,  wie  der  von  den  drei  Ein- 
heiten des  Dramas,  nach  denen  sich  ein  Kunstwerk  richten  soll. 
Alle  Kritik  soll  daher  eine  immanente  sein:  wie  das  Verständniss,  so 
soll  auch  die  Werthbestimmung  des  Gegenstandes  zunächst  und  vor 
^em  ihm  selber  entnommen  werden.  Normen  und  Regeln  können 
als  Führer  dienen,  um  die  Beurtheilung  zu  erleichtern;  aber  auch 
diesen  Werth  haben  sie  doch  nur  insoweit,  als  sie  selbst  aus  muster- 
gültigen Beispielen  und  aus  den  allgemeinen  Gesetzen  der  mensch- 
lichen Natur   abstrahirt  sind,   wie   dies  unübertrefflich  Lessing*) 

*)  Hamburgische  Dramaturgie,   100.  bis   104.  Stück,    Ausg.  Lacbmann- 
Maltzabn  VII,  S.  420  ff. 


Kritik.  121 

an  den  Regeln  dei*  Aristotelischen  Poetik  dargelegt  hat.  Aber  frei- 
lich bringt  es  der  allgemeine  Zusammenhang  der  geistigen  Objecte, 
wie  er  theils  durch  jene  Gesetze  der  menschlichen  Natur  theils 
durch  die  unzähligen  inneren  Beziehungen  des  geistigen  Lebens  in 
seinen  mannigfachen  Aeusserungsformen  bedingt  ist,  nothwendig  mit 
sicbf  dass  was  einmal  als  werthToll  erwiesen  ist,  dies  in  der  Regel 
auch  in  andern  und  yor  allem  in  analogen  Fällen  sein  wird,  und 
dass  der  Werth  des  einzelnen  Objectes  yon  seinen  Beziehungen  zu 
andern  gleichfalls  mit  bestimmten  Werthprädicaten  versehenen  (jegen- 
standen  abhängt.  Darum  kann  auch  die  immanente  Kritik  das  be- 
trachtete Object  nicht  von  der  Fülle  jener  Beziehungen  gelöst  denken, 
in  denen  es  sich  der  allgemeinen  Entwicklung  des  geistigen  Lebens 
einordnet.  Li  dieser  unyermeidlichen  Projection  des  einzelnen  Gegen- 
standes auf  einen  allumfassenden  geistigen  Hintergrund  geht  daher 
naturgemäss  die  immanente  selbst  in  eine  transcendente  Kritik  über. 
Aber  es  hat  doch  eine  ganz  andere  Bedeutung,  wenn  diese  aus  dem 
Verstandniss  und  der  Würdigung  des  Objectes  selbst  erwächst,  als 
wenn  sie  diesem  als  ein  äusserer  Massstab  entgegengebracht  wird, 
bei  dessen  unveränderlicher  Anwendung  gerade  auf  das  was  für  jene 
rechtmassige  Form  einer  transcendenten  Kritik  das  werthvoUste  ist, 
auf  die  unendliche  Mannigfaltigkeit  und  Entwicklungsfähigkeit  der 
geistigen  Gestaltungen,  keine  Rücksicht  genommen  wird. 

Da  die  Kritik  sich  auf  jeder  ihrer  Stufen  auf  eine  voraus- 
gegangene Literpretation  gründet,  und  da  ihr  eigenes  Wesen  in  einem 
von  Werthgef&hlen  getragenen  logischen  ünterscheidungsprocesse 
besteht,  der  eine  Entscheidung  über  Werth  und  Unwerth  ermög- 
lichen soll,  so  folgt  daraus  schon,  dass  sie  in  ihrer  allgemeinen 
Richtung  ein  der  Interpretation  entgegengesetztes  Verfahren  sein 
muss.  Verknüpft  die  Interpretation  zunächst  die  Ergebnisse  der 
vergleichenden  Methode,  um  dann  durch  psychologische  Analyse  und 
Deduction  diese  Ergebnisse  nach  Gründen  und  Folgen  zu  ordnen, 
so  bemächtigt  sich  die  Kritik  des  so  hergestellten  logischen  Zu- 
sammenhangs, um  ihn  mittelst  psychologischer  Analyse  wieder  zu 
zerlegen,  die  durch  die  Interpretation  aufgestellten  Beziehungen  auf 
ihre  Gültigkeit  und  ihren  Werth  zu  prüfen  und  endlich  die  so  ge- 
wonnene Beurtheilung  durch  die  Ausführung  vergleichender  Beob- 
achtungen theils  an  dem  untersuchten  Gegenstand  selbst  theils  an 
andern  die  ihm  ähnlich  sind  zu  bestätigen.  Konnte  die  Inter- 
pretation im  ganzen   als  eine  Induction   aufgefasst  werden,   die   in 


122  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

ihrem  Verlaufe  HülfsdeductioDen  anwendet,  so  ist  demnach  der  6e- 
sammtcharakter  der  Kritik  der  eines  deductiven  Verfahrens,  dem 
einzelne  Inductionen  zu  Hülfe  kommen.  Dabei  ist  auch  hier  die 
Deduction  eine  psychologische  in  dem  früher  betonten  Sinne,  in 
dem  jede  psychologische  Untersuchung  zugleich  über  die  psycho- 
physischen  und  physischen  Beziehungen  ihrer  Objecte  Rechenschaft 
zu  geben  hat,  da  nicht  der  Mangel  dieser  Beziehungen,  der  ja  über- 
haupt unmöglich,  sondern  die  entscheidende  Bedeutung  psychischer 
Elemente  für  den  Charakter  jener  Objecte  bestimmend  ist  Dag^en 
werden  die  hinzutretenden  Hülfsinductionen  durchgängig  mittelst  der 
vergleichenden  Methode  ausgeführt,  und  je  nach  der  Beschaffenheit 
der  Aufgabe  wird  dabei  wieder  entweder  eine  bloss  individuelle  oder 
zugleich  eine  generische  Vergleichung  angewendet.  Demnach  ist 
die  Kritik  auch  in  der  Aufeinanderfolge  ihrer  einzelnen  Stadien  eine 
ümkehrung  der  Interpretation.  Wie  bei  dieser,  so  kann  übrigens 
bei  jener  in  Folge  der  Zerlegung  einer  kritischen  Untersuchung  in 
mehrere  Einzelkritiken,  des  grösseren  oder  geringeren  Umfangs  der 
auf  die  psychologische  Analyse  folgenden  Vergleichungen ,  endlich 
der  Verbindung  mit  interpretatorischen  Elementen  der  Verlauf  mannig- 
fache Abweichungen  darbieten.  Von  solchen  besonderen  Bedingungen 
abgesehen  bleibt  die  allgemeine  logische  Gesetzmässigkeit  des  Ver- 
fahrens überall  die  nämliche.  Insbesondere  gilt  dies  auch  für  die 
oben  unterschiedenen  beiden  Hauptformen  der  kritischen  Methode., 
die  hermeneutische  Kritik  und  die  Werthkritik. 

Diese  logische  Gleichartigkeit  ist  klar  zu  ersehen,  wenn  man 
die  kritische  Methode  auf  den  .verschiedenen  Stufen  ihrer  Anwendung 
innerhalb  einer  und  derselben  Wissenschaft  verfolgt.  Kaum  ist  eine 
dazu  geeigneter  als  die  Geschichte.  Einerseits  hat  in  der  histori- 
schen Quellenkritik  die  hermeneutische  Kritik  eine  besonders 
hohe  Ausbildung  erreicht;  anderseits  spielt  selbst  bei  den  objectivsten 
Historikern  in  der  Würdigung  der  Motive  und  Handlungen  nament- 
lich in  der  politischen  Geschichte  und  den  mit  ihr  verbundenen  Ge- 
bieten, wie  der  Kriegsgeschichte,  der  praktischen  Politik,  die  Werth- 
kritik eine  wichtige  Rolle.  Die  Probleme  der  Quellenkritik  werden 
sämmtlich  bestimmt  von  dem  allgemeinen  Zweck,  den  Werth  einer 
Quelle  für  irgend  ein  durch  die  geschichtliche  Forschung  aufzu- 
hellendes Gebiet,  also  für  eine  interpretatorische  Aufgabe  zu  be- 
stimmen. Die  Quellenkritik  ist  demnach  ein  Beispiel  hermeneutischer 
Kritik.  Um  den  Werth  einer  Quelle,  ihre  Zuverlässigkeit  und  die 
besondere  Bedeutung,  die  ihr  für  die  untersuchten  historischen  That- 


Kritik.  123 

Sachen  zukommt,  beurtheilen  zu  können,  niuss  man  so  viel  als  mög- 
lich über  Zeit  und  Ort  ihrer  Entstehung,   über  ihren  Autor  —  sei 
es  dass  dieser  noch  aus  andern  Leistungen  bekannt  ist  oder  nur  aus 
der  BeschafPenbeit  der  Quelle  selbst  nach  seiner  subjectiyen  Zuver- 
lässigkeit geschätzt  werden  soll,  —  endlich  über  das  äussere  und 
innere  Verbältniss   verschiedener  Quellen  zu  einander  Rechenschaft 
geben    können.     Darin    liegt    eine    ganze  Reihe  kritischer  Fragen, 
deren  jede   durch   psychologische  Analyse  und   durch   eine  von  ihr 
geleitete  vergleichende  Prüfung  gelöst  werden  muss.    Der  deductive 
Charakter  jener  Analyse  verräth  sich  darin,   dass  sie  stets  von  all- 
gemeingültigen psychologischen  Voraussetzungen  und  von  einzelnen 
psychologischen    oder  psychophysischen  Erfahrungen   ausgeht.     So 
sind    für    die  Bestimmung   des  Alters    einer   als  Quelle   dienenden 
Handschrift    die    aus  sonstigen  Thatsachen  bekannte   Sprache  und 
Schreibweise   der  verschiedenen   Zeiten  zunächst  entscheidend;   für 
die  kritische  Unterscheidung    einer  echten   Quelle   von  einer  etwa 
möglichen  Fälschung   kommt  ausserdem    neben   manchen   äusseren 
Merkmalen ,   die  das  Alter  eines  Dokumentes  bezeugen ,   eine  Reihe 
psychologischer  Merkmale   in  Betracht,   durch  die  sich  die  Absicht 
der  Fälschung  verrathen   kann;   vor  allem   aber  ist  hier  schon  der 
allgemeine  psychologische  Grundsatz  massgebend,    dass  eine  bloss 
nachahmende  Thätigkeit,  z.  B.  die  Nachahmung  einer  archaistischen 
Sprech-   oder  Schreibweise   oder  individueller  Eigenthümlichkeiten, 
stets  von  der  naiven  Unmittelbarkeit  eines  Originals  in  kleinen  Zügen 
abweichen   wird,   weil  sich  die  eigene  Zeit  und  Individualität   des 
Autors  und  nicht  selten  auch  eine  in  diesen  Verhältnissen  begründete 
Unkenntniss  der  Thatsachen  wider  Willen  geltend  machen.    Die  so 
ausgeftlhrte  psychologische  Analyse  wird  dann  auf  Schritt  und  Tritt 
von  der  individuellen  Vergleichung  der  sprachlichen  Formen,   der 
Schriftzüge  u.  s.  w.  unterstützt:  diese  sind  die  inductiven  Elemente, 
die  jener  Deduction  zu  Hülfe   kommen.     In   verwickelterer  Gestalt 
wiederholt  sich  der  nämliche  Gang  der  Untersuchung  bei  der  kriti- 
schen Prüfung  der  Frage  nach  dem  Yerhältniss  verschiedener  Quellen 
zu  einander,  also  namentlich  ihrer  relativen  Abhängigkeit  oder  Un- 
abhängigkeit und,  wenn  sich  die  erstere  ergeben  sollte,  nach  ihrem 
genealogischen  Verhältnisse.     Hier  wird  die  Kritik  in   erster  Linie 
Ton  dem  psychologischen  Princip   der  singulären  Natur  aller  zu- 
sammengesetzteren psychischen  Functionen  geleitet,   nach  welchem 
Terschiedene   Beobachter   den   nämlichen  Thatbestand  weder  völlig 
übereinstimmend  beobachten  noch  beurtheilen  noch  auch  darstellen 


124  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

werden.  Dazu  kommen  dann  ausserdem  tbeils  die  oben  angedeuteten 
für  das  Alter  und  die  Originalität  der  einzelnen  Quellen  charakte- 
ristischen Merkmale  theils  die  auf  den  Inhalt  gegründeten  Folgerungen, 
bei  denen  überall  wieder  die  hinzutretende  individuelle  Vergleichung 
sowohl  der  Bestandtheile  jeder  einzelnen  Quelle  wie  der  verschie- 
denen Quellen  mit  einander  und  mit  sonst  bekannten  Thatsachen 
ihre  Dienste  leistet*). 

So  weit  nun  auch  von  diesen  Beispielen  hermeneutischer  Kritik 
auf  historischem  Gebiete  die  Werthkritik  der  Thatsachen  ihrem 
Inhalte  nach  entfernt  ist,  so  verwandt  ist  sie  doch  in  dem  logischen 
Charakter  der  Methode.  Vor  allem  gilt  dies  von  jener  in  der  Ge- 
schichte überall  geübten  und  darum  auch  allein  allgemein  anerkannten 
immanenten  Kritik,  welche  die  die  Ereignisse  bestimmenden  Hand- 
lungen nach  den  Motiven,  die  für  sie  massgebend  waren  oder  mit 
Wahrscheinlichkeit  als  massgebend  vorausgesetzt  werden  können,  in 
Bezug  auf  ihre  Zweckmässigkeit  prüft  imd  beurtheilt.  Diese  Art 
der  Werthkritik  ist  freilich  nicht  die  einzige,  die  der  Historiker  an- 
wenden kann.  Die  endgültige  Form  historischer  Kritik  wird  viel- 
mehr stets  in  der  Untersuchung  und  Werthbeurtheilung  der  Motive 
selbst,  die  zur  Setzung  bestimmter  Zwecke  geführt  haben,  und  in 
der  Beantwortung  der  Frage  bestehen,  inwiefern  die  so  erstrebten 
Zwecke  den  eine  bestimmte  Periode  kennzeichnenden  allgemeinsten 
Bestrebungen  oder  gar  allgemeingültigen  humanen  Forderungen  ent- 
sprechen oder  zuwiderlaufen.  Zweifellos  können  in  diesem  Sinne 
grosse  historische  Ereignisse  und  Umwälzungen,  wie  die  Reformation, 
die  französische  Revolution,  die  Ausscheidung  Oesterreichs  aus  dem 
deutschen  Reiche  und  ähnliche,  einer  Kritik  unterzogen  werden. 
Aber  da  es  schwierig  ist  für  diese  die  Forderung  zu  erfüllen,  dass 
sie  eine  immanente  sei,  die  Massstäbe  der  Beurtheilung  vielmehr 
in  der  Regel  bestimmten  von  aussen  an  die  Ereignisse  heran- 
gebrachten politischen,  religiösen,  ethischen  oder  allenfalls  auch  ge- 
schichtsphilosophischen  Ueberzeugungen  entnommen  werden,  so  hat 
sich  in  der  Geschichtsforschung  selbst  mit  einem  gewissen  Recht 
die  Gewohnheit  eingebürgert,  nur  jene  Werthkritik,  welche  die 
historischen  Vorgänge  auf  das  Yerhältniss  der  angewandten  Mittel 
zu  den  erstrebten  Zwecken  prüft  und  beurtheilt,  im  eigentlichen 
Sinne  historische  Kritik  zu  nennen.    Jedenfalls  ist  nun  diese  Art 


*)  Vgl.  hierzu  die  eingehende  Darstellang'  der  Methoden  der  Quellenkritik 
bei  Bernheim,  Lehrbuch  der  historischen  Methode,  2.  Aufl.,  S.  236  ff. 


Kritik.  125 

der  Werthkritik  darauf  angewiesen  immanente  Kritik  zu  sein.  Da- 
gegen bleibt  sie  im  wesentlichen  auf  Ereignisse  eingeschränkt,  die 
imt«r  dem  entscheidenden  Einfluss  einzelner  handelnder  Persönlich- 
keiten entstanden  sind,  während  sich  eine  direct  auf  die  Zwecke 
selbst  und  ihren  Zusammenhang  mit  der  geschichtlichen  Entwick- 
lung gerichtete  Werthkritik  auch  auf  allgemeine,  nicht  oder  wenig- 
stens nicht  bloss  aus  dem  Eingreifen  einzelner  Persönlichkeiten  her-* 
vorgegangene  Ereignisse  und  Zustände  beziehen  kann.  Das  eigent- 
liche Terrain  jener  beschränkteren  historischen  Kritik  oder,  wie  wir 
sie  nach  ihrem  psychologischen  Charakter  nennen  können,  jener 
Kritik  der  Mittel  zu  gegebenen  Zwecken  ist  daher  die  poli- 
tische Geschichte,  und  in  ihr  wieder  Tornehmlich  die  Geschichte 
der  diplomatischen  Verhandlungen,  der  Staatsyerträge ,  der  Mass- 
regeln der  Gesetzgebung  und  Verwaltung,  endlich  die  Geschichte  der 
kriegerischen  Unternehmungen.  Unter  allen  diesen  Gebieten  ist  es 
die  Kriegsgeschichte,  in  der  die  Kritik  der  Mittel  wohl  ihre  schärfste 
Ausbildung  gefunden  hat  und  die  relativ  exacteste  Anwendung  zu- 
lasst.  Aus  begreiflichen  Gründen :  einmal  sind  die  erstrebten  Zwecke 
hier  in  der  Regel  unzweideutig  gegeben;  sodann  lassen  sich  die 
möglicher  Weise  zur  Erreichung  eines  Zweckes  anwendbaren  Mittel 
meist  klar  übersehen ;  und  endlich  entscheiden  die  Erfolge  selbst  in 
einer  selten  misszuverstehenden  Weise  über  die  Zweckmässigkeit  der 
Massregeln.  In  dieser  nachträglichen  „Kritik  der  Thatsachen^  findet 
daher  die  logische  Kritik  theils,  wenn  sie  vorausgeht,  ihre  Probe, 
theils,  wenn  sie  nachfolgt,  ihre  Hauptstütze.  Nur  kann  freilich  auch 
hier  wie  überall  der  Erfolg  das  Urtheil  über  die  Zweckmässigkeit 
der  Mittel  trüben.  In  allen  Fällen  entwickelt  aber  die  strategische 
and  taktische  Kritik  aus  dem  vorgestellten  Zweck,  unter  Voraus- 
setzung allgemeingültiger  psychologischer  Motive,  die  zur  Erreichung 
desselben  erforderlichen  Mittel,  indem  sie  zugleich  die  wirklich  ge- 
wählten oder,  falls  es  sich  um  zukünftige  Ereignisse  handelt,  die 
vorgeschlagenen  Massregeln  auf  ihre  Uebereinstimmung  mit  jenen 
Folgerungen  sowie  auf  die  aus  ihnen  selbst  sich  ergebenden  Folgen 
prüft.  Hierbei  fdhrt  dann  diese  psychologische  Deduction  zu  einer 
hülfsweisen  Verwerthung  der  vergleichenden  Methode,  die,  je  sorg- 
faltiger und  gründlicher  die  Kritik  geübt  wird,  um  so  mehr  in  einer 
vergleichenden  Erwägung  aller  vorhandenen  Möglichkeiten  besteht. 
Damit  diese  Erwägung  eine  hinreichend  vielseitige  werde,  ist  daher 
die  Ergänzung  und  eventuell  die  Berichtigung  einer  individuell  ge-^ 
Qbten  Kritik  durch  andere  kritische  Standpunkte  hier  wie  auf  poli- 


126  Allgemeine  Grundlagen  der  Geinteswissenflchaften. 

tischem  Gebiet  ein  wichtiges,   freilich  aber  keineswegs  ein  unfehl- 
bares Mittel  zur  Sicherung  der  Ergebnisse. 

Bedeutsame  Anwendungen  findet  die  Werthkritik  schliesslich 
auf  philosophischem  Gebiete,  wo  sie  sich  in  die  drei  Formen 
der  ästhetischen,  der  ethischen  und  der  Erkenntnisskritik 
spaltet.  Unter  ihnen  sind  die  beiden  ersteren  so  alt  wie  das  Nach- 
denken über  die  Kunst  und  über  die  sittlichen  Begriffe  überhaupt; 
und  wenn  auch,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  von  ihm  geübte 
Kritik  des  Erkenntnissvermögens,  Kant  erst  seine  Philosophie  eine 
kritische  nannte,  so  ist  doch  den  Erkenntnissproblemen  gegen- 
über das  Verhalten  nicht  nur  der  Philosophie,  sondern  der  Wissen- 
schaft überhaupt  von  frühe  an  im  allgemeineren  Sinne  ein  kritisches 
gewesen.  Denn  der  Widerstreit  der  Gegensätze  schön  und  hass- 
licb,  gut  und  schlecht,  wahr  und  falsch  und  das  aus  diesem  Wider- 
streit entspringende  Schwanken  des  ürtheils  fordert  von  selbst  das 
kritische  Verhalten  heraus.  Dabei  hat  sich  die  logische  Eigen- 
thümlichkeit  der  kritischen  Methode  mehr  als  auf  einem  der  andern 
dieser  Gebiete  auf  dem  der  ästhetischen  Kritik  ausgeprl^. 
Vielleicht  weil  sich  hier  am  frühesten  die  Forderung  durchgesetzt 
und  trotz  mannigfacher  Störungen  von  Seiten  der  Philosophie  im 
ganzen  auch  siegreich  behauptet  hat,  dass  das  ästhetische  Object 
selbst  und  das  bei  der  Anschauung  desselben  erweckte  Gefühl,  nicht 
aber  irgend  ein  diesem  Object  transcendenter  Gesichtspunkt,  etwa 
eine  von  aussen  auf  dasselbe  übertragene  philosophische  Idee,  zum 
Ausgangspunkt  der  Kritik  diene,  und  dass  sich  daher  diese  nicht 
etwa  von  metaphysischen  Dogmen,  sondern  ausschliesslich  von  all- 
gemeingültigen psychologischen  Motiven  leiten  lasse.  Darum  bieten 
schon  die  Rhetorik  und  Poetik  des  Aristoteles,  mehr  als  andere 
seiner  Werke,  die  Politik  nicht  ausgenommen,  vortreffliche  Beispiele 
einer  immanenten,  aus  der  Natur  des  Gegenstandes  und  den  all- 
gemeinen psychischen  Eigenschaften  des  Menschen  deducirenden 
Kritik,  die  als  gelegentliches  Hülfsmittel  die  vergleichende  Betrach- 
tung von  Beispielen  zu  Hülfe  nimmt.  Vorbildliche  Formen,  selbst 
Kunstwerke  und  doch  zugleich  in  logischer  Beziehung  Beispiele  von 
mustergültiger  E^arheit,  hat  sodann  auf  dem  Gebiet  der  ästhetischen 
Kritik  L  es  sing  geliefert.  Die  logischen  Normen  der  kritischen 
Methode  lassen  sich  vielleicht,  trotz  der  ungezwungenen  Lebendigkeit 
der  Form,  nirgends  besser  studiren  als  an  der  ^Hambiurgischen 
Dramaturgie"  und  dem  „Laokoon''.  Die  siegreiche  Ueberzeugungs- 
kraft,   die   diesen  kritischen  Erörterungen  selbst  da  innewohnt,   wo 


Kritik.  127 

wir  iluiM  heute  nicht  mehr  in  allen  Stücken  beipflichten  können, 
wie  in  den  SiUzen  des  «Laokoon'"  über  das  Verhältniss  der  Malerei 
zur  Poesie,  bera^  in  erster  Linie  auf  der  psychologischen  Deduction, 
in  zweiter  auf  der  RÜle  treffender  Beispiele,  die  zur  Vergleichung 
herbeigezogen  werden.  Wie  schlagend  ist  z.  B.  in  der  Kritik  der 
Voltaire'schen  „Semiramis^  dm  Nachweis,  dass  ein  Gespenst,  bei 
Tage  und  in  einer  grossen  Yersaimnlung  erscheinend,  unmöglich 
anders  als  lächerlich  wirken  könne.  Und  wie  einleuchtend  weiss 
dann  der  Kritiker  diese  psychologische  Folgerung  durch  die  Ver* 
gleichung  des  Yoltaire'schen  Gespenstes  mit  den  €Mstererscheinungen 
bei  Shakespeare,  vor  allem  mit  dem  Geist  im  Hamlet,  n  veranschau- 
lichen!*) Die  hervorragende  Bedeutung,  die 'bei  diesem  grossen 
kritischen  Schriftsteller  der  psychologischen  Analyse  zukommt,  tritt 
besonders  auch  darin  hervor,  dass  er  die  aus  der  Anwendung  psycho- 
logischer Gesichtspunkte  auf  den  untersuchten  Gegenstand  gewonnenen 
Resultate  wieder  in  die  allgemeinere  Form  psychologischer  Erfahrungs- 
sätze zu  bringen  pflegt.  Man  erinnere  sich  an  die  Betrachtungen 
über  das  christliche  Trauerspiel,  über  den  Vortrag  moralischer  Sen- 
tenzen, über  die  Verwendung  des  Wunderbaren  ün  Drama  und  vieles 
Aehnliche,  —  ästhetische  Verallgemeinerungen  die,  auf  der  Grund- 
lage psychologischer  Analyse  und  ästhetischer  Vergleichung  des 
Einzelnen  entstanden,  deutlich  den  Weg  zeigen,  den  eine  productive 
äsäietische  Kritik  zu  gehen  hat,  wenn  sie  ästhetische  Regeln  flnden 
wOL  Solche  Regeln  müssen  eben  einerseits  auf  die  allgemeine  psycho- 
logische Natur  des  Menschen,  anderseits  auf  die  besondere  Beschaffen- 
heit und  die  besonderen  Zwecke  des  ästhetischen  Gegenstandes  ge- 
gründet sein.  Sie  sind  daher  Producte,  die  in  diesem  Falle  der 
Werthkritik  selbst  einen  schöpferischen  Werth  verleihen,  weil  hier 
das  Endziel  der  Ejritik  nicht  bloss  in  der  WerthbeurtheUung  des 
Einzelnen,  sondern  in  der  Auffindung  und  Begründung  allgemeiner 
Principien  der  Werthbeurtheilung  besteht.  In  diesem  Sinne  ist  eben 
die  Aesthetik  selbst  eine  auf  Kritik  gegründete  Wissenschaft;  und 
dasselbe  kann  oder  sollte  wenigstens  von  der  Ethik  und  von  der 
Philosophie  überhaupt  gesagt  werden. 

Indem  so  die  Aufgaben  der  Kritik  umfassendere  und  selbst  im 
wissenschaftlichen  Sinne  schöpferische  werden,  hängt  nun  hiermit 
zugleich  eine   Eigenschaft  zusammen,   die   nicht   selten  gerade   auf 


*)  Hamburgische  Dramaturgie,  10.  und  11.  Stück,  Ausg.Lachmann-Maltzahn, 
VII,  S.  47  ff. 


128  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

diesen  Gebieten  der  Kritik  zukommt:  sie  bestellt  darin,  dass  der 
Werthkritik  des  Objectes  selbst  eine  Ejitik  der  bereits  über  dasselbe 
vorhandenen  Urtheile  Torangeht.  Eine  solche  Kritik  der  Mei- 
nungen, in  die  dann  immittelbar  auch  die  kritische  PrOfang  der 
vorhandenen  Interpretationsversuche  verflochten  wird,  setzt  nicht  nur 
verhältnissmassig  leicht  in  den  Besitz  der  bis  dahin  gewonnenen 
Ergebnisse  und  Anschauungen,  sondern  sie  zieht  überdies  einen 
grossen  Theil  ihres  Nutzens  daraus,  dass  wir  fremden  Ansichten 
meist  unbefangener  gegenüberstehen  als  eigenen,  und  auf  diesem 
Wege  daher  leicht  Standpunkte  überwinden,  die  entweder  an  und 
für  sich  falsch  gewählt,  weil  aus  einer  einseitigen  Betrachtung  der 
Sache  gewonnen  sind,  oder  aber  wenigstens  nur  einen  vorbereiten- 
den, keinen  endgültigen  Werth  haben.  In  diesem  Sinne  hat  schon 
Plato  seine  eigenen  Lehren  aus  der  Kritik  der  Meinungen  und 
Lehren  seiner  Vorgänger  heraus  entstehen  lassen:  der  Dialog  als 
künstlerische  Nachahmung  des  natürlichen  Streites  der  Meinungen 
in  Rede  und  Gegenrede  bot  sich  hier  von  selbst  als  die  angemessene 
Form  einer  solchen  Kritik  dar.  Nicht  minder  hat  dann  Aristoteles 
den  Zugang  zum  Aufbau  seines  eigenen  Systems  überall  durch  eine 
Kritik  der  vorhandenen  Meinungen  zu  gewinnen  gesucht,  indem  ihn 
dabei  nach  seinen  eigenen  Aussprüchen  die  üeberzeugung  leitete, 
dass  man  sich  zuerst  einen  üeberblick  und  ein  ürtheil  über  die 
möglicher  Weise  anzunehmenden  Principien  zu  verschaffen  habe, 
diese  aber  im  allgemeinen  in  bestimmten  Lehren  zum  Ausdruck  ge- 
bracht finde*). 

In  der  Scholastik  ist  dann  diese  Methode  in  ein  äusserliches 
und  schablonenhaftes  Verfahren  ausgeartet,  bei  welchem  sich  zumeist 
die  eigene  Dürftigkeit  hinter  einem  Katalog  fremder  Meinungen  ver- 
schanzte. Hieraus  ist  das  in  den  Geisteswissenschaften  mehr  als  in 
andern  Gebieten  heimische  üebel  geistloser  Gompilation  entsprungen, 
in  der  sich  die  selbstverständliche  Forderung,  dass  für  jede  wissen- 
schaftliche Forschung  die  Kenntniss  des  bereite  Erkannten  nöthig 
sei,  in  die  Maxime  umgewandelt  hat,  die  Erkenntniss  eines  Gegen*- 
Standes  bestehe  darin  zu  wissen,  was  alle  Andern  schon  über  ihn 
gewusst  haben.  So  ist  es  beinahe  tragisch  zu  nennen,  dass  gerade 
die  entwickeltete  Form  der  Kritik,  die  Kritik  der  Meinungen,  in 
ihren  Auswüchsen  der  Kritiklosigkeit  Vorschub  leistet.  In  Wahr- 
heit kann  es  für  die   Kritik  der  Meinungen   als  Regel  g'elten,   dass 


')  Vgl.  Physik  I,  2.    Metaphysik  I,  3. 


Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.  ]29 

sie  niemals  alle  überhaupt  über  den  Gegenstand  vorhandenen  Urtheile 
extensiv  erschöpfen,  dass  sie  aber  um  so  intensiver  in  diejenigen 
eindringen  soll,  deren  kritische  Prüfung  eine  Förderung  des  eigenen 
kritischen  Urtheils  verspricht,  sei  es  positiv,  durch  bereits  vor- 
handene Ansätze  zu  einer  richtigen  Werthbeurtheilung,  sei  es  negativ, 
durch  die  ExempUfication  kritischer  Verkehrtheiten.  Denn  auch 
die  Kritik  der  Meinungen  hat  ja  als  letzten  Zweck  nur  den,  den 
Werth  des  Gegenstandes  selbst  schätzen  und  verstehen  zu  lehren. 
Die  Auseinandersetzung  mit  einer  einzigen  kritischen  Beurtheilung 
von  Bedeutung  kann  hier  nützlicher  sein  als  die  Durcharbeitung 
durch  einen  ganzen  Berg  kritischer  Dutzendliteratur.  Niemand  hat 
besser  als  wiederum  Lessing  die  wegweisende  Bedeutung  einer 
solchen  hervorgehoben*). 

f.    Der  Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften. 

Der  Begriff  des  Gesetzes  ist  ursprünglich  der  bürgerlichen 
Rechtsordnung  entnommen,  also  von  einem  Gebiet  ausgegangen,  das 
selbst  dem  Umkreis  der  Geisteswissenschaften  zugehört.  Erst  die 
Naturwissenschaft ,  die  das  Wort  seit  den  Anfängen  ihrer  neueren 
Entwicklung  aufnahm,  hat  ihm  aber  jene  umfassendere  Bedeutung  ge- 
geben, in  der  es  gegenwärtig  überhaupt  auf  Sätze  angewandt  wird, 
in  denen  irgend  ein  allgemeingültiger  Zusammenhang  seinen  Aus- 
druck findet,  mag  dieser  nun  der  [ßrfahrung  entnommen  oder  auf 
dem  Wege  der  mathematischen  Abstraction  gewonnen  sein.  Da  es 
Tomehmlich  das  Inductionsverfahren  ist,  durch  das  solche  allgemein- 
gültige Sätze  gefunden  werden,  so  entsprechen  demnach  innerhalb 
der  Erfahrungswissenschaften  den  verschiedenen  Stufen  der  Induction 
zugleich  Anwendungen  des  Begriffs  von  verschiedenem  Umfang  und 
Inhalt,  indem  jede  Induction  zunächst  zur  Aufstellung  concreter 
empirischer  Gesetze  gelangt,  dann  eine  Anzahl  solcher  zu  allge- 
meinen Erfahrungsgesetzen  vereinigt,  um  schliesslich  mit  causalen 
Oesetzen  zu  endigen,  die  als  besondere  Anwendungen  des  allgemeinen 
Causalprincips  angesehen  werden  können.     (Abschn.  I,  S.  26  ff.) 


*)  Freüich  hat  selbst  Lessing  das  grösste  Hinderniss  der  Kritik,  den 

Antoritätsglanben,  nicht  völlig  überwunden.    Aristoteles  gilt  ihm  als  ein  so  zu- 

Terlissiger  Zeuge  der  Wahrheit,  dass  dessen  Autorität  unverkennbar  seine  eigene 

Untersuchung  beeinflusst.    Hier  trägt  eben  auch  Lessing  die  Spuren  seiner  Zeit, 

die  es  vor  allem  als  ihren  Beruf  empfand,   einen   falschen  durch  einen  echten 

Claasidsmus  zu  überwinden. 

Wnftdt,  Logik,  n,  2     9.  Aufl.  9 


130  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

XTuvermeidlich  musste  nun  der  so  durch  die  Naturwissenschaft  ver- 
änderte Begriff  auf  die  Geisteswissenschaften  zurückwirken,  in  denen 
nicht  minder  das  Bedürfniss  entstand,  die  durch  die  Interpretation 
und  ihre  Hülfsmethoden  gewonnenen  Sätze  einem  allgemeinen  Begriff 
unterzuordnen,  für  den  sich,  da  ihm  im  wesentUchen  die  nämlichen 
Merkmale  zukommen,  von  selbst  auch  die  gleiche  Bezeichnung  dar- 
bot. Oleich  wohl  sind  dieser  üebertragung  Schwierigkeiten  entgegen- 
getreten, die  noch  heute  nicht  ganz  überwunden  zu  sein  scheinen. 
Solche  mussten  sich  in  der  That  nicht  bloss  aus  der  Verschiedenheit 
der  Methoden,  sondern  auch  daraus  ergeben,  dass  die  Causalität 
des  Geschehens  in  beiden  Fällen  eine  wesentlich  verschiedene  Gestalt 
annimmt.  Ausserdem  ist  aber  auf  die  Behandlung  der  Frage,  in 
welchem  Umfange  die  Geisteswissenschaften  von  dem  Begriff  des 
Gesetzes  Gebrauch  machen  sollen,  offenbar  der  Umstand  von  Einfluss 
gewesen,  dass  den  Bearbeitern  dieses  Gebietes  jene  ursprüngliche 
Bedeutung  des  Gesetzes,  nach  der  dasselbe  eine  von  besonderen  Zwangs- 
ordnungen umgebene  Norm  ist,  noch  allzu  lebendig  vorschwebt  und 
sie  sich  daher  versucht  fühlen,  davon  so  viel  als  möglich  auch  in 
den  neuen  Begriff  hinüberzuretten.  Dies  Streben  ist  um  so  begreif- 
licher, als  hier  nicht,  wie  in  so  manchen  andern  Fällen,  die  alte 
Bedeutung  von  der  neuen  verdrängt  wurde,  sondern  auf  ihrem  Ge- 
biete noch  unverändert  neben  jener  fortbesteht. 

Bei  der  Beurtheilung  solcher  Bedenken  ist  es  nun  beachtens- 
werth,  dass  die  Naturwissenschaft  keineswegs  mit  einem  Male  dem 
Begriff  des  Gesetzes  sein  heutiges  Gepräge  gegeben  hat.  Vielmehr 
lässt  die  Entwicklung  desselben  im  Laufe  der  drei  Jahrhunderte, 
die  seit  dem  Beginne  jener  Üebertragung  verflossen  sind,  im  allge- 
meinen drei  Stadien  unterscheiden.  In  dem  ersten  ist  auch  das 
Naturgesetz  noch  der  Willensausdruck  eines  Gesetzgebers,  in  diesem 
Fall  des  höchsten  Gesetzgebers,  der  die  ganze  Naturordnung  ein- 
gerichtet hat.  Darum  gelten  einem  Descartes  und  Newton  mit 
ihren  Zeitgenossen  nur  diejenigen  allgemeinen  Sätze  als  ^Gesetze'' 
(Leges  naturae),  die  sich  aus  andern  nicht  ableiten  lassen  und  darin 
ihren  unmittelbaren  Ursprung  aus  dem  göttlichen  Willen  verrathen. 
In  diesem  Sinne  ist  das  Gesetz  dem  mathematischen  Axiom  gleich- 
geordnet. Wie  das  „Axioma**  eine  allgemeine,  nicht  aus  weiteren 
Voraussetzungen  abzuleitende  Norm  des  Seins  nach  den  drei  Daseins- 
weisen des  Raumes,  der  Zeit  und  der  Zahl,  so  bezeichnet  die 
„Lex"  eine  ursprüngliche  Norm  des  Geschehens  in  der  Natur,  eine 
Kegel,  die  sich,  wie  Leibniz  sagt,  selbst  nur  teleologisch,  aus  den 


Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.  131 

Absichten  des  Schöpfers,  nicht  mechanisch  erklären  lässt,   aus   der 
dann  aber    alle    einzelnen  Regeln   mechanisch    mit  mathematischer 
Notwendigkeit  abgeleitet  werden  können*).     Darum  werden  nun 
auch  solche    untergeordnete  Regeln  entweder    als  ^Erscheinungen*^ 
—  80  yon  Newton  die  Kepler^schen  Gesetze  —  oder  aber  überein- 
stimmend   mit    den    abgeleiteten    Lehrsätzen    der    Mathematik    als 
, Theoreme''  bezeichnet.    In  dem  zweiten  Stadium,  das  etwa  um  die 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  beginnt,    erweitert  sich  der  Begriff 
in  doppelter  Richtung:    theils   breitet   er   sich    über   die  abstracten 
Wissenschaften,   die  Logik  und  Mathematik,   aus,   indem  man   von 
Zahl-,  Raum-  und  allgemeinen  Denkgesetzen  zu  reden  beginnt,  theils 
wird  er  auf  alle  die  naturwissenschaftlichen  Sätze  übertragen,   die 
irgendwie  einen  principiellen  Charakter  besitzen,  insofern  sie  Anwen- 
dungen des  allgemeinen  Causalprincips  sind,  denen  andere  Sätze  oder 
einzelne  Erfahrungen  subsumirt  werden  können.    Nicht  der  axioma- 
tische  Werth,   sondern  die  Allgemeinheit   der  Anwendung   und   die 
causale  Bedeutung  ist  es  daher,  die  nunmehr  noch  das  Gesetz  unter- 
scheidet.    In   gleichem  Masse   verschwindet  die   Zurückführung   auf 
eine  unmittelbare  göttliche  Anordnung  und  tritt  an  ihre  Stelle  der 
Gedanke   an   die  Wirkung  allgemeiner  Naturkräfte:    als  Gesetz  gilt 
Qun  jedes  einzelne  Princip   der  Naturcausalität,    das   als  allgemeine 
Regel  eine  grössere  Anzahl  einzelner  Formen   des  Geschehens  um- 
fasst.    Yon  hier  aus  macht  sich  nun  sehr   bald  der  Drang  fühlbar, 
noch  einen   weiteren  Schritt  zu   thun.     Nicht  jede  Regel,   die  sich 
als  einheitlicher  Ausdruck   für  eine  Menge  einzelner  Erscheinungen 
geben  lässt,    enthält  auch  schon  eine  causale  Beziehung.     Da  diese 
stets  eine  Aussage  über  die  Existenz  und  Wirkungsweise  bestimmter 
Xaturkräfte  in  sich  schliesst,   so  ist  sie  yon  Voraussetzungen  über 
das  materielle  Substrat   der  Naturerscheinungen  und  dessen  Eigen- 
schaften abhängig,  die  sich  erst  aus  einer  umfassenden  Yergleichung 
mannigfacher  gesetzmässiger  Zusammenhänge  gewinnen  lassen.  Lange 
bevor  es  möglich  ist,  dieses  Ziel  zu  erreichen,  wird  jedoch  das  Be- 
düriniss   fühlbar,   die   einzelnen  Regelmässigkeiten,   die   die  Grund- 
lagen solcher   causaler  Verknüpfungen  bilden,  festzuhalten.     So  ist, 
als  letztes  Stadium  dieser  Eutwicklung,  der  seit  dem  Anfang  unseres 
Jahrhunderts    eine   wachsende    Bedeutung    gewinnende    Begriff  des 
.empirischen   Gesetzes^   entstanden,   bei   dem  der  Zusatz   empirisch 

*)  Leibniz,  Princip.  quoddam  generale  etc.  Math.  Schriften,  heraus- 
gegeben Ton  Gerhardt.  U,  2,  p.  134»  und  an  anderen  Stellen  seiner  Abband- 
losgen  zar  Dynamik. 


132  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswifisenschaften. 

nickt  etwa  in  dem^Sinne  einen  Gegensatz  zu  dem  Begriff  des  causalen 
Gesetzes  bezeichnet,  als  wenn  dieses  nicht  auch  empirischen  Ur- 
sprungs wäre,  sondern  wo  jenes  Attribut  nur  andeuten  soll,  dass 
ein  solches  Gesetz  bloss  eine  empirische  Regel  sei,  die  nicht  auf 
die  allgemeinen  Voraussetzungen  über  die  Naturcausalität  zurück- 
geführt werden  könne.  Im  Zusammenhange  damit  hat  das  zu- 
nehmende Bedürfniss  nach  kurzer  Unterscheidung  der  zahlreichen 
so  entstandenen  empirischen  Gesetze  zu  der  Gewohnheit  geführt, 
€inem  jeden  derartigen  Gesetze  als  einfaches  Erkennungszeichen  den 
Namen  des  Forschers  beizulegen,  der  es  zuerst  nachgewiesen.  So 
spricht  man  in  der  Elektricitätslehre  vom  Ohm'schen,  Ampere^schen, 
Weber'schen  Gesetze  u.  s.  w.  Auch  auf  die  Naturgesetze  von 
causaler  Bedeutung  hat  dann  diese  Sitte  übergegriffen:  wir  reden 
nicht  bloss  von  den  Keple raschen  Gesetzen,  die  in  der  That  bloss 
den  Charakter  „empirischer  Gesetze"  im  engeren  Sinn  besitzen,  son- 
dern auch  von  dem  Newton^schen  Gesetz,  dem  Galilei^schen  Träg- 
heitsgesetz u.  dergl.  Ausdrücke  wie  Grimms  Gesetz  der  Laut- 
verschiebung, Malthus'  Bevölkerungsgesetz,  Comtes  Gesetz  der  drei 
Stadien  und  ähnliche  zeigen,  wie  die  nämliche  Gewohnheit  bereits 
auf  die  Geisteswissenschaften  übergreift.  Die  beiden  letzten  Bei- 
spiele beweisen  freilich  zugleich,  wie  gerade  hier  die  Grenze  zwi- 
schen Gesetz  und  Hypothese  nicht  immer  eingehalten  wird.  Die 
Benennung  nach  dem  Urheber  kann  ja  zu  dieser  letzten  Erweiterung 
leicht  Anlass  geben,  weil  nun  die  Verantwortung  für  die  Wahrheit 
des  hypothetisch  aufgestellten  Gesetzes  gewissermassen  dem  Urheber 
zugeschrieben  wird*). 

Sehen  wir  von  dieser  Ausdehnung  auf  hypothetische  Sätze 
von  mehr  oder  minder  problematischem  Werthe  ab,  so  hat  nun 
zweifellos  die  allmähliche  Erweiterung  des  Begriffs,  wie  sie  hier  im 
Laufe  der  Zeit  innerhalb  der  Naturforschung  eingetreten  ist,  ihre 
gute  Berechtigung,  ja  sie  erscheint  als  eine  in  der  Entwicklung  des 
Oausalprincips  selbst  begründete;  daher  es  denn  auch  heute  völlig 
unmöglich  sein  würde  die  wissenschaftliche  Ausdrucksweise  wieder 
auf  jene  Stufe  zurückzuschrauben,  wo  man  die  grosse  Mehrzahl  der 


*)  Vgl.  meinen  Aufsatz:  «Wer  ist  l'der  Gesetzgeber  der  Naturgesetze?* 
Phil.  Stud.  lil,  S.  498  ff.  Die  Antwort  auf  diese  Frage  wird  hier  im  Hinblick 
auf  die  oben  kurz  angedeutete  Entwicklung  des  Begriffs  in  dem  Satz  zusammen- 
gefasst  (a.  a.  0.  S.  496):  ,Im  siebzehnten  Jahrhundert  gibt  Gott  die  Natur- 
gesetze, im  achtzehnten  thut  es  die  Natur  selbst,  im  neunzehnten  besorgen  es 
die  einzelnen  Naturforscher.* 


Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.  133 

heute  unterschiedenen    «Gesetze*    noch    als    „Theoreme",    „Regeln'' 
oder  gar  „Erscheinungen"    bezeichnete.     Denn  alle  diese  Ausdrücke 
haben  heute  andere  Bedeutungen  angenommen,  da  sie  nach  anderen 
Richtungen   an  dem  nämlichen  Differenzirungsprocess   theilnahmen, 
aus  dem  der  Begriff  des  Gesetzes  in  seiner  gegenwärtigen  Ausdehnung 
hervorging.     Augenscheinlich  sind   es  nämlich  drei  Merkmale,    die 
sich  in  dem  Begriff  des  Gesetzes  nunmehr  vereinigen,  und  die  sich 
in  dieser  Verbindung   in    keinem  jener  sonst  verwandten  Begriffe 
wiederfinden.    Ueberall  bezeichnet  das  Gesetz  1)  einen  regelmässigen 
Zusammenhang  logisch  selbständiger  Thatsachen.     Nie 
also  kann   eine   einzelne  Thatsache   oder   der  Zusammenhang  einer 
Eigenschaft  mit  dem  Gegenstand  dem  sie  zukommt,  eines  Zustandes 
mit  seinem  Träger  u.  dergl. ,    kurz   irgend   eine  Verbindung  zweier 
Denkinhalte,  von  denen  der  eine  gar  nicht  ohne  den  andern  gedacht 
werden  kann,  auf  die  Bedeutung  eines  Gesetzes  Anspinich  erheben. 
Demnach  sind  Sätze  wie  die,   dass  der  Mensch  12  Brustwirbel  hat, 
oder  dass    durchschnittlich    in  Europa   der   Mann   168,   das  Weib 
158  cm  gross,  oder  dass  die  Blattstellung  der  Pflanzen  spiralförmig 
angeordnet  ist,  an  und  fUr  sich  noch  keine  Gesetze,  wenn  sie  auch 
manchmal   missbräuchlich   so   genannt   werden.     Sie   sind   constante 
Eigenschaften   von   Individuen    oder   von    typischen    Durchschnitts- 
formen, die  in  Gesetze  eingehen  können,  sobald  sie  mit  andern  That- 
sachen,   die    zu    ihnen   direct  oder   indirect   in   causaler   Beziehung 
stehen,    verbunden    werden:    so   z.   B.    die   Blattstellung    mit   dem 
Wachsthum  der  Pflanze  oder,  indem  man  diese  bloss  empirische  auf 
eine  causale  Beziehung  zurückzuführen  sucht,  mit  den  mechanischen 
Wirkungen  der  Wachsthumsspannungen.     Sodann  muss  2)  der  Zu- 
sammenhang,   auf  den  der  Begriff  des  Gesetzes  Anwendung  finden 
soll,  entweder  direct  oder  indirect  auf  ein  causales  oder 
auf  ein  logisches  Verhältniss  hinweisen;  und  zwar  ist  dies 
Verhältniss  ausschliesslich  ein  causales   im  Bereich  der  Erfahrungs- 
wissenschaften,   ein  logisches   in   den   abstract   logischen   Gebieten, 
also  in  der  Logik  selbst  und  in  der  Mathematik.    In  diesen  letzteren 
ist  zugleich  der  Hinweis  auf  den  das  Gesetz  begründenden  logischen 
Zusammenhang  im  allgemeinen  stets  ein  directer.    In  den  Erfahrungs- 
Wissenschaften  dagegen  findet  das  zu  Grunde  liegende  causale  Ver- 
hältniss   nur   in   den   eigentlich   causalen   Gesetzen   einen  Ausdruck, 
nicht  in  den  im  engeren  Sinne  sogenannten  „empirischen  Gesetzen  *". 
Hier  beruht  vielmehr  die  in  dem  Gesetz  ausgedrückte  Regelmässig- 
keit auf  einem  causalen  Verhältniss,  das  nicht  zwischen  den  beiden 


134  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswissenschaften. 

in  das  Gesetz  selbst  eingehenden  und  in  die  äussere  Form  einer 
causalen  Abhängigkeit  gebrachten  Gliedern  stattfindet,  sondern  das 
entweder  eines  dieser  Glieder  oder  beide  mit  irgend  welchen  im 
Hintergründe  bleibenden  causalen  Factoren  verbindet.  Hierbei  macht 
es  keinen  principiellen  Unterschied,  ob  die  jener  bloss  empirischen 
Regelmässigkeit  zu  Grunde  liegende  causale  Beziehung  bereits  be- 
kannt ist  oder  nicht.  So  lange  nur  überhaupt  mit  Sicherheit  er- 
wartet werden  kann,  dass  der  beobachtete  regelmässige  Zusammen- 
hang auf  einem  Causalverhältniss  beruht,  ist  auch  der  Ausdruck 
„empirisches  Gesetz"  auf  ihn  anwendbar,  und  begreiflicher  Weise 
empfängt  daher  dieser  Ausdruck  seine  vorzugsweise  Bedeutung  gerade 
von  den  Fällen,  in  denen  sich  die  causalen  Verbindungen  selbst 
nicht  direct  angeben  lassen.  Ein  Zusammenhang  dagegen,  der  weder 
direct  noch  indirect  auf  eine  Causalität  zurückzuführen,  und  bei  dem 
sogar  die  Vermuthung  einer  solchen  durch  die  Natur  der  Sache 
ausgeschlossen  ist,  fallt  nicht  in  das  Gebiet  des  Gesetzesbegriffs. 
So  bilden  zwei  Erscheinungen,  die  sich  regelmässig  in  einem  be- 
stimmten räumlichen  oder  zeitlichen  Verhältniss  zu  einander  dar- 
bieten, wie  z.  B.  zwei  beliebige  von  einander  unabhängige  Fix- 
sterne, zwei  beliebige  Perioden  der  Weltgeschichte,  an  und  für  sich 
noch  nicht  den  Inhalt  eines  empirischen  Gesetzes.  Endlich  muss 
3)  jedem  Gesetz  ein  heuristischer  Werth  für  die  Subsumtion 
neuer  Thatsacheu  zukommen:  das  Gesetz  soll  nicht  bloss  zusammen- 
fassen was  tbatsächlich  gegeben  ist,  sondern  es  soll  auch  die  ent- 
sprechende Zusammenfassung  künftig  zu  beobachtender  Thatsachen 
ermöglichen.  Begründen  die  beiden  ersten  Bedingungen  die  theo- 
retische Möglichkeit  des  Gesetzes,  so  beruht  auf  dieser  dritten  sein 
praktischer  Erkenntniss werth.  Manche  Sätze  würden  wir,  wenn 
wir  sie  bloss  nach  jenen  theoretischen  Erfordernissen  beurtheilten, 
nicht  anstehen  dürfen  empirische  Gesetze  zu  nennen;  aber  wir  ver- 
sagen ihnen  doch  diesen  Namen,  weil  sie  einer  heuristischen  Be- 
deutung ermangeln.  So  ist  es  im  Sinne  jener  ersten  Bedingungen 
ein  Gesetz,  dass  der  Mensch  der  Nahrung  bedarf,  um  zu  leben. 
Aber  so  wichtig  diese  Regel  für  unsere  Lebensführung  sein  mag, 
zu  unserer  wissenschaftlichen  Erkenntniss  trägt  sie  in  dieser  der 
allgemeinen  Erfahrung  entnommenen  Form  zu  wenig  bei,  als  dass 
wir  sie  unter  die  wissenschaftlichen  Gesetzesforraulirungen  werden 
aufnehmen  wollen.  Diese  Bedingung  des  heuristischen  Werthes 
bewirkt  es,  dass  manche \regelmässige  Beziehungen  von  Erschei- 
nungen erst  dann   zum  Rang  anerkannter  Gesetze   erhoben  werden, 


Begriff  des  Gesetzes  in  den  Greisteswissenschaften.  135 

wenn  sie  zugleich  die  Bedeutung  causaler  Gesetze  gewinnen.  Eine 
unmittelbare  Folge  der  nämlichen  Bedingung  ist  es  ferner,  dass 
wir  einen  singulären  Zusammenhang  von  Ereignissen,  auch  wenn 
zweifellos  die  Glieder  desselben  ein  directes  causales  Yerhältniss 
bilden,  niemals  mit  dem  Namen  eines  Gesetzes  belegen.  So  ist 
ein  einzelner  Meteorsteinfall,  der  Tod  eines  einzelnen  Menschen 
AD  einer  unvermeidlich  wirkenden  Krankheitsursache,  kurz  jeder 
Zusammenhang,  der,  mag  er  auch  in  seinen  einzelnen  Bestandtheilen 
noch  so  sehr  gesetzmässig  begründet  sein,  doch  in  der  bestimmten 
Combination  dieser  Bestandtheile  Tereinzelt  bleibt,  ausgeschlossen 
Tom  BegrifF  des  Gesetzes.  Auf  ein  singuläres  Ereigniss  sind  viele 
Oesetze,  empirische  wie  causale,  anwendbar,  um  es  in  seinen  einzelnen 
Theilen  begreiflich  zu  machen:  es  selbst  aber  kann  nicht  den  In- 
halt eines  Gesetzes  bilden.  Denn  so  weit  sich  auch  dieser  Be- 
griff von  seinem  Ausgangspunkte  entfernt  hat,  das  eine  Merk- 
mal ist  ihm  geblieben,  dass  das  Gesetz  eine  Norm  ist,  nach  der 
wir  eine  Vielheit  einzelner  thatsächlicher  Zusammenhänge  beurtheilen. 
In  diesem  Merkmal  liegt  die  Bedingung,  dass  jedes  Gesetz  einen 
heuristischen  Werih  gegenüber  künftigen  Erfahrungen,  also  eine 
generelle  Bedeutung  beansprucht.  Wird  demnach  auch  der  Be- 
griff des  Gesetzes  seinem  allgemeinen  Umfange  nach  bestimmt  durch 
den  der  causalen  Verbindung,  da  jedes  Gesetz  direct  oder  indirect  auf 
eine  solche  zurückweisen  muss,  so  decken  sich  doch  beide  Begriffe 
keineswegs,  und  zur  Aufstellung  von  Gesetzen  sind  in  Folge  dessen 
Bedingungen  erforderlich,  die  nicht  in  jeder  Wissenschaft  in  gleicher 
Weise  erfüllt  sind.  Namentlich  ist  es  klar,  dass  in  Gebieten,  die 
es  vorzugsweise  mit  singulären  Erscheinungen  zu  thun  haben,  oder 
aach  mit  solchen,  bei  denen  erst  die  in  der  wirklichen  Erfahrung 
nie  anzutreffenden  abstracten  Bestandtheile  der  Erscheinungen  eine 
generelle  Bedeutung  besitzen,  der  Begriff  des  Gesetzes  eine  andere 
Stellung  einnehmen  muss  als  in  jenen,  deren  unmittelbare  Objecte 
allgemeingültige  Erscheinungen  sind. 

Den  mannigfachen  Einwänden,  die  von  vielen  Vertretern  der 
Geisteswissenschaften  gegen  den  Begriff  des  Gesetzes  überhaupt  und 
namentlich  des  , empirischen  Gesetzes^,  wie  ihn  die  Naturwissenschaft 
anwendet,  sowie  gegen  die  üebertragung  desselben  auf  das  geistige 
Gebiet,  auf  Geschichte  und  Gesellschaft,  gemacht  wurden,  liegt  nun, 
wie  ich  glaube,  durchgängig  insofern  ein  Missverständniss  zu  Grunde, 
ab  diese  Forscher  die  oben  hervorgehobenen  Merkmale  nicht  zu- 
reichend beachtet  haben.    Meist  ist  man  der  Meinung,  als  das  einzige 


136  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteewissenschafben. 

logische  Kriterium  des  empirischen  Gesetzes  werde  von  der  Natur- 
wissenschaft irgend  ein  regelmässiger  Zusammenhang  gefordert.  Es 
mag  sein,  dass  da  und  dort  irriger  Weise  auf  solche  Art  das  em- 
pirische Gesetz  definirt  worden  ist.  Aber  thatsächlich  hat  die  Natur- 
forschung den  Begriff  niemals  in  dieser  Ausdehnung  angewandt, 
sondern,  abgesehen  von  den  oben  angeführten  Vermengungen  mit 
der  Hypothese,  die  ja  immerhin  als  ein  im  Denken  anticipirtes,. 
darum  aber  auch  freilich  der  Gewissheit  entbehrendes  Gesetz  an- 
gesehen werden  kann,  stets  an  den  drei  Merkmalen  der  Ver- 
knüpfung selbständig  zu  denkender  Thatsachen,  des  directen  oder 
indirecten  causalen  Verhältnisses,  sowie  des  heuristischen  Werttfes 
und  der  damit  unmittelbar  verbundenen  generellen  Bedeutung  des 
Gesetzes  festgehalten.  Die  Einwände,  die  gegen  den  Begriff  des 
Gesetzes  gemacht  werden,  richten  sich  daher  durchgängig  nur  gegen 
jene  falsche  Definition  desselben  und  gegen  Beispiele,  die  niemals  oder 
doch  höchstens  nur  in  Folge  vorübergehender  Begriffsvermengungen 
mit  dem  Namen  von  Gesetzen  belegt  worden  sind  *).  Freilich  muss 
aber  zugestanden  werden,  dass  die  Anwendungen,  die  zuweilen  int 
Gebiet  der  Sociologie  und  vor  allem  der  Geschichte  von  dem  Begriff 
des  Gesetzes  gemacht  wurden,  solche  Einwände  einigermassen  recht- 
fertigen oder  doch  entschuldigen.  Nur  zeigt  die  nähere  Prüfung 
derartiger  statistischer  oder  historischer  Gesetzesformulirungen,  dass 
sie  durchweg  den  wesentlichen  Kriterien  des  Begriffs  nicht  ent- 
sprechen. Bald  beziehen  sich  diese  «Gesetze''  auf  gewisse  generische 
Eigenschaften  von  Gegenständen,  bald  auf  äussere  Zusammenhänge^ 
für  die  sich  weder  ein  directes  noch  ein  indirectes  causales  Verhalt- 
niss  wahrscheinlich  machen  lässt,  oder  die  mindestens  keinen  heuristi- 
schen Werth  besitzen,  bald  auf  Verallgemeinerungen  von  durchaus 
hypothetischem  Charakter,  bald  endlich  auf  bloss  singulare  Zusammen- 


*)  Vgl.  z.  B.  G.  Rümelin,  Ueber  den  Begriff  eines  socialen  Gesetzes, 
Reden  und  Aufsätze  (1869),  S.  1  ff.  Noch  skeptischer  steht  derselbe  Verf.  der 
Uebertragung  des  Begriffs  auf  die  Geisteswissenschaften  in  einem  späteren 
Aufsatze  gegenüber:  üeber  Gesetze  der  Geschichte  (1876),  ebend.  II,  S.  118  ff» 
Uebrigens  ist  das  namentlich  in  der  ersten  Abhandluog  Rümelins  hervor- 
tretende Bestreben  den  Begriff  des  Gesetzes  überhaupt  in  einer  Weise  zu 
beschränken,  die  seine  Anwendung  auf  die  Geisteswissenschaften  von  solchen 
Bedenken  befreien  soll,  noch  weit  verbreitet  bei  Schrifbstellem  über  Sociologie 
und  Geschichtsphilosophie.  In  der  Regel  sucht  man  diese  Einschränkung  da- 
durch zu  erreichen,  dass  man  bloss  directe  causale  Regelmässigkeiten  als 
»Gesetze*  anerkennt:  so  G.  Simmel,  Die  Probleme  der  Geschichtsphilosophie^ 
Leipzig  1892,  S.  34. 


Begriff  des  GesetseB  in  den  Geisteswissenschaften.  137 

hänge'*').  Nicht  nach  solchen  verfehlten  Beispielen  oder  nach  un- 
zureichenden logischen  Definitionen,  sondern  allein  nach  den- 
jenigen Anwendungen  des  Begriffs,  die  durch  ihre 
Fruchtbarkeit  sich  selbst  rechtfertigen,  hat  sich  aber  unser 
Urtheil  zu  richten.  Hier  treffen  nun  nicht  nur  stets  die  obigen  drei 
Merkmale  zu,  sondern  es  ist  auch  unzweifelhaft,  dass  den  unter 
solchen  Bedingungen  gewonnenen  empirischen  Gesetzen  ebenso  gut 
ein  wissenschaftlicher  Werth  zukommt  wie  den  causalen.  Erstens 
Tennitteln  sie  die  Zusammenfassung  einer,  wenn  auch  nur  indirect, 
auf  ein  causales  Verfaältniss  zurückzuführenden  regelmässigen  Ver- 
bindung von  Erscheinungen,  und  sie  erleichtem  so  die  logische 
Einordnung  aller  ähnlichen,  derselben  Gesetzmässigkeit  folgenden 
Erscheinungen.  Zweitens  bereiten  sie  das  causale  Yerständniss  der 
in  der  Formel  zusammengefassten  Thatsachen  vor,  indem  sie  die 
Vergleichung  mit  andern  verwandten  Zusammenhängen  sowie  Ver- 
suche einer  Ableitung  aus  den  allgemeinen  für  das  in  Frage  stehende 
Erscheinungsgebiet  vorauszusetzenden  Bedingungen  herausfordern. 

Unschwer  lassen  sich  auch  im  Bereich  der  Geisteswissenschaften 
Gesetze  finden,  die  diesen  Ansprüchen  genügen.  Freilich  wird  man 
gut  thun,  sich  dabei  zunächst  nicht  an  Gebiete  zu  wenden,  in  denen 
die  obigen  Forderungen  wegen  der  überwiegenden  Bedeutung  singu- 
larer ursächlicher  Verbindungen  besonderen  Schwierigkeiten  begeg- 
nen, sondern  an  solche,  wo  im  selben  Sinne  wie  in  der  Natur- 
wissenschaft causale  oder  empirische  Gesetze  in  anerkannter  Geltung 
stehen.  Derartige  Gebiete  sind  z.  B.  die  Sprachwissenschaft  auf 
der  einen,  die  abstracte  Wirthschaftstheorie  auf  der  andern  Seite. 
Jene  kennt  eine  Anzahl  von  Gesetzen  des  Laut-,  zum  Theil  auch 
des  Bedeutungswandels,  die  durchgängig  den  Charakter  rein  em- 
pirischer Gesetze  besitzen ;  diese  stellt  für  die  wichtigsten  Zusammen- 
liänge  der  Factoren  des  wirthschaftlichen  Verkehrs,  wie  Preis,  An- 
gebot und  Nachfrage,  Einkommen,  Capitalisirung  und  Credit  all- 
gemeine Gesetze  fest,  die,  wenn  sie  auch  in  dem  wirklichen  Verkehr 
der  Menschen  selten  rein  in  der  von  der  Theorie  geforderten  Weise 
zutreffen,  doch  zweifellos  insoweit  gelten,  als  die  gemachten  Voraus- 
setzungen gültig  sind,  und  die,  wie  schon  ihre  deductive  Entstehung 
lehrt,  jedenfalls  causale  Gesetze  sein  müssen.  Nun  dürften  schwer- 
hch  diese  beiden  Wissenschaften   die  von  ihnen  gefundenen  Gesetze 


*)  Specielleres  über  die  historischen  und  die  socialen  Gesetze  vgl.  unten 
in  Cap.  III  und  IV. 


138  Allgemeine  GruDdlagen  der  Geisteswissenschaften. 

missen  wollen.  Auch  hat  sich  ein  Widerspruch  gegen  diese  Gesetze 
immer  nur  gegen  ihre  unrechtmässige  Ausdehnung  oder  gegen  die  etwa 
vorhandene  Meinung  gerichtet,  dass  neben  ihnen  nicht  noch  andere 
gelten  könnten,  die  ihre  Wirkungen  kreuzen.  Natürlich  kann  hierin 
ebenso  wenig  wie  in  irgend  welchen  sonstigen  Eigenschaften  ein 
Grund  gesucht  werden,  sie  nicht  als  Gesetze  in  analogem  Sinne  wie 
die  Naturgesetze  gelten  zu  lassen.  Sie  beziehen  sich  nicht  auf 
singulare,  sondern  auf  generelle  Erscheinungen,  sie  beruhen  zweifel- 
los auf  causalen  Verhältnissen,  und  sie  bewähren  neuen  Erfahrungen 
gegenüber  fortwährend  ihren  heuristischen  Werth.  Wollte  man 
einwenden,  hier  handle  es  sich  doch  um  Gebiete,  die  selbst  halb 
und  halb  noch  der  Naturwissenschaft  angehörten,  weil  die  Sprache 
und  namentlich  der  Sprachlaut  zunächst  eine  physiologische  Function 
sei,  und  weil  sich  der  wirthschaftliche  Verkehr  auf  materielle  Dinge 
beziehe  und  auf  materiellen  Bedürfnissen  beruhe,  so  lässt  sich  darauf 
auch  hier  antworten,  dass  es  reine  Geisteswissenschaften  in  dem 
bei  diesem  Einwand  vorausgesetzten  Sinne  überhaupt  nicht  gibt  — 
nicht  einmal  die  Psychologie  ist  eine  solche  —  und  dass  die  psycho- 
physischen  Wechselbeziehungen  bei  Sprache  und  Verkehr  schliess- 
lich weder  qualitativ  noch  quantitativ  andere  sind  als  etwa  bei  einer 
Sinneswahmehmung  oder  einem  geschichtlichen  Ereigniss.  Mag  auch 
der  Sprachlaut  physiologisch  entstehen,  die  Sprache  selbst  und  damit 
alles  was  sie  zusammensetzt  beruht  jedenfalls  auf  psychischen  Motiven ; 
und  mag  es  die  Wirthschaft  nur  mit  materiellen  Bedürfnissen  und 
Gütern  zu  thun  haben,  das  Bedürfniss  selbst  ist  ein  psychischer 
Vorgang,  und  zum  Gut  wird  ein  Object  nur  vermöge  einer  psychi- 
schen Werthbestimmung.  Aber  auch  dagegen,  dass  auf  diesen  Ge- 
bieten nur  solche  Begelmässigkeiten,  die  direct  irgend  ein  psychisches 
oder  mindestens  psychophysisches  Causalverhältniss  enthalten,  ein 
Anrecht  auf  den  Namen  von  Gesetzen  erheben  können,  sprechen 
entschieden  die  der  Sprachwissenschaft  zu  entnehmenden  Beispiele. 
Das  so  genannte  Grimmische  Gesetz  der  indogermanischen  Laut- 
verschiebung ist  ein  rein  empirisches,  ganz  von  der  Art  etwa  wie 
die  Kepler'schen  Gesetze  bloss  empirische  Gesetze  waren,  ehe 
Newton  ihre  causale  Begründung  auffand.  Wir  können  zwar  mit 
Sicherheit  annehmen,  dass  die  Lautgesetze  schliesslich  auf  irgend 
welchen  psychischen  Bedingungen  beruhen;  so  wie  es  uns  heute 
vorliegt,  ist  aber  das  Grimmische  Gesetz  ein  rein  empirisches,  das 
eine  Fülle  lautlicher  Veränderungen  in  einen  Ausdruck  zusammen- 
fasst,    der   dieselben   nicht   in   ihrer  Abhängigkeit  von   ihren  noch 


Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.  139 

unbekannten  wirklichen  Ursachen,  sondern  in  ihrer  Abhängigkeit 
Ton  der  Zeit  und  der  Nationalität  darstellt.  Da  die  letztere  als 
räumlich  bestimmt  angesehen  werden  kann,  so  wird  also  hier, 
ganz  ebenso  wie  in  den  empirischen  Gesetzen  der  Naturwissen- 
schaft, an  Stelle  einer  causalen  eine  solche  Beziehung  eingeführt, 
bei  der  die  zu  erklärende  Erscheinung  bloss  als  eine  Function  der 
Coordinaten  des  Raumes  und  der  Zeit  dargestellt  ist.  Dieser  Functions- 
ausdruck  verdient  aber  mit  demselben  Rechte  wie  irgend  ein  em- 
pirisches Gesetz  der  Naturwissenschaft  den  Namen  eines  Gesetzes. 
An  heuristischer  Kraft  ist  er  jedenfalls  vielen  derselben  weit  über- 
legen. So  zeigt  dieses  Beispiel,  wie  wenig  auch  in  logischer  Be- 
ziehung die  Forderung  gerechtfertigt  ist,  dass  ein  Gesetz  directer 
Ausdruck  eines  causalen  Verhältnisses  sei.  Ja  die  Erfahrung  lehrt, 
dass  Gesetze,  bei  denen  wir  dem  ursächlichen  Verhältniss,  sei  es 
weil  es  noch  unbekannt  ist,  sei  es  weil  wir  absichtlich  von  ihm 
keinen  Gebrauch  machen  wollen,  ein  äusseres  räumlich-zeitliches 
Functionsverhältniss  substituiren ,  für  die  Anwendung  überall  die 
fruchtbarsten  sind.  Der  Grund  hierfür  liegt  darin,  dass  sich  das 
empirische  Gesetz  auf  die  direct  in  die  Erfahrung  eintretenden 
Wirkungen  beschränkt,  während  das  causale  dazu  immer  etwas 
nicht-empirisches,  in  diesem  Sinne  also  hypothetisches  hinzufügt. 
Objectiv  nachweisen  können  wir  daher  im  allgemeinen  nur  das 
empirische  Gesetz,  welches  der  in  die  räumlich-zeitliche  Functions- 
form  tungewandelte  Ausdruck  eines  causalen  Gesetzes  ist,  nicht 
dieses  selbst.  Darum  bedient  sich  die  Astronomie  bei  der  Bestim- 
mung der  Planetenbahnen  noch  heute  der  Eeple  raschen  Gesetze, 
nicht  des  Newton'schen;  und  ebenso  würde  die  Sprachwissenschaft 
auch  dann,  wenn  uns  einmal  die  ursächlichen  Bedingungen  des 
indogermanischen  Lautwandels  vollständig  bekannt  sein  sollten, 
zweifellos  fortfahren,  von  dem  Grimm'schen  Gesetz  in  seiner  heutigen 
rein  empirischen  und  darum  allein  objectiv  an  den  sprachlichen 
Erscheinungen  selbst  nachweisbaren  Gestalt  Gebrauch  zu  machen. 

Bei  den  Erörterungen  über  den  Gesetzesbegriff  hat  nun  aber 
meist  noch  ein  weiteres  Bedenken  eine  wichtige  Rolle  gespielt.  Es 
gründet  sich  auf  den  auf  geistigem  Gebiet  überall  vorhandenen  Ein- 
fluss  der  Freiheit  des  Handelns,  der  eine  unveränderte  Ueber- 
tragung  jenes  Begriffs  von  der  Natur  auf  das  geistige  Leben  in 
jeder  Form,  sowohl  in  der  des  empirischen  wie  in  der  des  causalen 
Gesetzes,  verbieten  soll.  In  Folge  dieses  Einflusses  stehen,  wie 
man   sagt,    alle  Regelmässigkeiten   der    geistigen  Welt   unter    der 


140-  Allgemeine  Grundlagen  der  Geieteswissenschafben. 

Voraussetzung,  dass  es  «keine  Regel  ohne  Ausnahme"^  gibt.  Das 
bilde  aber  einen  wesentlichen  Unterschied  von  der  Natur,  in  der 
jedes  Gesetz  yermöge  der  Strenge  dei^  Naturcausalität  den  Anspruch 
auf  ausnahmslose  Geltung  erheben  könne.  Die  so  genannten  geistigen 
Gesetze  sollen  demnach  nur  zu  den  , Regeln",  nicht  zu  den  , Ge- 
setzen*^ zu  rechnen  sein.  Für  das  logische  Verhältniss  dieses  Stand- 
punktes zu  dem  entgegengesetzten,  der  den  Begriff  des  Gesetzes  in 
seiner  vollen  Strenge  auch  auf  das  geistige  Gebiet  übertragen  möchte, 
ist  ein  Streit,  der  innerhalb  der  Sprachwissenschaft  über  die  Frage 
der  „Ausnahmslosigkeit"  der  Lautgesetze  geführt  wurde,  überaus 
bezeichnend*).  Während  man  auf  der  einen  Seite  energisch  für 
eine  solche  Ausnahmslosigkeit  eintrat,  wurde  auf  der  andern  geltend 
gemacht,  dass  den  regelmässigen  Formen  des  Lautwechsels  andere 
gegenüberstehen,  bei  denen  die  Veränderungen  im  Widerspruch  mit 
der  allgemeinen  Regel  erfolgen,  und  dass  speciell  das  Moment 
individueller  Willkür,  dem  sich  die  Sprache  als  eine  geistige 
Schöpfung  nicht  entziehen  könne,  vielfach  solche  Abweichungen  ver- 
schulde. 

Hier  ist  nun  von  vornherein  der  eigentliche  Streitpunkt  nicht 
zutreffend  bezeichnet  worden,  wenn  man  ihn  in  der  Frage  nach  der 
ausnahmslosen  Geltung  der  Gesetze  sah.  Eine  solche  wurde  eigent- 
lich von  keiner  Seite  behauptet.  Dass  die  Geltung  eines  Gesetzes 
eingeschränkt  oder  aufgehoben  werden  kann,  ist  eine  Voraussetzung, 
die  wir  bei  den  Naturgesetzen  ebenso  gut  wie  bei  den  Lautgesetzen 
und  andern  Gesetzen  der  Sprache  oder  sonstiger  geistiger  Schöpfungen 
machen.  Nur  von  einem  Gesetz  nehmen  wir  an,  dass  es  wirklich 
ausnahmslos  gelte,  weil  ohne  diese  Annahme  jede  Erforschung  der 
Bedingungen  der  Erscheinungen  gegenstandslos  sein  würde:  das  ist 
das  Gausalgesetz  selbst.  Aber  dieses  ist  eben  darum  kein  empiri- 
sches Gesetz,  weder  in  dem  engeren  Sinne,  in  dem  ein  solches  bloss 
eine  empirische  Regelmässigkeit  enthält,  noch  auch  in  dem  weiteren, 
in  dem  alle  Verknüpfungen,  die  direct  in  ein  causales  Verhältniss 
gebracht  werden,  einen  empirischen  Inhalt  haben  müssen.    Denn  das 


*)  Zu  diesem  Streit  vgl.  namentlich  Osthoff  und  Brugmann,  Morpho- 
logische Untersuchungen  auf  dem  Gebiete  der  indogermanischen  Sprachen.  I, 
Vorwort,  S.  XIII.  G.  Curtius,  Zur  Kritik  der  neuesten  Sprachforschung. 
Leipzig  1885.  B  rüg  mann,  Zum  heutigen  Stand  der  Sprachwissenschaft.  Frei- 
burg i.  Br.  1885.  Hugo  Schuchardt,  üeber  die  Lautgesetze.  Berlin  1885. 
Femer  meinen  Aufsatz:  üeber  den  Begriff  des  Gesetzes  mit  Rücksicht  auf  die 
Frage  der  Ausnahmslosigkeit  der  Lautgesetze.    Phil.  Stud.  III  (1886),  S.  195  ff. 


Begiiif  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.  141 

Causalgesetz  hat  keinen  empirischen  Inhalt,  sondern  es  spricht  nur 
die  logische  Forderung  aus,  dass  es  Gesetze  gibt,  und  dass  alle  Er- 
scheinungen solchen  unterworfen  sind.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  606  ff.)  Da- 
mit schliesst  es  aber  natürlich  nicht  aus,  dass  die  einzelnen  Gesetze, 
in  denen  direct  oder  indirect  die  durchgängige  Gausalität  der  Er- 
scheinungen ihren  Ausdruck  findet,  gelegentlich  mit  einander  in 
Wecliselwirkungen  treten  können,  in  Folge  deren  innerhalb  einer 
und  derselben  Erscheinungsgruppe  von  zwei  möglicher  Weise  zu 
erwartenden  Gesetzen  bald  das  eine  bald  das  andere,  bald  auch  ein 
aus  ihnen  zusammengesetztes  complezeres  Gesetz  wirksam  wird.  In 
der  That  hatte  man  nur  in  diesem  Sinne  die  ^^Ausnahmslosigkeit** 
der  Lautgesetze  verstanden.  Man  wollte  damit  ausdrücken,  dass, 
wenn  z.  B.  irgend  einmal  ein  Lautwandel  im  Germanischen  nicht 
nach  dem  Grimmischen  Gesetze  erfolgt  sein  sollte,  daran  die  causale 
Wirksamkeit  irgend  eines  andern  Gesetzes,  wie  des  Gesetzes  der 
Association  ähnlicher  oder  verwandter  Formen  (die  so  genannte  Ana- 
logie), die  Schuld  trage.  Näher  betrachtet  war  nun  das  auch  die 
Meinung  Derer,  die  gegen  die  Gleichstellung  der  Lautgesetze  mit 
Naturgesetzen  Einspruch  erhoben:  auch  sie  meinten,  dass  die  Falle 
eines  so  genannten  , sporadischen'  Lautwandels  immer  auf  bestimmte, 
nur  wechselndere  Ursachen  zurückzuführen  seien;  und  selbst  wer 
individuellen  Einflüssen  hier  einen  gewissen  Spielraum  zugestand, 
wollte  damit  doch  nicht  behaupten,  dass  solche  Einflüsse  im  psycho- 
logischen Sinne  ursachlos  seien.  Wird  aber  dies  zugegeben,  so  fällt 
jeder  Ghrund  hinweg,  zwischen  den  Naturgesetzen  und  solchen  regel- 
mässigen Beziehungen,  wie  sie  z.  B.  der  Lautwandel  oder  der  Auf- 
bau der  Wortformen  und  die  syntaktischen  Erscheinungen  darbieten, 
eine  Scheidewand  zu  errichten.  Denn  auch  unter  den  Naturgesetzen 
gelten  alle,  die  irgend  eine  Beziehung  empirischer  Erscheinungen 
enthalten,  nicht  ausnahmslos,  sondern  nur  so  lange  und  in  dem 
Masse,  als  die  Bedingungen  zutreffen,  unter  denen  sie  aus  Beobach- 
tungen oder  allgemeineren  Sätzen  abgeleitet  worden  sind.  So  gelten 
selbst  die  Eeple  raschen  Gesetze  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass 
das  Verhältniss  zwischen  tangentialer  Geschwindigkeit  und  centri- 
petaler  Beschleunigung  der  Planeten  nicht  über  oder  unter  gewissen 
Grenzwerthen  liegt,  und  als  nicht  in  merklicher  Weise  äussere  Stö- 
rungen stattfinden.  Ausnahmslos  gelten  nur  jene  Naturgesetze,  die 
sich,  ähnlich  wie  das  Causalgesetz  selbst,  nicht  auf  bestimmte  Er- 
scheinungen, sondern  auf  die  Gesammtheit  der  Naturerscheinungen 
beziehen,   und  für  die  es   eben  aus  diesem  Grunde  eine  Interferenz 


142  Allgemeine  Grundlagen  der  Oeisteswissenschaften. 

yerschiedener  Gesetze,  welche  die  Gültigkeit  des  einzelnen  aufhebt, 
gar  nicht  geben  kann,  wie  z.  B.  das  Tr'ägheitsgesetz ,  das  Gesetz 
der  Zusammensetzung  der  Kräfte,  der  Erhaltung  der  Energie  u.  dergl. 
Aber  gerade  Sätze  dieser  Art  haben  vielmehr  den  Charakter  ab- 
stracter  logischer  Voraussetzungen,  die  wir  der  Erklärung  der  Er- 
scheinungen zu  Grunde  legen,  als  den  von  Gesetzen,  die  den  Er- 
scheinungen direct  entnommen  sind,  so  dass  f&r  sie  meist  der  Aus- 
druck „Axiome"  oder  „Principien"  vorgezogen  wird.  Indem  sie 
Gesetze  sind,  die  ausnahmslos  gelten,  sind  sie  zugleich  solche, 
die  unmittelbar  an  keiner  einzelnen  Erscheinung  beobachtet  werden 
können,  also  immer  einen  hypothetischen  Charakter  besitzen.  In 
dieser  Beziehimg  stehen  sie  in  vollem  Gegensatz  zu  den  direct  der 
Beobachtung  entnommenen  .,  empirischen  Gesetzen ''.  Für  diese  sowie 
für  die  causalen  Gesetze  mit  empirischem  Inhalt  gilt  nicht  eine 
Ausnahmslosigkeit  des  in  dem  Gesetze  zum  Ausdruck  kommenden 
Effectes,  sondern  nur  eine  solche  der  ursächlichenBedingungen, 
auf  denen  jener  Effect  beruht.  Ob  der  Effect  diesen  Bedingungen 
entspricht,  das  hängt  dagegen  von  der  Concurrenz  mit  den  etwa 
sonst  noch  vorhandenen  Ursachen  ab. 

Hier  besteht  nun  aber  allerdings  zwischen  den  Naturgesetzen 
und  den  Gesetzen,  welche  die  Entstehung  geistiger  Erzeugnisse  be- 
herrschen, ein  Unterschied,  der  mit  den  Eigenthündichkeiten  physi- 
scher und  psychischer  Causalität  auf  das  engste  zusammenhängt.  Die 
Bedingungen,  durch  deren  Wechselwirkung  die  Geltung  irgend  eines 
einzelnen  Naturgesetzes  beschränkt  oder  aufgehoben  werden  kann, 
besitzen  nämlich  einen  generellen  Charakter.  Ein  Naturgesetz  gilt 
daher  ausnahmslos,  insoweit  es  nicht  durch  die  Geltung  anderer 
Naturgesetze  beschränkt  wird.  Auf  geistigem  Gebiet  kann  dagegen 
die  Wirkung  von  Gesetzen  nicht  bloss  durch  andere  Gesetze,  sondern 
auch  durch  singulare  Ereignisse  gestört  oder  aufgehoben  werden. 
Solche  singulare  Ereignisse  sind  aber  selbst  wieder  causal  be- 
gründet und  daher  im  letzten  Grunde  ebenfalls  auf  Gesetze  zurück- 
zuführen: ihre  Ursachen  sind  regelmässig  psychologische  Motive, 
ihre  Gesetze  also  die  allgemeinen  psychologischen  Gesetze.  Wenn 
z.  B.  ein  einzelner  Schriftsteller  ein  Wort  anders  gestaltet,  als  es 
nach  den  regelmässigen  Gesetzen  der  Sprache  geschehen  sollte,  und 
wenn  er  dann  durch  sein  Beispiel  die  sprechende  Gemeinschaft  be- 
einflusst,  so  werden  ihn  dazu  stets  irgend  welche  Motive  veranlassen, 
und  diese  Motive  werden  wieder  die  Wirkungen  psychologischer  Ge- 
setze sein.    Aber  in  der  Art  wie  diese  Gesetze  zusammenwirken  und 


Begriff  des  Gesetzes  in  den  Geisteswissenschaften.  143 

die  einzelne  Handlung  erzeugen,  ist  das  Ereigniss  selbst  ein  singuläres; 
es  bat  sich  genau  in  der  Form  und  mit  den  Wirkungen,  in  denen 
es  sich  in  diesem  einzelnen  Fall  vollzieht,  nie  und  nirgends  ander- 
wärts zugetragen.  Die  Bedeutung,  die  den  singulären  Ereignissen 
auf  geistigem  Gebiet  zukommt,  beruht  demnach  darauf,  dass  in  der 
menschlichen  Persönlichkeit  Handlungen  entstehen,  die  zwar  Wir- 
kungen allgemeiner  Gesetze  sind,  selbst  aber  wegen  ihrer  singulären 
Natur  nicht  zu  Gesetzen  verallgemeinert  werden  können,  weil  eine 
solche  Verallgemeinerung  stets  Gleichförmigkeit  des  Geschehens  vor- 
aussetzt. Ein  Gesetz  auf  geistigem  Gebiete  gilt  also,  soweit  es  nicht 
durch  die  Geltung  anderer  Gesetze  oder  durch  die  Causalitat  singulärer 
geistiger  Ereignisse  beschränkt  wird.  Hierbei  sind  aber  die  letzteren 
ebenso  wenig  ursachlose  oder  zufällige  Erscheinungen  wie  die  That- 
sachen,  die  wir  ihrer  generellen  Natur  wegen  auf  Gesetze  zurück- 
fähren. Die  Causalitat  des  Geschehens  bleibt  daher  von  dem  vor- 
Uegenden  Unterschied  unberührt.  Dieser  bezieht  sich  nur  auf  die 
allgemeine  Möglichkeit,  für  die  einzelnen  Erfahrungsgebiete  empirische 
Gesetze  von  specifischem  Inhalte  aufzustellen.  Diese  Möglichkeit 
ist  natürlich  eine  um  so  beschränktere,  je  weiter  der  Spielraum  der 
singulären  Einflüsse  ist.  Da  aber  die  letzteren  stets  auf  die  un- 
mittelbare Wirkung  psychologischer  Gesetze  zurückgeführt  werden 
können,  so  bedeutet  dies,  dass  im  selben  Masse,  in  welchem  die 
singulären  Einflüsse  vorherrschen,  an  die  Stelle  der  Zurückführung 
der  Erscheinungen  auf  bestimmte  Gesetze  die  directe  psycho- 
logische Interpretation  tritt.  So  operirt  z.  B.  die  Sprachwissen- 
schaft zunächst  mit  specifischen  Sprachgesetzen,  die  Geschichte  da- 
gegen durchgängig  mit  psychologischen  Motiven.  Dort  liefern  offen- 
bar die  singulären  Einflüsse  einen  relativ  geringen,  hier  den  weit 
überwiegenden  Beitrag  zu  den  causalen  Elementen  des  Geschehens. 
In  der  Mitte  zwischen  beiden  Extremen  liegen  dann  solche  Fälle, 
wo  zwar  für  die  einzelne  Erscheinung  die  singulären  Einflüsse  über- 
wiegen, diese  aber  bei  einer  Sammlung  zahlreicher  gleichartiger 
Beobachtungen  relativ  zurücktreten.  Hier  können  dann  bestimmte 
empirische  Gesetze  nicht  unmittelbar  aus  der  vergleichenden  Be- 
trachtimg der  Erscheinungen,  sondern  erst  auf  Grund  umfangreicherer 
statistischer  Erhebungen  gewonnen  werden. 

Der  eigenste  Zweck  der  statistischen  Methode  ist  diese 
Elimination  der  singulären  Einflüsse.  Die  Statistik  ist  in  der  Regel 
überflüssig,  wenn  die  allgemeine  Gesetzmässigkeit  schon  in  den 
einzelnen  Erscheinungen  hinreichend  deutlich  hervortritt,  wie  z.  B.  bei 


144  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswiasenschafben. 

den  Gesetzen  der  Sprache;  sie  ist  gegenstandslos,  wenn  die  singulären 
Einflüsse  absolut  überwiegen,  wie  bei  den  historischen  Ereignissen^ 
bei  denen  zwar  gewisse  allgemeine  Bedingungen,  wie  Bevölkerungs- 
und  Wirthschaftszustände,  nicht  aber  die  historischen  Vorginge  selbst 
einer  statistischen  Untersuchung  zugänglich  sind.  Sie  findet  dagegen 
ihre  erfolgreichste  Anwendung,  wenn,  wie  bei  den  socialen  Massen- 
erscheinungen, eine  Menge  singulärer  Einflüsse,  die  in  verschiedenen 
Richtungen  wirken,  und  eine  kleine  Anzahl  relativ  constant  bleiben- 
der Gesetze  sich  durchkreuzen. 

Auf  die  Regebnässigkeiten,  welche  die  Statistik  feststellt,  findet 
nun  der  Begriff  des  „empirischen  Gesetzes '^  genau  unter  den  näm- 
lichen Bedingungen  Anwendung,  die  für  den  Begriff  des  Gesetzes 
überhaupt  gelten.  Eine  statistische  Regelmässigkeit  ist  ein  Gesetz, 
sobald  die  drei  Merkmale  der  Verbindung  logisch  selbständiger  That- 
sachen,  der  möglichen  Rückbeziehung  auf  ein  causales  Verhältniss  und 
des  heuristischen  Werthes  zutreffen  (S.  133  f.);  sie  ist  kein  Gesetz, 
wenn  eines  jener  Merkmale  fehlt.  Dass  z.  B.  in  einer  Bevölkerung 
die  Zahl  der  Verbrechen  nicht  nur  im  ganzen  annähernd  constant 
bleibt,  sondern  dass  auch  in  der  Frequenz  der  einzelnen  Verbrechens- 
formen ein  regelmässiges  Verhältniss  besteht,  ist  kein  Gesetz,  sondern 
eine  Eigenschaft  oder  eine  Zustandsbestimmung  der  betreffenden  Ge- 
sellschaft, gerade  so  gut  wie  es  eine  Eigenschaft  des  individuellen 
Menschen  ist  12  Brustwirbel  zu  haben.  Wenn  dagegen  die  Statistik 
nachweist,  dass  die  Frequenz  der  Verbrechen  einer  bestimmten  Art 
oder  der  Selbstmorde  oder  anderer  Handlungen  von  Monat  zu  Monat 
Schwankungen  zeigt,  die  alljährlich  in  der  nämlichen  Weise  wieder- 
kehren, so  hat  eine  solche  Regelmässigkeit  den  vollen  Anspruch  auf 
den  Namen  eines  empirischen  Gesetzes:  die  Veränderungen  der  Zeit 
und  die  der  statistischen  Ziffern  sind  logisch  selbständige  Thatsachen; 
das  Verhältniss  beider  zu  einander  ist  eine  empirische  Function,  die 
auf  eine  causale  Abhängigkeit  hinweist;  und  endlich  fehlt  diesem 
Verhältniss  keineswegs  der  heuristische  Werth. 

Freilich  gelten  auch  die  statistischen  Gesetze  nur  so  lange,  als 
die  Ursachen  auf  denen  sie  beruhen  wirklich  constant  bleiben,  —  eine 
Bedingung;  die  bei  der  Wandelbarkeit  der  socialen  Erscheinungen 
immer  nur  zwischen  engeren  Raum-  und  Zeitgrenzen  erfiillt  sein  kann. 
Dabei  ist  aber  zu  beachten,  dass  jene  Gesetze  ihren  Werth  gerade 
dieser  Beschränkung  verdanken,  durch  die  sie  sich  von  den  meisten 
Naturgesetzen  unterscheiden.  Indem  sie  nämlich  nur  innerhalb  der 
bestimmten   Grenzen  gelten,   für   die  sie   gefunden  wurden,   lassen 


Begriff  des  Gleises  in  den  GeisteswiMenschaften.  145 

solche  Gesetze,  die  ftlr  verschiedene  Territorien  und  Perioden  auf- 
gestellt werden,  Vergleichungen  zu,  deren  Ergebnisse  in  ethnologi- 
scher, historischer  oder  auch  in  wirthschafblicher  und  politischer  Be- 
ziehung von  hohem  Interesse  sein  können. 

Da  allgemeine  Regeln  überall  nur  durch  eine  Yergleichung 
vieler  einzelner  Fälle  gleicher  Art  unter  übereinstimmenden  Be- 
dingungen gefunden  werden,  so  liegt  stets  die  Anwendung  der 
vergleichenden  Methode  der  Auffindung  von  Gesetzen  zu 
Grunde.  Zugleich  spielt  in  den  Geisteswissenschaften  diese  Methode, 
namentlich  in  der  Form  der  generischen  Yergleichung,  eine  noch 
bedeutsamere  Rolle  als  in  der  Naturforschung,  wo  die  grössere 
Oonstanz  und  Gleichförmigkeit  der  Erscheinungen  und  die  umfassen- 
dere Verwendung  des  experimentellen  Verfahrens  ofb  eine  wesent- 
liche Abkürzung  des  vergleichenden  Verfahrens  gestattet.  Die  Stufen 
der  Entwicklung  der  Gesetze  bleiben  aber  dort  wie  hier  die  näm- 
Uchen:  zunächst  werden  einzelne  empirische  Gesetze  gewonnen,  aus 
diesen  allgemeine  Erfahrungsgesetze,  und  zuletzt,  in  Folge  der 
ZurückfÜhrung  auf  die  causalen  Bedingungen,  causale  Gesetze.  (Vgl. 
Abschn.  I,  S.  26.)  So  bildet  jeder  einzelne  Lautwandel  im  Germani- 
schen ein  einzelnes  empirisches  Gesetz;  Grimms  Gesetz  der  Laut- 
verschiebungen fasst  dann  für  eine  Reihe  verwandter  Erscheinungen 
eine  Anzahl  solcher  empirischer  Eiuzelgesetze  in  einen  gemeinsamen 
Ausdruck  zusammen:  es  hat  also  den  Charakter  eines  allgemeinen 
Erfahrungsgesetzes.  In  ein  causales  würde  es  übergeführt  sein,  wenn 
es  möglich  wäre,  in  seinen  Inhalt  direct  die  psychophysischen  Be- 
dingungen aufzunehmen,   aus  denen  die  Erscheinungen  entspringen. 

Während  demnach  sowohl  die  einzelnen  empirischen  Gesetze 
wie  die  allgemeinen  Erfahrungsgesetze  in  den  Gebieten  der  Natur- 
und  der  Geisteswissenschaften  darin  übereinstimmen,  dass  sie  that- 
sächlich  gegebene  Beziehungen  enthalten,  tritt  dagegen  in  den 
causalen  Gesetzen  ein  wesentlicher  unterschied  hervor:  diese  führen 
innerhalb  der  Naturforschung  stets  auf  allgemeine  Voraussetzungen 
über  die  Wirksamkeit  des  Substrats  der  Erscheinungen,  in  den  Geistes- 
wissenschaften auf  allgemeine  psychologische  Gesetze  zurück. 
Dies  letztere  Ergebniss  kann  daher  nun'  auch  als  ein  allgemeines 
Merkmal  für  den  Charakter  der  Gesetze  benutzt  werden :  ein  empiri- 
sches Gesetz  fällt  in  den  Umkreis  der  Geisteswissenschaften,  sobald 
die  Beschaffenheit  der  Erscheinungen  uns  zwingt,  dasselbe  als  Aus- 
druck einer  noch  unbekannten  psychologischen  Gesetzmässigkeit  an- 

W und t,  Logik.  II,  8.     2.  Anfl.  IQ 


146  Allgemeine  Grundlagen  der  Oeisteswutenschaften. 

zusehen;  fUr  ein  causales  Qesetz  ist  erforderlich,  dass  es  eine  solche^ 
(Gesetzmässigkeit  unmittelbar  enthalt.  Da  nun  die  Kraft-  und  Energie* 
gesetze  stets  quantitatiTer  Art  sind,  die  psychologischen  (Gesetze  da- 
gegen im  allgemeinen  qualitative  Beziehungen  ausdrücken,  so 
folgt  daraus  der  weitere  äussere  unterschied:  Jedes  Naturgesetz, 
findet  seinen  ezacten  Ausdruck  in  einer  Gausalgleichung,  oder^ 
sofern  es  ein  rein  empirisches  Gesetz  ist,  in  einer  quantitativen 
räumlich-zeitlichen  Functionsbeziehung;  jedes  Gesetz  auf  geistigem 
Gebiete  aber  enthält  ein  qualitatives  Abhängigkeitsverhältniss,  das, 
sobald  das  Gesetz  zu  einem  causalen  wird,  den  (Charakter  eines- 
psychologischen  Motivs  annimmf^).  Dies  schliesst  nicht  aus, 
dass  auch  hier  quantitative  Factoren  in  die  Gesetze  eingehen;  doch 
besitzen  sie  nur  insofern  eine  Bedeutung,  als  sie  den  Grad  der  in 
dem  Gesetz  ausgedrückten  Abhäng^keitsbeziehungen  oder  die  Fre- 
quenz der  beobachteten  Erscheinungen  abzumessen  gestatten,  indess- 
das  Hauptgewicht  stets  auf  dem  qualitativen  Charakter  der  Er- 
scheinungen und  ihrer  Abhängigkeit  ruht.  Schon  bei  den  empiri- 
schen Gesetzen  pflegt  diese  qualitative  Natur  der  geistigen  Gesetze 
klar  ausgeprägt  zu  sein,  so  dass  darin  im  allgemeinen  ein  Hinwei» 
auf  eine  im  Hintergrund  stehende  psychische  Causalität  liegt.  Sa 
enthalten  die  Lautgesetze  als  geschichtliche  Vorgänge,  die  an  be- 
stimmte Territorien  gebunden  sind,  selbstverständlich  auch  räumlich- 
zeitliche Abhängigkeitsverhältnisse,  die  irgendwie  quantitativ  be- 
stimmt werden  können;  aber  das  Wesentliche  bei  ihnen  sind  doch 
die  qualitativen  Veränderungen  der  Laute  und  in  letzter  Instanz  die 
psychischen  und  psychophysischen  Bedingungen,  aus  denen  diese  Ver- 
änderungen entsprungen  sind.  Darum  lässt  sich  ein  Gesetz  wie  da» 
Grimmische  weder  jetzt  in  die  Form  einer  Gausalgleichung  bringen, 
noch  wird  dies  jemals  der  Fall  sein.  Der  ursprüngliche  Zustand 
der  Laute  im  Indogermanischen  und  der  spätere  im  Germanischen 
sind  qualitativ  verschieden,  und  zwischen  diesen  qualitativen  Unter- 
schieden lässt  sich  ein  quantitatives  Aequivalenzverhältniss  in  keiner 
Weise  finden.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  den  moralstatistischen 
Gesetzen.  Wenn  sich  z.  B.  innerhalb  eines  bestimmten  Länder- 
gebietes die  statistische  Begelmässigkeit  herausstellt,  dass  die  Zahl 
der  Verbrechen  gegen  das  Eigenthum  in  den  Sommermonaten  ab- 
und  in  den  Wintermonaten  zunimmt,  und  dass  die  Verbrechen  gegen 


*)  Vgl.   zu  dem  Obigen   die  Ausführungen  über    die  Naturgesetze    Ab- 
schnitt III,  S.  326  ff.,  447  ff. 


Begriff  des  GeseUes  in  den  Geisteswissenschaften.  147 

die  Person  die  entgegengesetzte  Bewegung  zeigen,  so  mögen  die 
Zahlen,  die  dieses  Gesetz  belegen,  f&r  die  Schätzung  des  Orades  der 
Eradieiniuigen  selbst  wie  der  naheliegenden  psychischen  und  psycho- 
physischen  Motive  die  sie  bestimmen  yon  einigem  Werthe  sein,  — 
das  Hauptinteresse  liegt  aber  doch  in  der  qualitatiTen  Bedeutung 
der  Thatsachen.  Das  hindert  nicht,  dass  auch  hier  in  gewissen 
nUlen  eine  ex  acte  Formulirung  von  Gesetzen  wünschenswerth  sein 
kann.  Immerhin  ist  es  bezeichnend,  dass  solche  ezacte  Betrach- 
tungen nur  in  den  zwei  Fällen  einen  wissenschaftlichen  Werth 
gewinnen,  die  dem  complexen  Zusammenhang  des  wirklichen  Ge- 
schehens am  fernsten  stehen:  erstens  in  der  Psychologie,  bei  der 
Untersuchung  der  Qualiföts-  und  Intensitatsgrade  einfachster  psychi- 
scher Zustände,  wie  der  Empfindungen,  und  sodann  in  der  abstracten 
Theorie  gewisser  socialer  Erscheinungen,  wie  des  wirthschaftlichen 
Güterrerkehrs.  In  beiden  Fällen  wird  die  Subsumtion  unter  quanti- 
tatiTe  Gesichtspunkte  durch  eine  weitgehende  Abstraction  von  dem 
wirklichen  Zusaknmenhang  des  psychischen  Geschehens  ermöglicht, 
an  dessen  Stelle  man  eigentlich  ein  einfaches,  nie  in  der  Wirklich- 
keit vorkommendes  Schema  dieses  Geschehens  treten  lässt. 

Von  diesem  wesentlichen  Unterschiede  abgesehen,  der  eine 
nothwendige  Folge  der  verschiedenen  Ghrundlegung  beider  Gebiete 
ist,  verhalten  sich  die  causalen  Gesetze  der  Geistes-  und  der  Natur- 
wissenschaften darin  ähnlich,  dass  dort  wie  hier  der  ausdrückliche 
ffinweis  auf  die  causalen  Bedingungen  in  der  Regel  unterbleibt, 
weil  vorausgesetzt  werden  darf,  dass  diese  stillschweigend  von  Jedem 
hinzugedacht  werden.  Dennoch  ist  die  Art  dieser  Unterdrückung 
in  beiden  Fällen  wieder  eine  charakteristisch  verschiedene.  Die 
Causalgleichungen  der  Naturwissenschaft  enthalten  unmittelbar  nur 
eine  Relation  zwischen  gewissen  intensiven  und  extensiven  Ghrössen: 
in  diese  Relation  eine  Causalität  hineinzudeuten  bleibt  der  nachträg- 
Kchen  Interpretation  der  Gleichungen  überlassen,  wo  dann  meist 
schon  in  der  Art,  wie  wir  die  Gleichungen  in  Worten  ausdrücken, 
eine  solche  Deutung  lieg^.  Bei  den  causalen  Gesetzen  der  Geistes- 
wissenschaften, die  durchgängig  ihres  qualitativen  Charakters  wegen 
überhaupt  nur  in  Worten  ausgedrückt  werden  können,  unterbleibt  die 
Ausf&hrung  der  causalen  Bedingungen  deshalb,  weil  diese  gar  nicht 
in  dem  knappen  Ausdruck  eines  einzigen  Satzes  festgehalten  werden 
kömiten,  sondern  eine  eingehendere  Motivirung  verlangen.  Auf  diese 
Weise  kommt  es,  dass  hier  meist  causale  und  rein  empirische  Ge- 
setze nicht  im  unmittelbaren  Ausdruck,  sondern  nur  entweder  an 


148  Allgemeine  Grundlagen  der  Geisteswiasenschafben. 

den  Nebengedanken,  die  Jeder  sofort  damit  verbindet,  oder  aber  an 
den  nachträglich  beigefügten  Erläuterungen  zu  unterschäden  sind. 
So  werden  wir  geneigt  sein,  den  oben  erwähnten  moralstatistisch^n 
Satz  von  der  relativen  Verschiebung  der  Eigenthumsvergehen  und 
der  Vergehen  gegen  die  Person  im  Sommer  und  Winter  sofort  als 
ein  Gesetz  von  causaler  Bedeutung  aufzufassen,  da  es  nahe  liegt  an 
die  Ursachen  zu  denken,  die  den  Menschen  in  der  einen. Jahreszeit 
mehr  zu  der  einen,  in  der  andern  mehr  zu  der  andern  Kategorie 
rechtswidriger  Handlungen  antreiben.  Aber  so  einleuchtend  dies 
ist,  so  umständlich  würde  es  sein,  alle  jene  Bedingungen  einzeln 
aufzuführen,  und  einen  wissenschaftlichen  Werth  würde  eine  solche 
Aufzählung  dann  erst  erhalten,  wenn  eine  zureichende  Scheidung  der 
Einflüsse  möglich  sein  sollte,  um  allenfalls  auch  statistisch  die 
Wirkung  derselben  sondern  zu  können.  Aehnlich  verhält  es  sich 
mit  dem  zuweilen  ausgesprochenen  politischen  Oesetz,  dass  das  natür- 
liche Ende  der  entarteten  Demokratie  der  Cäsarismus  sei*).  Auch 
dieses  Oesetz  ist  sicherlich  kein  bloss  empirisches:  dazu  würden  der 
Fälle,  aus  denen  es  abstrahirt  werden  kann,  viel  zu  wenige  sein. 
Als  Oesetz  glaubt  man  offenbar  den  Satz  nur  deshalb  ansprechen 
zu  dürfen,  weil  die  psychologischen  Motive,  die  eine  zügellose  Volks- 
menge einem  absoluten  Despoten  in  die  Arme  führen.  Jedem  hin- 
reichend bekannt  sind.  Diese  Gründe  einigermassen  erschöpfend  an- 
zugeben, würde  aber  eine  umfassende  und  schwierige  Aufgabe  sein. 
Man  lässt  also  dem  Oesetz  seinen  empirischen  Ausdruck,  um  die 
causale  Bedeutung  stillschweigend  hinzuzudenken. 

Doch  nicht  bloss  ununterscheidbar  im  Ausdruck  sind  in  der 
Regel  die  causalen  Gesetze  der  Geisteswissenschaften  von  den  empiri- 
schen, sondern  —  was  zunächst  befremden  könnte  —  an  Gesetzes- 
werth  sind  jene  im  allgemeinen  diesen  untergeordnet.  Unter  dem 
„Gesetzes werth"  verstehe  ich  hier  nicht  den  Werth  überhaupt,  son- 
dern den  besonderen  Werth,  den  ein  allgemeiner  Satz  iheils  durch 
seine  AUgemeingültigkeit,  theils  durch  seine  heuristische  Kraft  neuen 
Erfahrungen  gegenüber  beanspruchen  kann.  Hier  ist  offenbar  ein 
rein  empirisches  Gesetz,  wie  z.  B.  das  der  Lautverschiebungen,  von 
der  grössten  Bedeutung.  Nicht  bloss  führt  es  eine  Fülle  ^nzelner 
Erscheinungen  auf  eine  einheitliche  Regel  zurück,  sondern  es  ge- 
stattet auch  mit  grosser  Sicherheit  Rückschlüsse  zu  machen  auf  die 
etymologische    Verwandtschaft    äusserlich    verschiedener    wie    nicht 


♦)  Röscher,  Politik.    2.  Aufl.    Stuttgart  1893,  S.  588  ff. 


Begriff  de»  Gesetasefl  in  den.  Greistesvissenscfaaften,  149 

miBder  manclunaL  auf  den  abweichenden  Ursprung,  äujs^^lißb  äli9- 
licher  Wortformen  stammverwandter  Sprachen;  ja  es.  hat  meist  einen. 
besonderen  Werth  gerade  in.  den  Fällen,  wo  gewisse  Erscheinungen 
mcht  mii  ihm  übereinstimmeni  da  solche  Ausnahmen  zur  Entdeckung 
intorcurrirender  Gesetze  verhelfen..    Das  ist  z.  B.  der  Ursprung  des 
so   genannten  Verner^schen  Gesetzes,  das  eine  Anzahl  von  Fällen, 
die  der  Grimmischen  Lautverschiebung  widerstreiten,  zusammenfasst, 
indem    es   die  Art  der  eintretenden  Verschiebung   bei   bestimmten 
Yersehlusslauten  von  der  Lage  des  Accentes  abhängig  macht.    Auch 
dieses  besondere  Gesetz  erweist  dann  wieder  darin  seinen  heuristi- 
schen Werth,   dass,    nachdem  es  einmal  festgestellt  ist,   nunmehr 
umgekehrt  mit  sein^  Hülfe  Bückschlüsse  auf  die  zur  Zeit  der  Laut- 
verschiebung   bestandenen    Betonungsverhältnisse   gemacht    werden 
koanen*).      Vergleicht   man    nun    mit   diesen  Gesetzen  solche  wie 
etwa  das  oben  erwähnte  von  dem  Uebergang  der  absoluten  Demo- 
kratie  in  den  Cäsarismus    oder   das   Comt ersehe   Gesetz    der    drei 
Stadien^),    so    springt   die  ungünstigere   Stellung   dieser  causalen 
Gesetze  in  die  Augen.     Es  ist  klar,  dass  der  Gäsarismus  zwar  eine 
begreifliche,  aber  doch  keineswegs  eine  so  unbedingt  nothwendige 
Folge   einer  entarteten  Demokratie  ist,   dass   wir    uns   unterfangen 
konnten,   diesen  Uebergang  für  jeden  einzelnen  Fall  vorauszusagen. 
Vielmehr   wird  man  doch  wohl  im  Hinblick  auf  Zustände,   wie  sie 
etwa  in  modemer  Zeit  in  Nordamerika,  namentUch  vor  dem  grossen 
Bürgerkrieg,  oder  auch  in  der  Schweiz  vorgekommen  sind,  zugeben 
müssen,   dass  auch  noch  andere  Wandlungen,   wie  z.  B.  die  innere 
üeberwindung  der  politischen  Schäden  durch  den  verstärkten  Ein- 
ftoss  besserer  Elemente  oder  den  Anschluss  kleinerer  entarteter  Demo- 
kratien an  grössere  Gemeinwesen,  möglich  sind.    Von  dem  Gomte- 
ächen  Gesetz  aber,  nach   welchem  die  allgemeine  Entwicklung  der 
Cultur  die  drei  Stadien  der  Herrschaft  der  theologischen,  der  meta* 
physischen  und  der  positiven  Ideen  durchlaufen  soll,  muss  gesagt 
werden,   dass  es,  wie  die  meisten  andern  geschichtsphilosophischen 
Gesetze,   vielmehr  eine  auf  Ghrund  allgemeiner  psychologischer  Er- 
wägungen  zu  Stande  gekommene  Abstraction  als   ein  Erfahrungs- 
gesetz  ist.      Wahr  ist  an   diesem  Gesetze   im   ganzen,   dass  in  der 
allgemeinen  Entwicklung  des  menschlichen  Denkens  mythologische 
Vorstellungen  den  metaphysischen  Deutungen  des  Weltproblems  vor- 


♦)  Kuhns  Zeitßchr.  f.  vgl.  Sprachwisaensch.  XXIII,  S.  97  ff. 
**)  Comte,  Coure  de  Philosophie  positive,  I,  Le9.  I. 


150  Aligemeiiie  Grundlagen  der  (ieisteswissenschaften. 

ausgegangen  sind,  und  dass  sich  aus  diesen  wieder  aHmählich  die 
positive  Einzelforschung  entwickelt  hat.  Weder  hat  aber  das  mit 
etwas  schiefem  Ausdruck  von  Comte  so  genannte  „theologische^ 
Stadium  aufgehört,  als  das  metaphysische  anfing,  noch  hat  es  bis 
jetzt  den  Anschein,  als  wenn  jemals  beide  ganz  und  gar  einer 
X  positiven  *"  d.  h.  sowohl  religions-  wie  metaphysiklosen  Stufe  Platz 
machen  wollten.  Das  Gesetz  kann  also  schon  um  deswillen  kein 
empirisches  sein,  weil  es  zum  Theil  in  eine  Zukunft  hinausgreift, 
die  noch  gar  nicht  Gegenstand  der  Erfahrung  ist.  Wenn  trotzdem 
ein  richtiger  Kern  in  ihm  liegen  sollte,  so  gründet  sich  daher  der 
Glaube  daran  weniger  auf  objective  Erfahrungen  als  eben  auf  jene 
allgemeinen  psychologischen  Erwägungen,  ohne  die  Comte  wahr- 
scheinlich niemals  zu  seiner  Aufstellung  gelangt  wäre*). 

Der  tiefere  Ghrund  dieses  geringeren  Gesetzeswerthes,  der  durch- 
weg hier  den  causalen  gegenüber  den  rein  empirischen  Gesetzen 
wenigstens  gegenwärtig  noch  zukommt,  liegt  zweifellos  in  der  grossen 
Bedeutung,  welche  die  vergleichende  Methode  als  Hülfsmittel  für 
die  Feststellung  allgemeiner  Regelmässigkeiten  innerhalb  der  Geistes- 
wissenschafken  hat.  In  der  Naturforschung  gestattet  das  experi- 
mentelle Verfahren  namentlich  in  den  einfacheren  Gebieten  die  Auf- 
findung von  Gesetzen,  ohne  dass  diese  in  der  Regel  einer  umfassenden 
Sanmilung  einzelner  Beobachtungen  bedürfen.  In  den  Geisteswissen- 
schaften dagegen,  die  mit  Ausnahme  der  Psychologie  der  experi- 
mentellen Methode  unzugänglich  sind,  kann  nur  eine  umfassende 
Vergleichung  entscheiden,  ob  ein  gegebener  Zusammenhang  wirk- 
lich auf  Allgemeingültigkeit  Anspruch  machen  darf  oder  nicht.  Nur  in 
den  Fällen,  wo  ein  solcher  ohne  weiteres  uns  als  ein  psychologisch 
motivirter  erscheint,  werden  wir  unter  Umständen  schon  auf  wenige 
Beobachtungen  hin  geneigt  sein  ihn  als  einen  gesetzmässigen  anzu- 
erkennen. Dies  sind  aber  gerade  die  Falle,  wo  das  Gesetz  durch 
seinen  psychologischen  Inhalt  zugleich  einen  causalen  Charakter  an- 
nimmt. 


*)  Vgl.  hierzu   die  AusfQhranges  über  die  histoi-ischen  und  die  socialen 
Gesetze  in  Cap.  III  und  lY. 


Allgemeine.  Richtungen  der  Psychologie.  151 


Zweites  Gapitel. 
Die  Logik  der  Psychologie. 

1.    Die  allgemeinen  Richtungen  der  Psychologie. 

Später  als  alle  andern  Geisteswissenschaften  hat  sich  die  Psycho- 
logie Yon  der  Philosophie  abgezweigt,  und  mehr  als  in  andern  übt 
heute  noch  in  ihr  der  uralte  Streit  philosophischer  Weltanschauungen 
seine   Wirkungen   aus*).     Innerhalb    der  Philosophie    war   es  aber 
wieder  die  Naturphilosophie,  mit  der  von  frQhe  an  die  Psycho- 
logie in  engster  Verbindung  stand.    Die  älteste  psychologische  Rich- 
tung  ist   daher   eine    naiv  materialistische.     Die  Seele   ist  ihr  ein 
Princip,  das,  alle  LebensYorgänge  beherrschend,  gleich  dem  lebenden 
Körper  eine  materielle  Substanz  ist.    Doch  neben  dieser  Anschauung 
kommt  bald   noch  eine  andere  zu  entscheidender  Geltung:   sie  ent- 
springt der  üeberzeugung,   dass   die  intellectuellen  Leistungen  alle 
sonstigen   Lebensäusserungen   an  Werth   überragen,    und  dass   sie, 
wenn  auch  an  das  sinnliche  Dasein  gebunden,  doch  im  letzten  Gründe 
ein  selbständiges,  von  der  Vergänglichkeit  des  Sinnlichen  unberührt 
bleibendes  Lebensgebiet  seien.     Pia  tos   energischer  Geist  brachte 
jene  beiden  einander  widerstrebenden  Gedankenkreise  in  die  engste 
Verbindung,   indem  er  gerade  daraus,  dass  die  Seele  Lebensprincip 
sei^  ihre  ün Vergänglichkeit  ableitete,  und  Aristoteles  endlich  ver- 
mittelte zwischen  den  nämlichen  Gegensätzen    durch  die  Idee  der 
Entwicklung:  im  Lichte  dieser  Idee  erschien  ihm  der  thätige  Geist 
als  das  Lebensprincip  im  höchsten  und  eigentlichen  Sinne,  weil  das 
Intellectuelle  der  letzte  Zweck  sei,  dem  sich  die  niederen  und  ver- 
gänglichen Lebenszwecke  unterordnen.     So  gelangt  durch  den  Ein- 
fluss  dieser  Denker  eine  neue,  die  intellectualistische  Richtung 
zum  üebei^ewicht,    wenn   aucli    die  Spuren   der  von  ihnen  über- 
wundenen  materialistischen    Ansicht   noch    deutlich   ihren   psycho- 
logischen Systemen  anhaften.     Endgültig  vollzog  sich  die  Trennung 
«rst,  als  die  Aristotelische  Naturphilosophie  gestürzt  war  und  nun 
-die  an  ihrer  Stelle  sich  erhebende  neuere  mechanische  Weltanschauung 


•)  Vgl.  oben  Cap.  I,  S.  1. 


152  Logik  der  PQrchologie. 

die  körperliche  Natur  ganz  für  sich  allein  forderte,  um  davon  auch 
die  sinnlichen  Lebensvorgänge  nicht  auszunehmen.  So  zerfiel  wa» 
jene  alten  Philosophen  kunstvoll  verknüpft  hatten  wieder  in  seine 
Bestandtheile,  und  die  beiden  Richtungen  der  materialistischen 
und  der  intellectualistischen  Psychologie  gewannen  die 
ihnen  in  der  neueren  Wissenschaft  eigenthümlichen  Gestaltungen. 
Aber  unvermeidlich  musste  der  zweiten  dieser  Denkweisen  neben  den 
Bestrebungen,  die  darauf  ausgingen  die  Psychologie  in  mechanische 
Naturwissenschaft  aufzulösen^  noch  ein  zweiter,  dem  eigenen  Boden 
psychologischer  Betrachtung  entstammender  Gegner  erwachsen,  sobald 
sich  die  Erwägung  geltend  machte,  dass  bei  jener  Voranstellung  des 
Intellectuellen  als  des  specifisch  Geistigen  andere  psychische  Vor- 
gänge nicht  zu  dem  ihnen  gebührenden  Rechte  gelangten.  Vor  allem 
der  Wille  mit  der  ihm  aufs  engste  verbundenen  Welt  der  Gefühle 
musste  schon  durch  die  Bedeutung,  die  er  sich  in  der  neueren  Ethik 
errungen,  auch  für  die  psychologische  Betrachtung  in  den  Vorder- 
grund treten.  So  ist  als  eine  dritte  Richtung  die  voluntaristische 
entstanden'*'). 

Materialismus,  Intellectualismus  und  Voluntarismus  sind  die 
einzigen  Richtungen,  die  bis  jetzt  einen  Einfluss  auf  die  Entwicklung 
der  Psychologie  zu  gewinnen  vermochten,  und  es  ist  daher  wahr- 
scheinlich, dass  sie  auch  die  einzigen  bleiben  werden.  In  der  That 
dürfte  das  schon  daraus  folgen,  dass  diese  Richtungen  auf  einer 
doppelten  Alternative   beruhen,   zwischen   der  jedesmal   ein  Drittes 


*)  Den  Ausdruck  «Voluntarifmus'  entnehme  ich  dem  trefflichen  Buch 
Fr.  Paulsens:  Einleitung  in  die  Philosophie.  Berlin  1892,  S.  116  ff.  Er  wird 
von  Paulsen  mehr  auf  die  Anschauungen  Üher  das  metaphysische  Wesen  der 
Seele  als  auf  die  Richtungen  der  psychologischen  Forschung  angewandt.  Bei- 
der obigen  Unterscheidung  soll  jedoch  von  metaphysischen  Voraussetzungen 
zunächst  ganz  abgesehen  und  der  Name  bloss  nach  dem  Satze  ,a  potiori  fit  deno- 
minatio*  auf  das  bezogen  werden,  worauf  man  bei  der  Interpretation  der 
psychischen  Vorgänge  vorzugsweise  Werth  legt.  Natürlich  hat  diese  empirische 
Maxime  im  allgemeinen  auch  auf  den  metaphysischen  Standpunkt  einen  Ein«^ 
fluss.  Dennoch  unterscheidet  sich  gerade  der  Voluntarismus  im  empirischen 
und  im  metaphysischen  Sinne  dadurch  sehr  wesentlich,  dass  der  letztere  das 
.Wesen  der  Seele"  in  den  Willen  und  zwar  nur  in  den  Willen  verlegt^ 
während  die  empirische  Richtung,  wie  wir  unten  sehen  werden,  bloss  fOr  die 
Gleichberechtigung  des  Willens  und  der  mit  ihm  verbundenen  Vorgänge  (Gre- 
fühle,  Triebe)  mit  den  VorsteUungen  eintritt,  da  ja  empirisch  die  Existenz  dieser 
niemals  geleugnet  werden  kann ,  während  allerdings  der  InteUectualismus  die 
Existenz  des  WiUens  und  der  Gefühle  sehr  oft  geleugnet  hat,  indem  er  be- 
hauptete, sie  seien  ebenfalls  Vorstellungen. 


MaterialiBÜBche  Psychologie.  153 

nicht  möglicli  ist.  Entweder  sind  die  psychischen  Vorgänge  materiell 
bedingt)  oder  sie  haben  eine  selbständige  Bedeutung;  und  falls  das 
letztere  zugegeben  wird:  entweder  haben  die  von  uns  auf  äussere 
Objecte  bezogenen  seelischen  Vorgänge,  die  Vorstellungen,  allein 
einen  entscheidenden  Werth,  oder  ein  solcher  kommt  mindestens  in 
gleichem  Orade  auch  den  subjectiven  Gemüthsregungen  zu,  die  wir 
nicht  auf  Aussendinge  beziehen.  Da  die  Scheidung  der  psychischen 
Erlebnisse  in  auf  aussen  bezogene  und  in  subjective  die  fundamentalste 
ist,  die  sich  voraussichtlich  machen  lässt,  weil  jede  andere  wieder 
nur  die  einzelnen  Glieder  dieser  ersten  Eintheilung  wählen  könnte, 
so  dfirfken  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wenigstens  die  möglichen 
Hauptrichtungen  erschöpft  sein.  Natürlich  schliesst  das  aber  ver- 
mittelnde üebergänge  sowie  namentlich  verschiedene  Gestaltungen 
innerhalb  der  einzelnen  Richtungen  nicht  aus. 

a.   Die  materialistisclie  Psychologie. 

Die  materialistische  Richtung  ist  im  Laufe  der  Entwicklung 
unserer  Wissenschaft  in  zwei  Formen  aufgetreten:  in  einer  älteren, 
die  gegenwartig  ah.  erloschen  betrachtet  werden  darf,  und  in  einer 
jüngeren,  die  noch  heute  zahlreiche  Anhänger  zählt,  die  ihr  theils 
ansdrOcldich  zugethan  sind  theils  sie  stillschweigend  bei  einzelnen 
Hypothesen  voraussetzen.  Wir  können  die  erste  Richtung  als  die 
des  reinen,  die  zweite  nach  einem  vielfach  von  ihren  Bekennem 
selbst  gewählten  Ausdruck  als  die  des  psychophysischen  Ma<- 
terialismus  bezeichnen. 

Der  reine  Materialismus  betrachtet  nicht  bloss  die  zu- 
sammengesetzten psychischen  Vorgänge  als  verwickelte  Producte 
materieller  Processe,  sondern  er  führt  auch  die  einfachen  Elemente 
jener  Vorgänge,  Empfindungen,  Gefühle,  auf  physische  Bewegungen 
in  den  Sinnesapparaten  und  namentlich  im  Gehirn  zurück.  Der 
psychische  Charakter  der  Vorgänge  besteht  ihm  darin,  dass  wir  ge- 
wisse moleculare  Bewegungen  unseres  Gehirns  unmittelbar  selbst 
wahrnehmen  können,  wobei  aber  diese  Wahrnehmung  stets  eine  con- 
fiise,  ungenaue  sei,  so  dass  wir  die  Bewegungen  nicht  in  ihrer  wirk- 
lichen Beschaffenheit,  sondern  nur  in  einem  Gesammteindruck  auf- 
fassen, etwa  wie  uns  eine  Wolke  als  ein  Ganzes  erscheint,  während 
sie  doch  in  Wahrheit  aus  einer  Menge  getrennter  und  sich  fort- 
während bewegender  Wasserbläschen  besteht.  Diese  Ansicht  ist 
namentlich  in  dem  Materialismus  des  vorigen  Jahrhunderts  vertreten, 


154  Logik  der  Psychologie. 

wird  aber  schon  von  ihm  nicht  folgerichtig  festgehalten.  Das 
«Systlsme  de  la  nature**  z.  B.  lässt  gel^entlich  auch  die  Möglichkeit 
zu,  dass  die  Empfindung  eine  permanente  Eigenschaft  der  Atome 
sei,  die  wir  aber  nur  unter  gewissen  günstigen  Bedingungen  wahr- 
nehmen, eine  Annahme  die  bereits  der  Form  des  psychophysischen 
Materialismus  angehört.  Die  Schwäche  jenes  Standpuiiktes  besteht 
darin,  dass  er  die  psychischen  Erlebnisse  lediglich  durch  eine  schiefe 
Analogie  mit  der  Sinneswahmehmung  deutlich  zu  machen  sucht,  und 
dass  er  daher,  um  dieser  Erlebnisse  ledig  zu  werden,  stillschweigend 
eine  innere  Wahrnehmung  einführt,  die  doch  erst  recht  ein 
psychisches  Erlebniss  ist.  Mag  diese  Wahrnehmung  noch  so  confus 
sein,  eine  Wahrnehmung  bleibt  sie  doch,  und  die  Existenz  irgend 
welcher  Molecularbewegungen  im  Oehim  macht  nicht  begreiflich, 
wie  solche  Bewegungen  irgendwie  wahrgenommen  werden  können. 
Nimmt  man  aber  —  was  für  diesen  Standpunkt  am  nächsten  liegt  — 
an,  dass  sie  sich  selbst  wahrnehmen,  so  heisst  dies  mit  andern 
Worten:  die  Himmolecüle  haben  die  Eigenschaft  ihre  eigenen  Be- 
wegungen zu  empfinden.  Damit  befinden  wir  uns  auch  schon  inner- 
halb der  folgenden  Anschauung,  die  daher  allein  noch  ernsthaft  in 
Frage  kommt. 

Der  psychophysische  Materialismus  setzt  nämlich  voraus, 
es  gebe  eine  psychische  Fundamentalerscheinung,  die  in  keiner 
Weise  aus  physischen  Vorgängen  erklärt  werden  könne :  das  sei  die 
einfache  Empfindung.  Sie  sei  auf  eine  fQr  uns  unerklärliche  Weise 
gebunden  an  die  Erregungen,  also  physikalisch  gesprochen  an  mole- 
culare  Bewegungen  gewisser  Nerrenelemente.  Da  nun  alle  com- 
plexen  psychischen  Vorgänge  aus  Verbindungen  einfacher  Empfin- 
dungen entstehen,  diese  Verbindungen  aber  unmittelbar  aus  den 
entsprechenden  Verkettungen  der  physischen  Gehimprocesse  folgen 
sollen,  so  seien  auch  die  sämmtlichen  zusammengesetzten  psychischen 
Vorgänge  nur  aus  diesen  physischen  Verbindungen  und  Wechsel- 
wirkungen abzuleiten.  Die  ganze  Aufgabe  der  Psychologie  zerfallt 
daher  nach  dieser  Auffassung  in  ein  psychologisches  und  in  ein 
physiologisches  Problem.  Das  psychologische  Problem  ist  ein  rein 
descriptives :  es  besteht  darin  die  Empfindungen  zu  beschreiben,  die 
bei  der  physiologischen  Function  bestimmter  Sinnes-  und  Nerven- 
apparate  beobachtet  werden.  Das  physiologische  Problem  dagegen 
ist  ein  causal  erklärendes:  es  besteht  darin  nachzuweisen,  wie 
aus  den  Empfindungen  vermöge  des  Zusammenhangs  der  physio- 
logischen  Functionen    die   complexen   psychischen  Vorgänge,   also 


MateriaÜBtische  Psychologie.  155 

YorstellimgeD,  Verbindungen  derselben,  intellectueUe  Processe  u.  s.  w., 
entstehen.  Da  nun  jenes  erste  Problem,  die  Feststellung  der  an 
bestimmte  physische  Erregungen  geknüpften  einfachen  Empfindungen^ 
offenbar  nur  eine  auziliäre  Bedeutung  hat  gegenüber  dem  zweiten, 
welches  alle  wesentlichen  Aufgaben  der  Psychologie  in  sich  schliesst, 
so  ist  es  klar,  dass  man  auch  hier  im  letzten  Qrunde  darauf  ausgeht, 
die  Psychologie  überhaupt  vollständig  in  einen  Bestandtheil  der 
Physiologie  der  Sinnesorgane  und  des  Nervensystems  umzuwandeln. 
In  dieser  Vereinfachung  der  wissenschaftlichen  Arbeit  würde  nun 
kein  Einwand  gegen  diesen  Standpunkt  enthalten  sein,  wenn  die 
Voraussetzungen  desselben  überhaupt  haltbar  wären.  Dies  ist  aber 
durchaus  nicht  der  Fall.  Vielmehr  macht  sich  diese  Richtung  nicht 
bloss  genau  des  nämlichen  Fehlers  schuldig  wie  die  vorige,  sondern 
m  begeht  auch  ausserdem  noch  die  Inconsequenz,  zuerst  die  Mög- 
lichkeit einer  Ableitung  des  Psychischen  aus  dem  Physischen  zu  be- 
streiten, und  dann  selbst  eine  solche  Ableitung  als  die,  eigentliche 
Aufgabe  der  Psychologie  hinzustellen.  Nun  ist  es  aber  für  jeden 
Unbefangenen  vollkommen  klar,  dass  eine  psychische  Verbindung 
und  eine  physische  Verbindung  ebenso  verschieden  und  unvergleich- 
bar sind,  wie  einfache  Empfindungen  und  irgend  welche  Molecular- 
bewegungen  an  sich  verschieden  und  unvergleichbar  sind. 

Eine  wissenschaftliche  Auffassung  muss,  wenn  sie  haltbar  sein 
soll,  bei  jedem  einzelnen  Problem  ihre  Probe  bestehen.  Nehmen 
wir  nun  irgend  einen  in  Worten  auszudrückenden  Denkact,  so  ist 
ein  solcher  zweifellos  ein  psychischer  Vorgang,  während  die  Laut- 
bilder und  Lautbewegungen  zugleich  physische  Vorgänge  sind.  Aber 
die  Behauptung,  dass  die  genaue  Erkenntniss  der  mechanischen  Ver- 
kettung dieser  letzteren  auch  eine  Erkenntniss  der  psychischen  Ver- 
kettung des  Qedankens  in  sich  schliesse,  —  diese  Behauptung  ist 
nicht  weniger  absurd  als  die  andere,  die  Empfindungen  Roth  und 
Blau  bestünden  in  ungenau  wahrgenommenen  langsameren  oder 
schnelleren  Molecularbewegungen  in  den  Sehcentren.  Die  psychische 
Verknüpfung  ist  mit  der  physischen  Verknüpfung  ebenso  unver- 
gleichbar, wie  die  psychischen  Elementarvorgänge  mit  den  physischen 
anvergleichbar  sind.  Wie  mit  einem  ürtheils-  oder  Schlussprocess, 
so  verhält  es  sich  aber  schon  mit  den  fundamentalsten  Verschmelzungs- 
und Associationformen  auf  psychischem  Gebiet.  So  ist  die  Zeitvor- 
stellung nicht  im  geringsten  begreiflich  gemacht,  wenn  man  jeder  ein- 
fachen Empfindung  eine  ihr  von  Uranfang  an  mitgegebene  Zeitqualität 
zuschreibt,  oder  die  Raumanschauung,  wenn  man  den  die  Molecular- 


156  Logik  der  Psychologie. 

erregungen  der  Sinnescentren  begleitenden  Empfindungen  von  Hause 
aus  eine  Beziehung  zur  räumlichen  Ordnung  der  Aussenwelt  anweist, 
oder  der  psychische  Eindruck  eines  harmonischen  Accords,  wenn 
man  auf  die  Schwingungsverhältnisse  der  ihn  zusammensetzenden 
Töne  hinweist  oder  etwa  gar  einen  eigens  für  diesen  Zweck  erdachten 
physiologischen  Verschmelzungsapparat  annimmt.  Wenn  trotz  solcher 
handgreiflicher  Unmöglichkeiten  der  psychophysische  Materialismus 
gegenwärtig  noch  manche  Anhänger  zählt,  so  liegt  ein  Grund  hiervon 
wohl  in  der  grossen  Bedeutung,  die  physiologische  Untersnchungs- 
methoden  in  der  heutigen  Psychologie  gewonnen  haben.  Dass  man, 
wo  neue  Hülfsmittel  für  die  Forschung  innerhalb  eines  bestimmten 
Gebietes  fruchtbar  werden,  gelegentlich  auch  einmal  das  Hülfsmittel 
mit  der  Sache  verwechselt,  ist  ja  eine  oft  genug  vorkommende 
Erscheinung*). 

b.    Die  intellectualistische  Psychologie. 

Unter  den  Richtungen  der  Psychologie,  die  ihren  Ausgangs- 
punkt innerhalb  der  psychologischen  Erfahrung  selbst  nehmen,  ist 
die  intellectualistische  die  populärste :  sie  ist  daher  diejenige,  die  am 
längsten  geherrscht  hat  und  in  weiten  Kreisen  bei  Psychologen  und 
Nicht-Psychologen  noch  heute  herrscht.  Diese  Popularität  des  In- 
tellectualismus  beruht  zunächst  darauf,  dass  unter  allen  unsem  Er- 
lebnissen die  logischen  Thätigkeiten  am  deutlichsten  und  darum 
am  frühesten  als  das  specifisch  Geistige  sich  aussondern,  weshalb 
dann  leicht  übersehen  wird,  dass  sie  losgelöst  von  der  Gesammtheit 
der  übrigen  psychischen  Erlebnisse  gar  nicht  vorkommen.  Ausser- 
dem macht  die  Thatsache,  dass  jede  Interpretation  des  wirklichen 
Geschehens  dieses  nach  bestimmten  logischen  Gesichtspunkten  zu 
ordnen  sucht,  gerade  die  intellectuellen  Functionen  fähig  sich  alles 
zu  assimiliren  und  dabei  freilich  zugleich  allem  dem  was  erst  künst- 
lich in  eine  logische  Form  übertragen  wurde  seinen  ursprünglichen 
Charakter  zu  nehmen.  Der  Psychologie  widerfährt  aber  diese  Ver- 
wechselung um  so  leichter  und  unbemerkter,  weil  die  logischen 
Functionen  immerhin  einen  Bestandtheil  der  psychischen  Erfahrung 
selbst  ausmachen,  so  dass  hier  zu  der  Verwechselung  des  Hülfsmittels 
mit  der  Sache  auch  noch  die  zweite,   ebenso  verbreitete  des  Theils 


*)  Vgl.  hierzu  meine   ißingehendere  Kritik  der  materialistischeil  Psycho- 
logie der  Gegenwart,  Phil.  Stiid.  X,  S.  47  ff. 


IntellectualisÜBche  Psychologie.  157 

mit  dem  Ganzen  hinzukommt.  Ein  sprechendes  Zeugniss  für  diesen 
Zusammenhang  bildet  die  Thatsache,  dass  die  vulgäre  Psychologie 
des  gewöhnlichen  Lebens  durch  und  durch  intellectualistisch  ist. 
Sobald  der  Versuch  gemacht  wird,  über  die  inneren  Beziehungen 
psychischer  Vorgänge  in  uns  oder  in  Andern  Rechenschaft  zu  geben, 
bedürfen  wir  der  Reflexion.  In  Folge  dessen  lösen  sich  dann  leicht 
jene  Beziehungen  selbst  ganz  und  gar  in  diesem  Medium  der  Re- 
flexion auf. 

Indem  nun  die  im  populären  Bewusstsein  vorherrschende  Denk- 
weise  von   der  Psychologie  aufgenommen  wird,  verbindet  sie  sich 
hier  theils  mit  dem  Streben  nach  systematischer  Ordnung  der  That- 
sachen  theils  mit  Versuchen,  die  complexen  Erscheinungen  auf  be- 
stimmte einfache  Tjrpen  zurückzuführen.     Aus  diesen  Bestrebungen 
sind   die  verschiedenen  Modificationen  .der  intellectualistischen  Auf- 
fassung hervorgegangen.    Die  erste,  am  nächsten  an  den  vorwissen- 
schafUichen  Intellectualismus  sich  anlehnende  ist  die  Vermögens- 
psychologie,  die   sich  noch  fast  ganz  mit  einer  oberflächlichen 
Claasification  der  Erscheinungen  begnügt,  bei  der  aber  der  Gesichts- 
punkt der  Vorherrschaft  der  intellectuellen  Functionen  eine  wichtige 
RoUe  spielt.  Der  Versuch  einer  sorgsameren  Analyse  dieser  Functionen 
führt  sodann  zu  der  Abstraction  der  Vorstellung  als   des  allen 
complexeren  Vorgängen  zu  Grunde  liegenden  Bestandtheils.     Indem 
diese  Vorgänge  durchgängig  als  Verknüpfungen  von  Vorstellungen 
aufgefasst  werden,  sucht  man  wieder  gewisse  Grundformen  solcher 
Verknüpfungen  zu   unterscheiden  und  nun  durch  Subsumtion  unter 
diese  die  einzelnen  Erscheinungen  zu  deuten.    So  entsteht  die  Rich- 
tung der  Associationspsychologie.     Eine  tiefer  eindringende, 
dem  Vorbild  naturwissenschaftlicher  Causalbetrachtung  nachstrebende 
Richtung  sucht  endlich  an  Stelle  dieser  noch  verhältnissmässig  rohen 
Classification  der  Verknüpfungsformen  allgemeine  Gesetze  aufzufinden, 
welche   die  Wechselwirkungen  der  Vorstellungen  beherrschen   und 
so  das  Spiel  des  psychischen  Geschehens  mit  einer  ähnlichen  mecha- 
nischen Noth wendigkeit  hervorbringen  sollen,   wie  die  Bewegungs- 
Yorgänge    in   der   äusseren  Natur    durch  die  mechanischen  Kräfte 
erzeugt    werden.     Dieser  Voraussetzung   entspricht   die    dritte    der 
intellectualistischen   Anschauungen,    die    Psychologie    des  Vor- 
stellungsmechanismus. 

Die  Vermögenspsychologie  ist  die  unexacteste  und  zugleich 
die  am  w;enig8ten  folgerichtige  dieser  Richtungen.  Sie  macht  näm- 
lich gar  nicht  den  Versuch  die  Gesammtheit  der  sonstigen  psychischen 


158  Logik  der  Psychologie. 

Processe  aus  intellectuellen  Functionen,  also  aus  Vorstellungen  unci 
iliren  Verbindimgen  abzuleiten,  sondern  sie  lässt  jede  Classe  von 
Vorzügen,  so  weit  sie  durch  sprachliche  Benennungen  eine  bestimmt 
unterschiedene  Bedeutung  gewonnen  hat,  als  solche  bestehen  und 
führt  sie  auf  ein  einheitliches  Vermögen  zurfick.  Der  Intellectualismus 
kommt  dann  aber  darin  zur  Geltung,  dass  die  intellectuellen  Ver- 
mögen die  Vorherrschaft  besitzen,  indem  die  andern  bald  als  Vor- 
stufen derselben  bald  als  begleitende  und  in  ihrer  Wirkungsweise 
ganz  und  gar  von  der  Intelligenz  abhängige  seelische  Kräfte  be- 
trachtet werden.  In  diesem  Sinne  wird  etwa  das  Oef&hl  als  ein 
verworrenes  Erkennen  des  Nützlichen  oder  Schädlichen,  oder  in  der 
Form  des  ästhetischen  OefOhls  als  ein  dunkles  Erkennen  der  Voll- 
kommenheit oder  ünvollkommenheit  eines  G^enstandes  definirt. 
Von  dem  Willen  wird  gesagt,  dass  er  das  Vermögen  sei,  nach  frei 
gewählten  Motiven  zu  handeln;  das  Motiv  wird  dann  aber  wieder 
als  ein  Beweggrund  aufgefasst,  d.  h.  als  eine  Ursache  die  auf  dem 
Wege  der  logischen  üeberlegung  zur  Wirksamkeit  gelange,  u.  s.  w. 
Abgesehen  von  dem  unwissenschaftlichen  Charakter  des  Vermögens- 
begriffs'*'), krankt  diese  Richtung  hauptsächlich  an  dem  Fehler,  dass 
sie  den  eigenthümlichen  unterschieden  sonstiger  psychischer  Lebens- 
inhalte von  den  intellectuellen  Vorgängen  dadurch  gerecht  zu  werden 
sucht,  dass  sie  diese  Vorgänge  als  ein  Intellectuelles  niederer  Ord- 
nung betrachtet.  Die  Thatsachen  werden  mit  den  Producten  der 
Reflexion  über  dieselben  in  Einklang  gebracht,  indem  man  diese 
Producte  in  die  Thatsachen  selber  hinüberwandem  lässt  und  der 
Reflexion  nur  das  Vermögen  zuschreibt  klar  zu  machen  was  in  den 
Dingen  an  und  für  sich  schon  undeutlich  enthalten  sei,  —  eine  Auf- 
fassung die  zu  der  des  reinen  Materialismus,  nach  der  die  objectiven 
Vorgänge  confus  werden  sollen,  sobald  sie  Gegenstände  unserer 
inneren  Wahrnehmung  werden,  ein  Seitenstück  und  zugleich  eine 
Art  Umkehrung  bildet. 

Beherrschte  die  Vermögenspsychologie  die  unter  Christian 
Wolffs  Einfluss  stehende  deutsche  Psychologie  des  vorigen  Jahr- 
hunderts, so  erhielt  die  englische  durch  die  von  Hartley  und  Hume 
fast  gleichzeitig  begründete  Associationspsychologie  ihr  Ge- 
präge.   Dass  hier  der  Vorzug  ganz  auf  englischer  Seite  liegt,  springt 


*)  Vgl.  über  diesen  die  Kritik  Herbarts,  Werke,  Ausg.  Hartenstein,  Y. 
S.  214,  VI,  S.  610  f.,  sowie  meine  Grundzflge  der  physiol.  Psychologie.  4.  Aufl. 
I,  S.  14  ff. 


IntellectualisÜBclie  Psychologie.  159 

in  die  Augen.  Schon  den  Zeitgenossen  musste  er  einleuchten,  so 
dass  sich  ihm  auch  die  deutsche  Psychologie  des  18.  Jahrhunderts 
nicht  ganz  entziehen  konnte*).  Er  bestand  eben  darin,  dass  hier 
nicht  in  substantielle  Wesenheiten  verwandelte  AllgemeinbegrifiPe, 
sondern  thatsächlich  existirende  Processe  des  seelischen  Geschehens 
zur  Grundlage  genommen  wurden,  Processe  die,  insofern  sie  eine 
regelmässige  Beziehung  der  Aufeinanderfolge  enthielten,  den  Ge- 
danken nahelegten,  dass  sie  in  ihrer  allgemeinen  Fonnulirung  als 
Gesetze  des  Geschehens,  die  den  Naturgesetzen  analog  seien,  be- 
trachtet werden  könnten.  Je  mehr  man  mit  Hume  geneigt  war, 
die  Naturgesetze  selbst  als  rein  empirische  Regelmässigkeiten  aufzu- 
fassen ^  ftlr  deren  Aufstellung  einzig  und  allein  die  Häufigkeit  der 
Beobachtung  entscheidend  sei,  um  so  vollkommener  musste  diese 
Analogie  erscheinen.  Wurde  doch  nun,  wie  Hume  erkannte,  eigent- 
lich sogar  das  Verhältniss  dies,  dass  nicht  die  Associationen  eine 
neue  Unterart  von  Gesetzen  waren,  sondern  dass  vielmehr  die  Natur- 
gesetze selbst  sich  in  objectivirte  Associationsgesetze  verwandelten. 
Nicht  das  Naturgesetz  sondern  das  Associationsgesetz  gewann  also 
flür  den  allgemeinen  Gesetzesbegriff  eine  grundlegende  Bedeutung. 
Dieser  Stellung,  zu  der  die  empirische  Erkenntnisstheorie  die  Associa- 
tionsgesetze erhob,  entsprach  aber  ihr  thatsächlicher  Inhalt  nur 
wenig.  Denn  es  fehlte  ihnen  voUständig  jene  unfehlbare  Sicherheit 
der  Wirkung,  welche  die  Naturgesetze  auszeichnet.  Gegenüber  den 
Erscheinungen,  die  von  ihnen  beherrscht  sein  sollen,  verhalten  sie 
sich  schliesslich  ebenso  wie  die  Begriffe  der  Yermögenspsychologie : 
sie  sind,  was  Her  hart  von  diesen  sagte,  nichts  als  ,  leere  Möglich- 
keiten*. Das  gilt  von  den  alten  Aristotelischen  Formen  des  Wieder- 
erinnems  an,  der  Aehnlichkeit ,  dem  Contrast,  der  Gleichzeitigkeit 
und  der  Auf einanderfo^e '*'*),  bis  zu  der  in  der  neuesten  Psychologie 
üblich  gewordenen  Reduction  auf  die  zwei  Grundformen  der  Aehn- 
Uchkeits-  und  der  Berührungsassociation.  Jede  dieser  Formen  re- 
präsentirt  einen  Classenbegriff,  dem  sich  jeder  einzelne  Associations- 
vorgang  unterordnen  lässt.  lieber  den  eigentlichen  Grund  des 
Geschehens  ist  aber  damit  ebenso  wenig  etwas  ausgesagt,  als  wenn 


*)  VgL   über  diesen  Einflass  Max  Dessoir,   Geschichte  der  neueren 
deutschen  Psychologie,  I.    Berlin  1894.    S.  302  ff. 

**)  Ueber  den  Ursprung  dieser  Formen  ans  der  Aristotelischen  Begriffs- 
dialektik  vergleiche  meine  Bemerkungen  zur  Associationslehre.  Phil.  Stud. 
VII,  S.  329. 


lt)0  Logik  der  Paychologie. 

man  gewisse  Erscheinungen  unter  dem  Gedäcbtniss ,  andere  unter 
dem  Verstand  oder  unter  sonstigen  Vermögensbegriffen  zusammen- 
fasst.  Dieser  Mangel  ist  in  der  That  in  der  Associationspsychologie 
selbst  schon  empfunden  worden,  und  dieselbe  hat  daher  von  Hartlej 
an  bis  auf  Herbert  Spencer  mannigfache  Versuche  gemacht,  durch 
sinnreich  ersonnene  physiologische  Hypothesen  über  die  Verbin- 
dungen der  den  Vorstellungen  entsprechenden  Nervenprocesse  dem 
abzuhelfen.  Aber  solche  Versuche  verhüllen  nur  den  Mangel  der 
überkommenen  Associationslehre,  ohne  ihn  zu  beseitigen.  Dieser 
Mangel  besteht  vor  allem  darin,  dass  die  Associationen  complexe 
psychische  Phänomene  sind,  die,  ehe  man  nach  ihren  physiologischen 
Substraten  sucht,  selbst  erst  einer  psychologischen  Analyse  bedürfen. 
Aehnlichkeit ,  Berührung  im  Raum  oder  in  der  Zeit  sind  Begriffe, 
die  sämmtlich  auf  eine  zusammengesetzte  Anschauungsgrundlage  hin- 
weisen und  daher  unmöglich  als  Ausdrücke  für  psychische  Elementar- 
phänomene betrachtet  werden  können.  Complexe  Formen  des  Qe- 
schehens,  die  mit  einer  gewissen  Willkür  aus  der  Wirklichkeit  ab- 
strahirt  sind,  werden  also  hier  wie  einfache  Typen  behandelt,  und  dann 
wird  entweder  diesen  Typen  selbst  der  Charakter  psychischer  Ur- 
sachen beigelegt  oder  für  sie  in  irgend  welchen  hypothetischen  Nerven- 
processen die  wahre  Ursache  gesucht.  Sobald  sich  aber  psychische 
Vorgänge  nicht  ohne  weiteres  den  aufgestellten  Typen  unterordnen 
lassen,  hilft  über  diese  Schwierigkeit  die  Annahme  hinweg,  dass  sie 
auf  einem  Zusammenwirken  der  als  einfach  vorausgesetzten  Associa- 
tionsformen  beruhen.  Einem  solchen  Nachweis  kann  es  nun  an 
einem  partiellen  Erfolg  niemals  fehlen,  weil  es  keine  verwickeitere 
psychische  Thätigkeit  gibt,  in  der  nicht  irgend  welche  Aehnlichkeiten 
oder  zeitliche  und  räumliche  Berührungen  vorkommen.  Um  so  leichter 
ist  dann  dieser  Erfolg  geeignet  darüber  hinwegzutäuschen,  dass  andere 
Eigenschaften  der  Vorgänge  und  unter  ihnen  meist  die  wichtigsten 
durch  eine  derartige  Analyse  gar  nicht  begreiflich  gemacht  werden. 
Auf  diese  Weise  wird  der  Ausdruck  „zusammengesetzte  Association^ 
zu  einem  Generaltitel,  unter  dem  alles  Platz  findet  was  neben  wirk- 
lichen Associationen  noch  eine  unbestimmte  Menge  anderer  psychischer 
Functionen  umfassen  mag.  Nicht  minder  scheitert  der  Versuch,  die 
den  Erscheinungen  des  Vorstellungswechsels  entnommenen  Associa- 
tionsformen  auf  andere  psychische  Inhalte,  wie  Gefühle,  Affecte, 
Willensvorgänge,  zu  übertragen.  Tiefer  dringende  psychologische 
Beobachter,  die  der  Richtung  der  Associationspsychologie  angehören, 
sind  ihr  daher  thatsächlich   auf   diesem   Gebiet   untreu    geworden. 


IntellectualisÜBche  Psychologie.  1^1 

indem  sie  sich  mit  einer  blossen  Beschreibung  der  Gemüthslagen  und 
Grernttthsbewegungen  begnügten'*'). 

Von  den  beiden  Fehlem  der  Associationspsychologie ,  dass  sie 
eine  beschränkte  Gruppe  psychischer  Vorgänge  in  allgemeine  Sche- 
mata umwandelt,  in  die  wohl  oder  übel  alle  Erscheinungen  gezwängt 
werden,  tmd  dass  sie  complexe  Phänomene  als  einfache  Typen  be- 
trachtet, um  dann  den  letzteren  den  Charakter  universeller  Gesetze 
beizulegen,  sucht  die  dritte  Richtung  des  Intellectualismus ,  die 
Psychologie  des  Vorstellungsmechanismus,  wenigstens 
den  zweiten  zu  vermeiden.  Indem  sie  die  Vorstellung  als  die 
Urthatsache  voraussetzt,  von  der  jede  Erklärung  des  psychischen 
Geschehens  auszugehen  habe,  sucht  sie  allgemeine  Hypothesen  über 
die  Wechselwirkungen  der  Vorstellungen  zu  gewinnen,  um  auf  diese 
eine  Statik  und  Mechanik^ derselben  zu  gründen,  die,  als  eine 
Theorie  intensiver  psychischer  Kräfte,  der  Statik  und  Mechanik  der 
extensiven  Grössen,  der  Körper,  gleichwerthig  gegenüberstehe.  Ein 
Unternehmen  dieser  Art,  das  nicht,  wie  die  Associationspsychologie, 
von  leicht  zu  bestätigenden  empirischen  Thatsachen  sondern  von 
bestimmten  speculativen  Forderungen  ausgeht,  konnte  nicht,  wie 
jene,  das  Werk  einer  Schule,  sondern  nur  das  eines  Einzelnen  sein, 
der  in  mühevoller  Gedankenarbeit  das  Hypothesengebäude  einer 
solchen  inneren  Mechanik  ausführte.  So  ist  Her  hart  der  Schöpfer 
und  zugleich  der  Vollender  der  Lehre  vom  Vorstellungsmechanismus. 
Seine  Schüler  haben  ihn  zu  popularisiren,  auch  zuweilen  die  Strenge 
seiner  Principien  durch  Zugeständnisse  an  die  Erfahrung  zu  mildem 
gesucht.  Aber  in  theoretischer  Beziehung  sind  sie  nicht  um  einen 
Schritt  über  den  Meister  hinausgekommen.  Trotz  dieser  individuellen, 
der  Persönlichkeit  eines  einzigen  Mannes  ihre  Eigenart  verdankenden 


*)  Ein  Beispiel  derartiger  Behandlung  ist  A.  Bains  Werk  ,The  emotions 
and  the  will" .  In  der  Beschreibung  zum  Theil  vorzüglich,  verzichtet  es  beinahe 
vollständig  auf  die  Hülfe  der  in  dem  parallel  laufenden  Werk  desselben  Ver- 
fassers ,The  senses  and  the  intellect"  consequent  durchgeführten  Associations- 
lehre.  Zum  Ersatz  treten  dann  gewisse  besondere  «Gesetze'  auf,  die  mit  den 
ÄnoGiationsgesetzen  höchstens  die  allgemeine  Familienähnlichkeit  haben,  dass 
de  anbestimmte  Verallgemeinerungen  sind:  so  das  Gesetz  der  Ausbreitung  der 
Erregungen,  das  Gesetz  der  Harmonie  und  des  Conflictes,  das  Gesetz  der  Rela- 
tivität  u.  s.  w.  Hervorragende  Vertreter  der  englischen  Associationspsychologie, 
vie  John  Stuart  Mill  und  Herbert  Spencer,  haben  denn  auch  nicht  ver- 
fehlt, ,The  emotions  and  the  will'  für  Bains  schwächstes  Werk  zu  erklären. 
Wer  den  Vorurtheilen  dieser  Richtung  nicht  huldigt,  wird  mit  diesem  Urtheil 
schwerlich  einverstanden  sein. 

Wundt,  Logik.  II,  9.    t.  Aufl.  |1 


162  Logik  der  Psychologie. 

Beschaffenheit  der  ganzen  Richtung  verdient  diese  es  doch  vollauf 
den  übrigen  Gestaltungen  der  intellectualistischen  Psychologie  als  gleich- 
berechtigtes Glied  zugeordnet  zu  werden.  Denn  erstens  ist  sie  die 
exacteste,  in  ihren  Voraussetzungen  wie  in  ihrer  Durchführung  klarste 
und  einfachste  dieser  Formen ;  und  zweitens  war  es  eine  Art  logischer 
Nothwendigkeit,  dass  der  Versuch  unternommen  wurde,  auf  die  ein- 
facheren Bestandtheile  der  intellectuellen  Functionen,  nicht  erst  auf 
Generalbegriffe,  die  aus  ihnen  oder  aus  gewissen  bei  ihnen  vor- 
kommenden Verbindungen  abstrahirt  waren,  die  Psychologie  zu 
gründen.  Seit  Leibniz  schlummerte  diese  Idee  als  ein  unent- 
wickelter Keim.  Ein  Anderer  als  Herbart  würde  ihn  wahrscheinlich 
anders  als  er  zur  Entwicklung  gebracht  haben ;  aber  in  irgend  einer 
Form  musste  er  sich  entwickeln.  Dass  in  Herbart  ein  Mann  kam, 
der  eindringende  Verstandesschärfe  in  so  hohem  Grad  mit  rücksichts- 
loser Einseitigkeit  der  Speculation  verband,  das  war  allerdings  ein 
Umstand,  der  ebenso  die  Abgeschlossenheit  und  Entwicklungslosig- 
keit  seiner  Leistung  wie  die  Macht  erklärte,  die  sie  über  diejenigen 
ausübte  die  sich  ihr  gefangen  gaben. 

Eine  Kritik  der  Herbart'schen  Psychologie  würde  hier  über 
unsere  Aufgabe  hinausführen.  Nur  vorübergehend  sei  daher  hin- 
gewiesen auf  die  Willkürlichkeit  seiner  Annahmen,  die  nirgends  die 
Prüfung  der  Erfahrung  bestanden  haben,  wohl  aber,  wo  es  wirklich 
gelingt  sie  exact  zu  prüfen,  ihr  durchgehends  widersprechen*).  Was 
für  uns  hier  vor  allem  von  Interesse  ist,  das  ist  die  Thatsache,  dass 
sich  in  dieser  Psychologie,  vielleicht  weil  sie  die  exacteste  Ausbildung 
des  Intellectualismus  ist,  die  Mängel  dieser  ganzen  Denkweise  in 
verdichteter  Gestalt  wiederholen.  Dass  die  psychologische  Analyse 
von  den  complexen  Begriffen  der  Vermögens-  und  Associations- 
psychologie  auf  die  einfachen  psychischen  Elemente  zurückzugehen 
habe,  das  ist  der  siegreiche  Gedanke,  durch  den  die  Theorie  des 
Vorstellungsmechanismus  alle  jene  älteren  Lehren  überstrahlt.  Aber 
ist  die  a Vorstellung"  in  der  Bedeutung,  in  der  sie  hier  gebraucht 
wird,  wirklich  dieses  Einfache?  Sie  ist  es  im  allgemeinen  nach  der 
eigenen  Auffassung  der  Theorie  keineswegs.  Denn  als  Vorstellung 
gilt  jedes  innere  Erlebniss,  das  getrennt  von  dem  ganzen  Zusammen- 
hang des  psychischen  Geschehens  noch  eine  selbständige  Bedeutung 
behält.  Eine  Vorstellung  ist  daher  jeder  psychische  Erfahrungs- 
inhalt, der  auf  ein  Object  ausserhalb  unseres  Bewusstseins  bezogen 


•)  Vgl.  meine  Grundzüge  der  physiol.  Psychologie.  4.  Aufl.  II,  S.  489  ff. 


Intellectuftlistifiche  Psychologie.  163 

werden  kann.    Denn  in  dieser  Projection  nach  aussen  liegt  eben  der 
unmittelbare  und  zugleich  der  einzige  Beweis  für  eine  solche  Isolir- 
barkeit.    Der  einfache  Ton  ist  also  ebenso  gut  eine  Vorstellung  wie 
die  wahrgenommene  Gestalt  oder  die  von  mannigfaltigen  Eindrücken 
erf&Ute  Zeitreihe.    Kurz,  Vorstellung  ist  nicht  minder  das  Einfache, 
nicht  weiter  Analysirbare,  wie  das  Zusammengesetzte.    Zwar  werden 
Processe  der  Verbindung  und  Reihenbildung  angenommen,  aus  denen 
zusammengesetzte   Vorstellungen  hervorgehen;   aber  nachdem  diese 
einmal    entstanden    sind,    bleiben    auch   sie  ebenso  gut  untheilbare 
Ganze,   wie   die   von  Anfang  an  einfachen  Vorstellungen,   die  Em- 
pfindungen.    Denn  alle  Vorstellungen  entstehen  zwar  irgend  einmal 
in  der  Seele  —  es  gibt  kein  angeborenes  Besitzthum  in  dieser  — 
aber  nachdem  sie  entstanden,  bleiben  sie  unvergänglich.    Sie  können 
in  Folge   der  Hemmungen  die  sie  erfahren  verdunkelt  werden  oder 
für  beliebig  lange  Zeit  ganz  aus  dem  Bewusstsein  verschwinden,  — 
von  air  dem  bleiben  sie  selbst  unberührt.     Die  Vorstellungen  sind 
also   unzerstörbare   und    in   ihrer   eigenen   Qualität    unveränderliche 
Objecto,    die  zugleich  Kräfte   auf  einander  ausüben,   indem  sie  je 
nach  dem  Grad  ihres  Gegensatzes  oder  ihrer  Uebereinstimmung  ein- 
ander hemmen   oder  fordern  oder  auch   mit  einander  verschmelzen 
können,    die   aber  doch  an  sich  selbst  bei  all'  diesem  Wechsel  der 
Zustande   ebenso   unverändert  bleiben,   wie  man  es  von  den  mate- 
riellen   Atomen    bei   ihren  Wechselwirkungen    voraussetzt.     Neben 
diesen  unzerstörbaren  Objecten,  den  Vorstellungen,  kommt  nun  den 
übrigen  psychischen  Erlebnissen  keine  eigentliche  Realität  zu.  Sie  sind 
nichts   als  vergängliche  Erscheinungen,   die  durch  jenes  Spiel   des 
Vorstellungsmechanismus  entstehen:  so  die  Gefühle  durch  die  Span- 
nnngszustände  der  gegeneinander  wirkenden  Vorstellungen,  die  Triebe 
ond  der  Wille  durch  das  Aufstreben  der  Vorstellungen  gegen  vor- 
handene Hemmungen  u.  dergl.     So  kommen   in  dieser  Theorie  die 
beiden  Grundanschauungen  des  InteUectualismus,   dass   die  Vorstel- 
lungen in  ihrer  eigenen  Beharrlichkeit  den  Objecten  gleichen,   auf 
die  sie  von  uns  bezogen  werden,  und  dass  die  intellectuellen  Func- 
tionen,  also  die  Vorstellungsprocesse,   die  psychischen  Grundphäno- 
mene,  alle  übrigen  Bestandtheile  unserer  inneren  Erfahrung  aber 
nur  deren  secundäre  Erzeugnisse  sind,  zu  einer  präcisen,  nicht  mehr, 
wie  bei  den  vorangegangenen  Formen,  durch  allerlei  Inconsequenzen 
und  Unklarheiten  getrübten  Geltung.     Dass  unser  Wollen,   Fühlen, 
Streben  auf  einem  derartigen  Drängen  und  Quetschen  der  Vorstel- 
lungen beruhe,   ist  nun  offenbar  eine  Behauptung,   die  der  andern. 


164  Logik  der  Psychologie. 

dass  diese  Erlebnisse  ungenaue  Wahrnehmungen  der  Bewegungen 
unserer  Himmolekehi   seien,   logisch  vollkoromen  gleichwerthig  ist 
Niemand  hat  jene  mechanischen  Wechselwirkungen  jemals  beobachtet, 
und  wenn  sie  Jemand  beobachtet  hätte,   so  würde  die  Behauptung, 
dass  sie  gar  nichts  anderes  als  unser  Wollen,   Fühlen  und  Streben 
selbst  seien,  immer  noch  eine  willkürliche  Gleichsetzung  zweier  yer- 
schiedener  Dinge  bleiben.     Jene  Verwandlung  der  Vorstellungen  in 
beharrende  Objecte  ist  aber  augenscheinlich  nichts  anderes  als  eine 
Verwechselung  unserer  eigenen  psychischen  Erlebnisse  mit  den  Gegen- 
ständen   der   Aussenwelt;    auf  die   wir   diese   Erlebnisse    beziehen. 
Schon  die  Vermögens-   und  noch  mehr  die  Associationspsychologie 
krankt  an  dieser  Verwechselung.    Beide  behandeln  die  «Reproduction 
der  Vorstellungen*  als  einen  Vorgang,  bei  dem  genau  die  nämliche 
Vorstellung,   die  früher  schon  einmal  da  war,   durch  irgend  welche 
Umstände   abermals  für  das  Bewusstsein  mobil  gemacht  werde.    In 
der  Psychologie  des  Vorstellungsmechanismus   werden   vollends  die 
Vorstellungen    aus   Objecten   zu   Substanzen.     Denn    wenn  man 
nach  üblichem  philosophischem  Sprachgebrauch  die  Substanz  als  das 
definirt  »was  bei  allem  Wechsel  der  Erscheinungen  beharrt*,  so  sind 
ganz  gewiss  diese  unvenlnderlichen  und  vielleicht  sogar  unsterblichen 
Vorstellungen  Substanzen.     Das  ist  nun  aber  der  Punkt,   bei  dem 
nicht  bloss   das  Kartenhaus   dieser  Theorie  sondern  das  ganze  Ge- 
bäude  der  int^llectualistischen   Psychologie  vor  der   exacten   Beob- 
achtung der  psychischen  Erlebnisse  nicht  Stand  halten  kann.   Von  ihm 
geht  daher  zugleich  die  dritte  Richtung,  die  voluntaris tische,  aus. 

c.   Die  voluntaristische  Psychologie. 

Je  einseitiger  der  Intellectualismus  die  logische  Reflexion  in 
den  Vordergrund  des  psychischen  Geschehens  stellte,  um  so  mehr 
musste  gelegentlich  das  Widerstreben  gegen  diese  Methode  und  gegen 
ihre  gleichförmige  Anwendung  auf  die  verschiedensten  Gebiete,  wie 
Sittlichkeit,  Kunst  und  Religion,  zu  dem  Versuch  führen,  eine  völlig 
andere  Grundlage  für  die  Gesanuntauffassung  des  geistigen  Lebens 
zu  wählen.  Diese  Grundlage  konnte  naturgemäss  keine  andere  sein 
als  jene  subjective  Ergänzung  der  Vorstellungen  und  ihrer  Ver- 
knüpfungen, die  Intellectualismus  und  Rationalismus  allzu  dürftig 
bedacht  oder  völlig  in  der  Intelligenz  hatten  aufgehen  lassen:  das 
Gemüthsleben.  Indem  man  nun  aber  zunächst  die  der  psycho- 
logischen Abstraction  seit  frühe  eingewurzelte  Gewohnheit  beibehielt. 


Voluntaristische  Psychologie.  165 

ans  dem  immerwährenden  Fluss  der  Bewusstseinsvorgänge  solche 
Zustande  herauszugreifen,  die  sich  als  annähernd  beharrende  betrachten 
Hessen,  ergab  sich  hier  das  Gefühl  als  ein  ähnlicher  scheinbar 
rahender  Punkt,  wie  einen  solchen  die  objectiy  gerichtete  Betrach- 
tungsweise an  der  Vorstellung  gefunden  hatte.  Ihren  nächsten  Aus- 
drnck  fand  daher  diese  aus  der  Stimmung  gegen  den  Rationalismus 
des  Aufklärungszeitalters  hervorgegangene  Tendenz  in  der  Gefühls- 
psjchologie  des  vorigen  Jahrhunderts,  die  schon  durch  ihren  Zu- 
sammenhang mit  der  Gefühls philosophie  und  mit  der  Gefühls- 
schwelgerei  in  der  poetischen  Literatur  der  gleichen  Zeit  mehr  den 
Charakter  einer  allgemeinen  geistigen  Bewegung  als  den  einer  spe- 
ciellen  psychologischen  Richtung  hat.  Dabei  war  aber  offenbar  die 
einseitige  Vertiefung  in  das  Gefühl  gerade  auf  psychologischem  Ge- 
biete wenig  geeignet,  dieser  Gegenströmung  einen  dauernden  Erfolg 
za  sichern.  Denn  das  Gefühl  ist,  sobald  man  es  aus  seinem  Zu- 
sammenhang mit  den  sonstigen  psychischen  Elementen  loslöst,  der 
dunkelste,  am  wenigsten  deutlich  abzugrenzende  und  analysirbare 
Bestandtheil  der  inneren  Erfahrung.  Der  begreifliche  Grund  hier- 
von liegt  darin,  dass  es  am  wenigsten  ein  selbständig  in  sich  ab- 
geschlossener Vorgang,  sondern  durchaus  nur  ein  aus  dem  Gonnex 
der  psychischen  Erlebnisse  herausgerissener  Theil  eines  Vorganges  ist, 
der  von  den  übrigen  Elementen  so  sehr  abhängt,  dass  er  für  sich 
allein  zu  einem  völlig  verschwimmenden  Gebilde  wird.  Wie  die 
sentimentale  GefÜhlsschwelgerei  in  der  Dichtung  stets  in  Gefahr 
war,  dass  ihr  über  der  Vertiefung  in  das  Gefühl  der  Gedankeninhalt 
abhanden  kam,  so  brachte  es  daher  die  GefUhlsrichtung  in  Philo- 
sophie und  Psychologie  in  ihrem  Kampfe  gegen  den  Intellectualismus 
nie  weiter  als  zum  Ausdruck  ihrer  entgegengesetzten  Ueberzeugung, 
durch  den  sie  weder  den  Gegner  widerlegen  noch  den  eigenen 
Standpunkt  zureichend  begründen  konnte.  Erst  die  Erkenntniss, 
dass  das  Wollen  der  centrale  Gemüthsvorgang  sei,  in  weichemalle 
andern  ihm  theils  verwandten  theils  eng  verbundenen  subjectiven 
Processe  zu  einem  klareren  Ausdruck  ihrer  eigenen  Natur  sowie 
ihres  Verhältnisses  zu  dem  Vorstellungsinhalt  des  Bewusstseins  ge- 
langten, hat  dieser  Gegenströmung  auch  in  der  Psychologie  klarere 
Ziele  gegeben  und  auf  den  Weg  hingewiesen,  auf  dem  die  neue 
Richtung  mit  verwandten  ethischen  Bestrebungen  zusammentrifft. 
Wie  sie  diesen  die  psychologische  Grundlage  zu  geben  sucht,  deren 
sie  bedürfen,  so  schöpft  sie  aus  ihnen  wiederum  die  Anregung  zur 
praktischen    Verwerthung   der    gewonnenen    Anschauungen.      Ihren 


166  Logik  der  Psychologie. 

nächsten  Anstoss  empfing  aber  diese  Richtung  von  der  psychologi- 
schen Beobachtung  selbst.  Hatten  die  Vermögenspsychologrie  und 
die  Psychologie  des  Vorstellungsmechanismus  wesentlich  unter  dem 
Einflüsse  der  metaphysischen  Ideen  gestanden,  die  sie  der  Leibniz- 
schen  Psychologie  entnommen  und  nach  verschiedenen  Richtungen 
entwickelt  hatten,  war  die  Associationspsychologie  von  der  empi- 
ristischen Erkenntnisslehre  Locke s  und  in  einzelnen  ihrer  Ab- 
zweigungen ausserdem  von  der  materialistischen  Metaphysik  ab- 
hängig, so  hat  die  voluntaristische  Richtung  zunächst  nur  in  der 
psychologischen  Beobachtung  ihre  Quelle;  und  wenn  auch  von  der 
hier  gewonnenen  Anschauung  aus  die  Probleme  des  Erkennens  und 
des  sittlichen  Handelns  zum  Theil  in  einem  veränderten  Lichte  er- 
scheinen müssen,  so  geht  doch  die  Anregung  hierzu  von  der  psycho- 
logischen Erfahrung  aus,  nicht  ihr  voran.  Die  durch  die  experi- 
mentelle Methode  ermöglichte  exactere  Analyse  der  psychischen 
Thatsachen  ist  es  nämlich,  die  vor  allem  jenes  Trugbild  objectartiger 
Constanz  der  Vorstellungen  unwiederbringlich  zerstört  und  damit 
zugleich  die  wahre  Natur  jener  schematischen  Begriffe  enthüllt, 
welche  die  Associationspsychologie  zu  psychischen  ,, Gesetzen*'  er- 
hoben hatte.  Sind  die  Vorstellungen,  ebenso  wie  alles  andere  psy- 
chische Geschehen,  veränderliche  Functionen,  die  mit  einander  ver- 
bunden und  auf  einander  bezogen  werden  können,  die  aber  niemals 
als  die  nämlichen  wiederkehren,  sondern  sich  immer  wieder  neu  aus 
elementaren  Processen  zusammensetzen,  so  können  auch  die  Asso- 
ciationsformen  nicht  einfache  Gesetze  der  inneren  Erfahrung  sein, 
sondern  sie  bleiben  mehr  oder  minder  willkürlich  gebildete  Glassen- 
begriffe,  in  die  wir  die  verwickelten  Producte  elementarer  Processe 
ordnen  können.  Wie  hier,  so  fordert  dann  weiterhin  überall  dem 
Inhalt  der  psychologischen  Erfahrung  gegenüber  die  experimentelle 
Methode  eine  exacte  Analyse,  die  den  Thatbestand  so  auffasst  wie 
er  ist  und  ein  Verständniss  seines  Zusammenhangs  lediglich  durch 
die  Untersuchung  der  Abhängigkeitsverhältnisse  seiner  einzelnen  Be- 
standtheile  von  einander  zu  gewinnen  sucht. 

Der  Name  voluntaris tische  Psychologie,  den  ich  für  diese 
Richtung  wähle,  kann  nun  aber  niemals  bedeuten,  dass  hier  der 
Wille  in  ähnlichem  Sinne  einseitig  dem  Gesammtinhalt  der  inneren 
Erlebnisse  substituirt  werde,  wie  der  Intellectualismus  das  ähnliche 
zumeist  mit  den  Vorstellungen  gethan  hat.  Ein  derartiger  Versuch 
würde  an  der  Macht,  mit  der  sich  die  Vorstellungswelt  vermöge  der 
ihr  unmittelbar  anhaftenden  objectiven  Bedeutung  unsere  Anerken- 


Voluntaristische  Psychologie.  167 

Dimg  erzwingt,  sofort  scheitern.  Jener  Ausdruck  kann  und  soll  also 
nur  den  Sinn  haben,  dass  er  auf  die  Gleichberechtigung  des  Willens 
und  aller  mit  ihm  in  näherer  Beziehung  stehenden  subjectiven  psy- 
ehischen  Inhalte  mit  dem  objectiven  Vorstellungsinhalt  des  Bewusst- 
seins  hinweist;  und  der  Wille  selbst  hat  dabei  wiederum  nur  eine 
repräsentative  Bedeutung,  insofern  mit  der  Anerkennung  seiner  that- 
^hlichen  Existenz  auch  die  Anerkennung  der  mit  ihm  eng  ver- 
bundenen sonstigen  subjectiven  Gemüthsvorgänge ,  wie  der  Gefühle, 
ausgesprochen  sein  soll.  Freilich  aber  wird  mit  der  Wahl  dieser  repräsen- 
iativen  Bezeichnung  auch  angedeutet,  dass  jene  andern  Inhalte  immer 
zugleich  Bestandtheile  eines  vollständigen  Willensvorganges  sind, 
und  dass  sie  daher  nicht  etwa  in  ähnlichem  Sinne  wieder  dem  Willen 
gegenübergestellt  werden  können,  wie  dieser  vom  Gesichtspunkt  der 
psychologischen  Analyse  aus  von  den  Vorstellungen  zu  sondern  ist. 
Dies  vorausgesetzt  sind  es  nun  zwei  Gesichtspunkte,  die  als 
die  leitenden  Voraussetzungen  und,  da  sie  der  experimentellen  Ana- 
lyse der  psychischen  Erfahrung  selber  entnonunen  sind,  als  die  funda- 
mentalen Thatsachen  betrachtet  werden  können,  auf  welche  die 
voluntaristische  Psychologie  ihre  Interpretationen  gründet.  Erstens: 
die  psychischen  Vorgänge  bilden  ein  einheitliches  Geschehen. 
Die  Zerlegung  in  Vorstellen,  Fühlen,  Streben,  Wollen  u.  s.  w., 
wie  sie  schon  das  gewöhnliche  Bewusstsein  und  auf  Grund  des- 
selben die  Sprache  ausführt,  ist  ein  Product  psychologischer  Analyse 
and  Abstraction;  jene  Vorgänge  selbst  aber  sind  nicht  real  ver- 
schiedene, sondern  untrennbar  verbundene  Bestandtheile  eines  Ge- 
schehens. Diese  Bestandtheile  zu  unterscheiden,  ist  auch  im  Interesse 
der  psychologischen  Analyse  unerlässlich;  doch  ist  dabei  nie  aus 
dem  Auge  zu  verlieren,  dass  die  Verbindung  der  Elemente  des 
seelischen  Geschehens  die  Grundlage  jeder  psychologischen  Unter- 
suchung bleiben  muss,  und  dass  die  Ergebnisse  dieser  von  vorn- 
herein getrübt  werden,  wenn  man  jene  Producte  der  Abstraction 
zu  selbständigen  Inhalten  erhebt.  Diese  falsche  Verselbständigung 
der  Theilinhalte  der  inneren  Erfahrung  hat  augenscheinlich  zusammen 
mit  dem  objectiven  Werth,  den  wir  den  Vorstellungsbestandtheilen 
heilten,  alle  die  verfehlten  Einheitsbestrebungen  der  intellectualisti- 
scken  Psychologie  wesentlich  mit  verschuldet,  bei  denen  man  die 
durch  die  abstracte  Unterscheidung  verlorene  Einheit  dadurch  wieder- 
zugewinnen meinte,  dass  man  die  Identität  gewisser  Bestandtheile 
mit  andern  behauptete.  Zweitens:  die  Vorstellungen  sind,  ebenso 
wie  alle  andern  Theilinhalte  des  psychischen  Geschehens,  nicht  Objecte 


168  Logik  der  Psychologie. 

oder  auch  relatiy  ruhende  Zustande,  sondern  Ereignisse.  Sie 
halten  so  wenig  wie  der  bewegte  Körper  auf  seiner  Bahn  irgend 
einmal  unserer  Beobachtung  stand;  sie  verändern  sich  nicht  nur 
durch  ihr  Kommen  und  Gehen,  sondern  auch  während  sie  da  sind; 
sie  Terändem  sich  nicht  bloss  dadurch,  dass  sie  verschiedene  Klar- 
heitsgrade durchlsiufen,  sondern  auch  dadurch,  dass  sie  in  ihrer 
quaUtativen  Zusammensetzung  fortwährend  wechseln  können.  Ins- 
besondere ist  daher  der  Ausdruck  «Reproduction'  ein  völlig  irre- 
führender Name.  Keine  Vorstellung  wird  wirklich  reproducirt;  die 
wiederkommende  ist  immer  eine  neue,  die  wir  nur  vermöge  irgend 
welcher  Eigenschaften  oder  begleitender  Elementarvorgänge  auf  einen 
einzelnen  früheren  Yorstellungsact  oder  auf  eine  Mehrheit  solcher 
zurückbeziehen.  Die  neue  Vorstellung  ist  der  früheren  in  Wahr- 
heit ebenso  wenig  gleich,  als  eine  neue  Willenshandlung  dieselbe 
Handlung  ist  wie  eine  ähnliche  schon  einmal  ausgeführte;  und  dass 
jemals  zwei  verschiedene  Vorstellungen  in  allen  einzelnen  Zügen 
einander  gleich  seien,  das  ist  im  ganzen  ebenso  wenig  wahrschein- 
lich, als  es  wahrscheinlich  ist,  dass  zwei  Menschen  auf  der  Welt 
vorkommen,  die  in  allen  ihren  körperlichen  und  geistigen  Eigen- 
schaften vollkommene  Ebenbilder  sind.  Da  nun  die  singulare  und 
actuelle  Natur  des  Wille nsactes  leicht  von  Jedermann  eingesehen 
wird,  während  die  Meinung,  die  Vorstellungen  seien  constante  und 
mehr  oder  minder  unsterbliche  Gegenstände,  sogar  bei  den  Psycho- 
logen heute  noch  weit  verbreitet  ist,  so  hat  unter  diesem  Gesichts- 
punkte der  Ausdruck  „voluntaristische  Psychologie''  eine  typische 
Bedeutung:  er  will  sagen,  dass  man  sich  nach  dem  Typus  der 
Willenshandlungen  alle  psychischen  Erlebnisse  zu  denken  habe,  näm- 
lich als  fliessende  Ereignisse,  nicht  als  Objecto  und  nicht  einmal 
als  relativ  beharrende  Zustände  von  Objecten. 


2.   Die  Indiyidualpsychologie. 

a.   Die  Aufgaben  der  Indiyidualpsychologie. 

Unter  dem  Begriff  der  Individualpsychologie  sollen  hier  die 
Untersuchungen  zusammengefasst  werden,  deren  Gegenstand  die 
psychischen  Vorgänge  des  individuellen  menschlichen  Bewusstseins 
sind,  insofern  diese  eine  typische,  für  das  normale  Bewusstsein 
allgemeingültige  Bedeutung  besitzen.     Durch  ihre  Beschränkung  auf 


Aufgaben  der  Individualpsychologie.  169 

das  Individuum  scheidet  sich  die  Individual-  von  der  Völker- 
psychologie, durch  ihre  Beschränkung  auf  den  Menschen  von  der 
Thierpsychologie,  und  endlich  dadurch,  dass  sie  sich  bloss  mit 
den  als  typisch  zu  betrachtenden  Vorgängen  beschäftigt,  nicht  aber 
mit  solchen,  die  nur  für  einzelne  Individuen  charakteristisch  sind, 
von  der  Charakterologie "*").  Da  die  Individualpsychologie  die 
nothwendige  Grundlage  aller  andern  psychologischen  Gebiete  ist,  so 
ist  sie  zugleich  allgemeine  Psychologie:  sie  bildet  das  Gebiet, 
in  welchem  wir  über  die  allgemeinen  Probleme  des  Psychischen  zu- 
nächst und  vor  allem  Aufschluss  suchen. 

Als  Methoden  der  Individualpsychologie  pflegt  man  in  erster 
Linie  die  Selbstbeobachtung  und  in  zweiter  zur  Unterstützung  der- 
selben gewisse  objective  Hülfsmittel,  wie  die  Beobachtung  anderer 
Menschen,  das  Studium  von  Biographien  und  Selbstbekenntnissen, 
von  Dramen  und  Romanen,  in  denen  sich  eine  hervorragende  psycho- 
logische Beobachtungsgabe  bekundet,  und  ähnliches  zu  empfehlen. 
Nui  gibt  es  eine  unmittelbare  Selbstbeobachtung  überhaupt  nicht, 
sondern  die  von  der  älteren  Psychologrie  mit  diesem  Namen  belegte 
Methode  ist  in  Wahrheit  nichts  anderes  als  eine  zufallige  innere 
Wahrnehmung.  In  eine  planmässige  Beobachtung  lässt  sich  diese 
nur  unter  Bedingungen  überführen,  welche  die  Anwendung  experi- 
menteller Methoden  voraussetzen.  Jene  objectiven  Hülfsmittel  aber 
haben  zwar  für  die  praktische  Menschenkenntniss  und  allenfalls  auch 
fb:  die  Charakterologie  ihren  Werth,  für  die  allgemeine  Psycho- 
logie, die  das  Typische  und  Allgemeingültige  zu  untersuchen  hat, 
sind  sie  ohne  jede  Bedeutung.  In  Wahrheit  stehen  daher  der  Indi- 
vidualpsychologie  nur  zwei  Hülfsmittel    zu   Gebote:    die   zufällige 


*)  Ton  E.  Kraepelin  ist  der  Ausdruck  , Individualpsychologie'^  in  einem 
spedelleren  als  in  dem  hier  gebrauchten  Sinne,  nämlich  entsprechend  dem  was 
ieh  oben  als  , Charakterologie*  bezeichnete,  angewandt  worden.  (Vgl.  £.  Krae- 
pelin, Beeinflussung  einfacher  psychischer  Vorgänge  durch  Arzneimittel.  1892. 
Psychologische  Arbeiten.  I.  1895.)  Namen  sind  natürlich  gleichgültig.  Da  ich 
aber  den  Gegensatz  zur  .Völkerpsychologie*  kaum  anders  als  wie  hier  zu 
nennen  wüsste,  so  darf  ich  yielleicht  für  das  namentlich  von  Kraepelin  und 
seinen  Schülern  experimentell  bearbeitete,  für  die  praktischen  Anwendungen 
der  Individualpsychologie  Überaus  wichtige  Gebiet,  mit  einer  durch  die  psycho- 
logische Anwendung  wohl  gerechtfertigten  Ausdehnung  des  Begriflb,  den  Namen 
t Charakterologie*  vorschlagen.  Die  Individualpsychologie  hat  danach  was 
ftir  das  menschliche  Individuum  als  solches  gültig,  die  Charakterologie  was 
für  die  concreten  Gestaltungen  der  Individualität  charakteristisch  ist  zum 
<7egenstand. 


170  Logik  der  Psychologie« 

innere  Wahrnehmung  und  die  experimentelle  Methode.  Unter  ihnen 
erfüllt  die  erstere  theils  eine  yorbereitende  theils  eine  ergänzende 
Function;  die  zweite  dagegen  ist  das  ausschliessliche  Werkzeug  zur 
Analyse  der  einfacheren  psychischen  Yor^uige,  dessen  Dienste  nur 
da  theilweise  versagen,  wo  es  sich  um  die  Untersuchung  der  höheren 
intellectuellen  Functionen  handelt.  Auch  in  diese  Lücke  treten 
jedoch  nur  zu  einem  geringen  Theil  die  innere  Wahrnehmung  und 
die  ihr  zur  Seite  stehenden  individuellen  Hülfsmittel  objectiver  Art 
ein;  vielmehr  hat  hier  vornehmlich  die  Völkerpsychologie  die  Auf- 
gabe, mit  ihren  Aufschlüssen  über  die  allgemeinen  geistigen  Er- 
zeugnisse des  gemeinsamen  Lebens  die  Individualpsychologie  zu  er- 
gänzen. 

b.   Die  zufällige  innere  Wahrnehmung. 

Auf  der  inneren  Wahrnehmung  beruht  die  ganze  Psychologie. 
Sie  ist  das  unerlässliche  Hülfsmitttel,  das  zu  jeder  objectiven  Be- 
obachtung, die  wir  im  psychologischen  Literesse  verwerthen  wollen, 
hinzugezogen  werden  muss.  Aber  dieses  Hülfsmittel  gestattet  ver- 
möge seiner  Eigenthümlichkeiten  leider  nicht  die  Ausbildung  von 
Methoden,  mit  denen  sich  eine  Analyse  des  psychischen  Thatbestandes 
ins  Werk  setzen  liesse.  Denn  die  innere  Wahrnehmung  vermag  für 
sich  allein  niemals  zur  Beobachtung  zu  werden,  insofern  wir  unter 
dieser  die  planmässige  Richtung  der  Aufmerksamkeit  auf  die  Er- 
scheinungen verstehen.  Eine  Selbstbeobachtung,  wie  sie  von 
den  meisten  Vertretern  der  so  genannten  „empirischen  Psychologie *" 
empfohlen  wird,  ist  nur  eine  Quelle  von  Selbsttäuschungen.  Denn 
da  in  diesem  Fall  das  beobachtende  Subject  mit  dem  beobachteten 
Objecte  zusammenfällt,  so  ist  es  selbstverständlich,  dass  die  Richtung 
der  Aufmerksamkeit  auf  die  Erscheinungen  diese  selber  verändert. 
Da  femer  unser  Bewusstsein  für  viele  neben  einander  bestehende 
Thätigkeiten  um  so  weniger  Raum  hat,  je  intensiver  diese  sind,  so 
besteht  regelmässig  eine  solche  Veränderung  darin,  dass  die  Er- 
scheinungen, die  man  beobachten  will,  überhaupt  unterdrückt  werden. 

Die  Hauptregel  für  die  Verwerthung  der  inneren  Wahrneh- 
mung, wo  diese  filr  sich  allein  in  Frage  kommt,  besteht  somit  darin, 
dass  man  so  viel  wie  möglich  nur  zufällige,  nicht  er- 
wartete und  nicht  absichtlich  herbeigeführte  Erfah- 
rungen benütze.  Diese  Regel  schliesst  selbstverständlich  die 
Ausbildung    eigentlicher   Untersuchungsmethoden  aus.     Es  ergeben 


ZuflUlige  innere  Wahrnehmung.  171 

sich  aber  aus  ihr  einige  beachtenswerthe  Unterregeln.  Erstens 
wird  es  zweckmässig  sein,  sich  auf  die  Erinnerung  und  nicht  auf 
die  unmittelbare  Wahrnehmung  zu  verlassen.  Denn  nur  wenn  wir 
uns  Vorgänge,  bei  deren  Ablauf  jede  Absicht  der  Selbstbeobachtung 
ausgeschlossen  war,  vergegenwärtigen,  wird  der  störende  Einfluss 
dieser  möglichst  zum  Verschwinden  kommen.  Der  grosse  Gegen- 
satz zur  physikaUschen  Beobachtungskunst  tritt  in  dieser  Regel  deut- 
hch  zu  Tage.  Um  sich  die  nothwendige  Unbefangenheit  zu  sichern, 
muss  die  Psychologie  die  Unsicherheit  des  Gedächtnisses  mit  in  den 
Kauf  nehmen.  Zweitens  wird  die  innere  Wahrnehmung  vorzugs- 
weise zur  Auffassung  der  klar  bewussten  und  namentlich  der  will- 
kürlichen Geistesacte  sich  eignen;  die  unwillkürlichen  und  die  dunkler 
bewussten  inneren  Vorgänge  müssen  ihr  dagegen  fast  völlig  ent- 
gehen, weil  sie  durch  den  Versuch  der  unmittelbaren  Selbstbeob- 
achtung am  meisten  beeinträchtigt  werden,  und  weil  sie  am  schnellsten 
dem  Gedächtniss  entschwinden,  so  dass  gerade  für  sie  die  Regel, 
sich  nicht  der  unmittelbaren  Wahrnehmung  sondern  der  Erinnerung 
an  frühere  Erlebnisse  zu  bedienen,  unanwendbar  wird*). 


*)  Auf  die  Mängel  der  so  genannten  Selbstbeobachtung  hat  eindring- 
üeh  zuerst  Auguste  Gomte  hingewiesen,  und  er  hat  deshalb  geglaubt,  der 
einzig  mögliche  Weg  einer  wissenschaftlichen  Psychologie  bestehe  in  der  Unter- 
suchung der  physiologischen  Grundlagen  der  psychischen  Vorgänge,  eine  Auf- 
fassung die  ihn  zum  Anhänger  der  GalVschen  Phrenologie  machte.  (Philos. 
po«.  I,  Le9,  1,  III,  Le9.  50.  Zur  Würdigung  dieser  Ansichten  Comtes  vergl. 
H.  Waentig,  Auguste  Gomte  und  seine  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der 
Sodalwissenschaft.  Leipzig  1894,  S.  124  fr.)  Dem  gegenüber  hat  schon  Mi  11 
in  seiner  Kritik  Comtes  auf  die  Bedeutung  des  Gedächnisses  hingewiesen,  indem 
er  hervorhob,  dass  wir  unsere  Eenntniss  der  psychischen  Acte  nicht  während 
ihres  Ablaufs,  sondern  erst  nachdem  sie  vorüber  sind,  gewinnen  (Auguste  Gomte 
und  der  Positivismus,  üebers.  von  Gompertz,  Bd.  9,  S.  44  ff.)>  ^^  Gesichts- 
punkt den  auch  F.  Brentano  geltend  machte.  (Brentano,  Psychologie  vom 
empirischen  Standpunkte.  Leipzig  1874,  S.  42  f.)  Dass  eine  wirkliche  Beobach- 
tong  der  inneren  Erlebnisse  im  exacten  Sinne  erst  mit  Hülfe  der  experi- 
mentellen Methode  möglich  werde,  habe  ich  bereits  in  dem  als  Einleitung 
zu  meinen  Beiträgen  zur  Theorie  der  Sinneswahmehmnng  geschriebenen  Auf- 
satz «Ueber  die  Methoden  in  der  Psychologie"  ausgeführt.  (Leipzig  und  Heidel- 
berg 1862,  S.  XVI  ff.)  In  neuerer  Zeit  hat  namentlich  J.  Yolkelt  in  gewissem 
Masse  wieder  die  Methode  der  «unmittelbaren  Selbstbeobachtung**  gegen  die 
wider  sie  erhobenen  Einwände  in  Schutz  genommen  (Zeitschr.  f.  Philos.,  Bd.  96, 
S.  1  ff.).  YgL  hierzu  meinen  Aufsatz:  , Selbstbeobachtung  und  innere  Wahr- 
nehmung*, Phil.  Stud.  IV,  S.  292  ff. 


172  Logik  der  Psychologie. 


c.    Die  allgemeine  Bedeutung  der  experimentellen  Methode  für  die 

Psychologie. 

Die  ForderuDg,  die  Yortheile  der  experimenteUen  Methode  auch 
für  die  Psychologie  nutzbringend  zu  machen,  ist  in  der  neueren  Ent- 
wicklung dieser  Wissenschaft  und  namentlich  im  Laufe  unseres  Jahr- 
hunderts schon  mehrfach  erhoben  worden,  ohne  dass  sie  im  ganzea 
bei  den  philosophischen  Vertretern  der  Psychologie  erheblichen  Bei- 
fall gefunden  hätte.  Ihnen  galt  im  allgemeinen  der  Eant'sche  Satz, 
die  innere  Erfahrung  könne  niemals  zum  Gegenstande  einer  Experi- 
mentalwissenschaft  erhoben  werden,  als  ein  unantastbares  Dogma  ^). 
So  konnte  denn  auch  nur  schüchtern,  so  zu  sagen  von  den  Aussen- 
werken  der  Seele  her,  die  experimentelle  Methode  von  dem  neuen 
Gebiet  Besitz  ergreifen,  eine  Entwicklung  die,  an  sich  begreiflich, 
doch  wieder  in  hohem  Grade  geeignet  war  völlig  missverstandliche 
Auffassungen  über  ihre  Aufgaben  innerhalb  wie  ausserhalb  des 
Kreises  ihrer  Vertreter  wachzurufen.  Im  allgemeinen  lassen  sich 
nämlich  drei  Stadien  in  der  Entwicklung  des  Begriffs  der  experi- 
mentellen Psychologie  unterscheiden,  von  denen  wir  das  erste  das 
physiologische,  das  zweite  das  psychophysische  und  das 
dritte  das  psychologische  nennen  können.  In  dem  ersten  gilt 
überhaupt,  ganz  im  Sinne  Eants,  die  innere  Erfahrung  an  sich  als 
ein  der  experimentellen  Methode,  aber  darum  auch  überhaupt  jeder 
exacteren  Erforschung  unzugängliches  Gebiet.  Anderseits  ist  man 
jedoch  überzeugt,  dass  das  psychische  Geschehen  ganz  und  gar 
physiologisch  bestimmt,  ein  subjectiver  Reflex  physiologischer  Gehim- 
processe  sei.  Demnach  erblickt  man  die  Aufgabe  der  experimentellen 
Methode  darin,  die  physiologischen  Grundlagen  des  Psychischen  zu 
erforschen,  eine  Auffassung  mit  der  sich  zugleich  die  Ansicht  verbindet, 
dass  eine  solche  Erforschung  die  einzig  mögliche  oder  wenigstens 
die  einzig  exacte  der  geistigen  Vorgänge  selbst  sei.  Diese  An- 
schauung ist  am  eingehendsten,  unter  Hinweis  auf  die  Unzuver- 
lässigkeit  der  inneren  Wahrnehmung,  von  Auguste  Comte  ge- 
rechtfertigt worden;  sie  beherrscht  aber  ausserdem  von  ihm  unab- 
hängig die  ganze  materialistische  Psychologie  aus  der  ersten  Hälfte 
des  Jahrhunderts  und  erstreckt  sich,  verbunden  mit  Bestandtheilen 
der  folgenden  zweiten  Ansicht,  noch  bis  in  die  gegenwärtigen  Str5- 


*)  Kant,   Voirwort  zu   den  Met.  Anfangsgründen  der  Naturwiss.    Ausg. 
Rosenkranz  und  Schubert,  V,  S.  310. 


AUgemeine  Bedeutung  der  experimentellen  Methode  für  die  Psychologie.     173 

rnnngen  des  „psychophysischen  Materialismus **.  Dass  die  im  Sinne 
dieser  Anschauung  versuchte  Einführung  der  experimentellen  Methode 
fOr  die  Psychologie  selbst  keinen  Fortschritt  bedeutet,  ist  ein- 
leuchtend. Was  gefordert  wird,  ist  ja  gar  nicht  eine  experimentelle 
Psychologie,  sondern  nur  eine  Ausdehnung  des  physiologischen  Ex- 
perimentalverfahrens  auf  diejenigen  physiologischen  Vorgänge,  als 
deren  directe  Functionen  man  die  psychischen  Processe  ansieht. 

Anders  verhält  es  sich  in  dem  zweiten  Stadium  dieser  Ent- 
wicklung. Auch  hier  wird  das  eigentlich  psychische  Gebiet  als  ein 
dem  Experiment  entweder  für  immer  oder  doch  einstweilen  unzu- 
gängliches angesehen.  Aber  man  geht  von  der  anerkannten  That- 
sache  aus,  dass  gewisse  psychische  Vorgänge,  namentlich  die  ein- 
facheren, von  physischen  Bedingungen  abhängig  seien.  Als  ein 
typisches  Beispiel  solcher  Abhängigkeit  gilt  vor  allem  die  der  Sinnes- 
empfindungen von  den  äusseren  Sinnesreizen.  Neben  den  rein  physi- 
schen Wechselwirkungen,  die  dem  Experimentalverfahren  der  Natur- 
wissenschaft unterworfen  sind,  und  den  rein  psychischen,  auf  die 
überhaupt  kein  Experiment  angewandt  wird,  unterscheidet  man  so 
als  eine  dritte  Classe  die^psychophysischen  Wechselwirkungen, 
welche  der  experimentellen  Methode  deshalb  zugänglich  seien,  weil 
die  eine  Seite  derselben,  die  physische,  von  uns  willkürlich  be- 
einflusst  werden  könne,  während  zugleich  die  andere,  die  psychische, 
zu  jener  in  bestimmten  functionellen  Beziehungen  stehe.  Als  die 
Aufgabe  der  so  entwickelten  Experimentalmethoden  gilt  dann  die 
Auffindung  der  psychophysischen  Functionsverhältnisse  oder,  falls  es 
nur  ein  einziges  solches  Verhältniss  geben  sollte,  der  allgemeinen 
psychophysischen  Function,  auf  Orund  deren  sich  eine  exacte  Theorie 
der  Wechselwirkimgen  zwischen  Leib  und  Seele  gewinnen  lasse. 

In  dem  dritten  Stadium  nimmt  endlich  die  experimentelle 
Methode  in  der  Psychologie  die  nämlichen  Rechte  für  sich  in  An- 
spruch, die  sie  in  der  Naturwissenschaft  besitzt.  Die  physischen 
Einwirkungen  gelten  nicht  mehr  als  Glieder  eines  Functionsverhält- 
nisses,  da  ein  solches  im  strengeren  Sinne  immer  nur  zwischen 
gleichartigen  Gliedern,  also  zwischen  physischen  und  physischen 
oder  aber  zwischen  psychischen  und  psychischen,  möglich  ist,  sondern 
jene  Einwirkungen  werden  nunmehr  als  die  Hülfs mittel  betrachtet, 
deren  man  sich  bedienen  muss,  um  psychische  Vorgänge 
nach  Willkür  hervorzubringen,  zu  wiederholen  oder  in 
genau  vorausbestimmter  Weise  abzuändern.  Was  Bacon 
als  den  Zweck  des  naturwissenschaftlichen  Experimentes  bezeichnet. 


174  Logik  der  Psychologie. 

dass  es  die  Natur  nicht  frei  sich  selbst  überlässt,  sondern  dass  es 
ihr  «kunstgerecht  Zwang  anthut'' ,  damit  sie  Rede  stehe  auf  die 
Fragen,  die  der  Naturforscher  ihr  stellt'*'),  —  genau  dasselbe  soll 
das  psychologische  Experiment  gegenüber  dem  individuellen  Be- 
wusstsein  leisten:  es  soll  dieses  nicht  frei  sich  selbst  überlassen, 
sondern  es  bestimmten  genau  zu  regelnden  Bedingungen  unterwerfen, 
und  der  Psychologe  soll  die  Erscheinungen  beobachten  und  wo  es 
möglich  ist  messend  bestimmen,  die  sich  unter  diesen  willkürUch 
Yon  ihm  eingeführten  Bedingungen  darbieten.  Der  grosse  Yortheil 
des  psychologischen  Experimentes  besteht  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  darin,  dass  es,  gerade  so  wie  das  naturwissenschaftliche,  den 
Eintritt  der  Vorgänge  nach  den  Zwecken  der  Untersuchung  regelt 
und  abstuft.  Es  verbindet  aber  damit  noch  den  besonderen  Vorzug, 
der  ihm  auf  naturwissenschaftlichem  Gebiete  im  aUgemeinen  nicht 
eingeräumt  werden  kann,  dass  es  eine  Beobachtung  im  wissen- 
schaftlichen Sinne,  insofern  man  darunter  eine  planmässige  Ver- 
folgung der  Erscheinungen  mit  der  Aufmerksamkeit  versteht,  über- 
haupt erst  möglich  macht.  Der  Naturforscher  kann  beobachten  ohne 
zu  experimentiren,  weil  die  Naturgegenstände  von  ihm  unabhängige 
Objecte  sind ;  der  Psychologe  kann  es  nicht,  weil  für  ihn  Object  und 
Subject  der  Beobachtung  zusammenfallen.  Aber  indem  er  einen 
zuerst  nur  zufällig  wahrgenommenen  Vorgang  experimentell  nach 
Willkür  wiederholt  und,  wenn  es  die  Zwecke  der  Beobachtung 
wünschenswerth  machen,  verändert,  verwandelt  sich  auf  diesem  Wege 
von  selbst  die  zufällige  Wahrnehmung  in  die  Beobachtung.  Denn 
jene  willkürliche  Erzeugung  und  Veränderung  der  Erscheinungen  ge- 
stattet es  ihm  nun,  von  Anfang  an  denselben  so  seine  Aufmerksamkeit 
zuzuwenden,  dass  eben  damit  auch  die  für  die  Beobachtung  wesent- 
liche planmässige  Richtung  der  Aufmerksamkeit  vorhanden  ist  oder, 
wo  sie  es  bei  einem  ersten  Versuch  nicht  sein  sollte,  bei  künftigen 
Versuchen  erzielt  werden  kann. 

Wenn  man  gegen  das  psychologische  Experiment  eingewandt 
hat,  es  erlaube  nicht  die  psychischen  Vorgänge  so  wie  sie  an  sich 
selbst  sind  zu  beobachten,  weü  es  eben  verändernd  in  deren  Verlauf 
eingreife,  so  würde  sich  dieser  Vorwurf  mit  gleichem  Rechte  gegen 
jedes  naturwissenschaftliche  Experiment  erheben  lassen.  Das  Be- 
denken würde  in  beiden  Fällen  gerechtfertigt  sein,  wenn  die  Natur 
und  das  menschliche  Bewusstsein  so  zu  sagen  zweierlei  Gesetze  zur 


*)  De  dignitate  et  augmentifi  scient.  IT,  2. 


Allgemeine  Bedeutung  der  experimentellen  Methode  für  die  Psychologie.     175 

Verfügung  hätten:  eine  erste  Art,  die  sie  für  sich  allein,  gleichsam 
im  geheimen,   befolgten,  und  eine  zweite  Art,  die  sie  nach  aussen 
kehrten,  sobald  man  sie  durch  eine   experimentelle  Frage  zwingen 
wollte  Rede  zu   stehen.     So  gut  wie   die  Natur,   ebenso  gut  muss 
natürlich    auch    das   menschliche   Bewusstsein    gegenüber   den  Ein- 
wirkungen unter  denen  es  steht  mit  der  Gesetzmässigkeit  reagiren, 
die  ihm  vermöge  seiner  überall  gleichbleibenden  Eigenschaften  zu- 
kommt.   Es  wird  vielleicht  einfacher  reagiren,  wenn  die  Bedingungen 
einfachere  sind  als  die  im    gewöhnlichen  Verlauf  des  Lebens  vor- 
kommenden:  aber  das   kann  hier   wie   bei  dem  physikalischen  Ex- 
periment im  Interesse  der  Analyse  der  complexen  Erscheinungen  nur 
wünschenswerth   sein,     üeberdies    bedient    sich    auch    das    psycho- 
logische Experiment  weder  widernatürlicher  Mittel  noch   überhaupt 
solcher,  die  ganz  ausserhalb  des  Umkreises  gewohnter  Lebenseinflüsse 
li^en,  sondern  der  Psychologe  folgt,  so  gut  wie  der  Naturforscher, 
bei   seinen  Experimenten  nur  den  Spuren,   die  ihm   die  Erfahrung 
zeigt.    Wie  jeder  Sinneseindruck  gewissermassen  ein  Experiment  ist, 
das    die  Natur  mit  uns  anstellt,  jede  willkürliche  Bewegung  eine 
natfirliche   Reaction,   die  sie  unsererseits  durch   ihre  Einwirkungen 
herausfordert,   so  bedient  sich  auch  das  psychologische  Experimental- 
verfahren  eben  nur  dieser  von  selbst  überall  schon  wirksamen  Hülfs- 
mittel    der  Einwirkung  auf  das  Bewusstsein   und  der   Rückwirkung 
desselben,  nur  dass  es  selbstverständlich  alle  diese  Hülfsmittel  einer 
genauen  Gontrole  unterstellt  und  sie  nicht  planlos  und  zufällig,  son- 
dern   planmässig  und  nach    vorausbestimmten  Zwecken   verwendet. 
Nicht  minder  hinfällig  ist  das  Bedenken,  dass  sich  in  dieser  Beziehung 
ein  menschliches  Bewusstsein  dem  ihm  „künstlich  angelegten  Zwang*^ 
gegenüber  doch  etwas  anders  verhalten  möchte  als  die  Natur,   weil 
eben  jener  Einfluss  der  Absicht,  den  man  der  unmittelbaren  Selbst- 
beobachtung gegenüber  geltend  mache,  auch  bei  der  experimentellen 
Beobachtung  nicht  fehlen  werde.     Zunächst  übersieht  man  hier  den 
ungebeuren  Einfluss,   den  bei   diesen  wie  bei   allen  Beobachtungen 
der  gerade  durch   die  häufige  Wiederholung   gleichartiger  Beobach- 
tungen eingeübte  Mechanismus  der  Oewohnheit  ausübt.    Der  psycho- 
logische Beobachter  vergisst  so  gut  wie  der  physikalische  vollständig 
die    subjective   Aufmerksamkeit  auf  den  Zustand    des  Beobachtens 
über   der  Aufmerksamkeit  auf  die  zu  beobachtenden  Erscheinungen. 
So   lange  jener  Zustand   als   ein  ungewohnter  empfunden  wird  und 
selbst  zur  Reflexion  anregt,  bleiben  natürlich  hier  wie  dort  die  Be- 
obachtungen unzuverlässig,  und  es  ist  darum  selbstverständlich,  dass 


176  Logik  der  Psychologie. 

in  beiden  Fällen  nicht  bloss  das  äussere  technische  Verfahren,  son- 
dern auch  die  eigenthümliche  subjective  Kunst  der  experimentellen 
Beobachtung  erlernt  und  geübt  werden  muss.  Sodann  aber  ist  es 
ein  Irrthüm,  wenn  man  meint,  die  experimentelle  Beobachtung  sei, 
abgesehen  davon  dass  sie  sich  die  Bedingungen  selbst  wählt,  etwas 
Yon  der  gewöhnlichen  Beobachtung  völlig  verschiedenes.  Auch  der 
experimentelle  Beobachter  kann  die  psychischen  Vorgänge  nicht  in 
dem  Moment,  in  dem  sie  eintreten,  auffassen  und  festhalten.  Das 
ist  für  den  physikalischen  Beobachter  ebenfalls  unmöglich.  Auf- 
nehmen und  Festhalten  sind  überall  zwei  Akte.  Rechenschaft  geben 
über  das  was  man  äusserlich  wahrgenommen  oder  innerlich  erlebt 
hat,  kann  man  sich  immer  erst  in  dem  Moment,  wo  das  Ereigniss 
selbst  schon  vorüber  ist.  In  dieser  Beziehung  unterscheidet  sich 
also  auch  die  innere  Wahrnehmung  des  experimentellen  Psycho- 
logen nicht  von  der  jedes  Anderen.  Aber  während  es  bei  der  ge- 
wöhnlichen inneren  Wahrnehmung  ganz  dem  Zufall  überlassen  bleibt, 
ob  sich  ein  Ereigniss  wiederholt,  und  ob  es  uns,  wenn  das  der  Fall 
ist,  in  der  geeigneten  Verfassung  vorfindet,  um  es  möglichst  schnell 
nachher  festzuhalten,  ist  dies  bei  der  experimentellen  Beobachtung 
in  unsere  Wahl  gestellt.  Und  eben  dies  ist  der  Punkt,  wo  sich  die 
experimentelle  Methode  in  der  Psychologie  zugleich  als  das  einzig 
mögliche  Hülfsmittel  psychologischer  Beobachtung  herausstellt.  Der 
Naturforscher  kann  zu  seinem  Object  beliebig  zurückkehren,  auch 
ohne  es  einer  experimentellen  Analyse  unterwerfen  zu  wollen.  Der 
Psychologe  aber  kann  zu  einem  unter  bestimmten  Bedingungen  be- 
obachteten inneren  Vorgang  nur  zurückkehren,  wenn  er  künstlich 
die  nämlichen  Bedingungen  wiederherstellt,  also  mit  Hülfe  der  experi- 
mentellen Methode. 

Es  bleibt  nun  schliesslich  noch  ein  letzter  Einwurf,  der  sich 
nicht  gegen  die  experimenteUe  Methode  an  sich,  sondern  nur  gegen 
die  Tragweite  richtet,  die  ihr  gegeben  wird,  wenn  ihr  Zweck  als 
ein  rein  psychologischer  betrachtet  wird,  —  ein  Einwurf  der 
in  der  That  in  der  allmählichen  Entwicklung  dieser  Methode  eine 
gewisse  Rechtfertigung  findet.  Da  man  nie  daran  denken  kann  mit 
rein  psychischen  Hülfsmitteln  zu  experimentiren,  sondern  physischer 
Einwirkungen  bedarf,  um  die  zu  beobachtenden  psychischen  Vor- 
gänge hervorzurufen,  sowie  physischer  Hülfsmittel,  um  ihre  körper- 
lichen Rückwirkungen  zu  beobachten,  so  kann  es  natürlich  in  diesem 
Sinne  nur  psychophysische  Experimente  geben.  Trotzdem  beruht 
die  Meinung,  dass  eben  darum  jedes  derartige  Experiment  nur  einem 


Allgemeine  Bedeutung  der  experimentellen  Methode  f&r  die  Psychologie.     177 

Uebergangsgebiet  zwischen  Physiologie  und  Psychologie,  nicht  dieser 
selbst  angehöre,  offenbar  auf  einer  Verwechslung  des  Httlfs mittels 
der  Untersuchung  mit  ihrem  Zweck.  Da  schon  in  dem  natürlichen 
Verlauf  der  Lebensvorgänge  physische  Einwirkungen  die  Bedingungen 
sind,  unter  denen  alle  unsere  psychischen  Erlebnisse  stehen,  sei  es 
unmittelbar,  indem  sie  direct  durch  jene  hervorgerufen  werden,  sei 
es  mittelbar,  indem  sie  sich  auf  weiter  zurückliegende  äussere  Ein- 
flüsse beziehen,  so  ist  ja  an  und  für  sich  nicht  daran  zu  denken, 
dass  der  psychologische  Experimentator  das  menschliche  Bewusstsein 
anders  beeinflussen  könnte,  als  die  Natur  selbst  es  beeinflusst.  Da 
aber  solche  Einwirkungen  hier  wie  dort  genau  im  selben  Sinne  ge- 
schehen, mit  dem  Endeffect  nämlich  die  psychischen  Vorgänge  selbst 
zu  Yerändem,  nur  im  einen  Falle  zufällig  und  unbestimmbar,  im 
andern  in  exact  geregelter  Weise,  so  ist  es  klar,  dass  jede  auf  diesem 
Wege  entstehende  experimentelle  Beeinflussung  eben  ein  psycho- 
logisches Experiment  in  der  einzigen  überhaupt  für  dasselbe  mög- 
lichen Form  ist*).  Ein  entscheidender  Grund  gegen  die  bei  jener 
Einschränkung  in  das  engere  Gebiet  der  so  genannten  „Psycho- 
physik*  dem  Experiment  angewiesenen  Grenzen  wird  sich  überdies 
noch  aus  der  Anwendung  des  Gausalprincips  auf  die  Psychologie 
ergehen.  Denn  dabei  wird  sich  zeigen,  dass  der  Begriff  einer  specifi- 
ächen  ,psychophysischen  Gausalität" ,  wie  man  ihn  in  jenem  Falle 
Toraussetzen  muss,  aus  logischen  wie  naturwissenschaftlichen  Gründen 
unhaltbar  ist.     (Vgl.  unten  S.  252.) 

Von  solchen  allgemeinen  Erwägungen  abgesehen  kommt  es 
jedoch  hier  wie  überall  auf  den  Erfolg  an.  Alle  allgemeinen  Gründe 
für  die  Möglichkeit  und  Nothwendigkeit  einer  experimentellen  Psycho- 
logie können  dieser  nicht  zum  Leben  verhelfen,  wenn  der  Versuch 
wirklich  psychologische  Experimente  auszuführen  und  durch  sie 
psychologische  Probleme  zu  lösen  misslingen  sollte ;  und  hinwiederum. 


*)  Da  nach  dem  Gesagten  die  Beeinflussung  der  psychischen  Vorgänge 
in  exact  zu  bestimmender  Form  und  die  dadurch  ermöglichte  ezacte  Selbst- 
beobachtung die  beiden  Kriterien  des  psychologischen  Ezperimentalverfahrens 
sind,  80  erhellt  ohne  weiteres,  dass  die  so  genannten  .hypnotischen  Experi- 
mente", die  man  zuweilen  ganz  besonders,  wenn  nicht  gar  ausschliesslich,  als 
«experimentelle  Psychologie'  betrachtet  hat,  eigentlich  überhaupt  nicht  in  das 
Gebiet  derselben  gehören.  Denn  bei  ihnen  fehlen  jene  beiden  Kriterien,  so- 
wohl die  exacte  Beeinflussimg  wie  die  exacte  Selbstbeobachtung,  vollständig. 
Vgl.  hierüber  meinen  Aufsatz:  Hypnotismus  und  Suggestion,  Phil.  Stud.  VIII, 
8.  62  ff.,  und  Physiol.  Psychol.  4.  Aufl.  I,  S.  9. 

Wandt,  Logik.  II,  2.    S.  Aufl.  22 


178  Logik  der  Psychologie. 

gelingt  dieser  Versuch,  so  werden  die  Zweifel  von  selbst  verstummen, 
und  was  in  so  manchen  andern  ähnlichen  Fällen  geschehen  ist,  wird 
auch  hier  geschehen:  was  man  zuerst  fOr  unmöglich  erklärt,  wird 
zunächst  unter  gewissen  Beschränkungen  zugelassen  und  zuletzt  für 
so  selbstverständlich  und  nothwendig  gehalten  werden,  dass  Niemand 
begreift,  wie  jemals  eine  andere  Meinung  existiren  konnte. 


d.    Die  Methoden  der  psychischen  Grössenmessung. 

Unter  dem  Begriff  der  psychischen  Grösse  können  wir  alle 
inneren  Erfahrungsinhalte  zusammenfassen,  bei  denen  irgend  welche 
gradweise  Unterschiede  vorkommen.  In  Wahrheit  trifft  nun  dies  für 
jeden  psychischen  Thatbestand  zu,  und  jeder  kann  daher  auch  prin- 
cipiell  als  Grösse  aufgefasst  werden.  Nicht  In  allen  Fällen  ist  eine 
Orössenbestimmung  Zweck  der  psychologischen  Untersuchung.  Wohl 
aber  kann  die  Ermittlung  des  Werthes  psychischer  Grössen  und 
ihres  Verhältnisses  zu  einander  als  die  elementarste  Aufgabe  einer 
exacten  psychologischen  Analyse  betrachtet  werden.  Denn  bei  ihr 
lässt  sich  von  allen  verwickelten  Zusammensetzungen  und  Wechsel- 
wirkungen der  psychischen  Gebilde  abstrahiren,  da  die  Eigenschaft 
eine  psychische  Grösse  zu  sein  jedem  beliebigen  durch  noch  so  weit 
gehende  Abstraction  gewonnenen  Bestandtheil  der  inneren  Erfahrung 
zukommt.  So  sind  die  „reinen  Empfindungen",  wie  Roth,  Blau,  ein 
Ton  u.  dergl.,  in  doppelter  Hinsicht  psychische  Grössen:  erstens 
weil  sie  eine  bestimmte  Intensität  besitzen  und  dadurch  in  eine 
Reihe  gradweiser  Abstufungen  der  Empfindungsstärke  sich  einreihen; 
und  zweitens  weil  sie  eine  bestimmte  Qualität  haben,  die  in  irgend 
einen  Zusammenhang  gradweise  verschiedener  Empfindungsqualitäten 
eingeht.  Ebenso  können  wir  an  einem  zweiten  Abstractionsproduct 
der  inneren  Erfahrung,  dem  einfachen  Gefühl,  Intensität  und  Qua- 
lität als  Eigenschaften  unterscheiden,  deren  jede  sich  einer  Reihe 
gradweiser  Abstufungen  einfügt.  Endlich  können  aber  auch  Zu- 
sammenordnungen von  Empfindungen  in  räumlicher  und  zeitlicher 
Form  in  Bezug  auf  diese  ihre  Ordnung  als  Grössen  aufgefasst 
werden,  indem  wir  die  vorgestellten  Grössenwerthe  der  Zeit-  oder 
Raumstrecken  vergleichen.  Auf  diese  Weise  sind  schliesslich  alle 
psychischen  Erfahrungsinhalte  theils  intensive  theils  extensive 
Grössen:  intensive  Grössen  sind  die  letzten  nicht  weiter  zerlegbaren 
Bewusstseinselemente,  die  einfachen  Empfindungen  und  Gefühle,  ex- 
tensive   Grössen    sind    die    einfachen    Zusammenordnungen    solcher 


Methoden  der  psychischen  Grössenmessung.  179 

Elemente.  Jede  dieser  Ghrössen  zerfällt  dann  wieder  in  zwei  Arten: 
die  intensive  in  den  Stärkegrad  und  in  die  Qualitätsstufe,  die 
extensive  in  die  zeitliche  und  die  räumliche  Strecke.  Dazu 
kommt  endlich  noch  als  eine  Eigenschaft  psychischer  Inhalte,  die 
bis  jetzt  bei  den  psychischen  Ghrössenmessungen  keine  nähere  Be- 
achtung gefunden  hat,  der  Klarheitsgrad  der  Vorgänge.  Er  ist 
als  solcher  eine  intensive  Grösse,  da  sich  die  Klarheitsgrade  einer 
Vorstellung,  eines  Gefühls  u.  dergl.  wiederum  in  eine  intensive  Reihe 
ordnen  lassen.  Indem  sich  aber  gegebene  psychische  Vorgänge  nach 
Massgabe  ihrer  relativen  Klarheit  von  einander  sondern,  entspringt 
aas  diesem  Verhältniss  die  grössere  oder  geringere  Deutlichkeit 
der  successiven  oder  simultanen  Unterscheidung  der  Vorgänge.  Wir 
können  daher  die  Klarheit  als  die  intensive,  die  Deutlichkeit  als 
die  extensive  Seite  des  Auffassungswerthes  der  Vorgänge  be- 
trachten. Alle  diese  psychischen  Grössen  sind  in  der  unmittelbaren 
Wahrnehmung  als  stetige  Grössen  gegeben,  indem  der  üebergang 
einer  bestimmten  Intensität,  Qualität  u.  s.  w.  in  eine  andere  um 
einen  endlichen  Werth  von  ihr  entfernte  continuirlich  durch  unend- 
lich kleine  Zwischenstufen  erfolgen  kann.  Dabei  kann  jedoch  die 
Anzahl  der  möglichen  stetigen  üebergangsrichtungen  oder  die  Di- 
mensionszahl eine  verschiedene  sein:  so  sind  die  Intensitätsgrade 
eines  qualitativ  unveränderlich  gedachten  Vorgangs  eindimensionale 
intensive  Grössen,  und  der  zeitliche  Verlauf  eines  solchen  Vorgangs 
ist  eine  eindimensionale  extensive  Gh-össe.  Dagegen  sind  z.  B.  die 
Lichtqualitäten  nur  in  einem  dreidimensionalen  intensiven  Gontinuum 
erschöpfend  zu  ordnen.  Wie  nun  die  Naturwissenschaft  alle  räum- 
lichen Messungen  schliesslich  auf  die  Messung  linearer  Strecken, 
also  auf  die  Abstraction  eines  linearen  Raumcontinuums  zurückführt, 
das  sie  zum  Zweck  der  Messung  mehrdimensionaler  Grössen  suc- 
cessiv  in  semer  Richtung  veränderlich  denkt,  so  reducirt  sich  auch 
alle  psychische  Grössenmessung  in  letzter  Instanz  immer  auf  ein- 
dimensionale Grössenvergleichungen.  Entspricht  in  dieser  Beziehung 
das  Massprincip  der  Psychologie  ganz  und  gar  dem  der  Naturwissen- 
schaft, so  entfernen  sich  nun  aber  beide  in  einem  andern  Punkte 
wesentlich  von  einander.  Die  Physik  reducirt  alle  ihre  Grössen  auf 
räumliche  Grössen  und  daher  auch  alle  Grössenmessungen  endgültig 
auf  eindimensionale  räumliche  Vergleichungen  (vgl.  Abschn.  III, 
Cap.  n  S.  403  ff.).  Die  Psychologie  dagegen  kann  an  sich  keine 
der  intensiven  oder  extensiven  Grössen,  mit  denen  sie  sich  beschäf- 
tigt, auf  eine  andere  zurückfuhren.     Intensität,  Qualität,  Klarheits- 


180  Logik  der  Psychologie. 

grad,  räumliche  und  zeitliche  Ausdehnung  u.  s.  w.  bilden  jedes  ein 
für  sich  bestehendes  Object  psychischer  Messung,  das  zwar  inner- 
halb seiner  eigenen  Gbittung  stets  eine  eindimensionale  Grösse  ist, 
ohne  dass  aber  eine  Reduction  irgend  eines  dieser  Bestandtheile  auf 
einen  andern  möglich  ist.  Hierin  kommt  schon  auf  diesem  elemen- 
tarsten Gebiet  der  Psychologie  der  Werth  der  qualitativen  Eigen- 
thümlichkeiten  des  psychischen  Geschehens  im  Gegensatze  zu  der 
einseitig  quantitativen  Betrachtung  der  theoretischen  Naturwissen- 
schaft zum  Ausdruck.  Es  fehlt  in  Folge  dessen  aber  natürlich  auch 
der  Psychologie  von  vornherein  die  Möglichkeit  einer  Verallgemeine- 
rung der  Masseinheiten,  wie  sie  der  physikalischen  Messung  eigen 
ist.  Doch  hindert  dies  nicht,  dass  die  Principien  hier  ebenso 
allgemeingültig  sind  wie  dort.  Denn  diese  Principien  sind  auch 
hier  von  der  besonderen  qualitativen  Eigenthümlichkeit  der  Phäno- 
mene ganz  unabhängig:  sie  gründen  sich  einzig  und  allein  darauf, 
dass  alle  psychischen  Elemente  und  ihre  Verbindungen,  wie  be- 
schaffen sie  im  übrigen  auch  sein  mögen,  stetig  veränderliche 
Grössen  sind,  deren  jede  sich  auf  eine  eindimensionale 
Grösse  zurückführen  lässt. 

Da  die  Hauptobjecte  psychischer  Grössenbestimmimgen  bis  jetzt 
die  durch  Abstraction  aus  dem  zusammengesetzten  psychischen  That- 
bestand  isolirten  einfachen  Empfindungen,  theils  ihre  Qualitäts-, 
theils  und  vorzüglich  aber  ihre  Intensitätsgrade  gewesen  sind,  wäh- 
rend Gefühle,  Elarheitsgrade  u.  s.  w.  noch  so  gut  wie  gar  nicht, 
die  zeitlichen  und  räumlichen  Eigenschaften  der  Vorstellungen  aber 
in  engem  Anschluss  an  die  für  die  Intensitätsmessungen  aufgefun- 
denen Principien  behandelt  wurden,  so  wird  es  zur  Vereinfachung 
dienen,  wenn  auch  im  Folgenden  die  Empfindungsmessung,  xmi 
zwar  speciell  als  der  einfachste  Fall  die  Intensitätsmessung,  der  Er- 
örterung der  Methoden  zu  Grunde  gelegt  wird.  Doch  sei  ausdrück- 
lich bemerkt,  dass  dieser  Fall  durchaus  nur  als  ein  Beispiel  zu 
betrachten  ist,  nach  dessen  Analogie  im  Princip  alle  psychischen 
Inhalte  behandelt  werden  können.  In  diesem  Sinne  können  daher 
die  Methoden  ganz  allgemein  als  solche  der  ,  psychischen  Grössen- 
messung**  bezeichnet  werden. 

Statt  dieses  Ausdrucks  pflegt  in  der  neueren  Psychologie  ein 
anderer,  nämlich  der  der  „psychophysischen  Methoden*,  gebraucht 
zu  werden.  Da  dieser  Name  von  dem  hochverdienten  Begründer 
dieser  Methoden,  von  Fechner  selbst  herrührt  und  nunmehr  durch 
langen  Gebrauch  sich  eingebürgert  hat,  so  würde  es  wünschenswerth 


Methoden  der  psycbiBchen  GrösGienmessung.  181 

sein  an  ihm  festzuhalten,  wenn  nicht  in  diesem  Fall  der  Name  zu- 
gleich ein  Missverständniss  mit  sich  führte,  welches  die  Auffassung 
der  Bedeutung  der  Methoden  und  damit  der  experimentellen  Psycho- 
logie überhaupt  zu  trüben  geeignet  ist.  Da  nämlich  Fe  ebner  unter 
^Psychophysik^  eine  Disciplin  verstand,  die  sich  mit  der  exacten 
Feststellung  der  Wechselbeziehungen  zwischen  Körper  und  Seele 
beschäftige,  so  nahm  er  auch  in  den  Begriff  der  ,psychophysischen 
Methoden^  diese  Aufgabe  herüber:  sie  waren  ihm,  im  Sinne  des  oben 
gekennzeichneten  zweiten  Stadiums  in  der  Entwicklung  der  experi- 
mentellen Psychologie,  Methoden  zur  Feststellung  der  körperlich- 
seelischen Wechselbeziehungen,  also  psychophysische,  nicht  psycho- 
logische Methoden  im  eigentlichsten  Sinne  des  Worts.  Weil  nun 
die  psychischen  Zustände  an  und  für  sich  keiner  Messung  zugäng- 
lich sind,  80  schrieb  er  dem  äusseren  Reiz  die  Bedeutung  eines 
Massstabes  für  die  psychischen  Zustände,  die  Empfindungen  zu. 
Er  nennt  so  den  Reiz  das  „Massmittel*'  der  Empfindung  und  yer- 
gleicht  ihn  der  Elle,  die  wir  an  irgend  eine  räumliche  Strecke  an- 
legen*). Nun  ist  sich  zweifellos  Fechner  selbst  schon  darüber 
vollkommen  klar  gewesen,  dass  Empfindungen  nur  an  Empfindungen, 
unmöglich  aber  an  irgend  welchen  physischen  Vorgängen  gemessen 
werden  können**).  Doch  seine  Ausführungen  lassen  nicht  nur  dies 
Missverständniss  leicht  aufkommen,  sondern  man  muss  sogar  zu- 
geben, dass  es  durch  die  „psychophysische*  Ansicht  von  dem  Zweck 
der  Empfindungsmessungen  nahe  gelegt  wird  und  eben  deshalb  wohl 
noch  heute  nicht  ganz  verschwunden  ist.  In  Wahrheit  kann  es  aber 
nicht  dem  geringsten  Zweifel  unterworfen  sein,  dass  der  Reiz  weder 
als  der  Massstab  noch  auch  eigentlich  als  das  Massmittel  der  Em- 
pfindung betrachtet  werden  kann,  weil  auch  der  letztere  Ausdruck 
den  Gedanken  erwecken  muss,  der  Reiz  selbst  sei  ein  Hülfsmittel, 
mit  dem  man  die  Empfindung  misst.  Auch  darauf  hat  er  jedoch 
keinen  Anspruch,  sondern  Empfindungen  kann  man  immer  nur  mit 
Empfindungen,  und  zwar  ausschliesslich  mit  Empfindungen  gleicher 
Art  messen,  d.  h.  mit  solchen  die  genau  der  Massdimension  an- 
gehören innerhalb  deren  man  die  Vergleichung  vornimmt,  also  z.  B. 
den  Intensitäten  einer  und  derselben  Qualität.    Selbst  der  gelegent- 


*)  Fechner,   Elemente   der  Paychophygik,   I,  S.  57.    Vgl.   dazu    auch 
Alfr.  Köhler,  Phü.  Stud.  III,  S.  576  und  L.  Lange,  ebend.  X,  S.  126  ff. 

**)  Vgl.  namentlich  die  wichtige  letzte  Abhandlung  Fechners  über  den 
Geg«iiitand,  Phü.  Stud.  IV,  S.  179  ff. 


182  Logik  der  Psychologie. 

lieh  aufgetauchte  Versuch,  direct  Empfindungen  ganz  verschiedener 
Qualität  an  einander  zu  messen,  ist  daher  verfehlt:  er  verstösst 
gegen  den  in  der  Psychologie  so  gut  wie  in  der  Physik  gOliigen 
Grundsatz,  dass  directe  Vergleichungen  stets  nur  innerhalb  einer 
und  derselben  Dimension  vorgenommen  werden  können,  ein  Grund- 
satz der  allerdings  in  der  Physik  wegen  der  Gleichartigkeit  der 
räumlichen  Dimensionen  eine  beliebige  üebertragung  der  innerhalb 
einer  gegebenen  Dimension  vorgenommenen  Messungen  auf  eine 
andere  gestattet,  in  der  Psychologie  aber  wegen  der  Ungleichartig- 
keit  der  psychischen  Grössen  ausgeschlossen  ist.  Der  äussere  Reiz 
ist  demnach  bei  jeder  Messung  psychischer  Grössen  lediglich  ein 
Hülfsmittel,  das  wir  anwenden,  um  in  genau  vorher  zu  bestimmen- 
der Weise  Empfindungen  hervorzurufen,  die  dann  an  einander 
gemessen  werden  können.  Die  Masseinheit  bleibt  daher  bei  aUen 
hier  anzuwendenden  Massmethoden  von  einer  bestimmten,  von  uns 
leicht  wieder  aufzufindenden  Grösse,  und  eine  gegebene  Empfindung 
kann  immer  nur  durch  die  Vergleichung  mit  einer  andern  Empfin- 
dung von  bekannter  Grösse,  niemals  aber  durch  die  Vergleichung 
mit  der  ihr  ganz  heterogenen  Reizgrösse  gewonnen  werden.  Während 
also  z.  B.  bei  der  physikalischen  Messung  einer  i^umlichen  Grösse 
die  Masseinheit  dem  Massstab  entnommen  und  die  zu  messende 
Grösse  durch  die  Vergleichung  mit  der  Anzahl  der  Einheiten  des- 
selben gemessen  wird,  besteht  die  Rolle  des  äusseren  Reizes  bei  der 
psychischen  Grössenmessung  darin,  dass  dieser  es  uns  möglich  macht, 
die  Empfindungen  willkürlich  so  abzustufen,  dass  sie  an  einander 
messbar  sind.  Er  würde  darum  eher  der  Hand  dessen  der  den  Mass- 
stab anlegt  als  diesem  Massstab  selber  verglichen  werden  können. 
Deshalb  ist  es  nicht  minder  unzutreffend,  wenn  man  etwa  das  Ver- 
hältniss  von  Reiz  und  Empfindung  bei  der  Empfindungsmessung  zu 
dem  von  Raum  und  Zeit  bei  der  Zeitmessung  in  Parallele  bringt. 
Physikalisch  wird  die  Zeit  mit  dem  Raum  gemessen,  indem  sie  selbst 
als  eine  Raumgrösse  betrachtet,  indem  also  einer  Zeitstrecke  eine 
räumliche  Strecke  substituirt  wird.  Denn  der  zeitliche  Verlauf 
aller  Naturvorgänge  wird  schliesslich  auf  die  gleichförmige  und  bei 
jeder  Wiederholung  gleichbleibende  Geschwindigkeit  einer  Bewegung 
von  der  Grösse  der  als  Masseinheit  dienenden  Raurostrecke  zurück- 
geführt. Die  Zeitmessung  ist  also  eine  Raummessung  mit  einer 
hinzugedachten  begrifflichen  Forderung,  welche  auf  die  Gonstanz  der 
Naturvorgänge  gegründet  ist.  Genau  im  selben  Sinne  werden  dann 
auch  die  Kraft-   und  Energiemasse   der  Naturwissenschaft  auf  die 


Methoden  der  psychischen  Grössenmessung.  183 

Messung  räumlicher  Längen  und  Winkel  reducirt.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  490 
and  Bd.  II,  Abschn.  lU,  S.  403  ff.)  Alle  Massbestimmungen  auf 
diesem  Gebiete  beruhen  daher  auf  der  Messung  von  Gleichem 
an  Gleichem,  und  sie  erreichen  dies  durch  die  ZurückfQhrung 
aller  andern  Grössen  auf  räumliche  Grössen,  die  durch  die  absolute 
Constanz  der  Eigenschaften  des  Raumes  und  durch  die  beliebige 
Uebertragbarkeit  der  Massstäbe  von  einem  Ort  an  den  andern  diesem 
Bedürfhisse  auf  das  vollkommenste  genügen. 

Gegenüber  dieser  räumlichen  Messung  beruhen  nun  die  Schwie- 
rigkeiten der  psychischen  Messung  wesentlich  darauf,  dass  die 
Gegenstände  derselben  veränderliche  Vorgänge  sind,  die  sich  in 
keinem  Augenblick  fixiren  und  von  einem  Zeitpunkt  auf  einen  andern 
beliebig  entfernten  oder  gar  von  einem  individuellen  Bewusstsein 
aaf  ein  anderes  übertragen  lassen.  Die  Feststellung  eines  absoluten 
Ma^es,  welches  stets  feste  und  übertragbare  Massstäbe  voraussetzt, 
ist  also  hier  von  vornherein  ausgeschlossen.  Nicht  minder  ist  aber 
eine  ZurückfÜhrung  von  Grössen  einer  bestimmten  Art  auf  solche 
einer  andern  Art,  wie  sie  auf  physikalischem  Gebiete  zu  jener  Be- 
duction  aller  Grössen  auf  räumliche  Grössen  geführt  hat,  auf  psychi- 
schem unmöglich.  Man  kann  ebenso  wenig  Gefühls-  in  Empfindungs- 
werthen  wie  Empfindungswerthe  einer  bestimmten  Qualität  in  denen 
einer  andern  ausdrücken,  ja  man  kann  nicht  einmal  die  Empfindungs- 
starke irgend  einer  Sinnesqualität  mit  der  einer  andern  exact  ver- 
gleichen. Wo  man  im  letzteren  Fall  etwa  eine  solche  Vergleichung 
glaubt  ausführen  zu  können,  da  sind  es  zweifellos  secundäre  Wir- 
kungen der  Empfindung  auf  das  Bewusstsein,  die  zu  solcher  Meinung 
Anlass  geben.  In  diesem  Sinne  wird  man  ja  sagen  können,  dass 
ein  starker  Schall  eine  sickere  Empfindung  sei  als  ein  sehr  schwacher 
Lichteindruck.  Aber  dabei  werden  doch  nicht  eigentlich  Schall-  und 
Licbtempfindung  selbst  verglichen,  sondern  die  Wirkungen  die  sie 
auf  das  Bewusstsein  ausüben,  und  die  sich  in  Empfindungen  oder 
Gefühlen  verrathen,  bei  denen  die  Forderung  der  Einordnung  in  eine 
Dimension  wieder  erfüllt  sein  kann. 

Aus  diesen  Verhältnissen  ergeben  sich  zwei  allgemeine  Regeln 
psychischer  Grössenbestimmung,  die  zu  der  Forderung  der  Reduc- 
tion  der  physischen  Grössen  auf  Raumgrössen  in  diametralem  Gegen- 
satze stehen :  1)  Psychische  Grössen  sind  nur  unter  der  Voraussetzung 
exact  vergleichbar,  dass  sie  in  annähernd  unmittelbarer  Suc- 
eession  und  bei  sonst  gleichbleibendem  Bewusstseins- 
zuBtand  der  Beobachtung  dargeboten  werden.     Darin  liegt  schon 


/ 


]^g4  Logik  der  Psychologie. 

ausgedrückt,  dass  nur  auf  experimentellem  Wege  zuverlässige  psy- 
chische Grössenbestimmungen  möglich  sind,  da  natürlich  auf  andere 
Weise  die  geeignete  Succession  nicht  hervorgebracht  werden  kann. 
Wie  übrigens  der  sonstige  constante  Bewusstseinszustand  zu  wählen, 
welche  Dauer  und  Schnelligkeit  der  Succession  den  Vorgängen  zu 
geben  sei,  das  ist  natürlich  Sache  der  speciellen  empirischen  Er- 
mittelungen. 2)  Psychische  Grössenbestimmungen  können  immer 
nur  innerhalb  einer  und  derselben  Dimension  stattfinden,  so  also 
dass  sich  das  Vergleichungsurtheil  nur  auf  Veränderungen  dieser 
einen  Dimension  bezieht.  Solche  einfache  Dimensionen  bilden  z.  B. 
die  Intensitäten  einer  Empfindung  bei  gleich  bleibender  Qualität 
oder  eine  Reihe  stetig  in  nur  einer  Richtung  abgestufter  Qualii^ten 
bei  gleich  bleibender  Intensität  u.  s.  w. 

Da  nun  die  erste  dieser  Regeln  die  üebertragung  von  Mass* 
einheiten  völlig  ausschliesst,  und  da  überdies  wegen  der  nie  ganz 
zu  erfüllenden  Forderung  des  constant  bleibenden  Bewusstseins- 
zustandes  die  einzelne  Grössenbestimmung  niemals  die  Sicherheit 
erreichen  kann,  die  im  allgemeinen  bei  physischen  Messungen  mög- 
lich ist,  so  treten  hierzu  noch  die  beiden  folgenden  Hülfsregeln: 
3)  Die  Gewinnung  exacter  ürtheile  über  Grössen  Verhältnisse  und 
Grössenunterschiede  ist  nur  dann  möglich,  wenn  solche  Verhältnisse 
oder  Unterschiede  ein  bestimmtes  und  eindeutiges  ürtheil  zu- 
lassen. Dieses  setzt  aber  wieder  voraus,  dass  gewisse  ausgezeich- 
nete Fälle  solcher  Grössenverhaltnisse  mittelst  der  experimentellen 
Bedingungen  hergestellt  werden.  Ein  ausgezeichneter  Fall  dieser 
Art  ist  z.  B.  die  Gleichheit  zweier  Empfindungen,  ein  anderer  der 
minimale  (kleinstmerkliche)  Unterschied,  ein  dritter  die  Mitte  einer 
Empfindungsstrecke,  als  deren  Endpunkte  zwei  gegebene  Empfin- 
dungen betrachtet  werden,  u.  s.  w.  4)  Zur  Gewinnung  endgültiger 
Ergebnisse  über  die  Verhältnisse  psychischer  Grössen  ist  stets  die 
Combination  vieler  einzelner  Grössenbestimmungen  erforderlich,  bei 
deren  Ausführung  auf  die  Ausgleichung  der  aus  der  wechselnden 
Bewusstseinslage  und  den  wechselnden  äusseren  Bedingungen  ent- 
springenden Schwankungen  Bedacht  zu  nehmen  ist.  Statistische 
Sammlung  von  Beobachtungen  und  die  Anwendung  der  Methoden 
der  Fehlerelimination  in  den  durch  den  besonderen  Charakter  der 
Untersuchung  bestimmten  Formen  werden  daher  ein  Erfordemiss 
psychischer  Messungen,  ein  unerlässlicheres  als  sie  es  im  allgemeinen 
bei  den  physikalischen  Messungen  sind. 

Diese  Bedingungen  der  psychischen  Messung  haben  nun   zur 


Methoden  der  psychischen  Grössenmessung.  185 

Attsbildnng  zweier  Classen  von  Massmethoden  geführt,  von  denen 
die  ersten  als  die  directen  oder  auch  nach  dem  dabei  angewandten 
Verfahren  als  die  Einstellungsmethoden,  die  zweiten  ab  die 
indirecten  oder  als  die  Abzählungsmethoden  bezeichnet  werden 
können.  Die  Einstellungsmethoden  sind  ihrem  Princip  nach  durchaus 
der  gewöhnlichen  physikalischen  Grössenmessung,  z.  B.  der  directen 
Messung  einer  Raumstrecke,  verwandt.  Sie  unterscheiden  sich  nur 
dadurch,  dass  man  nicht  beliebige  Grössenwerthe  sondern  nur  aus- 
gezeichnete der  oben  erwähnten  Art  mit  einander  vergleicht.  Die 
Abzahlungsmethoden  dagegen  sind  für  die  psychische  Grössenmessung 
durchaus  charakteristisch.  Ihre  Existenz  beruht  wesentlich  darauf, 
dass  auf  psychischem  Gebiet  nur  gewisse  ausgezeichnete  Werthe 
messbar  sind,  und  dass  demnach  natürlich  neben  ihnen  noch  eine 
unendliche  Zahl  unbestimmter  Grössenverhältnisse  existirt.  Demnach 
ermitteln  die  Abzählungsmethoden  nicht  direct  die  ausgezeichneten 
Werthe,  sondern  indirect,  indem  sie  eine  grössere  Anzahl  von  Fällen 
herstellen,  die  in  irgend  einer  Weise  das  Gebiet  eines  ausgezeichneten 
Werthes  umgeben.  Diese  Fälle  werden  in  gewisse  Gruppen  ein- 
getheilt,  deren  jeder  ein  ürtheil  entspricht^  das  sich  demnach  nicht 
selbst  auf  einen  bestimmten  ausgezeichneten  Werth  sondern  auf  eine 
Vielheit  in  ihrer  concreten  Grösse  unbestimmter  Werthe  bezieht,  die 
jedoch  durch  eine  dem  Urtheil  zu  Grunde  liegende  willkürliche  Con- 
vention in  gewisse  Grenzen  eingeschlossen  sind.  Mittelst  der  Ab- 
zahlung der  so  in  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen  gewonnenen 
Urtheile  yerschiedener  Art  wird  dann  erst  die  wahrscheinliche  Lage 
der  gesuchten  ausgezeichneten  Werthe  bestimmt.  Das  Verfahren 
ist  demnach  hier  ein  statistisches.  Es  ist  nicht  bloss  durch  das 
Abzahlungsrerfahren ,  sondern  auch  durch  die  willkürliche  Be- 
grenzung der  Fälle  der  Statistik  der  Massenerscheinungen  ver- 
wandt; aber  da  hier  die  Statistik  im  Dienste  der  experimentellen 
Methode  steht,  so  unterscheidet  es  sich  dadurch,  dass  nicht  bloss 
die  Feststellung  der  Gruppen  sondern  auch  die  der  Bedingungen, 
welche  die  einzelnen  Fälle  entstehen  lassen,  vollkommen  eine  Sache 
freier  Wahl  ist. 

Die  Einstellungsmethoden  lassen  sich  nach  den  oben 
unterschiedenen  drei  Classen  ausgezeichneter  Grössenwerthe  in  drei 
Hauptmethoden  unterscheiden:  1)  Die  Methode  der  Gleich- 
einstellung (gewöhnlich  Methode  der  mittleren  Fehler  genannt). 
Bei  ihr  wird  zu  einem  gegebenen  Reize  A  ein  zweiter  B  so  ab- 
gestuft,  dass   die  beiden  Empfindungen  einander  gleich  erscheinen. 


188  Logik  der  Psychologie. 

stellenden  und  in  ihren  Eigenschaften  naher  zu  charakterisirenden 
Anzahl  variiren.  Doch  bildet  die  Anwendung  von  drei  Urtheils- 
arten  wegen  ihres  nahen  Zusammenhangs  mit  den  allgemeinen  Eigen- 
schaften der  Grösseneintheilung  einen  besonders  bemerkenswerthen 
Fall.  Bei  allen  diesen  Metboden  entspricht  einer  bestimmten  Ur- 
theilsart  eine  bestimmte  Strecke  innerhalb  des  Continuums  der- 
jenigen Empfindung  £,  die  mit  einer  andern  eben  vorausgegangenen 
oder  sofort  nachfolgenden  Empfindung  A  verglichen  wird.  Indem  man 
die  verschiedenen  Abstufungen  der  Empfindung,  die  innerhalb  einer 
solchen  Strecke  möglich  sind,  unberücksichtigt  lässt,  wird  bloss  die 
Anzahl  der  ürtheile  abgezählt,  die  auf  jede  der  Strecken  fällt,  worauf 
dann  aus  der  relativen  Frequenz  der  verschiedenen  ürtheile  auf  die 
wahrscheinliche  Lage  der  für  die  Grössenvergleichung  massgebenden 
ausgezeichneten  Punkte  innerhalb  der  untersuchten  Dimension  der 
Empfindungen  geschlossen  wird.  Während  demnach  die  Einstellongs- 
methoden  unmittelbar  approximative  Werthe  der  ausgezeichneten 
Punkte  ergeben,  zu  deren  genauerer  Feststellung  dann  erst  Fehler- 
eliminationen,  die  den  allgemein  bei  Messungen  üblichen  ähnlich 
sind ,  erfordert  werden ,  sind  bei  den  Abzählungsmethoden  die 
ausgezeichneten  Punkte  selbst  von  vornherein  nur  auf  Grund  von 
Erwägungen  zu  gewinnen,  bei  denen  man  die  allgemeinen  Principien 
anwendet,  welche  die  Wahrscheinlichkeitstheorie  für  die  Abhängig- 
keit der  Anzahl  der  Fehlurtheile  von  der  Grösse  der  Fehler  aufstellt. 
Dabei  führt  nun  jene  willkürliche  Convention  über  die  anzuwendenden 
ürtheilsgruppen  immer  zugleich  besondere  Bedingungen  der  Beob- 
achtung herbei ;  denn  diese  müssen  natürlich  von  vornherein  so  be- 
schaffen sein,  dass  sich  die  gewünschten  Gruppen  ergeben.  Dem- 
nach ist:  1)  die  Methode  der  zwei  Fälle  dadurch  ausgezeichnet, 
dass  bei  ihr  die  eine  Empfindung  in  Bezug  auf  die  andere,  mit  der 
man  sie  vergleicht ^  überhaupt  nur  in  zwei  Strecken  getheilt  wird. 
Diese  einfachste  Theilung  ist  aber  nur  dann  ungezwungen  anwend- 
bar, wenn  ein  neutrales  mittleres  Gebiet  zwischen  den  zwei  unter- 
schiedenen Strecken  nicht  existirt.  Dies  kann  nun  wieder  unter 
zwei  sehr  verschiedenen  Bedingungen  vorkommen :  erstens  wenn  der 
Unterschied  der  zwei  Empfindungen  A  und  B  so  gross  ist,  dass  er 
bei  einer  normalen  gleichmässigen  Spannung  der  Aufmerksamkeit 
nur  die  zwei  ürtheile  A  =  B  und  B>  A  ergibt  (Gleichheits-  und 
üngleichheitsfälle:  g  und^);  und  zweitens  wenn  der  unterschied  sehr 
klein  ist,  wahrend  zugleich  die  Aufmerksamkeit  stark  angespannt 
wird,  so  dass  nur  die  zwei  ürtheile  A^  B  oder  A<CB  vorkommen 


Methoden  der  psychiBchen  Grössenmessusg.  189 

(positive  und  negative  Fälle:  p  und  ^)*),  Beidemal  besitzen  die 
Resultate  offenbar  eine  verschiedene  Bedeutung.  2)  Die  Methode 
der  drei  Fälle  (gewöhnlich  Methode  der  richtigen  und  falschen 
Fälle  genannt)  ist  deshalb  die  allgemeinste,  weil  sie  den  drei  all- 
gemeinen Kategorien  der  Orössenvergleichung  „gleich*^,  «grösser*^ 
und  «kleiner*,  wie  sie  ohne  nähere  quantitative  Bestimmungen  ge- 
wonnen werden  können,  entspricht.  Wo  man  in  einer  sehr  grossen 
Anzahl  von  Fällen  zwei  Empfindungen  von  hinreichend  kleinem 
Unterschied  mit  einander  vergleicht,  wird  man  daher  in  der  Regel 
Uriheile  dieser  drei  Arten  erhalten.  Nimmt  man  nun  die  Em- 
pfindung Ä  als  die  Grösse,  an  der  B  gemessen  wird,  so  lassen 
sich  die  Urtheile  B  > -4  als  positive,  J3  <C  ^  als  negative,  und 
endlich  B  =  Ä  als  Oleichheiisurtheile  (p,  n  und  g)  bezeichnen*'"). 
3)  Bline  Methode  der  mehrfachen  Fälle  liesse  sich  gewinnen, 
wenn  man  von  den  drei  bei  der  vorigen  Methode  unterschiedenen 
Criheilsclassen  jp,  g  und  n  die  erste  und  die  letzte  in  mehrere  Glassen 
zerlegte,  also  etwa  p  in  die  drei  Classen  jp^,  i?^,  jPg,  n  in  «j,  ng,  n^. 
Zu  einer  solchen  Eintheilung  kann  sich  schon  bei  der  Vergleichung 
zweier  Empfindungen  A  und  £,  die  einem  constant  bleibenden  Reiz- 
unterschied entsprechen,  Veranlassung  bieten,  falls  in  zahlreichen 
Beobachtungen    das  ürtheil  A>  B  bald   ein   deutlich   grösser  bald 

*)  Jul.  Merkel,  dem  wir  die  Ausbildung  dieser  Methode  verdanken, 
bezeichnet  sie  als  die  «Methode  der  Gleichheits-  und  üngleichheitsMle'.  Da 
&ber,  wie  Merkel  selbst  später  entwickelt  hat,  die  Methode  nicht  bloss  für  die 
zwei  Fälle  A  =  B  und  B'^A,  sondern  auch  für  die  andern  A';>B  und  A<CB 
anwendbar  ist  (PhiL  Stud.  FV,  S.  257,  VII,  S.  606  ff.) ,  so  scheint  mir  die  oben 
gewählte  allgemeine  Bezeichnung  die  passendere  zu  sein.  Hiemach  zerföllt  die 
Methode  in  zwei:  in  die  der  Gleichheits-  und  üngleichheitsfälle  und  in  eine 
solche  der  positiven  und  negativen  Fälle. 

**)  Der  Name  , Methode  der  richtigen  und  falschen  Fälle'  (oder  der  r- 
ond  f'FUle),  der  fQr  dieses  Verfahren  üblich  ist,  beruht  auf  einer  Vermengung 
der  Empfindnngsmessung  mit  der  Reizmessung,  welche  vielfach  verwirrend  ge- 
wirkt hat  und  daher  verlassen  werden  sollte.  Nicht  darauf,  ob  die  Urtheile 
mit  fificksicht  auf  die  den  Empfindungen  entsprechenden  Reize  wahr  oder  falsch 
snd,  kommt  es  an,  sondern  darauf,  ob  sich  die  eine  Empfindung  in  positiver 
oder  in  negativer  Richtung  von  der  andern  entfernt  oder  ihr  gleich  geschätzt 
wird.  Diese  Fälle  können  ebenso  gut  eintreten,  wenn  die  zwei  Reize,  die  die 
Empfindungen  hervorrufen,  verschieden,  als  wenn  sie  gleich  sind :  in  dem  letzteren 
Fall  würden  aber  eigentlich  alle  positiven  und  negativen  Urtheile  falsch  sein. 
Da  die  Reize  nur  das  Hüffsmittel  der  psychischen  Messung  sind,  nicht  das 
Meaaungsobject,  so  sollte  man  die  Ausdrücke  , richtig"  und  «falsch'*  ebenso  ver- 
meiden, wie  der  früher  gebrauchte  Name  der  „zweifelhaften  Fälle*  schon  ziem- 
lich allgemein  in  den  der  Gleichheitsfalle  übergegangen  ist. 


190  Logik  der  Psychologie. 

ein  eben  merklich  grösser  und  ebenso  Ä<.  B  bald  ein  deutlich 
kleiner  bald  ein  eben  merklich  kleiner  bedeutet.  Noch  bestimmter 
werden  sich  aber  solche  Unterschiede  ausprägen,  wenn  man  in  den 
yerschiedenen  Beobachtungen  den  einen  dem  Ä*  entsprechenden  Reiz 
constant  lässt,  den  andern  dem  B  entsprechenden  in  kleinen  Inter- 
vallen unregelmässig  variirt,  so  dass  Ä  nicht  mit  einer  Empfindung  B, 
sondern  mit  verschiedenen  B,,  £,,  B^,  die  sämmtlich  innerhalb  der 
Strecke  sehr  kleiner  Unterschiede  liegen,  verglichen  wird.  Ein 
solches  Versuchsverfahren  würde  demnach  die  Bestimmung  mehrerer 
ausgezeichneter  Empfindungswerthe  zulassen ;  doch  ist  dasselbe  noch 
nicht  experimentell  angewandt  worden  **"). 

Die  bisher  erörterten  Abzählungsmethoden  entsprechen  sämmt- 
lich den  zwei  ersten  Einstellungsmethoden,   insofern  sich  bei  ihnen 
die  Zählungen  der  Urtheile  überall  auf  Empfindungsstrecken  beziehen, 
die   in   die  Region   der  Gleicheinstellung  und  der  Einstellung  mini- 
maler Unterschiede  fallen.     Es  lassen  sich  nun  aber  die  gleichen 
Principien   ohne  weiteres  auch  auf  die  Vergleichung  grösserer  Em- 
pfindungsstrecken   übertragen,    sobald    man    die    Beobachtung    auf 
mehrere   um    bestimmte   endliche   Werthe    entfernte  Empfindungen 
ausdehnt.     So  kann  man  z.  B.   eine  Strecke   AD  durch    eine   der 
Mitte  zwischen  A  und  D  nahehin  entsprechende  Empfindung  C  ein- 
theilen,   in  einer  grossen  Anzahl  von  Fällen  bestimmen,   wie  oft  C 
als  über  der  Mitte,   unter  ihr  und  in  der  Mitte  liegend  aufgefasst 
wird  und  die  so  gewonnenen  Zahlen  nun  analog  den  Grössen  p^   n 
und  g  bei   der  Methode   der  drei  Fälle  behandeln.     Führt  man  die 
Beobachtungen  bei  mindestens  zwei  Zwischenempfindungen  B  und  C 
aus,  so  lässt  sich  daraus  die  wirkliche  Empfindungsmitte  berechnen**). 
Das  nämliche  Verfahren  würde  sich  aber  auch  auf  das  allgemeinere 
Problem  der  Vergleichung  zweier  um  einen  endlichen  Werth  von  ein- 
ander entfernter  Empfindungsstrecken  A  B  und  CD  übertragen  lassen. 

Die  Abzählungsmethoden  haben  gegenüber  den  Einstellungs- 
methoden den  Vorzug,  dass  sie  die  sicherste  Bestimmung  der  Ge- 
nauigkeit der  Empfindungsmessung  zulassen.    Denn  das  Mass  dieser 


*)  Dagegen  hat  H.  Bruns  seine  werthvollen  theoretischen  Erörterungen 
über  die  Abzählangsmethoden  allgemein  genug  gehalten,  dass  sie  auch  diesen 
allgemeinsten  Fall  mit  einschh'essen.  (Phil.  Stud.  IX,  S.  1  ff.)  Ohne  Zweifel  würde 
es  übrigens  zweckmässig  sein,  zugleich  mit  dieser  Methode  die  ihr  parallel 
gehende,  oben  erwähnte  Methode  der  Einstellung  mehrfacher  minimaler  Unter- 
schiede auszubilden. 

**)  Jul.  Merkel,  Phil.  Stud.  VII,  S.  613  ff. 


Methoden  der  psychischen  GrÖssenmessung.  191 

Genauigkeit,  das  in  dem  nach  dem  Gesetz  der  wahrscheinlichen 
Fehlerrertheilung  berechneten  ,,Präcisionsmass'  der  Beobachtungen 
gewonnen  wird,  ist  wegen  der  Art  der  Ausführung  der  Beobachtungen 
von  .wissentlichen*  Einflüssen,  wie  Erwartung,  Eenntniss  der  Rich- 
tung der  Veränderungen,  am  unabhängigsten  oder  kann  wenigstens 
leicht  von  ihnen  unabhängig  gemacht  werden,  während  bei  den  ent- 
sprechenden Grössen  der  Einstellungsmethoden,  dem  reinen  variablen 
Fehler  bei  der  Gleicheinstellung  und  dem  wahrscheinlichen  Fehler 
bei  der  Einstellung  minimaler  Unterschiede,  dies  nicht  immer  zutrifft. 
1)^^611  haben  die  Abzählungsmethoden  den  Nachtheil,  dass  bei 
ihnen  die  Gewinnung  ausgezeichneter  Werthe,  insbesondere  also 
der  s.  g.  ünterschiedsschwellen,  sowie  des  aus  dem  reinen  constanten 
Fehler  bei  den  Einstellungsmethoden  klar  und  einfach  sich  ergebenden 
Schätzungswerthes  der  Empfindungen,  mit  grösseren  Schwierigkeiten 
verbunden  ist.  Am  einfachsten  gestaltet  sich  in  dieser  Beziehung 
die  Methode  der  zwei  Fälle,  bei  der  sich  zugleich  die  beiden  oben 
erwähnten  Unterarten  der  Fälle  p  und  g  und  der  Fälle  p  und  n  zur 
Bestimmung  jener  beiden  ausgezeichneten  Werthe  ergänzen,  indem 

das  Verfahren  p  und  g  für  den  Punkt  p  =z g  =i—  m  (wenn  wir  mit 

m   die  Gesammtzahl  aller  Urtheilsfdlle  bezeichnen)   den  Schwellen- 

werth,   das  Verfahren  p  und  n   aber  für   den  Punkt  p=z  n  =z  —  m 

den  Schätzungswerth  ergibt,  d.  h.  denjenigen  Werth,  bei  welchem 
die  Empfindung  B,  auf  die  sich  die  Vorzeichen  -f-  und  —  der  Ur- 
theile  beziehen,  der  Empfindung  A  gleichgeschätzt  wird.  Dagegen 
bieten  bei  der  Methode  der  drei  Fälle  die  Gleichheitsfalle  Schwierig- 
keiten. Man  sucht  dieselben  zu  umgehen,  indem  man  die  den  g 
entsprechende  Empfindungsstrecke  bestimmt  und  dann  die  auf  die 
obere  Hälfte  der  Strecke  fallenden  g  den  p^  die  auf  die  untere  Hälfte 
fallenden  den  n  zuweist.  Dies  vorausgesetzt  lassen  sich  zwei  aus- 
gezeichnete Punkte  gewinnen,  wenn  man  mit  Hülfe  des  Gesetzes  der 
Fehlervertheilung  erstens  den  Empfindungswerth,  bei  dem  die  Urtheile 
p  und  g,  und  zweitens  denjenigen,  bei  dem  die  Urtheile  n  und  g 
gleiche  Wahrscheinlichkeit  haben,  ermittelt.  Diese  Werthe  ent- 
^rechen  dann  einer  oberen  und  unteren  Schwelle,  die  mit  den  ent- 
sprechenden ausgezeichneten  Werthen  der  minimalen  Einstellungs- 
methode  in  Analogie  gebracht  werden  können*). 


*)  Vgl.  Physiol.  Psychologie.    4.  Aufl.  I,  S.  348  ff. 


192  Logik  der  Psychologie. 

Jede  der  erörterten  Methoden  betrachtet  es  hiemach  als  ihre 
Hauptaufgabe,  die  in  der  festgestellten  Weise  ausgeführten  Bestim- 
mungen der  Genauigkeit  der  Empfindungsmessung  und  gewisser  aus- 
gezeichneter Werthe  der  Empfindungsänderung  an  verschiedenen 
Stellen  der  gleichen  Empfindungsdimension  auszuführen,  um  so  über 
etwaige  gesetzmässige  Aenderungen  der  erwähnten  Grössen  bei 
stetigen  Aenderungen  der  Empfindungsstärke  oder  der  Empfindungs- 
qualität Aufschluss  zu  gewinnen.  So  viel  die  Erfahrung  lehrt 
scheinen  sich  die  hauptsächlich  hierbei  in  Betracht  gezogenen  Grössen, 
die  Schwellenwerthe  und  die  Genauigkeitsmasse  (Präcisionsmass  und 
mittlerer  variabler  Fehler)  stets  in  gleichem  Sinne  zu  ändern,  und 
auch  die  Werthe  der  constanten  Fehlschätzung  scheinen  dazu  in 
einem  regelmässigen  Verhältnisse  zu  stehen.  Leider  ist  nun  aber 
bei  allen  hierauf  gerichteten  Ermittelungen  die  Fragestellung  dadurch 
einigermassen  getrübt  worden,  dass  man  lUs  die  Aufgabe  solcher  an 
verschiedenen  Punkten  einer  Empfindungsscala  ausgeführten  Messungen 
die  Feststellung  der  gesetzmässigen  Beziehungen  zwischen  Empfin- 
dung und  Reiz  bezeichnete,  im  Sinne  jener  psychophysischen  An- 
sicht, die  den  Reiz  selbst  als  das  Mass  der  Empfindung  ansieht. 
Da,  wie  oben  bemerkt,  Empfindungen  nur  an  Empfindungen,  nicht 
an  den  ihnen  völlig  heterogenen  physischen  Grössen  gemessen  werden 
können ;  so  kann  auch  der  Natur  der  Sache  nach  die  Aufgabe  der 
Empfindungsmessung  immer  nur  darin  bestehen,  die  Verhältnisse  der 
Empfindungsgrössen  zu  einander  oder  zu  andern  psychischen  Grössen, 
die  ihnen  adäquat  sind  und  daher  auf  Empfindungsmasse  zurück- 
geführt werden  können,  zu  messen.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus 
ist  auch  die  vielverhandelte  Frage  nach  der  Bedeutung  der  am 
frühesten  und  bis  jetzt  am  constantesten  auf  diesem  Gebiete  ge- 
fundenen Gesetzmässigkeit,  des  s.  g.  Weber'schen  Gesetzes,  zu  be- 
urtheilen.  Indem  dieses  Gesetz  aussagt,  dass  die  ünterschiedsschwelle 
(oder  auch  irgend  eines  der  ihr  reciproken  Feinheitsmasse  der  Em- 
pfindung) im  allgemeinen  einem  constanten  relativen  Reizzuwachs 
entspricht,    lässt   sich   der  empirische   Inhalt   desselben   ausdrücken 

AÄ 

durch  die  Formel  — 7;—  =  const.,   wenn   man   mit  S  die  Reizstärke 

und  mit  Ai?  den  Reizzuwachs  bezeichnet.  Die  drei  Deutungen 
dieses  Gesetzes  welche  möglich  sind,  die  physiologische,  die  psycho- 
physische  und  die  psychologische,  sind  nun  lediglich  verschiedene 
Interpretationen  dieser  empirischen  Formel,  die  in  einer  verschiedenen 
Definition  der  auf  der   rechten  Seite  der  Gleichung   stehenden  Con- 


Methoden  der  psychlBchen  GrÖBaemnessung.  X93 

stanien  bestehen,  wozu  dann  überdies  die  psychologische  Deutung, 
gemäss  dem  Grundsätze  dass  psychische  Grössen  nur  an  psychischen 
Grössen  gemessen  werden  können,  auch  noch  die  linke  Seite  der 
(rleichung  yer'andert.  Die  physiologische  Deutung  gründet  sich 
nämlich  auf  den  Gedanken,  dass  es  nicht  der  äussere  Reiz  sei,  den 
wir  empfinden,  sondern  die  centrale  Sinneserregung;  von  dieser  aber 
nimmt  man  an,  dass  sie  der  Empfindung  direct  proportional  sei. 
Hiemach  ist  diese  Auffassung  dem  Standpunkt  des  psychophysischen 
Materialismus  am  meisten  adäquat.  Man  ersetzt  nach  ihr  die  Con- 
stante  durch  den  Zuwachs  A  7?«  der  centralen  Sinneserregung  und  ge- 
winnt so  einen  Ausdruck  zwischen  rein  physischen,  also  homogenen 
Grössen.  Die  psychophysische  Deutung  dagegen  sieht  die  in 
der  Gleichung  ausgedrückte  Beziehung  als  ein  Fundamentalgesetz 
zwischen  Physischem  und  Psychischem  an :  sie  ersetzt  also  die  Gon- 
stante  durch  den  Empfindungszuwachs  AjE?,  von  dem  vorausgesetzt 

wird,    dass   er  für  jeden  relativen  Werth   — ^  auf  allen  Punkten 

der  Reizscala  die  nämliche  absolute  Grösse  habe.  Hier  ist  daher 
die  Gleichung  eine  solche  zwischen  nicht-homogenen  Grössen,  und 
es  wird  für  den  Uebergang  aus  dem  physischen  in  das  psychische 
Gebiet  eine  eigenartige,  durch  eine  besondere  mathematische  Gesetz- 
mässigkeit ausgedrückte  Causalität  vorausgesetzt.  Die  psycho- 
logische Deutung  endlich  geht  davon  aus,  dass  unserer  messenden 
Vergleichung  unmittelbar  gar  nicht  die  Reize  sondern  nur  die  Em- 
pfindungen gegeben  sind,  und  dass  ferner  Empfindungen  haben  und 
Empfindungen  vergleichen  nicht  dasselbe  ist.  Dies  vorausgesetzt 
kann  aber  der  Thatbestand  der  Empfindungsmessung  überhaupt  nicht 
als  eine  Beziehung  zwischen  Empfindung  und  Reiz,  sondern  er  muss 
als  eine  solche  zwischen  den  Empfindungen  und  der  psychologischen 
Function  der  Vergleichung  betrachtet  werden.  Auf  der  Seite, 
wo  in  der  empirischen  Formel  des  Weber'schen  Gesetzes  der  Reiz 
steht,  wird  also  statt  seiner  die  allein  der  inneren  Wahrnehmung 
gegebene  Empfindung,  auf  der  Seite  der  Gonstanten  aber  wird  eine 
eben  jene  Function  der  Vergleichung  ausdrückende  Grösse  zu  setzen 
sein.  Nun  wird  allgemein  das  „ Gleichmerkliche ^  als  eine  für  die 
Vergleichung  gleich  bleibende  Grösse,  und  das  „Ebenmerkliche* 
als  das  jeder  Grössenvergleichung  zu  Grunde  zu  legende  Mass  be- 
trachtet werden  können.  Bezeichnen  wir  also  den  der  minimalen 
Empfindungsänderung  Ai?  entsprechenden  Werth  der  Vergleichung 
mit  y,  so  wird  an  die  Stelle  der  bei  der  psychophysischen  Deutung 

Wnndt,  Logik,  n,  2.    2.  Anfl.  13 


194  Logik  der  Psychologie. 

AÄ 

vorausgesetzten   Relation  zwischen  — 5—  und  A£  eine  solche  zwi- 

AjB 

sehen      „     und  V  treten:   die  Gleichung  ist  nunmehr  wieder  eine 

homogene,  aber  die  durch  sie  verbundenen  Grössen  sind  nicht 
physische,  sondern  psychische,  und  wenn  V  und  E  auch  verschiedene 
psychische  Functionen  sind,  so  ist  es  doch  einleuchtend,  dass  die 
erstere,  da  sie  sich  stets  an  bestimmten  psychischen  Inhalten  äussern 
muss,  auch  nur  an  solchen  gemessen  werden  kann.  Denmach  er- 
halten wir,  wenn  wir  mit  Ar  jedesmal  eine  constante  Grösse  be- 
zeichnen, als  Ausdrücke  für  die  drei  erwähnten  Interpretationen  die 
drei  Gleichungen: 

.p       7     Afi       ■       „      ,     AÄ  ^^      ,     AjB 

Ai?e  =  Ä:.— =-  \E=zk.—jr--  F=*.— =-• 

Jede  dieser  Deutungen  enthält  in  Bezug  auf  das  Verhältniss  der 
centralen  Sinneserregung  Re  zur  peripherischen  R  eine  Hypothese. 
Bei  der  ersten  besteht  dieselbe  darin,  dass  jenes  Verhältniss  selbst 
im  We herrschen  Gesetz  seinen  Ausdruck  finde,  bei  den  zwei  andern 
darin,  dass  innerhalb  der  Grenzen  der  Gültigkeit  dieses  Gesetzes  eine 
zureichende  Proportionalität  zwischen  R  und  Re  anzunehmen  sei. 
Ferner  enthalten  die  zwei  ersten  Formeln  die  Hypothese,  dass  Em- 
pfindungen haben  und  Empfindungen  vergleichen  eins  und  das- 
selbe sei,  während  die  dritte  diese  beiden  psychischen  Functionen 
sondert  und  daher  in  ihr  Verhältniss  selbst  die  eigentliche  Bedeutung 

AjB 

des  Gesetzes  verlegt.  Die  Gleichung  V  =k .  „  hat  hiemach  zu- 
gleich die  Bedeutung  einer  Definitionsgleichung,  da  die  Vergleichungs- 

AjB 

function  V  durch   die  Relation  — ^  vollständig  ihrem  Begriff  nach 

bestimmt  wird*). 

Die  psychologische  Auffassung  hat  nun  in  der  unleugbaren 
Thatsache  unserer  inneren  Erfahrung,  dass  zu  der  Existenz  psychi- 
scher Zustände  eine  Vergleichung  derselben  hinzukommen  muss, 
wenn  wir  etwas  über  ihr  Verhältniss  aussagen  sollen,  ihre  Haupt- 
grundlage, und  sie  ist  daher  den  beiden  andern  schon  zu  einer  Zeit 


*)  Aehnlich  wie  in  der  Mechanik  die  Gleichung  X  =  m  ,        >    die  Defi- 

nitionsgleichung  für  eine  in  der  Richtung  x  auf  die  Masse  m  wirkende  be- 
schleunigende Kraft  ist.    (Vgl.  Abschn.  II,  Cap.  I,  S.  318.) 


Methoden  der  psychischen  GrÖssenmessung.  195 

gegenübergestellt  worden,  als  man  das  Weber'sche  Gesetz  noch  für 
den  alleinigen  Ausdruck  der  so  genannten  «Beziehung  zwischen 
Empfindung  und  Reiz*  hielt*).  In  neueren  Untersuchungen  hat  sie 
aber  auch  noch  eine  indirecte  Bestätigung  gefunden,  indem  sich 
Damlich  zeigte,  dass  jene  Relation  nur  unter  gewissen  Bedingungen 
der  Empfindungsmessung  zutri£Pt,   und   dass   dagegen  unter  andern 

AD 

Bedingungen  an  die  Stelle  des  empirischen  Ausdrucks  — ^-  =  const. 

der  andere  A  JS  =  const.  tritt.  Dieser  Fall  ist  bei  der  Unterschei- 
dung minimaler  und  beliebiger  endlicher  Strecken  von  Tonhöhen 
sowie  bei  der  Halbirung  von  Intensitätsstrecken  beobachtet.  Solche 
Abweichungen,  namentlich  wenn  sie,  wie  in  dem  letzteren  Beispiel, 
innerhalb  einer  und  derselben  Empfindungsdimension  vorkommen, 
für  die  auch  das  Weber'sche  Gesetz  gilt,  sind  nun  aber  weder  mit 
der  physiologischen  noch  mit  der  psychophysischen  Interpretation 
vereinbar.  Sowohl  die  in  der  ersten  der  obigen  Gleichungen  aus- 
gedrückte Functionsbeziehung  zwischen  R^  und  R  wie  die  in  der 
zweiten  angenommene  zwischen  E  und  R  hat  nur  eine  Bedeutung, 
wenn  sie  eine  allgemeingültige  ist.  Dagegen  ist  es  von  vornherein 
sehr  wohl  denkbar,  dass  die  Relationen  psychischer  Grössen  je  nach 
den  psychologischen  Bedingungen  unserer  Auffassung  wechseln'*''''). 
So  ist  es  z.  B.  ein  wesentlich  verschiedener  psychischer  Vorgang, 
wenn    wir    zwei  Tonverhältnisse    vergleichen,   und  wenn  wir  zwei 


*)  Vgl.  die  1.  Aufl.  meiner  .Vorlesungen  über  die  Menschen-  und  Thier- 
seele'  (1863),  I,  S.  133,  2.  Aufl.  S.  62  ff. 

*^)  Auf  dieses  Moment  hat  sowohl  Jul.  Merkel,  der  zuerst  die  unter 
geeigneten  Bedingungen  zu  beobachtende  arithmetische  Theilnng  von  Intensitäts- 
?trecken  nachwies  (Phil.  Studien  lY,'  S.  569  ff.)>  wie  auch  L.  Lange  auf- 
merksam gemacht  (Phil.  Studien  X,  125  ff.).  Aber  während  Merkel  daraus, 
entgegen  der  physiologischen  und  der  psychophysischen  Anschauung,  auf  eine 
«Proportionalität  zwischen  Empfindung  und  Beiz'  schloss,  erblickt  Lange  in 
diesem  Verhalten  der  Empfindungen  einen  Hinweis  darauf,  dass  schon  fdr  die 
einfachsten  psychischen  Grössen,  die  Empfindungen,  der  «longimetrische  Grössen- 
begriff*  der  gewöhnlichen  Mathematik  nicht  gelte.  Nach  meiner  Meinung  hat 
Lange  YoUkommen  recht,  wenn  er  folgert,  dass  eine  eindeutige  Functions- 
beziehung zwischen  E  und  R  nicht  existirt,  und  dass  daher  derselben  eine 
Functionsbeziehung  zwischen  psychischen  Grössen  substituirt  werden  muss.  Ge- 
üchiebt  aber  dies,  so  wird,  ehe  man  die  Annahme  eines  mit  dem  Wachsthum 
der  Grössen  veränderlichen  Massprincips  macht,  doch  zuvor  zu  prüfen  sein,  ob 
es  sich  nicht  in  beiden  Fällen  um  Functionen  handelt,  die  deshalb  verschieden 
sind,  weil  auf  der  einen  Seite  ganz  verschiedene  Grössen  in  dieselben  eingehen. 
Und  das  ist  in  der  That,  wie  ich  meine,  das  wirkliche  Verhältniss. 


196  Logik  der  Psychologie. 

Töne  ihrer  absoluten  Höhe  oder  auch  zwei  Tonstrecken  ihrer  ab- 
soluten Grösse  nach  vergleichen.  Aehnliche  Unterschiede  werden 
aber  bei  Intensitäten  vorkommen  können.  Setze  ich  zwei  minimale 
Empfindungsunterschiede  ^E  und  AJ^  gleich  merklich,  so  ist  der 
Inhalt  dieser  Aussage  gemäss  dem  Weber'schen  Gesetze  offenbar 
der,  dass  jede  im  Verhältniss  zu  der  Empfindung,  zu  der  sie  hinzu- 
kommt, gleich  merklich  sei.  Setze  ich  aber  zwei  Intensitätsstrecken 
Eiy  und  E^E''  einander  gleich,  so  pflegt  der  Inhalt  dieses  Urtheils 
der  zu  sein,  dass  EE*  und  E'E^'  ihrer  absoluten  Grösse  nach 
gleich  seien.  Die  eigenthümlichen  Bedingungen,  unter  denen  aus- 
nahmsweise bei  Streckenvergleichungen  die  relative  Grössenschäizung 
und  bei  der  Yergleichung  gleich  merklicher  Grössen  die  absolute 
vorkommt,  bestätigen  diese  Annahme.  Bezeichnen  wir  demnach 
näher  die  Function  der  relativen  Yergleichung  mit  F^,  die  der  ab- 
soluten mit  F^,  so  können  die  beiden  psychischen  Functions- 
beziehungen 

F,  =Ä:.^und  F„  =  A:.A£ 

neben  einander  gültig  sein;  aber  es  wird  von  der  Gesammtheit  der 
vorhandenen  psychischen  Bedingungen  abhängen,  ob  die  eine  oder 
die  andere  dieser  Functionen  zur  Anwendung  kommt,  oder  ob  beide 
neben   einander  wirken   und   daher  ein  mittleres  Verhalten  eintritt. 


e.    Die  elementare  psychische  Analyse. 

Die  elementare  psychische  Analyse  bildet  die  qualitative  Er- 
gänzung zur  psychischen  Grössenmessung.  Geht  diese  darauf  aus. 
quantitative  Masseinheiten  zu  finden,  auf  die  zunächst  die  einfachen 
psychischen  Functionen  zurückgeführt,  und  an  denen  dann  gewisse 
mit  jeder  psychischen  Grössenbestimmung  verbundene  Functionen, 
die  der  relativen  und  der  absoluten  Yergleichung,  in  ihren  Wir- 
kungen gemessen  werden  können,  so  stellt  sich  jene  die  Aufgabe, 
die  letzten  nicht  weiter  zerlegbaren  qualitativen  Einheiten  zu 
finden,  die  in  unsere  innere  Erfahrung  eingehen.  Von  dieser  Auf- 
gabe muss  aber  sogleich  ein  Missverständniss  ferngehalten  werden, 
das  geeignet  ist  die  Auffassung  der  psychischen  Vorgänge  in  eine 
falsche  Beleuchtung  zu  rücken.  Dieses  Missverständniss  besteht 
darin,  dass  man  meint,  die  so  zu  findenden  Elemente  müssten  noth- 
wendig   den  Inhalt  der    inneren   Erlebnisse   vollständig  erschöpfen, 


Elementare  psychische  Analyse.  197 

oder  das  einzige  was  zu  ihnen  hinzukommen  könne  sei  höchstens 
ihr  gleichzeitiges  Zusammensein  oder  ihre  zeitliche  Aneinanderreihung. 
Nicht  bloss  ist  über  die  Art  dieser  Verbindungen  mit  der  Auffindung 
der  psychischen  Elemente  noch  nicht  das  geringste  ausgesagt,  son- 
dern jede  unbefangene  Beobachtung  lehrt',  dass  gerade  auf  psychi- 
schem Gebiet  eine  wesentliche  Eigenthümlichkeit  der  zusammen- 
gesetzten Vorgänge  darin  besteht,  dass  in  Folge  der  Zusammen- 
setzung neue  Inhalte  mit  neuen  Werthbestimmungen 
entstehen,  die  sich  eben  deshalb,  weil  sie  an  die  complexen  Vor- 
gange gebunden  sind,  losgelöst  von  diesen  weder  denken  noch  irgend 
einer  Untersuchung  unterwerfen  lassen,  also  auch  unter  den  Pro- 
ducten  einer  elementaren  Analyse  unmöglich  angetroffen  werden 
können.  So  enthält  jede  in  Raum  und  Zeit  ausgedehnte  Vorstellung 
in  dieser  raumlichen  und  zeitlichen  Ordnung  etwas,  das  bei  der 
Zerlegung  der  Vorstellung  in  ihre  elementaren  Empfindungsbestand- 
theile  nothwendig  verloren  geht,  weil  die  räumliche  Form  ohne  die 
wechselseitige  Beziehung  einer  Mehrheit  von  Elementen  gar  nicht 
gedacht  werden  kann.  Nicht  anders  verhält  es  sich  aber  auch  mit 
den  intensiv  zusammengesetzten  psychischen  Gebilden.  Die  Harmonie 
eines  Zusammenklangs  ist  kein  Element,  das  wir  bei  der  Zerlegung 
des  complexen  Eindrucks  neben  den  einzelnen  Tönen  zurückbehalten. 
Ein  Affect,  eine  Willenshandlung  enthalten  als  unzerlegbare  Ele- 
mente eine  ganze  Anzahl  elementarer  Empfindungen,  aber  darum 
ist  die  Summe  dieser  Empfindungen  doch  noch  lange  kein  Affect 
und  keine  Willenshandlung.  Das  was  man  die  specifische  Qualität 
des  complexen  Vorgangs  nennen  könnte  entsteht  hier  überall  erst 
bei  der  Verbindung  der  Elemente.  Psychische  Elemente  als  un- 
zerlegbare Bestandtheile  gedacht  sind  also  nicht  bloss  Abstrac- 
tionen,  die  in  der  Wirklichkeit  niemals  vorkommen,  sondern  sie 
müssen  immer  auch  noch  der  Bedingung  entsprechen,  dass  sie 
bei  der  auf  die  psychischen  Processe  angewandten  iso- 
lirenden  Abstraction  nicht  verschwinden.  Auf  diese 
Weise  ist  die  elementare  Analyse  auf  psychischem  Gebiet  nothwendig 
in  noch  viel  höherem  Masse  als  auf  naturwissenschaftlichem  ein 
bloss  vorbereitendes  und  nach  dem  ganzen  Charakter  der  psychi- 
schen Gebilde  ein  unzulängliches  Geschäft,  das  für  alle  wichtigeren 
psychologischen  Aufgaben  durch  die  causale  Analyse  und  die  mit 
ihr  eng  verbundene  Synthese  der  psychischen  Phänomene  ergänzt 
werden  muss. 

Die  experimentelle  Variation  der  inneren  Erlebnisse  durch  die 


198  Logik  der  Psychologie. 

in  jeder  möglichen  Weise  vorgenommene  Variation  ihrer  äusseren 
Bedingungen  ermöglicht  nun  eine  derartige  Elementaranaljse,  indem 
man  von  dem  Princip  Gebrauch  macht,  als  einfach  sei  jede  in  irgend 
welche  psychische  Vorgänge  eingehende  Qualität  vorauszusetzen,  die 
1)  eine  Zerlegung  nicht  zulasse,  und  die  2)  bei  dem  Wechsel  des 
sonstigen  Inhalts  der  inneren  Wahrnehmung  unverändert  gedacht 
werden  könne.  Durch  die  erste  dieser  Bedingungen  sind  die  Formen 
der  Ordnung  und  des  Verlaufs  der  psychischen  Vorgänge  von  einer 
solchen  Zerlegung  ausgeschlossen:  man  könnte  sie  nur  in  der  Form 
des  isolirt  angenommenen  mathematischen  Raum-  und  Zeitpunktes 
unzerlegbar  denken;  solche  Punkte  sind  aber  nur  begrifPliche  Ab- 
stractionen,  nicht  reale  Erfahrungsbestandtheile.  Durch  die  zweite 
Bedingung  werden  alle  psychischen  Producte  ausgeschlossen,  die 
überhaupt  erst  durch  das  Zusammenwirken  vieler  Elemente  ent- 
stehen :  dazu  gehören  abermals  wieder  die  zeitlichen  und  räumlichen 
Vorstellungsformen  und  überdies  eine  Menge  qualitativer  Bestand- 
theile  der  inneren  Wahrnehmung,  die  sich  mit  der  Variation 
der  sonstigen  Bestandtheile  derselben  immer  selber 
verändern. 

Hiemach  lässt  sich  leicht  erkennen,  dass  den  beiden  obigen 
Voraussetzungen  nur  eine  Art  elementarer  psychischer  Gebilde  ent- 
spricht: die  reinen,  d.  h.  die  von  jeder  räumlichen  und  zeitlichen 
Ordnung  und  von  jeder  Gefühlsbetonung  gelöst  gedachten,  Em- 
pfindungen. Man  hat  vielfach  neben  ihnen  noch  den  Gefühlen, 
namentlich  denen  die  an  einfache  sinnliche  Empfindungen  gebunden 
seien,  eine  ähnliche  Stellung  angewiesen.  Aber  es  ist  klar,  dass  hier 
die  zweite  der  erwähnten  Forderungen  nicht  erfüllt  ist:  denkt  man 
sich  die  Empfindung  hinweg,  an  die  irgend  ein  einfacher  Gefühls- 
ton gebunden  ist,  so  lässt  sich  auch  das  Gefdhl  nicht  mehr  fest- 
halten, während  man  sich  sehr  wohl  die  reine  Empfindung  ohne  den 
Gefühlston  fortbestehend  denken  kann.  Offenbar  hat  dies  darin 
seinen  Grund,  dass  in  Wirklichkeit  ein  einer  bestimmten  Empfin- 
dungsqualität entsprechendes  Gefühl  unter  der  Mitwirkung  sonstiger 
Einflüsse  in  seiner  Stärke  variiren  und  dabei  auch  gelegentlich  ganz 
verschwinden  kann.  Dieser  Umstand  trägt  zugleich  die  Schuld  an 
manchen  missglückten  Versuchen,  durch  die  man  den  Gefühlen  im 
Widerspruch  mit  der  offenkundigen  Aussage  unserer  inneren  Er- 
fahrung theils  dadurch  die  Bedeutung  selbständiger  Elemente  zu 
wahren  suchte,  dass  man  sie  für  specifische  Empfindungen,  z.  B.  für 
„Organempfindungen*^,  erklärte,  theils  dadurch,  dass  man  zwar  Lust 


Elementare  psychische  Analyse.  199 

tind  Unlust  als  Gefühle  stehen  Hess,  diese  aber  nicht  als  blosse  Classen- 
begrifEe  betrachtete,  denen  schon  die  Sprache  eine  unzählige  Menge 
qualitativer  Oeftthle  unterordnet,  sondern  sie  für  individuelle,  immer 
in  derselben  Bescha£Penheit  wiederkehrende  Qualitäten  erklärte,  die 
ebenso  gut  den  Empfindungen  wie  diese  den  OefUhlen  als  selb- 
ständige Elemente  gegenüberzustellen  seien.  Aber  die  psychologische 
Erfahrung  hat  sich,  wie  ich  glaube,  nicht  nach  dem  Einheits* 
bedOrfniss  der  Psychologen,  sondern  dieses  hat  sich  nach  der  psycho- 
logischen Erfahrung  zu  richten.  Wer  behauptet,  ein  Oefühlsvor- 
gang  sei  nach  dem  Zeugniss  seiner  inneren  Erfahrung  für  ihn  nichts 
als  eine  Organempfindnng ,  oder  die  Lust  an  einem  angenehmen 
Geschmacksreiz  und  die  an  der  Lösung  eines  intellectuellen  Problems, 
die  Unlust  des  Zahnschmerzes  und  die  erschütternde  Wirkung  einer 
Tragödie  seien,  abgesehen  von  den  begleitenden  intellectuellen  Pro- 
cessen, für  ihn  gleiche  Gefühle  —  dem  lässt  sich  natürlich  nicht 
beweisen,  dass  er  falsch  beobachtet  habe,  denn  über  subjective 
Wahrnehmungen  kann  man  überhaupt  nicht  streiten.  Aber  da  es 
sich  in  diesem  Fall  nicht  um  experimentelle  Resultate,  sondern  um 
ganz  gewöhnliche  , Selbstbeobachtungen'',  umgeben  von  aller  Un- 
zuverlässigkeit  dieser  handelt,  so  erregt  es  Bedenken,  dass  die  Er- 
gebnisse dieser  vermeintlichen  Selbstbeobachtung  unter  einem  offen- 
bar irrthümlichen  dogmatischen  Vorurtheil  stehen:  nämlich  eben 
unter  jenem  Vorurtheil,  dass  alle  ftlr  uns  nicht  weiter  zerlegbaren 
Bestandtheile  des  Bewusstseins  auch  isolirt  denkbare  Elemente  des- 
selben sein  müssten.  Bei  den  Empfindungen  ist  diese  Möglichkeit 
sie  bei  dem  sonstigen  Wechsel  der  Bewusstseinsinhalte  unverändert 
zu  denken  vorhanden,  und  sie  steht  hier  sichtlich  mit  der  objectiven 
Bedeutung,  die  wir  den  Empfindungen  beilegen,  im  engsten  Zu- 
sammenhang. Warum  sie  deshalb  aber  auch  den  Gefühlen  zukommen 
müsse,  die  thatsächlich  in  viel  mannigfacheren  Wechselbeziehungen 
nicht  bloss  zu  den  äusseren  Bedingungen  sondern  auch  zu  den  Zu- 
ständen des  Bewusstseins  selbst  stehen,  ist  absolut  nicht  einzu- 
sehen. Alle  irgend  verwickeiteren  Gefühlsvorgänge  lassen  sich  also 
in  einfache  nicht  weiter  analysirbare  Gefühle  zerlegen,  aber  diese 
einfachen  Gefühle  lassen  sich  niemals  isoliren,  weil  selbst  für 
unser  abstrahirendes  Denken  mit  jedem  Versuch  dies  zu  thun  das 
Gefühl  selber  verschwinden  muss.  Aus  diesem  Grunde  nimmt  denn 
auch  die  Analyse  der  Gefühle  Hülfsmittel  in  Anspruch,  die  von 
denen  der  Analyse  des  Empfindungsinhaltes  zum  Theil  wesentlich 
verschieden   sind,   und  die  namentlich  wegen  der  Berücksichtigung 


200  Logik  der  Psychologie. 

aller  jener  Factoren,   von    denen  das   Gefühl  nicht  isolirt   werden 
kann,  eine  besondere  Betrachtung  erheischen. 

Der  so  als  einziger  Gegenstand  einer  elementaren  psychischen 
Analyse  zurückbleibende  Empfindungsinhalt  der  Vorstel- 
lungen lässt  sich  nun  wieder  in  einen  qualitativen  und  in  einen 
quantitativen  Bestandtheil  zerlegen.  Unter  ihnen  besteht  der  erste, 
die  qualitative  Analyse  der  Empfindungen,  lediglich  in  einer 
psychologischen  Anwendung  derjenigen  Formen  physikalischer  Ana- 
lyse und  Synthese,  die  geeignet  sind,  aus  gegebenen  Empfindungs- 
inhalten psychologisch  einfache  Bestandtheile  zu  isoliren  oder  durch 
Verbindung  physischer  Reize  solche  Reizformen  herzustellen,  denen 
einfache  Empfindungsinhalte  entsprechen.  Die  Zerlegung  eines  zu- 
sammengesetzten Klangs  in  seine  einfachen  Töne,  des  physikaUsch 
zusammengesetzten  Lichtes  in  die  einfachen  Farben  sind  Beispiele 
der  ersten  y  die  Herstellung  von  Farbenmischungen  ist  ein  Beispiel 
der  zweiten  Art.  Naturgemäss  ist;  die  physikalische  Analyse  das 
häufiger  angewandte  Hülfsmittel,  da  durchweg  die  physikalisch  ein- 
fachen Reize  dies  auch  im  psychologischen  Sinne  sind.  Aber  da 
das  umgekehrte 9  wie  das  Beispiel  des  Gesichtssinnes  zeigt,  nicht 
ebenfalls  zutri£Pt,  so  kommt  hier  der  physikalischen  Synthese  immer- 
hin eine  mitwirkende  Bedeutung  zu.  Insbesondere  kann  sie  auch  in 
der  Form  der  stufenweisen  Synthese  dazu  dienen,  zwischen  den  Em- 
pfindungen von  ausgeprägt  verschiedener  Qualität  üebergangs- 
empfindungen  herzustellen.  Als  das  letzte  Ziel  dieser  qualitativen 
Analyse  ergibt  sich  so  die  Auffindung  aller  für  die  unmittelbare 
Empfindung  einfachen  Qualitäten  eines  bestimmten  Empfindungs- 
gebietes und  die  systematische  Darstellung  derselben  in  der  Form 
einer  Mannigfaltigkeit  von  bestimmter  Form.  Indem  man  für  solche 
Darstellungen  die  geometrische  Versinnlichung  wählt,  entscheiden 
nun  aber  für  den  psychologischen  Gesichtspunkt  nur  die  subjectiven 
Beziehuugen  der  Empfindungen,  insbesondere  ihre  Verbindungen 
durch  üebergangsempfindungen,  über  die  Wahl  der  zweckmässigsten 
Form.  Als  solche  verdient  die  einfachste  den  Vorzug,  wenn  auch 
jede  beliebige  andere,  die  den  Forderungen  der  Empfindungsmannig- 
faltigkeit genügt,  gleich  anwendbar  ist.  In  diesem  Sinne  wählt 
man  also  für  ein  Empfindungscontinuum  von  einer  Dimension,  wie 
die  einfachen  Töne,  die  Gerade,  für  ein  solches  von  zwei  Dimen- 
sionen, »wie  die  Farben  constanter  Sättigung,  den  Sj'eis.  Ausserhalb 
des  Gebiets  der  eigentlichen  psychologischen  Analyse  liegen  dagegen 
alle  Untersuchungen   die   darauf  ausgehen,   aus   den  Empfindungen 


Causale  Analyse  der  Vorstellungen.  201 

Rfickschlüsse  auf  die  Natur  der  physiologischen  Reizungsvorgänge  zu 
machen.  So  nahe  sich  auch  solche  Untersuchungen  mit  den  psycho- 
logischen Aufgaben  berühren,  weil  ihre  Resultate  vielfach  wieder  für 
diese  fruchtbar  werden  können,  so  steht  doch  überall  da,  wo  die 
EmpfindungseflPecte,  die  bestimmten  Reizcombinationen  entsprechen, 
nur  zu  Rückschlüssen  auf  die  physiologischen  Substrate  der  Sinnes- 
empiindungen  dienen  sollen,  der  psychologische  Versuch  unmittelbar 
nur  im  Dienste  der  Physiologie,  nicht  in  dem  der  Psychologie  selbst. 
Die  an  diese  qualitative  Analyse  sich  anschliessende  quanti- 
tative Untersuchung  besteht  dann  in  einer  Anwendung  der  oben 
erörterten  Principien  der  Grössenmessung  auf  das  specielle  Problem 
der  psychischen  Massbestimmungen  innerhalb  einer  qualitativen 
Mannigfaltigkeit.  Es  wird  dabei  aber,  wie  bei  jeder  psychischen 
Messung,  vorausgesetzt,  dass  die  Mannigfaltigkeit  eine  stetige  sei. 
Da  dies  für  die  meisten  Sinnesgebiete  nicht  nachgewiesen,  oder  da 
wenigstens  die  nähere  Beschaffenheit  des  Continuums  noch  nicht  zu- 
reichend bekannt  ist,  so  haben  bis  jetzt  die  Licht-  und  die  Ton- 
qualitäten die  einzigen  Substrate  einer  solchen  quantitativen  Analyse 
gebildet. 

f.    Die  causale  Analyse  der  Vorstellungen. 

Unter   den  zusammengesetzten  psychischen  Erfahrungsinhalten 
zeichnen  sich  die  Vorstellungen  dadurch  aus,  dass  sie  leicht  von 
einander    und    von    andern    Bestandtheilen    isolirt   werden    können. 
Unter  ihnen  sind  wieder  diejenigen,  die  direct  durch  äussere  Sinnes- 
reize veranlasst  und  auf  äussere  Objecte  bezogen  werden,   vorzugs- 
weise einer   causalen  Analyse   zugänglich.     Auch  besitzen  sie  allein 
die  erforderliche  Stabilität.     Denn  ist  auch  die  Sinneswahrnehmung 
so  gut  wie  das  Erinnerungsbild  ein  veränderlicher  Vorgang  und  kein 
beharrendes  Object,   so  kann  doch   bei   ihr   durch   die  willkürliche 
Beherrschung   der   äusseren  Eindrücke   die  Veränderung   auf  einen 
oscillirenden  Wechsel  in  der  Klarheit  und  Deutlichkeit  der  Bestand- 
theile   eingeschränkt   werden,    dessen    Einflüsse    durch    die  häufige 
Wiederholung  der  Beobachtungen  zum  Verschwinden  kommen.     Da 
wir  nun  gar  keinen  Grund  haben  anzunehmen,  dass  die  Erinnerungs- 
bilder in  ihrer   Bildung   anderen  Gesetzen  folgen  als  die    Sinnes- 
wahmehmungen,  so  können  die  Resultate  der  Analyse  der  letzteren 
als  gültig  für  die  Bildung  der  Vorstellungen  überhaupt  gelten.   Jede 
solche  Analyse  ist   ferner  eine  causale,    weil  sich   die  Aufzeigung 


202  Log:ik  der  Psychologie. 

der  Bestandtheile  in  diesem  Falle  stets  mit  dem  Yersuch  verbinden 
muss,  über  die  Art  und  Weise  Rechenschaft  zu  geben,  wie  jene  Be- 
standtheile bei  der  Bildung  der  Vorstellung  zusammenwirken.  Dabei 
liegt  es  jedoch  im  Charakter  dieser  wie  jeder  causalen  Analyse,  dass 
sie  sich  unmittelbar  mit  synthetischen  Verfahrungsweisen  verbindet. 
In  der  Art  ihrer  Ausführung  ist  sie  daher  ein  inductives  Verfahren, 
in  das  zugleich  in  der  mannigfaltigsten  Weise  Hülfsdeductionen  ein- 
gehen können.  Auch  darin  entspricht  dies  Verfahren  den  Inductionen 
der  Naturwissenschaft,  dass  eine  endgültige  Interpretation  nicht 
selten  einen  hypothetischen  Charakter  hat,  indem  man  genöthigt  ist 
die  Thatsachen  durch  Voraussetzungen  zu  verknüpfen,  die  höchstens 
mehr  oder  minder  wahrscheinlich  gemacht  werden  können. 

Die  experimentelle  Analyse  der  Vorstellungen  besteht  nun, 
gleich  jedem  experimentellen  Verfahren,  in  der  willkürlichen  Variation 
der  Bedingungen,  unter  denen  die  beobachtete  Erscheinung,  also  in 
diesem  Fall  der  Process  der  Vorstellungsbildung,  steht.  Da  aber 
hier  von  vornherein  diese  Bedingungen  von  zweierlei  Art  sind, 
nämlich  solche,  die  in  der  Beschaffenheit  des  objectiven  Eindrucks 
ihren  Grund  haben,  und  andere,  die  von  dem  wahrnehmenden  Sub- 
jecte  ausgehen,  so  zerfallen  dem  entsprechend  auch  die  möglicher 
Weise  anwendbaren  Methoden  in  zwei  Ghruppen:  in  die  Methoden 
der  Einwirkung  und  in  die  Methoden  der  Herstellung.  Bei  den 
Methoden  der  Einwirkung  werden  die  Bestandtheile  des  objectiven 
Eindrucks  variirt  und  die  entsprechenden  Veränderungen  der  Vor- 
stellung beobachtet.  Bei  den  Methoden  der  Herstellung  hat  der 
Beobachter  durch  eigene  Thätigkeit  einen  objectiven  Eindruck  her- 
vorzubringen, der  einer  zuvor  erzeugten  Vorstellung  nach  seiner 
Auffassung  entspricht.  Die  Methoden  der  ersten  Art  wenden  sich 
also  nur  an  die  Auffassung  und  an  das  auf  diese  gegründete  ürtheil 
des  Beobachters;  die  der  zweiten  erfordern  irgend  eine  durch  Be- 
wegungen auszuführende  Handlung,  die  nun  aber,  da  sie  das  Resultat 
der  Auffassung  unmittelbar  wiedergibt,  ein  ürtheil  überflüssig  macht. 
Hierbei  kann  die  Herstellung  entweder  nach  einem  allgemeingültigen 
Schema  erfolgen:  so  z.  B.  wenn  man  fordert,  zu  einer  gegebenen 
horizontalen  Geraden  eine  senkrechte  Linie  zu  ziehen,  durch  tak- 
tirende  Bewegungen  gleiche  Zeitstrecken  herzustellen  u.  dergl.  Oder 
das  Vorbild,  nach  welchem  die  Herstellung  erfolgt,  kann  eigens  zu 
diesem  Zweck  vorher  auf  den  Beobachter  einwirken:  so  s.  6.  wenn 
man  einen  zuerst  angegebenen  Rhythmus  durch  eigene  Bewegungen 
nachbilden  lässt.     In  diesem  letzteren  Fall  ist  dann  das  Verfahren 


Causale  Analyse  der  Vorstellungen.  203 

eigentlich  eine  Combination  der  Einwirkungs-  mit  der  Herstellungs- 
methode. 

Von  beiden  Methoden  ist  die  der  Einwirkung  die  nahe- 
liegendste und  die  allgemeiner  verwendbare.  Auch  erlaubt  sie  eine 
vielseitigere  Varürung  der  einzelnen  Bedingungen.  Es  scheiden  sich 
aber  diese  Bedingungen  selbst  wieder  in  objective,  die  dem  Eindruck 
und  der  Verbindung  seiner  Bestandtheile  angehören,  und  in  sub- 
jective,  die  sich  auf  die  Functionen  des  auffassenden  Subjectes  be- 
ziehen. Jede  Bedingung  sucht  man  durch  die  Variirung  der  um- 
stände so  viel  als  möglich  unabhängig  zu  verändern,  um  den  An- 
theil  zu  bestimmen,  den  sie  an  der  Erzeugung  der  Vorstellung  nimmt. 
In  der  Regel  schliessen  sich  hierbei  analytische  und  synthetische 
Yerfahrungsweisen  in  der  für  die  Induction  als  Methode  allgemein 
geltenden  Weise  an  einander  an;  und  hierauf  wird  zunächst  eine 
provisorische  Hjrpothese  entwickelt,  die  dann  einer  Prüfung  durch 
weitere  Experimente  unterliegt,  mittelst  deren  sie  berichtigt,  vervoll- 
ständigt oder  nöthigenfalls  durch  eine  andere  erklärende  Voraus- 
setzung ersetzt  wird*). 

So  ging  Wheatstone  in  seiner  Untersuchung  des  binocularen 
Sehens  von  der  Analyse  der  zwei  Netzhautbilder  aus,  die  einem  in 
der  Nähe  betrachteten  körperlichen  Gegenstände  entsprechen.  Er 
zeigte,  dass  die  Unterschiede  dieser  Bilder  bei  gegebener  Entfernung 
in  einem  einfachen  Functionsverhältnisse  zu  der  Tiefenausdehnung 
des  gesehenen  Körpers  stehen,  und  dass  also  im  allgemeinen  die 
damit  parallel  gehende  körperliche  Vorstellung  durchaus  in  diesem 
Unterschied  ihr  Mass  finde.  Den  so  gezogenen  Schluss  suchte  er 
theils  unmittelbar,  durch  die  Vergleichung  des  Tiefeneindrucks  ein- 
facher Körper  in  verschiedenen  Entfernungen,  theils  aber  auf  dem 
Wege  der  experimentellen  Synthese  zu  bestätigen,  indem  er  durch 
zwei  ebene  Zeichnungen  von  entsprechenden  Unterschieden,  von  denen 
er  die  eine  dem  rechten,  die  andere  dem  linken  Auge  darbot,  eben- 
falls körperliche  Vorstellungen  hervorbrachte.  Zur  Erleichterung  dieser 
Beobachtungen  ersann  er  bekanntlich  das  Stereoskop,  ein  Instrument 
das  dann  auch  in  der  weiteren  Erforschung  der  Verhältnisse  des  bin- 
ocularen Sehens  der  Psychologie  wichtige  Dienste  geleistet  hat**). 
Aus  den  stereoskopischen  Beobachtungen  folgerte  Wheatstone,  die 
Empfindungen  beider  Netzhäute  seien  unabhängig  von  einander,  die 


•)  Vgl.  Abschn.  I,  S.  25  ff. 

**)  Wheatstone,  Poggendorffs  Annalen,  Ergänzungsband  I.   1842,  S.  1  ff. 


204  Logik  der  Psychologie. 

bis  dahin  geltende  Annahme  sogenamnter  «identischer  Punkte*^,  unter 
denen  man  Punkte  von  correspondirender  Lage  verstand,  die  der 
Vorstellung  je  eines  Punktes  im  äusseren  Räume  entsprechen 
sollten,  sei  also  unhaltbar.  Diesen  Schluss  suchte  er  noch  durch 
eigens  angestellte  Versuche  zu  bestätigen.  Auf  alle  diese  Ergebnisse 
gründete  er  dann  die  Annahme,  dass  die  Vorstellung  der  Tiefe  ein 
Product  der  Erfahrung  sei,  bei  dessen  Bildung  wir  stets  durch  eine 
Vergleichung  der  beiden  Netzhautbilder  geleitet  würden.  Diese  An- 
nahme trug  nun  schon  um  ihrer  Unbestimmtheit  willen  den  Charakter 
einer  bloss  provisorischen  Hypothese  an  sich,  und  sie  wurde  daher 
in  der  folgenden  Zeit  den  mannigfachsten  Prüfungen  unterzogen, 
wobei  man  sich  zumeist  wieder  der  Variation  der  objectiven  Be- 
dingungen bediente:  so  in  den  Versuchen  über  die  Mischung  völlig 
heterogener  binocularer  Eindrücke  (Wettstreit  der  Sehfelder,  Glanz, 
binocularer  Contrast),  durch  die  man  die  psychophysischen  Beziehungen 
beider  Netzhäute  zu  einander  genauer  zu  erforschen  strebte.  Eine 
Variation  subjectiver  Bedingungen  wurde  endlich  in  Versuchen  vor- 
genommen, in  denen  man  den  Einfluss  der  Augenbewegungen  durch 
Einführung  starrer  Fixation  oder  durch  Beobachtungen  bei  instantaner, 
die  Bewegung  ausschliessender  Beleuchtung,  oder  endlich  durch  die 
isolirte  Untersuchung  des  Einflusses  der  Convergenz  der  Gesichts- 
linien sowie  der  Accomodationsbewegungen  auf  die  Entfernungs- 
bestimmung prüfte.  So  sind  schliesslich  auf  der  Grundlage  aller 
dieser  experimentellen  Variationen  der  Bedingungen  die  gegenwärtig 
einander  gegenüberstehenden  Theorien  des  binocularen  Sehens  ent- 
standen, deren  Gegensätze  sich  theils  aus  der  immer  noch  nicht 
ausgeschlossenen  Möglichkeit  einer  verschiedenen  Deutung  einzelner 
Erscheinungen  theils  aber  aus  der  verschiedenen  Bevorzugung  der  ein- 
zelnen experimentellen  Resultate  erklären '*'). 

Von  der  Untersuchung  der  räumlichen  unterscheidet  sich  die 
der  zeitlichen  Vorstellungen  hauptsächlich  dadurch,  dass  bei  ihnen  die 
fliessende  Bescha£Penheit  der  Vorstellungen  eine  unmittelbare  Variation 


*)  Vgl.  hierüber  meine  Grundzüge  der  phjsiol.  Psych.  4.  Aufl.  II,  S.  17o  ff. 
Fernere  belehrende  Beispiele,  welche  namentlich  die  groue  Bedeutung  der 
provisorischen  Hypothesen  in  diesem  Gebiete  beleuchten,  bietet  die  Analyse  der 
extensiven  monocularen  Vorstellungen.  Vgl.  ebend.  S.  215  ff.  Die  Untersuchung 
der  intensiven  Vorstellungsverbindungen  ist  dagegen  noch  fast  ganz  im  Stadium 
der  reinen  Elementaranalyse  verblieben.  Selbst  bei  den  Klängen  ist  der  Process 
der  so  genannten  Verschmelzung  der  Töne  bis  jetzt   nur  mangelhaft  erforscht. 


Causale  Analyse  der  Vorstellungen.  205 

ihrer  Bestandtheile  unmöglich  macht.  An  die  Stelle  dieser  tritt  darum 
hier  die  Yergleichung  verschiedener  entweder  unmittelbar  oder  in 
genau  bestimmten  Zwischenzeiten  einander  folgender  Eindrücke,  von 
denen  der  eine  objectiv  constant  erhalten,  der  andere  in  genau  mess- 
barer Weise  Tariirt  wird.  Der  Gegenstand  der  Untersuchung  ist 
dann  die  Auffassung  der  so  hergestellten  Unterschiede  unter  ver- 
schiedenen  Bedingungen.  Hier  liegt  es  zugleich  nahe,  das  Herstel- 
lungsverfahren in  gewissen  Fällen  zu  Hülfe  zu  nehmen,  indem  mau 
eine  objectiv  gegebene  zeitliche  Form  subjectiv  nacherzeugen  lässt 
und  die  Unterschiede  von  der  wirklichen  Vorstellung  abermals  unter 
verschiedenen  Bedingungen  ermittelt.  Die  Untersuchungen  über  den 
so  genannten  „Zeitsinn**,  d.  h.  über  die  Grössenschätzung  einfacher 
Zeitstrecken,  sowie  über  die  verschiedenen  Formen  rhythmischer 
Vorstellungen  gehören  hierher*). 

Diese  Untersuchung  der  zeitlichen  ergänzt  zugleich  die  der 
raumlichen  Vorstellungen  in  wirksamer  V7eise  bei  der  Lösung  eines 
allgemeineren  Problems,  das  bereits  in  die  Erforschung  der  Ver- 
bindungen der  Vorstellungen  hinüberreicht,  bei  der  Beantwortung 
der  Frage  nämUch,  welchen  intensiven  oder  extensiven  Umfang 
eine  Vorstellung  oder  ein  Complex  verbundener  Vorstellungen  be- 
sitzen kann,  um  noch  Gegenstand  einer  zusammenfassenden  Wahr- 
nehmung zu  sein.  Während  sich  dies  bei  simultanen  Eindrücken 
nur  in  Bezug  auf  den  Umfang  klarer  und  deutlicher  Bewusstseins- 
inhalte  ermitteln  lässt,  gestatten  es  die  in  der  Form  regelmässiger 
Zeitreihen  ablaufenden  Vorstellungen,  dieselbe  Aufgabe  auf  das  Ganze 
einer  aus  deutlichen  und  aus  undeutlich  gewordenen  Bestandtheilen 
zusammengesetzten  Gesammtvorstellung  auszudehnen.  Beide  Probleme 
lassen  sich  mit  Rücksicht  auf  diese  wechselseitig  ergänzende  Be- 
deutung kurz  als  das  des  „Umfangs  der  Aufmerksamkeit"  und  als 
das  des  ^Umfangs  des  Bewusstseins*  unterscheiden**). 


*)  Phjsiol.  Psych.  4.  Aufl.  II,  S.  408.  Meumann,  Philosophische  Stud.  X, 
S.  249,  393  ff. 

•*)  Physiol.  Psych.  II,  S.  255  ff.  Dass  man  hier  den  Ausdruck  ,  umfang" 
nicht  im  räumlichen  Sinne  zu  verstehen  habe,  und  dass  der  Begriff  „Bewusst- 
e^*  hier  wie  überall  nur  die  Gesammtheit  der  in  einem  gegebenen  Moment 
vorhandenen  psychischen  Erlebnisse  bezeichnet,  bedarf  wohl  nach  der  obigen  Defi- 
nition der  beiden  Umfangsbegriffe  kaum  der  besonderen  Hervorhebung.  Ebenso 
ist  es  selbstverständlich,  dass  solche  Umfangsbestimmungen  immer  nur  für  den 
»peciellen  Fall  gelten,  für  den  sie  ausgeführt  sind,  dass  sie  aber  in  Folge  der 
Vergleichung  mit  einer  Reihe  von  Fällen,  in  denen ,  abgesehen  von  der  Anzahl 


206  Logik  der  Psychologie. 

Mit  der  Untersuchung  der  einzelnen  Vorstellungen  hängt  die 
ihrer  Verbindungen  auf  das  engste  zusammen.  Ist  doch  die 
einzelne  Vorstellung  kein  starres  Gebilde,  das  unveränderlich  immer 
wieder  in  derselben  Form  entsteht  oder,  wenn  es  verschwunden  ist, 
wiederkehrt,  sondern  ein  aus  zahlreichen  Empfindungselementen  zu- 
sammengesetztes Ganzes,  dessen  Theile,  wenn  auch  durch  gewisse 
objective  Bedingungen  meist  fester  zusammengehalten,  doch  an  und 
für  sich  nicht  weniger  wechseln  können,  wie  die  simultanen  und 
successiven  Verbindungen  der  Vorstellungen.  Eben  darum  ist  von 
vornherein  zu  vermuthen,  dass  es  nicht  grundsätzlich  verschiedene 
Verbindungsgesetze  sind,  denen  das  psychische  Leben  hier  wie  dort 
unterworfen  ist,  sondern  dass  in  beiden  Fällen  nur  die  nämlichen 
Gesetze  unter  verschiedenen  Bedingungen  wirken.  In  der  That  be- 
stätigt sich  dies  schon  darin,  dass  es  eine  scharfe  Grenze  zwischen 
den  Verbindungen  der  Empfindungen  zu  Einzelvorstellungen  und 
ihren  Verbindungen  zu  simultan  gegebenen  oder  in  zeitlicher  Folge 
an  einander  gereihten  Verbänden  von  Einzelvorstellungen  nicht  gibt, 
wie  dies  vor  allem  die  Erscheinungen  der  Assimilation  von  Empfin- 
dungseindrücken durch  reproducirte  Elemente  früherer  Vorstellungen 
und  die  des  unmittelbaren  und  mittelbaren  sinnlichen  Wiedererkennens 
beweisen'*').  Aus  diesem  Grunde  ist  es  gar  nicht  zu  vermeiden, 
dass  man  den  früher  allein  auf  die  Verbindungen  mehr  oder  minder 
selbständig  unterscheid  barer  Vorstellungen  beschränkten  Begriff  der 
Association  auf  jene  ursprünglichen  Verbindungen  der  Vor- 
steUungselemente  zu  Vorstellungen  überträgt.  Sind  doch  in  Wahr- 
heit auch  die  Associationen  scheinbar  selbständiger  Vorstellungen 
nichts  anderes  als  Verbindungen  von  Elementen,  die  sich  nur  in 
wechselnderer  Weise  bilden  und  daher  eine  Zerlegung  in  einzelne 
Glieder  leichter  möglich  machen.  Dies  vorausgesetzt  erscheint  es 
nun  gerechtfertigt  und  zur  Unterscheidung  der  Associationen  von 
andern  Verbindungsprocessen  der  Vorstellungen  zweckmässig,  bei  der 
Feststellung  ihres  Begriffs  gerade  von  jenen  Verbindungen  der 
Elemente  zu  einheitlichen  Vorstellungen  auszugehen,  und  demnach 
„Associationen*'  alle  Verbindungen  zu  nennen,  deren  Producte  ein- 
zelne Vorstellungen  oder  regelmässige  Zusammenhänge  einzelner 
Vorstellungen  sind,  sofern  nicht  auf  diese  letzteren  Zweck-  und 
Werthbestimmungen   einen  Einfluss  gewinnen,   die  sich  einer  Sub- 

der  zusammenzufassenden  Elemente,  die  Bedingungen  die  nämlichen  sind,  relative 
Vergleichungswerthe  gewinnen  lassen. 

*)  Vgl.  Physiol.  Psych.  II,  S.  437  ff. 


Gausale  Analyse  der  Vorstellungen.  207 

sumtion  unter  die  Association  entziehen,  und  deren  Wirkung  die 
vorhandenen  Associationen  so  modificirt,  dass  diese  nur  noch  als 
mitwirkende  Bedingungen  solcher  wesentlich  anders  gearteter  Ver- 
bindungen betrachtet  werden  können.  Die  Akte  des  ürtheilens, 
Schhessens,  Denkens,  kurz  alle  ^^intellectuellen  Functionen''  ruhen 
zwar  auf  einer  grossen  ünterströmung  von  Associationen  und  würden 
ohne  diese  niemals  möglich  sein;  in  ihrer  eigensten  Natur  können 
sie  aber  aus  denselben  nicht  begriffen  werden,  weil  sie  sich  sowohl 
in  den  Gesetzen  ihres  Verlaufs  wie  in  den  begleitenden  Oefühls-  und 
WillensTorgängen  wesentlich  unterscheiden.  Wir  bezeichnen  daher 
diese  Processe  wegen  der  hervorragenden  Bedeutung,  welche  die 
Function  der  Apperception  bei  ihnen  besitzt,  als  apperceptive 
Verbindungen  der  Vorstellungen. 

Das  Phänomen  des  Verlaufs  der  Vorstellungen  setzt  sich 
nun  normaler  Weise  aus  diesen  beiden  Formen  der  Verbindung 
zusammen,  so  dass  die  Herstellung  einer  reinen  Associationsreihe 
im  Grunde  ebenso  gut  eine  psychologische  Abstraction  ist  wie  die 
Existenz  einer  von  Associationen  unbeeinflussten  apperceptiven  Ver- 
bindung. Erhöht  wird  hier  die  Schwierigkeit  der  Trennung  noch 
dadurch,  dass  die  intellectuellen  Erzeugnisse  fortwährend  in  den 
Bestand  der  disponibeln  Associationen  übergehen,  indem  sie  gewisser- 
massen  mechanisirt  werden  und  so  dem  Bewusstsein  als  äussere 
Gedächtnissverknüpfungen  ähnlich  verfügbar  bleiben,  wie  eingeübte 
complicirte  Bewegungen  allmählich  automatisch  werden,  um  dann 
Bestandtheile  noch  verwickelterer  Willenshandlungen  zu  bilden.  Darum 
kann  nun  aber  auch  die  Association  als  die  primitivere  Verbin- 
dungsform immerhin  eher  noch  ohne  die  Einflüsse  einer  unmittelbar 
eingreifenden  intellectuellen  Thätigkeit  als  diese  ohne  die  Grundlage 
jener  vorkommen.  In  der  That  bietet  schon  für  die  gewöhnliche 
Beobachtung  die  Ideenflucht  des  Geistesgestörten  nicht  selten  das 
Schauspiel  eines  nahezu  rein  associativen  Verlaufs  dar,  in  welchem 
auch  die  Begriffs-  und  Urtheilsbestandtheile  nur  noch  den  Schein 
intellectueller  Functionen  erwecken,  weil  sie  in  Wahrheit  associativ 
gewordene  Reste  früherer  Gedankenbildungen  sind.  Experimentell  lässt 
sich  durch  die  willkürliche  Einführung  bestimmter  Bedingungen  an- 
nähernd das  nämliche  erreichen,  wobei  man  freilich  willkürlich  alle  sich 
einschiebenden  logischen  Gedankenbildungen  unbeachtet  lassen  muss. 
Das  ganze  Problem  des  Verlaufs  der  Vorstellungen  lässt  sich 
nun  allgemein  in  eine  doppelte,  eine  quantitative  und  eine 
I        qualitative   Aufgabe    zerlegen.      Die    erste    besteht   in    der   Er- 


I 


208  Logik  der  Psychologie. 

mittelung  der  zeitlichen  Entstehung,  Dauer  und  Aufeinanderfolge 
der  Vorstellungen.  Die  zweite  beschäftigt  sich  mit  den  Beziehungen, 
welche  die  einzelnen  Glieder  einer  Vorstellungsreihe  nach  ihrem 
qualitativen  Inhalte  darbieten.  Da  die  Unterschiede  des  associa- 
tiven  und  des  apperceptiven  Vorstellungsverlaufes  durchaus  nur  auf 
diesen  Beziehungen  beruhen,  so  kann  die  Feststellung  der  jeder 
dieser  Formen  eigenthümlichen  Verlaufsgesetze  erst  der  qualitativen 
Aufgabe  zufallen.  Dagegen  ist  von  vornherein  nicht  zu  erwarten, 
dass  die  zeitlichen  Verhältnisse  des  Wechsels  der  Vorstellungen 
wesentliche  Unterschiede  darbieten  werden,  je  nachdem  sie  der  einen 
oder  andern  Classe  von  Processen  angehören.  Namentlich  aber  ist 
es  selbstverständlich,  dass  die  allgemeinen  Methoden  der  Untersuchung 
hier  wie  dort  die  nämlichen  bleiben,  da  diese  Methoden  nach  ihrer 
technischen  Seite  immer  nur  in  der  Anwendung  genauer  zeitmessender 
Werkzeuge,  nach  ihrer  psychologischen  aber  nur  in  Verfahrungs- 
weisen  bestehen  können,  durch  die  man  irgend  welche  zusammen- 
gesetzte psychische  Vorgänge  durch  Variation  ihrer  Bedingungen  in 
ihre  einzelnen  zeitlich  zu  unterscheidenden  Bestandtheile  zu  zerlegen 
oder  in  den  ihnen  in  der  Vorstellung  zukommenden  zeitlichen  Eigen- 
schaften zu  verändern  sucht. 

Die  auf  solche  Weise  alle  Arten  der  Vorstellungsverbindung 
umfassenden  chronometrischen  Methoden  bilden  einen  wich- 
tigen Bestandtheil  der  experimentellen  Psychologie,  zu  welchem  diese 
zuerst  von  aussen,  von  der  astronomischen  Beobachtungskunst 
her  den  Anstoss  empfangen  hat.  Indem  die  Zeitbestimmungen  ge- 
wisser astronomischer  Ereignisse,  wie  z.  B.  eines  Stemdurchgangs 
durch  den  Meridian  des  Beobachtungsortes,  Abweichungen  zwischen 
den  Resultaten  verschiedener  Beobachter  ergaben,  die  nur  auf  sub- 
jective,  durch  die  psychischen  Vorgänge  der  Auffassung  und  der 
willkürlichen  Registrirung  der  Erscheinungen  veranlasste  Unterschiede 
bezogen  werden  konnten,  lag  von  selbst  die  Frage  nach  dem  eigenen 
Zeitverlauf  dieser  Vorgänge  nahe.  Diese  Frage  ist  aber  eine  psycho- 
logische, und  ihre  weitere  Verfolgung  musste  mit  innerer  Noth- 
wendigkeit  dazu  führen,  dass  allmählich  versucht  wurde,  auf  dem 
von  der  Astronomie  gezeigten  Wege  und  unter  angemessener  Ver- 
änderung der  von  ihr  ausgebildeten  Hülfsmittel  das  Problem  des 
Vorstellungsverlaufs  in  seinem  ganzen  Umfang  in  Angri£P  zu  nehmen*). 


*)  Zur  Geschichte  der   astronomischen  Beobachtungen,   aus  denen   die 
psychologisch-chronometrischen  Methoden  hervorgingen,    vgl.  Exner,   Pflügers 


Causale  Analyse  der  Yontelluxigen.  209 

Logisch  lassen  sich  die  so  zur  Ausbildung  gelangten  Methoden  in 
zwei  Hauptmethoden  sondern:  in  die  Differenz-  und  die  Yer- 
gleichungsmethode. 

Die  Differenzmethode  ist  eine  Unterform  der  allgemeinen 
EUminationsmethode  (Bd.  II,  Abth.  1,  S.  363).  Sie  besteht  darin, 
dass  man  die  Zeitdauer  eines  psychischen  Vorgangs  ermittelt,  indem 
man  ihn  aus  einem  zusammengesetzteren  psychophysischen  Process,  in 
den  er  als  Bestandtheil  eingeht,  durch  Subtraction  der  andern  Be- 
standtheile  gewinnt.  Die  Anwendung  dieser  Methode  ist  schon  bei 
den  relativ  einfachsten  Erscheinungen  erforderlich,  weil  es  über- 
haupt keinen  Bewusstseinsvorgang  gibt,  dessen  Zeitdauer  sich  isolirt, 
losgelöst  von  bestimmten  physischen  Processen  der  Nervenleitung 
ttod  Muskelbewegung,  ermitteln  liesse.  Mit  Rücksicht  auf  die  äusseren 
Hülfsmiitel  wird  daher  die  Differenzmethode  alsReactionsmethode 
bezeichnet.  In  alle  Anwendungen  derselben  geht  nämlich  als  letzter 
chronometrisch  nicht  weiter  zu  zerlegender  Bestandtheil  eine  ein- 
fache Reactionszeit  ein,  d.  h.  diejenige  Zeit,  die  mit  der  Ein- 
wirkung eines  einfachen  Sinnesreizes  von  zuvor  bekannter  Beschaffen- 
heit beginnt  und  mit  einer  zuvor  bestimmten,  unmittelbar  nach  der 
Auffassung  des  Reizes  ausgeführten  willkürlichen  Bewegung  endigt. 
Die  Zeit  irgend  eines  einfachen  psychischen  Actes  kann  dann  als 
Differenz  der  Reactionsdauer  die  ihn  einschliesst  und  der  unter  sonst 
gleichen  Bedingungen  bestimmten  einfachen  Reactionszeit  erhalten 
werden.  Bezeichnen  wir  die  letztere  als  Reactionszeit  I.  Ordnung 
und  dagegen  die  Zeit  irgend  eines  Vorgangs,  der  ausser  ihr  noch 
einen  einfachen  psychischen  Act  enthält,  als  solche  II.  Ordnung,  so 
wird  durch  die  Einführung  eines  weiteren  psychischen  Actes  in  die 
letztere  eine  Reactionszeit  III.  Ordnung  entstehen,  und  ähnlich  wird 
man  möglicher  Weise  noch  zu  Zeiten  IV.  und  höherer  Ordnung 
fortschreiten  können.  Immer  wird  man  dann  zunächst  durch  Sub- 
traction der  einfachen  Reaction  die  Zeitdauer  eines  zusammen- 
gesetzten psychischen  Processes  erhalten,  der  sich  weiterhin  durch 
successive  Subtraction  der  complexen  Reactionszeiten  in  seine  ein- 
facheren Bestandtheile  zerlegen  lässt.  Bis  jetzt  sind  wir  nur  bis  zu 
Zeiten  III.  Ordnung  gelangt,  und  die  Vorgänge  des  Vorstellungs- 
verlaufs, deren  Dauer  auf  diesem  Wege  bestimmt  wurde,  sind:  Er- 
kennung eines  Eindrucks  von  im  allgemeinen  bekannter  Beschaffen- 


Archiv  f.  Physiologie,  VII,  S.  601  ff.,   über  die  psychologische  Methodik  selbst 
meine  PhysioL  Psych.,  Bd.  11,  Cap.  XV  und  XVI. 

Wundt,  Logik  n,  8.    8.  Aufl.  14 


210  Logik  der  Psychologie. 

heit,  Unterscheidung  zwischen  zwei  oder  mehreren  zuvor  gegebenen 
Eindrücken,  Wahl  zwischen  verschiedenen  Handlangen,  successive 
Associationen,  einfache  Drtheilsacte.  Da  die  äussere  Reaction  auf 
einen  Eindruck  auf  einem  Willensimpuls  beruht,  so  besitzen  übrigen» 
die  genannten  Vorgänge  in  diesem  Zusammenhang  zugleich  den  Cha- 
rakter von  Willensmotiven.  Neben  ihrer  Bedeutung  für  die 
Messung  der  einzelnen  Factoren  des  Vorstellungsverlaufs  haben  da- 
her diese  Methoden  noch  die  t^eitere,  dass  sie  die  Hülfsmittel  zur 
Untersuchung  des  zeitlichen  Verlaufs  der  Willensvorgänge  sind^ 
Mit  Rücksicht  auf  diese  Bedeutung  werden  wir  unten  nochmals  auf 
sie  zurückkommen  müssen,  und  es  wird  dort  zugleich  der  Ort  sein,  die 
Bedingungen  zu  besprechen,  die  bei  der  einfachen  Reaction  erfüllt 
sein  müssen,  wenn  sie  in  der  angegebenen  Weise  als  Subtractions- 
factor  verwerthet  werden  soll.     (Vgl.  S.  224.) 

Wie  die  Differenzmethode  als  eine  den  psychologischen  Zwecken 
angepasste  Form  der  physikalischen  Eliminationsmethode  betrachtet 
werden  kann,  so  schliesst  sich  die  Vergleichungsmethode  zu- 
nächst an  die  Öradationsmethode  an.  Das  Princip  derselben  besteht 
allgemein  darin,  dass  durch  äussere  Einwirkungen  ein  Vorstellungs- 
verlauf erzeugt  wird,  dessen  subjective  Beziehungen  nun  mit  den 
entsprechenden  objectiven  Beziehungen  der  Eindrücke  verglichen 
werden.  Die  Methode  lässt  wieder  verschiedene  Gestaltungen  zu^ 
unter  denen  hier  die  Reproductionsmethode  als  Beispiel  genügen 
mag.  Sie  dient  der  Untersuchung  der  Erinnerungsvorgänge  und 
zerfällt,  je  nachdem  sie  zugleich  auf  die  qualitativen  Eigenschaften 
der  Vorstellungen  oder  bloss  auf  ihre  extensiven  zeitlichen  Verhält- 
nisse Rücksicht  nimmt,  wieder  in  verschiedene  Verfahrungsweisen. 
In  der  qualitativen  Reproductionsmethode  bestehen  die  so  genannten 
«Öedächtnissversuche*,  bei  denen  irgend  ein  Eindruck  gegeben  und 
dann  geprüft  wird,  mit  welcher  Genauigkeit  er  nach  einer  gegebenen, 
in  den  verschiedenen  Versuchen  wechselnden  Zeit  wieder  genau 
erkannt,  oder  wie  leicht  er  mit  einem  andern  ähnlichen  Eindruck 
verwechselt  werden  kann'*').  Eine  bloss  quantitative  Reproductions- 
methode wird  dann  gewonnen,  wenn  ein  Zeitverlauf  lediglich  in  Bezug 
auf  die  Veränderung  der  zeitlichen  Eigenschaften,  die  er  bei  der 
nach  verschieden  langer  Zwischenzeit  eintretenden  Wiedererinnerung 
erfährt,  geprüft  wird.  Dabei  muss  dann  aber  selbstverständlich,  um 
wechselnde  Einflüsse  des  qualitativen  Inhaltes  zu  vermeiden,  die  Be- 
schaffenheit der  die   Zeitstrecke    ausfüllenden   Eindrücke    nicht  nur 

•)  Physiol.  Psych.  II,  S.  431  ff. 


Causale  Analyse  der  Vorstellungen.  211 

gleich,  sondern  auch  möglichst  einfach  gewählt  werden:  sie  besteht 
also  z.  B.  in  einfachen  Tönen  oder  in  leeren  Zeitstrecken,  die  von 
einfachen  Schalleindrücken  begrenzt  sind  u.  dergl.  Versuche  dieser 
Art  bilden  eine  Weiterführung  jener  experimentellen  Analyse  zeit- 
licher Vorstellungen,  die  man  unter  der  allgemeinen  Bezeichnung 
«Zeitsinny ersuche*  zusammengefasst  hat.  Diese  beziehen  sich  so 
lange  auf  das  Problem  der  Bildung  der  Einzelvorstellungen  und 
stützen  sich  auf  die  Anwendung  directer  Vergleichungen,  als  es  sich 
um  die  unmittelbare  Auffassung  und  Vergleichung  zeitlicher  Vor- 
stellungen handelt  (vgl.  oben  S.  205);  dagegen  kommt  die  Elepro- 
ductionsmethode  zur  Anwendung,  und  das  ganze  Problem  wird  ein 
.Gtedächtnissproblem* ,  sobald  mittelbare  Zeitvergleichungen  aus- 
geführt werden,  d.  h.  solche,  bei  denen  die  frühere  zeitliche  Vor- 
stellung verschwunden  ist,  wenn  die  neue,  die  mit  ihr  verglichen 
werden  soll,  entsteht '^). 

Alle  quantitativen  Methoden  zur  Untersuchung  der  Vorstel- 
lungen und  ihres  Verlaufs  können  nun,  sobald  es  sich  um  die  Fest- 
stellung von  Grössenbeziehungen  handelt,  wieder  zu  den  Methoden 
der  psychischen  Grössenmessung  zurückgreifen,  um  diese  als  Hülfs- 
verfahren  anzuwenden.  Da  räumliche  wie  zeitliche  Strecken  immer 
zugleich  psychische  Grössen  sind,  die  der  Forderung  der  Homogenität 
ihrer  Theile  genügen,  so  ist  damit  die  Uebertragbarkeit  der  psychi- 
schen Massprincipien  auf  sie  von  selbst  gegeben.  Alles  was  man 
den  Gebieten  des  „Raum-*^  und  des  , Zeitsinnes''  zugewiesen  hat, 
besteht  daher  zu  einem  wesentlichen  Theile  aus  Anwendungen  psychi- 
scher Grössenmessung  auf  die  Probleme  der  räumlichen  und  der  zeit- 
lichen Associationen.     (Vgl.  oben  S.  178  f.) 

Der  qualitativen  Analyse  des  Vorstellungsverlaufs 
treten  zunächst  die  Formen  der  successiven  Association  und  der 
apperceptiven  Verbindungen  der  Vorstellungen  als  scharf  ausge- 
pragte,  schon  in  ihren  äusseren  Verlaufsgesetzen  deutlich  unter- 
schiedene Arten  des  Geschehens  entgegen,  die  auch  die  psycho- 
logische Untersuchung  auf  eine  Scheidung  der  Aufgaben  hinweisen. 
Unter  ihnen  fällt  schon  die  Analyse  der  successiven  Associationen 
nicht  mit  derselben  Nothwendigkeit  wie  eine  jede  quantitative  Unter- 

*)  Physiol.  Psych.  II,  S.  408  ff.  Ueber  eine  andere  Form  der  vergleichen- 
den Methode,  die  Complicationsmethode,  bei  der  es  sich  wesentlich  um 
die  Prüfimg  der  AufmerksamkeitseinflÜsse  auf  die  zeitliche  Reihenfolge  der  Be- 
itaadiheile  einer  VorsteUang  handelt,  vgl.  ebend.  S.  398  ff. 


212  Logik  der  Psychologie. 

suchung  dieses  Gebietes  in  den  Bereich  experimenteller  Methodik. 
Bietet  doch  die  gewöhnliche  Erfahrung  in  den  Erinnerungserschei- 
nungen fortwährend  mannigfache  Beispiele  der  Association,  die,  wenn 
sie  gesammelt  und  statistisch  verarbeitet  werden,  ein  reiches  Material 
zur  Beurtheilung  der  verschiedenen  Richtungen  und  Formen  der 
Association  liefern  können.  Dennoch  ist  auch  hier  der  Mangel  einer 
planmässigen  Beeinflussung  des  Bewusstseins  zum  Zweck  der  geeig- 
neten Variirung  der  Bedingmigen  und  der  Schärfung  der  Selbst- 
beobachtung nicht  zu  verkennen,  ein  Mangel  der  hinreichend  darin 
sich  ausspricht,  dass  man,  so  grosse  Aufmerksamkeit  auch  die  Asso- 
ciationspsychologie  diesem  Gebiet  geschenkt  hat,  doch  vor  Einführung 
der  experimentellen  Methode  nicht  über  die  Aufstellung  gewisser 
AUgemeinbegrifife ,  wie  der  Aehnlichkeits-  und  der  Berührungsasso- 
ciation,  hinausgekommen  ist.  In  der  That  musste  der  für  die  Theorie 
der  Associationen  entscheidende  Punkt  nothwendig  so  lange  verfehlt 
werden,  als  man  an  der  Auffassung  festhielt,  die  Vorstellungen  seien 
Bilder  von  Gegenständen,  relativ  beharrend  wie  die  Gegenstände 
selber  —  eine  Auffassung  die  dann  nothwendig  auch  die  weitere 
mit  sich  führte,  dass  die  Associationen  in  nichts  anderem  als  in 
wechselnden  Verbindungen  zwischen  diesen  fertigen  Objecten  be- 
stünden. Auch  hier  hat  sich  wieder  die  Ueberlegenheit  der  experi- 
mentellen Methode  bewährt.  Ein  Jahrhundert  lang  war  die  Asso- 
ciationspsychologie  den  Associationsphänomenen  gegenübergestanden, 
ohne  im  wesentlichen  über  jene  Subsumtion  unter  Allgemeinbegriffe 
hinauszukommen,  durch  die  schon  Aristoteles  die  Erscheinungen  des 
Gedächtnisses  nicht  sowohl  zu  erklären  als  nach  seiner  Weise  zu 
schematisiren  versucht  hatte.  Wer  aber  nur  einmal  eine  Anzahl 
jener  Reactionsversuche ,  in  die  Associationsvorgänge  als  Bestand- 
theile  eingehen  (S.  209  f.),  mit  der  erforderlichen  Aufmerksamkeit 
ausgeführt  hat,  dem  kann  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  dass  alle  jene 
Classificationen  schon  deshalb  keinen  Erklärungswerth  besitzen,  weil 
die  Vorstellungen  selbst  wechselnde  Ereignisse  sind,  die  sich  fort- 
während verändern.  Die  Association  zwischen  zwei  fertigen  Vor- 
stellungen kann  daher  kein  einfacher  Process  sein,  sondern  nur  das 
resultirende  Erzeugniss  vieler  elementarer  Vorgänge.  Für  das  nähere 
Studium  dieser  Vorgänge  und  die  weiteren  daran  sich  schliessenden 
Fragen  erscheint  es  aber  zweckmässig,  die  qualitative  Aufgabe  von  der 
quantitativen  der  Reactionsversuche  zu  trennen.  Beobachtungen  dieser 
Art  bestehen  dann  im  wesentlichen  in  Associationsreactionen  ohne 
äussere  Reaction,  bei  denen  die  Versuchspersonen  zugleich  angehalten 


Causale  Analyse  der  Vorstellungen.  213 

werden,  über  die  zu  gegebenen  Eindrücken  entstandenen  Associationen 
und  deren  Begleiterscheinungen  Rechenschaft  zu  geben'*').  Kann  es 
als  das  wichtigste  psychologische  Ergebniss  dieser  Versuche  betrachtet 
werden,  dass  es,  sofern  wir  auf  die  elementaren  Processe  zurück- 
gehen, überhaupt  nicht  Associationen  zwischen  den  Vor- 
stellungen selbst,  sondern  nur  solche  zwischen  ihren  Em- 
pfindungsbestandtheilen  gibt,  so  fällt  aber  damit  auch  jede 
Berechtigung  hinweg,  die  successive  Aasociation  und  die  Bildung  der 
Einzelvorstellungen  als  zwei  gänzlich  verschiedene  Glassen  psychi- 
scher Processe  anzusehen.  Vielmehr  ordnet  sich  auch  die  zweite 
der  Association  der  Empfindungen  unter,  eine  Folgerung  die  m  der 
thatsächlichen  Existenz  der  mannigfachsten  Debergänge  zwischen 
simultaner  und  successiver  Association  ihre  Bestätigung  findet'*"*'). 

Hat  so  die  experimentelle  Analyse  mit  zwingender  Nothwendig- 
keit  dazu  geführt,  den  Associationsbegriff  so  zu  sagen  nach  unten 
hin  zu  erweitern  und  zu  vertiefen,  indem  die  sämmtlichen  Processe 
der  Vorstellungsbildung  ihm  zufallen,  so  muss  sich  dagegen  jener 
Begriff  nach  oben  hin,  namentlich  gegenüber  den  Anwendungen  die 
er  in  der  Associationspsychologie  gefunden,  eine  wesentliche  Ein- 
schränkung gefallen  lassen.  Da  naturgemäss  alle  verwickeiteren 
Processe  des  psychischen  Lebens  auf  der  Bildung  der  Einzelvorstel- 
lungen und  ihren  associativen  Verbindungen  beruhen,  so  fallt  es 
natürlich  nicht  schwer,  in  allen  Erzeugnissen  der  intellectuellen  Ent- 
wicklung nicht  nur  Associationen  nachzuweisen,  sondern  es  ist  auch 
selbstverständlich,  dass,  wenn  man  diese  Associationen  hinweg- 
denken könnte,  jene  Erzeugnisse  selber  verschwinden  müssten.  Hier 
gerade,  wo  die  experimentelle  Methode  im  Stich  lässt,  ist  man  dann 
nur  allzu  sehr  geneigt,  wieder  mit  so  genannten  , Selbstbeobach- 
tungen*^ nachzuhelfen  und  auf  Grund  derselben  z.  B.  zu  versichern, 
dass  bei  einem  schwierigen  Erkenntnissproblem  gegenüber  einer  ge- 
wöhnlichen Oedächtnissleistung,  abgesehen  etwa  von  stärkeren  Muskel- 
spannungen oder  andern  Organempfindungen,  keine  besonderen  Eigen- 
thümlichkeiten  nachzuweisen  seien.  Dabei  vergisst  man  aber,  dass 
die  erste  Regel  für  die  Interpretation  verwickelter  Vorgänge  des 
geistigen  Lebens  so  gut  wie  der  Natur  darin  besteht,  dass  man  vor 
allem  die  Erzeugnisse  solcher  Vorgänge  einer  sorgsamen  Analyse 
unterwerfe,    um   erst  an   der  Hand   dieser  Analyse   den  Vorgängen 

♦)  W.  E.  Scripture,  Phil.  Stud.  VII,  S.  50  ff. 

**)  Vgl.  über  diese  Fragen  Physiol.  Psych.  II,  S.  466  ff.,  sowie  Vorlesungen 
über  die  Menschen-  and  Thierseele,  2.  Aufl.  S.  305  ff. 


214  Logik  der  Psychologie. 

selbst  auf  die  Spur  zu  kommen.  In  der  Psychologie  hat  nun  dieses 
Verfahren  ausserdem  noch  den  grossen  Vorzug,  dass  es  objectiye 
Httlfsmittel  zu  Rathe  zieht,  die  der  Selbstbeobachtung  die  Richtung 
anzuweisen  haben,  während  diese,  wo  sie  auf  solche  Httlfsmittel  yer- 
zicbtet,  begreiflicher  Weise  bei  den  der  oberflächlichen  Wahrnehmung 
zunächst  sich  aufdrängenden  Nebendingen  stehen  bleibt  und  darüber 
die  Hauptsache  ttbersieht.  Wollte  die  Associationspsychologie  leisten 
was  sie  verspricht,  so  müsste  sie  im  Stande  sein,  auch  ein  Werk 
der  Kunst  oder  der  Wissenschaft  als  ein  Aggregat  zufalliger  Asso- 
ciationen verstehen  zu  lehren;  sie  müsste  zeigen,  dass  die  Reduction 
einer  solchen  intellectuellen  Leistung  auf  die  üblichen  Formen  der 
Aehnlichkeits-  und  der  Berührungsassociation  und  etwa  noch  auf 
einige  durch  Ausdrucksbewegungen  erzeugte  Mitempfindungen  wirk* 
lieh  im  Stande  sei,  uns  dem  Verständniss  eines  solchen  Werkes  auch 
nur  um  einen  Schritt  näher  zu  bringen. 

Die  intellectuellen  Erzeugnisse  individuellen  Ursprungs  sind 
nun  aber  allzu  sehr  von  concreten  Bedingungen  abhängig,  die  bei 
ihnen  zum  Theil  das  Allgemeingültige  und  Gesetzmässige  zurück- 
treten lassen,  als  dass  sie  ohne  weiteres  als  Httlfsmittel  psychologi- 
scher Untersuchung  zu  verwerthen  wären.  Um  so  wichtiger  ist  es, 
dass  sich  in  den  geistigen  Erzeugnissen  der  menschlichen 
Gemeinschaften,  in  der  Sprache  vor  allem,  psychische  Entwick- 
lungen verdichtet  haben,  die  für  den  Menschen  von  ebenso  allgemeia- 
gttltiger  Art  sind  wie  die  in  jedem  Individuum  zu  beobachtenden 
Erscheinungen  der  Vorstellungsbildung  und  der  elementaren  Ge- 
dächtnissleistungen. Hier  tritt  daher  die  Völkerpsychologie  der 
Individualpsychologie  ergänzend  zur  Seite.  Sie  hat  nicht  bloss  die 
Untersuchungen  dieser  auf  ein  neues  Gebiet  auszudehnen,  sondern 
die  auf  diesem  Gebiet  gewonnenen  Ergebnisse  müssen  auch  wiederum 
als  leitende  Gesichtspunkte  für  das  Verständniss  aller  höheren 
intellectuellen  Functionen  betrachtet  werden*). 


*)  Gtogen  den  Aasdruck  «höhere*  psychische  Functionen  hat  sich  in  ge- 
wissen Kreisen  der  modernen  Psychologie  eine  Art  Idiosynkrasie  ausgebildet. 
Man  hält  es  ftkr  unpassend,  von  höheren  Gefühlen,  höheren  intellectuellen  Func- 
tionen u.  dergl.  zu  reden.  Für  den  Psychologen,  meint  man,  sei  alles  gleich- 
werthig,  und  er  dürfe  eine  solche  dem  populären  Sprachgebrauch  entlehnte 
Abstufung  nicht  zulassen.  Ich  habe  noch  nie  gehört,  dass  z.  B.  die  Mathe- 
matiker aus  ähnlichen  Gründen  gegen  den  Ausdruck  „höhere"  Mathematik 
protestirt  hätten,  obgleich  kein  Mensch  zweifelt,  dass  es  für  sie  ebenso  wichtig 
ist,  addiren  wie  integren  zu  können.    Dass  Werthbestimmungen  überall  auf 


\ 


Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  Willensvorg&nge.  215 


g.    Die  Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  Willensvorgänge. 

Die  Analyse  der  Gefühle  hat  wegen  der  ungleich  verwickeiteren 
Bedingungen  ihrer  Entstehung,  mit  der  zugleich,  wie  es  scheint,  eine 
reichere  qualitative  Mannigfaltigkeit  zusammenhängt,   mit  sehr  viel 
grösseren   Schwierigkeiten   zu    kämpfen   als  die  der  Vorstellungen. 
Eine  Folge  davon  ist  es,  dass  auf  diesem  Gebiete  nicht  selten  selbst 
die  Vertreter  einer  experimentellen  Psychologie  auf  die  Abwege  so 
genannter  «Selbstbeobachtungen'^  gerathen,  unter  denen  man  in  diesem 
Fall  in  der  Regel  vorgefasste  Meinungen  zu  verstehen  hat,   die  aus 
dogmatischen  Vorurtheilen  hervorgegangen  sind.     So  sind  z.  B.  An- 
gaben wie  die,   dass  nur  die  Unlust  ein  positives  Gefühl,   die  Lust 
aber    nur   eine   aufhörende  Unlust  sei,    oder  dass   alle   Gefühle  in 
Muskel-  oder  Organempfindungen   bestünden,  oder  endlich  dass  es 
nur  zwei  individuelle  Gefühle,  ein  Lust-  und  ein  UnlustgefÜhl,  gebe, 
und  dass  demnach  der  Schmerz,  den  man  bei  einem  erschütternden 
Lebensereigniss,  und  der  den  man  beim  Zahnausziehen  empfinde  als 
Gefühl  betrachtet  eins  und  dasselbe  sei,  —  diese  und  viele  ähnliche 
Behauptungen  sind  offenbar  gleich   viel  oder  gleich   wenig   werth. 
Zweifellos  haben   die  Beobachter,   die  diese  Dinge  durch  die  Con- 
centration   ihrer  Aufmerksamkeit  auf  innere  Erlebnisse  festgestellt 
haben  wollen,  richtig  zu  beobachten  geglaubt.     Aber  ebenso  gewiss 
ist  es  wohl,   dass  jeder  von  ihnen  unter  dem  Einfluss  irgend  einer 
Annahme  stand,  die  er  sich  vor  der  Ausführung  seiner  Selbstbeob- 
achtungen gebildet  hatte.     Da  es  nun  ganz  unmöglich  ist,   mittelst 
der  blossen   Selbstbeobachtung  die  Vorstellungs-   und  die  GefÜhls- 
bestandtheile  irgend   eines   complexen  Erlebnisses   von   einander  zu 
sondern,    so  ist  es  auch  kaum  möglich,   dass  bei  diesem  Verfahren 
etwas   anderes  herauskommt  als  was  man  vorher  schon  weiss   oder 
zu  wissen   glaubt:   d.  h.  wer  die  Gefühle  für  absolut  gleichförmige 
Seelenzustände  hält  wird  natürlich  alle  vorhandenen  Unterschiede  auf 
die  intellectuelle  Seite  verweisen,   und  wer  sie  nicht  für  einförmige 
Seelenzustände  hält,  wird  irgend  einen  Theil  dieser  Unterschiede  bei 
den  Gefühlen  zurückbehalten,  u.  s.  w. 


geistigem  Gebiet  ezistiren,  ist  doch  eine  Thatsache,  die  vor  allem  der  Psychologe 
anerkennen  sollte,  and  über  die  er  jedenfalls  Rechenschaft  zu  geben  hat.  Hinter 
der  Nivellirung  des  Ausdrucks  verbirgt  sich  aber  hier  in  der  Regel  schon  die 
Tendenz,  auf  diesem  bequemen  Wege  auch  der  Unterschiede  der  Sache  selbst 
ledig  zu  werden. 


216  Logik  der  Psychologie. 

Der  einzige  Weg,  um  diese  Fallstricke  der  reinen  Selbstbeob* 
achtung  zu  vermeiden,  bleibt  darum  auch  im  vorliegenden  Fall  der^ 
dass  man  sich  so  viel  als  möglich  der  experimentellen  Variirung^ 
der  Umstände  bedient,  und  dass  man  natürlich  überdies  unbefangen 
beobachtet,  d.  h.  nicht  praoccupirt  durch  Theorien,  die  man  selbst 
verfertigt  oder  von  Andern  überliefert  erhalten  hat.  Das  Wesent- 
liche bei  der  experimentellen  Beobachtung,  wodurch  sie  auch  hier 
eine  so  viel  grössere  Sicherheit  gewinnt  als  die  zufallige  Wahrneh- 
mung, besteht  nun  darin,  dass  sie  es  gestattet,  nur  einen  der  Bestand- 
theile  zu  verändern,  aus  denen  sich  eine  complexe  Erscheinung  zu- 
sammensetzt, um  dann  die  psychischen  Effecte,  in  diesem  Fall  alsa 
die  GefÜhlseffecte  zu  verfolgen,  die  dieser  Veränderung  entsprechen. 
Darum  ist  aber  nur  da,  wo  eine  solche  willkürliche  Isolirung  der 
einzelnen  Bedingungen  möglich  ist,  ein  einigermassen  sicherer  Erfolg- 
von  dem  Experiment  zu  erwarten,  und  dies  ist  zugleich  der  Orund^ 
weshalb  die  nach  diesem  Princip  ausgeführte  Untersuchung  der  Ge- 
fühle nur  für  verhältuissmässig  einfache  Fälle  ausführbar  ist.  Wo- 
man  es  irgend  mit  verwickeiteren  Bedingungen  zu  thun  hat,  da  ver- 
ändern sich  nur  zu  leicht  mit  der  Variation  einer  objectiven  Be- 
dingung mehrere  subjective  Factoren,  wodurch  ein  sicherer  Schlus» 
unmöglich  wird.  Wenn  z.  B.  Goethe  empfiehlt,  man  solle,  um  sich 
von  dem  erwärmenden  Effect  der  gelben  Farbe  zu  überzeugen,  eine 
graue  Winterlandschaft  durch  ein  gelbes  Glas  betrachten,  so  leidet 
dieser  Versuch  an  dem  Uebelstand,  dass  er  den  Eindruck  einer  von 
der  Sonne  bestrahlten  Landschaft  hervorbringt,  weshalb  unmöglich 
gesagt  werden  kann,  wie  viel  etwa  von  der  vorhandenen  Gefühls- 
wirkimg auf  Rechnung  des  reinen  Farbeneindrucks  oder  jener  Asso- 
ciationen zu  setzen  sei'*').  Daneben  hat  freilich  dieser  Meister  in  der 
Beobachtung  subjectiver  Zustände  bereits  mit  sicherem  Takt  den 
richtigen  Weg  eingeschlagen,  der  allein,  so  weit  möglich,  zu  einer 
Elimination  solcher  Miteinflüsse  führen  kann.  Wenn  ein  Eindruck 
unter  den  verschiedensten  Bedingungen,  unter  denen  die  Neben- 
einflüsse in  der  mannigfaltigsten  Weise  wechseln,  immer  wieder  den 
nämlichen  GefÜhlswerth  behält,  so  wird  man  offenbar  mit  grösserer 
Sicherheit  auf  einen  der  Empfindungsqualität  selbst  anhaftenden  Ge- 
fühlston zurückschliessen  dürfen.  Am  schlagendsten  ist  dieser  experi- 
mentelle Erfolg  dann,  wenn  die  sonstigen  Motive  in  entgegengesetzter 


*)  Goethes  Farbenlehre,  Didaktischer  Theil,  Abth.  IV.    Weimarer  Aus^., 
2.  Abth.,  Bd.  I,  S.  311. 


Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  Willensvorgänge.  217 

Richtong  wirken  und  es  nun  gelingt,  durch  die  Variirung  des  einen 
Factors  diese  Wirkung  völlig  aufzuheben  oder  in  einen  andern  Ge- 
f&hlseffect  umzuwandeln.  Verhältnissmässig  am  reinsten  l&sst  sich 
eine  solche  eindeutige  Variation  der  Bedingungen  in  gewissen  Fällen 
mit  der  Starke  der  Empfindungen  oder  bei  den  Tönen  mit  der  Höhe 
der  Töne  vornehmen'*').  In  allen  diesen  Fällen  leidet  freilich  der 
Versuch,  den  GefÜhlscharakter  einfacher  Empfindungen  in  seinen 
Veränderungen  zu  verfolgen,  an  dem  Uebelstand,  dass  es  bis  jetzt 
nicht  möglich  gewesen  ist,  auf  diesem  Gebiet  wirkliche  Grössen- 
bestimmungen  auszuführen.  Dazu  müssten  Schwellenwerthe  des  Ge- 
itüils  in  ähnlicher  Weise  wie  solche  der  Empfindungen  gemessen, 
Gefühle  von  bestimmter  Qualität  in  gleicher  Stärke  willkürlich  durch 
äussere  Eindrücke  wiedererzeugt  werden  können  u.  s.  w.  —  For- 
derungen die  wegen  der  nie  völlig  zu  beherrschenden  Einflüsse,  unter 
denen  schon  die  einfachsten  Gefühle  stehen,  namentlich  aber  wegen 
der  Veränderungen,  die  sie  theils  durch  die  Dauer  theils  durch  die 
Wiederholung  erfahren,  kaum  zu  erfüllen  sind.  Man  hat  sich  daher 
in  den  Fällen,  in  denen  sich  eine  annähernd  eindeutige  Beziehung 
zwischen  Gefühl  und  Empfindungsintensität  annehmen  lässt,  wie  bei 
Druck-,  Temperatur-  und  Geschmackssinn,  auf  die  allgemeine  Con- 
siatimng  der  Existenz  gewisser  ausgezeichneter  Punkte,  wie  eines 
Indifferenzpunktes  zwischen  Lust  und  Unlust,  eines  maximalen  Lust- 
werthes  u.  derg].,  beschränkt  und  dann  im  Anschlüsse  daran  eine 
ideale  GefÜhlscurve  construirt,  die  natürlich  kein  exactes  Bild  der 
bestehenden  Abhängigkeit  sondern  nur  eine  Darstellung  des  allgemeinen 
Charakters  derselben  geben  kann'"). 

Gerade  in  diesem  Fall  bietet  nun  das  an  sich  verwickeitere 
Problem  der  Abhängigkeit  der  aus  der  Verbindung  einfacher  Ein- 
drücke entstehenden  Gefühle  von  der  Qualität  derselben  oder  der  Art 
ihrer  Verbindung  wesentlich  günstigere  Bedingungen  dar.  Denn  es 
gestattet  in  vollkommenerer  Weise  eine  Anwendung  der  vergleichen- 
den Methode  in  experimenteller  Form.  Fragt  man  z.  B.,  welche 
Glieder  einer  gegebenen  Reihe  von  Farben  die  wohlgefälligsten,  und 
welche  die  missfälligeren  Zusammenstellungen  bilden,  so  ergibt  das 
Vergleichungsverfahren  von  selbst  eine  Abstufung  der  Gefälligkeits- 


*)  Ein  belehrender  Versuch  besteht  hier  darin,  dass  man  ein  und  dasselbe 
melodische  Motiv  in  verschiedener  Tonhöhe  spielt.  Je  ausgeprägter  der  Ge- 
fÜhlscharakter des  Motivs  ist,  um  so  deutlicher  ist  die  Veränderung ,  die  er 
durch  diese  Uebertragung  erfährt. 

*)  Phydol.  Psych.  I,  S.  558. 


t*^ 


218  Logik  der  Psychologie. 

grade,  die,  wenn  auch  die  einzufllhrenden  Einheiten  im  allgemeinen 
willkürlich  bleiben,  doch  insofern  einen  quantitativen  Werth  besitzt, 
als  jeder  möglichen  Zusammenstellung  ihr  Platz  in  der  gewählten 
Reihe  angewiesen  werden  kann.  In  ähnlichem  Sinne  lassen  sich  ein- 
fache Formverhältnisse^  z.  B.  Theilungen  einer  yerticalen  oder  einer 
horizontalen  Geraden,  die  Verhältnisse  der  Breite  zur  Höhe  eines 
Rechtecks  und,  yon  diesen  einfachsten  Fällen  ausgehend,  complicirtere 
Theilungen  räumlicher  Figuren,  ebenso  rhythmische  Gliederungen 
von  Zeitstrecken,  in  Bezug  auf  ihren  ästhetischen  Werth  prQfen. 
Principiell  sind  bei  diesen  Versuchen  über  ,  ästhetische  Elementar- 
gefühle'^  wieder  die  ähnlichen  Methoden  der  Einwirkung  und  der 
Herstellung  möglich,  die  bei  der  Untersuchung  der  objectiven  Eigen- 
schaften der  Vorstellungen  zur  Anwendung  kommen  (S.  202).  Aber 
die  eigenthümlichen  Eigenschaften  der  GefQhle  geben  hier  der  Ein- 
wirkungsmethode ein  noch  entschiedeneres  Uebergewicht,  da  nur  bei 
ihr  eine  für  das  sichere  Festhalten  bestimmter  ausgezeichneter  Ge- 
fühlswerthe  erforderliche  Bestimmtheit  und  zeitliche  Beschränkung 
des  Eindrucks  erzielt  werden  kann.  Bei  der  Einwirkungsmethode 
kann  dann  das  vergleichende  Verfahren  in  einer  doppelten  Form  An- 
wendung finden:  als  paarweise  Vergleichung  und  als  reihen- 
weise Vergleichung.  Bei  der  paarweisen  Vergleichung  wählt 
man  aus  der  Reihe  der  in  Bezug  auf  ihr  ästhetisches  Verhält- 
niss  zu  vergleichenden  Objecte  A^  B,  C,  ....  je  zwei  AB^  AC^ 
AD  n.  s,  w.  und  bestimmt,  welches  Object  in  jedem  Paar  das  wohl- 
gefälligere ist.  Diese  Untersuchung,  eventuell  mit  jeder  möglichen 
Variation  der  äusseren  Bedingungen,  besonders  der  Raum-  und  Zeit- 
lage, vorgenommen,  ergibt  schliesslich  eine  Ordnung  der  ganzen 
Reihe  nach  dem  Grad  ihrer  Wohlgefälligkeit.  Bei  der  Methode  der 
reihenweisen  Vergleichung  nimmt  man  sogleich  die  ganze  Reihe  oder 
einen  grösseren,  die  Anzahl  2  übersteigenden  Theil  derselben  und 
ordnet  die  Glieder  nach  dem  Grad  des  Gefallens.  Da  die  möglichste 
Vereinfachung  der  Bedingungen  ein  wesentliches  Erfordemiss  eines 
sichern  Urtheils  bei  allen  diesen  Versuchen  ist,  so  ist  die  Methode 
der  paarweisen  Vergleichung  im  allgemeinen  vorzuziehen ;  doch  kann 
in  manchen  Fällen  bei  der  Reihenmethode  sicherer  der  Einfluss 
störender  Associationen  mit  bekannten  Natur-  oder  Eunstformen  ver- 
mieden werden'*').  Bei  complicirteren  Objecten  ist  jedoch  diesem 
Einfluss  überhaupt  kaum  zu  entgehen.    Es  würde  darum  auch  völlig 


♦)  Vgl.  L.  Witmer,  Phü.  Stud.  IX,  S.  122  ff. 


Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  Willensrorgänge.  219 

Terkehrt  sein,  irgend  welche  Terwickeltere  Fragen  der  Aesthetik  auf 
dem  Wege  solcher  experimenteller  Vergleichungen  lösen  zu  wollen. 
Di^e  können  immer  nur  dazu  dienen,  über  elementare  Factoren 
ästhetischer  Wirkungen  Rechenschaft  zu  geben.  Die  psychologische 
Analyse  der  mannigfachen  Associations-  und  Apperceptionsbedingungen 
dagegen,  die  bei  den  höheren  ästhetischen  Objecten  zu  jenen  hinzu- 
kommen, ist  ein  Stück  angewandter  Pychologie,  das  neben  der  zum 
Verstandniss  des  Objectes  erforderlichen  historischen  Erkenntniss  eine 
Tertiefang  in  den  gesammten  Zusammenhang  der  psychischen  Func- 
tionen, insbesondere  der  apperceptiven  Processe  und  der  an  sie  ge- 
bundenen reichen  Gefühlswelt  erfordert '*'). 

Die  Theorie  der  Gefühle  bildet  heute  noch  ein  hinter  der 
Analyse  der  Vorstellungen  und  ihrer  Verbindungen  weit  zurück- 
gebliebenes Gebiet  der  Psychologie.  Theils  erklärt  sich  dies  daraus, 
dass  die  für  die  seelische  Entwicklung  des  Menschen  wichtigsten 
Gefühlsformen  ihre  genetische  Untersuchung  erst  von  der  Völker- 
psychologie zu  erwarten  haben;  theils  aber  begegnet  schon  die 
Analyse  der  einfacheren  Gefühle  wegen  der  ungeheuren  Complication 
der  Einflüsse ,  unter  denen  sie  stehen ,  überaus  grossen  Schwierig- 
keiten, die  eine  experimentelle  Isolirung  der  einzelnen  Bedingungen 
beinahe  unmöglich  machen.  Ist  doch  schon  ein  sinnliches  Ge- 
fühl einfachster  Art  fast  regelmässig  nicht  bloss  von  der  Intensität 


*)  Ffir  diese  höheren  ästhetisch-psychologischen  Aufgaben  gilt  daher, 
ebenso  wie  für  das  Gebiet  des  Ethischen  und  für  alle  anderen  Gegenstände,  bei 
denen  die  Individualpsychologie  durch  die  Völkerpsychologie  ergänzt  wird,  die 
R^l,  dass  sie  sich  dem  Experiment  entziehen,  weil  sie  nicht  mehr  experimentell 
aergestellt,  sondern  nur  so  untersucht  werden  können,  wie  sie  sich  in  der  Wirk- 
ichkeit  vorfinden.  Wenn  F  e  c  h  n  e  r ,  der  Begründer  der  experimentellen  Aesthetik, 
anter  den  fQr  diese  verfügbaren  Methoden  auch  eine  solche  der  «Verwendung* 
onterschied  (Fe ebner,  Vorschule  der  Aesthetik,  I,  S.  190),  so  hat  er  darum 
eigentlich  das  bei  den  höheren  ästhetischen  Objecten  allein  mögliche  Verfahren 
auch  unter  die  experimentellen  Methoden,  die  auf  einfache  Objecte  angewandt 
werden,  zurflckübertragen.  Ein  wirkliches  Experiraentalverfahren  ist  jedoch 
'iei  dieser  , Methode  der  Verwendung'  nicht  mehr  vorhanden;  es  wird  durch 
(ine  statistische  Abzahlung  ersetzt.  So  s.  B.  wenn  man  durch  Ermittelung  der 
^bschnittlichen  Form  von  Visitenkarten,  Büchereinbänden  u.  dergl.  die  Form 
des  wohlgefölligsten  Rechtecks  festzustellen  sucht.  Die  Statistik  kann  aber  hier 
unmöglich  die  neben  dem  ästhetischen  Eindruck  zum  Einfluss  kommenden 
Momente,  z.  B.  Zweckmässigkeitsrücksichten,  die  aUgemeine  Neigung  der  Mode 
zwischen  Contrasten  zn  wechseln  u.  ähnl.,  eliminiren,  da  diese  möglicher  Weise 
Doch  regelmässiger  wirken  können  als  der  ästhetische  Eindruck  selbst. 


220  Logik  der  Psychologie. 

und  Qualität  des  Eindrucks,  sondern  auch  von  den  mannigfachen 
Associationen,  in  die  dieser  eingehen  kann,  und  durch  solche  wieder 
indirect  von  der  ganzen  zurückliegenden  Entwicklung  des  Bewusst- 
seins  abhängig.  Diese  Verwickelung  steigert  sich  natürlich  ins  un- 
absehbare bei  Gefühlen,  die  an  Verbindungen  vieler  Eindrücke«  an 
das  Entstehen  imd  Verschwinden  der  Vorstellungen,  an  ihre  Be- 
ziehungen zu  früheren  Erlebnissen  gebunden  sind  —  Beziehungen 
die  bei  den  überaus  charakteristischen  Gefühlen  wirksam  werden, 
welche  die.  Apperception  eines  Eindrucks,  das  Wiedererkennen  des- 
selben, seine  Verbindung  mit  andern  Vorstellungen,  sowie  die  Vor- 
bereitung und  Entwicklung  von  Willensimpulsen  und  ähnliche  Vor- 
gänge begleiten.  Ist  schon  die  Anzahl  unterscheidbarer  Enipfindungs- 
qualitäten,  die  einem  individuellen  Bewusstsein  zur  Verfügung  steht, 
relativ  unendlich,  da  es  immer  willkürlich  bleibt,  wenn  man  aus  der 
Fülle  der  Qualitäten  eines  Empfindungscontinuums  irgend  welche 
weiter  von  einander  abstehende  herausgreift,  und  kann  noch  weniger 
daran  gedacht  werden,  die  Mannigfaltigkeit  der  Verbindungen  zu 
zählen,  in  denen  solche  Empfindungen  wieder  zu  Vorstellungen  zu- 
sammentreten, so  bildet  allen  diesen  Erzeugnissen  gegenüber  das 
Reich  der  Gefühle  gewissermassen  eine  Unendlichkeit  höherer  Ord- 
nung, weil  eben  schon  das  einfachste  Geftihl  neben  der  directen  Be- 
ziehung zu  dem  Eindruck  den  es  begleitet  noch  mit  einer  unbegrenzten 
Vielheit  anderer  psychischer  Erlebnisse  in  Verbindung  stehen  kanu. 
Dazu  kommt  ein  äusserer  Nachtheil,  durch  den  die  Gefühlsseite  des 
Seelenlebens  weit  hinter  der  Vorstellungsseite  zurücksteht.  Bei  dieser 
hat  die  unmittelbare  Beziehung  auf  äussere  Objecte  und  das  Bedürf- 
niss  der  klaren  Unterscheidung  der  letzteren  zu  einer  reichen  Namen- 
gebung  geführt,  die  wir  auch  da,  wo  sie  uns  im  Stiche  lässt, 
leicht  durch  den  unmittelbaren  Hinweis  auf  den  vorgestellten  Gegen- 
stand ergänzen.  Die  Gefühle  sind  Erlebnisse,  zu  deren  Mittheilung 
an  Andere  ausser  dem  Künstler,  der  die  Wirklichkeit  des  Seelen- 
lebens nachbilden,  und  dem  Psychologen,  der  diese  Wirklichkeit 
wissenschaftlich  analysiren  will,  Niemand  einen  Beruf  verspürt.  Aber 
die  bildende  Kunst  kann  wiederum  Gefühle  nur  erregen  durch  das 
Mittel  der  Vorstellungen;  nicht  minder  die  Poesie,  die  mit  ihren 
Wirkungen  bald  zu  Ende  wäre,  wenn  sie  auf  die  Gefühlsausdrücke 
der  Sprache  beschränkt  bliebe,  und  daher  ihre  höchsten  Gefühls- 
wirkungen nicht  dadurch  erreicht,  dass  sie  von  ihnen  spricht,  sondern 
dadurch,  dass  sie  die  Gegenstände  und  Handlungen  schildert,  durch 
die   sie  im  Hörer   erzeugt  werden.     Die  Musik  endlich  redet  zwar 


Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  Willcnsvorgänge.  221 

eine  reine  6ef&hlssprache ,  aber  indem  sie  auf  das  Wort  verzichtet, 
bezeugt  sie  um  so  schlagender,  dass  das  Gefühl  als  solches  der 
Fähigkeit  entbehrt  in  Worten  fixirt  zu  werden.  So  sieht  sich  die 
Psychologie  den  Problemen  des  Gefühlslebens  gegenüber  in  der  Lage, 
Vorgänge  untersuchen  zu  sollen,  für  die  ihr  nur  einige  ganz  dürftige 
Bezeichnungen  zu  Gebote  stehen,  in  denen  die  Sprache  gewisse  Gegen- 
satze des  subjectiven  Verhaltens  in  allgemeinsten  Classenbegriffen 
festzuhalten  versucht  hat.  Solche  Glassenbegriffe  sind  .Lust''  und 
«Unlust*.  Sie  haben  vielleicht  in  der  Psychologie  mehr  Unheil 
angerichtet,  als  sie  der  wirklichen  Schilderung  der  Gefühle  förder- 
lich waren.  Denn  wie  man  der  Meinung  huldigte,  dass  es  , Begriffe'' 
und  3  Allgemein  Vorstellungen"  als  besondere  real  existirende  Vor- 
stelluogsgebilde  geben  müsse,  weil  nun  einmal  die  wissenschaftliche 
Sprache  zur  Realisirung  gewisser  logischer  Forderungen  diese  Wörter 
sreschaffen  hat,  so  meinte  man,  „Lust"  und  „Unlust"  seien  individuelle 
Gefühle  und  noch  dazu  die  einzigen  die  existiren,  weil  sie  die  haupt- 
sächlichsten scharf  ausgeprägten  Gegensätze  dieser  Art  sind,  die  die 
Sprache  ausdrückt.  Und  doch  erweckt  schon  im  Gebiet  der  einfachen 
Empfindungen  die  Welt  der  Töne  und  Farben  eine  Menge  subjectiver 
Stimmungen,  bei  denen,  wo  sie  nach  Gegensätzen  geordnet  werden 
können,  diese  mit  Lust  und  Unlust  jedenfalls  falsch  bezeichnet  sind. 
Nicht  minder  gilt  das  von  den  mannigfachen  Gefühlen,  die  an  die 
Associations-  und  Apperceptionsprocesse  geknüpft  sind.  Hier  wie 
öberaU  muss  sich  daher  die  Psychologie,  wenn  sie  nicht  in  rück- 
ständige Ideen  zurückfallen  will,  vor  allem  von  jenem  schematisiren- 
den  Denken  befreien,  das  die  Dinge  begriffen  zu  haben  glaubt,  wenn 
es  sie  unter  bereitliegende  Kategorien  ordnet.  So  wenig  wir  heute 
mehr  den  Verstand  oder  das  Gedächtniss  deshalb,  weil  uns  die  Sprache 
diese  zusammenfassenden  Begriffe  geschenkt  hat,  für  specifische 
seelische  Kräfte  ansehen,  ebenso  wenig  dürfen  wir  Lust  und  Unlust 
deshalb,  weil  die  Psychologie  diese  Wörter  allmählich  zu  ähnlichen 
alles  und  nichts  ausdrückenden  Kategorien  umschuf,  für  individuelle 
oder  gar  in  allen  Fällen  wo  sie  gebraucht  werden  für  die  nämlichen 
individuellen  Erlebnisse  ansehen.  Sie  sind  Glassenbegriffe  wie  andere, 
Qnd  noch  dazu  Glassenbegriffe  ärmlichster  Art,  weil  man  selbst  der 
Sprache  Gewalt  anthun  muss,  um  sie  auf  seelische  Zustände  wie  die 
des  Ernstes,  der  Beruhigung,  der  Erleichterung  und  viele  andere  zu 
übertragen.  Jedes  dieser  Wörter  bedeutet  etwas  anderes  als  Lust 
und  Unlust,  und  doch  bezeichnet  jedes  wieder  nur  einen  Classen- 
begnff,   der  eine  unendliche  Menge  von  Schattirungen  des  Gefühls 


222  Logik  der  Psychologie. 

umfasst.  Wenn  man  gesagt  hat,  in  allen  diesen  Fällen  sei  der 
wesentliche  Unterschied  nicht  in  dem  Oeftihl  als  solchem,  sondern 
in  wechselnden  Spannungsempfindungen  der  Gelenke  und  Muskeln 
begründet  die  es  begleiten,  so  macht  diese  Hypothese  erstens  die 
eigenthümlichen  Unterschiede  in  dem  seelischen  Effect  der  Gefühle 
nicht  im  geringsten  klar;  denn  jene  Empfindungen  sind  in  vielen 
anderen  Fällen  gleichgültige  Zustände,  von  denen  man  nicht  begreift, 
wie  sie  plötzlich  in  Folge  unbedeutender  Veränderungen  alles  Wohl 
oder  Wehe  einer  Menschenseele  in  sich  schliessen  sollen.  Zweitens 
aber  beruht  diese  Behauptung,  wie  ich  glaube,  auf  fehlerhaften 
,  Selbstbeobachtungen '',  bei  denen  man  die  in  solchen  Fällen  uner- 
lässUche  experimentelle  Variirung  der  Bedingungen  dogmatischen 
Vorurtheilen  zu  Liebe  yerabsäumt  hat.  Eine  solche  Variirung  kann 
in  der  That  jeden  unbefangenen  Beobachter  leicht  überzeugen,  dass 
die  für  die  Charakteristik  der  Gefühle  in  Anspruch  genommenen 
Spannungsempfindungen  gelegentlich  auch  andere,  ganz  gleichgültige 
Zustände  begleiten  können.  Will  der  Psychologe  die  Mannigfaltig- 
keit der  Gefühle  einigermassen  sichten  und  ordnen,  so  kann  er  in 
der  Beschreibung  dieser  Vorgänge  keinen  andern  Weg  gehen,  als 
den  die  Kunst,  namentlich  die  ebenfalls  der  sprachlichen  Mittel  sich 
bedienende  Dichtkunst  zu  gehen  pflegt.  Er  muss,  wo  ihn  die  directe 
Bezeichnung  der  Gefühle  im  Stiche  lässt,  die  Vorstellungen  zu 
Hülfe  nehmen.  Goethes  Schilderung  der  Farbengefühle  kann  darin 
in  mancher  Beziehung  noch  heute  als  Muster  dienen.  Eine  psycho- 
logische Analyse  mittelst  blosser  Selbstbeobachtungen  ist  aber  hier 
ebenso  trügerisch  wie  anderwärts.  Sie  sollte  nie  anders  als  auf  Grund 
vielseitiger  Variirung  der  Umstände  ausgeführt  werden.  Denn  je 
verwickelter  und  zusammengesetzter  die  Einflüsse  sind,  um  so  mehr 
bedarf  es  der  experimentellen  Isolirung  und  Abstufung  der  einzelnen. 
Was  für  die  Gefühle,  das  gilt  in  analoger  Weise  für  die 
Affecte,  die  psychologisch  betrachtet  nur  zusammengesetzte  Verlaufs- 
formen von  Gefühlen  sind.  Selbst  die  physiologischen  Begleit- 
erscheinungen der  Affecte  in  Gestalt  bestimmter  Einflüsse  auf  Puls, 
Athmung  und  Gefassinnervation  sind  in  der  Regel  schon  bei  den 
Gefühlen  zu  finden,  und  nur  die  äusserlich  sichtbaren  mimischen  und 
pantomimischen  Bewegungen  kommen,  als  den  Affecten  specifisch 
eigenthümlich,  noch  hinzu.  Man  hat  zuweilen  geglaubt,  in  Anbetracht 
der  Schwierigkeiten  und  der  mangelhaften  Anwendbarkeit  der  eigent- 
lich psychologischen  Hülfsmittel  sei  hier  die  physiologisch-sympto- 
matische Methode,   bestehend  in  der  Registrirung  der  den  Gefühls- 


Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  Willensvorgftnge.  223 

Terlanf  begleitenden  Aenderungen  der  Herz-,  Öefäss-  und  Athmungs- 
ioner?ation   sowie   der  Energiezustande  der  Eörpermuskeln,   das   in 
die  Lücke  eintretende  experimentelle  Verfahren.     Wie  bei  den  Pro- 
blemen der  Vorstellungsbildung  die  Eindrucks-  und  die  Herstellungs- 
methode,  so  sei   daher  für  die   Öemüthszustande   die  Ausdrucks- 
methode, das  Studium  des  Zustandes  mittelst  seiner  körperlichen 
Begleiterscheinungen,    geboten.      Aber    erstens   ist,    wie    wir   oben 
sahen,  wenigstens  bei   den  Gefühlen  die  Eindrucksmethode  keines- 
vegB  ausgeschlossen,   sondern   vielmehr  die    einzige,    bei    der    eine 
hl  die    psychologische    Analyse    zureichende    Variirung    der    um- 
stände stattfinden  kann;  und  zweitens  kann  die  Ausdrucksmethode 
an  und  filr  sich  gar  nichts  zur  eigentlichen  Aufgabe  der  psycholo- 
gischen Analyse  beitragen.     Denn   so   interessant   es   zweifellos  ist, 
die  physischen  Veränderungen   kennen  zu  lernen,    die  bestimmten 
psychischen  Vorgängen  parallel  gehen,  so  kann  doch  bei  einer  solchen 
Untersuchung  selbstverständlich  immer  nur  ein   physiologisches 
Resultat  gewonnen  werden.     Darüber  wie  die  Gefühle   als  psychi- 
%he  Zustande   mit  einander  zusammenhängen  kann   aber  nur   eine 
psychologische,    also   mit  den  specifisch    psychologischen  Methoden 
des  Eindrucks    und    der    Vergleichung    ausgeführte    Untersuchung 
fiechenschaft  geben.     Wir  werden   deshalb   der  so   genannten  Aus- 
drocksmethode  erst  unten,  wo  von  den  physiologischen  Hülfsmethoden 
der  Psychologie   die   Elede   sein   soll,   ihre  Stelle   anweisen  (S.  227). 
Doch  ist  hervorzuheben,  dass,  abgesehen  von  diesem  physiologischen 
und  psychophysischen  Interesse,    die   Ausdrucksmethode   einen   in- 
directen  psychologischen  Werth  insofern  hat,  als  gewisse  bei  ihr  zur 
Beobachtung  kommende  Bewegungen,  namentlich  die  Athmungs-  und 
die  mimischen   Bewegungen,   zugleich  von  Empfindungen   begleitet 
sind,  an   die   dann  wieder  Gefühle  gebunden   sein  können.     Indem 
die  Ausdrucksmethode  auf  diese  sinnlichen  Begleiterscheinungen  aller 
Gef&hle  und  Affecte   aufmerksam   macht,    fördert   sie    zugleich   die 
Zerlegung  des  Gesammtzustandes  in  seine  Bestandtheile. 

Wie  in  diesem  Falle  die  physiologischen  Ausdrucksformen  der 
QemQthsbewegungen  durch  die  Verbindung  mit  der  subjectiven  Beob- 
achtung der  directen  psychologischen  Analyse  dienstbar  werden 
können,  so  ist  nun  die  Untersuchung  einer  letzten  wichtigen  Reihe 
psychischer  Processe,  der  Willensvorgänge,  von  selbst  auf  eine 
Combioation  der  Eindrucks-  mit  der  Ausdrucksmethode  angewiesen, 
die  aber   hier    in   ihrem  Gesammterfolg  den   Charakter  einer  rein 


224  Logik  der  Psychologie. 

psychologischen  Methode  gewinnt.  Das  nächste  Hülfsmiitel  zur 
Untersuchung  der  Willensvorgänge  ist  nämlich  naturgemäss  die 
äussere  Willenshandlung.  Zur  Erforschung  des  Zusammen- 
hangs derselben  mit  den  sie  vorbereitenden  psychischen  Processen 
müssen  aber  diese  letzteren  durch  äussere  Einwirkungen  erzeugt 
und  dann  in  ihren  psychischen  Effecten  bis  zum  Eintritt  des  Willens- 
impulses in  der  Selbstbeobachtung  verfolgt  werden.  Dabei  machen 
es  dann  zugleich  die  experimentellen  Hülfsmittel  möglich,  bestimmte 
Stadien  dieses  Verlaufs  nach  ihren  Zeitwerthen  objectiv  zu  fixiren. 
Darum  ist  es  hier  das  oben  schon  im  Zusammenhang  mit  dem  Pro- 
blem des  Vorstellungsverlaufes  erwähnte  Gebiet  der  Reactions- 
methoden,  das  speciell  auch  der  Untersuchung  der  Willensacie 
und  der  Processe,  aus  denen  sie  entspringen  können,  dient  (S.  209). 
Da  bei  jedem  Reactionsversuch  irgend  ein  Vorstellungsverlauf  angeregt 
wird,  der  schliesslich  in  einer  Willenshandlung  endigt,  so  schliesst 
schon  der  Charakter  dieser  Methoden  eine  solche  doppelte  psycho- 
logische Verwendung  in  sich.  Der  Name  „Reactionsmethode*^  aber 
weist  zugleich  auf  eine  Verbindung  der  Eindrucks-  und  der  Ausdrucks- 
methode hin.  Bei  jedem  Reactionsversuch  lässt  man  zuerst  einen 
Sinneseindruck  in  einem  bestimmten  Zeitpunkt  auf  einen  Beobachter 
einwirken,  damit  dann  dieser  nach  dem  Ablauf  eines  psychischen 
Vorgangs  oder  einer  Reihe  psychischer  Vorgänge  durch  eine  be- 
stimmte Ausdrucksbewegung  reagire.  Physiologisch  betrachtet  ist 
daher  ein  solcher  Versuch  eine  Messung  der  Zeit,  die  zwischen  zwei 
auf  einander  folgenden  physiologischen  Ereignissen,  nämlich  zwischen 
der  Einwirkung  auf  ein  Sinnesorgan  und  einer  äusseren  Muskel- 
bewegung, z.  B.  der  Bewegung  der  zur  Reaction  verwendeten  Hand, 
verfliesst.  Zwischen  den  beiden  die  Grenzpunkte  der  gemessenen 
Zeit  bildenden  physiologischen  Momenten  liegt  nun  eine  Reihe  von 
Vorgängen,  die  zum  Theil  ebenfalls  rein  physiologischer  Art  sind, 
nämlich  die  sensible  Leitung  zum  Gehirn  und  die  motorische  von 
diesem  zurück  zu  den  reagirenden  Muskeln,  von  denen  aber  ein 
weiterer  Theil  neben  seiner  physiologischen  zugleich  eine  psycho- 
logische Seite  hat.  Um  auf  diesen  in  der  Mitte  zwischen  jenen 
physiologischen  Endprocessen  gelegenen,  in  bestimmten  der  Selbst- 
beobachtung zugänglichen  Erscheinungen  seinen  Ausdruck  findenden 
Theil  des  Reactionsvorgangs  Rückschlüsse  zu  machen,  sucht  man 
seine  zeitliche  Dauer  zu  ermitteln,  indem  man  jene  physiologischen 
Momente  constant  erhält,  während  die  psychologischen  Bedingungen 
in  planmässig  abgeänderter  Weise  wechseln.     Da  nun  unter  diesen 


Analyse  der  Gefühle,  Affecte  und  WiUensvorgänge.  ^^5 

Bedingungen  der  Willensimpuls,  welcher  der  reagirenden  Bewegui^g 
vorangeht,  immer  wiederkehrt,  die  andern  ausserdem  eingeschalteten 
psychischen  Acte   aber   offenbar   die    Bedeutung   verschiedenartiger 
Vorbereitungen    dieses   Willensimpulses    haben,    so   bestehen   unter 
diesem  Gesichtspunkte  die  Reactionsversuche  in  nichts  anderem  als 
in  der  planmässigen  experimentellen  Erforschung  der 
Willensvorgänge.     Dass    daneben   auch   auf  jene   andern   vor- 
bereitenden Vorgänge   ein  gewisses   Licht  fällt,  versteht  sich  von 
selbst;   besonders  gilt  das  auch  in  Bezug  auf  die  zeitliche  Dauer 
der  Voi^änge  in   allen   den  Fallen,   wo  der  Willensact  als  solcher 
constant  bleibt,  der  vorbereitende  psychische  Vorgang  aber  in  irgend 
einer  Art  variirt  wird.     Auf  diese  Weise  sind,   wie  oben  bemerkt, 
einfache  imd  verwickeitere  sinnliche  Erkennungs-  und  Wiedererken- 
nungsacte,  Wahlhandlungen,   bei   denen   eine  Wahl  zwischen  zwei 
oder  mehr  Bewegungen  stattfindet,  Associations-  und  Urtheilsprocesse 
Gegenstände  der  üutersuchung  beim  Reactionsvorgang  gewesen.    Als 
Vergleichsvorgang  dient  dabei  stets  die  einfache  Reaction  auf  einen 
Eindruck  von  zuvor  fest  bestimmter  Qualität  und  Störke,   auf  den 
in  dem  Moment  wo  er  eintritt  die  Aufmerksamkeit  auf  das  höchste 
gespannt  ist*).    Da  die  physiologischen  Anfangs-  und  Endvorgänge 
bei  allen  complicirteren  Reactionsformen  die  nämlichen  bleiben   wie 
bei  dieser  der  Einfachheit  ihrer  Bedingungen  wegen  kürzesten  der 
Reactionen,  so  darf  man  annehmen,  dass  sich  durch  eine  vorsichtige 
Variirung  der  umstände  und  durch  sorgfältige  Mitberücksichtigung 
aller  sonstigen  Einflüsse  wenigstens  angenäherte  Werthe  für  jene 
unter  zusammengesetzteren  Vorbedingungen  stattfindenden  Willens- 
vorgänge gewinnen  lassen.     Namentlich  aber  ergeben  die  Vorgänge 
jeder  einzelnen  Qruppe  wieder  unter  einander  vergleichbare  Werthe, 
aus  denen  der  Einfluss  wechselnder  Bedingungen  zu  ermessen  ist:  so 
z.  B.  nimmt  die  Zeit  eines  Erkennungsvorgangs  zu  mit  der  steigen- 
den Zusammensetzung  des   Objectes,   so   die  Zeit  einer  Wahl   mit 


*)  Die  gespannte  Richtung  der  Aufmerksamkeit  auf  den  äusseren  Ein- 
druck oder,  wie  der  technische  Ausdruck  lautet,  die  sensorielle  Form  der 
Beaction  ist  hierbei  ein  fftr  die  Constanz  der  Bedingungen  wesentliches  Er- 
fordemiss.  Bei  der  Richtung  der  Aufmerksamkeit  auf  das  die  Reaction  aus- 
fahrende Bewegungsorgan,  der  so  genannten  muskulären  Reaction,  bieten 
sich  dagegen  Erscheinungen  dar,  die  für  den  unter  bestimmten  Bedingungen 
auftretenden  Process  der  Automatisirung  der  Willensvorgänge  von  Interesse  sind. 
Vgl.  hiernber  sowie  Aber  die  Technik  der  Reactionsmethoden  überhaupt  Physiol. 
Psych.,  4.  Aufl.,  n,  S.  303  ff. 

Wandt,  Logik,  n,  a.    8.  And.  15 


226  Logik  der  Psychologie. 

der  Anzahl  der  Handlungen,  zwischen  denen  gewählt  werden  soll; 
so  zeigt  femer  die  Associationszeit  nach  dem  Charakter  der  aus- 
geführten Associationen  und  der  individuellen  Anlage  des  Beobach- 
ters charakteristische  unterschiede. 

Zwei  Irrthttmer,  in  die  eine  oberflächliche  Beurtheilung  dieses 
üntersuchungsgebietes  leicht  verfällt,  sind  hier  fem  zu  halten.  Der 
erste  besteht  in  der  Meinung,  dass  es  sich  bei  diesen  Versuchen 
etwa  in  analogem  Sinn  um  psychische  Constantenbestimmungen 
handle,  wie  die  Physik  da  wo  sie  ezacte  Zeitmessungen  ausfCthrt 
im  allgemeinen  solche  beabsichtigt.  Kann  doch  von  etwas  derar- 
tigem in  der  Regel  schon  bei  den  analogen  Problemen  der  Physio- 
logie nicht  die  Rede  sein.  Das  einzige  vielmehr,  was  bei  der  Zeit- 
messung so  complicirter  Phänomene  zu  erwarten  ist,  ist  die  Fest- 
stellung typischer  Näherungswerthe,  die  benutzt  werden 
können,  um  Vorgänge  gleicher  Art  unter  hinzutretender  Variation 
der  Bedingungen  zu  vergleichen.  Das  leisten  aber  die  chronometri- 
schen Reactionsmethoden  in  durchaus  befriedigender  Weise,  und 
sie  würden  diesen  Zweck  gar  nicht  anders  erfüllen  können,  auch 
wenn  die  verwickelten  Bedingungen  der  Erscheinungen  eine  wirk- 
liche der  physikalischen  ähnliche  Gonstantenbestimmung  erlaubten. 
Ein  zweiter  Irrthum,  der  sich  leicht  mit  dem  vorigen  verbindet,  ist 
der,  dass  man  den  Zweck  dieser  Methoden  überhaupt  in  nichts 
anderem  als  in  der  Festlegung  gewisser  Zeitwerthe  sieht.  Wäre 
dies  richtig,  so  würde  das  psychologische  Interesse,  das  sich  an  die 
Versuche  knüpft,  ein  äusserst  massiges  sein.  Denn  zu  wissen,  wie 
viel  Tausend-  oder  Hunderttheile  einer  Secunde  irgend  ein  mehr 
oder  minder  fest  abzugrenzender  psychischer  Process  braucht,  ist  an 
und  für  sich  eine  ziemlich  gleichgültige  Sache.  Einen  gewissen 
Werth  erhalten  solche  Messungen  erst  dadurch,  dass  man  die  ver- 
schiedenen Resultate  mit  Rücksicht  auf  ihre  abweichenden  psycho- 
logischen Bedingungen  vergleicht;  und  ihr  Hauptwerth  liegt,  wie 
bei  allen  psychologischen  Versuchen,  in  der  mit  dem  Experiment 
sich  verbindenden  Selbstbeobachtung.  Wer  über  die  Entwicklung 
äusserer  aus  inneren,  zusammengesetzter  aus  einfachen  Willenshand- 
lungen, über  den  üebergang  willkürlicher  in  automatische  Bewe- 
gungen, endlich  über  den  Zusammenhang  des  Willens  mit  der  Auf- 
merksamkeit und  über  die  verschiedenen  Symptome  und  Begleiterschei- 
nungen der  letzteren  Beobachtungen  anstellen  will,  die  von  einer 
zweckmässigen  Auswahl  und  Variirung  der  Umstände  geleitet  werden, 
der  ist  vor   allem   auf  die  Reactionsversuche   angewiesen,   die   sich 


Die  Physiologie  als  psychologische  Hülfswissenschaft  etc.  227 

fielleicht  besser  ab  aDe  aiideni  zu  einer  Erziehung  in  planmässiger 
Selbstbeobachtung  eignen*). 


h.  Die  Physiologie  als  psychologische  Hülfswissenschaft  und 

die  Psychophysik. 

Alle  experimentellen  Methoden  der  Psychologie  nehmen  die 
Hfilfe  der  Physiologie  in  Anspruch,  da  bei  ihnen  physiologische 
Einwirkimgen  auf  den  Organismus  oder  physiologische  Reactionen 
desselben  niemals  entbehrt  werden  können.  Das  Experiment  bleibt 
trotzdem  so  lange  ein  psychologisches,  als  die  Selbstbeobachtung 
unter  willkürlich  varürten  Bedingungen  der  Zweck  der  Einwirkungen 
ist,  und  die  durch  diese  hervorgerufenen  Reactionen  ebenfalls  nur  dazu 
dienen,  Momente  objectiv  zu  fixiren,  die  für  die  innere  Wahrnehmung 
selbst  eine  entscheidende  Bedeutung  besitzen,  üeber  diesen  Umkreis 
rein  psychologischer  Zwecke  hinaus  kann  nun  aber  die  Physiologie 
als  solche  der  Psychologie  werth volle  Ergebnisse  liefern,  weil  vor 
allem  für  das  menschliche  Individuum  der  für  die  Qeisteswissen- 
schaften  massgebende  Satz  gilt,  dass  es  keine  rein  psychischen,  son- 
dern nur  psychophysische  Objecte  gibt.  Hierdurch  gewinnt  der 
physische  Organismus  in  seinen  wichtigsten  Functionen  eine  hohe 
Bedeutung  auch  für  die  Beurtheilung  der  psychischen  Vorgänge.  So 
ist  insbesondere  das  Studium  der  physiologischen  Processe  in  den 
Sinnesorganen  und  in  dem  gesammten  Nervensystem  ein  wichtiges 
Hfilfsmittel  zur  Auffindung  der  Factoren  der  einfacheren  psychischen 
Vorgänge.  Der  Ausdrucksmethode  ist  in  dieser  Beziehung  schon 
oben  gedacht  worden.  Indem  die  sphygmographischen,  pneumato- 
graphischen  und  plethysmographischen  Methoden  eine  exacte  Regi- 
strirung  der  Puls-,  der  Athmungsbewegungen  und  der  Schwankungen 
der  Blutffille  der  Organe  gestatten,  geben  sie  über  Begleiterschei- 
nungen der  Gemüthsbewegungen  namentlich  im  Gebiete  zahlreicher 
dem  Willen  entzogener  Innervationsherde  Aufächluss,  die  neben 
ihrer  unmittelbaren  physiologischen  Bedeutung  auch  f(lr  die  psycho- 
logische Symptomatik  der  Gefühle  und  Affecte  Anhaltspunkte  ge- 
wahren^. Dagegen  hat  sich  allerdings  die  Hoffnung,  aus  den  plethys- 


*)  üeber  einige  weitere  Missverständnisse  und  Irrthümer   rücksichtlich 

Versnche  vgl.  Phil.  Stud.  X,  S.  485  ff. 
**)  Eline  brauchbare  Uebersicht  über  diese  Methoden  gibt  Langender  ff, 
Phjnologisehe  Graphik.  1891.    Um  ihre  Ausbildung  für  die  Zwecke  der  Unter- 
iQchung  der  Gefühls-  und  Affectäusserungen  hat    sich  besonders  A.  Mosso 


228  Logik  der  Psychologie. 

mographischen  Ergebnissen  indirect  auch  auf  den  Zu-  und  Abflujss 
des  Blutes  zum  Gehirn  bei  den  verschiedensten  psychischen  Vor- 
gängen zurückschliessen  zu  können,  nach  den  neueren  Ergebnissen 
Mo 8 SOS  nicht  bestätigt;  und  es  scheint  überhaupt  bei  den  ver- 
wickelten Bedingungen,  unter  denen  sich  dieses  Organ  befindet,  im 
allgemeinen  aussichtslos,  hier  anders  als  durch  Thierversuche  ge- 
wisse die  Schwankungen  der  Function  begleitende  physiologische 
Symptome,  namentlich  die  Temperaturschwankungen  des  Organs,  zu 
verfolgen*). 

Wie  auf  diese  Weise  die  Ausdrucksmethode  als  symptomatische 
Führerin  bei  der  psychologischen  Analyse  der  mannigfachsten  psy- 
chischen Vorgänge  dienen  kann,  so  stützt  sich  hinwiederum  die 
Eindrucksmethode  vor  allem  bei  der  Untersuchung  der  Vorstellungs-  ' 
bildung  auf  eine  eingehende  Eenntniss  der  physiologischen  Leis- 
tungen der  Sinnesorgane.  Welche  Dienste  hier  die  morphologische 
und  physiologische  Analyse  des  Gehörapparates  der  Psychologie  der 
Gehörsvorstellungen,  die  Analyse  der  optischen  Eigenschaften  und 
des  Bewegungsapparates  des  Auges  der  Theorie  der  Gesichtsvor- 
stellungen leisten,  ist  augenfäUig.  Zugleich  ist  aber  dieses  Ver- 
hältniss  der  Hülfe  ein  wechselseitiges.  So  sind  der  Tonphysiologie 
erst  durch  die  subjective  psychologische  Analyse  der  Klänge  die 
Fragen  gestellt  worden,  auf  die  sie  dann  auf  physiologischem  Wege 
Antworten  zu  finden  suchte;  und  was  die  Physiologie  des  Gesichts- 
sinnes überhaupt  über  die  Functionen  der  Netzhaut  vermuthet,  stützt 
sich  noch  heute  fast  ganz  auf  die  Psychologie  der  Lichtempfindungen. 
Unsere  Eenntniss  der  physiologischen  Functionen  des  Gehirns  ist 
im  allgemeinen  zu  wenig  entwickelt,  als  dass  hier  bereits  eine  ähn- 
liche fruchtbare  Wechselwirkung  möglich  wäre.  Doch  kann  man 
wohl  sagen,  dass  gewisse  aUgemeine  Aufschlüsse  über  die  Eigen- 
schaften der  centralen  Innervation  für  die  Auffassung  der  Associa- 
tionsvorgänge,  namentlich  der  bei  denselben  eine  wichtige  Rolle 
spielenden  üebungseinflüsse  werthvoll  geworden  sind.  Dagegen 
fehlt  uns  bei  den  psychischen  Störungen,  die  an  die  Functionsunter- 
brechung  bestimmter  Hirntheile  gebunden  sind,  wie  bei  der  Amnesie, 
Aphasie,  den  centralen  Sehstörungen  u.  s.  w.,  die  als  psychologische 


grosse   Verdienste  erworben.      Vgl.   A.   Mos  so,   Die   Furcht.    1889.     Ferner: 
A.  Lehmann,  Die  Hauptgesetze  des  menschlichen  Gefühlslebens.  1892. 

*)  A.  Mo  SSO,  Die  Temperatur  des  Gehirns.     Leipzig  1894.     üeber  den 
Kreislauf  des  Blutes  im  menschlichen  Gehirn  ebend.  S.  185  ff. 


Die  Physiologie  als  psychologische  Hülfswissenschaft  etc.  229 

Sjmptomenbilder  zum  Thefl  eine  grosse  Bedeutung  haben,  noch  allzu 
sehr  die  Einsicht  in  die  eigentlich  physiologische  Seite  der  Func- 
tionen, als  dass  sich  daraus  Aufschlüsse  hätten  entnehmen  lassen, 
die  wieder  rückwärts  für  die  Psychologie  fruchtbar  zu  machen  wären. 
Die  bekannten  Hypothesen  über  Sprachcentren,  Schriftcentren,  Erinne- 
rangszellen  und  ähnliches  mehr  zeigen  deutlich  genug,  wie  Eingriffe  in 
Functionen,  für  deren  normalen  Ablauf  uns  noch  das  Verständniss 
fehlt,  hier  in  psychologischer  Beziehung  zuweilen  eher  hemmend  als 
fördernd  auf  den  wirklichen  Fortschritt  der  Erkenntniss  wirken  können, 
weil  sie  zu  voreiligen  Begriffsbildungen  verführen,  die  dann  dem 
wahren  Verständniss,  dem  physiologischen  so  gut  wie  dem  psycho- 
logischen, als  Vorurtheile  im  Wege  stehen""). 

Die  Natur  der  besprochenen  Wechselwirkungen  bringt  es  mit 
sich,  dass  sie  speciell  für  die  Psychologie  überaU  da  von  grossem 
Nutzen  werden  können,  wo  die  unserer  innem  Wahrnehmung  zu- 
gänglichen psychischen  Vorgänge  auf  Vorbedingungen  hinweisen, 
die  jenseits  dieser  Vorgänge  selbst  liegen,  oder  auf  Zwischenglieder, 
zu  denen  wir  nur  die  physiologischen  Gorrelate  kennen,  während 
die  entsprechenden  psychischen  Elemente  bloss  als  psychische  An- 
lagen oder  Dispositionen  gänzlich  unbekannter  Art,  nicht  selbst  als 
irgendwie  definirbare  psychische  Inhalte  vorausgesetzt  werden  können. 
Freilich  aber  darf  man  nicht  übersehen,  dass,  ebenso  wie  hier  die 
Psychologie  auf  die  künftige  Hülfe  der  Physiologie  angewiesen  ist, 
um  gewisse  Lücken  zu  ergänzen,  die  ihr  auf  ihrem  eigenen  Gebiet 
bleiben,  so  die  Physiologie  bei  einer  Reihe  der  wichtigsten  Probleme, 
wie  bei  dem  des  Ursprungs  der  zweckmässigen  organischen  Formen, 
dann  aber  auch  bei  allen  den  Zusammenhängen,  bei  denen  eine  um- 
fassende Verkettung  psychischer  Motive  nachweisbar  ist,  der  Hülfe 
der  Psychologie  bedarf.  Würde  es  doch  ein  völlig  phantastisches 
Unternehmen  sein,  den  gesammten  Causalzusammenhang  auch  nur 
einer  veiiiältnissmässig  einfachen  Willkürhandlung  in  der  Form  einer 
klar  überschaubaren  Verkettung  centraler  Nervenprocesse  zur  An- 
schauung zu  bringen,  während  eine  auf  die  nähere  oder  entferntere 
Vergangenheit  des  Bewusstseins  zurückgehende  psychologische  Moti- 
▼irong  diese  Aufgabe  nicht  selten  lösen  kann. 

Bei  dem  heutigen  Zustand  der  Psychologie  wie  der  Physio- 
logie, wo  man  sich  beiderseits  dieser  Bedürfnisse  gegenseitiger  Hülfe- 
leistung  noch  nicht  zureichend  bewusst  geworden  ist,  erscheint  nun 


*)  Vgl.  hierzu  meine  Essays,  S.  100  ff.  und  Phil.  Stud.  X,  S.  65  ff. 


230  Logik  der  Psychologie. 

die  Pflege  eines  Zwischengebietes,  das  der  psychischen  Seite  der 
LebensYorgänge  grössere  Aufmerksamkeit  schenkt,  als  es  die  Physio- 
logie zu  thun  pflegt,  und  das  die  physiologischen  Grundlagen  und 
Begleiterscheinungen  der  psychischen  Vorgänge  eingehender  erforscht, 
als  es  in  der  Psychologie  geschieht,  noch  als  ein  kaum  entbehrliches 
Erfordemiss.  Ein  solches  Zwischengebiet  ist  die  ,  physiologische 
Psychologie'',  welche  die  Andeutung  dieser  doppelten  Aufgabe  schon 
in  ihrem  Namen  ausspricht.  Ibrer  Natur  nach  haben  vermittelnde 
Disciplinen  dieser  Art  einen  transitorischen  Werth,  und  so  wird  es 
voraussichtlich  auch  hier  sein.  Ist  erst  der  Zeitpunkt  gekonmien, 
wo  der  Psychologe  fQr  alles,  was  sein  eigenes  Gebiet  an  physio- 
logischer Grundlegung  voraussetzt,  auf  physiologische  Untersuchungen 
verweisen  kann,  und  wo  die  zu  psychologischen  Zwecken  unerläss- 
lichen  experimentellen  Hülfsmittel  als  ein  selbstverständlicher  Be- 
standtheil  der  Psychologie  selbst  gelten,  dann  wird  auch  eine  physio- 
logische Psychologie  im  heutigen  Sinne  nicht  mehr  existiren. 

Eine  ähnliche,  wenn  auch  ihrem  allgemeinen  Begriff  nach 
etwas  verschiedene  Zwischenstellung  nimmt  die  Psychophysik  ein. 
Sie  soll  nach  der  ihr  von  Fe  ebner  gegebenen  Bestimmung  «eine 
exacte  Lehre  von  den  functionellen  oder  Abhängigkeitsbeziehungen 
zwischen  Körper  und  Seele,  allgemeiner  zwischen  körperlicher  und 
geistiger,  physischer  und  psychischer  Welt*  sein*).  Diese  Begriffs- 
bestimmung entspricht  einer  Auffassung,  welche  Physisches  und 
Psychisches  als  zwei  an  sich  verschiedene  Welten  betrachtet,  deren 
jede  einer  von  der  andern  unabhängigen  Untersuchung  zugänglich, 
ausserdem  aber  mit  jener  in  eine  eigenartige  Functionsbeziehung 
gesetzt  sei.  Im  Grunde  lag  ein  solcher  Dualismus  durchaus  nicht 
in  Fechners  eigener  Weltanschauung.  Aber  da  sich  in  ihm  die 
nach  dem  damaligen  Zustande  der  Psychologie  begreifliche  üeber- 
zeugung  gebildet  hatte,  dass  nur  das  üebergangsgebiet  psycho- 
physischer  Wechselwirkungen,  nicht  der  Zusammenhang  der  psychi- 
schen Vorgänge  selbst  einer  exacten  Untersuchung  zugänglich  sei, 
wurde  ihm  der  Begriff  der  Psychophysik  zu  einem  unerlässlichen 
Hülfsmittel  für  die  Ausbildung  einfacher  Methoden,  durch  die  sich 
Massbestimmungen  auf  psychischem  Gebiet  mit  Hülfe  genau  ge- 
regelter physischer  Reizeinwirkungen  gewinnen  liessen.  Dabei  war 
es  dann  freilich  unvermeidlich,  dass  der  so  im  Interesse  der  Aus- 
bildung exacter  Methoden    gewonnene   Begriff  auf  die  Auffassung 


*)  Fechner,  Elemente  der  Psychophysik,  I,  S.  8. 


Die  Physiologie  als  psychologische  Hfilfswissenschaft  etc.  231 

der  Probleme  selber  zurückwirkte  und  zur  Anuahme  besonderer, 
weder  psychischer  noch  physischer,  sondern  specifisch  psychophysi- 
scher  Functionsformen  oder,  wie  Fechuer  es  ansah,  einer  allgemeinen 
psychophysischen  Grundfunction  führte.  Gibt  man  nun,  wie  es 
wohl  bei  dem  heutigen  Stand  der  Dinge  geschehen  muss,  diese 
Voraussetzung  auf,  gesteht  man  zu,  dass  gerade  im  Sinne  des  nach- 
her zu  erörternden,  auch  von  Fechner  vertretenen  .Princips  des 
psychophysischen  Parallelismus*  jeder  physische  Vorgang  in  einem 
physischen  und  jeder  psychische  Vorgang  in  einem  psychischen 
Causalzusammenhang  stehen  muss,  so  kann  es  zwar  noch  fortan 
von  wissenschaftlichem  Interesse  sein,  zu  einem  gegebenen  Glied  der 
einen  Causalreihe  das  entsprechende  Glied  der  andern  zu  finden; 
aber  von  einem  besonderen  Functionsgebiet,  das  nicht  durch  jene 
doppelte  Bestimmung  an  und  für  sich  schon  gegeben  wäre,  kann 
nicht  mehr  die  Rede  sein.  Dann  wird  als  „Psychophysik*^  nur  noch 
ein  Gebiet  von  Untersuchungen  übrig  bleiben,  welches  sich  die  Auf- 
gabe stellt,  die  Ergebnisse,  welche  die  Physiologie  auf  der  einen, 
die  experimentelle  Psychologie  auf  der  andern  Seite  gewonnen  haben, 
zu  vergleichen.  Dies  ist  nun  eine  Aufgabe,  die  zu  einem  Theile, 
wo  wir  aus  psychischen  Erscheinungen  auf  physische  zurückschliessen, 
bereits  von  der  Physiologie,  zu  ihrem  andern  Theile,  wo  die  Kennt- 
niss  physischer  Elemente  zum  Verständniss  psychischer  Vorgänge 
nnerlässlich  ist,  von  der  Psychologie  vor  ihr  Forum  gezogen  wird. 
Auch  die  Psychophysik  hat  also  augenscheinlich  den  Charakter  einer 
üebergangswissenschaft,  welche  dereinst  in  den  beiden  Grundwissen- 
schaften, zwischen  denen  sie  steht,  aufzugehen  bestimmt  ist  oder 
doch  neben  ihnen  höchstens  noch  zu  Zwecken  praktischer  Arbeits- 
theilung  fortbestehen  wird. 


3.   Die  Völkerpsychologie. 

Indem  die  Individualpsychologie  den  Zusammenhang  der  seeli- 
schen Erlebnisse  in  dem  einzelnen  Bewusstsein  zum  Gegenstand  hat, 
bedient  sie  sich  einer  Abstraction,  die,  so  nothwendig  sie  ist,  doch 
vielfach  schon  bei  der  Betrachtung  der  individuellen  Vorgänge  un- 
durchfOhrbar  wird.  Denn  die  psychische  Entwicklung  des  Einzelnen 
ist  überall  von  seiner  geistigen  Umgebung  bestimmt,  und  die  Wechsel- 
wirkungen, in  denen  er  mit  dieser  Umgebung  steht,  sind  ebenso 
ursprünglich  wie  das  individuelle  Dasein  selbst.   Mag  es  auch  denk- 


232  Logik  der  Psychologie. 

bar  und  in  vereiozelten  Fällen  yorgekommen  sein,  dass  ein  einzelner 
Mensch  die  Verbindung  mit  der  Gemeinschaft,  in  die  er  hinein- 
geboren und  auf  die  er  durch  die  Hülfsbedürftigkeit  seiner  Lebens- 
anfange  angewiesen  ist,  wieder  verlor,  so  sind  doch  solche  FäUe, 
die  bis  jetzt  überdies  kaum  zureichend  untersucht  sind,  für  das  nor- 
male Verhalten  des  menschlichen  Bewusstseins ,  mit  dem  sich  die 
Individualpsychologie  vorzugsweise  beschäftigt,  jedenfalls  nicht  mass- 
gebend. Darum  kann  dieselbe  gar  nicht  umhin,  namentlich  bei  den 
zusammengesetzteren  seelischen  Vorgängen,  an  deren  Entstehung  die 
psychische  Gemeinschaft  einen  hervorragenden  Antheil  nimmt,  die 
Erzeugnisse  dieser  Gemeinschaft,  wie  sie  in  der  Sprache  und  in 
andern  geistigen  Gesammtschöpfungen  von  ähnlicher  allgemeingülti- 
ger Beschaffenheit  gegeben  sind,  zugleich  als  Hülfsmittel  zu  be- 
nützen, um  aus  ihnen  Rückschlüsse  zu  machen  auf  die  individuellen 
Entwicklungen. 

Das  Gebiet  psychologischer  Untersuchungen,  welches  sich  auf 
jene  psychischen  Vorgänge  bezieht,  die  vermöge  ihrer  Entstehungs- 
und Entwicklungsbedingungen  an  geistige  Gemeinschaften  gebunden 
sind,  bezeichnen  wir  nun  als  Völkerpsychologie.   Da  der  Einzelne 
und   die   Gemeinschaft  Wechselbegriffe   sind,    die   einander    voraus- 
setzen,  so  bedeutet  dieser  Name  kein  seinem  Inhalte  nach  von  der 
Individualpsychologie  völlig  getrenntes  Gebiet,   sondern  er  soll  nur 
auf  eine  die  Betrachtungen  derselben  ergänzende  Abstraction  hin- 
weisen.  Wie  die  Individualpsychologie  über  die  seelischen  Entwick- 
lungen des  individuellen   Bewusstseins  Rechenschaft  gibt,  während 
sie  die   Einflüsse  der  geistigen  Umgebung  nebenbei  als  selbstver- 
ständliche, aber  nicht  näher  berücksichtigte  Factoren  voraussetzt,  so 
soll   die  Völkerpsychologie  umgekehrt    diejenigen   allgemeinen  Er- 
scheinungen des  geistigen  Lebens  untersuchen,  die  nur  aus  der  Ver- 
bindung der  Einzelnen  zu  geistigen  Gemeinschaften  zu  erklären  sind, 
wobei   dann  in  diesem  Fall  die  allgemeingültigen  geistigen  Eigen- 
schaften  der  Einzelnen   als  die   bekannten  Factoren  jener  Erschei- 
nungen vorausgesetzt  werden.     Nicht  sowohl  um  verschiedene  Ge- 
biete   als   vielmehr   um   verschiedene    Seiten    des   geistigen   Lebens 
handelt  es  sich  also  hier,  die  beide  zusammen  erst  die  Wirklichkeit 
des  geistigen  Lebens  erschöpfen  können,  deshalb  aber  auch  ein  fort- 
währendes Eingreifen  der  hier  und  dort  zu  betrachtenden  Vorgänge 
in  einander  mit  sich  bringen.     Insbesondere  die  Völkerpsychologie 
hat  sich  dessen  bewusst  zu  bleiben,  dass  die  geistigen  Erzeugnisse, 
deren  Träger  die  Gemeinschaft  ist,  in  den  Individuen,   aus  denen 


Völkerpsychologie.  233 

sich  diese  zusammensetzt,  ihre  letzten  Quellen  haben   muss,   da   es 
ein  geistiges  Gesammtleben  ausserhalb   der  Einzelnen  ebensowenig 
gibt,  wie   einen  physischen  Zusammenhang  der  Individuen  irgend 
einer  Stammes-  oder  Volksgemeinschaft,  der  ausserhalb  der  indivi- 
duellen physischen  Organismen   existirte.     Darum  ist   es  von  vorn- 
herein ausgeschlossen,  dass  in  der  Völkerpsychologie  irgend  welche 
allgemeine  Gesetze  des  geistigen  Geschehens  zum  Vorschein  kom- 
men, die   nicht  in   den  Gesetzen  des  individuellen  Bewusstseins  be- 
reits   vollständig    enthalten    sind.      Insoweit    die   Völkerpsychologie 
Oberhaupt  psychologische  Gesetze  von  selbständigem  Inhalte  aufzu- 
finden vermag,  werden  also  diese  immer  nur  Anwendungen  der 
schon  für  die  Individualpsychologie  gültigen  principiellen  Sätze  sein 
können.     Aber  es  ist  freilich  nicht  minder  anzunehmen,   dass  die 
Bedingungen  der  geistigen  Wechselwirkung  neue  und  eigenthümliche 
Aeusserungen  der  allgemeinen  psychischen  Kräfte  hervorbringen,  die 
sich  aus  der  blossen  Eenntniss  der  Eigenschaften  des  Einzelbewusst- 
seins   nicht  voraussagen  lassen,   während   sie   doch   dazu  beitragen 
können,   unsere   Einsicht  in   den  Zusammenhang  des   individuellen 
Seelenlebens  zu  vervollständigen.    So  bilden  Individual-  und  Völker- 
psychologie zusammen  erst  das  Ganze  der  Psychologie.   Wenn  dieses 
Verhältniss   nothwendiger   Ergänzung   lange  Zeit   verkannt    werden 
konnte    und   zum    Theil  noch   verkannt   wird,   so   liegt    der   Grund 
hierfür  nur  darin,   dass  man   den   zusammengesetzteren  psychischen 
Functionen,   besonders  aUen   denen,   die  an  das  wichtigste  Völker- 
psychologische  Erzeugniss,  an  die  Sprache,  geknüpft  sind,  entweder 
überhaupt  in  der  psychologischen  Untersuchung  geringe  Aufmerksam- 
keit schenkte  oder  sich  auch  hier  auf  das  unzureichendste  Hülfsmittel 
der  Individualpsychologie,  die  zuföllige  innere  Wahrnehmung,  verliess, 
ohne  zu  bemerken,  dass  gerade  da,  wo  die  experimentelle  Methode  ihre 
Grenze  erreicht,   die  Methoden  der  Völkerpsychologie  objective  Er- 
gebnisse zur  Verfügung  stellen.   Da  nun  aber  bei  der  Interpretation 
ihrer  Ergebnisse  die  Völkerpsychologie  nothwendig  auf  die  Gesichts- 
punkte zurückgreifen  muss,  welche  die  Individualpsychologie  hinzu- 
bring^t  so  ist  allerdings  diese  letztere  zugleich  die  allgemeinere 
Wissenschaft,  während  jener  mehr  der  Charakter  einer  angewandten 
Disciplin  zukommt.     Doch  dieses  Verhältniss  wird   hier,  wie  in  so 
manchen  andern  ähnlichen  Fällen,  dadurch  wesentlich  modificirt,  dass 
die  individuelle  Psychologie  zur  vollständigen  Lösung  ihfer  Aufgaben, 
namenÜich  im  Gebiet   der  höheren  psychischen  Functionen,  bereits 
gewisse  Resultate  der  Völkerpsychologie  zu  Rückschlüssen   auf  die 


234  Logik  der  Psychologie. 

Gesetze  des  individuellen  Bewusstseius  verwerthet.  Es  ist  daher 
nicht  zulässig,  die  Individualpsychologie  schlechthin  als  eine  all- 
gemeine psychologische  Normwissenschaft  zu  betrachten,  von  der  die 
Völkerpsychologie,  ähnlich  wie  alle  andern  Geisteswissenschaften, 
bloss  Anwendungen  zu  machen  habe,  sondern  man  darf  nicht  über- 
sehen, dass  die  Völkerpsychologie  zugleich  eine  Quelle  der  Erkennt- 
niss  psychischer  Gesetzmässigkeiten  ist,  die  ihrerseits  werthvolle 
Anwendungen  auf  die  Individualpsychologie  gestatten*). 

Insofern  nun  die  Völkerpsychologie  überhaupt  die  allgemeinen 
psychischen  Entwicklungen  zu  untersuchen  hat,  die  aus  der  Verbin- 
dung der  Einzelnen  zu  irgend  welchen  geistigen  Gemeinschaften  ent- 
springen, ist  dieser  Name  selbst  nicht  vollkommen  zutre£Pend.  Denn 
er  könnte  ebensowohl  in  zu  engem  wie  in  zu  weitem  Sinne  ver- 
standen werden.  In  zu  engem,  weil  das  Volk  unter  den  Verbän- 
den der  Einzelnen  zwar  der  wichtigste,  aber  doch  keineswegs  der 
einzige  ist,  dem  ein  psychischer  Einfluss  zukommt.  Namentlich  hat 
auf  primitiven  Stufen  der  Stamm  und  für  gewisse  Verhältnisse  bleibend 
die  Familie  und  die  nähere  Ortsgemeinschaft  eine  nicht  zu  unter- 
schätzende Bedeutung.  Aber  da  der  Stamm  als  eine  Vorstufe  der 
Volksgemeinschaft  betrachtet  werden  kann,  und  da  jene  engeren 
Verbände  ihre  wesentlichsten  Einflüsse  doch  in  den  Richtungen  aus- 


*)  Lazarus  und  Steinthal,  denen  das  Verdienst  gebührt,  zuerst  auf 
die  Bedeutung  der  Völkerpsychologie  hingewiesen  zu  haben,  fassen  in  der  That 
die  Individualpsychologie  als  eine  derartige  Normwissenschafb  gegenüber  der 
Völkerpsychologie  auf.  (Vgl.  den  einleitenden  Aufisatz  zu  der  von  ihnen  heraus- 
gegebenen Zeitschrift  für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft,  I,  1860, 
S.  1  ff.)  Hierbei  wird  das  Verhältniss  zwischen  Individual-  und  Völkerpsychologie 
offenbar  als  ein  ganz  analoges  gedacht,  wie  das  zwischen  der  ersteren  und  den 
anderen  Geisteswissenschaften,  z.  B.  der  Geschichte,  insofern  dieselben  einer 
psychologischen  Interpretation  bedürfen.  Im  Sinne  dieser  Auffassung  consequent 
hat  daher  auch  H.  Paul  (Principien  der  Sprachgeschichte.  1866.  2.  Aufl.,  Einl.) 
die  Berechtigung  einer  selbständigen  Völkerpsychologie  bestritten  und  ihr  Gebiet 
der  Geschichte  zugewiesen.  Ich  glaube,  dass  diese  Ansicht  nicht  mehr  fest- 
gehalten werden  kann,  sobald  man  zugibt,  dass  die  Objecte  der  Völkerpsycho- 
logie, Sprache,  Mythus  u.  dergl.,  Quellen  psychologischer  Erkenntnisse  sind^  für 
die  es  innerhalb  der  Individualpsychologie  keinen  Ersatz  gibt,  und  die  nur  eine 
psychologische,  nicht  aber  eine  historische  Betrachtung  zu  erschliessen  vermag. 
In  diesem  Sinne  enthalten  auch  H.  Pauls  «Principien*  werthvoUe  Beiträge  zur 
Psychologie  der  Sprache.  Vgl.  zu  dieser  Frage  meinen  Aufsatz  über  Ziele  und 
Wege  der  Völkerpsychologie,  Phil.  Stud.  IV,  S.  1  ff.,  und  Steinthal,  Begriff 
der  Völkerpsychologie,  Zeitschr.  f.  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft 
XVn,  S.  333  ff. 


Völkerpsj'chologie.  235 

fiben,  die  ihnen  durch  die  dem  Volksganzen  eigenthümlicheu  Vor- 
stelluDgen  und  Triebe  angewiesen  werden,  so  ist  es  wohl  zweck- 
mässig, den  nun  einmal  eingeführten,  überdies  durch  seine  Kürze 
sich  empfehlenden  Namen  festzuhalten.  Zu  weit  freilich  oder  wenig- 
stens nicht  mehr  in  dem  hier  gemeinten  Sinne  wird  dieser  verstan- 
den, wenn  man  darunter,  was  ja  der  Ausdruck  an  und  für  sich  be- 
deuten könnte,  eine  psychologische  Charakteristik  der  einzelnen 
Völker  verstehen  wollte.  Eine  solche  ethnische  Charakterologie 
Hesse  sich  immerhin  als  eine  Art  Gegenstück  zur  individuellen  Cha- 
rakterologie betrachten  und,  ähnlich  wie  diese  der  Individual-,  so 
der  Völkerpsychologie  als  specieller  oder  angewandter  Theil  hinzu- 
ftlgen.  Doch  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  diese  psychologische  von 
der  physiologischen  Charakteristik  der  Völker  nicht  wohl  getrennt 
werden  kann.  Eine  solche  CTntersuchung  der  physischen  und  psy- 
chischen Eigenschaften  der  Völker  ist  in  der  That  der  Gegenstand 
einer  besonderen  Wissenschaft,  der  Ethnologie.  (Vgl.  Cap.  IV,  1.) 
Ihr  liegen  aber  die  Probleme  der  erklärenden  Psychologie,  in  deren 
Untersuchung  Individual-  und  Völkerpsychologie  sich  theilen,  völlig 
ferne:  sie  stützt  sich,  insofern  sie  gewisse  allgemeine  Anschauungen 
Ober  den  Zusammenhang  der  psychischen  Vorgänge  in  der  einzelnen 
Volksseele  voraussetzt,  auf  die  Völkerpsychologie,  ebenso  wie  diese 
wiederum  ihren  Stoff  im  einzelnen  vielfach  den  von  der  Ethnologie 
gesammelten  Thatsachen  entnehmen  muss.  Nicht  minder  verfolgt 
die  Völkerpsychologie  eine  von  der  Anthropologie  verschiedene 
Aufgabe.  Diese  ist  nämlich  nach  der  Bedeutung,  die  sie  in  ihrer 
neueren  Entwicklung  gewonnen  hat,  lediglich  der  allgemeine  Theil 
der  Ethnologie:  sie  erstrebt  eine  Gesammtcharakteristik  der  physi- 
schen und  psychischen  Eigenschaften  des  Menschen  in  seinen  inner- 
halb der  Menschheit  vertretenen  Haupttypen  und  in  seinen  charak- 
teristischen Unterschieden  von  den  ihm  nächstverwandten  Thierformen. 
Aehnlich  ist  das  Verhältniss  der  Völkerpsychologie  zu  allen 
den  Geisteswissenschaften  aufzufassen,  die  gleich  ihr  gewisse  Er- 
scheinungen und  Erzeugnisse  des  gemeinsamen  Lebens  zu  ihren 
Objecten  haben,  also  zu  den  historischen  und  den  socialen  Gebieten. 
Man  hat  geglaubt,  der  Völkerpsychologie  ihnen  allen  gegenüber  in 
dem  Sinne  eine  ergänzende  Function  zuschreiben  zu  sollen,  als  man 
ihr  die  Aufgabe  zuwies,  überhaupt  das  gesammte  geistige  Leben, 
das  über  den  engen  Umkreis  des  Individuums  hinausreiche,  erklären 
zu  sollen,  während  den  speciellen  Geisteswissenschaften  eine  solche 
Erklärung,   da  diese  noth wendig   eine   psychologische   sein   müsse, 


230  Logik  der  Psychologie. 

fremd  sei*).  Aber  weder  entspricht  eine  solche  Beschränkung  den 
thatsächlichen  Verhältnissen,  noch  lässt  sie  sich  mit  der  selbständi- 
gen Aufgabe  jener  Wissenschaften  vereinbaren.  Geschichte  und 
Socialwissenschaften  wollen  nicht  bloss  die  Thatsachen  des  geschicht- 
lichen und  des  gesellschaftlichen  Lebens  darstellen,  sondern  auch, 
so  weit  es  ihnen  möglich  ist,  erklären.  Dabei  stützen  sie  sich  in 
ihren  Interpretationen  wesentlich  auf  die  Psychologie,  die  auf  diese 
Weise  in  ihren  beiden  Bestandtheilen,  der  Individual-  wie  der  Völker- 
psychologie, eine  Grundlage  derselben,  keineswegs  aber  eine  selbst 
erst  zu  ihnen  hinzutretende  und  ihre  Untersuchungen  abschliessende 
Disciplin  ist.  Darum  sind  nun  auch  die  Objecte  der  geschichtlichen 
und  der  socialen  Wissenschaften  nicht  an  und  für  sich  schon  Ob- 
jecte der  Völkerpsychologie,  ebensowenig  wie  eine  Biographie  zum 
Inhalt  der  Individualpsychologie  gehört.  Gegenstand  einer  psycho- 
logischen Disciplin  kann  vielmehr  überall  nur  das  Allgemeingültige, 
Typische  sein,  welches  eben  dadurch  in  seiner  allgemeinen  Gesetz- 
mässigkeit wieder  zum  Erklärungsgrund  des  Einzelnen  werden  kann, 
das  sich  in  Geschichte  und  Gesellschaft  in  unzähligen  besonderen 
Gestaltungen  verwirklicht.  Bei  der  Feststellung  dieser  allgemein- 
gültigen Erscheinungen  des  Völkerbewusstseins  stützt  sich  dann  frei- 
lich die  Völkerpsychologie  auf  die  Thatsachen,  die  die  einzelnen 
Geisteswissenschaften  ihr  zuführen,  gerade  so  gut  wie  die  Individual- 
psychologie die  Erfahrungen  an  concreten  einzelnen  Menschen  zu 
Rathe  zieht.  Aber  es  ist  das  nur  eine  Art  der  Wechselwirkung, 
wie  sie  auch  sonst  überall  zwischen  Gebieten,  deren  Untersuchungen 
in  einander  eingreifen,  stattfindet,  ohne  das  allgemeine  Verhältniss 
derselben  zu  beeinträchtigen.  Denn  der  Charakter  der  Wissenschaften 
wird  ja  in  viel  höherem  Grade  durch  den  Standpunkt,  den  sie  ihren 
Objecten  gegenüber  einnehmen,  als  durch  diese  Objecte  selber  be- 
stimmt. So  beschäftigen  sich  Sprachwissenschaft  und  Völkerpsycho- 
logie beide  mit  der  Sprache.  Aber  während  jene  den  Zusammen- 
hang der  sprachlichen  Erscheinungen  unter  einander  betrachtet,  sind 


*)  Dies  ist  namentlich  die  Auffassung  von  Lazarus  und  Steinthal,  wie 
sie  von  ihnen  in  dem  einführenden  Aufsatz  ihrer  Zeitschrift  formulirt  wird. 
Während  diese  Forscher  demnach  einerseits,  wie  ich  glaube,  die  Völkerpsycho- 
logie allzusehr  als  ein  blosses  Anwendungsgebiet  der  Individualpsychologie  be- 
trachten, ihrem  Herbart'schen  Standpunkt  entsprechend,  lassen  sie  dieselbe 
anderseits  Über  die  Gesammtheit  der  Geisteswissenschaften  in  einer  Weise  Über- 
greifen, der  ich  nicht  zustimmen  kann.  Vgl.  dazu  meinen  oben  angeführten 
Aufsatz  Phil.  Stud.  IV,  S.  3  ff. 


Völkerpsychologie.  237 

dieser  die  sprachlichen  Vorgänge  nur  ein  Mittel,  mit  dessen  Hülfe 
sie  zunächst  die  psychologischen  Gesetze  der  sprachlichen  Erschei- 
nungen zu  finden  und  dann  aus  ihnen  Rückschlüsse  auf  den  all- 
gemeinen Zusammenhang  der  psychischen  Processe  zu  machen  sucht. 
Das  Material  zu  diesen  Untersuchungen  entnimmt  sie  selbstverständ- 
lich der  Sprachwissenschaft.  Ihre  eigenen  Ergebnisse  werden  aber 
dieser  wiederum  Dienste  leisten  können,  weil  der  von  ihr  einge- 
nommene Standpunkt  der  Betrachtung  und  die  Verbindung  mit  ander- 
weitigen psychischen  Erfahrungen  nicht  bloss  die  psychologische 
Erkenntniss,  sondern  mittelst  ihrer  auch  das  Verständniss  der  sprach- 
lichen Erscheinungen  selber  fordern  hilft. 

Haben  wir  nun,  der  Allgemeinheit  der  psychologischen  Auf- 
gaben gemäss,  die  Objecte  der  Völkerpsychologie  unter  den  allge- 
meingültigen Erscheinungen  des  Völkerbe wusstseins  zu  suchen,  so 
fallt  von  vornherein  alles  das  ausserhalb  ihres  Gebietes,  was  einen 
mehr  oder  weniger  singulären  Charakter  hat,  insoweit  nicht  in  ihm 
zugleich  allgemeingültige  psychologische  Gesetze  zu  erkennen  sind. 
Dies  ist  ein  Gesichtspunkt,  der  die  Gegensi^nde  der  historischen 
Wissenschaften  ihrem  wesentlichsten  Gehalte  nach  der  Völkerpsycho- 
logie entzieht.  Der  geschichtliche  Verlauf  im  einzelnen,  ebenso  wie 
das  einzelne  Werk  der  Kunst  oder  Wissenschaft,  sind  Objecte  singu- 
lärer  Art;  und  auch  die  psychologische  Interpretation,  deren  sie  be- 
dürfen, ist  fast  ausschliesslich  der  Individualpsychologie  zu  entneh- 
men. Denn  selbst  in  der  eigentlichen  Geschichte  spielt  die  psycho- 
logische Deduction  ihre  Hauptrolle  bei  der  Entwicklung  individueller 
Motive.  Sodann  aber  müssen  die  Wissensobjecte  von  allgemein- 
gültigem Charakter,  wenn  sie  Gegenstände  der  Völkerpsychologie 
werden  sollen,  durchgängig  aus  der  Wirksamkeit  rein  psychologi- 
scher Gesetze  hervorgehen.  Gebiete,  an  deren  Ausbildung  andere 
Motive  als  die  dem  menschlichen  Bewusstsein  überall  zukommenden 
Vorstellungen,  Gefühle  und  Triebe  mitgewirkt  haben,  können  nicht 
den  Inhalt  einer  psychologischen  Disciplin  bilden.  Darum  sind  Logik, 
Ethik  und  Aesthetik  als  solche  nicht  Theile  der  Völkerpsychologie ; 
und  was  in  ihnen  wirklich  von  psychologischer  Allgemeingültigkeit 
ist,  das  in  den  Formen  der  Sprache  sich  bethätigende  logische  Den- 
ken, die  Sitte  und  die  natürlichen  Bethätigungen  des  ästhetischen 
Triebes,  das  hat  wiederum  für  die  psychologische  Betrachtung  eine 
wesentlich  andere  Bedeutung  als  innerhalb  jener  philosophischen 
Wissenschaften,  die  neben  der  psychologischen  Untersuchung  immer 
zugleich  bestimmte  geschichtliche  Entwicklungen  voraussetzen.     So 


238  Logik  der  Psychologie. 

stützt  sich  die  Logik  auf  die  Entwicklung  der  wissenschaftlichen 
Erkenntniss,  die  Ethik  auf  die  der  sittlichen  Ideen  in  Recht,  Staat 
und  Geschichte,  die  Aesthetik  auf  die  der  künstlerischen  Er- 
zeugnisse. 

Aus  der  Gesammtheit  der  Objecto  der  Geisteswissenschaften 
bleiben  daher  nur  drei,  die  zugleich  Gegenstände  einer  allgemeinen 
psychologischen  Untersuchung  bilden  können.  Sie  sind:  die  Sprache, 
die  mythologischen  Vorstellungen  und  die  Sitte.  Sie  sind  von 
ähnlich  allgemeingültiger  Bedeutung  für  das  Yölkerbewusstsein,  wie 
es  etwa  Vorstellung,  GefQhl  und  Wille  für  das  individuelle  Bewusst- 
sein  sind.  Zugleich  entsprechen  sie  in  dem  Sinne  diesen  allgemeinen 
Bestandtheilen  psychischer  Vorgänge,  als  in  der  Sprache  die  Vor- 
stellungen, die  in  dem  Volksgeiste  wirksam  sind,  und  die  Gesetze 
ihrer  Verknüpfungen  sowie  ihrer  allmählichen  Veränderungen  ihren 
Ausdruck  finden,  während  sich  in  dem  Mythus  die  Gefühle  und  Triebe 
in  ihrem  Einfluss  auf  den  allgemeinen  Vorstellungsinhalt  zu  erkennen 
geben,  und  endlich  die  Sitte  die  aus  diesen  Vorstellungen  und  Trieben 
entspringenden  allgemeinen  Willensrichtungen  umfasst.  Diese  drei 
Gebiete  des  gemeinsamen  geistigen  Lebens  hängen  darum  auf  das 
engste  zusammen,  ähnlich  wie  ja  auch  in  der  individuellen  Seele 
Vorstellen,  Fühlen  und  Wollen  in  Wahrheit  nicht  verschiedene  Vor- 
gänge sondern  nur  verschiedene  Seiten  eines  einzigen  einheitlichen 
Geschehens  sind. 

Die  fundamentale  Methode,  deren  sich  die  drei  so  entstehenden 
Theile  der  Völkerpsychologie,  die  Psychologie  der  Sprache,  des 
Mythus  und  der  Sitte,  bedienen,  ist  nun,  wie  die  der  Geisteswissen- 
schaften überhaupt,  die  der  Vergleichung,  an  welche  sich  sodann 
eine  auf  die  Individualpsychologie  gestützte  Interpretation  zum  Zweck 
der  Gewinnung  bestimmter  für  die  Gemeinschaftserscheinungen  gül- 
tiger psychologischer  Gesetze  anzuschliessen  hat.  Dieser  Zweck  unter- 
scheidet aber  die  vergleichende  Methode  der  Völkerpsychologie  wesent- 
lich von  ihren  in  der  Philologie,  Geschichte  und  Gesellschaftslehre 
vorkommenden  Anwendungen.  Diese  einzelnen  Geisteswissenschaften 
suchen  nämlich  überall  erst  mit  Hülfe  des  vergleichenden  Verfahrens 
das  thatsächliche  Material  zu  gewinnen,  auf  das  eine  psychologische 
Interpretation  angewandt  werden  kann;  die  Völkerpsychologie  da- 
gegen wird  schon  bei  der  Sammlung  der  zur  Vergleichung  heran- 
gezogenen Thatsachen  von  psychologischen  Gesichtspunkten  geleitet, 
und  in  Folge  dieser  engen  und  unmittelbaren  Verbindung  mit  der 
psychologischen  Analyse   führt   darum   die  Vergleichung  selbst   zur 


Völkerpsychologie.  239 

Aufstellung  psychologischer  Gesetze  von  beschränkterem  oder  all- 
gemeinerem Umfang.  Auf  diese  Weise  gewinnt  hier  die  exacte  An- 
wendung der  vergleichenden  Methode  eine  ähnliche  Bedeutung,  wie 
sie  das  experimentelle  Verfahren  für  die  Individualpsychologie  hat. 
Zugleich  erhält  aber  in  Folge  der  unmittelbaren  Verbindung  mit  der 
psychologischen  Analyse  jede  der  beiden  allgemeinen  Formen  der 
Veigleichung^  die  individuelle  und  die  generische,  eine  eigenthttm- 
üche  Stellung  in  dem  Ghinzen  der  völkerpsychologischen  Methodik. 
Die  generische  Vergleichung  waltet  nämlich  überall  da  vor,  wo 
es  sich  um  die  Untersuchung  von  Erscheinungen  handelt,  die  nach 
ihrem  psychologischen  Charakter  irgendwie  mit  einander  verwandt 
sind,  ohne  dass  jedoch  directe  genetische  Beziehungen,  die  in  einem 
geschichtlichen  Zusammenhang  ihren  Ausdruck  finden,  nachweisbar 
wären.  Bei  dieser  Anwendung  der  Vergleichung  reden  wir  daher 
von  der  vergleichend-psychologischen  Methode  im  engeren 
Sinne  des  Wortes.  Die  individuelle  Vergleichung  dagegen  bleibt 
in  allen  den  Fällen  das  ausschliessliche  Verfahren,  wo  man  zusammen- 
gehörige und  zugleich  in  geschichtlicher  Verbindung  stehende  That- 
sachen  verknüpft.  Bietet  die  reine  Vergleichung  den  Vortheil,  dass 
sie  über  allgemein  menschliche  Vorstellungen,  Gefühle  und  Willens- 
richtungen Aufschluss  gibt,  und  das  um  so  sicherer,  je  mehr  eine 
historische  Beziehung  ausgeschlossen  ist,  so  hat  die  individuelle  Ver- 
gleichung des  geschichtlich  Zusammenhängenden  oder  die  historisch- 
psychologische Methode  den  Vorzug,  dass  sie  bestimmte  Ver- 
änderungen und  Entwicklungen  auffindet,  aus  denen  auf  allgemeine 
Entwicklungsgesetze  der  Vorstellungen,  Gefühle  und  Willensrichtungen 
zu  schliessen  ist.  Natürlich  werden  dann  aber  diese  Schlüsse  wieder 
um  so  bedeutsamer,  je  mehr  die  einzelnen  auf  solchem  Wege  ge- 
fundenen historisch  -  psychologischen  Entwicklungsgesetze  zugleich 
durch  die  generische  Vergleichung  entweder  als  allgemeingültige 
nachzuweisen  oder  doch  mit  bestimmten  allgemeinen  psychischen 
Bedingungen  in  Verbindung  zu  bringen  sind.  So  ergänzen  sich  beide 
Methoden  in  erwünschter  Weise.  Ist  die  eine  mehr  zur  Nachweisung 
der  auf  gemeinsamen  Anlagen  beruhenden  seelischen  Vorgänge  und 
der  Allgemeingültigkeit  der  durch  die  geschichtliche  Vergleichung 
gefundenen  Entwicklungen  geeignet,  so  richtet  sich  die  andere  theils 
auf  die  Gesetze  des  Wechsels  der  psychischen  Inhalte  theils  auf  die 
besonderen  Modificationen ,  welche  die  Erscheinungen  in  Folge  be- 
sonderer Bedingungen  erfahren.  Hiemach  liegt  es  zugleich  in  dem 
Charakter  dieser  Methoden,  dass  bei  der  ersten  die  übereinstimmen- 


240  Logil^  der  Psychologie. 

den,  bei  der  zweiten  die  unterscheidenden  Merkmale  die  vorwaltende 
Rolle  spielen*). 

Im  Einzelnen  ist  die  Anwendung  der  beiden  Hauptmetkoden 
der  Völkerpsychologie,  der  vergleichend-psychologischen  und  der 
historisch-psychologischen,  den  in  den  parallel  gehenden  philologiseh- 
historischen  Gebieten  (Sprachwissenschaft,  Mythologie,  Ethologie)^ 
aus  denen  hier  die  Psychologie  schöpft,  durchaus*  verwandt**). 
Unterscheidend  bleibt  nur  überall  die  schliessliche  Verwerthung  der 
Resultate,  die  dann  freilich  immer  auch  auf  die  Wahl  der  Objecte 
und  den  Gang  der  Untersuchung  zurückwirkt.  Bei  dieser  Verwerthung 
der  Resultate  bedienen  sich  die  philologischen  Disdplinen,  um  ein 
genetisches  Verstandniss  der  Erscheinungen  zu  gewinnen,  der  psycbo- 


*)  Mit  Rücksicht  auf  die  Bedeutung  der  vergleichenden  Methode  für  die 
Völkerpsychologie  ist  diese  wohl  auch  , vergleichende  Psychologie*  genannt 
worden.  Doch  ist  dieser  Begriff  weiter  als  derjenige  der  Ydlkerpsycholog^e. 
Mindestens  kann  neben  ihr  noch  die  Thierpsychologie  als  ein  Gebiet  ver- 
gleichender psychologischer  Untersuchungen  betrachtet  werden.  Aber  voraus- 
sichtlich  wird  hier  dem  Experiment  dereinst  die  wichtigere  Stellung  zu- 
kommen. Wenn  heute  noch  die  Thierpsychologie  ein  zurückgebliebenes  Feld 
wissenschaftlicher  Forschung  ist,  so  liegt  der  Hauptgrund  offenbar  darin,  dasa 
eine  experimentelle  Variation  der  Bedingungen,  unter  denen  psychische  Lebens- 
äusserungen beobachtet  werden,  in  ihr  nur  selten  angewandt  wurde.  Eine  rfthin- 
liche  Ausnahme  macht  in  dieser  Beziehung  Sir  John  Lubbocks  Schrift  über 
Ameisen,  Bienen  und  Wespen  (deutsche  Ausg.  1883),  in  der  zur  Prüfung  ge- 
wisser psychischer  Leistungen  dieser  Thiere  mehrfach  ein  sinnreiches  Experi- 
mentalverfahren  eingeschlagen  wird.  (Vgl.  bes.  S.  198  ff.)  Manche  treffliche 
Beobachtungen  finden  sich  auch  bei  6.  H.  Schneider,  Der  thierische  Wille. 
Leipzig  (1880).  Sonst  ist  der  Zustand  der  Thierpsychologie  durchgängig  ein 
unerfreulicher.  Anekdotezijagd  und  ein  der  gründlichen  psychologischen  Vor- 
bildung ermangelnder  Dilettantismus  spielen  immer  noch  die  Hauptrolle. 
Vgl.  darüber  meine  Vorlesungen  über  die  Menschen-  und  Thierseele,  2.  Aufl., 
S.  869  ff.  und  den  Aufsatz  über  Thierpsychologie,  Essays,  S.  182.  Im  weitereu 
Sinne  Hesse  sich  auch  noch  die  Psychologie  des  Kindes  und  die  Psychologie  der 
seelischen  Störungen  zur  vergleichenden  Psychologie  rechnen,  da  in  beiden 
Fällen  die  Vergleichung  mit  dem  entwickelten  und  normalen  menschlichen  Be- 
wusstsein  zum  Verstandniss  der  Ei-scheinungen  unerlässlich  ist  Aber  diese  Ge- 
biete bleiben  doch  ihrem  eigensten  Zweck  nach  allzusehr  Bestandtheüe  der 
allgemeinen  Individualpsychologie,  als  dass  es  zweckmässig  wäre  sie  von  ihr 
zu  sondern.  Auch  gilt  von  ihnen  ebenso  wie  von  der  Thierpsychologie,  dass 
die  vergleichende  Methode  nicht,  wie  in  der  Völkerpsychologie,  die  allein  mass- 
gebende ist,  indem  neben  ihr  wiederum  dem  Experiment  eine  wichtig^  Rolle 
zukommt. 

**)  Vgl.  unten  Cap.  III,  3,  sowie  oben  die  allgemeine  Erörterung  der  ver- 
gleichenden Methode  Cap.  I,  S.  64  ff. 


Begriff  der  Seele.  241 

logischen  Interpretation,  während  umgekehrt  die  Völkerpsychologie 
ao8  den  Ergebnissen  der  philologisch-historischen  Forschung  psycho- 
logische Schlosse  zieht.  Dass  hier  als  Zweck  gesucht  wird,  was  dort 
schon  als  Hfllfsmittel  benutzt  werden  musste,  könnte  als  ein  Wider- 
sprach erscheinen.  Die  Lösung  dieses  Widerspruchs  liegt  aber  darin, 
dass  zur  Interpretation  geschichtlicher  Thatsachen  zunächst  nur  die 
individuelle  Psychologie  dient,  während  jene  Thatsachen  selbst  doch 
zugleich  im  psychologischen  Sinne  neue  Ergebnisse  sein  können.  Als 
solche  müssen  sie  dann  freilich  auch  wieder  auf  die  historische  Auf- 
fassung zurückwirken.  Die  Wechselwirkung,  die  auf  diese  Weise 
zwischen  den  genannten  Gebieten  entsteht,  entspricht  jedoch  durch- 
aus einem  Yerhaltniss,  wie  es  allgemein  zwischen  den  verschiedenen 
Gebieten  wie  zwischen  den  verschiedenen  Methoden  der  Geisteswissen- 
schaften stattfindet.  Seinen  letzten  Grund  hat  dieses  Yerhaltniss 
darin,  dass  unsere  wissenschaftlichen  Gliederungen,  wenn  auch  logisch 
nothwendig,  doch  dem  natürlichen  Zusammenhang  des  Denkens  und 
seiner  Objecte  niemals  völlig  gerecht  werden  können*). 


4.   Die  Frincipien  der  Psychologie. 


a.   Der  Begriff  der  Seele. 

Die  Psychologie  bedarf,  wie  jede  erklärende  Wissenschaft, 
leitender  Voraussetzungen,  die  sie  aus  den  einfachsten  Erfahrungen 
abstrahirt,  um  sie  dann  auf  alle  Erscheinungen  ihres  Gebietes  an- 
wenden zu  können.  Diese  Voraussetzungen  können  ebenso  gut  in 
einem  Begriff  wie  in  einer  Mehrheit  von  Begriffen  bestehen.  In 
der  That  ist  z.  B.  die  Lehre  Ton  den  Seelenvermögen  ein  Beispiel 
der  letzteren  Art.  Immerhin  besitzt  in  der  Regel  innerhalb  jeder 
Anschauung  ein  Allgemeinbegriff  eine  Torherrschende  Bedeutung, 
indem  alle  sonstigen  Principien  von  ihm  abhängig  sind.  Diesen 
grundlegenden  Allgemeinbegriff  pflegt  man  den  Begriff  der  Seele 
zu  nennen.  So  ist  in  der  Aristotelischen  Psychologie  die  Seele  das 
Lebensprincip,  bei  Leibniz  und  Wolff  ist  sie  Monade  oder  vorstellen- 
des und  strebendes  Wesen  u.  s.  w. 

Nachdem  nun  die  Frage,  ob  die  Psychologie  im  selben  Sinne 


*)  Vgl.  hierzu  die  Bemerkungen  über  das  Yerhaltniss  von  Interpretation 

and  Kritik  S.  114  f. 

Wnn dt,  Logik.  II,  2.     8.  Aufl.  16 


242  Logik  der  Psychologie. 

wie  die  Naturwissenschaft  zur  Bildung  eines  Substanzbegri£Es  berech- 
tigt  sei,  aus  allgemeinen  theoretischen  Gründen  bereits  yerneinend 
beantwortet  ist  (Bd.  I,  S.  537  ff.),  bedarf  hier  nur  noch  die  methodo- 
logische Frage,  inwiefern  sich  die  Terschiedenen  Seelenbegriffe  fiLr 
die  Untersuchung  der  geistigen  Thatsachen  fruchtbar  erwiesen  haben, 
einer  näheren  Prüfung.  Dabei  werden  wir  uns  aber  auf  die  prin- 
cipiell  bedeutsamste  Unterscheidung  der  beiden  Grundformen  des 
substantiellen  und  des  actuellen  Seelenbegriffs  beschranken 
können,  unter  dem  ersteren  seien  alle  Theorien  zusammengefasst, 
welche  die  psychischen  Thatsachen  als  die  Aeusserungen  irgend  eines 
hypothetischen  Substrates,  einer  materiellen  oder  immateriellen  Sub- 
stanz, auffassen,  während  der  zweite  Begriff  diejenigen  Anschauungen 
bezeichnen  soll,  nach  denen  das  Geistige  Actualität  oder  unmittel- 
bar in  den  Aeusserungen  des  geistigen  Lebens  selbst  gegeben  ist. 
Im  Alterthum  hatten  sich  beide  Ansichten  meist  noch  nicht  deutlich 
gesondert,  doch  wird  die  substantielle  z.  B.  Ton  Demokrit,  die 
actuelle  Ton  Aristoteles  vertreten.  In  der  neueren  Philosophie  und 
namentlich  in  der  populären  Weltanschauung  der  Neuzeit  hat  haupt- 
sächlich durch  Descartes  die  substantielle  Ansicht  das  Uebergewicht 
erlangt.  Dann  aber  wird  auch  hier  durch  eine  Reihe  von  Denkern, 
die  sonst  zum  Theil  weit  von  einander  abweichen,  wie  Hume,  Kant, 
Fichte  und  Hegel,  das  Princip  der  Actualität  zur  Geltung  gebracht. 
Leider  stehen  jedoch  die  entschiedensten  Vorkämpfer  desselben, 
Fichte  und  Hegel,  der  psychologischen  Untersuchung  am  fernsten, 
daher  auch  die  neuere  Psychologie  noch  in  hohem  Grade  von  der 
substantiellen  Ansicht  im  Gartesianischen  Sinne  beherrscht  wird. 

Die  Annahme  einer  Substantialität  der  Seele  stützt  sich 
in  methodologischer  Beziehung  vor  allem  auf  die  Analogie  mit  dem 
materiellen  Substanzbegriff.  Nach  den  zwei  Hauptgebieten  der  Er- 
fahrung, der  äusseren  und  inneren,  unterscheidet  man  zwei  Sub- 
stanzen, die  materielle  und  die  immaterielle.  Die  bloss  negative 
Bezeichnung  der  letzteren  ist  schon  ein  äusseres  Zeugniss  für  ihren 
Ursprung.  Ein  inneres  liegt  in  der  besonderen  Gestaltung,  die  der 
substantielle  Seelenbegriff  angenommen  hat.  Bei  Demokrit  besteht 
die  Seele  aus  den  beweglichsten  Atomen,  bei  Descartes  wird  sie 
zu  einem  unausgedehnten,  aber  einen  bestimmten  Ort  im  Raum  ein- 
nehmenden Wesen.  Der  Begriff  des  Atoms  als  der  untheilbaren 
räumlichen  Substanz  bleibt  also  auch  hier  erhalten.  Die  Cartesia- 
nische  Seele  ist  ein  mit  der  Eigenschaft  des  Denkens  begabtes 
materielles  Atom.   Sie  verräth  namentlich  darin  ihre  materielle  Natur, 


Begriff  der  Seele.  243 

dass  süe  mit  den  körperlichen  Substanzen  in  mechanischen  Wechsel- 
wirkungen stehen  soll.  Doch  ist  es  dieser  Punkt,  der  zu  einer 
idealistischen  äeform  der  substantiellen  Theorie  geführt  hat.  um 
die  geistige  Natur  der  Seele  zu  retten,  vergeistigte  man  die  Materie. 
So  entstand  die  Leibniz'sche  Monade,  aus  der  fast  alle  neueren 
psychologischen  Vorstellimgen  mit  unwesentlichen  Abänderungen  her- 
roigegangen  sind.  Durch  die  Gonsequenz  des  idealistischen  Grund- 
gedankens wird  man  hier  zu  der  Anerkennung  geführt,  dass  die 
Materie  ein  Begriff  sei,  der  erst  in  unserm  Bewusstsein  sich  bilde. 
Trotzdem  bindet  man  das  Bewusstsein  selbst  an  eine  Substanz,  deren 
Begriff  sichtlich  in  der  Reflexion  über  die  körperlichen  Erscheinungen 
seine  Quelle  hat.  Insbesondere  die  ünveränderlichkeit  und  absolute 
Entwicklungslosigkeit,  die  am  klarsten  in  der  folgerichtigsten  Ge- 
staltung dieses  Begriffs  bei  Herbart  zu  Tage  tritt,  kann  durchaus 
nur  aus  der  Vorstellung  der  Constanz  der  Materie  entsprungen  sein. 
Wie  könnte  auch  die  Betrachtung  des  geistigen  Lebens  selbst  jemals 
die  merkwürdige  Vorstellung  rechtfertigen,  dass  diese  ganze  Entwick- 
lung aus  den  Störungen  hervorgehe,  die  ein  absolut  einfaches  Wesen 
durch  sein  Zusammensein  mit  andern  ähnlichen  Wesen  erfahre?  — 
eine  Vorstellung  die  nothwendig  zu  der  Folgerung  fuhren  müsste, 
dass  dieses  Wesen  wieder  in  seiner  absoluten  Inhaltslosigkeit  zurück- 
bleibe, sobald  jene  zufalligen  Störungen  aufhören.  Sie  führt  nicht 
immer  dazu ;  denn  hier  angelangt,  zieht  man  es  Tor  den  Folgerungen 
aos  dem  Wege  zu  gehen.  In  der  That  ist  dies  wohl  das  stärkste 
Zeugniss  gegen  diesen  idealisirten  Materialismus,  dass  er  die  Erhal- 
tung des  Geistigen  nur  zu  retten  vermag,  indem  er  sie  zugleich 
werthlos  macht.  Dies  ist  aber  die  nothwendige  Folge  davon,  dass 
hinter  jener  unvergänglichen  Seelensubstanz  lediglich  das  Princip  der 
Constanz  der  Materie  verborgen  ist,  ein  Princip  das  für  die  Auf- 
fassung der  Naturerscheinungen  seine  guten  Dienste  leistet,  das 
geistige  Leben  aber  zu  einem  entwicklungslosen  Mechanismus  er- 
starren lässt.  So  ist  es  denn  nicht  zu  verwundern,  dass  die  Substanz- 
theorie für  die  Erklärung  des  psychischen  Geschehens  nichts  geleistet 
hat.  Gewiss  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  sich  bei  einem  Des- 
cartes,  Leibniz  und  Herbart  gelegentlich  auch  werthvoUe  psycho- 
logische Bemerkungen  finden.  Aber  bei  den  zwei  erstgenannten 
Philosophen  stehen  diese  in  keinem  inneren  Zusammenhang  mit  ihrer 
monadologischen  Ansicht.  Herbart  ist  der  Einzige,  der  dahin  ge- 
strebt hat,  seine  metaphysischen  ^Grundbegriffe  zu  einer  Theorie  der 
inneren  Erfahrung  zu  verwerthen.     Um   so  augenfälliger  zeigt  die 


244  Logik  der  Psychologie. 

Vergleichung  dieses  psychologischen  Versuchs  mit  seinen  physikalischen 
Vorbildern,  dass  bei  ihm  bloss  äussere  Analogien  an  die  Stelle 
einer  wirklichen  Erklärung  getreten  sind.  Dass  die  Vorstellungen 
Störungen  einfacher  Substanzen  seien,  dass  die  Hemmung  der  Vor- 
stellungen und  die  Beseitigung  dieser  Hemmung  Gef&hle  erzeugen  u.a., 
wird  zwar  versichert;  aber  nirgends  liegt  eine  innere  Nothwendig- 
keit  oder  eine  zureichende  empirische  Bestätigung  vor,  dass  jene 
imaginäre  Mechanik  wirklich  mit  dem  psychischen  Geschehen  zu- 
sammenfalle. Ganz  unzulänglich  vollends  erweist  sich  dieselbe  gegen- 
über den  höheren  intellectuellen  Vorgängen  und  dem  geistigen  Leben 
in  Gesellschaft  und  Geschichte.  So  wird  es  erklärlich,  dass  bei  den 
Nachfolgern  Herbarts  die  substantielle  Idee  allmählich  zu  einer 
metaphysischen  Zierde  geworden  ist,  deren  man  sich  bedient,  wenn 
man  glaubt  ethischen  Forderungen  auf  diesem  Wege  gerecht  werden 
zu  können,  die  man  aber  zur  Seite  liegen  lässt,  sobald  man  sich 
bequemt  in  die  Tiefe  der  psychologischen  Erfahrung  hinabzusteigen. 
Die  Theorie  der  Actualität  der  Seele  bleibt  so  lange  in 
ihrer  Entwicklung  gehemmt,  als  die  naive  Vorstellung  des  gemeinen 
Bewusstseins,  dass  die  Aussenwelt  eine  dem  denkenden  Subject  gleich- 
werthige  RealiUlt  besitze,  nicht  überwunden  ist.  Das  Geistige  bringt 
es  hier  höchstens,  wie  in  dem  vo5c  des  Anaxagoras  und  der  Ari- 
stotelischen Entelechie,  zu  dem  belebenden  und  formgebenden  Princip 
der  Materie.  Von  dieser  Auffassung  aus  bildet  jener  Dualismus,  der 
das  Geistige  selbst  substantialisirt,  eine  Art  von  nothwendigem  Ueber- 
gangsglied  zu  der  für  die  psychologische  Betrachtung  unvermeid- 
lichen Auffassung,  dass  die  Eörperwelt  eine  Bewusstseinserscheinung 
sei.  Der  Versuch,  einer  solchen  Auffassung  nahe  zu  kommen,  indem 
man  zunächst  den  Unterschied  der  beiden  Substanzen  im  Sinne  einer 
geistigen  Begriffsbestimmung  beider  beseitigt,  hat  in  jenem  Ueber- 
gang  nicht  nur  seine  historische  Berechtigung,  sondern  für  den 
physiologischen  Standpunkt  in  der  Beurtheilung  der  Lebenserschei- 
nungen sogar  einen  bleibenden  Werth.  Die  Psychologie  wird  aber 
unvermeidlich  zur  Aufhebung  dieser  Ansicht  getrieben,  da  eine  ihrer 
Hauptaufgaben  darin  besteht  nachzuweisen,  wie  die  Vorstellungen, 
aus  denen  für  uns  die  Aussenwelt  besteht,  selbst  sich  entwickelt 
haben.  Nun  bedarf  freilich  die  Psychologie  für  diesen  Nachweis 
bestimmter  Voraussetzungen  über  die  objectiven  Einwirkungen,  denen 
das  Bewusstsein  bei  seinen  Vorstellungsbildungen  ausgesetzt  ist,  und 
sie  arbeitet  in  der  widerspruchslosen  Gestaltung  solcher  Voraus- 
setzungen über  die  materielle  Substanz   mit  der  Naturwissenschaft 


Begriff  der  Seele.  245 

zusammen.  Aber  damit  wird  diese  Substanz  nimmermehr  zu  etwas 
Ton  unserer  geistigen  Thätigkeit  Unabhängigem.  War  die  ursprüng- 
liche Vorstellung  ein  unmittelbares  Erzeugniss  der  Vorgänge  des 
Bewusstseins,  so  ist  der  so  entstandene  Begriff  der  Aussenwelt  Tollends 
ein  yerwickeltes  Product  des  Denkens.  Darum  bleibt  es  nun  aber 
aach  völlig  unfassbar,  woher  wir  das  Recht  nehmen  sollen,  auf 
unsem  Geist,  der  aus  bestimmten  in  der  Entwicklung  seines  Denkens 
hervortretenden  Anlässen  für  die  Gegenstände  seines  Vorstellens  den 
Begriff  der  Substanz  bildet,  diesen  selben  Begriff  anzuwenden.  Die 
geistigen  Vorgänge  sind  uns  gegeben  als  ein  unablässiges  Geschehen, 
das  aus  seinen  Vorstellungen  die  Dinge  erzeugt,  nicht  aber  selbst 
ein  Ding  ist.  Darum  bedürfen  wir  bei  allen  psychologischen  Er- 
klärungen immer  nur  insoweit  der  substantiellen  Grundlage,  als  bei 
ihnen  die  Voraussetzung  einer  Aussenwelt  und  der  Einflüsse,  die  wir 
von  ihr  erfahren,  in  Frage  kommt,  und  immer  findet  hier  der  Be- 
griff der  Substanz  nur  auf  die  äusseren  Gegenstände  seine  Anwen- 
dung, nicht  auf  das  Subject,  das  diese  Gegenstände  vorstellt.  Denn 
die  psychologische  Erklärung  besteht  überall  nur  darin,  dass  man 
aufzeigt,  wie  sich  die  verwickeiteren  Formen  des  Geschehens  aus  den 
einfacheren  aufbauen,  und  wie  unser  handelndes  Ich,  das  wir  eben- 
falls nur  als  Thätigkeit  kennen,  alle  Formen  des  geistigen  Geschehens 
schliesslich  zu  einheitlichen  Zwecken  verwerthet.  Von  der  einfachen 
Empfindung  an  bis  zum  selbstbewussten  logischen  Denkacte  ist  hier 
alles  reine  Thätigkeit.  Aber  wir  sind  fortwährend  geneigt,  den 
Standpunkt  der  äusseren  Weltbetrachtung,  der  die  Vorstellungen 
ohne  Rücksicht  auf  ihren  geistigen  Ursprung  auffasst,  und  den 
psychologischen  Standpunkt,  für  den  die  Vorstellungen  nur  als  geistige 
Thätigkeiten  Bedeutung  haben,  mit  einander  zu  vermengen.  Da 
man  sich  nun  doch  dem  Eindruck  nicht  entziehen  kann,  dass  die 
Vorstellungen  als  solche  nicht  Dinge  sondern  Handlungen  sind,  so 
glaubt  man  einen  glücklichen  Ausweg  gefunden  zu  haben,  indem 
man  sie  als  Handlungen  einer  an  sich  unveränderlich  bleibenden 
Substanz  denkt.  Eine  Handlung  sei  nicht  möglich  ohne  ein  handeln- 
des Wesen ;  ausserdem  fordere  unser  Selbstbewusstsein,  da  es  beharr- 
lich sei,  eine  beharrende  Grundlage. 

Diese  beiden  Argumente  sind  in  der  That  diejenigen,  die  so- 
wohl in  der  populären  Meinung  wie  bei  vielen  Philosophen  am  stärk- 
sten für  die  substantielle  Ansicht  ins  Gewicht  fallen.  Dennoch  be- 
weisen sie  nur,  wie  tief  eingewurzelt  der  materielle  Dingbegriff  ist. 
Dass  jede  Handlung  von  handelnden  Objecten  ausgeht,  ist  ja  physi- 


246  Logik  der  Psychologie. 

kaiisch  gesprochen  vollkommen  richtig.  Aber  es  ist  ebenso  klar, 
dass  sich  für  den  psychologischen  Standpunkt  das  Verhältniss  dieser 
Refiexionsbegriffe  umkehrt,  indem  hier  die  Vorstellung  eines  Objecies 
immer  erst  aus  der  Handlung  des  Vorstellens  entspringt.  Nun  soll 
diese  Handlung  selbst  wieder  auf  ein  handelndes  Subject  zurückweisen. 
Wo  und  wie  ist  uns  aber  das  letztere  gegeben?  Lediglich  in  jener 
Handlung  des  Vorstellens  selber.  Die  Trennung  beider  ist  ein  Spiel 
mit  Refiexionsbegriffen,  die  man  zuerst  in  den  Kategorien  von  Subject 
und  Prädicat  logisch  geschieden  hat,  um  ihnen  dann  auch  eine  reale 
Verschiedenheit  beizulegen« 

Unter  den  nämlichen  ontologischen  Fehler,  den  dieser  Schluss 
von  der  Handlung  auf  das  handelnde  Wesen  begeht,  fäUt  auch  der 
andere,  der  aus  dem  beharrenden  Selbstbewusstsein  auf  dessen  be- 
harrende Grundlage  zurückschliesst.  Das  Selbstbewusstsein  existirt 
nicht  ausserhalb  der  selbstbewussten  Handlungen,  und  diese  sind  uns 
wiederum  nur  als  solche,  nicht  als  handelnde  Objecte  gegeben. 
Ueberdies  ist  aber  hier  die  Prämisse  nicht  richtig.  Unser  Selbst- 
bewusstsein besitzt  keineswegs  eine  Constanz,  die  der  vorausgesetzten 
Beharrlichkeit  der  Substanz  oder  auch  nur  der  relativen  Constanz 
eines  empirischen  Dings  entspricht.  Vielmehr  ist  in  ihm,  eben  weil 
es  uns  nur  in  seinen  Handlungen  gegeben  ist,  alles  fliessend,  nichts 
beständig.  Nicht  auf  der  Beharrlichkeit  unseres  inneren  Seins,  son- 
dern auf  der  Stetigkeit  seiner  Veränderungen  beruht  der 
Zusammenhang  unseres  Selbstbewusstseins.  Diese  Stetigkeit  wird 
psychologisch  insbesondere  durch  einen  Bestandtheil  vermittelt,  der 
bei  allem  Wechsel  der  inneren  Vorgänge  als  ein  gleichförmiger 
wiederkehrt,  durch  die  Thätigkeit  der  Apperception.  Da  uns 
aber  die  Apperception  wiederum  nur  als  Thätigkeit  gegeben  ist,  so 
fällt  jedes  Motiv  hinweg,  jenseits  dieser  Grundlage  unseres  Selbst- 
bewusstseins, die  gleich  diesem  reine  Actualität  ist,  noch  ein  von  ihr 
verschiedenes  Substrat  anzunehmen,  das  sich  noch  dazu  durch  das 
mit  allen  Thatsachen  des  geistigen  Lebens  im  Widerspruch  stehende 
Merkmal  der  Unveränderlichkeit  auszeichnen  soll.  Es  ist  richtig, 
jene  stetige  Thätigkeit  der  Apperception  ist  selbst  die  Quelle  des 
Ding-  und  Substauzbegriffs,  insofern  diesen  die  Vorstellung  der  Ein- 
heit des  Objects,  deren  Bedingung  die  Einheit  unseres  Ich  ist,  vor- 
ausgehen muss  (Bd.  I,  S.  467).  Dagegen  hat  die  Voraussetzung  einer 
absoluten  Beharrlichkeit  der  Substanz,  die  in  den  Principien  der 
Constanz  der  Materie  und  der  Energie  ihren  wissenschaftlichen  Aus- 
druck findet,   andere  Quellen,   die  nicht  in  der  Thätigkeit  unseres 


Begriff  der  Seele.  247 

Denkens  selbst,  sondern  in  den  formalen  Erzeugnissen  desselben, 
namentlich  in  der  reinen  Raumanschauung,  entspringen,  um  nach- 
träglich durch  die  Forderungen  der  Naturerklärung  verstärkt  zu 
werden  (Bd.  I,  S.  517,  II,  1,  S.  427  ff.).  Für  unser  Denken  selbst 
kommen  aber  diese  Motive  völlig  in  Wegfall. 

Der  Begriff  der  Seele  hat  demnach  die  Bedeutung  einer  logi- 
schen, keiner  substantiellen  Einheit.  Sie  ist  das  Subject  aller 
innem,  wie  die  Materie  das  Subject  aller  äussern  Erfahrung.  Auf 
diese  Weise  sind  beide  als  logische  Einheitsbegriffe  ursprünglich 
einander  vollständig  coordinirt,  auch  in  dem  Sinne  dass  der  Natur- 
wissenschaft zunächst  die  Objecte,  ihre  Eigenschaften  und  Zustände 
ebenso  in  den  Erscheinungsformen,  in  denen  sie  uns  gegeben  sind, 
als  wirklich  gelten,  wie  die  Psychologie  alles  Vorstellen,  Fühlen 
and  Wollen  als  die  Wirklichkeit  des  innern  Erlebens  selbst  auffasst. 
In  der  weiteren  Entwicklung  jener  Einheitsbegriffe  trennen  sich  nun 
aber  beide  Wissenschaftsgebiete  völlig  von  einander.  Die  Natur- 
wissenschaft, um  zu  einer  widerspruchslosen  Erklärung  der  unab- 
hängig von  dem  erkennenden  Subject  gedachten  objectiven  Welt  zu 
gelangen,  sieht  sich  genöthigt,  die  in  der  sinnlichen  Anschauung 
gegebenen  Erscheinungen  als  die  Wirkungen  eines  selbst  nicht  sinn- 
lich gegebenen,  sondern  nur  aus  den  sinnlichen  Erscheinungen  zu 
erschliessenden  Substrates  zu  denken,  dem  als  fundamentalste  Eigen- 
schaft die  der  absoluten  Constanz  seiner  Eigenschaften  zukommt. 
Die  Psychologie  dagegen  findet  in  dem  Zusammenhang  ihres  Ge- 
bietes niemals  Veranlassung,  für  die  Erklärung  der  in  der  Erfahrung 
gegebenen  psychischen  Erlebnisse  etwas  anderes  vorauszusetzen  als 
die  eigene  Wirklichkeit  dieser  Erlebnisse:  jeder  Rückgang  auf  ein 
nicht  unmittelbar  gegebenes  transcendentes  Substrat  leistet  nicht  nur 
schlechterdings  nichts  für  die  psychologische  Erklärung,  sondern  er 
nimmt  auch  dem  psychischen  Sein  alles,  um  deswillen  es  allein 
Werth  und  Bedeutung  für  uns  hat.  So  unvermeidlich  sich  also  für  die 
Naturwissenschaft  jener  logische  Begriff  eines  Subjectes  der  äussern 
Erfahrung  in  den  eines  beharrenden  Trägers  derselben  verwandelt, 
ebenso  unzweifelhaft  bleibt  für  die  Psychologie  die  Seele  blosses 
Subject  der  innem  Erfahrung;  das  heisst  sie  bezeichnet  einen 
durchgängigen  Zusammenhang  dieser,  aber  keine  Einheit  die  jenseits 
des  Znsammenhangs  selber  gelegen  wäre.  In  dieser  Verschiedenheit 
der  letzten  Ergebnisse  hier  wie  dort  liegt  nicht  der  mindeste  Wider- 
spruch, sondern  man  könnte  eher  sagen:  sie  ist,  im  Hinblick  auf 
die  Thatsache,   dass  äussere  und  innere  Erfahrung  im  Grunde  gar 


248  Logik  der  Psychologie. 

nicht  verschiedene  Erfahrungsgebiete,  sondern  nur  verschiedene  Be- 
trachtungsweisen einer  und  derselben  Erfahrung  sind,  von  vorn- 
herein zu  erwarten.  Die  Naturwisstoschaft  behandelt  die  Objecte 
als  reale,  von  dem  Subject  unabhängige  Dinge,  während  doch  alle 
diese  Objecte  zugleich  Vorstellungen  des  erkennenden  Subjectes  und 
nur  als  solche  der  unmittelbaren  Auffassung  desselben  zugänglich 
sind.  Wenn  nun  von  dieser  Auffassung  grundsätzlich  abstrahirt 
werden  soll,  wie  es  thatsächlich  in  der  Naturwissenschaft  geschieht 
und  geschehen  muss,  so  ist  es  ganz  noth wendig,  dass  der  so  ent- 
stehende Begriff  nicht  mehr  dem  empirischen  Object  der  Anschauung 
entspricht,  sondern  dass  er  im  eigentlichsten  Sinne  metaphysisch  ist : 
er  ist  ein  Hülfsbegriff  der  wissenschaftlichen  Untersuchung,  der  in 
keiner  Erfahrung  vorkommen  kann,  weil  in  ihm  von  einem  nie 
fehlenden  Theil  der  wirklichen  Erfahrung,  davon  nämlich  dass  diese 
immer  zugleich  ein  geistiger  Vorgang  in  einem  erkennenden  Subject 
ist,  grundsätzlich  abstrahirt  wurde.  Die  Psychologie  dagegen  bringt 
gerade  diese  Seite  aller  Erfahrung  zu  ihrem  Rechte,  und  indem  sie 
dies  thut,  kann  sie  naturgemäss  keinen  andern  Weg  einschlagen  als 
den,  dass  sie  nicht  nur  die  geistigen  Vorgänge  sondern  auch  die 
Objecte  auf  die  sich  diese  beziehen  in  der  Form  bestehen  lässt,  in 
der  sie  ursprünglich  in  der  Erfahrung  gegeben  sind.  Dem  entspricht 
nun  auch  das  Verhalten  aller  einzelnen  Geisteswissenschaften,  die 
psychologischer  Erklärungsgründe  zur  Lösung  ihrer  Aufgaben  be- 
dürfen. Für  sie  alle  hat  die  objective  Erfahrungswelt  nur  in  ihrer 
ursprünglichen  Form  Geltung:  der  Substanzbegriff  der  Naturwissen- 
schaft ist  für  sie  ohne  jede  Bedeutung,  und  sie  sind  gegenüber  der 
geistigen  Seite  der  Dinge  in  der  Anerkennung  der  unmittelbaren 
geistigen  Wirklichkeit  mit  der  Psychologie  einverstanden. 

Nur  in  einem  Punkte  muss  sich  die  Psychologie  des  Vor- 
zugs, dessen  sie  sich  mit  der  Gesammtheit  der  Geisteswissenschaften 
erfreut,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wieder  begeben.  Gerade  des- 
halb weil  sie  als  die  fundamentalere  Disciplin  den  Naturwissen- 
schaften näher  steht,  kann  sie  auch  von  der  Frage,  wie  sich  jener 
grundlegende  Begriff  der  Naturwissenschaft  zu  ihren  eigenen  auf 
ganz  anderem  Boden  erwachsenen  Begriffsbildungen  verhält,  nicht 
Umgang  nehmen.  Zwar  die  Frage,  wie  die  getrennte  Betrachtungs- 
weise von  Naturwissenschaft  und  Psychologie  zu  einer  befriedigenden 
Einheit  zurückzulenken  sei,  mag  sie  der  Metaphysik  überlassen.  Als 
eine  empirische  Wissenschaft,  die  sie  ja  in  viel  höherem  Masse  als 
die  der  metaphysischen  Hülfsbegriffe  überall  bedürftige  Naturwissen- 


Begriff  der  Seele.  249 

Schaft  ist,  hat  sie  keinen  Grund  hierauf  einzugehen,  um  so  mehr  da 
die  psychischen  Vorgänge   ebenso  gut  als  ein  in  sich  geschlossenes 
Ganzes  behandelt  werden  können  wie  die  Naturvorgänge.     Aber  da 
zahlreiche  Vorgänge   existiren,    für  die   ebensowohl  eine  physische 
wie  eine  psychische  Betrachtungsweise  gefordert  wird,   so  kann  die 
Psychologie  nicht  amhin,  bei  solchen  Gelegenheiten  zwischen  dem 
Standpunkt  der  Physiologie,  welcher  selbstverständlich  derjenige  der 
Naturwissenschaft  ist,    und  ihrem   eigenen   völlig  abweichenden  zu 
Termitteln.     So   eröffnet  sich  ein   mittleres  Gebiet  psychophysi- 
scher  Betrachtungsweise,   auf  dem   die  Psychologie  im  Anschluss 
an  die  Physiologie  den  Substanzbegriff  der  Naturwissenschaft  accep- 
tirt  und  daneben  doch  ihren  Begriff  der  Actualität  der  Seele  selbst 
festhält.     In    dem  Zusammenhang  dieser   Betrachtungen,    der  sich 
Qber  die   gesammte   sinnliche  Grundlage   der  seelischen  Erlebnisse 
erstreckt,    kann    dann   natürlich    auch    die   Psychologie    von   einem 
Sabstrat  der  psychischen  Vorgänge  sprechen.     Aber  dieses  Substrat 
ist  ihr  hier  keine   besondere,   auf  irgend  eine  unerklärliche  Weise 
mit  dem   Körper  verbundene   Seelensubstanz,   sondern   der  lebende 
Korper  selber,  der  freilich  nicht  als  ein  absolut  beharrendes  Wesen, 
sondern  nur  als   ein  relativ   beharrendes  Substrat  des  Seelischen 
angesehen  werden  kann,   da  er,  wie  alles  Lebendige,  schon  für  die 
naturwissenschaftliche  Betrachtung  in   einem  fortwährenden  Flusse 
7on  Veränderungen   begriffen  ist.     Und  auch  in  dem  Sinne  ist  der 
leibUche  Organismus  das  wahre  physische  Correlat  der  Seele,  als  er 
zwar   ein   einheitliches,   aber   durchaus    kein    einfaches   Wesen  ist, 
welches    letztere    die    substantielle    Theorie    des    Spiritualismus    im 
Widerspruch  mit  der  Erfahrung  und  mit  ihrer  eigenen  Durchführung 
des  Begriffs  fortwährend  von  der  Seele  behauptet.     Es  ist  übrigens 
klar,   dass  die  Auffassung  dieser  Beziehungen  zwischen  Physischem 
und  Psychischem,  da  sie  sich  auf  Begriffe  gründet,  die  erkenntniss- 
theoretisch betrachtet  ganz  heterogenen  Ursprungs  sind,  einen  eigen- 
artigen Charakter  annehmen  muss,  und  dass  namentlich  auf  sie  weder 
derjenige  Causalbegriff  anwendbar  sein  kann,  den  die  Naturwissen- 
schaft  nach    den    durch   ihre   Gegenstände  gebotenen   Bedingungen 
ausgebildet  hat,  noch  auch  jener,   den  die  Psychologie  auf  Grund 
des  rein  psychischen  Zusammenhangs  entwickeln  muss.     So  eröffnet 
sich  hier,  bei  dem  Uebergang  von  der  physiologischen  zur  psycho- 
logischen Betrachtung  des  lebenden  Organismus,  ein  Problem,   das 
im  Sinne   einer  die  Actualität  des  psychischen  Geschehens  mit  der 
substantiellen  Causalität  der  Naturvorgänge  verbindenden  Auffassung 


250  Logik  der  Psychologie. 

nur  durch  ein  Princip  gelöst  werden  kann,  welches  die  Eigenart 
beider  Causalitätsformen  unangetastet  lässt.  Dieses  Princip,  dem 
hiemach  die  Bedeutung  eines  empirischen  Princips  der  Verknüpfung 
der  beiden  einander  ergänzenden  Formen  der  Causalitat  zukommt, 
bezeichnen  wir  als  das  Princip  des  psychophysischen  Paral- 
lelismus. 


b.   Das  Princip  des  psychophysischen  Parallelismus. 

Mit  der  Annahme  einer  Seelensubstanz  ist  nothwendig  immer 
zugleich  die  einer  psychophysischen  Causalitat,  die  zu  der  physischen 
und  der  psychischen  als  eine  dritte  eigenthOmliche  Form  hinzukomme, 
verbunden;  ja  streng  genommen  ist  diese  dritte  Form  selbst  wieder 
eine  doppelte:  eine  vom  Physischen  zum  Psychischen  und  eine  vom 
Psychischen  zum  Physischen  gerichtete  Causalverbindung,  die  beide 
eigentlich  unvergleichbar  mit  einander  sind.  Schon  innerhalb  der 
Substanzhypothese  stösst  aber  diese  Annahme  auf  Schwierigkeiten, 
die  zu  HOlfshypothesen  herausfordern,  in  denen  sich  die  Auflösung 
der  Substanzhypothese  vorbereitet.  Die  Entwicklung  der  neueren 
Naturwissenschaft,  wie  sie  sich  vom  16.  Jahrhundert  an  vollzogen 
hat,  brachte  die  mechanische  Weltanschauung  und  mit  ihr  die 
Tendenz,  alle  Naturvorgänge  auf  Bewegungsvorgänge  der  Körper 
und  ihrer  kleinsten  Theilchen  zurückzuführen,  zu  immer  unum- 
schränkterer Geltung.  Aus  ihr  entwickelte  sich  eine  allgemeine 
logische  Forderung,  die  unvermeidlich  auch  auf  die  psychischen  Er- 
scheinungen angewandt  werden  musste,  die  Forderung  nämlich,  dass 
eine  directe  Causalitat  stets  nur  zwischen  gleichartigen  Erschei- 
nungen oder,  insofern  man  alle  Erscheinungen  als  die  Wirkungen 
von  Substanzen  auffasste,  zwischen  gleichartigen  Substanzen  statt- 
finden könne.  In  Descartes'  Philosophie  hatte  dieser  Begriff  der 
zwei  Substanzen,  der  ausgedehnten  und  der  denkenden,  seinen  clas- 
sischen  Ausdruck  gefunden.  In  der  Cartesianischen  Schule  hatte 
sich  sodann  im  Anschlüsse  daran  die  Vorstellung  entwickelt,  dass 
zwischen  diesen  Substanzen  eine  eigentliche  Wechselwirkung  unmöglich 
sei.  In  der  Lehre  der  „Occasionalisten",  nach  der  eine  fortwährende 
Einwirkung  Gottes  auf  beide  Substanzen  den  Zusammenhang  der 
körperlichen  und  seelischen  Vorgänge  vermittelt,  war  daher  die  Idee 
des  „Parallelismus*  bereits  vollständig  enthalten.  Es  bedurfte  nur 
noch  der  Umwandlung  des  übernatürlichen  Eingriffes  in  einen  ur- 
sprünglichen Bestandtheil  der  Weltordnung,  um  ihr  jenen  metaphysi- 


Princip  des  psychopbysischen  Parallelismus.  251 

sehen  Inhalt  zu  geben,  den  sie  dann  in  den  Systemen  eines  Spinoza 
und  Leibniz  annahm.  Dabei  zeigte  sich  zugleich,  dass  die  so 
entstandene  weitere  Ausbildung  des  Begriffs  auch  die  beiden  Sub- 
stanzen unmöglich  unangetastet  lassen  konnte.  Entweder  musste  die 
Verschiedenheit  derselben  einer  Gleichartigkeit  weichen:  so  in  Leibniz* 
piistabilirter  Harmonie;  oder  Physisches  und  Psychisches  mussten 
sich  in  die  einander  entsprechenden  Erscheinungsformen  einer  ein- 
ligen  transcendenten  Substanz  umwandeln:  so  bei  Spinoza.  Mit 
diesen  metaphysischen  Ausgestaltungen  des  Princips  des  Parallelis- 
mos  war  dieses  nun  aber  auf  einen  Boden  verpflanzt,  der  völlig 
jenseits  einer  empirischen  Bearbeitung  der  physischen  wie  der  psy- 
chischen Causalbeziehungen  lag,  so  dass  die  empirische  Psychologie 
der  späteren  Zeit  nicht  ganz  im  unrechte  war,  wenn  sie  wieder  zu 
der  Annahme  einer  besonderen  psychophysischen  Causalitat  zurück- 
kehrte, um  so  mehr  da  dieser  Standpunkt  in  der  allmählich  um 
sich  greifenden  Auffassung  der  Causalitat  als  einer  rein  empirischen 
Beziehung  der  Erscheinungen,  wie  sie  von  der  englischen  Philosophie 
angebahnt  wurde,  auch  eine  philosophische  Stütze  fand. 

Dennoch  ist  mit  einer  solchen  Ablehnung  des  metaphysischen 
Parallelprincips  das  Problem  selbst  keineswegs  gelöst.  Davon  könnte 
doch  nur  die  Rede  sein,  wenn  das  Causalprincip  der  empirischen 
Wissenschaften  wirklich  nichts  anderes  verlangte  als  regelmässige 
Coexistenz  oder  Succession  der  Erscheinungen.  Die  naturwissen- 
schaftlichen Anwendungen  jenes  Begriffs  haben  uns  aber  belehrt, 
dass  diese  von  der  abstracten  empiristischen  Erkenntnistheorie  be- 
hauptete Beschränkung  auf  eine  regelmässige  Association  durchaus 
nicht  die  Forderungen  deckt,  die  die  empirische  Wissenschaft  in 
Wirklichkeit  erhebt,  wenn  sie  ein  causales  Verhältniss  anerkennen 
soll,  sondern  dass  hier  wesentlich  noch  die  Subsumtion  unter  all- 
gemeine Gesetze  und  mittelst  ihrer  die  widerspruchslose  Einordnung 
in  den  allgemeinen  Zusammenhang  der  Erfahrung  hinzukommt. 
(Vgl.  Bd.  I,  S.  611,  und  Bd.  II,  1,  S.  326  ff.)  Ist  nun  auch  diese 
Forderung  erst  innerhalb  der  naturwissenschaftlichen  Betrachtung 
zu  allgemeingültiger  Anerkennung  gelangt,  so  ist  es  doch  zweifellos, 
da  es  sich  hier  nicht  bloss  um  eine  specifisch  naturwissenschaftliche 
sondern  um  eine  logische  Forderung  handelt,  dass  sich  derselben 
kein  anderes  Wissensgebiet  entziehen  kann.  Insbesondere  also  für 
die  psychische  imd,  falls  es  eine  solche  geben  sollte,  für  die  psycho- 
physische  Causalitat  wird  nicht  minder  zu  verlangen  sein,  dass  jede 
Ton  ihnen  das  Gebiet  auf  das  sie  sich  bezieht  in  einen  Widerspruchs- 


262  Logik  der  Psychologie. 

losen,  zugleich  den  andern  Gebieten  des  Erkennens  nirgends  wider- 
streitenden Zusammenhang  bringe.    Gehen  wir  nun  von  dieser  Vor- 
aussetzung aus,   so  ist  klar,   dass  zwar  eventuell  die  physische  und 
ebenso    die   psychische  Gausalität  eine  relative   Selbständigkeit  be- 
sitzen mögen,  insofern  wir  bei  jener  von  unsem  psychischen  Erleb- 
nissen   und  bei   dieser  in   einem   gewissen  umfange   auch   von  den 
physischen  Vorgängen  abstrahiren  können,  aber  dass  von  einer  ähn- 
lichen  relativ  selbständigen  Bedeutung  einer  psychophysischen 
Gausalität  unmöglich  die  Rede  sein  kann.    Denn  offenbar  ist  ja  jede 
psycho-physische   Wechselwirkung    mit   ihrem   einen  Glied  in  dem 
physischen  und  mit  ihrem  andern  in  dem  psychischen  Gausalzusammen- 
hang  bereits  enthalten.    Damit  ist  auch  schon  gesagt,  dass  sich  alles 
was  man  psycho-physische  Gausalverbindung  nennen  könnte  durch- 
aus nur  auf  die  Feststellung  eines  constanten  Zugleichseins  bestimmter 
Glieder    auf  beiden   Seiten  werde   beschränken   müssen,    ohne  dass 
eine  wirkliche  causale  Ableitung  des  Physischen  aus  dem  Psychischen 
und  umgekehrt  möglich  ist.     Ein  solches  regelmässiges  Zugleichsein 
physischer   und   psychischer  Vorgänge   ist    aber   nichts   anderes   als 
eben  das  was  man  unter  psycho-physischem  Parallelismus  im  empi- 
rischen Sinne  verstehen  kann.     Dabei  zeigt  sich  freilich,  dass  dieser 
von    der    empirischen  Naturwissenschaft    und  Psychologie    aus    be- 
stimmte Begriff  des   Parallelismus   etwas  von   der  oben   erwähnten 
metaphysischen  Bedeutung  desselben  völlig  Verschiedenes  ist,   wenn 
auch  beide  in  ihrem  Ursprung  zusammenhängen.     Indem  das  meta- 
physische Princip   als   ein  letztes  Princip  der  Weltordnung  auftritt, 
erhebt  es  zugleich  den  Anspruch,  dass  es  Oberhaupt  nichts  auf  phy- 
sischem Gebiete   gebe  was  nicht  psychisch  und  nichts  auf  psychi- 
schem Gebiete  was  nicht  physisch  ebenfalls  existirte.    So  wird  diese 
metaphysische    Auffassung    nothwendig    dazu   getrieben   psychische 
Inhalte  da  vorauszusetzen,   wo  sie  in  der  Erfahrung  durchaus  nicht 
gegeben  sind  und  nicht  einmal  als  hypothetische  Hülfsbegriffe  irgend 
welche  Dienste  leisten,    und  auf  der  andern  Seite  die  psychischen 
Inhalte  auf  das  zu  beschränken  was  zugleich  in  irgend  einer  Weise 
physisch   verkörpert   gedacht  werden  kann.     Am   deutlichsten  zeigt 
diese  metaphysischen  Folgerungen  die  Philosophie  Spinozas,  in  der 
jene  absolute  Gorrespondenz  einfach  dadurch  erreicht  wird,  dass  alle 
psychischen  Erlebnisse  auf  Vorstellungen  reducirt  sind,  die  zugleich 
Ebenbilder  der  körperlichen  Dinge  und   ihrer  ZusiUnde  , unter  der 
Form   der  Idee*^    sein    sollen.     Hier    hat   sich    offenbar  das  meta- 
physische Princip  seinen  empirischen  Ausgangspunkten  nahezu  völlig 


Princip  des  paychopfaysiscfaen  Parallelismus.  253 

entfremdet,  und  es  unterwirft  die  Erfahrung  einem  Zwang,  der  die 
Interpretation  derselben  auf  das  äusserste  gefährdet.  Kehrt  es  doch 
den  Naturobjecten  gegenüber  zu  einer  naiven  Auffassung  zurück, 
die  auf  alle  begrifflichen  Hülfsmittel  der  Naturerklärung  verzichtet, 
während  sie  innerhalb  des  geistigen  Lebens,  um  dieses  zu  einem 
realen  Spiegelbild  der  objectiven  Wirklichkeit  zu  machen,  alle  Eigen- 
schaften und  Vorgänge,  die  einer  solchen  Auffassung  Widerstand 
leisten,  für  tauschende  Trugbilder  eines  , verworrenen  Yorstellens'^ 
erklärt. 

Es  ist  einleuchtend,  dass  diese  metaphysische  Weiterführung 
des  Parallelprincips  Ton  den  empirischen  Grundlagen  desselben  weit 
abliegt,  und  dass  sie  die  Forderungen  der  Erfahrung  der  einseitig 
durchgeführten  metaphysischen  Idee  ganz  und  gar  aufopfert.  Bleibt 
man  dagegen  bei  der  empirischen  Bedeutung  des  Princips  stehen, 
wie  sie  aus  den  einerseits  durch  die  reine  Naturerklärung  und  ander- 
seits durch  die  rein  psychologische  Betrachtung  gestellten  Forde- 
rungen hervorgegangen  ist,  so  hat  dasselbe  lediglich  die  Bedeutung, 
dass  psychische  Vorgänge  aus  physischen  und  physische  aus  psychi- 
schen nicht  im  gleichen  Sinne  causai  erklärt  werden  können,  in 
welchem  wir  physische  aus  andern  physischen  Erscheinungen  und 
psychische  aus  andern  psychischen  Erlebnissen  abzuleiten  suchen, 
sondern  dass  hier  immer  nur  eine  regelmässige  Coexistenz  bestimmter 
Glieder  beider  Formen  der  Causalverknüpfung  angenommen  werden 
kann.  Dabei  schliesst  aber  natürlich  diese  Coexistenz  nicht  aus, 
dass  es  ebensowohl  auf  physischer  Seite  Erscheinungen  gibt,  denen 
keine  psychischen  Elemente  entsprechen,  wie  umgekehrt  auf  psychi- 
scher Seite  Eigenschaften  existiren  können,  zu  denen  physische  Be- 
gleiterscheinungen weder  nachzuweisen  noch  mit  irgend  einer  Wahr- 
scheinlichkeit vorauszusetzen  sind.  Dies  ist  nun  thatsächlich  die 
Bedeutung,  die  das  Princip  des  psychophysischen  Parallelismus  in 
der  neueren  Psychologie  angenommen  hat.  Eine  Anlehnung  an  das 
ältere  metaphysische  Princip  muss  dieser  schon  um  deswillen  fern 
hegen,  weil  sie  sich  den  Naturerscheinungen  gegenüber  durchaus 
auf  den  Standpunkt  der  Naturwissenschaft  stellt,  auf  jenen  Stand- 
punkt abo,  der  in  den  unmittelbaren  Vorstellungsobjecten  nicht 
reale  Eigenschaften  einer  Substanz  sondern  Erscheinungen  eines 
Substrates  erblickt,  auf  dessen  wirkliche  Eigenschaften  und  Wechsel- 
wirkungen wir  nur  mittelst  hypothetischer  Begriffsbildungen  zurück- 
scUiessen  können.  Insofern  aber  die  Naturwissenschaft  bei  dieser 
hypothetischen  Construction  der  Wirklichkeit  geflissentlich  von  allen 


254  Logik  der  Psychologie. 

Erfahrungsinhalten  abstrahirt,  die  nicht  auf  von  uns  unabhängige 
Objecte  sondern  nur  auf  unser  eigenes  Verhalten  gegenüber  den 
Objecten  bezogen  werden  können,  ist  hier  ?on  vornherein  die  Grund- 
voraussetzung des  metaphysischen  Parallelprincips  aufgehoben.  Denn 
es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Begriffe  der  Naturwissenschaft 
überall  nur  von  den  Thatsachen  Rechenschaft  geben  können,  auf 
die  bei  ihrer  Bildung  Rücksicht  genommen  wurde.  Nun  bilden  den 
einzigen  Inhalt  der  naturwissenschaftlichen  Betrachtung  unsere  Ob- 
jectsvorstellungen ,  und  zwar  unter  der  besonderen  Voraussetzung, 
dass  bei  ihnen  von  der  subjectiven  Entstehungsweise  dieser  Vor- 
stellungen in  uns  abstrahirt  werde.  Es  bleibt  also  augenscheinlich 
eben  diese  subjective  Entstehungsweise  und  neben  ihr  alles  das, 
was  überhaupt  von  uns  nicht  auf  Objecte  sondern  auf  das  Verhalten 
des  Subjectes  selbst  bezogen  wird,  einer  anderweitigen  wissenschaft- 
lichen Betrachtung  vorbehalten.  Diese  auszuführen  ist  die  Aufgabe 
der  Psychologie,  die  hiemach,  weil  sie  die  naturwissenschaft- 
liche Untersuchung  der  Erfahrung  ergänzt,  einen  von  dieser  durch- 
gängig verschiedenen  Inhalt  hat,  ohne  dass  doch  jemals  beide  in 
Widerspruch  gerathen  können,  es  sei  denn  in  Folge  von  Gebiets- 
überschreitungen, die  aus  einer  Verkennung  ihrer  wirklichen  Auf- 
gaben hervorgehen*). 

Die  Thatsache,  dass  die  psychische  Gausalität  überall  zugleich 
auf  physische  Verbindungen  hinweist,  durch  deren  Erkenntniss  erst 
der  ganze  Erfahrungsinhalt  dem  jene  angehört  erschöpft  wird,  bildet 
demnach  ebenso  wenig  einen  Einwand  gegen  eine  vom  psycho- 
logischen  Standpunkte   aus   unternommene    gesonderte  Betrachtung 

*)  Dass  bei  so  einfacher  Sachlage  noch  heute  fortwährend  von  Philo- 
sophen und  Psychologen  das  Parallel prineip  der  empirischen  Psychologie  mit 
dem  metaphysischen  Parallelismus  Spinozas  verwechselt  wird,  ist  beinahe  un- 
glaublich^ aber  leider  dennoch  wahr.  Was  soll  man  z.  B.  zu  der  kindischen 
Einrede  sagen,  von  einem  Parallelismus  würde  nur  geredet  werden  können, 
wenn  jeder  physische  Vorgang  auch  ein  psychisches  Correlat  hätte,  dies  aber 
sei  eine  ungerechtfertigte  metaphysische  Annahme?  Oder  welch  ahnungslose 
Unkenntniss  des  wirklichen  Standpunktes  naturwissenschaftlicher  Betrachtung 
verrilth  sich,  wenn  man  in  psychologischen  Arbeiten  dem  Gedanken  begegnet, 
nach  dem  Prineip  des  Parallelismus  gehöre  zu  jedem  psychischen  Vorgang  ein 
physischer,  nun  biete  aber  der  physische  Causalzusammenhang  den  Vorzug 
.lückenloser  Vollständigkeit,  also  sei  eine  wirkliche  Erklärung  der  psychischen 
Vorgänge  nur  durch  die  Nachweisung  der  ihnen  entsprechenden  physiologischen 
Processe  zu  leisten.  Vgl.  hierzu  und  zu  der  ganzen  Frage  die  Abhandlung 
über  psychische  Gausalität  und  das  Prineip  des  psychophysischen  Parallelismus, 
Phil.  Stud.  X,  S.  26  ff.  und  S.  47  ff. 


Princip  des  psychophysischen  ParallelismuB.  255 

der  psychischen  Erfahrungsinhalte,  wie  die  Berechtigung  der  rein 
physiologischen  Untersuchung  der  LebensTorgänge  dadurch  in  Frage 
gestellt  wird,  dass  es  zahlreiche  Lebensvorgänge  gibt,  die  wir  ohne 
gleichzeitige  Beachtung  ihrer  psychischen  Inhalte  nicht  endgültig 
Terstehen  können.  In  der  That  wird  die  Psychologie  sogar  bei 
solchen  Erlebnissen,  die  unmittelbar  auf  äussere  Einwirkungen  hin- 
weisen, z.  B.  bei  den  Sinneswahrnehroungen,  in  dem  Augenblick  zu 
jener  Abstraction  genöthigt,  wo  sie  wirklich  psychologisch  inter- 
pretiren  will.  Denn  auch  in  diesem  Falle  sind  nicht  die  äusseren 
physischen  Einwirkungen  sondern  die  ihnen  entsprechenden  Empfin- 
dungen die  ursprünglichen  Elemente,  aus  denen  der  Process  der 
Wahrnehmung  entsteht.  Der  Grundsatz,  dass  Psychisches  nur  aus 
Psychischem,  ebenso  wie  Physisches  nur  aus  Physischem  abgeleitet 
werden  kann,  macht  sich  eben  vermöge  jener  Unvergleichbarkeit 
beider  Standpunkte  gegenüber  dem  gesammten  Inhalt  der  Erfahrung 
unvermeidlich  geltend,  und  er  ist  es,  der  die  Scheidung  der  Gebiete 
und  mit  ihr  die  stillschweigende  Anerkennung  des  Parallelprincips 
thatsächlich  herbeiführt,  auch  wenn  man  von  der  ausdrücklichen 
Anerkennung  desselben  noch  weit  entfernt  ist.  Denn  wie  vermöchte 
Jemand  von  der  Verkettung  der  Vorstellungen  und  Gefühle  und 
ihrer  Wirksamkeit  im  menschlichen  Handeln  jemals  anders  Rechen- 
schaft zu  geben,  als  indem  er  sich  die  psychischen  Vorgänge  selbst 
zu  Tergegenwärtigen  sucht?  In  den  einzelnen  Geisteswissenschaften 
aber  kommt  dieser  psychologische  Charakter  der  Interpretation  auch 
darin  zum  Ausdruck,  dass  für  sie  die  äusseren  Lebenseinfiüsse 
überall  nur  in  der  Form  in  Betracht  kommen,  in  der  sie  eigentlich 
selbst  mit  zu  den  psychischen  Erlebnissen  gehören,  als  anschauliche 
Vorstellungsobjecte,  und  nicht  im  mindesten  in  jenen  begrifflichen 
Verarbeitungen,  in  denen  sie  für  die  Naturwissenschaft  allein  objective 
Geltung  haben.  Nur  wenn  man  sich  dieses  Verhältnisses  bewusst 
bleibt,  kann  nun  auch  die  Psychologie  ohne  Schädigung  ihres  eigenen 
Standpunktes  bei  solchen  Problemen,  wo  der  psychische  Zusammen- 
hang der  Ereignisse  Lücken  darbietet,  die  physiologische  Betrachtung 
ergänzend  herbeiziehen,  ebenso  wie  umgekehrt  die  Physiologie  nicht 
umhin  kann  bei  der  Erklärung  gewisser  animaler  Functionen  gelegent- 
Uch  ihren  eigenen  Standpunkt  mit  dem  der  psychologischen  Inter- 
pretation zu  vertauschen.  Ist  das  Princip  des  Parallelismus  richtig, 
so  wird  dort  wie  hier  eine  solche  Ergänzung  immer  nur  unter 
dem  Vorbehalte  versucht  werden  können,  dass  die  heterogenen  Er- 
kläiungselemente    als    Stellvertreter    der    vorläufig    und    in    vielen 


256  Logik  der  P^chologie. 

Fällen  wahrscileinlich  immer  verborgen  bleibenden  homogenen  zu  be- 
trachten seien. 

Dies  ist  denn  auch  die  Auffassung,  welche  die  Physiologie 
überall  da  zur  Geltung  bringt,  wo  sie  etwa  psychologische  Erklärungs- 
momente in  ihren  Untersuchungen  nöthig  hat.  Sie  stützt  sich  dabei 
auf  das  für  alle  Naturwissenschaft  massgebende  Princip  der  ge- 
schlossenen Naturcausalität,  das  für  die  Physiologie  die 
Forderung  enthält,  dass  die  endgültige  Erklärung  irgend  eines 
physischen  Lebensvorganges  erst  da  vorliegt,  wo  derselbe  ganz  und 
gar  aus  andern  physischen  Vorgängen  innerhalb  oder  ausserhalb  des 
Organismus  abgeleitet  ist.  Man  müsste  die  sämmtlichen  Grundlagen 
der  heutigen  Naturwissenschaft,  mit  denen  dieses  Princip  auf  das 
engste  verknüpft  ist,  aufgeben  und  die  grossen  Dienste  die  es  der 
Naturforschung  geleistet  hat  in  den  Wind  schlagen,  wenn  man  von 
irgend  einer  einzelnen  naturwissenschaftlichen  Disciplin  verlangen 
wollte,  dass  sie  sich  seiner  Anerkennung  entziehen  solle*).  Nun 
ist  allerdings  ein  analoges  Princip  ftlr  die  psychische  Causalität 
nicht  nur  nicht  nachgewiesen,  sondern  wahrscheinlich  auch  niemals 
direct  nachweisbar.  Ist  doch  das  naturwissenschaftliche  Princip  an  die 
Forderung  gebunden,  dass  alle  Naturvorgänge  in  einem  System  unter 
einander  zusammenhängender  Causalgleichungen  darzustellen  seien, 
eine  Forderung  die  für  das  geistige  Leben  von  vornherein  unerfüllbar 
ist.  Gleichwohl  ist  klar,  dass  auch  hier  schon  auf  Grund  des  Principe 
der  geschlossenen  Naturcausalität  ein  analoges  Princip  angenommen 
werden  muss,  falls  nur  anerkannt  wird,  dass  es  überhaupt 
eine  psychische  Causalität  gibt.  Denn  offenbar  kann  ja,  so- 
bald ein  lückenloser  Zusammenhang  der  Naturyorgänge  vorausgesetzt 
wird,  von  einer  specifischen  Form  psychophysischer  Causalität  nicht 
mehr  die  Rede  sein,  sondern  es  bleiben  für  die  nach  dem  Zeugniss 
der  Erfahrung  einander  parallel  laufenden  physischen  und  psychischen 
Vorgänge  nur  noch  zwei  Auffassungen  möglich:  entweder  bildet 
das  psychische  Geschehen  ein  ebenfalls  in  sich  geschlossenes  Gebiet, 
von  dem  einzelne  Glieder  bestimmten  Gliedern  physischer  Causal- 
reihen  entsprechen ;  oder  die  psychischen  Erlebnisse  stehen  überhaupt 
in  keinem  causalen  Zusammenhang,  sondern  sie  sind  entweder  als 
verworrene  Auffassungen  materieller  Processe  oder  aber  als  Neben- 
producte  der  letzteren  anzusehen,  die,  an  bestimmte  materielle  Sub- 
stanzcomplexe  gebunden,  ganz  und  gar  von  der  physischen  Causalität 


•)  Vgl.  über  das  Princip  selbst  Bd.  II,  1,  S.  326  ff. 


Princip  des  psychophysifichen  Parallelismus.  257 

bestimmt  sind,  ohne  ihrerseits  einen  Einfluss  auf  diese  auszuüben. 
Die  erste  dieser  Anschauungen  ist  die  des  psychophysischen  Parallelis- 
mus, die  zweite  die  des  Materialismus  in  den  beiden  Gestaltungen 
des  reinen  und  des  psychophysischen  (S.  158).  Man  sieht,  dass 
unter  diesen  die  des  reinen  Materialismus  wieder  die  relativ  be- 
rechtigtere ist.  Sie  nimmt  nur  eine  Erscheinungsform  der  Cau- 
salitat,  die  Naturcausalität,  an  und  leugnet  dem  entsprechend,  dass 
es  überhaupt  ein  anderes  Erscheinungsgebiet  gebe  als  das  ihr  unter- 
worfene. Der  psychophysische  Materialismus  dagegen  statuirt  zwei 
an  sich  unvergleichbare  Formen  der  Erfahrung  und  behauptet  gleich- 
zeitig, dass  die  Causalität  der  einen  dieser  Formen  ausserhalb  dieser 
selbst  liege.  Beide  Auffassungen  aber  sind  gleich  haltlos,  weil 
sie  auf  völlig  willkürliche  und  gewaltsame  Weise  eine  einheitliche 
Auffassung  der  Causalität  des  Qeschehens  zu  gewinnen  suchen,  wo- 
durch ihnen  der  allein  der  Natur  der  Sache  und  den  specifischen 
Unterschieden  der  naturwissenschaftlichen  und  der  psychologischen 
Erkenntniss  entsprechende  Begriff  jener  Einheit  entgeht.  Dieser 
Begriff  besteht  darin,  dass  beide  Erkenntnissformen  verschiedene 
Auffassungsweisen  der  gesammten  Causalität  der  Erfahrung  sind,  die 
sich  aber  nicht  bloss  darin  unterscheiden,  dass  die  erste  eine  mittel- 
bare und  begriffliche,  die  andere  eine  unmittelbare  und  anschauliche 
ist,  sondern  wesentlich  auch  darin,  dass  die  erste  aus  dem  ganzen 
Bereich  der  wirklichen  Erfahrung  nur  diejenigen  Bestandtheile  heraus- 
greift, denen  eine  objective,  von  dem  erkennenden  Subjecte  unab- 
hängige Wirklichkeit  zugeschrieben  wird.  Der  Erfahrungskreis  der 
Naturwissenschaft  ist  daher  auf  der  einen  Seite  ungleich  weiter,  auf 
der  andern  aber  viel  enger  als  der  der  Psychologie.  Jener  erstreckt 
sich  über  das  ganze  sinnliche  Universum,  dieser  beschränkt  sich  auf 
die  lebende  und  in  ihr  wieder  fast  ganz  auf  die  menschliche  Welt. 
Aber  was  in  dieser  beschränkten  Welt  vor  sich  geht,  das  wird  nun 
hier  ungleich  weiter  und  tiefer  erfasst  als  in  der  auf  die  äusseren 
Relationen  der  Objecte  eingeengten  Naturforschung.  Darum  ist  es 
einleuchtend,  dass  jedes  dieser  Gebiete  schliesslich  nach  einer  Er- 
gänzung durch  die  Betrachtungsweise  des  andern  strebt.  Aber  so 
begreiflich  dieses  Streben  auch  sein  mag,  so  unzweifelhaft  ist  es, 
dass  die  Naturwissenschaft  wie  die  Psychologie  hier  bei  einer  für 
die  Erfahrung  und  darum  auch  für  sie  selbst  unübersteigbaren 
Schranke  angelangt  sind.  Nur  die  Philosophie,  deren  besonderer 
Beruf  es  ist,  das  von  den  einzelnen  Wissenschaften  getrennt  Be- 
gonnene   zur    Einheit    einer    zusammenhängenden    Weltanschauung 

Wandt,  Logik,  II,  2.    ».  Aufl.  17 


258  Logik  der  Psychologie. 

weiterzuführen,  kann  es  versuchen,  diesen  Einheitsgedanken  zu  Ende 
zu  denken,  der  inmitten  der  einzelnen  Wissensgebiete  bereits  seinen 
Ursprung  nimmt.  Die  nächste  und  freilich  auch  die  ungenügendste^ 
heute  weder  mit  dem  Bestand  der  Naturwissenschaft  noch  mit  dem 
der  Psychologie  mehr  vereinbare  Weise,  in  der  dies  geschehen 
kann,  ist  nun  die  Lösung  durch  jenen  metaphysischen  Parallelismus, 
wie  er  in  dem  Satze  Spinozas  ausgesprochen  ist:  „Ordo  et  connexio 
idearum  idem  est  ac  ordo  et  connexio  rerum*^.  Um  diesen  Satz  als 
die  Lösung  des  Welträthsels  ansehen  zu  können,  dazu  gehört  ein 
naiver  Glaube  an  die  unmittelbare  objective  Realität  der  Sinnendinge, 
wie  ihn  heute  die  Naturwissenschaft  nicht  mehr  besitzt,  und  dazu 
gehört  ein  starrer  Intellectualismus,  wie  er  in  der  heutigen  Psycho- 
logie unhaltbar  geworden  ist.  Natur  und  Geist  sind  nicht,  wie  jene 
Formel  meint,  zwei  sich  deckende  Kreise  oder,  wie  man  wohl  auch 
gesagt  hat,  ein  Kreis,  der  von  zwei  verschiedenen  Standorten  aus, 
einem  innern  und  einem  äussern,  betrachtet  werden  kann,  sondern 
sie  sind  zwei  sich  kreuzende  Gebiete,  die  nur  einen  Theil  ihrer 
Objecto  mit  einander  gemein  haben,  und  in  denen  überdies  die 
Betrachtungsweise  dieser  Objecto  eine  qualitativ  verschiedene,  dort 
eine  begrifflich  construirende,  hier,  auf  psychologischem  Boden,  eine 
unmittelbar  anschauliche  und  interpretirende  ist.  Was  beide  Gebiete 
wirklich  in  gewissem  Sinne  gemein  haben,  das  sind  die  sinnlichen 
Elemente  unserer  Vorstellungswelt ,  die  Empfindungen.  Aber  sa 
wenig  die  Molecularbewegungen,  in  die  sich  die  Empfindungsprocesse 
für  die  physiologische  Betrachtung  zerlegen,  mit  den  Empfindungen 
als  psychischen  Elementarprocessen  irgendwie  vergleichbar  sind, 
ebenso  wenig  können  weiterhin  die  Verbindungen  dieser  Bewegungen 
über  die  psychischen  Verbindungsprocesse  und  über  den  Werth,  den 
dieselben  für  das  vorstellende  Subject  haben,  oder  über  die  mannig- 
fachen psychischen  Inhalte  Aufschluss  gehen,  in  denen  dieser  Werth 
zum  Ausdruck  kommt. 

Fassen  wir  hiemach  die  Motive  zusammen,  die  uns  das  Princip 
des  psychophysischen  Parallelismus  heute  als  ein  unerlässliches  Postulat 
psychologischer  Forschung  erscheinen  lassen,  so  können  diese  schliess- 
lich auf  ein  allgemein  logisches,  ein  naturwissenschaftliches  und  ein 
psychologisches  zurückgeführt  werden.  1)  Logisch  fordert  jede 
Anwendung  des  Causalprincips ,  die  über  die  unhaltbare  Auffassung 
desselben  als  einer  blossen  empirischen  Associationsform  hinaus-  und 
auf  seine  logische  Wurzel  zurückgeht,  dass  Gleichartiges  aus 
Gleichartigem  abgeleitet  werde.     Gleichartig  sind   aber  in  Folge 


Princip  der  psychischen  Actaalität.  259 

der  jedesmaligen  Betrachtungsweise  physische  und  physische  oder 
auch  psychische  und  psychische,  nicht;  physische  und  psychische 
Vorgange.  2)  Naturwissenschaftlich  schliesst  das  Princip  der 
geschlossenen  Naturcausalität  die  Forderung  ein,  dass  kein  physischer 
Vorgang  aus  einem  psychischen  und  kein  psychischer  aus  einem 
physischen  abgeleitet  werde;  jenes  Princip  verweist  also  damit 
indirect  die  psychische  Gausalerklärung  auf  ihr  eigenes  Gebiet. 
3)  Psychologisch  kann  eine  Interpretation  bestimmter  psychischer 
Erlebnisse  auf  einem  andern  als  dem  psychologischen  Wege  gar 
nicht  geliefert  werden,  weil  das  was  den  auszeichnenden  Charakter 
des  Psychischen  ausmacht,  die  besondere  Verbindungsweise  der  Ele- 
mente und  die  eigenthümliche  Werthbestimmung  der  Verbindungen, 
nur  dem  psychischen  Gebiet  eigenthümlich  ist. 


c.   Das  Princip  der  psychischen  Actualität. 

In   dem  Begriff  der  Actualität    der   Seele   ist    diejenige 
Eügenschaft    der    psychischen   Causalität  bereits  enthalten,    die  ihr 
nächstes    unterscheidendes   Merkmal    gegenüber   der    physischen 
Causalität  ist.     Diese  ist  überall  an   ein   substantielles  Substrat  ge- 
bunden.    Jede  Naturerscheinung  fordert  daher  zu  ihrer  endgültigen 
Erklärung  die  ZurUckführung   auf  die  Wechselwirkungen   der  Be- 
ätandtheile   eines   solchen   beharrenden  Substrates;    und   wie    dieses 
nur  der  Gegenstand  einer  hypothetischen  Begriffsbildung  sein  kann, 
30  besitzen  auch  alle  einzelnen  Causalerklärungen  der  Naturwissen- 
schaft schliesslich  stets  einen  begrifflichen  Charakter.    Die  psychische 
Causalität  dagegen   verknüpft  überall   die  psychischen  Vorgänge  so 
wie   sie  unmittelbar  in  der  Wahrnehmung  enthalten  sind:   sie   be- 
zieht sich  nur  auf  die  Ereignisse   selbst,   und  da  diese  Ereignisse 
anschaulich  gegeben  sind,   so   ist  sie  nur  eine  anschauliche.     Be- 
griffe   können    bei    ihr    immer    erst   nachträglich   zur    Anwendung 
kommen,   um  eine  Anzahl  einzelner  Vorgänge  in   den  für  sie  fest- 
gestellten typischen  Formen  causaler  Verknüpfung  festzuhalten.   Auch 
dann  beziehen  sich  aber  die  zusammenfass^den  Allgemeinbegriffe 
auf  die  Vorgänge  selbst,   niemals,   so  lange   die  Betrachtung   eine 
psychologische   bleibt,    auf  ein   von    ihnen    verschiedenes   Substrat. 
Darum  kommt  in  dieser  actuellen   Causalität  der  Psychologie   das 
entscheidende  logische  Motiv  des  Causalbegriffs  reiner  zum  Ausdruck 
als  in   der  substantiellen   Causalität   der  Naturwissenschaft.     Denn 
jenes  Motiv  besteht   in   der  Verknüpfung   der   in   der  Anschauung 


260  Logik  der  Psychologie. 

gegebenen  Ereignisse  durch  das  Denken.  Erst  der  objective  Stand- 
punkt der  Naturforschung,  der  die  ursächliche  Verknüpfung  in  ihrer 
von  der  Anschauung  des  erkennenden  Subjects  unabhängigen  Form 
festzustellen  sucht,  nöthigt  zugleich  der  Naturcausalität  eine  objective 
Grundlage  zu  geben  und  so  zum  Begriff  einer  substantiellen  Ver- 
ursachung überzugehen. 

Den  triftigsten  Beweis  für  die  Brauchbarkeit  eines  Prineips 
bildet  nun  stets  die  Thatsache,  dass  es  wirklich  gebraucht  wird, 
und  dass  man  es  selbst  da  wider  Willen  anwendet,  wo  man  ihm 
angeblich  widerspricht.  Von  wenig  Dingen  lässt  sich  aber  dies  mit 
so  grosser  Sicherheit  behaupten  wie  von  dem  Princip  der  psychischen 
Actualität.  Wo  immer  iü  der  Psychologie  selbst  oder  in  andern 
Geisteswissenschaften  psychologisch  interpretirt  wird,  da  sucht  man 
einzelne  psychische  Erlebnisse  begreiflich  zu  machen,  indem  man 
sie  mit  andern  psychischen  Erlebnissen  in  Verbindung  bringt.  Wird 
je  einmal  anders  verfahren,  so  kommen  entweder  schematische  Classi- 
ficationen statt  wirklicher  Causalverknüpfungen  zu  Stande,  wie  in 
der  Wo Iff sehen  Vermögenstheorie,  oder  völlig  imaginäre  Begriffs- 
bildungen, wie  in  Herbarts  Vorstellungsmechanik.  Auch  da  wo  die 
Psychologie  eine  Summe  psychischer  Bedingungen,  theils  weil  sie  uner- 
schöpflich, theilfl  auch  weil  sie  ganz  und  gar  unbekannt  sind,  in  gewisse 
Collectivbegriffe  zusammenfasst ,  wie  bei  der  Zulassung  erworbener 
oder  angeborener  seelischer  Anlagen  als  eines  f[ir  das  einzelne 
Geschehen  massgebenden  Factors,  da  ist  der  Gedanke,  diese  Anlagen 
psychologisch  aus  irgend  welchen  substantiellen  Grundlagen  abzu- 
leiten, unvollziehbar,  und  er  führt  thatsächlich  immer  darauf  hinaus, 
dass  man  bleibende  physische  Substanzänderungen  annimmt.  In 
der  That  ist  es  ja  wahrscheinlich  genug,  dass,  gemäss  dem  Princip 
des  psychophysischen  Parallelismus,  in  dem  lebenden  Organismus 
durch  die  den  psychischen  Elementarvorgängen  entsprechenden  phy- 
sischen Processe  bleibende  Nachwirkungen  entstehen,  —  nur  dass 
freilich  solche  Nachwirkungen  keine  psychischen  Elemente  sind  und 
daher  auch  zu  einer  psychologischen  Erklärung  nichts  beitragen 
können.  Wohl  aber  ^hen  wir  diese  überall,  wo  sie  etwa  über  die 
psychische  Seite  solcher  Anlagen  Rechenschaft  gibt,  diese  wieder 
auf  irgend  welche  psychische  Erlebnisse  zurückführen;  und  sie  muss 
dabei  das  Princip  der  Actualität  auch  insofern  anwenden,  als  die 
psychischen  Anlagen  selbst  wieder  fliessende  Eigenschaften  sind,  die 
sich  unter  der  Einwirkung  neuer  psychischer  Ursachen  fortwährend 
verändern.   Wenn  endlich  gegen  diese  Betrachtung  geltend  gemacht 


Prindp  der  psychischen  Actualit&t.  261 

wird,  alle  Erlebnisse  eines  individuellen  Bewusstseins  stünden  in 
einem  Zusammenhang,  der  auf  eine  substantielle  Verbindung  ausser- 
halb der  Erlebnisse  selbst  hinweise,  so  ist  dem  entgegenzuhalten, 
dass  dieser  Einwand  nur  dann  eine  Berechtigung  hätte,  wenn  auch 
jener  Zusammenhang  ein  ausserhalb  der  Erlebnisse  selbst  stehender 
wäre.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Im  Oegentheil,  wir  werden  uns  der 
Verbindung  der  psychischen  Erlebnisse  nur  inne  durch  die  Erleb- 
nisse selber.  Die  Einheit  des  Bewusstseins  ist  ebenso  wenig  ein 
ausserhalb  aller  einzelnen  unmittelbar  und  anschaulich  gegebenen 
Verbindungen  gelegener  Mittelpunkt,  wie  das  Bewusstsein  etwas 
anderes  ist  als  die  Summe  dessen  was  wir  erleben. 

Auf  diese  Weise  ist  das  Princip  der  Actualität  auf  das  engste 
an  die  Forderung  gebunden,  dass  die  Psychologie  die  psychischen 
Vorgänge. so  aufzufassen  habe  wie  sie  sind,  und  dass  daher 
auch  die  causale  Verknüpfung  dieser  Vorgänge  lediglich  ihnen  selbst 
zu  entnehmen  sei.  Eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  wäre  ja  nur 
dann  gerechtfertigt,  wenn  es  sich,  analog  wie  im  Gebiet  der  Natur- 
erklärung, auch  bei  den  psychischen  Thatsachen  herausstellen  sollte, 
dass  jener  Weg  der  Interpretation  aus  sich  selbst  auf  Widersprüche 
f&hrte,  die  zu  ihrer  Beseitigung  ergänzende  Begriffsbildungen  irgend 
welcher  Art  erforderten.  Dass  dies  nicht  der  Fall  ist,  geht  aber 
ebensowohl  aus  der  wirklichen  Beschaffenheit  aller  psychologischen 
Interpretation,  namentlich  auch  innerhalb  der  einzelnen  Oeisteswissen- 
schaften,  wie  aus  dem  logischen  Verhältniss  beider  Erfahrungsformen 
zu  einander  hervor.  (Vgl.  oben  S.  254.)  Dieses  Verhältniss  fordert 
ebenso  unvermeidlich  im  Gebiet  der  Naturerklärung  ergänzende  Hülfs- 
begriffe,  wie  es  auf  psychischem  Gebiet  solche  ausschliesst. 

Im  Hinblick  auf  diesen  Gegensatz,  der  zugleich  ein  Verhältniss 
wechselseitiger  Ergänzung  ist,   lassen   sich  nun  die  Eigenthümlich- 
keiten,   welche   die   begriffliche   Verarbeitung  der  psychischen   Er- 
fahrungsinhalte darbietet,  mit  dem  Princip  der  Actualität  in  die  un- 
mittelbarste Verbindung  bringen;   und   zugleich  lässt  sich  unschwer 
darthun,  dass  die  geläufigsten  Fehler  psychologischer  Begriffsbildung 
auf  nichts  anderem   als  auf  einer  falschen  üebertragung  der  natur- 
wissenschaftlichen  Betrachtungsweise  auf  die  Psychologie   beruhen. 
In  der  That  gehen  diese  Vermengungen  dem  psychologischen  Sub- 
stanzhegriff  vollständig  parallel,  der  ja,  wie  oben  bemerkt,  ebenfalls 
eine  falsche  Üebertragung  des   materiellen  Substanzbegriffs  auf  ein 
ihin  inadäquates   Gebiet  ist.     Nachdem   die   rohe  Classification   der 
psychischen  Vorgänge   und   die  Zurückführung   der  so  gewonnenen 


262  Logik  der  Psychologie. 

Glassenbegriffe  auf  verschiedene  ursprüngliche  Eigenschaften  der 
Seele,  wie  sie  die  Vermögenstheorie  ausgeführt  hatte,  zurückgetreten 
war,  hat  die  neuere  Psychologie  im  allgemeinen  noch  an  der  Unter- 
scheidung von  drei  fundamentalen  Formen  psychischer  Vorgänge 
festgehalten.  £s  sind  dies  die  schon  von  Plato  unterschiedenen 
Formen  des  Vorstellens,  Fühlens  und  Strebens,  die  im 
wesentlichen  auch  von  der  Vermögenspsychologie  als  die  Haupt- 
stufen ihrer  Begriffsleiter  betrachtet  worden  sind.  Dass  man  dabei 
gelegentlich  zwei  dieser  Grundformen,  nämlich  das  Fühlen  und 
Streben,  auf  eine  einzige  reducirte,  ändert  an  der  Oesammtauffassung 
nichts.  Jene  verschiedenen  Formen  wurden  dann  aber  ebenso  als 
unabhängig  von  einander  existirende  Arten  des  seelischen  Verhaltens 
gedeutet,  wie  etwa  nach  der  Newton'schen  Naturphilosophie  die 
ündurchdringlichkeit  und  die  wechselseitige  Anziehung  materieller 
Massen  Grundeigenschaften  der  Materie  sind,  die  unabhängig  von 
einander  gedacht  werden  können.  In  der  That  hängt  die  Voraus- 
setzung einer  unabhängigen  Existenz  verschiedener  psychischer 
Fundamentalvorgänge  auf  das  engste  mit  der  Substanzhypothese  zu- 
sammen. Nichts  steht  ja  im  Wege,  einer  Substanz  mehrere  un- 
abhängige Eigenschaften  zuzuschreiben,  und  wo  etwa  das  Streben 
nach  Einfachheit  zum  Versuch  einer  Reduction  auf  eine  einzige 
Orundeigenschaft  führt,  da  wird  dies  stets  so  geschehen,  dass  man 
aus  ihr  die  andern  Eigenschaften  mittelst  irgend  welcher  Hypo- 
thesen ableitet.  Hier  bildet  daher  die  von  der  intellectualistischen 
Psychologie  in  den  verschiedensten  Formen  unternommene  Reduction 
der  psychischen  Inhalte  auf  Vorstellungen  ein  vollkommenes 
Seitenstück  zu  den  seit  Descartes  immer  wiederkehrenden  hypo- 
thetischen Versuchen  der  Naturphilosophie,  aus  einer  Grundeigen* 
Schaft  der  Materie  alle  andern,  z.  B.  aus  den  Bewegungen  eines 
continuirlichen  Mediums  die  Femewirkungen,  abzuleiten.  Aber  v^as 
der  Naturwissenschaft  erlaubt ,  das  ist  in  diesem  Fall  der  Psycho- 
logie versagt.  Da  ihre  Aufgabe  nicht  in  der  widerspruchslosen  be- 
grifflichen Gonstruction  der  objectiven  Wirklichkeit,  sondern  in  der 
Analyse  und  Verknüpfung  der  unmittelbar  in  der  subjectiven  Wahr- 
nehmung gegebenen  Thatsachen  besteht,  so  muss  bei  ihr  der  Ver- 
such einer  solchen  Reduction  unvermeidlich  entweder  zur  gewalt- 
samen Unterdrückung  wesentlicher  Bestandtheile  der  wirklichen 
Erlebnisse  oder  zu  Hypothesenbildungen  von  völlig  imaginärem 
Werthe  führen. 

Ganz  anders  verhält  sich  die  Sache  unter  dem  Gesichtspunkte 


Princip  der  psychischen  Aciualitäi.  263 

des  Princips  der  Actualität.     Von  yerschiedenen  Eigenschaften  der 
Seele  zu  reden,   die   sich  nach   verschiedenen  Richtungen  hin  und 
unabhängig  von  einander  bethätigen  könnten,   hat  hier  gar  keinen 
Sinn.    Gegeben  ist  uns  schlechthin  nur  die  Wirklichkeit  der  psychi* 
sehen  Vorgänge.     Wenn  unser  abstrahirendes  Denken  einzelne  Be- 
standtheile  dieser  Wirklichkeit  heraushebt  und  sie  als  Empfindungen, 
Vorstellungen,    Gefühle,    Willensregungen   unter   gewisse    Classen- 
begriffe  bringt,  so  kann  daraus  nimmermehr  gefolgert  werden,  dass 
solche  Bestandtheile   nun   auch  unabhängig  von  einander,   losgelöst 
Ton  dem  ganzen  Zusammenhang  des  Wirklichen  dem  sie  angehören, 
Torkommen    könnten.     Denn    in  Wahrheit   existirt   nur    die   ganze 
Wirklichkeit  des  psychischen  Erlebnisses,  und  sie  existirt  unmittelbar 
so  wie  sie  ist.   Von  welchen  Gesichtspunkten  aus  wir  auch  in  unseren 
Begriffen  diese  Wirklichkeit  zerlegen  mögen,  die  Elemente  die  wir 
erhalten  sind   und  bleiben  Producte  unserer  Abstraction;    sie   sind 
darum  weil  wir  sie  isoliren  nicht  auch  isolirt  vorkommende  TheUe 
der  Wirklichkeit.     So  wenig   die  Lichtempfindung   etwas   von  der 
Vorstellung  des  gesehenen  Gegenstandes  Getrenntes  ist,   gerade  so 
wenig  ist   der  Gefühls-   oder  Willensvorgang,   der  sich  mit  dieser 
Vorstellung  verbindet,    ein    in   Wirklichkeit  von   ihr  verschiedener 
Vorgang;  und  jeder  Versuch   irgend  einen  dieser  Bestandtheile  aus 
dem  wirklichen  Erlebniss  hinwegzunehmen  zerstört  unvermeidlich  das 
ganze  Erlebniss.   Aber  man  ist  immer  wieder  geneigt  diese  unmittel- 
bare Actualität  des  psychischen  Geschehens  zu  übersehen,  indem  man 
den  Standpunkt  der  objectiven  Naturbetrachtung  mit  dem  der  sub- 
jectiven  Erfahrung   vermengt.     Die  objective  Naturbetrachtung  löst 
das  Vorstellungsobject  aus   dem  psychischen  Gesammterlebnisse  ab, 
weil  es  Merkmale  darbietet,  nach  denen  es  unmittelbar  als  ein  von 
dem  Subject,    also    von   der  Gesammtheit   der   sonstigen    Bestand- 
theile des  psychischen  Erlebnisses  unabhängiges  Object  anzusehen 
ist.    Diese  objective  Bedeutung  des  Gegenstandes  wird  zunächst  auf 
die  Vorstellung  als   subjectives  Erlebniss   übertragen,   die  nun  ein 
ebensolches  festes  und  von  den  übrigen  psychischen  Inhalten  trenn- 
bares Gebilde   sein   soll,  und   diese   an  der  Vorstellung  vollzogene 
Trennung   ergreift  dann   auch   die   übrigen  Seiten  des  psychischen 
Vorgangs,  die  auf  diese  Weise  nicht  nur  von  der  Vorstellung  sondern 
auch  von   einander  isolirt  werden.     Aber  eine  Vorstellung  ist  kein 
Object    Dieses   ist  relativ  beharrend,  jene  ist  ein  fliessender  Vor- 
gang.  Die  Wirklichkeit  des  Objects  besteht  darin,  dass  es  losgelöst 
gedacht  werden   kann   von    den   psychischen  Erlebnissen   des  Vor- 


264  Logik  der  Psychologie. 

stellenden,  weil  es  sich  einer  ganzen  Reihe  auf  einander  folgender 
Vorgänge  gegenüber  als  ein  von  diesen  unabhängiger  Gegenstand 
behauptet;  die  Vorstellung  dagegen  hat  nur  Wirklichkeit  als  ein- 
zelner fliessender  Vorgang,  der  mit  andern  Elementen,  die  einer 
solchen  Objectivirung  widerstehen,  untrennbar  verbunden  ist. 

Nun  kann  freilich  auch  die  psychologische  Betrachtung  yon 
jener  Aussonderung  des  Vorstellungsobjectes  aus  der  Gesammtheit 
der  seelischen  Inhalte  nicht  ganz  Umgang  nehmen.  Gehört  doch 
diese  Sonderung  insofern  mit  zu  den  psychischen  Erlebnissen,  als 
sie  auf  allen  den  psychischen  Processen  beruht,  die  eine  räumliche 
Objectivirung  der  Vorstellungen  herbeiführen.  Aber  niemals  kann 
dadurch  die  Vorstellung  als  solche  von  den  übrigen  psychischen  In- 
halten getrennt  werden,  sondern  immer  kann  nur  die  Thatsache^ 
dass  dem  Vorstellungsbestandtheil  der  psychischen  Erlebnisse  ein 
selbständiges  Gorrelat  in  der  Aussenwelt  gegeben  wird  und  nach 
psychologischen  Gesetzen  gegeben  werden  muss,  darauf  hinweisen^ 
dass  das  psychische  Leben  fortwährend  unter  Bedingungen  steht, 
die  nicht  bloss  in  ihm  selbst,  sondern  die  ausserdem  in  einer  von 
ihm  unabhängigen  Wirklichkeit  entspringen.  Dieser  unmittelbar  auf 
die  Objectivirung  der  Vorstellungen  gegründete  Schluss  findet  dann 
weiterhin  seine  Bestätigung  darin,  dass  ebenso  unmittelbar  wie  die 
Vorstellung  auf  ein  Object  bezogen,  so  auch  der  mit  ihr  verbundene 
sonstige  Inhalt  der  psychischen  Erlebnisse  als  ein  subjectiver  auf- 
gefasst  wird.  Aber  damit  wird  der  psychische  Vorgang  selbst  nicht 
im  mindesten  in  zwei  in  Wirklichkeit  isolirbare  Theile  zerfällt;  viel- 
mehr findet  darin  nur  die  allgemeine  Thatsache  ihren  Ausdruck^ 
dass  jedes  psychische  Erlebniss  eine  doppelte  Seite 
hat.  Die  eine  dieser  Seiten  nennen  wir,  weil  sie  mit  der  Objectivi- 
rung psychischer  Inhalte  zusammenhängt,  die  objective,  die  andere 
die  subjective.  Beide  Seiten  sind  in  der  That  an  jedem  einzelnen 
Geschehen  zu  finden:  es  gibt  ebenso  wenig  eine  Vorstellung  ohne 
Beziehung  auf  das  vorstellende  Subject,  wie  es  Gefühle  und  Willens- 
regungen ohne  Vorstellungen  gibt.  Darum  ist  es  völlig  willkürlich 
und  im  Widerspruch  mit  allem  was  uns  die  Selbstbeobachtung  über 
die  thatsächliche  Entwicklung  der  psychischen  Vorgänge  lehrt,  wenn 
man  jene  Unterscheidung  auf  der  subjectiven  Seite  noch  weiter 
glaubt  fortsetzen  zu  können  und  etwa  die  Gefühle  als  specifische 
Processe  dem  Begehren  und  Wollen  oder  gar  die  beiden  letzteren 
wieder  einander  gegenüberstellt.  Weder  sind  diese  Erlebnisse  jemals 
thatsächlich  von  einander  zu  sondern,  noch  gestattet  der  innere  Zu- 


Princip  der  psychischen  Actualität.  265 

sammenhang  in  dem  sie  stehen  eine  Trennung.  Vielmehr  ist  in 
dem  Gefühl  ebenso  gut  das  Wollen  präformirt,  wie  im  Willensact 
Gefühle  als  wesentliche  Bestandtheile  vorkommen ;  und  noch  weniger 
lassen  natürlich  Streben,  Trieb  und  ähnliche  Begriffe  eine  andere 
Deutung  als  die  theüs  unvollständig  ablaufender  theils  relativ  ein- 
facher Formen  der  Willensvorgänge  zu*). 

Mit  der  doppelseitigen  Natur  der  psychischen  Erlebnisse  stehen 
nun  diejenigen  Eigenthümlichkeiten  der  subjectiven  Erfahrung  in 
naher  Verbindung,  die  dem  Zusammenhang  und  Verlauf  der  psychi- 
schen Vorgänge  vorzugsweise  ihr  eigenthümliches  Gepräge  geben. 
Von  jenen  beiden  Seiten,  die  das  psychische  Erlebniss  unserer  Be- 
trachtung darbietet,  der  Vorstellungs-  und  der  Gefühls-  oder  Willens- 
seite, ist  nämlich  zunächst  die  zweite  durch  zwei  wichtige  Eigen- 
schaften ausgezeichnet:  erstens  ist  in  einem  gegebenen  Moment  nur 
ein  einheitlicher  subjectiver  Vorgang  dieser  Art  möglich;  und  zwei- 
tens bilden  die  verschiedenen  auf  einander  folgenden  Vorgänge 
stetige  Zusammenhänge.  Die  erste  dieser  Eigenschaften,  die  wir 
die  Einheit  der  Gefühlslage  nennen  können,  spricht  sich  in 
der  Erfahrung  aus,  dass  wo  etwa  in  einem  individuellen  Bewusstsein 
mehrere  Gefühls-  oder  Willensimpulse  vorhanden  sind,  diese  zu  einer 
einheitlichen  Gemüthslage,  einem  Totalgefühl  oder  einer  resultiren- 
den  Willenshandlung,  verbunden  werden.  Die  zweite  Eigenschaft, 
die  wir  die  Stetigkeit  der  Willensvorgänge  nennen  wollen, 
findet  darin  ihren  Ausdruck,  dass  die  in  einem  gegebenen  Moment 
Torhandene  Gemüthslage  unmittelbar  mit  den  vorangegangenen  Ge- 
fühls- und  Willensvorgängen  verbunden  wird.  Nun  ist  eine  solche 
Verbindung  offenbar  nur  dann  möglich,  wenn  alle  diese  Vorgänge 
trotz  der  ungeheuren  Mannigfaltigkeit  der  Gefühle  qualitativ  über- 
einstimmende Elemente  enthalten,  die  eine  Beziehung  der  nachfol- 
geDden  auf  die  vorangegangenen  Processe  unmittelbar  herausfordern. 
Solch  übereinstimmende  Elemente  können  sowohl  in  den  Gefühlen 
wie  in  den  begleitenden  Empfindungen  vorkommen.  Aber  während 
die  übrigen  Bestandtheile  eines  vollständigen  Willensvorgangs  immer 
nur  für  einzelne  Fälle  gemeinsam  sind,  erscheint  das  den  vollendeten 
VoUzttg  des  WiUensactes  bezeichnende  Gefühl  der  Thätigkeit  als 
ein  Element,  das  bei  aller  Verschiedenheit  der  Inhalte,  auf  die  es 
sich  beziehen  kann,  immer  wieder  als  das  nämliche  aufgefasst  wird. 


*)  Vgl.  hierzu  Vorlesungen  über  die  Menschen-  und  Thierseele,  2.  Aufl., 
.  238  ff.    Essays.  S.  199  ff. 


266  Logik  der  Psychologie. 

Zugleich  ist  aber  dieses  GefUhl  von  regelmässigen  Veränderungen 
der  Vorstellungsinhalte  begleitet,  die  deshalb  unmittelbar  ab  die 
Wirkungen  des  mit  dem  ThätigkeitsgefÜhl  verbundenen  Willens- 
vorgangs erscheinen.  Diesen  ganzen  Zusammenhang  in  einem  ein- 
heitlichen Begri£f  zu  fixiren,  ist  ein  unabweisliches  psychologisches 
Bedürfniss:  wir  bezeichnen  ihn  darum,  im  Anschlüsse  an  den  in 
einigen  wesentlichen  Punkten  mit  ihm  übereinstimmenden  Begriff 
der  Leibniz'schen  Philosophie,  als  Apperception.  Die  Appercep- 
tion  ist  als  innerer  Willensact  die  Vorbedingung  jeder  äusseren 
Willenshandlung;  und  insofern  jene  Veränderungen  im  Vorstellungs- 
inhalte, die  wir  als  die  Zunahme  der  Klarheit  und  Deutlichkeit  be- 
stimmter Theile  dieses  Inhalts  beschreiben ,  mit  dem  Qrad  des 
ThätigkeitsgefÜhls  in  regelmässiger  Beziehung  stehen,  prägt  sich  in 
dieser  Beziehung  zugleich  die  unmittelbare  Einheit  der  objectiven 
und  der  subjectiven  psychischen  Wahrnehmungsinhalte  aus.  Der 
Zusammenhang  aller  einzelnen  Apperceptionsacte  unter  einander 
wird  so  durch  jenes  bei  aller  Mannigfaltigkeit  der  sonstigen  Qeftlhls- 
und  Vorstellungsinhalte  qualitativ  übereinstimmende  ThätigkeitsgefÜhl 
vermittelt,  von  dem  aus  sich  dann  dieser  Einheitsbegriff  auf  alle  andern 
psychischen  Inhalte  überträgt.  Diese  secundäre,  erst  durch  die  all- 
seitigen Beziehungen  der  Apperception  entstandene  Verbindung  der 
sämmtlichen  psychischen  Inhalte  unter  einander  ist  die  Einheit 
des  Bewusstseins.  Sie  ist  demnach  die  Folge  und  nicht  etwa 
der  Qrund  der  auf  dem  inneren  Zusammenhang  der  Willensvorgänge 
beruhenden  Einheit  der  Apperception.  Denn  die  Vorstellungs- 
processe,  losgelöst  gedacht  von  den  sie  verbindenden  Gefühls-  und 
Willenselementen,  bilden  eine  Vielheit  mannigfacher  Erscheinungen, 
zwischen  denen  höchstens  gelegentlich  und  zufällig  einmal  Be- 
ziehungen der  üebereinstimmung  vorkommen,  Beziehungen  die  aber 
bei  ihrer  Unregelmässigkeit  niemals  im  Stande  sein  würden  die 
thatsächlich  bestehende  Einheit  unserer  inneren  Erlebnisse  begreif- 
lich zu  machen.  Dagegen  resultiren  aus  dieser  Vielheit  und  Zu- 
fälligkeit der  Vorstellungsinhalte  und  aus  dem  Einfluss,  den  sie 
nothwendig  auch  auf  die  Gefühls-  und  Willensseite  der  Vorgänge 
ausüben,  wichtige  Unterschiede  in  dem  Ablauf  der  letzteren,  die 
auch  in  den  ihre  Verbindung  vermittelnden  Gefühlen  sich  spiegeln. 
Zwar  ist  es,  so  viel  die  Selbstbeobachtung  wahrnehmen  lässt,  das 
nämliche  ThätigkeitsgefÜhl,  das  die  Apperception  eines  zufalligen 
äusseren  Eindrucks,  und  das  eine  aus  inneren  Motiven  erfolgende 
Entscheidung  begleitet.    Aber  die  jenem  Endgefühl  vorausgehenden 


Priucip  der  schöpferiBchen  Synthese.  267 

OefÜhLsvorgäDge  sind  in  beiden  Fällen  wesentlich  verschiedene:  dort 
bestehen    sie   in  einem   gegensätzlichen  Gefühl   des   Erleidens,    des 
passiven  üeberwältigtwerdens  durch  den  Eindruck;  hier  sind  sie  dem 
Endgefühl  ähnlich,  nur  minder  ausgeprägt  und  nicht  selten  mit  Ge- 
fählen  des  Zwiespalts  und  Zweifels  verschmolzen.    Ist  der  Eindruck 
ein  völlig  unerwarteter,  so  überwiegt  jenes  Gefühl  des  Erleidens  so 
sehr,   dass  meist  erst  nach  längerer  Zeit,   nicht  selten  nachdem  der 
Eindruck  selbst  schon  vorüber  ist  und  nur  sein  Erinnerungsbild  noch 
nachwirkt,  ^as  Gefühl  der  Thätigkeit  erwacht.    So  spielen  bei  allen 
Apperceptionsprocessen   beide  Gefühle   eine   überaus  wichtige  Rolle. 
In  Folge  ihrer  gegensätzlichen  Natur  sind  sie  für  die    subjective 
Charakteristik  gewisser  in  der  Regel  noch  nach   andern  Merkmalen 
wohl  unterscheidbarer  psychischer  Processe,   wie   der  passiven  und 
der  activen  Apperception,  der  Trieb-  und  der  Willkürhandlung,  der 
associativen  und  der  apperceptiven  Vorstellungsverbindungen,  bedeut- 
sam.   Dennoch  wäre  es  irrig,  wollte  man  deshalb  die  Processe  selbst, 
bei  denen  jene  Gefühle  immer  nur  als  Bestandtheile  neben   zahl- 
reichen andern  vorkommen,  als  gegensätzliche  auffassen.    Das  kann 
um  so   weniger  geschehen,    als   in   den  meisten  Fällen   bei  jedem 
irgend  zusammengesetzteren  Process  beide  Gefühle  auftreten,   wobei 
es  dann  zumeist  nur  die  Art  ihres  Wechsels  und  das  Vorherrschen 
einer  bestimmten  Gefühlsform  ist,  welche  neben  den  sonstigen  Eigen- 
schaften den   Unterschied  begründet.     Darum   sind  zwischen  jenen 
verschiedenen   Processen  in  der  Wirklichkeit  nicht   immer   scharfe 
QfTenzen  zu  ziehen.     Theils  können   die  Unterschiede  wenig  ausge- 
prägt, theils  auch  die  complexen  Vorgänge  selbst  wieder  aus  ver- 
schiedenen Theilen  gemischt  sein.    So  sind  passive  und  active  Apper- 
ception, Trieb-  und  Willkürhandlung  im  einzelnen  Fall  nur  in  ihren 
ausgeprägteren  Formen  sicher  zu  trennen,  und  in  die  apperceptiven 
Gedankenverbindungen  greifen  fortwährend  Associationen  ein. 

d.    Das  Princip  der  schöpferischen  Synthese. 

In  der  Einheit  der  Apperception  und  in  der  aus  ihr  ent- 
springenden Einheit  des  Bewusstseins  kommt  ein  Princip  der  Ver- 
bindung psychischer  Elemente  zum  Ausdruck,  das,  ebenso  wie  auf 
den  Gesammtinhalt  der  seelischen  Vorgänge,  so  auch  auf  jeden 
einzelnen  relativ  selbständigen  Bestandtheil  dieser  Vorgänge  Anwen- 
dong  findet.  Nennen  wir  ein  solches,  in  der  Wirklichkeit  immer 
init  andern  psychischen  Inhalten  zusammenhängendes,  aber  vermöge 


268  Logik  der  Psychologie. 

irgend  welcher  Merkmale  zu  sonderndes  Qanze  ein  psychisches 
Gebilde,  so  kann  darunter  natürlich  niemals  ein  ruhendes  Sein, 
sondern  nur  irgend  ein  Vorgang  verstanden  werden,  den  wir  uns 
entweder  in  einem  gegebenen  Momente  fixirt  oder  auch  zwischen 
bestimmten  zeitlichen  Grenzen  eingeschlossen  denken.  In  diesem 
Sinne  nennen  wir  z.  B.  die  Vorstellung  eines  Körpers  oder  eine 
Reihe  zu  einem  rhythmischen  Ganzen  verbundener  Schallempfindungen 
oder  irgend  einen  subjectiven  GemQihszustand,  wie  das  Gef&hl  des 
Zweifels,  den  Affect  des  Zorns,  psychische  Gebilde.  Unserer  Will- 
kür in  der  Aussonderung  solcher  Inhalte  aus  der  Gesammtheit 
psychischer  Vorgänge  sind  nun  in  doppelter  Beziehung  Schranken 
gesetzt:  erstens  muss  ein  psychisches  Gebilde  stets  einer  in  der  un- 
mittelbaren Wahrnehmung  vorgebildeten  Sonderung  entsprechen, 
und  zweitens  muss  es  stets  eine  zusammengesetzte  Einheit  sein. 
Die  abstracten  Elemente,  bei  denen,  als  nicht  weiter  zerlegbaren 
BestandtheileU;  die  psychologische  Analyse  stehen  bleibt,  die  reinen 
Empfindungen,  die  einfachen  Gefühle,  können  also  selbst  nie 
als  psychische  Gebilde  gelten.  Wie  die  Geometrie  aus  einfacheren 
Raumgebilden  verwickeitere  zusammensetzt,  ebenso  kann  aber  natür- 
lich die  Psychologie  irgend  ein  psychisches  Gebilde  unter  einem 
andern  Gesichtspunkte  als  den  Bestandtheil  eines  zusammengesetzteren 
betrachten.  Femer  bringt  es  die  doppelseitige  Natur  der  psychischen 
Vorgänge  mit  sich,  dass  sowohl  einzelne  Vorstellungsprocesse  wie 
irgendwie  in  sich  abgeschlossene  Gefühls-  und  Willensvorgänge  wie 
endlich  aus  beiderlei  Elementen  bestehende  complexe  Vorgänge  als 
psychische  Gebilde  behandelt  werden  können.  Doch  kommt  hier 
den  Vorstellungsgebilden  die  durch  die  Objectivirung  erleichterte 
Abstraction  von  den  subjectiven  Elementen  zu  statten,  während  die 
subjectiven  Inhalte  immer  nur  in  relativem  Sinne  verselbständigt 
werden  können,  da  bei  ihnen  von  der  Beziehung  zu  objectiven  Be- 
standtheilen  nie  ganz  zu  abstrahiren  ist. 

Nun  können  überall,  wo  ein  Ganzes  aus  der  Verbindung  von 
Elementen  hervorgeht,  die  Gesetze  solcher  Verbindung  nur  durch 
die  Vergleichung  der  isolirt  betrachteten  Elemente  mit  den  aus  ihrer 
Verbindung  resultirenden  Producten  gewonnen  werden.  Wendet  man 
diesen  Gesichtspunkt  auf  den  vorliegenden  Fall  an,  so  ergibt  sich, 
dass  die  psychischen  Gebilde  zu  den  Elementen,  aus  denen  sie  zu- 
sammengesetzt sind,  in  bestimmten  causalen  Beziehungen  stehen,  dass 
sie  aber  stets  zugleich  neue  Eigenschaften  besitzen,  die  in  den  ein- 
zelnen Elementen  nicht  enthalten  sind.    In  diesem  Sinne  sind  daher 


Princip  der  schöpferiBchen  Synthese.  269 

alle  psychischen  Gebilde  Erzeugnisse  einer  schöpferischen  Syn- 
these. Indem  sie  aber  ausserdem  regelmässige  Beziehungen  zu  ihren 
Componenten  erkennen  lassen,  in  Folge  deren  aus  dem  Zusammen- 
wirken dieser  Componenten  die  Entstehung  der  Gebilde  und  ihrer 
neuen  Eigenschaften  begreiflich  wird,  ist  die  schöpferische  Synthese 
nicht  weniger  eine  gesetzmässige  wie  die  Bildung  complezer 
Xatorerzeugnisse.  Ihr  Unterschied  von  den  letzteren  besteht  jedoch 
darin,  dass  bei  diesen  die  Eigenschaften  der  Resultanten  immer  be- 
reits vollständig  in  den  Eigenschaften  ihrer  Componenten  enthalten 
sind,  80  dass  jene  aus  diesen,  falls  sie  uns  nur  zureichend  bekannt 
sind,  Yorausbestimmt  werden  können.  Die  Mechanik  und  die  nach 
ihrem  Vorbilde  ausgearbeiteten  Theile  der  mathematischen  Physik 
stehen  in  dieser  Beziehung  im  vollsten  Gegensatze  zur  Psychologie. 
Sind  die  Componenten  einer  Bewegung  bekannt,  so  lässt  sich  die 
Resultante  berechnen,  auch  wenn  jene  niemals  zuvor  in  dieser  be- 
stimmten Weise  verbunden  waren,  und  die  Resultante  ist  nie  etwas 
anderes  als  abermals  eine  Bewegung,  die  in  ihren  Eigenschaften  den 
allgemeinen  Definitionen  der  Bewegung  entspricht.  Bei  den  ver- 
wickeiteren Naturerscheinungen,  z.  B.  bei  einer  chemischen  Syn- 
these oder  bei  der  Entwicklung  einer  organischen  Form,  ist  aller- 
dings eine  derartige  Ableitung  mit  unseren  heutigen  Hülfsmitteln 
nicht  in  ähnlicher  Weise  auszuführen.  Niemand  vermag  noch  die 
Eigenschaften  des  Wassers  aus  denen  des  Wasser-  und  Sauerstoffs, 
oder  die  Theilungsproducte  einer  Zelle  und  ihre  Aneinanderlagerung 
als  noth wendige  Resultanten  aus  den  denZellbestandtheilen  inhärirenden 
Kräften  und  gewissen  äusseren  Einwirkungen  a  priori  abzuleiten. 
In  der  That  bietet  daher  die  psychische  Synthese  mit  solchen  Bei- 
spielen chemischer  und  namentlich  organischer  Synthesen  die  nächste 
äussere  Analogie  dar.  Aber  dass  gleichwohl  diese  Analogie  eine 
äussere  bleibt,  selbst  wenn  wir  voraussetzen  sollten,  dass  eine  voll- 
ständige mechanische  Erklärung  mancher  dieser  Naturerscheinungen 
niemals  möglich  sein  werde,  erhellt  sofort,  wenn  wir  den  Stand- 
punkt, den  auch  hier  die  Naturerklärung  einnimmt,  mit  dem  Stand- 
punkt der  Interpretation  synthetischer  Erzeugnisse  auf  psychischem 
Qebiet  vergleichen.  Die  Chemie  wie  die  Physiologie  gehen  fort- 
während darauf  aus  Voraussetzungen  zu  gewinnen,  mittelst  deren 
sie  die  complexen  Producte  chemischer  und  organischer  Synthesen 
voUsiändig  und  ohne  Rest  aus  den  Elementen  und  ihren  Eigen- 
schaften ableiten  können.  Denn  der  Standpunkt  der  Naturbetrach- 
tung bringt  es  mit  sich,   dass   man  überall  die   zusammengesetzten 


270  Logik  der  Psychologie. 

Erzeugnisse  als  Aggregate  von  Elementen  ansieht,  die  durch  die 
ihnen  inhärirenden  Eigenschaften  die  Eigenschaften  jener  Erzeug- 
nisse vollständig  bestimmen.  So  gut  wie  ein  Erjstall  fbr  den 
Naturforscher  nichts  anderes  sein  kann  als  die  Summe  der  ihn  zu- 
sammensetzenden Molecüle  sammt  den  ihnen  eigenen  äusseren 
Wechselwirkungen,  gerade  so  kann  auch  eine  chemische  Verbindung 
oder  eine  organische  Form  für  ihn  nichts  anderes  sein  als  das  in 
den  Elementen  vollständig  vorgebildete  Product  dieser  Elemente. 
Wo  er  das  Ganze  hieraus  noch  nicht  abzuleiten  vermag,  da  ist  ihm 
dies  bloss  eine  Folge  unzureichender  causaler  Analyse  der  Erschei- 
nungen, und  er  sucht  daher  diese  im  Sinne  jener  allgemeinen,  in 
voller  Strenge  freilich  nur  in  der  abstracten  Mechanik  zu  verwirk- 
lichenden Voraussetzung  weiterzuführen. 

Nun  könnte  man  allerdings  behaupten  —  und  von  einer  ober- 
flächlichen, von  falschen  naturwissenschaftlichen  Analogien  geleiteten 
Betrachtungsweise  aus  ist  dies  oft  genug  geschehen  —  auf  psychi- 
schem Gebiet  verhalte  sich  das  durchaus  nicht  anders,  auch  hier 
würde  möglicher  Weise  das  Product  einer  Verbindung  vollständig 
aus  seinen  Factoren  zu  deduciren  sein,  wenn  man  nur  weit  genug 
in  der  Erkenntniss  der  wirklichen  Processe  fortgeschritten  wäre. 
Aber  dabei  verkennt  man  die  wesentliche  Verschiedenheit  der  natur- 
wissenschaftlichen und  der  psychologischen  Betrachtung.  Jene  sucht 
alle  Erscheinungen  auf  die  äusseren  Relationen  der  letzten  Elemente, 
die  sie  als  Substrat  der  Erscheinungen  voraussetzt,  zurückzuführen. 
Sie  kann  diesen  Standpunkt  nicht  aufgeben,  ohne  zugleich  den 
Principien  untreu  zu  werden,  auf  denen  alle  Naturerklärung  beruht. 
Selbst  solchen  Erscheinungen  gegenüber,  bei  denen,  wie  bei  den 
organischen  Entwicklungs Vorgängen,  jene  ZurUckfUhrung  jetzt  und 
vielleicht  noch  für  unbegrenzte  Zeit  unmöglich  ist,  muss  sie  ihn  als 
Forderung  festhalten.  Höchstens  kann  sie  in  den  Fällen,  wo  die 
Erscheinungen  psychophysischer  Natur  sind,  also  auf  organischem 
Gebiet,  zeitweilig  die  psychologische  Betrachtung  ergänzend  herbei- 
ziehen. In  diesem  Sinne  kann  daher  wohl  gesagt  werden,  dass  die 
schöpferische  Natur  der  psychischen  Synthese  nicht  nur  eine  äussere 
Analogie  mit  der  Verbindung  der  Theile  eines  organischen  Ganzen 
zu  einer  neuen  Einheit  mit  vollkommeneren  Eigenschaften  hat,  son- 
dern dass  wir  auch,  sobald  wir  das  organische  Ganze  in  dieser  Weise 
betrachten,  eigentlich  nicht  mehr  den  naturwissenschaftlichen  sondern 
den  psychologischen  Gesichtspunkt  anwenden.  Denn  das  Eigenthümliche 
des  letzteren  besteht  eben  darin,  dass  er  die  Thatsachen,  die  seiner 


Princip  der  schöpferischen  Synthese.  271 

Beuriheilung  unterstellt  sind,  in  ihrer  unmittelbaren  Wirklichkeit 
und  in  den  Verbindungen  und  Wechselwirkungen,  die  sie  in  dieser 
darbieten,  untersucht.  Auch  die  Elemente,  in  die  die  Verbindungen 
zerlegt  werden,  müssen  daher  den  Charkter  unmittelbarer  Wirklich- 
keit bewahren:  sie  können  abstract  sein,  insofern  man  sie  von  andern 
Elementen,  mit  denen  sie  verbunden  sind,  gesondert  denkt;  sie 
können  aber  nie  hypothetisch  oder  bloss  begrifflich  sein,  weil  sie 
eben  damit  aufhören  würden  der  unmittelbaren  Wirklichkeit  anzu- 
gehören. Wo  etwa  in  der  psychologischen  Causalerklärung  Elemente 
Torkommen,  über  deren  Anwendbarkeit  zur  Erklärung  complexer  Er- 
scheinungen widerstreitende  Meinungen  herrschen,  da  sind  diese 
Elemente  zweifelhaft,  weil  ihre  wirkliche  Existenz  in  der  un- 
mittelbaren Empfindung  nicht  hinreichend  gesichert  ist;  sie  sind 
aber  nicht  in  dem  Sinne  hypothetisch,  wie  etwa  die  Atome  oder 
die  Aetherschwingungen  hypothetisch  sind"*").  Geht  so  die  Aufgabe 
der  psychologischen  Untersuchung  stets  auf  die  Nachweisung  der 
anmittelbar  in  der  inneren  Wahrnehmung  gegebenen  Thatsachen 
und  ihrer  wechselseitigen  Beziehungen,  so  ist  damit  auch  von  vorn- 
herein ausgeschlossen,  dass  sich  diese  Aufgabe  auf  die  Feststellung 
der  äusseren  Relationen  dieser  Thatsachen  oder  der  Elemente,  aus 
denen  sie  bestehen,  beschränken  sollte.  Vielmehr  wird  von  vorn- 
herein als  deren  wichtigster  Theil  die  Auffindung  der  inneren  Be- 
ziehangen  der  complexen  Erzeugnisse  zu  ihren  Elementen  und  dieser 
selbst  zu  einander  anzusehen  sein.  Wie  aber  diese  Beziehungen 
beschaffen  sind,  darüber  kann  wieder  nur  die  unmittelbare  Wahr- 
nehmung und  die  auf  Grund  derselben  ausgeführte  Vergleichung 
der  Verbindungen  mit  den  Bestandtheilen,  aus  denen  sie  zusammen- 
gesetzt sind,  Aufschluss  geben. 

Hier  nun  erweist  sich  das  Princip  der  schöpferischen  Synthese 
als  ein  Grundsatz,  dem  sich  alle  psychischen  Gebilde  von  den  Sinnes- 
wahmehmungen  und  sinnlichen  Gefühlen  an  bis  zu  den  höchsten 
intellectuellen  Processen  und  den  aus  einer  Verkettung  mannigfacher 
Geßihle  und  Vorstellungen  entstehenden  Affecten  und  Willenshand- 


*)  Bekannte  Beispiele  solch  zweifelhafter  Elemente  sind  die  in  der  Theorie 
der  Sinneswahmehmungen  eine  Rolle  spielenden  Muskelempfindungen,  die  Local- 
zeichen  und  ähnliches  mehr.  Auch  die  Localzeichen  haben  offenbar  nur  dann  ein 
Recht  auf  Existenz ,  wenn  sie  etwas  in  der  Empfindung  gegebenes  sind ,  und 
jede  Ausführung  der  so  genannten  Localzeichentheorie  sucht  sie  in  diesem  Sinne 
20  definiren;  jede  muss  darum  auch  darauf  ausgehen,  wo  möglich  ihre  wirk- 
liche Existenz  als  Empfindungen  nachzuweisen. 


272  Logik  der  Psychologie. 

lungen  unterordnen.  Eine  Vorstellung  ist  niemals  bloss  die  Sunune 
der  Empfindungen,  in  die  sie  sich  zerlegen  lässt;  sondern  das  was 
der  Vorstellung  ihre  Bedeutung  gibt  ist  erst  ein  aus  der  Synthese 
der  Empfindungen  resultirendes  Erzeugniss.  Aus  einer  Summe  Ton 
Tönen  würde  sich  der  Eindruck  der  Klangqualitat,  des  harmonischen 
oder  disharmonischen  Zusammenklangs  niemals  a  priori  ableiten 
lassen.  Die  flächenhafte  oder  körperliche  Gestalt  eines  Objectes, 
die  Harmonie  oder  Disharmonie  eines  Accords  sind  gerade  so  gut 
specifische  Erlebnisse,  wie  die  einzelne  Farbe,  der  einzelne  Ton 
solche  sind.  Dabei  stehen  aber  die  aus  der  Synthese  der  Empfin- 
dungen entstandenen  psychischen  Gebilde  in  bestimmten  gesetz- 
mässigen  Beziehungen  zu  ihren  Empfindungselementen,  so  dass  wir 
jene,  wenn  sie  erst  gegeben  sind,  auch  zu  diesen  in  eine  yerstand- 
liche  Beziehung  bringen  und  die  Veränderungen  des  Productes  auf 
bestimmte  Veränderungen  der  Empfindungsbestandtheile  zurückführen 
können.  Nicht  minder  erweisen  sich  jene  Gesammtvorstellungen, 
auf  die  alle  Phantasie-  und  Verstandesthätigkeit  zurückführt,  als 
verwickelte  Formen  psychischer  Synthese,  in  denen  sich  neue  Ein- 
drücke mit  früheren,  nicht  selten  weit  zerstreuten  Erlebnissen  unter 
dem  Einfluss  vorherrschender  Gefühls-  und  Willensrichtungen  zu 
einheitlichen  Gebilden  verbinden.  Hier  ist  der  Ausdruck,  den  wir 
in  gewissen  Fällen  diesen  intellectuellen  Gebilden  mit  den  Mitteln 
der  Sprache  geben,  die  schlagendste  Widerlegung  jener  atomisti- 
schen  Auffassung  des  Seelenlebens,  die  in  diesem  nichts  erblickt  als 
ein  Aggregat  von  Associationen  zufällig  erworbener  Vorstellungen. 
So  wenig  der  logische  Sinn  eines  durch  die  Sprache  ausgedrückten 
Gedankens  damit  erschöpft  ist,  dass  man  mit  jedem  einzelnen  Wort 
die  zugehörige  Vorstellung  zu  verbinden  weiss,  gerade  so  wenig 
lassen  sich  die  intellectuellen  Vorgänge  selbst  als  blosse  Aggregate 
einzelner  Empfindungen  und  Vorstellungen  begreifen.  Was  diesen 
Vorgängen  erst  ihre  Bedeutung  gibt,  das  entsteht  vielmehr  hier  wie 
dort  aus  den  Bestandtheilen,  ohne  dass  es  doch  in  ihnen  enthalten 
ist.  Wem  aber  einmal  an  diesen  vollkommensten  Erzeugnissen 
psychischer  Synthese  überhaupt  das  Verständniss  für  die  Entstehungs- 
weise psychischer  Gebilde  aufging,  der  kann  sich  auch  der  Einsicht 
nicht  mehr  verschliessen ,  dass  es  nur  einfachere  Gestaltungen  der 
nämlichen  Verbindungsgesetze  sind,  die  uns  schon  bei  der  Bildung 
jeder  einzelnen  Sinnesvorstellung  begegnen'*'). 

*)  Vgl.  hierza  die  weitere  Ausfahrong  an  einzelnen  Beispielen  in  dem 
Aufsätze  über  psychische  Causalitö.t,  Phil.  Stud.  X,  S.  122  ff. 


Princip  der  schöpferischen  Synthese.  273 

Seinen  charakteristischen  Ausdruck  findet  unser  Princip  inner* 
halb  der  Oefühls-  und  Willensseite  des  seelischen  Lebens  in  den 
Werthbeatimmungen,  die,  wie  sie  in  diesem  Gebiet  ihren  all- 
gemeinen Ursprung  haben,  so  auch  in  jedem  einzelnen  Fall  fbr  die 
Unterschiede  der  verschiedenen  Stufen  dieser  Vorgänge  ausgeprägte 
Merkmale  abgeben.  Bei  den  Gefühlen  ist  die  Werthbestimmung 
unmittelbarer  Inhalt  der  psychischen  Gebilde  selbst.  Sie  ist  ab- 
hängig sowohl  von  dem  Grad  wie  von  der  Qualität  des  Gefühls. 
Bei  den  einfacheren  Gefühlen  lässt  sich  über  die  Motive  dieser 
Werthbestimmung  auf  intellectuellem  Wege  keine  Rechenschaft 
geben ;  wo  dies,  wie  in  gewissen  intellectualistischen  Theorien,  den- 
noch geschieht,  da  wird  erst  künstlich  auf  Grund  secundärer  Ueber- 
legungen  jenes  Moment  in  sie  hineingetragen.  Wo  dagegen  Phan- 
tasie- und  Verstandesvorgänge  die  Grundlage  der  Gefühle  bilden, 
da  ist  eine  intellectuelle  Motivirung,  bei  der  man  freilich  nie  ver- 
gessen darf,  dass  sie  weder  mit  dem  Gefühl  identisch  noch  jemals 
für  das  fühlende  Subject  ein  Aequivalent  für  dasselbe  sein  kann, 
nicht  bloss  erlaubt,  sondern  jene  Vorgänge  fordern  selbst  zu  einer 
solchen  heraus.  Indem  diese  über  die  Gründe  der  Werthbestimmung 
Rechenschaft  gibt,  also  den  unmittelbaren  GefÜhlswerth  in  ein 
Werthurtheil  umwandelt,  wird  aber  zugleich  eine  Vergleichung 
möglich,  bei  der  die  einzelnen  complexen  Gefühle  nebst  den  mit 
ihnen  verbundenen  intellectuellen  Processen  ihrem  Werthgrade 
nach  bestimmt  werden.  Bei  den  Willenshandlungen  und  allen  den 
psychischen  Vorgängen,  die  unter  Vermittlung  des  Wollens  Wir- 
kungen äussern,  die  über  das  individuelle  Bewusstsein  hinausreichen, 
vervielfältigt  sich  dann  dieser  Process  der  Werthbestimmung,  indem 
die  individuelle  That  zugleich  zum  Gegenstand  objectiver  Werth- 
urtheile  wird.  Da  nun  die  Gefühls-  und  Willensvorgänge  einen 
untrennbaren  Bestandtheil  aller  seelischen  Erlebnisse  bilden,  so 
besitzen  diese  subjectiven  und  objectiven  Werthbestimmungen  eine 
ganz  allgemeingültige  Bedeutung.  Es  gibt  kein  psychisches  Gebilde 
irgend  welcher  Art,  das  sich  ihnen  entzieht.  Denn  sollte  ein  solches 
auch  für  sich  allein  betrachtet  kein  Werthurtheil  gestatten,  so 
kommt  ihm  doch  immer  in  dem  allgemeinen  Zusammenhang  der 
psychischen  Erlebnisse  sein  Werth  zu.  Auf  diese  Weise  bildet  die 
Werthgrösse,  die  wir  den  psychischen  Gebilden  zunächst  auf 
Grund  ihrer  Gefühlswerthe  und  dann,  in  Folge  der  Entwicklung  der 
Werthurtheile ,  auf  Grund  der  intellectuellen  Würdigung  dieser  Ge- 
fühlswerthe beilegen,  das  allgemeinste  Mass,  nach  dem  wir  geistige 

Wnndt,  Lftgik.  II,  2.    2.  Aufl.  13 


274  Logik  der  Psychologie. 

Gebilde  überhaupt  mit  einander  vergleichen  können,  unter  diesem 
GeRichtspunkt  betrachtet  bewährt  sich  nun  das  Princip  der  schöpfe- 
rischen Synthese  schon  in  der  augenßdligen  Thatsache,  dass  im 
Laufe  jeder  individuellen  wie  generellen  Entwicklung  geistige  Werthe 
erzeugt  werden,  die  ursprünglich  in  der  ihnen  zukommenden  speci- 
fischen  Qualität  überhaupt  nicht  vorhanden  waren.  Das  gilt  nament- 
lich von  allen  logischen,  ästhetischen,  ethischen  Werthen.  So  wenig 
die  Vorstellungen,  die  diesen  Werthen  entsprechen,  aus  nichts  ent- 
stehen, ebenso  wenig  kann  dies  natürlich  von  den  Werthen  selbst 
angenommen  werden.  Aber  wie  sich  durch  die  Verbindung  geläufiger 
Vorstellungen  neue  Vorstellungsganze  bilden,  welche  durch  die  Be- 
ziehungen der  Theile  zu  einander,  die  in  den  einzelnen  Vorstellungen 
noch  nicht  enthalten  waren,  einen  neuen  und  eigenthümlichen  Inhalt 
gewinnen,  so  gilt  das  auch  von  den  Entwicklungsformen  der  Gefühle 
und  den  an  sie  geknüpften  Werthbestimmungen. 

Insoweit  die  schöpferische  Synthese  als  ein  Princip  angesehen 
wird,  das  die  Entstehung  der  einzelnen  psychischen  Gebilde  beherrscht, 
besitzt  es  eine  allgemeingültige  Bedeutung.  Es  gibt  absolut  kein 
solches  Gebilde,  das  nicht  nach  der  Bedeutung  und  dem  Werth 
seines  Inhaltes  mehr  wäre  als  die  blosse  Summe  seiner  Factoren 
oder  die  blosse  mechanische  Resultante  seiner  Componenten.  Nicht 
ganz  ebenso  verhält  es  sich,  wenn  man  das  Princip  auf  den  Zusammen- 
hang einer  aus  vielen  psychischen  Gebilden  bestehenden  geistigen 
Entwicklung  anwendet.  Ist  eine  solche  Entwicklung  eine  in 
sich  zusammenhängende,  so  dass  die  vorhandenen  psychischen  Ge- 
bilde verfügbar  bleiben,  um  in  die  neu  entstehenden  als  Bestand- 
theile  eingehen  zu  können,  so  muss  allerdings  das  für  jedes  einzelne 
Gebilde  gültige  Princip  auch  für  ihrer  aller  Verbindung  gelten.  Aber 
die  Wirklichkeit  entspricht  einer  solchen  Continuität  immer  nur 
bruchstückweise.  Wie  auf  der  einen  Seite  geistige  Entwicklungen  be- 
ginnen, die  sich,  weil  sie  schon  in  ihren  Elementen  neu  entstehen, 
unserem  Princip  entziehen,  so  verschwinden  anderseits  solche  Ent- 
wicklungen völlig  aus  dem  empirisch  gegebenen  Zusammenhang  des 
geistigen  Lebens.  Demnach  findet  das  Princip  der  schöpferischen 
Synthese  auf  die  Verbindungen  psychischer  Gebilde  nur  insoweit 
Anwendung,  als  in  Folge  des  Zusammenhangs  derselben  wirklich 
von  einem  Ganzen  der  Entvricklung  die  Rede  sein  kann  und  nicht 
etwa  bloss  äusserlich  Vorgänge,  die  an  sich  in  gar  keiner  Ver- 
bindung stehen,  wegen  irgend  welcher  übereinstimmender  Merkmale 


Prindp  der  BchOpferiscfaen  Synthese.  275 

ziisammengefasst  werden.  Auch  auf  eine  continuirliche  geistige  Ent- 
wicklung angewandt  nimmt  aber  unser  Princip  nothwendig  deshalb 
eine  andere  Form  an,  weil  es  sich  direct  nur  auf  das  Verhältniss 
der  Bestandtheile  eines  Gebildes  zu  diesem  selbst  bezieht,  wobei 
beide  als  actuell  gegebene  Thatsachen  vorausgesetzt  werden.  Inner- 
halb einer  derartigen  geistigen  Entwicklung  sind  jedoch  in  einem  ge- 
gebenen Moment  immer  nur  sehr  wenige  psychische  Gebilde,  eventuell 
vielleicht  ist  nur  ein  einziges  actuell  gegeben;  die  ungeheure  Mehr- 
zahl gehört  den  vorangegangenen  Zuständen  an,  übt  aber  auf  die 
actuellen  Vorgange  einen  Einfluss  aus,  der  namentlich  bei  den  werth- 
Tolleren  Erzeugnissen,  bei  denen  frühere  Erwerbungen  und  Anlagen 
eme  steigende  Bedeutung  gewinnen,  sehr  gross  zu  sein  pflegt.  Unter 
diesen  Verhältnissen  können  sich  auch  die  Werthbestimmungen, 
mittelst  deren  wir  etwa  verschiedene  Stufen  einer  Entwicklungsreihe 
mit  einander  vergleichen,  nicht  mehr  bloss  auf  den  actuellen  Inhalt 
eines  einzelnen  Gebildes  beziehen,  sondern  sie  müssen  ausserdem 
noch  die  Bedeutung  einschliessen,  die  jener  für  die  nachher  kommende 
Entwicklung  neuer  psychischer  Inhalte  hat.  Bezeichnen  wir  daher  den 
actuellen  Werth  eines  psychischen  Erlebnisses  zusammen  mit  dessen 
Fähigkeit  zur  Erzeugung  neuer  Werthe  beizutragen  als  dessen 
{>sychi8che  Energie,  so  ist  die  Analogie  dieses  Begri£Ps  mit  dem 
der  physischen  Energie  und  die  hieraus  entspringende  Berechtigung 
des  Ausdruckes  ohne  weiteres  ersichtlich.  Hier  wie  dort  bedeutet 
die  Energie  die  gesammte  Wirkungsfähigkeit  eines  bestimmt 
abgegrenzten  Vorgangs  oder  einer  zusammenhängenden  Kette  von 
Vorgängen;  und  hier  wie  dort  zerfällt  diese  Wirkungsfähigkeit  in 
zwei  Bestandtheile:  in  die  actuelle  Wirkung  und  in  einen  zu 
künftigen  Wirkungen  verfügbaren  Wirkungsvorrath.  Aber  mit  diesen 
fonnalen  Merkmalen,  die  überall  einem  gesetzmässigen  Zusanmien- 
hang  von  Erscheinungen  zukommen  müssen,  bei  denen  zwischen 
jedem  gegebenen  Ereigniss  und  den  ihm  vorangegangenen  und  nach- 
folgenden eine  causale  Beziehung  stattfindet,  hört  auch  die  Analogie 
auf.  Die  physischen  Energien  unterliegen  den  Principien  der  phy- 
sischen Grössenmessung:  in  Folge  dessen  ermangeln  sie  jeder  Art 
innerer  Werthbestimmung;  von  Werthen  kann  bei  ihnen  überhaupt 
nur  m  dem  Sinne  die  Rede  sein,  dass  Grössen,  die  ihrer  Qualität 
nach  gleich werthig  sind,  bloss  nach  ihrem  quantitativen  Verhält- 
niss gemessen  werden.  Die  psychischen  Energien  dagegen  beziehen 
sich  fiberall  auf  qualitativ  verschiedene  und  daher  einer  abstracten 
quantitativen  Vergleichung  unzugängliche  Inhalte,   die   sich  aber  in 


27(3  Logik  der  Psychologie. 

ihrer  qualitativen  Verschiedenheit  ihrem  allgemeinen  Werthgrade 
nach  bestimmen  lassen.  Sind  demnach  die  physischen  Energien  aus- 
schliesslich quantitative  Grössenwerthe,  so  sind  die  psychischen 
Energien  qualitative  Wert  hg  rossen.  Die  Umstellung  der 
Begriffe  in  den  Ausdrücken  nGfi^össenwerth"  und  «Werthgrösse*^  ist 
hier  bezeichnend  für  die  Verschiedenheit  des  Standpunktes  der  Wertb- 
schätzung.  Bei  dem  Orössenwerth  liegt  der  Werthcharakter  einzig 
und  allein  in  der  Grösse ;  die  Werthgrösse  dagegen  wird  erst  dadurch 
zur  Grösse,  dass  sich  die  Werthe  ihrem  Grade  nach  vergleichen 
lassen.  Dort  entsteht  also  der  Werth  aus  der  Grössenvergleichung, 
und  die  Gegenstände  selbst  sind  ursprünglich  an  und  für  sich  gleich- 
werthig,  d.  h.  Werthprädicate  sind  auf  sie  überhaupt  nicht  anwend- 
bar. Hier  entsteht  umgekehrt  die  Grösse  aus  der  Vergleichung  der 
Werthe,  die  nach  ihrer  Bedeutung  für  die  individuelle  oder  generelle 
geistige  Entwicklung  in  eine  Stufenreihe  von  Werthgraden  geordnet 
werden  können.  Hiernach  ist  es  begreiflich,  dass  von  einem  exacten 
Mass  der  Energie  nur  auf  physischem  Gebiete  die  Rede  sein  kann, 
weil  nur  physische  Grössen  einer  exacten  Messung,  die  räunüich 
oder  zeitlich  entfernte  Objecte  auf  indirectem  Wege  vergleicht,  zu- 
gänglich sind.  Aber  da  immerhin  auch  die  psychischen  Gebilde 
den  allgemeinen  Charakter  von  Grössen  besitzen  (S.  178) ,  und  da 
insbesondere  die  Werthgrösse  psychischer  Gebilde  ein  allgemein- 
gültiger, auf  alle  psychischen  Inhalte  anwendbarer  Begriff  ist,  so 
ist  es  auch  klar,  dass  die  gewöhnliche  Behauptung,  psychische 
Werthe  seien  überhaupt  einer  Massvergleichung  unzugänglich,  eine 
jener  oberflächlichen  Ansichten  ist,  wie  sie  aus  unzureichender  Ana- 
lyse der  Thatsache  und  ungenauer  Begriffsbildung  zu  entspringen 
pflegen.  In  Wahrheit  kann  ja  die  praktische  Lebensauffassung  ebenso 
wenig  wie  irgend  eines  der  Gebiete,  die  es  mit  den  concreten 
Gestaltungen  des  geistigen  Lebens  zu  thun  haben,  des  Werthbegriffs 
und  der  Werthvergleichung  entbehren.  Gesteht  man  nun  dem  Begriff 
der  psychischen  Energie,  der  lediglich  diese  Thatsache  der  Werth- 
vergleichung und  die  an  und  für  sich  offenkundige  Wirkungsfahig- 
keit  aller  psychischen  Inhalte  ausdrückt,  seine  Berechtigung  zu,  so 
lehrt  weiterhin  die  Erfahrung,  dass  in  jeder  geistigen  Entwicklung, 
die  der  Bedingung  der  Gontinuität  entspricht,  ein  Princip  des 
Wachsthums  der  psychischen  Energie  zur  Geltung  kommt, 
das  zu  dem  Princip  der  Constanz  der  physischen  Energie  den  vollen 
Gegensatz  bildet.  Dieser  Gegensatz  gewinnt  aber  zugleich,  ebenso 
wie  das  allgemeine  Verhältniss  der  psychischen  zur  physischen  Gau- 


Princip  der  schöpferischen  Synthese.  277 

salitat,  die  Bedeutung  einer  Ergänzung,  wenn  man  bedenkt,  dass 
das  physische  Energieprincip  die  äussere  quantitative,  das 
psychische  die  innere  qualitative  Seite  des  Wirklichen  zu 
seinem  Inhalte  hat.  In  diesem  Lichte  betrachtet  vereinen  sich  dann 
beide  zu  dem  allgemeinen  psycho-physischen  Satze,  dass,  wie  in 
der  Natur  überhaupt,  so  auch  innerhalb  der  Lebenserscheinungen,  die 
physischen  Energien  constant  bleiben,  dass  aber  der  innere  Werth- 
gehalt  dieser  constanten  Energien  innerhalb  einer  jeden  continuir- 
liehen  Entwicklung  grösser  und  grösser  wird.  Dass  übrigens  diese 
Ergänzung  des  physischen  Energieprincips  auch  für  die  physische 
Seite  der  Lebenserscheinungen  nicht  bedeutungslos  ist,  leuchtet  ein. 
Bilden  doch  gerade  die  Lebensvorgänge  ein  Qebiet,  auf  das,  da  es 
das  Substrat  des  Psychischen  ist,  auch  die  für  dieses  geltende  Werth- 
beurtheilung  übergreifen  muss.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  649,  und  Bd.  II,  1, 
S.  550.) 

Nun  schliesst  allerdings  jene  Bedingung  einer  Continuität  der 
Entwicklung,  an  die  der  BegrifiPder  Wirkungsfähigkeit  auf  psychischem 
Gebiete  gebunden  ist,  eine  Allgemeingültigkeit,  wie  sie  auf  Grund 
der  Voraussetzung  des  universellen  Zusammenhangs  der  Natur- 
erscheinungen dem  physikalischen  Energieprincip  zugeschrieben  wird, 
Ton  vornherein  aus;  und  selbst  die  bloss  partiellen  Hemmungen 
jener  Wirkungsfähigkeit,  wie  sie  uns  so  vielfach  in  der  Erfahrung 
entgegentreten,  müssen  als  Störungen  anerkannt*  werden,  welche  die 
in  dem  Gesetz  der  schöpferischen  Synthese  gelegene  Tendenz  der 
psychischen  Gebilde  sich  zu  Entwicklungsreihen  mit  wachsenden 
Werthgrössen  zu  vereinigen  theilweise  oder  ganz  vereiteln  können. 
Immerhin  ist  zu  beachten,  dass  eine  der  wichtigsten  dieser  Unter- 
brechungen psychischer  Entwicklung,  das  Aufhören  der  individuellen 
geistigen  Wirkungsfähigkeit,  mehr  als  compensirt  zu  werden  pflegt 
durch  das  Wachsthum  der  geistigen  Energie  innerhalb  der  Gemein- 
schaft, welcher  der  Einzelne  angehört,  und  dass  selbst  diese  Gemein- 
schaft wieder  in  ein  Ganzes  geschichtlicher  Entwicklung  einmündet, 
in  welchem  sich  seine  Wirkungsfähigkeit  fortsetzt,  auch  nachdem  es 
selbst  längst  untergegangen  ist.  So  wird  schliesslich  das  Princip 
da,  wo  es  im  einzelnen  Fall  Lücken  lässt,  ergänzt  durch  seine 
generellen  Anwendungen,  und  diese  ergänzen  sich  ihrerseits  wieder 
in  aufsteigender  Reihenfolge.  Wo  uns  empirisch  solche  Ergänzungen 
nicht  mehr  zugänglich  sind,  da  bleibt  dann  freib'ch  nur  noch  das 
ethische  Postulat  übrig,  dass  jede  geistige  Entwicklung  Bestandtheil 
der  allgemeinen  Weltordnung  ist,  und  dass  sie  als  solche  ihre  un- 


278  Logik  der  Psychologie. 

zerstörbare  Bedeutung  haben  muss,  ob  sie  sich  nun  trotz  aller 
Störungen  mit  der  gleichen  allgemeinen  Tendenz  des  Wachsthums 
ins  unbegrenzte  fortsetzt,  oder  ob  sie  bei  irgend  einem  Punkte  zu 
längst  durchlaufenen  Stufen  zurückgeworfen  oder  auch  ganz  unter- 
brochen wird.  Wie  jedes  geistige  Erzeugniss  einen  für  sich  bestehen- 
den Werth  hat,  so  würde  sogar  im  letzten  dieser  Fälle  die  einmal 
da  gewesene  Entwicklung  ihren  Werth  in  sich  selbst  tragen. 

An  die  Unterscheidung  actueller  und  latenter  Energien,  auf  die 
auch  hier  der  Begriff  der  Energie  nothwendig  zurückführt,  sind  nun 
auf  psychischem  Gebiet  noch  weitere  Unterschiede  gebunden,  die 
für  die  Gestaltung  der  seelischen  Processe  im  einzelnen  und  für  ihre 
WerthYerhältnisse  von  der  grössten  Bedeutung  sind.  Die  actuelle 
psychische  Energie  eines  individuellen  Bewusstseins  besteht  in  der 
Gesammtheit  der  wirklichen  Bewusstseinsvorgänge,  die  in  der  momen- 
tanen Gefühls-  und  Willenslage  ihren  einheitlichen  Ausdruck  finden. 
Diese  Gefühls-  und  Willenslage  selbst  ist  aber  stets  nicht  bloss 
durch  den  momentanen  Bewusstseinsinhalt  sondern  zugleich  durch 
das  Verhältniss  bestimmt,  in  welchem  derselbe  zu  früheren,  ja  zum 
Theil  zu  weit  Torangegangenen  psychischen  Erlebnissen  steht.  Gerade 
derjenige  Bestandtheil  des  momentanen  Bewusstseins,  der  für  uns 
zugleich  das  Mass  der  Werthgrösse  desselben  abgibt,  ist  auf  diese 
Weise  ein  Product,  in  das  in  unbestimmter  Begrenzung  latente 
Energien  mit  eingehen.  Und  die  nämlichen  Beziehungen,  die  in 
der  Gefühls-  und  Willenslage  ihren  Ausdruck  finden,  bestinunen  nun 
auch  den  causalen  Zusammenhang  des  momentanen  Zustandes  mit 
der  Vergangenheit  des  nämlichen  Bewusstseins.  Darum  sind  die 
Gefühle  nicht  bloss  das  unmittelbare  subjective  Werthmass  für  die 
psychischen  Inhalte,  sondern  sie  gewinnen  zugleich  durch  die  Unter- 
schiede ihrer  Qualität  und  ihres  Verlaufs  symptomatische 
Bedeutung  für  die  Causalität  des  Geschehens.  So  weist 
zunächst  die  Einheit  der  Gefühlslage  darauf  hin,  dass,  insoweit  auf 
das  momentane  Geschehen  latente  Energien  von  Einfluss  sind,  diese 
sich  stets  zu  einer  einheitlichen  Wirkung  yerbinden,  die  zwar  äusserst 
zusammengesetzt  sein  kann,  niemals  aber  in  eine  Mehrheit  von 
einander  unabhängiger  Wirkungen  auseinanderfällt.  Bezeichnen  wir 
demnach  den  Antheil,  den  in  einem  einzelnen  Fall  solche  latente 
Energien  an  der  Entstehung  des  psychischen  Vorganges  nehmen, 
als  den  wirksamen  Energievorrath,  so  ist  die  Entstehung  eines 
jeden  psychischen  Gebildes  eine  aus  neuen  (z.  B.  durch  Sinnes- 
eindrücke, eigene  Bewegungen  oder  sonstige  psychophysische  Processe 


Princip  der  Bchöpferiachen  Synthese.  279 

«ntRtandenen)  Elementen  und  aus  wirksam  gewordenem  Energie- 
Torrath  zusammengesetzte  schöpferische  Synthese.  Hier  lehrt  nun 
die  psychologische  Beobachtung  unzweifelhaft,  dass  dieser  wirksame 
Energievorrath  noch  weniger  als  der  Gesammtvorrath  latenter  psychi- 
scher Energie  eine  constante  Grösse  ist,  da  er  nicht  bloss  von 
der  fortwährenden  Veränderung  dieses  Vorraths,  sondern  ausserdem 
Ton  den  momentanen  Bedingungen  abhängt.  Hinsichtlich  dieser 
sind  aber  wieder  nach  dem  Zeugniss  der  Beobachtung  leichter 
und  schwerer  verfügbare  Energien  zu  unterscheiden.  Leicht 
verfügbar  sind  solche,  die  entweder  zuvor  schon  unter  den  nämlichen 
Bedingungen,  oder  die  überhaupt  sehr  oft  eine  actuelle  Wirkung 
ausgeübt  haben.  Femer  ist  es  unverkennbar,  dass  die  Erzeugnisse 
schöpferischer  psychischer  Synthese  selbst  wieder  zu  latenten  Energien 
werden,  die  nun,  je  zahlreicher  die  an  ihnen  betheiligten  psychischen 
Elemente  sind,  um  so  mehr  theils  durch  gemeinsame  Elemente 
iheils  durch  die  im  Bewusstsein  zur  Entwicklung  gekommenen  Vor- 
stellungs-  und  Gefühlsbeziehungen  mit  den  verschiedenen  Theilen 
des  gesammten  Energievorraths  in  Verbindung  treten.  Auf  diese 
Weise  bilden  sich  zwei  Formen  causaler  Beziehungen  aus, 
die  in  der  mannigfaltigsten  Art  in  einander  eingreifen,  dabei  aber 
doch,  je  nachdem  die  eine  oder  die  andere  in  den  Vordergrund  tritt, 
zu  wesentlichen  Eigenthümlichkeiten  des  Verlaufs  und  des  inneren 
Zusammenhangs  der  psychischen  Vorgänge  Anlass  geben.  Auf  der 
einen  Seite  nämlich  gibt  es  Processe,  bei  denen  augenscheinlich  der 
leicht  disponible  Energievorrath,  der  in  dem  gegebenen  Bewusstseins- 
zustand  unmittelbar  auslösende  Bedingungen  vorfindet,  vorzugsweise 
zur  Verwendung  kommt;  auf  der  andern  Seite  begegnen  uns  Vor- 
gänge, bei  denen  eine  Fülle  vorangegangener,  über  die  ganze  Ver- 
gangenheit des  Bewusstseins  sich  erstreckender  Synthesen  mitwirkt, 
so  dass  die  einzelnen  Factoren  der  Wirkung  meist  gar  nicht  mehr 
deutlich  geschieden  werden  können.  Während  daher  im  ersten  Fall 
in  der  Regel  einzelne  vorausgegangene  Ereignisse  als  die  entschei- 
denden Ursachen  gegebener  Erfolge  aufgezeigt  werden  können,  ist 
das  im  zweiten  nicht  mehr  möglich,  sondern  es  kann  hier  in  irgend 
zureichender  Weise  über  den  eintretenden  Erfolg  nur  durch  eine  die 
ganze  Vergangenheit  des  individuellen  Bewusstseins  umfassende  Ana- 
lyse Rechenschaft  gegeben  werden.  Dabei  sind  natürlich  auch  in 
diesem  zweiten  Fall  noch  Unterschiede  möglich,  da  die  Gesammt- 
summe  latenter  psychischer  Energien  niemals  bei  einem  einzelnen 
Oeschehen  wirksam  werden  kann,  sondern  immer  nur  ein  mehr  oder 


280  Logik  der  Psychologie. 

minder  umfassender  Theil  derselben.  Aber  so  sehr  dadurch  indivi* 
duelle  Verschiedenheiten  der  Vorgänge  begreiflich  werden,  so  be- 
gründet das  doch  in  jenen  Hauptrichtungen  der  Ereignisse  selbst 
keinen  wesentlichen  Unterschied,  weil  sich  hier  Yriederum  das  schon 
bei  der  Wirkung  der  leicht  disponiblen  Energien  bemerkbare  Princip 
der  Verstärkung  durch  oft  wiederholte  Action  geltend 
macht.  Hierdurch  geschieht  es,  dass  sich  für  alle  aus  der  Gesammt- 
anlage des  Bewusstseins  zu  erklärende  Vorgänge  immer  mehr  leicht 
disponible,  in  ausgeprägten  Totalgefühlen  sich  kundgebende  Ver- 
bindungen ausbilden.  Daher  denn  auch  die  aus  den  zufalligen  nächsten, 
Verbindungen  resultirenden  causaleu  Beziehungen  um  so  mehr  zurück- 
treten, und  dafür  constante  Richtungen  der  in  ihre  Factoren  nicht' 
unmittelbar  zerlegbaren  Gesammtenergie  des  Bewusstseins  Torwiegen, 
je  vollkommener  sich  das  psychische  Leben  durch  die  vorausgegangene 
Wirksamkeit  und  wechselseitige  Verbindung  schöpferischer  Synthesen 
gestaltet  hat.  So  führen  die  Unterschiede  jener  Formen  des  psy-* 
chischen  Geschehens,  die  uns  in  den  Gegensätzen  der  passiven 
und  der  activen  Apperception,  der  Associationen  und  der 
apperceptiven  Verbindungen,  endlich  der  einfachen  und  der 
zusammengesetzten  Willenshandlungen  begegneten,  und  als 
deren  nächste  Symptome  wir  neben  gewissen  Eigenthümlichkeiten 
im  Verlauf  der  Vorstellungen  charakteristische  GeftÜile  kennen  lernten^ 
zugleich  auf  wesentliche  Unterschiede  in  dem  causalen  Zusammen- 
hang der  psychischen  Vorgänge  zurück. 

Mit  dem  Princip  der  schöpferischen  Synthese  und  seiner  ii^ 
dem  Princip  des  Wachsthums  der  psychischen  Energie  geschehenden 
Anwendung  auf  continuirliche  Entwicklungsreihen  in  enger  Ver- 
bindung steht  die  Thatsache,  dass  die  psychologische  Gausalerklärung' 
durchgängig  eine  regressive  ist,  im  Gegensatze  zu  der  Bevor- 
zugung des  progressiven  Verfahrens  in  der  Naturwissenschaft.  Denn 
jener  Charakter  des  „Schöpferischen"  liegt  ja  eben  darin,  dass  wir 
uns  immer  erst,  nachdem  der  Effect  oder  das  Product  gegeben  ist^ 
über  den  inneren  Zusammenhang  desselben  mit  seinen  Componenten 
oder  Factoren  Rechenschaft  geben  können.  Sobald  nun  bei  diesem 
regressiven  Verfahren  das  Erzeugniss  eines  synthetischen  Processen 
nach  seinem  Werthe  abgeschätzt  wird,  so  wird  auf  den  Endpunkt 
dieses  Processes,  der  zugleich  der  Anfangspunkt  der  regressiven 
Gausalerklärung  ist,  der  Begriff  des  Zweckes  angewandt.  Auf  diese* 
Weise  verwandelt  sich  jene  in  eine  Erklärung  aus  Zwecken.    Dem- 


Princip  der  schöpferiBchen  Synthese.  281 

nach  ist  jede  psychische  Causalbetrachtuog  nothwendig  regressiv,  sie 
ist  aber  nicht  nothwendig  teleologisch.  Dazu  wird  sie  erst  durch 
die  hinzutretende  Werthbestimmung.  Denn  Zweck  ist  nur  der- 
jenige Erfolg  aus  vorangegangenen  Bedingungen,  dem  irgend  ein 
Werth  zugeschrieben  wird,  so  dass  der  Erfolg  eben  dieses  Werthes 
wegen  als  der  bezweckte  anzusehen  ist.  Die  Bedingungen  gelten 
dann  bei  dieser  Werthbetrachtung  als  die  Mittel  und,  insofern  sie 
als  Gefühls-  und  Vor stellungsfactoren  gewirkt  haben,  als  die  Motive 
des  zweckthätigen  Geschehens.|^Ist  aber  auch  nicht  jede  regressive 
Causalerklärung  eine  Zweckerklärung,  so  muss  doch  umgekehrt  jede 
Zweckerklärung  zugleich  eine  wahre  regressive  Causalerklärung  sein. 
Ist  sie  das  nicht,  so  beruht  sie  auf  jenen  fehlerhaften  Anwendungen 
des  Zweckbegriffs,  die  sich  in  einen  Gegensatz  zur  Causalerklärung 
setzen,  statt  eine  unter  besonderen  Bedingungen  stehende  Form  der- 
selben zu  sein.     (Vgl.  Bd.  I,  S.  631  ff.) 

Sobald  nun  die  einzelne  Zweckerklärung  wieder  ein  Bestand- 
theil  einer  zusammenhängenden  Kette  von  Zweckverbindungen 
ist,  so  geht  aus  dem  psychologischen  Zweckprincip  ein  eigenthttm- 
licbes  Entwicklungsgesetz  hervor,  das  zu  ihm  genau  im  selben  Ver- 
hältnisse wie  das  Princip  des  Wachsthums  der  psychischen  Energie 
zu  dem  der  psychischen  Synthese  steht.  Jener  schöpferische  Cha- 
rakter der  letzteren,  der  nothwendig  jede  Causalerklärung  auf  psychi- 
schem Gebiet,  falls  sie  nicht  etwa  in  einfacheren  Fällen  zureichende 
Anhaltspunkte  an  der  Analogie  früherer  Ereignisse  hat,  nothwendig 
zu  einer  regressiven  macht,  bewirkt  es  auch,  dass  die  Effecte  be- 
ätimmter  psychischer  Ursachen  stets  über  den  Umkreis  der  in  den 
Motiven  vorausgenommenen  Zwecke  hinausreichen,  und  dass  aus  den 
gewonnenen  Effecten  neue  Motive  entstehen,  die  eine  abermalige 
schöpferische  Wirksamkeit  entfalten  können.  So  ergibt  sich  als  ein 
letztes  Folgeprincip  das  der  Heterogonie  der  Zwecke.  Die  Be- 
deutung desselben  liegt,  ähnlich  wie  die  des  Princips  des  Wachs- 
thums der  psychischen  Energie,  vorzugsweise  auf  ethischem  Gebiete, 
während  den  allgemeineren  Principien  der  schöpferischen  Synthese 
und  der  regressiven  Causalerklärung  die  grössere  psychologische 
Bedeutung  zukommt*). 


•)  Ueber  das  Princip  der  Heterogonie  vgl.  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  265  ff. 


282  Lo^k  der  Psychologie. 


e.    Das  Princip  der  Contrastverstärkung. 

Indem  sich  die  Mannigfaltigkeit  der  psychischen  Erlebnisse, 
wie  oben  (S.  264)  bemerkt,  in  zwei  in  Wirklichkeit  zusammen- 
gehörige, aber  durch  die  psychologische  Abstraction  zu  sondernde 
Bestandtheile  scheidet,  in  die  objective  Vorstellungswelt  und  in  ein 
in  Gefühlen  und  Willensregungen  sich  äusserndes  subjectives  Ver- 
halten, fordert  dieses  letztere  zugleich  durchweg  eine  Ordnung 
nach  Gegensätzen  heraus.  Die  Begriffe,  die  diese  Ordnung  her- 
stellen, wie  Lust  und  Unlust,  Streben  und  Widerstreben,  sind  natür- 
lich nur  logische  Kategorien,  nicht  selbst  einzelne  Inhalte  des  Be- 
wusstseins.  Sie  bezeichnen  aber  immerhin  eine  wichtige  Eigenschaft;, 
die  diese  Einzelinhalte  in  der  unendlichen  Fülle  ihrer  qualitativen 
Bestimmungen  darbieten ;  und  indem  diese  subjectiven  Bestimmungen 
überall  zugleich  für  die  mit  ihnen  verbundenen  Vorstellungsprocesse 
massgebend  werden,  gehören  sie  zu  den  wichtigsten  Bedingungen 
der  gesammten  Bewusstseinsentwicklung.  Diese  fundamentale  Be- 
deutung spricht  sich  schon  darin  aus,  dass  die  wesentlichsten  Unter- 
schiede der  psychischen  Processe,  wie  das  verschiedene  bald  passive 
bald  active  Verhalten  der  Aufmerksamkeit,  die  Eigenthümlichkeiten 
der  reinen  Associationen  auf  der  einen  und  der  intellectuellen  oder 
apperceptiven  Vorgänge  auf  der  andern  Seite,  an  charakteristische 
Gefühlsgegensätze  gebunden  sind. 

Die  Bedeutung  dieser  Gegensätze  für  die  psychische  Entwick- 
lung beruht  aber  hauptsächlich  darauf,  dass  sich  dieselben  durch 
ihr  wechselseitiges  Verhältniss  verstärken.  Diese  Hebung  durch 
den  Contrast  ist  eine  so  allgemeine  Erscheinung,  dass  die  An- 
nahme nahe  liegt,  subjective  Gemüthszustände  seien  ohne  diese  Eigen- 
schaft überhaupt  undenkbar.  Hierauf  beruht  jene  Lehre  von  der 
Correlation  der  Gegensätze,  die  in  der  philosophischen  Ethik,  Aesthetik 
und  Religionsphilosophie  eine  nicht  geringe  Rolle  gespielt  hat.  Indem 
diese  Lehre  behauptet,  das  sittlich  Gute,  das  Schöne  und  sogar  die 
Idee  Gottes  seien  nicht  mögb'ch  ohne  die  Gegensätze  des  Bösen,  des 
Hässlichen  und  eines  negativen  religiösen  Ideals,  bringt  sie  die  Ueber- 
zeugung  von  der  Wechselwirkung  der  Contraste  zu  einem  besonders 
energischen  Ausdruck.  Doch  pflegt  sie  zugleich  metaphysische  Folge- 
rungen hieran  zu  knüpfen,  die  gänzlich  ausserhalb  des  Gesichts- 
kreises der  psychologischen  Thatsachen  liegen,  denen  das  Princip 
des  Gontrastes   seinen  Ursprung  verdankt.     Denn  empirisch  hat  ja 


Princip  der  Gontrastverst&rkung.  283 

die  Voraussetzung  eines  Geftlhls,  zu  dem  es  gar  keinen  Gegensatz 
gibt,  keine  Bedeutung,  weil  solche  GeftiUe  nicht  Yorkomnien,  daher 
sich  auch  unmöglich  etwas  darüber  sagen  lEsst,  wie  sie  und  die 
ihnen  entsprechenden  Vorstellungsobjecte ,  wenn  sie  ezistirten,  sich 
Terhalten  müssten.  Die  psychologische  Erfahrung  lehrt  uns  nur, 
dass  es  thatsächlich  kein  Gefühl  gibt,  dem  nicht  ein  entgegen- 
gesetztes Gefühl  gegenüberstünde,  und  dass  sich  diese  Entwicklung 
in  Gegensätzen  demnach  über  die  Gesammtheit  der  psychischen  Vor- 
gänge, die  ja  überall  GefQhlselemente  enthalten,  erstreckt.  Weiter- 
hin aber  zeigt  der  Wechsel  solcher  Gegensätze  stets  zugleich  die 
Tendenz,  die  einzelnen  Inhalte  durch  den  Contrast  zu  verstöLrken. 
Mit  dieser  Hebung  durch  den  Contrast  ist  sodann  die  weitere  That- 
sache  verknüpft,  dass  alle  jene  subjectiven  Bestimmungen,  die  durch 
den  Gegensatz  gehoben  werden,  mehr  als  andere  Erfahrungsinhalte 
durch  ihre  Dauer  an  Intensität  abnehmen.  OfiPenbar  entsprechen 
sich  beide  Erfahrungen  insofern,  als  ein  gegebener  Zustand  dem 
Minimum  des  Gontrasteinflusses  vorangegangener  Zustände  um  so 
näher  kommen  wird,  je  länger  er  bereits  andauert.  Auf  diese  Weise 
unterstützt  der  abnehmende  Contrast  die  Wirkung  der  Erschöpfung, 
der  alle  in  gleichem  Sinne  andauernden  psychischen  Processe  unter- 
worfen sind,  und  beide  zusammen  begünstigen  die  Entstehung  neuer, 
in  entgegengesetzter  Richtung  wirksamer  Vorgänge. 

Das  Princip  der  Contrastverstärkung  hat,  vrie  sein  Ausdruck 
schon  andeutet,  die  Eigenschaft,  dass  es  niemals  für  sich  allein, 
sondern  immer  nur  in  Verbindung  mit  andern  causalen  Principien 
das  psychische  Geschehen  bestimmen  kann.  Irgend  welche  sonstigen 
Bedingungen  zur  Entstehung  der  Erscheinungen,  für  die  es  gelten 
soll,  müssen  vorhanden  sein.  Sind  aber  diese  gegeben,  so  kann  es 
dann  allerdings  etwaige  Hemmungen,  die  ihrer  Erhebung  über  die 
Schwelle  des  Bewusstseins  im  Wege  stehen,  beseitigen  und  weiter- 
hin die  Intensität  der  einmal  in  bewusste  Action  getretenen  Wir- 
kungen verstärken.  Zunächst  kommen  solche  Steigerungswirkungen 
bei  den  subjectiven  Gemüthszuständen  selbst  vor:  so  vor  allem  beim 
Uebergang  der  Gefühle  und  Affecte  in  entgegengesetzte  Gemüths- 
iagen.  Aber  unvermeidlich  wirken  dann  solche  Uebergänge  zugleich 
auf  die  mit  ihnen  verbundenen  Vorstellungsgebilde  zurück,  und  durch 
diese  Rückwirkungen  vermögen  sie  nun  neue  psychische  Entwick- 
lungen anzuregen.  Auf  diese  Weise  ordnet  sich  der  Contrast  in 
(ioppelter  Weise  dem  Princip  der  schöpferischen  Synthese  unter: 
erstens  unmittelbar,  insofern  er  bestimmte  psychische  Erscheinungen 


284  Logik  der  Psychologie. 

zu  einer  Intensität  steigern  kann,  die  ausser  Verhältniss  zu  der 
Orösse  ihrer  positiven  Ursachen  steht;  und  zweitens  mittelbar,  in- 
dem jener  Uebergang  durch  die  Rückwirkung  auf  die  Vorstellungs- 
processe  die  Entstehung  neuer  Bewusstseinsinhalte  begünstigt,  die 
dann  wieder  mit  neuen  subjectiven  Gemüthsreactionen  verknüpft  sind. 
In  seiner  allgemeinen  Fassung  bietet  endlich  das  Contrastprincip 
einen  besonders  charakteristischen  Fall  der  Eigenart  psychischer 
Gausalitat  dar.  Dass  sich  hier,  in  vollem  Gegensatze  zu  den  Eigen- 
schaften der  Naturcausalität,  unter  geeigneten  Bedingungen  entgegen- 
gesetzte Kräfte  verstärken  können,  ist  eben  nur  dadurch  be- 
greiflich, dass  die  psychische  Causalität  zunächst  auf  den  quali- 
tativen Eigenschaften  der  Erscheinungen  beruht,  und  dass  mit 
diesen  qualitativen  Eigenschaften  quantitative  Bestimmungen  immer 
erst  in  indirecter  Weise  verbunden  werden  können,  indem  man  näm- 
lich für  die  Verhältnisse  der  subjectiven  Wirkungen  gewisser  Quali- 
täten Massbeziehungen  aufsucht.  Da  nun  die  Beziehungen  der 
Bewusstseinsinhalte  zu  einander  ganz  allgemein  nur  in  relativen 
Grössen  festzustellen  sind,  so  bildet  der  Contrast  überhaupt  einen 
Specialfall  des  psychischen  Relativitätsprincips,  wie  dasselbe  in  dem 
Weber'schen  Gesetze  seinen  Ausdruck  iSndet,  und  er  ist  in  dieser 
allgemeinsten  Bedeutung  zugleich  eine  Erscheinung,  die  sich  über 
alle  psychischen  Inhalte,  insbesondere  also  auch  über  die  Vor- 
stellungselemente erstreckt.  (Vgl.  oben  S.  192  ff.)  Aber  bei  den 
letzteren  führt  die  regelmässige  Rückbeziehung  bestimmter  Empfin- 
dungen auf  Reizwerthe,  die  empirisch  als  constante  bekannt  sind, 
schon  auf  psychischem  Gebiet  leicht  eine  Einübung  auf  eine  wenn 
auch  beschränkte  absolute  Grössenschätzung  herbei  —  ein  Process 
der  dann  zur  Grundlage  der  bei  der  Objectivirung  unserer  Vor- 
stellungen herrschend  werdenden  absoluten  Messungen  wird.  Dies 
verhält  sich  natürlich  anders  bei  denjenigen  psychischen  Inhalten, 
die  wir  niemals  Anlass  haben  selbst  irgendwie  zu  objectiviren.  Hier 
erhält  sich  die  Relativität  des  psychischen  Masses  bleibend,  und  im 
allgemeinen  ist  es  sogar  nicht  einmal  möglich,  auch  nur  relative 
Werthe  exact  zu  bestimmen,  weil  der  fortwährende  Fluss  der  Er- 
scheinungen von  Moment  zu  Moment  die  Verhältnisse  der  psychi- 
schen Gebilde  verändert.  Alle  diese  Bedingungen  bringen  es  mit 
sich,  dass  auf  psychischem  Gebiete  die  Verstärkungen  der  Wirkungen 
durch  die  Verbindung  gleichgerichteter  und  durch  den  Contrast  ent- 
gegengesetzter Kräfte  fortwährend  neben  einander  vorkommen  und 
in  der  mannigfaltigsten  Weise  in  einander  eingreifen  können.    Speciell 


Princip  der  beziehenden  Analyse.  285 

das  Princip  der  Contrastwirkung  bewährt  sich  aber  hierbei  als  ein 
wichtiges  psychologisches  Entwicklungsprincip ,  das  sich  weit  über 
den  Umkreis  des  individuellen  Bewusstseins ,  das  sein  nächster  Ur- 
sprungsort ist,  in  den  Entwicklungen  des  geschichtlichen  und  des 
socialen  Lebens  wiederfindet.     (Vgl.  unter  Gap.  III,  4.) 


f.    Das  Princip  der  beziehenden  Analyse. 

Den  synthetischen  Formen  des  psychischen  Geschehens  stehen 
Processe  entgegengesetzter  Art,  analytische,  gegenüber.  Beide 
ei^änzen  sich  in  analoger  Weise  wie  etwa  auf  naturwissenschaft- 
lichem Gebiet  die  chemische  Synthese  und  Analyse.  Doch  ist  die 
psychische  Analyse  ebenso  eigenartig  wie  die  psychische  Synthese. 
Wie  diese  mit  dem  Aufbau  organischer  Formen,  so  hat  jene  mit 
der  Differenzirung  der  Organe  eines  lebenden  Wesens  die  nächste 
äussere  Verwandtschaft.  Aber  auch  hier  bleibt  der  wesentliche 
Unterschied,  dass  das  Verhältniss  der  Theile  eines  Organismus, 
wenigstens  insoweit  die  Naturwissenschaft  dasselbe  festzustellen  ver- 
mag, ein  äusseres  ist,  während  alle  Eigenschaften,  die  der  psychi- 
schen Sjmthese  und  Analyse  ihr  charakteristisches  Gepräge  geben, 
auf  inneren  Beziehungen  beruhen. 

Jedes  psychische  Gebilde,  das  durch  Synthese  gewisser  Ele- 
mente entstanden  ist,  kann  sich  wieder  in  Bestandtheile  sondern; 
und  in  der  Aufeinanderfolge  der  psychischen  Processe  pflegen  solche 
Verbindungen  und  Zerlegungen  mehr  oder  minder  regelmässig  ein- 
ander abzulösen.  Dabei  ist  aber  die  psychische  Analyse  kaum  jemals 
die  reine  Umkehrung  einer  vorangegangenen  Synthese,  sondern  bei 
jener  gruppiren  sich  die  Elemente  in  neuer  Weise  zu  Bestandtheilen 
des  durch  die  Synthese  gebildeten  Ganzen.  Setzt  daher  auch  jede 
Analyse  eine  Sjmthese  voraus,  so  ist  doch  der  Process  selbst  nach 
Form  wie  Inhalt  ein  eigenartiger,  was  sich  vor  allem  daran  zu  er- 
kennen gibt,  dass  die  Producte  der  Synthese  überall  durch  die  nach- 
folgende Analyse  an  Reichthum  des  Inhalts  und  in  Folge  dessen 
an  Werth  gewinnen,  wie  dies  unmittelbar  die  begleitenden  Gefühle, 
die  auch  hier  eine  werthmessende  Bedeutung  haben,  verrathen. 
Das  fiberall  wiederzufindende  charakteristische  Merkmal  der  psychi- 
schen Analyse  besteht  demnach  darin,  dass  dieselbe  eine  Gliederung 
i^t,  bei  welcher  die  aus  einem  Ganzen  ausgesonderten  Bestandtheile 
sowohl  mit  diesem  Ganzen  selbst  wie  unter  einander  in  Beziehung 
bleiben;   daher  ein  synthetisches  Erzeugniss  durch  die  nachfolgende 


286  Logik  der  Psychologie. 

Analyse  nicht  zerstört,  wohl  aber  inhaltreicher  und  werth^oUer  wird. 
Die  psychische  Analyse,  die  wir  eben  wegen  dieser  Eigenschaften 
eine  beziehende  nennen,  bildet  hierdurch  das  ToUkommene  Gegen- 
stück der  psychischen  Synthese,  während  doch  zugleich  der  schöpfe- 
rische Charakter  der  letzteren  in  ihr  fortwirkt. 

Mit  diesen  allgemeinen  Eigenschaften  begegnet  uns  die  beziehende 
Analyse,  wenn  auch  in  den  einzelnen  Gestaltungen  je  nach  der  Natur 
der  Processe  mannigfach  abweichend,  auf  allen  Stufen  seelischer 
Entwicklung.  So  beginnen  die  sinnlichen  Wahmehmungsvorgan^e 
mit  zusammenfassenden  Vorstellungen,  deren  Inhalt  zunächst  wenig 
bestimmt  ist,  dann  aber  in  Folge  der  eintretenden  Analyse  immer 
bestimmter  und  mannigfaltiger  wird.  Schon  in  diesen  einfachen 
Fällen  erfolgt  die  Gliederung  regelmässig  derart,  dass  successiv  ein- 
zelne Theile  des  Ganzen  aus  diesem  hervorgehoben  und  zu  einander 
wie  zu  dem  Ganzen  selbst  in  Beziehungen  gebracht  werden.  Dabei 
zeigt  sich  zugleich  deutlich,  dass  diese  analytische  Thätigkeit  auf 
das  engste  an  das  schon  für  die  Vorgänge  der  Synthese  massgebende 
Verhältniss  der  Apperception  zu  dem  Bewusstseinsinhalt 
gebunden  ist.  Ist  doch,  wie  wir  sahen,  das  Bewusstsein  in  jedem 
Moment  die  actuelle  Gesammteinheit  psychischer  Vorgänge,  der  sich 
die  Apperception  als  eine  in  ihr  enthaltene  und  zugleich  sie  be- 
dingende Sondereinheit  gegenüberstellt«  (S.  266.)  Indem  nun  die 
verschiedenen  Theile  des  Bewusstseinsinhaltes  successiv  Inhalte  der 
Apperception  werden,  gliedern  sie  sich  ab  von  dem  Ganzen,  das  als 
umfassenderes  psychisches  Gebilde  Inhalt  des  Bewusstseins  bleibt. 
Aber  sie  werden  zugleich  als  Theile  dieses  Ganzen  aufgefasst  und, 
indem  die  Apperception  eine  stetige,  die  Inhalte  auf  die  sie  sich 
richtet  durchgängig  in  innere  Beziehungen  setzende  Function  ist, 
in  ihren  wechselseitigen  Verhältnissen  wahrgenommen.  Das  äussere 
Merkmal  dieser  Sonderung  der  apperceptiv  erfassten  Einzelinhalte 
ist  die  Klarheit  und  Deutlichkeit  der  Vorstellungen.  Diese 
Eigenschaften  bezeichnen  die  beiden  Hauptrichtungen  in  der  Wir- 
kung der  analytischen  Function:  ein  Inhalt  wird  klarer  durch  die 
Hervorhebung  seiner  eigenthümlichen  Quahtät,  er  wird  deutlicher 
durch  seine  Sonderung  von  andern  Inhalten.     (Vgl.  S.  179.) 

So  lange  nun  der  Verlauf  der  Vorstellungen  vorwiegend  durch 
den  Wechsel  der  äusseren  Sinneseindrücke  und  durch  die  unmittel- 
bar von  ihnen  ausgelösten  leicht  verfügbaren  Energien  bestimmt 
wird,  äussert  sich  die  Function  der  beziehenden  Analyse  ledigUch 
in  der  Sonderung  der  einzelnen  successiv  auftretenden  Vorstellungs- 


Princip  der  beziehenden  Analyse.  287 

inludfce  von  einander  und  in  der  nachfolgenden  Auffassung  von 
Beziehungen  zwischen  ihnen,  während  jene  Inhalte  selbst  und  dem- 
infolge  auch  diese  Beziehungen  als  gegebene  aufgefasst  werden. 
In  diesem  Sinne  kann  daher  bei  der  Sinneswahmehmung  und  bei 
den  Yon  ihr  ausgehenden  simultanen  und  successiven  Associationen 
die  Apperception  eine  passive  genannt  werden.  Dennoch  kommt 
schon  hier  eben  iu  der  nachfolgenden  Beziehung  der  einzelnen  Vor- 
stellungen zu  einander  die  active  Wirksamkeit  des  Bewusstseins  zum 
Ausdruck,  wie  denn  ja  auch  das  für  diese  charakteristische  Thätig- 
keitsgefahl  nicht  fehlt,  wenngleich  stets  unterbrochen  durch  das 
entg^engesetzte  Gefühl  des  Erleidens,  das  die  Hinnahme  der  Ein- 
drQcke  und  der  Erinnerungsbilder  begleitet.  In  diesen  Beziehungen, 
in  die  die  Apperception  nachträglich  die  ihr  gegebenen  Inhalte  zu 
einander  setzt,  und  die  man  in  den  so  genannten  ^Associations- 
gesetzen*  lediglich  in  gewisse  Glassen  zusammenfasste,  bereitet  sich 
nun  aber  auch  eine  erweiterte  Wirksamkeit  der  beziehenden  Analyse 
Tor,  bei  welcher  diese  unmittelbar  in  dem  Wechsel  der  appercep- 
ti?en  Yorstellungs-  und  Gefühlsinhalte  selbst  sich  bethätigt.  Darin 
zeigt  es  sich,  dass  diese  Analyse  eine  der  Apperception  immanente 
Function  ist.  Zugleich  aber  erweisen  sich  auch  hier  passive  und 
acti?e  Apperception,  Associationen  und  apperceptive  Verbindungen 
der  Vorstellungen  als  Vorgänge,  die  nur  nach  gewissen  Theilmerk- 
Quden  als  Gegensätze  aufzufassen  sind,  während  sich  in  anderer 
Hinsicht  in  den  Associationen  die  höheren  intellectuellen  Functionen 
vorbereiten,  wie  denn  auch  fortan  jene  eine  psychische  ünterströ- 
mung  bilden,  aus  der  Bestandtheile  in  den  Verlauf  der  intellectuellen 
Vorgänge  übergehen.  Was  jedoch  diese  letzteren  Vorgänge,  die 
wir  nach  ihren  besonderen  Merkmalen  bald  Phantasie-  bald  Ver- 
standesfunctionen  nennen,  von  Grund  aus  scheidet  von  dem  Ver- 
lauf der  Sinneseindrücke  wie  der  reinen  Associationen ,  das  ist  in 
causaler  Beziehung  das  Merkmal,  dass  bei  ihnen  die  beziehende 
Analyse  nicht  erst  eines  schon  vorhandenen  Stoffs  sich 
bemächtigt,  sondern  selbst  die  Aufeinanderfolge  der  Vor- 
gänge bestimmt. 

Damit  scheint  zugleich  die  weitere  Eigenschaft  zusammenzu- 
hängen, dass  sich  die  Gomponenten  dieser  Vorgänge  in  ungleich 
grösserem  Umfang  über  die  latenten  Energien  des  individuellen  Be- 
wusstseins ausdehnen.  Während  nämlich  bei  den  Associationen  in 
der  Regel  nur  die  durch  vielfache  Uebung  oder  zufällige  Einflüsse 
leicht  verfügbaren  Anlagen  actuell  werden,   erstrecken  sich  bei  den 


288  Logik  der  Psychologie. 

iiitellectuellen  Processen  die  causalen  Factoren  einer  gegebenen  Wir- 
kung ins  unbegrenzte;  denn  selbst  da,  wo  die  einzelnen  Bestand- 
theile  eines  apperceptiven  Vorgangs  sämmtlich  auf  nahe  liegende 
Associationen  zurückzuführen  sind,  äussert  sich  in  der  Art  der  Ver- 
knüpfung dieser  Bestandtheile  der  Einfluss  weiter  zurückreichender 
Entwicklungsbedingungen.  So  setzen  z.  B.  schon  Wahmehmungs- 
urtheile  einfachster  Natur,  wie  „die  Sonne  leuchtet*,  »der  Stein 
fällt"  u.  dgl.,  ausser  den  associativen  Verschmelzungen  und  Assimi- 
lationen, die  hier  jedesmal  den  Wahrnehmungs Vorgang  constituiren, 
mannigfache  Vorstellungsverbindungen  verschiedener  Art  voraus,  auf 
Grund  deren  erst  jene  Function  beziehender  Unterscheidung  zu  Stande 
kommen  kann,  die  das  Oanze  einer  solchen  Wahrnehmung  in  einen 
Gegenstand  und  seine  Eigenschaft  oder  seinen  Zustand  gliedert  — 
in  begriffliche  Bestandtheile  also,  die  in  keiner  Wahrnehmung  ge- 
sondert gegeben  sind,  und  deren  Unterscheidung  daher  durch  Asso- 
ciationen begünstigt  werden  mag,  niemals  aber  durch  diese  aus- 
schliesslich bewirkt  werden  kann.  Was  durch  keine  Association 
hervorzubringen  ist,  das  ist  eben  die  unterscheidende  und  beziehende 
Function  des  Bewusstseins  selbst,  die,  wenn  sie  auch  durch  die  Em- 
pfindungen und  ihre  mannigfachen  Associationen  ausgelost  wird, 
doch  eine  von  diesen  auslösenden  Bedingungen  verschiedene  Function 
bleibt.  Wohl  aber  wirkt  diese  Function  ihrerseits  wieder  auf  die 
associativen  Processe  zurück,  indem  nicht  nur  die  durch  beziehende 
Analyse  entstandenen  apperceptiven  Verbindungen  durch  Einübung 
in  Associationen  übergehen,  sondern  indem  überdies  die  Verlaufsrich- 
tungen kommender  Associationen  durch  die  vorausgegangenen  in- 
tellectuellen  Processe  bestimmt  werden. 

Diese  ganze  Entwicklung  findet  ihren  Ausdruck  in  den  für 
alle  diese  höheren  Bewusstseinsvorgänge  charakteristischen  Gesammt- 
vorstellungen  und  deren  weiteren  Schicksalen.  Als  Gesammt- 
vorstellungen  bezeichnen  wir  hierbei  diejenigen  Producte  psychischer 
Synthese,  an  denen  sich  die  Functionen  der  beziehenden  Analyse 
bethätigen.  Die  einfachsten  Producte  dieser  Art  gehen  aus  von  Sinnes- 
wahrnehmungen und  deren  Erinnerungsbildern.  Sie  bestehen  theils 
in  simultanen  theils  in  successiven  Associationen,  die  sich  aber  von 
andern  Associationsproducten  durch  ihre  Folge  Wirkungen  unterscheiden, 
d.  h.  dadurch  dass  sie  die  Functionen  der  beziehenden  Analyse  aus- 
lösen: so  in  den  obigen  Beispielen  der  leuchtenden  Sonne,  des  fallen- 
den Steins.  Auf  die  zusammengesetzteren  Gesammtvorstellungen 
gewinnen   dann  die   in  vorausgegangenen    intellectuellen    Processen 


Grundgesetz  der  psychiBchen  Causalität.  289 

entstandenen  Motive  einen  steigenden  Einfluss,  und  es  gehen  in  sie 
selbst  schon  mannigfache  Producte  dieser  Processe  ein;  daher  sich 
nun  auch  solche  complexere  Gesammtvorstellungen,  wie  z.  B.  ein 
Terwickelter  logischer  Gedankenzusammenhang  oder  die  Idee  eines 
Kunstwerks,  nicht  mehr  in  einem  sicher  abgegrenzten  Wahmeh- 
mungsbilde  festhalten  lassen,  sondern  mehr  und  mehr  durch  reprä- 
sentative Einzelvorstellungen  und  daran  geknüpfte  stark  ausgeprägte 
intellectuelle  GefCLhle  ersetzt  werden.  In  dem  Masse  wie  auf  diese 
Weise  die  Gesammtvorstellung  selbst  schon  zu  einem  intellectuellen 
Gebilde  wird,  entwickeln  sich  aber  auch  die  Functionen  der  beziehen- 
den Analyse  immer  reicher,  und  es  entsteht  nun  jener  unmittelbar 
durch  diese  Functionen  bestimmte  Yorstellungsverlauf ,  wie  ihn  für 
das  begriffliche  Denken  die  Sprache  fixirt,  und  wie  ihn  uns  für 
die  Phantasiethätigkeit  in  der  vollkommensten  Form  die  Entstehungs- 
geschichte des  Kunstwerks  vorführt. 

g.    Das  Grundgesetz  der  psychischen  Causalität. 

Die  Frage  nach  den  Gesetzen  der  beziehenden  Analyse  kann 
im  letzten  Grunde  nur  mit  der  nach  den  Gesetzen  der  psychischen 
Causalität  selbst  identisch  sein.  Denn  es  ist  klar,  dass  auch  da, 
wo  uns  psychische  Gebilde  nicht  unmittelbar  in  den  Verbindungen 
gegeben  sind,  welche  die  psychische  Analyse  herstellt,  wir  nach 
Massgabe  der  in  ihnen  zum  Ausdruck  kommenden  Gesetze  werden 
verfahren  müssen,  falls  wir  uns  über  ihren  Zusammenhang  Rechen- 
schaft geben  wollen.  Insbesondere  wird  die  wissenschaftliche  Analyse 
irgend  welcher  psychischer  Producte  im  ganzen  keinen  andern  Weg 
gehen  können  als  den,  den  uns  die  natürliche  Gliederung  dieser 
Erzeugnisse  vorzeichnet.  Ueberall  also  wo  es  sich  um  eine  psycho- 
logische Interpretation  handelt,  sei  es  in  der  Psychologie 
selbst  sei  es  in  dem  sonstigen  Umkreis  der  Geisteswissenschaften, 
wird  diese  Interpretation  in  einer  beziehenden  Analyse  bestehen 
müssen,  welche  den  nämlichen  Gesetzen  folgt,  die  für  den  natür- 
lichen Verlauf  unseres  Denkens  ebenfalls  gelten.  Nur  vor  einem 
oft  begangenen  Irrthum  hat  man  sich  hierbei  zu  hüten:  können 
auch  ohne  weiteres  die  Gesetze  der  psychischen  Analyse  auf  die 
Interpretation  psychischer  Gebilde  übertragen  werden,  so  darf  man 
doch  nicht  umgekehrt  annehmen,  dass  die  in  einer  beliebigen  Inter- 
pretation zur  Ausführung  gekommene  Analyse  nun  auch  ein  Abbild 
des  Vorganges  selbst   sei,   durch   den  das   concrete  psychische  Er- 

Wnndt,  Logik,  n,  2.    2.  Aafl.  19 


290  Logik  der  Psychologie. 

zeugniss  zu  Stande  kam.  Dies  gilt  nur  da,  wo  die  künstliche  Analyse 
eine  wirkliche  Nachbildung  einer  vorausgegangenen  natürlichen 
ist,  wie  solches  ja  bei  den  Erzeugnissen  der  höheren  Yerstandes- 
oder  auch,  obgleich  schon  viel  seltener,  bei  denen  der  Phantasie- 
thätigkeit  vorkommen  kann.  In  allen  andern  Fällen  gibt  die  inter- 
pretatorische  Analyse  über  die  wechselseitigen  Beziehungen  der 
Bestandtheile  eines  psychischen  Gebildes  Rechenschaft,  und  sie  fordert 
dadurch  die  Erkenntniss  seines  Inhaltes  und  seiner  Entstehungsweise. 
Dass  aber  bei  dieser  Entstehung  selbst  eine  solche  Analyse  statt- 
gefunden habe,  ist  überall  nur  da  anzunehmen,  wo  dies  thatsächlich 
in  der  Erfahrung  nachzuweisen  ist. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  es  zwei  Quellen  gibt,  aus 
denen  wir  möglicher  Weise  unsere  Eenntniss  der  Gesetze  psychi- 
scher Analyse  und  damit  psychischer  Causalität  überhaupt  schöpfen 
könnten :  die  eine  dieser  Quellen  ist  das  unmittelbare  Erlebniss,  wie 
es  vor  allem  in  dem  natürlichen  Verlauf  der  intellectuellen  Func- 
tionen oder,  psychologisch  ausgedrückt,  in  den  apperceptiven  Ver- 
bindungen der  Vorstellungen  vorliegt;  die  andere  besteht  in  den 
Verfahrungsweisen,  auf  welche  die  psychologische  Interpretation  bei 
dem  Versuch  sich  über  den  inneren  Zusammenhang  irgend  welcher 
psychischer  Gebilde  Rechenschaft  zu  geben  geführt  wird.  Die  erste 
dieser  Quellen  ist  die  ursprünglichere;  denn  die  Interpretation  liefert 
uns  im  allgemeinen  schon  in  begrifflicher  Verarbeitung  was  in  dem 
unmittelbaren  intellectuellen  Erlebniss  allein  in  seiner  allen  will- 
kürlichen Veränderungen  und  Zugaben  vorausgehenden  Gestalt  an- 
zutreffen ist.  Nun  bestehen  die  Beziehungen,  in  welche  die  natür- 
liche psychische  Analyse  die  Theile  einer  Gesammtvorstellung  bringt, 
immer  nur  darin,  dass  die  Elemente  als  übereinstimmend  oder  nicht 
übereinstimmend  aufgefasst,  und  dass  die  unterschiedenen  Bestand- 
theile in  Folge  der  beziehungsweisen  Veränderungen  die  sie  erfahren 
je  nach  den  besonderen  Umständen  in  ein  Verhältniss  bald  ein- 
seitiger bald  wechselseitiger  Abhängigkeit  gebracht  werden.  Wollen 
wir  diese  Beziehungen  der  Uebereinstimmung,  des  Unterschieds  und 
der  correlativen  Veränderungen  auf  abstracte  Principien  zurück- 
führen, so  sind  diese  demnach  in  nichts  anderem  enthalten  als  in 
den  allgemeinen  logischen  Grundsätzen  der  Identität,  des  Wider- 
spruchs und  der  Beziehung  von  Grund  und  Folge.  Da  das  letzte 
dieser  Principien  das  umfassendste  ist,  indem  es  die  andern  voraus- 
setzt und  also  in  sich  schliessf'),   so  kann   daher  gesagt  werden, 

*)  Vgl.  Logik,  Bd.  I,  S.  572  ff.,  und  System  der  Phüosophie,  S.  77  ff. 


Begriff  der  geistigen  Gemeinschaft.  291 

dass  das  allgemeine  Gesetz  psychischer  Gausalität  der 
Satz  des  Qrundes  selbst  ist.  Augenscheinlich  entspricht  das 
auch  vollkommen  dem  Yerhältniss  äusserer  und  innerer  Erfahrung. 
Wie  diese  beiden  nicht  an  sich  verschiedene  Gegenstände  enthalten, 
sondern  verschiedene  Standpunkte  einem  und  demselben  Erfahrungs- 
ganzen gegenüber  bezeichnen,  so  ist  auch  das  Princip  der  physi- 
schen Gausalität  nur  eine  besondere  Anwendung  des  Satzes  vom 
Grande,  eine  Anwendung  die  eben  unter  den  eigenthümlichen  Vor- 
aussetzungen steht,  die  der  mittelbaren  oder  begrifiFlichen  Form 
der  Naturerkenntniss  zukommen.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  606  ff.)  Da  nun 
diese  Voraussetzungen  für  die  unmittelbare  oder  anschauliche  psycho- 
logische Erfahrung  nicht  gelten,  so  folgt  daraus  ohne  weiteres,  dass 
hier  der  Satz  des  Grundes  selbst  in  seiner  in  unseren  psychischen 
Erlebnissen  gegebenen  Form  in  seine  Rechte  eintritt.  Dabei  ist 
freilich  nicht  zu  vergessen,  dass  er  in  seiner  begrifflichen  Fas- 
sang nur  ein  aus  der  Gesammtheit  psychischer  Erfahrungen  und  vor 
allem  aus  den  Vorgängen  der  beziehenden  Analyse  abstrahirtes 
Princip  ist,  dass  aber  in  unserem  wirklichen  Bewusstsein  nur  con- 
crete  und  anschauliche  Vorgänge  existiren,  die  nach  Massgabe  jenes 
Satzes  und  der  in  ihm  mitenthaltenen  logischen  Axiome  in  Be- 
ziehungen zu  einander  gesetzt  werden.  Demnach  entsteht  in  uns 
das  Bewusstsein,  einen  einzelnen  psychischen  Vorgang  oder  einen 
Zasammenhang  solcher  Vorgänge  zu  verstehen,  sobald  es  uns 
gelungen  ist  ihn  mit  andern  thatsächlich  gegebenen  psychischen 
Vorgängen  in  eine  Beziehung  gemäss  dem  Princip  der  Verknüpfung 
nach  Grund  und  Folge  zu  bringen.  Da  nun  auf  allen  Gebieten  der 
Geisteswissenschaften  die  Interpretation  ein  Verständniss  der  geistigen 
Vorgänge  und  Erzeugnisse  zu  gewinnen  strebt,  so  ist  daraus  an  sich 
schon  klar,  dass  das  oberste  logische  Princip  das  sie  leitet  kein 
anderes  als  das  nämliche  sein  kann,  das  auch  für  die  Verknüpfung 
der  geistigen  Vorgänge  selber  gilt. 

h.    Der  Begriff  der  geistigen  Gemeinschaft. 

Indem  die  Individualpsychologie  die  Vorgänge  des  einzelnen 
Bewusstseins  gemäss  den  Principien  der  psychischen  Gausalität  zu 
erklaren  sucht,  begegnet  sie  allenthalben  Unterbrechungen  jenes  Zu- 
sammenhangs, und  sie  kann  daher  nicht  umhin  auf  Glieder  Rück- 
sicht zu  nehmen,  die  von  aussen  in  die  seelischen  Erlebnisse  ein- 
greifen, um  dann  selbst  als  wichtige  Factoren  an  ihnen  theilzunehmen. 


292  Logik  der  Psychologie. 

Diese  Lücken  mahnen  daran,  dass  isolirt  gedacht  der  Begriff  der 
individuellen  Seele  eine  Abstraction  ist,  der  die  Wirklichkeit  nir- 
gends entspricht.  Zugleich  führen  aber  die  Erlebnisse  des  Einzel* 
bewusstseins  bereits  nach  zwei  Richtungen  über  die  Grenzen  ihrer 
eigenen  Gausalität  hinaus.  Auf  die  Naturumgebung  weist  die 
eine,  auf  die  geistige  Umgebung  die  andere  dieser  Richtungen 
hin**").  Unter  ihnen  fallen  die  Einflüsse  der  Naturumgebung  der 
psychophysischen  Betrachtung  anheim,  die  schon  einen  wesentlichen 
Bestandtheil  der  Individualpsychologie  bildet,  und  für  die  sich,  wie 
oben  erörtert,  aus  dem  Princip  des  psychophysischen  Parallelismus 
die  allgemeinen  Maximen  ergeben,  nach  denen  hier  physiologische 
und  psychologische  Forschung  hülfreich  in  einander  eingreifen.  (Vgl. 
S.  250  ff.)  Anders  verhält  es  sich  mit  der  geistigen  Umgebung. 
Da  sie  sich  selbst  wieder  aus  geistigen  Einzelwesen  zusammensetzt, 
so  können  für  ihre  Beziehungen  zum  individuellen  Bewusstsein 
durchaus  nur  die  nämlichen  Principien  der  psychischen  Causalitat 
gelten,  die  für  dieses  selbst  massgebend  sind.  Aber  die  Anwen- 
dung dieser  Principien  steht  hier  unter  neuen  und  eigenthümlichen 
Bedingungen,  die  eine  besondere  Betrachtung  erheischen. 

Nirgends  fallt  die  Bedeutung  der  psychologischen  Orund- 
anschauungen  für  die  Würdigung  des  Inhaltes  vne  des  Werthes  der 
Erscheinungen  des  geistigen  Lebens  so  sehr  ins  Oevriicht  als  bei  der 
Beantwortung  der  Frage  nach  dem  Verhältniss  des  Einzelnen 
zur  geistigen  Gemeinschaft.  Die  materialistische  und  die 
intellectualistische  Psychologie  sind  hier  von  Hause  aus  individua- 
listischen Anschauungen  zugeneigt.  Ist  doch  für  die  erstere  in  ge- 
wissem Sinne  schon  das  Einzelbewusstsein  nichts  als  eine  atomistische 
Verbindung  von  Empfindungen.  Nur  der  physische  Zusammenhang 
der  Organe  des  individuellen  Organismus  vermittelt  hier  die  der 
inneren  Wahrnehmung  gegebene  Verbindung  gleichzeitiger  und  auf 
einander  folgender  Zustände.  Dass  durch  die  geistige  Wechsel- 
wirkung der  Einzelnen  neue  geistige  Inhalte  von  eigenthümlichem 
Werth  entstehen,  ist  für  diesen  Standpunkt  ebenso  gut  eine  Un- 
möglichkeit wie  die  Annahme,  dass  die  Eigenschaften  einer  Anzahl 
von  einander  unabhängiger  und  räumlich  entfernter  Körper  in  etwas 
anderem  bestehen  könnten  als  in  der  Summe  der  Eigenschaften 
aller  einzelnen.     Die  intellectualistische   Psychologie   ist   nicht  mit 


•)  üeber    die  Bedeutung   dieser   zwei  Seiten   der  Betrachtung   för   die 
Geisteswissenschaften  überhaupt  vgl.  oben  Cap.  I,  S.  84  ff. 


Begri£P  der  geistigen  Gemeinschaft.  293 

gleicher  Nothwendigkeit  an  diese  ausschliessliche  Anerkennung  der 
Realität  des  Individuums  gebunden;  aber  ihr  Streben,  alle  psychi- 
schen Functionen  nach  dem  Schema  der  Verstandesfunctionen  zu 
beurtheilen ,  macht  sie  doch  von  vornherein  einer  solchen  Ansicht 
zugeneigt.  Denn  indem  jenes  Verfahren  der  Reduction  auf  Ver- 
standesfunctionen auch  auf  die  Erscheinungen  geistiger  Wechsel- 
wirkung angewandt  wird,  fügen  sich  diese  am  ungezwungensten  dem 
Gesichtspunkte,  dass  sie  durch  planmässige  Uebereinkunft  oder  durch 
den  hervorragenden  Einfluss  der  Intelligenz  Einzelner  entstanden 
seien.  Darum  bilden  die  Erfindungs-  und  Vertragstheorien,  unter 
denen  je  nach  dem  Gegenstand  bald  die  einen  bald  die  andern  be- 
vorzugt werden,  und  die  sich  über  alle  Gebiete  gemeinsamen  geistigen 
Lebens,  über  Sprache,  Religion,  Sitte,  Recht  und  Staat,  erstrecken^ 
ein  altes  Erbstück  des  Intellectualismus.  Völlig  anders  steht  die 
voluntaristische  Psychologie  dem  Problem  der  geistigen  Wechsel- 
wirkungen gegenüber.  Indem  sie  jedes  Erlebniss  in  seiner  eigenen 
Natur  und  nach  seinem  eigenen  Werthe  aufzufassen  bemüht  ist,  und 
indem  sie  alle  geistigen  Vorgänge  als  complexe  Ereignisse  betrachtet, 
die  wir  immer  nur  durch  willkürliche  Abstraction  in  einzelne  Be- 
standtheile,  wie  z.  B.  in  Vorstellungs-  und  Willenselemente,  sondern 
können,  wird  ihr  der  Gedanke  nahe  gelegt,  dass  auch  die  Trennung 
des  Einzelnen  von  der  geistigen  Umgebung  in  der  er  steht  nur  eine 
willkürliche  Abstraction  sei,  weil  die  Realität  zahlreicher  geistiger 
Vorgänge  von  zusammengesetzter  Art  eben  darin  besteht,  dass  an 
ihrer  Erzeugung  stets  eine  Vielheit  in  geistiger  Wechselwirkung 
stehender  Einzelwesen  betheiligt  ist.  Diesen  positiven  Bestimmungs- 
gründen tritt  dann  zugleich  die  diesem  Standpunkte  nahe  liegende 
Einsicht  in  die  Unhaltbarkeit  der  rationalistischen  Erfindungs-  und 
Vertragstheorien  als  wichtiges  Unterstützungsmittel  zur  Seite. 

Nicht  minder  enge  ist  aber  ein  gleicher  Wandel  der  Anschau- 
ungen an  die  beiden  Begriffsbestimmungen  der  Seele  geknüpft,  welche 
die  verschiedenen  Richtungen  der  Psychologie  ihrer  Interpretation 
der  psychischen  Vorgänge  zu  Grunde  gelegt  haben.  Ist  die  Seele, 
wie  die  Substanzhypothese  annimmt,  ein  beharrendes  Wesen, 
ein  geistiges  Atom,  das  an  den  Körper  gebunden,  sei  es  von  ihm 
verschieden  sei  es  im  letzten  Grunde  seinen  Elementen  gleichartig, 
die  geistigen  Vorgänge  und  die  psychophysischen  Wechselwirkungen 
hervorbringt,  so  hat  selbstverständlich  nur  das  Individuum  wahre 
Realität.  Es  kann  keine  geistigen  Vorgänge  geben,  die  nicht  aus- 
schliesslich individuelle  Erlebnisse  wären,  noch  geistige  Werthe,  die 


294  '  Logik  der  Psychologie. 

nicht  bloss  individuellen  Zwecken  dienten.  Darum  ziehen  nun  auch 
der  Intellectualismus  und  die  Substantialitätshypothese  wahlverwandt 
einander  an.  Hat  nur  die  individuelle  Persönlichkeit  wahre  Realität 
und  einen  bleibenden  Werth,  so  liegt  es  nahe,  alle  jene  geistigen 
Schöpfungen,  an  deren  Erzeugung  Viele  theilnehmen,  und  deren 
Werth  hinwiederum  Vielen  zu  gute  kommt,  bloss  als  Hülfsmittel 
zu  betrachten,  durch  die  der  Einzelne  sich  selber  zu  fördern  sucht  — 
ein  Gesichtspunkt  der  die  Annahme  planmässiger  Absicht  und  Er- 
findung schwer  vermeiden  lässt. 

Oanz  anders  steht  auch  hier  die  Actualitätshypothese  der 
Wirklichkeit  der  geistigen  Vorgänge  gegenüber.  Besteht  das  ,  Wesen 
der  Seele **,  alles  was  ihren  Inhalt  wie  ihren  Werth  ausmacht,  nur 
in  jenen  Vorgängen  selber,  und  hier  wiederum  nicht  in  einer  ein- 
zelnen Classe  derselben  sondern  in  ihrer  aller  Verbindung  —  dann 
liegt  nicht  der  geringste  Anlass  vor,  denjenigen  Erlebnissen,  an 
deren  Entstehung  eine  geistige  Qemeinschaft  betheiligt  ist,  einen  ge- 
ringeren Grad  der  Wirklichkeit  zuzuschreiben  als  den  Vorgängen 
des  individuellen  Bewusstseins,  oder  den  geistigen  Erzeugnissen  der 
Einzelnen  allein  einen  absoluten  und  directen,  denen  der  geistigen 
Gemeinschaften  aber  bloss  einen  relativen  und  indirecten  Werth  bei- 
zumessen. Vielmehr  gilt  hier  der  Satz:  so  viel  Actualität  so 
viel  Realität.  Soweit  das  Einzelleben  einen  ihm  eigenen  Inhalt 
hat,  besitzt  es  selbständige  Wirklichkeit  und  selbständigen  Werth. 
Nicht  minder  aber  sind  die  Erzeugnisse  und  Erlebnisse  einer  Ge- 
meinschaft als  eine  umfassendere  Wirklichkeit  anzuerkennen,  deren 
Werth  sich  ebenfalls  nach  ihrem  Inhalte  richtet  und  daher  im  Einzel- 
falle den  Zwecken  des  Einzellebens  bald  über-  bald  untergeordnet, 
niemals  jedoch  für  dieses  bloss  ein  Mittel  zu  individuellen  Zwecken 
sein  kann.  Vielmehr  werden  umgekehrt  im  allgemeinen  der  um- 
fassenderen Wirklichkeit  auch  umfassendere  und  höhere  Zwecke  zu- 
kommen. In  der  Feststellung  dieses  Verhältnisses  hat  in  der  That 
das  sittliche  Urtheil  aller  Zeiten  die  individualistische  Theorie  und  ihre 
künstlichen  Constructionen  praktisch  auf  das  bündigste  widerlegt "*"). 

Auch  in  theoretischer  Beziehung  ist  aber  offenbar  erst  auf 
Grund  des  Princips  der  actuellen  Realität  allen  den  geistigen  Vor- 
gängen, deren  Entstehung  an  die  geistige  Wechselwirkung  der  indi- 


*)  üeber  die  ethische  Seite  dieser  Frage  vgl.  meine  Ethik,  2.  Aufl., 
S.  499  ff.,  über  den  Begriff  des  Gesammtgeistes  überhaupt  System  der  Philo- 
sophie S.  591  ff.,  sowie  den  Aufsatz  ,Ueber  das  Verhältniss  des  Einzelnen  zur 
Gemeinschaft*,  Deutsche  Rundschau,  August  1891,  S.  190  ff. 


Begriff  der  geiBÜgen  Gemeinschaft.  295 

yiduen  gebunden  ist,  ein  zureichendes  psychologisches  Verständniss 
abzugewinnen.  Darum  scheitert  jeder  Versuch,  den  Forderungen  der 
Völkerpsychologie  mittelst  der  atomistischen  Substanzhypothese 
und  der  mit  ihr  yerknüpften  individualistischen  Auffassung  des  see- 
lischen Geschehens  gerecht  zu  werden.  Dagegen  hat  vom  Gesichts- 
punkt der  actuellen  Wirklichkeit  des  psychischen  Geschehens  aus 
die  , Volksseele*^  an  und  für  sich  gerade  so  viel  Realität  wie  die 
Einzelseele.  Nur  dass  man  freilich  bei  diesem  Begriff  nicht  wieder 
in  den  Fehler  der  Substanzhypothese  zurückfallen  und  in  ihr  irgend 
eine  substantielle  Wesenheit  ausserhalb  der  Gesammtheit  aller  in 
Wechselwirkung  stehenden  individuellen  seelischen  Vorgänge  sehen 
darf.  So  wenig  die  Einzelseele  etwas  anderes  ist  ak  der  Zusammen- 
hang der  psychischen  Erlebnisse  des  Einzelbewusstseins,  gerade  so 
wenig  ist  die  » Volksseele  **  oder  irgend  eine  andere  Form  des  Ge- 
sammtgeistes  etwas  anderes  als  die  thatsächliche  Wirklichkeit  aller 
der  psychischen  Vorgänge,  die  innerhalb  einer  bestimmten  Gemein- 
Schaft  durch  die  Wechselwirkungen  der  psychischen  Energien  der 
Einzelnen  zu  Stande  kommen.  Nach  diesem  Merkmal  ist  voll- 
kommen unzweideutig  das  was  zur  Einzelseele  von  dem  was  zur 
Volksseele  gehört  zu  scheiden.  Insoweit  Vorstellungen,  Gefühle, 
Affecte,  Willensregungen  entstehen  und  ablaufen  können,  ohne  noth- 
wendig  und  wesentlich  von  der  Existenz  einer  geistigen  Gemein- 
schaft gleichartiger  Individuen  beeinflusst  zu  sein,  gehören  sie  dem 
individuellen  Bewusstsein  an.  Auch  der  Umstand,  dass  thatsächlich 
stets  eine  Menge  dieser  Vorgänge,  ja  dass  die  ganze  Anlage  und 
Richtung  derselben  schliesslich  von  der  geistigen  Umgebung  mit- 
bedingt ist,  ändert  hieran  nichts,  da  dies  für  die  Gesetze  des  Ver- 
laufs der  einzelnen  Erscheinung  unwesentlich  ist.  Die  Sprache  da- 
gegen, die  mythologischen  Vorstellungen,  die  in  der  Form  der  Sitte 
und  der  sittlichen  Anschauungen  zur  Geltung  kommenden  Willens- 
entwicklungen sind  seelische  Vorgänge,  als  deren  Substrat  nur  eine 
geistige  Gemeinschaft  angesehen  werden  kann,  weil  bei  ihrer  Ent- 
stehung und  Entwicklung  der  Einzelne  lediglich  als  eine  Theilkraft 
wirksam  ist,  die  nur  im  Zusammenhang  und  in  Wechselwirkung 
mit  andern  ähnlichen  Theilkräften  die  Erscheinungen  hervorbringt. 
Sobald  in  diesem  Fall  der  Einzelne  isolirt  gedacht  wird,  verschwindet 
das  psychische  Geschehen  selbst.  Da  somit  die  Erzeugnisse  der 
Volksseele  immer  auf  die  seelischen  Energien  einer  Vielheit  in 
Wechselwirkung  stehender  Einzelseelen  zurückführen,  so  leuchtet 
ein,  dass   die  allgemeinen  Principien  zur  Erklärung  dieser  Erzeug- 


296  Logik  der  Psychologie. 

nisse  und  die  Elemente,  aus  denen  sich  diese  zusammensetzen,  gar 
keine  anderen  sein  können  als  diejenigen,  die  schon  im  Einzel- 
bewusstsein  wirksam  sind.  Aber  jene  Principien  kommen  hier  doch 
unter  einer  wesentlich  neuen  Bedingung  zur  Anwendung,  unter 
der  Bedingung  nämlich,  dass  die  Vorgänge  des  individuellen  Be- 
wusstseins  nur  als  Theilkräfte  thätig  sind,  die  mit  andern  gleich- 
artigen Kräften  zusammenwirken.  In  Folge  dessen  begegnet  uns 
namentlich  ein  wichtiges  Princip  der  psychischen  Causalität  hier  auf 
einer  höheren  Stufe  seiner  Anwendung,  das  Princip  der  schöpferi- 
schen Synthese.  Die  Erlebnisse  und  Erzeugnisse  geistiger  Ge- 
meinschaften gleichen  darin  durchaus  denen  des  Einzelbewusstseins, 
dass  die  Thatsachen,  nachdem  sie  gegeben  sind,  auf  Orund  der 
Kenntniss  ihrer  Bestandtheile  mittelst  der  allgemeinen  psychologischen 
Gesetze  vollständig  interpretirt  werden  können,  dass  aber  diese  allein 
nimmermehr  genügen  würden  jene  abzuleiten  ehe  sie  selbst  schon 
bekannt  sind,  weil  sie  eben  stets  zugleich  den  Charakter  von  Neu- 
bildungen besitzen.  Solche  Neubildungen  sind  nun  auch  die  Sprachen, 
die  gemeinsamen  Anschauungen  und  Willensrichtungen.  Aber  sie 
unterscheiden  sich  dadurch  von  den  Synthesen  des  individuellen  6e- 
wusstseins,  dass  sie  sich  aus  Bestandtheilen  eines  Bewusstseins 
niemals  erklären  lassen,  sondern  eine  geistige  Wechselwirkung  Vieler 
voraussetzen,  die  sich  zu  den  genannten  Vorgängen  ähnlich  ver- 
halten wie  die  Vorstellungs-  und  Willenselemente  des  Einzelbevnisst- 
seins  zu  den  wirklichen  Vorstellungen  und  Willensh^ndlungen  des- 
selben. Indem  auf  diese  Weise  die  geistige  Gemeinschaft  Trägerin 
einer  Fülle  eigenthümlicher,  aber  zugleich  unter  einander  organisch 
verbundener  Lebensvorgänge  ist,  kann  sie  mit  demselben  Rechte 
wie  das  psychische  Individuum  ein  geistiger  Organismus  ge- 
nannt werden,  wobei  freilich  nicht  zu  übersehen  ist,  dass  die  Zu- 
sammensetzung dieses  Organismus  höherer  Stufe  aus  einzelnen  selb- 
ständigen Individuen  eigenthümliche  Bedingungen  mit  sich  fQhrt. 
Insbesondere  entspringt  aus  diesen  Bedingungen  die  bedeutsame  That- 
sache,  dass  jede  der  fundamentalen  Lebensäusserungen  eines  solchen 
Gesammtorganismus  selbst  wieder  einen  organischen  Zusanmienhang 
der  Bestandtheile  darbietet,  vermöge  dessen  ihr  abermals  die  Merk- 
male geistiger  Organisation  zukonmien.  So  bilden  die  Lebensgebiete 
der  Sprache,  des  Mythus,  der  Sitte  geistige  Organisationen,  die  in 
der  umfassenderen  organischen  Einheit  der  geistigen  Volksgemein- 
schaft enthalten  sind,  und  bei  denen  freilich  zugleich  in  Folge  dieser 
Beziehung    zu    einer   umfassenderen   Einheit    die   Eigenschaft   aller 


Anwendangen  der  Psychologie.  297 

geistigen  Organismen,  dass  ihre  Entwicklungen  in  der  mannigfaltig- 
sten Weise  in  einander  eingreifen,  in  noch  viel  höherem  Masse 
sich  geltend  macht,  als  bei  dem  alle  diese  geistigen  Lebensfunc- 
tionen  umfassenden  Volksorganismus.  Dieser  trägt  darum  auch 
allein  die  Fähigkeit  in  sich  eine  selbständige  Willenseinheit 
zu  entwickeln,  die  ihm  den  Charakter  einer  den  Einzelpersonen 
die  ihn  zusammensetzen  übergeordneten  Gesammtpersönlichkeit 
verleiht*). 

Diese  Begriffe  sind,  weit  über  den  Umkreis  völkerpsychologi- 
scher  Untersuchungen  hinaus,  für  alle  Gebiete  der  Oeisteswissen- 
schaften  von  unabsehbarer  Tragweite.  Ob  dem  Individuum  allein 
wahre  Realität  und  ein  selbständiger  ethischer  Werth  beizumessen, 
oder  ob  neben  ihm  und  über  ihm  dem  geistigen  Gesammtleben  der 
Volker  eine  eigene  werthvolle  und  in  den  wesentlichsten  Beziehungen 
eine  werthyoUere  Wirklichkeit  zuzuschreiben  sei  als  dem  Individuum 
—  das  ist  für  die  Auffassung  von  Staat,  Recht,  Gesellschaft  und 
Geschichte  eine  Lebensfrage,  der  an  principieller  Bedeutung  keine 
andere  gleichkommt.  In  allen  diesen  Gebieten  beherrscht  die  Stel- 
lung zu  dieser  Frage  die  Auffassung  nicht  bloss  der  Objecte  sondern 
auch  der  Aufgaben  ihrer  wissenschaftlichen  Behandlung.  In  diesem 
Punkte  mehr  vielleicht  als  in  irgend  einem  andern  hat  daher  die 
Psychologie  zu  erproben,  ob  sie  im  Stande  ist  den  einzelnen  Geistes- 
wissenschaflen  wirklich  die  allgemeine  Grundlage  zu  bieten,  zu  deren 
Herstellung  sie  nach  der  Natur  ihrer  Aufgaben  berufen  ist. 


5.    Bie  Anwendungen  der  Psychologie. 

Wie  den  theoretischen  Naturwissenschaften  ihre  technischen 
Anwendungen  gegenüberstehen,  so  lässt  auch  die  Psychologie  in  der 
mannigfaltigsten  Weise  praktische  Yerwerthungen  zu,  indem  man 
zum  Behuf  des  Verständnisses  irgend  welcher  geistiger  Erscheinungen 
Ton  der  psychologischen  Analyse  Gebrauch  macht  oder  mittelst 
psychologischer  Reflexion  für  die  Motive  und  Charaktereigenschaften 
einzelner  Menschen  ein  Verständniss  zu  gewinnen  sucht.  Speciell 
die  letztere  Anwendung  ist  es,   die  man  wohl  auch  als  , praktische 


*)  üeber  die  Begriffe  des  Gesammtorganlsmus  und  der  Gesammtpersön- 
lichkeit vgl.  unten  Cap.  IV,  4. 


298  Logik  der  Psychologie. 

Psychologie*^  zu  bezeichnen  pflegt.  Zwischen  ihr  und  der  psycho- 
logischen Analyse  in  den  einzelnen  Geisteswissenschaften  finden  sich 
aber  sehr  enge  Beziehungen.  Praktische  Menschenkenntniss  ver- 
langt man  von  dem  Historiker  und  Philologen,  ebensowohl  wie  von 
dem  Pädagogen,  dem  Juristen  und  dem  Politiker.  Alle  solche  An- 
wendungen der  Psychologie  auf  einzelne  Erscheinungen  gehen  ent- 
weder darauf  aus,  bestimmte  Aeusserungen  des  geistigen  Lebens  in 
dem  Zusammenhang  ihrer  Motive  zu  erkennen,  oder  sie  durch  ab- 
sichtliche Einwirkungen  nach  vorausbestimmten  Zwecken  zu  lenken. 
Beide  Ziele  stehen  aber  selbst  wieder  zu  einander  in  dem  Ver- 
hältniss  von  Mittel  und  Zweck:  man  muss  die  Menschen  kennen, 
wenn  man  sie  lenken  will.  Daneben  setzt  nur  diese  letztere  Fähig- 
keit noch  eine  üeberlegenheit  des  Wollens  voraus,  wie  sie  für  die 
blosse  Menschenkenntniss  nicht  erfordert  wird.  Darum  sind  die 
Eigenschaften,  die  zu  einer  praktischen  Wirksamkeit,  z.  B.  zu 
den  Leistungen  des  Erziehers  oder  Staatsmannes  befähigen,  wesent- 
lich von  denen  verschieden,  die  wir  von  dem  Gelehrten  in  irgend 
einem  Gebiet  der  Geisteswissenschaften  fordern.  Die  vorsichtige 
Erwägung  aller  das  ürtheil  über  einen  Charakter  oder  eine  Hand- 
lung bestimmenden  Umstände,  die  bei  diesem  geboten  erscheint, 
würde  bei  jenem  leicht  die  Energie  und  die  rechtzeitige  FassTing 
der  Entschlüsse  hemmen ;  und  umgekehrt  ist  wiederum  die  Neigung 
zu  eigenem  Eingreifen  einer  objectiven  theoretischen  Auffassung  der 
Erscheinungen  wenig  förderlich. 

Abgesehen  von  solchen  verschiedenen  Richtungen  der  Aus- 
bildung ist  es  aber  die  nämliche  Fähigkeit  der  Hineinversetzung  des 
eigenen  Ich  in  die  fremde  Persönlichkeit,  die  bei  allen  Anwendungen 
psychologischer  Erfahrungen  wiederkehrt.  So  erhebt  sich  denn  die 
Frage,  in  welchem  Verhältnisse  diese  für  Leben  und  Wissenschaft 
gleich  unentbehrliche  praktische  Psychologie  zu  den  Forschungen 
und  Ergebnissen  der  wissenschaftlichen  Psychologie  steht.  Ist  dies 
Verhältniss  etwa  ein  ähnliches  wie  zwischen  den  Naturwissenschaften 
und  ihren  technischen  Anwendungen?  Oder  walten  besondere  Gründe 
ob,  die  diese  Analogie  unzulässig  machen? 

Zunächst  bedarf  es  nun  kaum  der  Versicherung,  dass  bis  jetzt 
die  theoretische  Psychologie  Einwirkungen  auf  andere  Wissensgebiete, 
die  mit  psychologischen  Motiven  zu  rechnen  haben,  und  speciell  auf 
die  praktisch-psychologischen  wie  Pädagogik  und  Politik  kaum  aus- 
geübt hat,  am  allerwenigsten  solche,  die  den  Einwirkungen  der 
theoretischen  Physik  und  Chemie  auf  die  physikalische  und  chemische 


Anwendungen  der  Psychologie.  299 

Technik  entfernt  gleichzuachten  wären.  Wenn  heute  die  historische 
imd  noch  mehr  die  sociologische  Forschung  ein  wesentlich  anderes 
Bild  darbietet  als  etwa  zu  den  Zeiten  des  Thukydides  oder  des  Polybios, 
so  beruht  das  nicht  auf  einem  irgendwie  bemerkbaren  Unterschied 
in  der  Art  psychologischer  Beurtheilung  der  Dinge,  sondern  auf  der 
Erschliessung  neuer  objectiver  Hülfsquellen  und  auf  der  Ausbildung 
üeuer  objectiyer  Methoden  der  Untersuchung.  Am  ehesten  erhebt 
wohl  noch  die  Pädagogik  Anspruch  darauf,  angewandte  Psycho- 
logie zu  sein.  Aber  auch  dieser  Anspruch  beruht  in  vielen  Fällen 
nur  auf  der  Benützung  gewisser  allgemeiner  Begriffsschemata,  unter 
denen  die  alten  Yermögensbegriffe  eine  vorwiegende  Rolle  spielen. 
Jedenfalls  verdankt  aber  die  Pädagogik  im  allgemeinen  der  prakti- 
schen Erfahrung  des  Unterrichts  ungleich  mehr  psychologische 
Anregungen  als  der  wissenschaftlichen  Psychologie.  Das  beweist 
vor  allem  die  Pädagogik  der  Her  bar  tischen  Schule,  die,  von  einigen 
späteren,  unwirksam  gebliebenen  Versuchen  Herbarts  selbst  ab- 
gesehen, im  grossen  und  ganzen  der  Wolff'schen  Vermögenstheorie 
verwandter  ist  als  Herbarts  eigener  Mechanik  der  Vorstellungen. 
Auch  verdankt  sie  ihre  anerkennenswerthen  praktischen  Verdienste 
offenbar  weder  ihrer  Psychologie  noch  ihrem  etwas  scholastischen 
Betrieb  der  pädagogischen  Theorie,  sondern  vor  allen  Dingen  dem 
Erziehertalent  einzelner  ihrer  Vertreter  und  dem  Vorbild  hervor- 
ragender Pädagogen  der  Vergangenheit,  unter  denen  Herbart  selbst 
immer  eine  ehrenvolle  Stellung  behaupten  wird.  Vollends  in  andern 
Gebieten,  wie  Geschichte,  Volkswirthschaftslehre  u.  dergl.,  ist  nie- 
mals auch  nur  der  Versuch  gemacht  worden,  die  psychologische  Be- 
obachtung und  Reflexion  anders  als  im  Sinne  jener  praktischen  Er- 
fahrungen anzuwenden,  die  sich  Jeder  auf  Grund  eigener  zufälliger 
Beobachtung  und  mit  Hülfe  der  in  den  allgemeinen  Sprachgebrauch 
eingedrungenen  psychologischen  Begriffsunterscheidungen  wirklich  oder 
rermeintlich  zu  erwerben  Gelegenheit  hat  —  eine  „praktische  Psycho- 
logie*^ die  sich  natürlich  zu  einer  wissenschaftlichen  Behandlung 
psychologischer  Fragen  nicht  viel  anders  verhält  als  die  Wetter- 
prophezeiungen des  Landmanns  zur  wissenschaftlichen  Meteorologie. 
Nun  gibt  es  allerdings  zwingende  Gründe,  die  eine  ähnliche 
unmittelbare  Rückwirkung,  wie  sie  die  Physik  und  Chemie  auf  die 
Technik  ausüben,  bei  der  Psychologie  für  immer  unmöglich  machen^. 
Diese  Gründe  bestehen  weniger  in  der  verwickelten  Natur  als  in  dem 
früher  besprochenen  singulären  Charakter  der  Erscheinungen,  der 
es  verbietet,  aus  den  allgemeinen  psychologischen  Principien  specielle 


300  Logik  der  Psychologie. 

Regeln  abzuleiten,  mittelst  deren  sich  einzelne  geistige  Vorzüge 
willkürlich  nach  vorausbestimmten  Zwecken  abändern  lassen.  Aber 
von  diesem  wesentlichen  Unterschied  abgesehen,  wird  doch  auch  hier 
anzunehmen  sein,  dass  ein  exactes  Studium  der  Erscheinungen  einer 
bloss  zufalligen  Beobachtung  schliesslich  selbst  in  der  praktischen 
Anwendung  überlegen  sei.  In  der  That  können  in  diesem  Fall  sogar 
solche  Bestimmungen,  die  rein  theoretisch  betrachtet  yon  verhaltniss- 
mässig  untergeordneter  Bedeutung  sind,  fUr  die  Praxis  einen  grosseren 
Werth  gewinnen.  Das  gilt  z.  B.  von  allen  den  Untersuchungen,  die 
es  gestatten  einigermassen  exacte  Masse  der  psychischen  Leistungs- 
fähigkeit und  ihrer  Veränderungen  festzustellen.  Die  Pädagogik  aller 
Richtungen  beschäftigt  sich  zwar  eingehend  mit  den  Zwecken  und 
Mitteln  der  Erziehung.  Wie  aber  diese  Mittel  der  normalen  Lei- 
stungsfähigkeit und  dem  natürlichen  Verlauf  der  psychischen  Func- 
tionen angepasst  werden  sollen,  das  wird  in  der  Regel  wenig  be- 
rücksichtigt. Für  die  Untersuchung  aller  dieser  Fragen  und  ins- 
besondere im  Interesse  der  Pädagogik,  der  Psychiatrie  sowie  der 
in  die  Breite  des  normalen  Lebens  fallenden  individuellen  Eigen- 
thümlichkeiten  des  seelischen  Lebens  ist  daher  die  Ausbildung  einer 
mit  den  Hülfsmitteln  der  experimentellen  Psychologie  ausgerüsteten 
Charakterologie  ein  dringendes  Erfordemiss.  In  den  Grundformen 
ihrer  Methodik  selbstverständlich  an  die  allgemeine  Psychologie  ge- 
bunden, ist  diese  in  die  verschiedensten  praktisch-psychologischen 
Oebiete  eingreifende  Disciplin  doch  in  der  Anwendung  und  in  der 
speciellen  Gestaltung  der  Methoden  insofern  eigenartig,  als  bei  ihr 
eine  auf  Grund  experimenteller  Resultate  vorgenommene  individuelle 
und  generische  Vergleichung  und,  zum  Behuf  der  raschen  prakti- 
schen Verwendung,  eine  zweckmässige  Vereinfachung  der  Ver- 
fahrungs weisen  erfordert  wird*). 

Mag  nun  aber  auch  der  Nutzen  solch  unmittelbarer  praktischer 
Anwendungen  besonders  einleuchtend  sein,  so  ist  doch  neben  ihm  die  Be- 
deutung der  durch  die  experimentell  geregelte  exacte  Selbstbeobach- 
tung gewonnenen  allgemeinen  Ergebnisse  und  der  durch  sie  vermittelten 


*)  Um  die  Ansbildung  solcher  praktisch  vereinfachter  Hülfsmethoden  hat 
sich  schon  Francis  Galton  verdient  gemacht  (Inquiries  into  the  hnman 
faculty  and  its]  developpement.  1883).  Umfassender  und  auf  der  Grandlage  der 
neueren  experimentellen  Psychologie  hat  dieses  Gebiet  E.  Eraepelin  be- 
arbeitet. In  methodologischer  Hinsicht  vgl.  besonders  dessen  Abhandlung:  Der 
psychologische  Versuch  in  der  Psychiatrie,  Psychologische  Arbeiten,  I,  1895, 
S.  1  ff.    Ueber  den  Begriff,  der  Charakterologie  überhaupt  s.  oben  S.  169. 


Anwendungen  der  Psychologie.  301 

genaueren  Auffassung  des  Zusammenhangs  der  psychischen  Vorgänge 
nicht  zu  unterschätzen.    Dieser  Einfluss  ist  zunächst  nur  ein  theore- 
tischer, aber  ein  um  so  umfassenderer,   da  er  sich  auf  alle  Gebiete 
der  Geisteswissenschaften  erstreckt.    Auf  die  Bedeutung  der  psycho- 
logischen Analyse  für  die  Handhabung  der  Interpretation  und  Kritik 
in  den  verschiedensten  Gebieten  ist  theils  im  vorigen  Gapitel  bereits 
im    allgemeinen  hingewiesen,   theils  wird  in  den  folgenden  Capiteln 
darauf  zurückzukommen   sein.     Ebenso  sind   die  Irrthümer  der  in- 
tellectualistischen ,  individualistischen  und  unhistorischen  Interpreta- 
tion   geistiger  Vorgänge,    die   sämmtlich  in   jener   gewöhnlich    der 
subjectiven  BeurtheUung  zu  Grunde  liegenden  vulgären  Pyschologie 
ihre    Quelle  haben,   schon   oben  erörtert  worden.     (Vgl.  S.  30  ff.) 
Unier  ihnen  hat  der  Intellectualismus  am  weitesten  um  sich  gegriffen, 
und   er  findet  in  einer  der  wirklichen  Selbstbeobachtung  völlig  ent- 
fremdeten speculativen  Psychologie  immer  noch  einen  treuen  Bundes- 
genossen.    Wenn  einer  der  einflussreichsten  Psychologen  und  Päda- 
gogen die  Bedeutung  des  Unterrichts  für  die  Erziehung  damit  glaubt 
begründen  zu  können,  dass  dieser  «am  meisten  dauerhaft  wirke,  weil 
erworbene  Kenntnisse  bleiben,    während  Gewohnheit  und  Sitte  sich 
andern''*),   so  gibt  es   in   der  That  für  den  verwirrenden  Einfluss 
dieser  Anschauung  kaum  ein  augenfälligeres  Beispiel.    Um  wie  viel 
richtiger  hat  hier  schon  Aristoteles  gesehen,  wenn  er  auf  die  Be- 
deutung der  Uebung  und  Gewöhnung  für  die  Charakterbildung  einen 
so   hohen  Werth  legte,   dass   ihm   eben   deshalb  die  Sitte  und  die 
Sittlichkeit  wesensverwandt  erschienen.   Aber  freilich,  er  dachte  auch 
noch  nicht  an  eine  Mechanik   der  Vorstellungen,   die  die  intellec- 
tuellen  Bewusstseinsinhalte  als   ein  ewig  bleibendes  Sein,    Gefühle 
und  Triebe  aber  als  ein  wechselndes  Geschehen  betrachtet,  das  nur 
Ton  den  zufälligen,    fortwährend  veränderlichen  Verhältnissen   der 
Vorstellungen    abhänge.      In    diesen    Verirrungen    der   speculativen 
Psychologie  ist  jene  intellectualistische  Tendenz,  die,  gefördert  durch 
die  bei  der  Lösung  der  Probleme  angewandte  logische  Reflexion, 
alle  Geisteswissenschaften  ergriffen  hat,   offenbar  auf  die  Spitze  ge- 
trieben,   während    doch   die  Bekämpfung   dieser  Tendenz   und  der 
mit  ihr  zusammenhängenden    populären   Vorurtheile    eine  der  vor- 
nehmsten Aufgaben  der  Psychologie  sein  sollte.    Wer  sich  aber  erst 
durch  die  experimentelle  Selbstbeobachtung  den  Blick  für  die  un- 


*)  Herbart,  Briefe  über  die  Anwendung  der  Psychologie  auf  Pädagogik. 
Werke,  herausgegeben  von  Hartenstein,  X,  S.  348. 


302  Logik  der  Psychologie. 

geheure  Bedeutung  der  Gefühls-  und  Willensseite  des  psychischen 
Lebens  geschärft  hat,  der  wird  es  in  der  That  wohl  begreifen,  dass 
z.  B.  die  Psychologie  des  Verbrechens  genau  das  Gegentheil  von 
dem  lehrt,  was  der  obige  Satz  Herbarts  ausspricht:  Kenntnisse  können 
vergehen,  aber  Sitte  und  Gewöhnung  und  der  aus  beiden  gefugte 
Charakter  des  Menschen  beharren. 

Wenn  es  einer  exacten  Behandlung  der  Individualpsychologie 
bedarf,  um  solche  Irrthümer,  die  aus  dem  intellectualistischen  Vor- 
urtheil  entspringen,  zu  beseitigen,  so  wird  dagegen  yomehmlich  die 
Völkerpsychologie  dazu  bestimmt  sein,  einseitig  individualistischen 
und  unhistorischen  Auffassungen  entgegenzuwirken.  Lehrt  sie  doch 
die  wichtigsten  geistigen  Schöpfungen  als  coUective  Erzeugnisse 
kennen,  die  zugleich  zu  Bedingungen  des  geistigen  Lebens  zurück- 
führen, die  so  weit  wie  immer  möglich  von  denen  des  Beobachters 
entfernt  sind.  Wer  erst  dazu  gelangt  ist  einer  uns  so  fremd  ge- 
wordenen Geistesverfassung  wie  der,  aus  der  Sprachformen  und 
Mythenbildungen  hervorgingen,  ein  psychologisches  Verständniss  ab- 
zugewinnen, der  wird  auch  der  Aufgabe ,  die  Völkerkunde  und  Ge- 
schichte fortwährend  an  den  Forscher  stellen,  besser  genügen  können : 
der  scheinbar  widersprechenden  Aufgabe  nämlich,  sein  eigenes  Selbst 
zu  vergessen  und  doch  zugleich  in  dem  selbst  Erlebten  den  Schlüssel 
zu  finden  zu  den  Eigenschaften  anders  gearteter  Menschen,  Zeiten 
und  Völker.  Ueberdies  sind  die  Hauptobjecte  der  Völkerpsycho- 
logie, Sprache,  Mythus  und  Sitte,  Erscheinungen,  bei  denen  sich  die 
Entstehungsweise  coUectiver  geistiger  Erzeugnisse  am  einleuchtend- 
sten darthun  lässt,  so  dass  sie  sich  vor  anderen  zur  Feststellung 
jener  psychischen  Wechselwirkungen  eignen,  die  bei  den  verschie- 
densten Objecten  der  Geschichts-  und  Gesellschaftswissenschaften 
überall  wiederkehren. 

Hiermit   hängt  schliesslich  die    allgemeinste   Anwendung   zu- 
sammen, die  die  Psychologie  auf  die  einzelnen  Geisteswissenschaften 
zulässt.      Ist   jene    diesen    gegenüber   principiell   die   grundlegende 
Disciplin,  so  werden  sich  die  Gesetze  des  Geschehens,  mit  deren  Er- 
forschung es  die  Psychologie  zu  thun  hat,   auch  in  Geschichte  und 
Gesellschaft  wirksam  erweisen.     Wenn  es  also  möglich  sein  sollte, 
in  diesen  Gebieten  allgemeine  Principien  aufzufinden,  denen  die  ein- 
zelnen Erscheinungen  unterzuordnen  sind,   so  können  solche  immer 
nur  Anwendungen  psychologischer  Principien  unter  besonderen  Be- 
dingungen sein.    Dies  ist  aber  zugleich  der  Punkt,  bei  dem  sich  am 
unmittelbarsten   die  theoretische  Beziehung  der  Psychologie  zu  den 


Philologie  und  Geschichte.  303 

spedellen  Geisteswissenschaften  wird  nachweisen  lassen.  Während 
daher  die  concrete  und  praktische  Nutzanwendung  der  psychologischen 
Erkenntniss  auf  einzelne  Probleme,  von  der  oben  die  Rede  war, 
durchaus  den  besonderen  Fällen  dieser  Anwendung  überlassen  bleiben 
muss,  wird  es  hauptsächlich  eine  Aufgabe  der  folgenden  Unter- 
suchungen sein,  jenem  Zusammenhang  der . historischen  und  socio- 
logischen  mit  den  psychologischen  Principien  näher  nachzugehen. 


Drittes  Capitel. 

Die  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 
1.    Die  Philologie. 

a.   Philologie  und  Geschichte. 

Gegenüber  beschränkteren  Auffassungen^  welche  die  Philologie, 
ansehend  von  dem  frühesten  Gegenstand  ihrer  Beschäftigung,  dem 
classischen  Alterthum,  oder  von  gewissen  einzelnen  Richtungen  ihrer 
Forschung;  bald  als  „Alterthumswissenschaft*',  als  „Exegese  und 
Eoitik  der  classischen  Schriftsteller '',  bald  als  „Studium  der  Sprachen 
und  Literaturen*^  u.  dergl.  definirten,  hat  zuerst  August  Boeckh, 
seinen  Blick  auf  das  Ganze  richtend,  „die  Erkenntniss  des  Er- 
kannten*, das  Verständniss  der  gesammten  Erzeugnisse  des  mensch- 
lichen Geistes,  als  ihre  Aufgabe  bezeichnet'*').  Indem  er  aber  gleich- 
zeitig betonte,  dass  diese  Aufgabe  in  allen  wesentlichen  Punkten 
mit  derjenigen  der  Geschichte  zusammenfalle,  war  damit  die  Frage 
nahe  gelegt,  ob  die  Philologie  überhaupt  noch  als  eine  besondere 
Wissenschaft  neben  der  eigentlichen  Geschichte,  oder  ob  sie  nur  als 
ein  , Studiengebiet **  innerhalb  der  letzteren  anzuerkennen  sei  *"*").  Diese 
Frage  bleibt  selbst  dann  eine  offene,  wenn  man,  mit  Rücksicht  auf 


*)  Boeckh,  Encyklopädie  und  Methodologie  der  philologischen  Wissen- 
^hafien.  Herausgegeben  von  Bratuscheck.  Leipzig  1877,  S.  10  ff.  Vgl.  auch 
L.  T.  ürlichs  in  Iwan  Müllers  Handbuch  der  classischen  Alterthumswissen- 
schaft,  I,  S.  3. 

*^  H.  üsener,  Philologie  und  Geschichtswissenschaft.  Bonn  1882, 
S.  20ff. 


304  Logik  der  GeschichtswissenschsfteD. 

die  Bedeutung  der  von  der  Philologie  behandelten  Objecte,  die  etwas 
unbestimmte  Definition  Boeckhs  durch  den  Begriff  einer  allgemeinen 
„Culturwissenschaft''  ersetzt*),  da  in  diesem  Fall  das  Verbaltniss 
einer  solchen  zur  Culturge schichte  wiederum  der  näheren  Fest- 
stellung bedarf. 

Auch  hier  ist  jedoch  nicht  zu  vergessen,  dass  unsere  Ein- 
theilung  der  Wissenschaften  und  vor  allem  die  der  Geisteswissen- 
schaften an  und  für  sich  nicht  noth wendig  verschiedenen  Objecten, 
sondern  zunächst  nur  verschiedenen  Standpunkten  bei  der  AusftQirung 
der  Untersuchung  entspricht  (vgl.  oben  S.  12).  In  der  That  sind 
die  Gegenstände  der  Philologie,  die  Sprache,  die  Religion,  die  Werke 
der  Literatur,  nicht  nur  zugleich  Objecte  der  historischen  Forschung, 
sondern  es  kann  auch  ein  Verständniss  derselben  immer  nur  durch 
das  Studium  ihrer  Entstehung  und  ihrer  geschichtlichen  Bedingungen 
gewonnen  werden.  Darum  ist  zweifellos  die  Philologie  den  Ge- 
schichtswissenschaften im  weiteren  Sinne  beizuzählen.  Dennoch  ist 
es  ein  Gesichtspunkt,  der  sie  von  andern  Formen  historischer  Be- 
trachtung scheidet:  die  Philologie  hat  nicht,  wie  die  Geschichte^ 
das  Geschehen  selbst,  sondern  geistige  Erzeugnisse  zu  ihren 
Objecten.  Wenn  wir  sie  daher  als  , Wissenschaft  der  Geistes- 
erz eugnisse^  definiren,  so  dürfte  das  im  wesentlichen  mit  der  oben 
erwähnten  Begriffsbestimmung  Boeckhs,  abgesehen  von  der  einseitig 
intellectualistischen  Fassung  derselben,  dem  Sinne  nach  zusammen- 
treffen**). Zugleich  fordert  aber  freilich  diese  Begriffsbestimmung 
eine  genauere  Begrenzung  der  Philologie  gegenüber  der  Geschichte. 

Wie  jede  empirische  Wissenschaft,  so  will  auch  die  Geschichte 
eine  Erkenntniss  der  Thatsachen  und  ihres  inneren  Zusammen- 
hanges  vermitteln.  Aber  die  Thatsachen,  aus  denen  das  historische 
Geschehen  besteht,  lassen  nur  theilweise  jenem  Begriff  des  XÖ70C 
sich  unterordnen,  von  dem  die  Philologie  ihren  Namen  tnkgt.  Be- 
stimmte Naturbedingungen,  wie  geographische  Lage  und  äussere 
Naturereignisse,  greifen  in  das  historische  Geschehen  bestimmend 
ein,  und  auch  unter  den  menschlichen  Willenshandlungen,  die  an 
demselben  theilnehmen,  finden  sich  manche,  die  nicht  zu  bleibenden 
Geisteserzeugnissen  geführt  haben  und  darum  einer  philolog^ischen 
Literpretation  unzugänglich  bleiben.     Die  Motive  z.  B.,  von  denen 

*)  H.  Paul,  Grandriss  der  germaoiBchen  Philologie,  3.  Abschn.  S.  158. 
**)  Vgl.  oben  S.  31.    Zu  der  systematischen  Stellung  der  Philologie  über- 
haupt vgl.  meine  Abhandlung  über  die  Eintheilung  der  Wissenschaften,    Phil. 
Stud.  V,  S.  45  £F. 


Philologie  and  Geschichte.  305 

die  mannigfachen  Wanderungen  der  Völker  im  Anfang  der  alten  und 
der  neueren  Geschichte  bestimmt  waren,  entziehen  sich  fast  gänzlich 
den  HUlfsmitteln  philologischer  Untersuchung.    Während  sich  ausser- 
dem für  die  Geschichte  der  Werth  der  geistigen  Schöpfungen  ledig- 
lich nach  der  Wirkung  bemisst,  die  sie  auf  die  geschichtlichen  Vor- 
gänge ausgeübt,  trägt  für  die  philologische  Betrachtung  jedes  Geistes- 
product   seinen   Werth   in    sich    selber.     Dieser   Vertiefung  in  das 
Einzelne,   die  der  Philologie  eigen  ist,   muss  sich  am  meisten  die 
allgemeine  Geschichte  entschlagen;  mehr  verbindet  sie  sich  mit  den 
specielleren  Zweigen  der  Cultur-,   Kunst-   und  Literaturgeschichte, 
und   diese   nehmen  darum  auch  thatsächlich  eine  Art  Mittelstellung 
ein    zwischen  Philologie  und  Geschichte,   um  so  mehr  als  ihre  Ob- 
jecte  unmittelbar   viel  weniger  von  äusseren  Naturbedingungen  ab- 
hängen als  die  Thatsachen  der  allgemeinen  und  politischen  Geschichte. 
Immerhin  bleibt  der  Unterschied,  dass  bei  der  historischen  Betrach- 
tung das  Einzelne  nur  im  Hinblick  auf  die  ganze  Entwicklung  an 
der  es  theilnimmt  Verwendung  findet,  während  umgekehrt  die  philo- 
logische Untersuchung  die  historische  Entwicklung  bloss  insofern  be- 
rücksichtigt,   als  sie  die  Erkenntniss  des  Einzelnen  vermitteln  hilft. 
Diesem  Gegensatz  der  Zwecke  entspricht  zugleich  ein  Gegensatz  der 
Methoden.    In  der  philologischen  Forschung  herrscht  das  analytische 
Verfahren,  in  der  historischen  das  synthetische  vor.   Jene  sucht  ihren 
Gegenstand  in  Bezug  auf  die  Zusammensetzung  und  Verbindung  der 
Theile  zu  ergründen;  diese  ist  bestrebt,  ihn  in  dem  Zusammenhang 
der  Thatsachen  zu  begreifen,  auf  dem  seine  Bedeutung  für  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  beruht.     Die  Art  dieses  (Gegensatzes  zeigt 
aber  zugleich,  wie  innig  Philologie  und  Geschichte  zusammenhängen. 
Der  einzelnen  geistigen  Schöpfung  wird  ihre  geschichtliche  Stellung 
nur  dann  richtig  anzuweisen  sein,   wenn  sie  selbst  zunächst  in  Be- 
zug auf  ihre  Wahrheit  und  ihren  eigenen  Werth  geprüft  ist.     Der 
Historiker   muss    also   vor    allem    Philologe    sein.     In   der   Herbei- 
schaffung,   Prüfung  und  Sichtung  seines  Materials   arbeitet   er  nur 
mit  philologischen  Hülfsmitteln.     Die  eigentUch   historische  Thätig- 
keit  beginnt  erst  in  dem  Augenblick,  wo  er  aus  den  durch  die  philo- 
logische Analyse  sichergestellten   Thatsachen   nunmehr  auf  synthe- 
tischem Wege   die   historischen  Ereignisse  in  ihrem  Zusammenhang 
zu  construiren  beginnt.     Umgekehrt  muss  aber  auch  der  Philologe 
Historiker  sein,  wenn  ihm  nicht  bei  der  Analyse  des  Einzelnen  der 
Massstab   objectiver  Beurtheilung  fehlen  soll.     So   macht  auch  hier 
jener  eigenthümliche  Cirkel  sich  geltend,   der  uns  noch  mannigfach 

Wandt,  Logik.  II,  S.    S.  Aufl.  20 


306  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

in  dem  Verhältniss  der  einzelnen  Geisteswissenschaften  zu  einander 
begegnet  (vgl.  oben  S.  226).  Das  Ganze  fordert  die  Eenntniss  des 
Einzelnen,  und  das  Einzelne  kann  wiederum  nur  aus  dem  Ghmzen 
heraus  verstanden  werden.  Der  Widerspruch  dieses  Cirkels  würde 
unlösbar  sein,  wenn  nicht  auch  hier  jene  bei  aller  wissenschaftlichen 
Forschung  hülfsbereite  Thätigkeit  eingriffe,  welche  durch  hypothe- 
tische Voraussetzungen  der  wirklichen  Erkenntniss  vorauseilt,  um  der 
Forschung  bestimmte  Gesichtspunkte  zur  Prüfung  darzubieten,  aus 
deren  Widerlegung  oder  Bestätigung  allmählich  sichere  Resultate  ge- 
wonnen werden. 

Vermöge  ihrer  Aufgabe  ist  die  Philologie  ebenso  die  specielle 
Grundlage  der  Geisteswissenschaften,  wie  die  Psychologie  deren  all- 
gemeine ist.  Während  die  letztere  die  Gesichtspunkte  an  die  Hand 
gibt,  nach  denen  das  geistige  Leben  in  allen  seinen  Erscheinungen 
beurtheilt  und  schliesslich  erklärt  werden  muss,  liefert  die  erstere 
die  Hülfsmittel  und  Methoden,  mittelst  deren  der  Thatbestand  jedes 
einzelnen  Geschehens  sichergestellt  und  auf  seinen  inneren  und 
äusseren  Werth  geprüft  werden  kann.  Die  Philologie  erscheint  so 
zunächst  als  Hülfsgebiet  der  Geschichte.  Aber  da  alle  Geistes- 
erzeugnisse aus  historischen  Bedingungen  hervorgegangen  sind,  so 
ruhen  alle  andern  Geisteswissenschaften  wieder  auf  der  Basis  der 
Geschichte,  und  es  erstreckt  sich  daher  auch  auf  sie  das  Mittleramt 
der  Philologie.  So  nehmen  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Qe- 
sellschaftslehre,  namentlich  in  den  Rechts-  und  Staatswissenschaften, 
die  historische  Begründung  der  Thatsachen  und  die  philologische 
Kritik  der  Quellen  eine  wichtige  Stelle  ein.  Die  Philosophie  kann« 
da  ein  wichtiger,  in  alle  andern  Gebiete  eingreifender  Bestandtheil 
derselben  ihre  eigene  Geschichte  ist,  der  philologischen  Forschung 
nicht  entbehren.  In  ähnlichem  Sinne  gewinnt  aber  diese  selbst  für 
Mathematik  und  Naturwissenschaft  ihre  Bedeutung.  Auch  sie  sind 
Geisteserzeugnisse  und  bieten  in  ihrem  historischen  Werden  überall 
wichtige  Probleme  philologischer  Untersuchung  dar.  Trotz  dieser 
vielseitigen  Beziehungen  wird  die  Philologie  in  den  allgemeineren 
Umkreis  der  Geschichtswissenschaften  einzuordnen  sein;  denn  jene 
Beziehungen  entspringen  doch  vor  allem  daraus,  dass  alle  andern 
Wissenschaften  zugleich  Objecte  historischer  Betrachtung  sein 
können.  An  die  Philologie  schliesst  sich  daher  zunächst  die  Ge- 
schichtswissenschaft im  engeren  Sinne  an.  Zwischen  beide  schieben 
sich  aber  eine  Reihe  von  Disciplinen  ein,  die  den  synthetischen 
Standpunkt  der  geschichtlichen  mit  der  analytischen  Thätigkeit   der 


Philologische  Interpretation.  307 

philologischen  Forschung  verbinden.  Bei  den  oben  erwähnten  Ge- 
bieten der  Cnltur-,  Kunst-  und  Literaturgeschichte  überwiegt  wie 
dem  Namen,  so  der  Sache  nach  das  historische  Element;  sie  werden 
daher  angemessen  der  Geschichte  zugerechnet.  Bei  andern  dagegen 
liegt  der  Schwerpunkt  so  sehr  auf  der  philologischen  Seite,  dass  sie 
schon  aus  diesem  Grunde  kaum  von  der  eigentlichen  Philologie  los- 
zulösen sind.  Ausserdem  pflegen  sie  theils  wegen  des  über  die 
frühesten  historischen  Documente  hinausragenden  Alters  ihrer  Ent- 
wicklung, theils  wegen  des  verhältnissmässig  geringen  Zusammen- 
hangs mit  den  Ereignissen  der  allgemeinen  Geschichte  von  dieser 
wenig  oder  gar  nicht  berücksichtigt  zu  werden.  Hierher  gehören 
die  Geschichte  der  Sprachen,  der  mythologischen  Vorstellungen  und 
der  sittlichen  Anschauungen.  Sprachwissenschaft,  Mythologie  und 
historische  Ethik  oder  Ethologie  mögen  darum  unter  dem  Doppel- 
namen von  philologisch-historischen  Wissenschaften  zu- 
sammengefasst  werden. 

Da  das  Object  der  eigentlichen  Philologie  das  einzelne  Geistes- 
erzeugniss  ist,  so  hat  die  philologische  Forschung  als  solche  zwei 
Hauptaufgaben.  Die  erste  besteht  in  der  Erkenntniss  des  Inhalts 
und  der  Bedeutung  des  Forschungsobjectes,  die  zweite  in  der  Fest- 
stellung der  ursprünglichen,  von  zufälligen  oder  absichtlichen  Ver- 
änderungen gereinigten  Beschaffenheit  des  Erzeugnisses.  Der  ersten 
Aufgabe  entspricht  die  philologische  Interpretation,  der 
zweiten  die  philologische  Kritik.  Nachdem  wir  uns  mit  den 
allgemeinen  Eigenschaften  der  Interpretation  und  Kritik  bereits  ein- 
gehend beschäftigt,  bleibt  uns  hier  nur  übrig,  die  specifischen  Eigen- 
thümlichkeiten  in  der  philologischen  Anwendung  dieser  Methoden 
hervorzuheben.     (Vgl.  Cap.  I,  S.  81  ff.) 

b.    Die  philologische  Interpretation« 

Die  philologische  Interpretation  oder  Hermeneutik  hat,  der  all- 
gemeinen Aufgabe  der  Philologie  entsprechend,  das  Verständniss  gei- 
stiger Erzeugnisse,  ihrer  Bedeutung  und  der  Bedingungen  ihrer  Ent- 
stehung zu  vermitteln.  Die  Interpretation  geht  hierbei  von  einer 
doppelten  Reihe  von  Thatsachen  aus:  erstens  von  objectiven, 
die  theils  dem  Geisteserzeugniss  selbst  angehören,  theils  in  nach- 
weisbaren Beziehungen  zu  ihm  stehen,  und  zweitens  von  subjec- 
tiven,  entweder  als  allgemeingültig  anerkannten  oder  sich  für  den 
speciellen  Fall   geeignet   erweisenden   psychologischen  Erfahrungen. 


308  Logik  der  Geschichtowissenscfaaften. 

Die  Thatsachen  der  ersten  Reihe  können  wir,  da  sie,  gleich  dem 
untersuchten  Geisteserzeugniss  selbst,  stets  der  Geschichte  angehören, 
als  die  historischen,  die  Thatsachen  der  zweiten  Eleihe  als  die 
psychologischen  Interpretationselemente  bezeichnen.  Unter 
ihnen  bedürfen  die  historischen  Thatsachen  der  psychologischen  Er- 
klärung, während  diese  wiederum  von  einer  richtigen  historischen 
Auffassung  abhängig  ist.  Daraus  entsteht  eine  Hin-  und  Her- 
bewegung der  Untersuchung,  die  es  unmöglich  macht,  die  histori- 
schen und  psychologischen  Interpretationselemente  getrennt  zu  ver- 
werthen.  Dazu  kommt,  dass  sich  auch  in  der  logischen  Anwendung 
beide  Elemente  wesentlich  ähnlich  verhalten.  Die  psychologische 
Beurtheilung  eines  Geisteserzeugnisses  bedarf  nämlich  vermöge  der 
Vielgestaltigkeit  und  Unerschöpflichkeit  der  psychologischen  Ge- 
sichtspunkte fast  in  jedem  einzelnen  Fall  einer  besonderen  Induction. 
Es  gestaltet  sich  daher  die  historische  wie  die  psychologische  Inter- 
pretation im  allgemeinen  so,  dass  beide  zuerst  auf  inductivem  Wege 
aus  Thatsachen,  die  mit  dem  zu  erklärenden  Geisteserzeugniss  ver- 
wandt sind  oder  mit  ihm  in  Beziehung  stehen,  eine  bestimmte  Vor- 
aussetzung gewinnen,  und  dass  hierauf  durch  eine  sich  anschliessende 
Deduction  diese  Voraussetzung  auf  den  speciellen  Fall  angewandt 
wird.  Wir  können  demnach  hier,  wie  bei  jeder  Interpretation,  ein 
Stadium  der.  inductiven  Vorbereitung  und  ein  solches  der 
deductiven  Anwendung  unterscheiden.  Dieses  Gesetz  erfahrt 
aber  ausserdem  durch  den  eigenthümlichen  Charakter  der  philologi- 
schen Probleme  bestimmte  Beschränkungen.  Vor  allem  hat  nämlich 
die  Voraussetzung,  zu  der  die  Induction  führt,  nur  selten  den  Cha- 
rakter einer  allgemeingültigen  Regel,  sondern,  entsprechend  dem 
singulären  Charakter  historischer  Ereignisse,  pflegt  sie  aus  einzelnen 
Thatsachen,  manchmal  sogar  nur  aus  einer  einzigen  zu  bestehen. 
Um  die  Unvollkommenheiten  eines  solchen  Verfahrens  auszugleichen, 
bemüht  man  sich,  wo  möglich  zahlreiche  Inductionen  verschiedenen 
Inhalts  bei  jeder  einzelnen  Interpretation  zu  verwenden.  Auch  das 
Beweisverfahren,  das  sich  an  eine  solche  Untersuchung  anschliesst, 
hat  demnach  ganz  und  gar  den  Charakter  des  praktischen  In- 
ductionsbeweises.  (Bd.  II,  1,  S.  75.)  Es  versteht  sich  von  selbst, 
dass  eine  Induction  solcher  Art  häufig  der  zwingenden  Beweiskraft 
ermangelt.  Doch  kommt  die  nämliche  singulare  Natur  histori- 
scher Ereignisse,  welche  die  Un Vollkommenheit  der  Induction  ver- 
schuldet, dem  deductiven  Theil  des  Verfahrens  zu  gute.  Denn  je 
einzigartiger   die   Erscheinungen   sind,   um   so  geringer  braucht  die 


Philologische  Interpretation.  309 

Menge  übereinstimmender  Erfahrungen  zu  sein,  die  zum  Nachweis 
causaler  Beziehungen  zwischen  ihnen  erfordert  werden.  So  kommt 
es,  dass  gerade  diejenigen  Resultate  der  philologischen  Interpretation 
die  sichersten  zu  sein  pflegen,  die  auf  einer  beschränkten  Anzahl 
ToUkommen  gesicherter  Thatsachen  beruhen,  während  Voraussetzungen 
allgemeinerer  Art,  wie  sie  z.  B.  bei  der  Berufung  auf  den  Geist  einer 
Sprache  oder  eines  bestimmten  Schriftstellers,  auf  allgemeine  Ver- 
hältnisBe  der  Cultur  und  der  politischen  Lage  wirksam  sind,  nur 
höchst  unsichere  Anwendungen  zulassen. 

Zu  den  historischen  Interpretationselementen  rechnen 
wir  nicht  bloss  die  der  eigentlichen  Geschichte  in  ihren  verschie- 
denen Verzweigungen  zugehörigen  Thatsachen,  sondern  insbesondere 
auch  die  Objecte  der  philologisch-historischen  Forschung,  Sprache, 
mythologische  und  ethische  Anschauungen.  Die  Sprache  als  das 
allgemeine  Hülfsmittel  des  Gedankenausdrucks  ist  zwar  nicht  die 
einzige,  aber  doch  die  häufigste  Form,  in  der  uns  Geisteserzeugnisse 
gegeben  sind.  Die  grammatische  Interpretation  ist  so  der  erste 
Schritt  in  der  historischen  Untersuchung  eines  Literaturdenkmals. 
Nimmt  sie  auch  in  ihren  Anfängen  auf  die  speciellere  Zeitfärbung 
der  sprachlichen  Form  noch  wenig  Rücksicht,  da  es  sich  zunächst 
darum  handelt,  aus  dem  allgemeinen  Geist  der  Sprache  heraus  den 
Sinn  der  Gedanken  festzustellen,  so  ist  doch  schon  dieses  Allgemeine 
ein  in  gewissen  historischen  Grenzen  gegebenes.  Je  tiefer  aber  die 
grammatische  Deutung  eindringt,  um  so  mehr  muss  sie  zugleich 
den  specielleren  Momenten  der  Sprachgeschichte,  dem  Laut-  und 
Bedeutungswandel,  den  dialektischen  Färbungen  und  den  im  tropi- 
schen Gebrauch  der  Wörter  und  in  directen  Anspielungen  versteckt 
liegenden  historischen  Beziehungen  Rechnung  tragen.  So  führt  die 
grammatische  Analyse  vom  Allgemeinsten  beginnend  schliesslich  bis 
zu  der  Grenze,  wo  das  für  eine  bestimmte  Zeit  und  einen  bestimmten 
Ort  Gültige  durch  den  individuellen  Charakter  des  Schriftstellers 
modificirt  erscheint,  an  welchem  Pimkte  nunmehr  die  psychologische 
Untersuchung  einsetzt. 

Die  psychologischen  Interpretationselemente  sind 
theils  subjectiver,  theils  objectiver  Art.  Die  subjective  Inter- 
pretation sucht  an  der  Hand  der  historisch  gegebenen  Momente  von 
der  Individualität  des  Schöpfers  eines  Geisteserzeugnisses  eine  An- 
schauung zu  gewinnen,  um  von  dieser  aus  einzelne  Seiten  des  Er- 
zeugnisses verstehen  zu  lernen.  Die  Quellen  dieser  subjectiven  Deu- 
^ng  fliessen   um  so  reicher,  je  mehr  sich  der  Urheber  zugleich  in 


310  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

andern  Geistesschöpfungen  bethätigt  hat,  und  je  eigenartiger  seine 
Schöpfungen  sind,  während  sie  bei  vereinzelten  Erzeugnissen  und 
bei  solchen  von  wenig  originellem  Charakter  ganz  versiegen  können. 
Dagegen  bleibt  die  objective  psychologische  Deutung  immer 
in  gewissem  Grade  anwendbar.  Sie  bezieht  sich  auf  den  Zweck, 
den  der  Urheber  eines  Erzeugnisses  bei  dessen  Schöpfung  verfolgte. 
Auch  diese  Deutung  ist  eine  psychologische,  weil  wir  bei  ihr  von 
dem  objectiv  gegebenen  Thatbestand,  wieder  unter  Herbeiziehung 
historischer  Momente,  auf  die  ursprüngliche  Zweckvorstellung  des 
Autors  zurückschliessen  und  aus  dieser  nun  ein  Verständniss  ge- 
wisser Bestandtheile  des  Objectes  zu  gewinnen  suchen. 

Bei  allen  diesen  in  der  wirklichen  Forschung  stets  iu  einander 
greifenden  Formen  der  Interpretation  folgen  sich  in  der  vorhin  an- 
gedeuteten Weise  Induction  und  Deduction,  Enumeration  und  Ana- 
logie. In  dem  hierbei  grundlegenden  Verfahren  der  Sammlung  ähn- 
licher Thatsachen  kommt  die  vergleichende  Methode  in  den 
beiden  Formen  der  individuellen  und  der  generischen  Ver- 
gleichung  zur  Anwendung.  (Vgl.  Cap.  1,  S.  65.)  Beide  Formen 
treten  zugleich  in  unmittelbare  Beziehung  zu  den  Unterarten  der 
historischen  und  psychologischen  Interpretation.  Die  erstere  verfährt 
individuell,  wenn  sie  ein  Geisteserzeugniss  nach  den  in  ihm  selbst 
liegenden  Merkmalen  zergliedert;  sie  verfährt  generisch,  indem  sie 
verwandte  Schöpfungen,  gleichzeitige  Verhältnisse  der  Cultur  und 
Geschichte  zur  Erklärung  herbeizieht:  die  gi-ammatische  Inter- 
pretation ist  also  vorzugsweise  individuell,  die  historische  im  engeren 
Sinne  ist  in  diesem  Fall  generisch.  Unter  den  psychologischen  Inter- 
pretationsformen ist  die  subjective  wieder  individuell:  sie  sucht  aus 
der  Individualität  des  Schriftstellers  oder  Künstlers  die  Eigenart 
seiner  Schöpfung  zu  erklären;  die  objective  ist  generisch,  denn  der 
Zweck  eines  Werkes  fordert  die  Berücksichtigung  anderer  Erzeugnisse 
ähnlicher  Art.  Bestimmte  Kunstformen,  z.  B.  die  Uede,  der  Dialog, 
das  Epos,  das  Drama,  besitzen  unter  bestimmten  historischen  Be- 
dingungen einen  gewissen  allgemeinen  Charakter,  der  für  die  Er- 
klärung  des   Einzelnen    mannigfache    Gesichtspunkte    an    die  Hand 

gibt*). 


*)  Von  ßoeckh  ist  von  den  zwei  letzten  Methoden,  die  hier  psycho- 
logische genannt  sind,  die  subjective  allgemein  als  die  individuelle,  die 
objective  als  die  generische  bezeichnet  worden,  und  beide  werden  von  ihm 
unter  dem  Namen  der  subjectiven  Interpretationsformen  der  grammatischen 
und  historischen  als  den  objectiven  gegenübergestellt  (a.  a.  0.  S.  83).    Hier- 


Philolog^ecbe  Interpretation.  311 

Bei  der  ünyollständigkeit  der  hermeneutischen  Induction  ist  es 
begreiflich,  dass  nicht  selten  die  empirisch  gegebenen  Interpretations- 
elemente  nicht  genügen,  um  eine  Deduction  zu  begründen.  Dann 
ist  man  genöthigt  hypothetische  Motive  einzuführen,  die  zu- 
nächst versuchsweise  angewandt  und  hierauf,  wenn  durch  sie  eine 
befriedigende  Erklärung  gelingt,  angenommen  werden.  Diese  hypo- 
thetischen Motive  selbst  müssen  wieder  den  Charakter  von  histori- 
schen oder  psychologischen  Interpretationselementen  besitzen,  und 
sie  werden  in  der  nämlichen  Weise  wie  die  thatsächlichen  Elemente 
in  das  Schlussverfahren  eingeführt.  Zuweilen  werden  sie  auch  erst 
im  Verlauf  der  Untersuchung  herbeigezogen:  man  sieht  sich  zu  ihnen 
genöthigt,  um  bestimmte  Interpretationsresultate  begreiflich  zu 
machen.  Nur  zu  leicht  ereignet  es  sich  dabei  freilich,  dass  solche 
Hülfshypothesen  nur  deshalb  erfordert  werden,  weil  von  Anfang  an 
mit  hypothetischen  Voraussetzungen  operirt  wurde.  Es  entsteht  so 
ein  Gewirre  von  Hypothesen,  von  denen  immer  die  eine  die  andere 
stützen  muss,  während  vielleicht  keine  einzige  zureichend  durch  die 
Thatsachen  gestützt  wird.  Hier  wie  in  andern  Fällen  kann  es  als 
eine  bewährte  Regel  gelten,  dass  eine  Hypothese  um  so  verdächtiger 
wird,  je  mehr  sie  der  Hülfshypothesen  zu  ihrer  Aufrechterhaltung 
bedarf. 

Die  Betheiligung  hypothetischer  Elemente  an  der  philologischen 
Interpretation  ist  selbstverständlich  um  so  unentbehrlicher,  je  spär- 
licher die  thatsächlichen  Grundlagen  sind,  von  denen  sie  ausgeht. 
Einen  charakteristischen  Fall  dieser  Art  bildet  die  Entzifferung  der 
Hieroglyphentexte  mittelst  der  mehrsprachigen  Inschriften.  Hier 
handelte  es  sich  um  eine  grammatische  Interpretation,  bei  der  Sprache 
und  Schriftzeichen  unbekannt  waren.  Den  einzigen  Anhaltspunkt 
bildete  bei  dem  berühmten  Stein  von  Rosette  der  Umstand,  dass 
sich  unter  dem  unbekannten  Text  seine  Uebersetzung  in  griechischer 
Sprache  befand.  Hierdurch  war  unmittelbar  die  Annahme  nahe  ge- 
legt, dass  gewisse  durch  eine  Einrahmung  ausgezeichnete  Gruppen 
hieroglyphischer  Schriftzeichen  den  im  griechischen  Text  enthaltenen 
Namen  entsprächen.  Die  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  bestätigte 
diese  Vermuthung,  an  die  sich  nun  die  fernere  Hypothese  anschloss, 
dass  die  Hieroglyphen  als  Lautzeichen  anzusehen  seien.  Weitere 
Inschriften  wurden  zur  Vergleichung  herbeigezogen;  historische  Be- 


^  sind  aber  die  Ausdrücke  individuell  und  generisch  nicht  in  dem  früher 
^'ingeföhrten  allgemeineren  logischen  Sinne  gebraucht  (vgl.  Bd.  II,  1,  S.  342). 


312  Logik  der  Gteschichtswissenschaften. 

Ziehungen  Hessen  in  gewissen  ebenfalls  ausgezeichneten  Gruppen 
andere  bekannte  Namen  vermuthen,  durch  deren  Zerlegung  sich  die 
Zahl  der  bekannten  Lautzeichen  vermehrte.  Die  Bestätigung  der 
Annahmen  wurde  endlich  dadurch  bewirkt,  dass  man  die  einzelnen 
Namen,  wie  z.  B.  Ptolemaios  und  Eleopatra,  in  Bezug  auf  ihre 
übereinstimmenden  und  nicht  übereinstimmenden  Buchstaben  verglich. 
Da  diese  Vergleichung  nicht  immer  das  erwartete  Zeichen  ergab,  so 
wurde  man  zu  der  weiteren  Annahme  mehrfacher  Symbole  für  den 
nämlichen  Laut  gezwungen.  Wäre  eine  unverhältnissmässig  häufige 
Anwendung  dieser  Hülfshypothese  erforderlich  gewesen,  so  hätte 
dies  sicherlich  die  ursprüngliche  Voraussetzung  in  Frage  gestellt. 
Innerhalb  der  Grenzen,  in  denen  sie  gebraucht  wurde,  erweiterte  sie 
nur  die  Kenntniss  des  Schriftsystems,  durch  dessen  Analyse  man 
hier  allmählich  unter  Zuhülfenahme  bereits  bekannter  verwandter 
Idiome  in  die  Grammatik  der  altägyptischen  Sprache  eindrang"^). 

Weit  mehr  tritt  das  hypothetische  Element  zurück  bei  Litera- 
turerzeugnissen,  die  einer  wohlbekannten  Sprache  angehören;  auch 
entspricht  hier  gerade  die  grammatische  Interpretation  am  meisten 
einer  Deduction  aus  allgemeinen  Regeln,  die  durch  zahlreiche 
vorangegangene  Inductionen  festgestellt  sind.  Dennoch  lässt  selbst 
die  grammatische  Regel  dem  historischen  und  individuellen  Sprach- 
gebrauch noch  einen  weiten  Spielraum,  so  dass  sie  in  Bezug  auf 
Allgemeingültigkeit  mit  den  Principien  der  physikalischen  Deduction 
nicht  auf  gleiche  Linie  gestellt  werden  kann.  Gerade  da,  wo  das 
sprachliche  Verständniss  an  sich  keine  Schwierigkeit  bietet,  liegt 
nun  aber  in  der  Würdigung  der  historischen  und  psychologischen 
Momente  der  Schwerpunkt  der  Interpretation,  und  für  dieses  Gebiet 
wird  stets  vermöge  des  singulären  Charakters  der  Thatsachen  eine 
Generalisation  unmöglich  sein.  Dabei  können  jedoch  die  Thatsachen« 
die  statt  allgemeiner  Regeln  der  hermeneutischen  Deduction  zu 
Grunde  liegen,  bald  von  der  umfassendsten,  bald  von  der  beschränk- 
testen Art  sein.  So  setzt  Dantes  Divina  Commedia  zu  ihrem  Ver- 
ständniss nicht  nur  eine  Menge  historischer  Beziehungen  aus  der 
Zeitgeschichte  und  dem  Leben  des  Dichters,  sondern  auch  eine  ein- 


*)  Vgl.  die  Literaturgeschichte  dieser  Entdeckung  bei  Gurt  Wachs- 
muth,  Einleitung  in  das  Studium  der  alten  Greschichte,  1895,  S.  851  ff.  Analog 
diesem  Beispiel  die  Interpretation  der  Keilinschriften  von  Persepolis,  för  die 
das  Verfahren  von  dem  ersten  Entzifferer  6.  F.  Grotefend  in  Heerens  Ideen 
über  die  Politik,  den  Verkehr  u.  s.  w.,  Bd.  I  (3.  Aufl.  S.  563  ff.)  geschildert 
worden  ist.    Vgl.  auch  Gott.  Gel.  Anz.  1893,  Nr.  14. 


Philologische  Kritik.  313 

gehende  Kenntniss  der  mittelalterlichen  Theologie  und  Philosophie 
Yorans.  In  andern  Fällen  dagegen  kann  irgend  ein  isolirtes  histo* 
risches  Factum  zu  einem  dichterischen  Bild  oder  einer  Anspielung 
Anlass  geben.  So  legt  Sophokles  im  Oedipus  auf  Kolonos  der 
Antigene  einige  Worte  in  den  Mund,  in  denen  eine  Beziehung  auf 
einen  Streit  des  Dichters  mit  dem  eigenen  Sohne  nicht  zu  verkennen 
ist,  sobald  man  nur  weiss,  dass  ein  solcher  Streit  uro  dieselbe  Zeit 
sich  ereignet  hat.  In  der  Unterredung  Hamlets  mit  Rosenkranz  und 
Güldenstem  würde  man  in  der  Erwähnung  dramatischer  Kindervor- 
stellungen, die  das  ernsthafte  Schauspiel  in  der  Gunst  des  Publicums 
beeinträchtigten,  sofort  die  Anspielung  auf  ein  Zeitereigniss  ver- 
muthen,  auch  wenn  das  Factum  nicht  ausdrücklich  bezeugt  wäre. 
Gerade  diese  Beispiele,  wo  aus  einer  einzigen  Thatsache  eine  Stelle 
interpretirt  werden  kann,  zeigen  zugleich  deutlich,  dass  hierbei  trotz- 
dem wegen  der  vereinzelten  Beschaffenheit  der  erklärenden  wie  der 
erklärten  Thatsache  der  Analogieschluss  eine  Sicherheit  erreichen 
kann,  durch  die  er  sich  der  exacten  Analogie  nähert.  Darum  pflegen 
auch,  abgesehen  von  den  rein  hypothetischen  Erklärungen,  diejenigen 
hermeneutischen  Inductionen  die  unsichersten  zu  sein,  deren  Resultat 
einen  allgemeineren  Charakter  besitzt,  und  die  daher  zahlreicher 
Voraussetzungen  bedürfen.  Ueber  die  Deutung  des  Ooethe'schen 
Faust  im  ganzen  ist  bekanntlich  viel  gestritten  worden,  während  die 
zahlreichen  Anspielungen,  die  an  einzelnen  Stellen  vorkommen,  dem- 
jenigen der  die  historischen  Beziehungen  kennt  nicht  zweifelhaft 
sein  können*). 

c.    Die  philologische  Kritik. 

Die  nächste  Aufgabe  der  philologischen  Kritik  bezieht  sich  auf 
die  Frage  der  Echtheit  geistiger  Erzeugnisse.  Da  die  Philo- 
logie als  die  allgemeine  Wissenschaft  der  ßeisteserzeugnisse  vor 
allem  den  Thatbestand  derselben  festzustellen  hat,  so  ist  diese 
äussere  Kritik  eine  specifisch  philologische  Aufgabe.  Sobald  die 
innere  Kritik  beginnt,  tritt  das  untersuchte  Object  zugleich  in  den 


*)  Ueber  philologische  Interpretation  und  Kritik  im  allgemeinen  sowie 
aber  die  einzelnen  Formen  derselben  vgl.  Schleiermacher,  Werke  zur 
PbÜM.111,  8.344  ff.  und  387  ff.  Boeckh,  Encyklopädie  und  Methodologie  der 
pbilol.  Wissensch.,  8.  79  if.  F.  Blas s  in  Müllers  Handbuch  der  klassischen  Alter- 
Ümmawigsensch.  I,  S.  14,  150  ff.  H.  Paul,  Grundriss  der  gei-manischen  Philologie, 
8.  152 ff.    F.  Bücheier,  Philologische  Kritik.    1878. 


314  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Gesichtskreis  der  speciellen  Wissenschaft  dem  es  zugehört,  der  Ge- 
schichte, wenn  es  ein  historisches  Factum,  der  Aesthetik,  wenn  es 
eine  Schöpfung  der  Kunst,  der  Jurisprudenz,  wenn  es  eine  Rechts- 
norm ist,  u.  s.  w.  Trotzdem  ist  nicht  bloss  die  äussere  Kritik  eine 
philologische  Aufgabe;  schon  deshalb  nicht,  weil  sie  sich  gar  nicht 
von  der  innern  trennen  lässt,  indem  aus  dieser  nicht  selten  die  ent- 
scheidenden Gesichtspunkte  fQr  die  Beurtheilung  der  Echtheit  ge- 
wonnen werden  müssen.  Uebrigens  hängt  es  von  der  historischen 
Stellung  der  Objecte  ab,  in  welchem  Masse  die  äussere  Kritik  über- 
haupt an  ihrer  Beurtheilung  theilnimmt.  So  unerlässlich  sie  bei 
einem  Sophokles  oder  Plato  ist,  so  geringfügig  wird  im  all- 
gemeinen im  Verhältniss  zur  innern  Kritik  ihre  Aufgabe  bei  einem 
Goethe  oder  Kant;  daher  der  philologische  Betrieb  moderner 
Autoren  bekanntlich  leicht  ins  Kleiubche  ausartet. 

Die  Elemente  der  philologischen  Kritik  sind,  wie  diejenigen 
der  Interpretation,  theils  historische,  theils  psychologische  That- 
sachen;  ebenso  beruhen  ihre  Methoden  auf  dem  nämlichen  verglei- 
chenden Verfahren.  Die  äussere  Kritik  verwerthet  unter  den  histo- 
tischen  Merkmalen  vorzugsweise  die  grammatischen,  unter  den 
psychologischen  die  subjectiven;  die  innere  Kritik  berücksichtigt  in 
höherem  Masse  die  geschichtliche  Stellung  und  den  objectiven  psycho- 
logischen Zweck  eines  Erzeugnisses.  Dem  entsprechend  benützt  die 
äussere  Kritik  hauptsächlich  die  individuelle,  die  innere  die  gene- 
rische  Methode  der  Vergleichung.  Der  wesentliche  unterschied  der 
kritischen  von  der  hermeneutischen  Aufgabe  liegt  aber  in  allen 
diesen  Fällen  nicht  in  dem  logischen  Verfahren  selbst,  sondern  in 
den  Gesichtspunkten,  die  aus  den  oben  bezeichneten  Problemen 
der  Kritik  entspringen,  und  nach  denen  die  Methoden  und  That- 
sachen  Verwendung  finden.  Sie  bedingen  es,  dass  dann  auch  die 
Thatsachen  in  Bezug  auf  ganz  andere  Bestandtheile  der  Prüfung 
unterworfen  werden,  als  bei  der  Interpretation.  Der  allgemeine 
Charakter  jener  Gesichtspunkte  bleibt  zugleich  der  nämliche,  ob  es 
sich  um  die  Echtheit  eines  umfassenden  Schriftwerks  oder  eines 
einzelnen  Wortes  handelt,  ob  die  Composition  eines  ganzen  Dramas 
oder  die  Angemessenheit  eines  einzigen  Verses  an  die  Situation  der 
Handlung  in  Frage  steht.  Nur  der  Umfang  der  Hülfsmittel ,  die 
zur  Benützung  herbeizuziehen  sind,  erweitert  sich  mit  der  Allgemein- 
heit der  Aufgaben. 

Die  äussere  Kritik  geht  stets  von  bestimmten  Voraus- 
setzungen aus,  in  denen  sich  die  für  die  Prüfung  der  Echtheit  eines 


Philologische  Kritik.  315 

Erzeugnisses  massgebenden  Gesichtspunkte  specialisiren.  Diese  Vor- 
aussetzungen sind  noth wendig  mehr  oder  weniger  hypothetisch,  da 
gerade  auf  der  Unsicherheit  der  Annahmen  die  Möglichkeit  der 
kritischen  Fragestellung  beruht.  Bei  der  nicht  selten  vorkommenden 
Frage  z.  B.,  ob  ein  bestimmtes  Schriftwerk  von  dem  Autor  her- 
rflhre,  dem  es  die  Tradition  zuschreibt,  wird  die  Annahme  der  Richtig- 
keit der  Tradition  die  nächste  Voraussetzung  sein.  Aber  einzelne 
Merkmale  erwecken  Zweifel,  und  nun  hat  die  Untersuchung  im  ein- 
zelnen festzustellen,  ob  Compositionsweise ,  Sprache,  vorgetragene 
Ansichten  mit  den  anderweitig  beglaubigten  Werken  des  Autors 
übereinstimmen,  und  ob  die  äusseren  Zeugnisse,  die  Berichte  und 
Citationen  anderer  Schriftsteller  die  Annahme  unterstützen.  So 
handelt  es  sich  um  eine  Sammlung  übereinstimmender  und  unter- 
scheidender Instanzen,  auf  die  zuletzt  der  Schluss  gegründet  werden 
muss.  Dabei  kann  dieser  noch  durch  den  Umstand  erschwert  werden, 
dass  die  Möglichkeit  einer  Zusammensetzung  aus  echten  und  un- 
echten Theilen  in  Betracht  zu  ziehen  ist.  So  hat  man  allen  Grund, 
die  , Gesetze*^  für  eine  echte  Platonische  Schrift  zu  halten.  Aber 
manche  Spuren  weisen  darauf  hin,  und  die  Ueberlieferung  bestätigt 
es,  dass  sie  von  einem  Schüler  des  Philosophen  überarbeitet  ist. 
In  solchen  Fällen  entsteht  die  schwierige  Aufgabe,  echte  und  un- 
echte Bestandtheile  zu  sondern.  Auch  in  der  Benützung  überein- 
stimmender und  unterscheidender  Instanzen  muss  jedoch  mit  vor- 
sichtiger Erwägung  aller  andern  historischen  und  psychologischen 
Momente  verfahren  werden.  Einzelne  Abweichungen  von  dem  ge- 
wohnten Sprachgebrauch  oder  von  den  sonst  bekannten  Ansichten 
eines  Schriftstellers  beweisen  ebenso  wenig  unbedingt  die  Unechtheit 
wie  umgekehrt  Uebereinstimmungen  die  Echtheit  eines  Werkes.  Bei 
einigen  dem  Plato  zugeschriebenen  Dialogen  z.  B.  bildet  gerade 
die  auffallende  Uebereinstimmung  vieler  Stellen  mit  bekannten  Pla- 
tonischen Schriften  einen  entscheidenden  Grund  gegen  die  Echt- 
heit, da  man  nach  dem  ganzen  Charakter  des  Philosophen  nicht  an- 
nehmen kann,  dass  er  sich  selbst  compilirt  habe.  In  solchen  Fällen, 
wo  durch  absichtliche  Unterschiebung  die  kritische  Frage  erschwert 
wird,  können  dann  unter  Umständen  die  äusseren  Zeugnisse  einen 
weit  höheren  Werth  gewinnen  als  die  inneren.  So  bilden  die  Cita- 
tionen bei  Aristoteles  im  allgemeinen  die  sicherste  Gewähr  für 
die  Echtheit  Platonischer  Werke. 

Von   etwas   anderem  Charakter  ist  die  Einzelkritik,    die   über 
die  Echtheit  oder  Unechtheit  nicht   eines  Erzeugnisses   im   ganzen, 


31(5  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

sondern  eines  einzelnen  Bestandtheils ,  z.  B.  eines  Wortes  in  einem 
Schriftwerk,  zu  entscheiden  hat.  Die  kritische  Frage  kann  hier 
durch  zwei  Ursachen  in  Fluss  kommen.  Erstens  können  Wider- 
sprüche der  Ueberlieferung  vorliegen,  verschiedene  Lesarten 
der  Handschriften  und  Ausgaben,  unter  denen  natürlich  bei  Schrift- 
werken, die  längere  Zeit  bloss  handschriftlich  vervielfältigt  wurden, 
die  ersteren  den  Vorrang  behaupten.  Hier  besteht  nun  die  kritische 
Prüfung  stets  in  einem  doppelten  Vergleichungsverfahren:  in  einem 
generischen,  das  sich  auf  den  allgemeinen  Charakter  und  die  hier- 
durch verbürgte  relative  Glaubwürdigkeit  der  Handschriften  und 
Ausgaben  bezieht,  und  in  einem  individuellen,  das  die  specielle  Glaub- 
würdigkeit im  Auge  hat,  die  der  betreffenden  Stelle  in  der  einzelnen 
Tradition  zukommt.  Die  Möglichkeit  der  Einschleichung  eines 
Schreibfehlers ,  eines  inhaltlichen  Missverständnisses ,  der  Ueber- 
tragung  eines  Glossems  in  den  Text,  namentlich  aber  die  durch 
die  Lesart  entstehenden  Schwierigkeiten  der  Interpretation  sind  hier 
die  Hauptmomente  der  Beurtheilung.  Der  zuletzt  erwähnte  Punkt 
führt  zugleich  zu  der  zweiten  Ursache,  aus  der,  ganz  abgesehen 
von  etwaigen  Widersprüchen  der  Ueberlieferung,  eine  kritische  Frage 
entspringen  kann:  sie  liegt  in  der  Entstehung  eines  herme- 
neutischen  Problems.  Ein  solches  ist  immer  dann  vorhanden, 
wenn  eine  Lesart  entweder  überhaupt  unverständlich  ist,  oder  einen 
Sinn  gibt,  der  dem  sonstigen  Gedankenzusammenhang  widerspricht, 
oder  aus  irgend  welchen  objectiven  oder  subjectiven  Gründen  der 
Wahrscheinlichkeit  entbehrt,  z.  B.  dem-  Sprachgebrauch  der  Zeit, 
des  Schriftstellers  widerstreitet,  u.  dergl.  Stehen  bei  der  Aufwerfung 
eines  derartigen  hermeneutischen  Problems  nicht  andere  Lesarten  zu 
Gebote,  durch  die  dasselbe  befriedigend  gelöst  wird,  so  beginnt  nun 
eine  Art  von  experimentellem  Verfahren,  indem  Conjecturen,  hypo- 
thetische Berichtigungsversuche,  gebildet  werden,  die  man  so  lange 
prüft,  bis  sich  unter  ihnen  eine  findet,  die  mit  zureichender  Wahr- 
scheinlichkeit der  unbrauchbaren  Lesart  substituirt  werden  kann. 
Dabei  kommen  für  die  Richtigkeit  der  Conjectur  wieder  zweierlei 
Kriterien  in  Betracht:  einerseits  die  Beseitigung  des  hermeneutischen 
Widerspruchs  und  anderseits  die  Möglichkeit  einer  causalen  Inter- 
pretation der  Entstehung  der  falschen  Lesart  an  Stelle  der  richtigen. 
In  letzterer  Beziehung  können  alle  diejenigen  historischen  und 
psychologischen  Momente  herbeigezogen  werden,  die  überhaupt  der 
Kritik  zur  Verfügung  stehen.  Insbesondere  aber  kommen  hier  einige 
specifische  Erklärungsgründe   psychologischer  Art  zur  Geltung,    die 


Phüologiache  Kritik.  317 

auf  die  Art  der  Entstehung  der  Handschriften  und  Ausgaben  Rück- 
sicht nehmen,  z.  B.  durch  Abschreiber,  welche  die  Sprache  mangel- 
haft verstanden,  durch  Dictiren,  welches  die  Verwechslung  ähnlich 
lautender  Worte  begünstigt,  u.  dergl.  Aus  unzähligen  Einzelunter- 
sachungen  solcher  Art  setzt  sich  schliesslich  die  grösste  Leistung 
äusserer  philologischer  Kritik  zusammen :  die  Wiederherstellung  eines 
Schriftwerks,  das  uns  unmittelbar  nur  in  einer  grösseren  Zahl  mangel- 
hafter und  verderbter  üeberlieferungen  vorliegt,  in  einem  dem  ur- 
sprünglichen möglichst  angenäherten  Zustande.  Die  logische  Arbeit, 
die  dieses  Resultat  zu  Stande  bringt,  besteht  theils  aus  einer  Anzahl 
von  Einzelinductionen,  die  in  einer  Aufzählung  einzelner  Data  ihren 
Abschluss  finden,  und  an  die  sich  dann  die  deductive  Anwendung  auf 
den  besonderen  Fall  anschliesst,  theils  unmittelbar  in  der  Deduction 
aus  hypothetischen  Voraussetzungen  und  in  der  Annahme  dieser,  nach- 
dem sie  sich  durch  die  Anwendung  bewährt  haben.  Der  erste  Fall, 
die  zusammengesetzte  Induction,  findet  z.  B.  dann  statt,  wenn  man 
die  Lesart  einer  bestimmten  Handschrift  wegen  ihrer  durchgehends 
grösseren  Glaubwürdigkeit  vor  andern  bevorzugt;  der  zweite  Fall, 
die  hypothetische  Deduction  und  Verification,  entspricht  dem  ge- 
wöhnlichen Verfahren  der  Conjecturalkritik. 

Die    innere  Kritik   unterscheidet  sich,    entsprechend  ihrer 
abweichenden  Aufgabe,   schon  in   ihrem  Ausgangspunkt  wesentlich 
von  der  äusseren.     Die  inhaltliche  Wüi:digung  eines  Geisteserzeug- 
nisses kann   nur  auf  Grund   einer  genauen  Einsicht  in  die  Zwecke 
desselben   unternommen   werden.     Diese  sind   aber  wieder  von  ob- 
jectiver  und  von  subjectiver  Art.     Der  objective  Zweck  bezieht  sich 
auf  die  Norm,  der  eine  geistige  Schöpfung  vermöge  der  Gattung  zu 
der  sie  gehört  unterworfen  ist.     So  folgen   Rede,    Drama,   Epos, 
wissenschaftliche   Darstellung    bestimmten   allgemeingültigen,    wenn 
auch  unter  historischen  Bedingungen   einigermassen  veränderlichen 
Normen.    Hier  waltet  die  Methode  der  generischen  Vergleichung  vor. 
Sie  vermittelt   zunächst  eine   Induction,    die    in   einer  allgemeinen 
Regel  oder  in  einer  Aufzählung  mustergültiger  Beispiele  ihren  Ab- 
schluss  findet,    und   von   welcher   aus   danu   auf  den  einzelnen  der 
Kritik   unterworfenen   Fall    exemplificirt  wird.     Neben   diesem  ob- 
jectiven   kann  aber  auch   ein   subjectiver  Zweck,   nämlich  die  indi- 
viduelle  Absicht    die    der   Urheber    eines   Erzeugnisses    im    Auge 
hatte,  bei   der  philologischen   Beurtheilung   in  Frage  kommen.     So 
kann  dem  epischen  Dichter  ein  bestimmter  nationaler  Zweck,   dem 
Dramatiker   eine   ethische  Anschauung,   dem  Redner  eine  politische 


318  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Tendenz  vorschweben,  und  die  Kritik  hat  nun  zu  untersuchen, 
ob  diese  besonderen  Zwecke  mit  angemessenen  Mitteln  erreicht 
worden  sind.  Hier  ist  die  Methode  der  individuellen  Vergleichung 
vorherrschend.  Zunächst  sucht  man  aus  einzelnen  Merkmalen  die 
obwaltende  Tendenz  zu  erschliessen ;  dann  wird  diese  theils  an  und 
für  sich  in  Bezug  auf  ihre  Berechtigung  beurtheilt,  theils  aber  wird 
untersucht,  ob  das  Erzeugniss  als  Ganzes  und  in  seinen  einzelnen 
Bestandtheilen  im  Stande  ist  die  gewünschte  Wirkung  hervorzu- 
bringen. Beide  Untersuchungen,  die  objective  wie  die  subjective. 
sind  mit  psychologischen  Deductionen  verwebt.  Diese  werden  um 
so  vorwaltender,  je  individueller  das  der  Kritik  unterworfene  Werk 
ist,  und  je  mehr  man  von  den  ursprünglichen  Entstehungsbedingungen 
desselben  Rechenschaft  zu  geben  sucht.  Hier  kann  es  daher  ge- 
schehen, dass  die  Kritik,  auf  die  generische  Vergleichung  Verzicht 
leistend,  vollständig  in  der  psychologischen  Deduction  aufgeht,  indem 
sie  entweder  die  allgemeinen  Gesetze  über  die  betreffende  Gattung 
als  bekannt  voraussetzt  oder  ganz  von  ihnen  abstrahirt,  um  den  indi- 
viduellen Gegenstand  nur  nach  den  in  ihm  selbst  gelegenen  Eigen- 
schaften und  nach  den  allgemeinen  Gesetzen  des  menschlichen 
Denkens  und  Fühlens  zu  beurtheilen.  Da  es  namentlich  ästhetische 
Objecte  sind,  die  eine  solche  allgemeine  Beurtheilung  zulassen,  so 
pflegen  diese  überhaupt  von  der  philologischen  Forschung  vor  an- 
deren bevorzugt  zu  werden. 


2.    Die  Geschichte. 

a.    Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtsforschung, 

Der  Ausdruck  „Geschichte"  in  seiner  Anwendung  auf  die  mit 
diesem  Namen  genannte  Geisteswissenschaft  ist  das  Erzeugniss  einer 
doppelten,  für  die  Stellung  dieser  Wissenschaft  zu  anderen  Gebieten 
wie  zu  ihrem  eigenen  Gegenstande  bedeutsamen  Begriffsentwicklung. 
Aus  der  Gesammtsumme  des  Geschehenen  greift  die  „Geschichte**  die 
Erlebnisse  der  menschlichen  Gemeinschaft  als  den  für  uns  werthvoUsten 
Bestandtheil  heraus;  und  der  Begriff  „Weltgeschichte",  der  im  Sinne 
dieser  Verallgemeinerung  an  die  Stelle  des  engeren  einer  Menschheits- 
geschichte getreten  ist,  weist  zugleich  darauf  hin,  dass  die  Mensch- 
heit nicht  bloss  der  uns  wichtigste  und  interessanteste,  sondern  dass 
sie   auch   derjenige   Theil   der  Welt   ist,    in   dem   alle   wesentlichen 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtsforschung.  319 

Inhalte  des  Geschehens,  selbst  des  Naturgeschehens,  zusammenfliessen. 
Darum  kann  die  Geschichte  der  Natur  als  ein  in  sich  abgeschlossener 
Verlauf,  ohne  Rücksicht  auf  die  Schicksale  des  Menschen,  unter- 
sucht werden.  Die  Menschheitsgeschichte  dagegen  setzt  die  Natur- 
bedingungen voraus.  Indem  sich  so  in  ihr  alle  uns  erkennbaren 
Factoren  des  Geschehens  verbinden,  ist  sie  eben  im  eigentlichen  und 
bevorzugten  Sinne  des  Wortes  Geschichte.  Weiterhin  aber  be- 
zeichnet dieser  Ausdruck  ursprünglich  den  Geg^enstand  der  histori- 
schen Wissenschaft,  den  Zusammenhang  der  geschehenen  Ereignisse 
selber.  Erst  vermöge  einer  zweiten  Begriffsübertragung  ist  er  auf 
die  Darstellung  und  endlich  sogar  auf  die  Untersuchung  dieses 
Zusammenhangs  übergegangen.  Durch  diese  üebertragung  werden 
beide,  der  Gegenstand  und  seine  wissenschaftliche  Bearbeitung,  in 
eise  so  enge  Verbindung  gebracht,  wie  sie  auf  keinem  andern  Ge- 
biete wiederkehrt.  Nie  würden  wir  uns  z.  B.  entschliessen,  für  die 
Natur  und  die  Naturforschung  denselben  Namen  zu  wählen.  Hier 
begleitet  uns  allzu  deutlich  das  Bewusstsein,  dass  das  Object  und 
seine  wissenschaftliche  Behandlung  völlig  verschieden  sind.  Nun 
bleibt  solche  Verschiedenheit  freilich  auch  bei  der  Geschichte  be- 
stehen. Gleichwohl  deutet  jene  Einheit  des  Ausdrucks  von  vorn- 
herein an,  dass  hier  mehr  als  anderwärts  die  Aufgabe  der  Wissen- 
schaft nur  in  der  Aufzeigung  der  Begebenheiten  selbst  bestehe. 
Das  hat  Ranke  ausgesprochen,  wenn  er  als  die  einzige  Aufgabe  des 
Historikers  die  gelten  lassen  wollte,  zu  zeigen,  „wie  die  Dinge  waren, 
und  wie  Alles  gekommen  ist** ;  und  energischer  lässt  sich  das  Gefühl 
der  Einheit  des  Gegenstandes  und  seiner  Betrachtung  nicht  aus- 
drücken als  in  dem  Wunsche  des  gleichen  Historikers,  er  möchte 
am  Uebsten  „sein  eigenes  Selbst  auslöschen*^,  um  sich  ganz  in  die 
Wirklichkeit  der  Ereignisse  zu  versenken.  Hierin  eben  trägt  die 
Geschichte  in  besonderem  Grade  das  allgemeine  Merkmal  der  Geistes- 
wissenschaften an  sich,  dass  die  unmittelbare  Wirklichkeit  der  Er- 
eignisse das  einzige  Object  ihrer  Untersuchung  ist,  und  dass  sie 
daher  ihre  Aufgabe  gelöst  hat,  wenn  es  ihr  gelingt,  die  wirklichen 
Begebenheiten  so  treu  wie  möglich  in  ihrem  Zusammenhang  zu 
erkennen.     (Vgl.  Cap.  I,  S.  14  ff.  und  Cap.  U,  S.  259  ff.) 

Die  Lösung  dieser  Aufgabe  vollzieht  sich  nun  naturgemäss  in 
verschiedenen  Stufen.  Zuerst  handelt  es  sich  darum  festzustellen 
,wie  die  Dinge  waren'*,  dann  zu  zeigen  »wie  Alles  gekommen  ist". 
Die  drei  Grundfunctionen  des  Urtheils  wiederholen  sich  also  auch 
bier:  zuerst  erzählen  und  beschreiben,  dann  erklären  (Bd.  I,  S.  183  ff.). 


320  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Da  aber  bei  den  Objecten  der  Geschichte  die  Thatsachen  und  ihre 
zeitliche  Ordnung  an  und  für  sich  schon  ein  Interesse  besitzen  und 
auf  einer  naiven  Erkenntnissstufe  dasselbe  beinahe  ausschliesslich  in 
Anspruch  nehmen,  so  sind  die  erzählende  und  die  erklärende 
oder  entwickelnde  Darstellung  nicht  bloss  fortan  auf  einander 
folgende  Stadien  der  geschichtlichen  Forschung,  sondern  sie  sind  im 
allgemeinen  zugleich  Stufen  in  der  Entwicklung  der  Geschichts- 
wissenschaft. Dabei  schiebt  sich  aber  zwischen  beide  als  eine  Art 
Yon  Uebergangsform  eine  Betrachtungsweise  ein,  die  sich  zwar  mit 
der  blossen  Kenntniss  der  Thatsachen  nicht  mehr  begnügt,  der  es 
aber  nicht  sowohl  um  das  Verständniss  derselben  als  vielmehr  um 
ihre  Verwerthung  zu  intellectuellen  Zwecken,  die  ausserhalb  der 
geschichtlichen  Vorgänge  selber  liegen,  zu  thun  ist.  Diese  Art  der 
Geschichtsbetrachtung,  die  man  mit  einer  eigenthümlichen  Umdeutung 
des  Wortes  die  „pragmatische**  zu  nennen  pflegt,  verfolgt  zumeist 
entweder  moralische  oder  politische  Zwecke,  wenn  nicht  beide  zu- 
gleich*). Dabei  ist  der  Standpunkt  in  diesen  Fällen  wieder  insofern 
ein  verschiedener,  als  der  moralisirende  Pragmatiker  die  historischen 
Thatsachen  nach  bestimmten  ethischen  Normen  beurtheilt,  der  poUti- 
sirende  dagegen  von  ihnen  politische  Nutzanwendungen  zu  machen 
sucht  —  ein  Yerhältniss  bei  dem  beide  nicht  selten  auch  die  Rollen 
tauschen,  indem  der  erste  aus  der  Geschichte  moralische  Lehren 
ableitet,  der  zweite  die  Begebenheiten  vom  Standpunkt  einer  pohti- 
schen  Ueberzeugung  aus  beurtheilt.  In  diesem  der  so  genannten 
pragmatischen  Historie  überall  eigenen  Schwanken  zwischen  Aus- 
legung und  Beurtheilung,  namentlich  aber  darin,  dass  bestimmte  im 
voraus  gebildete  Zweckbegriffe  an  die  Thatsachen  herangebracht 
werden,  verräth  sich  die  Verwandtschaft  dieses  Standpunktes  mit 
dem  der  teleologischen  Naturbetrachtung,  dem  er  in  Wahr- 
heit logisch  wie  entwicklungsgeschichtlich  entspricht.  Wie  die  teleo- 
logische die  causale  Naturerklärung  vorbereitet,  so  die  moralische 
und  namentlich  die  politische  Geschichtsauffassung  die  genetische. 
Auch  hier  geht  nämlich  die  Zweckbetrachtung  schon  insofern  über 
die  rein  erzählende  Stufe  hinaus,  als  sie  naturnothwendig  auf  die 
Motive  der  Handlungen  ihre  Aufmerksamkeit  richtet.  Diese  Motive 
gehören  aber  mit  zu  den  Erklärungsgründen  des  wirklichen  Ge- 
schehens, wenn  sie  auch  nicht  die  einzigen  sind.   Und  da  die  Motive 

*)  Ueber  die  erwähnte  Umdeutung  des  Begriffs  der  pragmatischen  Ge- 
schichte vgl.  unten  S.  347.  Ueber  die  geschichtliche  Entwicklung  der  drei  Stufen 
überhaupt  Bernheim,  Lehrb.  der  histor.  Methode.    2.  Aufl.  1894,  S.  13  ff. 


N 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtsforschung.  321 

ihrerseits  Zweckvorstellungen  enthalten,  die  als  Willenskräfte  wirk- 
sam werden,  so  besteht  in  diesem  Fall  der  zu  einer  objectiv  erklä- 
renden Geschichtsforschung  erforderliche  Schritt  nur  noch  darin,  dass 
an  die  Stelle  einer  Beurtheilung  nach  irgend  einem  den  Dingen  selbst 
transcendenten  Zweck  eine  immanente  Zweckerklärung  trete,  die 
den  ungeheuren  Wandlungen,  denen  der  zwecksetzende  menschliche 
Geist  im  Laufe  der  Geschichte  unterworfen  war,  und  der  grossen 
Mannigfaltigkeit  der  Zwecke,  die  vermöge  der  Vielgestaltigkeit 
menschlicher  Anlagen  und  äusserer  Bedingungen  möglich  sind,  gerecht 
zu  werden  sucht.  Jener  Zweckzusammenhang  alles  menschlichen 
Thuns,  der  auf  diese  Weise  stetig  die  pragmatische  in  die  genetische 
Geschichtsbehandlung  überführt,  macht  es  aber  auch  beinahe  unver- 
meidlich, dass  in  dieser  selbst  überall  noch  die  Spuren  der  voran- 
gegangenen Stufe  erhalten  bleiben.  Der  Wunsch  „sein  eigenes  Selbst 
auszulöschen''  bleibt  schliesslich  doch  unerfüllbar.  Die  eigene  Indi- 
vidualität kann  der  Historiker  so  wenig  verleugnen  wie  die  An- 
schauungen seiner  Zeit  und  Umgebung.  Unter  Einwirkungen  solcher 
Art  steht  naturgemäss  jede  wissenschaftliche  Forschung.  Wenn  die- 
selben in  der  Geschichte  besonders  fühlbar  werden,  so  entspringt  dies 
daraus,  dass  die  geistigen  Kräfte,  die  das  historische  Geschehen  be- 
stinmien,  und  diejenigen,  die  bei  dessen  Auffassung  wirksam  sind, 
theilweise  zusammenfallen,  so  dass  hier  mehr  als  anderwärts  die 
Auffassung  des  Gegenstandes  den  Gegenstand  selbst  zu  verändern 
scheint. 

Auch  innerhalb  der  genetischen  Behandlung  wirkt  übrigens 
jener  pragmatische  Standpunkt  darin  nach,  dass  auch  die  politische 
Geschichte  zunächst  als  der  wesentlichste  Inhalt  der  Geschichte  über- 
haupt gilt,  während  die  mannigfachen  geschichtlichen  Wandlungen 
materieller  und  geistiger  Cultur  nur  insoweit  in  Betracht  kommen,  als 
sie  auf  das  staatliche  Leben  der  Völker  einen  massgebenden  Eünfluss 
ausgeübt  haben  oder  mit  ihm  in  deutlich  nachweisbarer  Wechsel- 
wirkung stehen.  Neben  dieser  vorherrschenden  Richtung  ist  jedoch 
seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  allmählich  eine  zweite  zur 
Geltung  gelangt,  welche  auf  die  von  der  politischen  Geschichts- 
schreibung in  den  Hintergrund  gedrängten  Zustände  des  gesellschaft- 
lichen Lebens,  der  Rechtsordnung,  endlich  der  Litteratur  und  Kunst 
den  Hauptwerth  legt,  indem  sie  zumeist  zugleich  von  der  Anschauung 
ausgeht,  dass  diese  allgemeinen  Zustände  der  Cultur  ihrerseits  erst 
ein  tieferes  Verständniss  der  politischen  Begebenheiten  zu  eröffnen 
im  Stande  seien.   Indem  diese  culturgeschichtliche  Richtung  besonders 

Wnndt,  Logik,  n,  2.    S.  Aufl.  21 


322  Logik  der  Geschichte  Wissenschaften. 

in  ihren  Anfängen  vornehmlich  den  Begriff  der  «Gesittung*  betont, 
steht  sie  in  einem  analogen  Zusammenhang  mit  dem  moralischen 
wie  die  politische  Geschichtschreibung  mit  dem  politischen  Prag- 
matismus der  Torangegangenen  Zeit.  Dem  entsprechend  erweitert 
sie  den  in  der  politischen  Geschichte  herrschenden  national-politi- 
schen zu  einem  kosmopolitischen  Gesichtskreis,  mit  dem  an  und 
für  sich  die  Neigung  verbunden  zu  sein  pflegt,  allgemeingültige 
moralische  Massstäbe  an  die  Erscheinungen  anzulegen*).  Tritt  diese 
Neigung  zurück,  so  wird  dann  durch  das  Streben  nach  einer  geneti- 
schen Behandlung  der  Culturgeschichte  meist  zugleich  die  Tendenz 
nahe  gelegt,  irgend  einen  unter  den  empirisch  nachweisbaren 
Factoren  der  Cultur  zur  Grundlage  aller  geschichtlichen  Entwick- 
limg  zu  machen.  Auf  diese  Weise  ist  es  besonders  die  cultur- 
geschichtliche  Richtung,  die,  sobald  sie  über  die  in  manchen  älteren 
Versuchen  dieser  Art  obwaltende  Absicht  einer  die  politische  Ge- 
schichte ergänzenden  Stoffsammlung  hinausgeht,  von  Anfang  an  be- 
wusst  oder  unbewusst  einer  geschichtsphilosophischen  Behand- 
lung zuneigt**).  In  dieser  allgemeinen  philosophischen  Tendenz  sind 
Heerens  „Ideen  über  die  Politik,  den  Verkehr  und  den  Handel  der 
vornehmsten  Völker  der  alten  Welt*  ***)  das  wegweisende  Werk  för 
die  neuere  Culturgeschichtschreibung  geworden.  Die  in  ihm  durch- 
geführte Anschauung,  dass  die  geistigen  überall  mit  den  materiellen 
Factoren  der  Cultur  zusammenhängen,  und  dass  deshalb  die  Erkennt- 
niss  der  gesammten  Culturzustände  in  ihrer  successiven  Entwicklung 
der  wesentlichste  und  werthvollste  Inhalt  der  Geschichtsforschung 
überhaupt  sei,  hat  bis  in  die  neueste  Zeit  im  allgemeinen  die  Cultur- 
geschichte beherrscht,  und  ist  zugleich  die  Hauptursache  davon  ge- 


*)  Unter  neueren  Werken  vertritt  dieses  Zwischenstadium  zwischen  objectiver 
Culturgeschichte  und  moralischem  Pragmatismus  am  entschiedensten  G.  F.  Eolb. 
Culturgeschichte  der  Menschheit.     2  Bde.     1.  Aufl.  1843,  3.  Aufl.  1884. 

**)  Für  die  Anbahnung  der  culturgeschichtlichen  Forschung  verdienstvolle 
Stoffsammlungen  sind  vor  allem  die  Werke  von  Wachsmuth  (Europäische 
Sittengeschichte.  5  Bde.,  1831—39,  und  Allgemeine  Culturgeschichte.  3  Bde. 
1850—52)  und  Klemm  (Culturgeschichte.  10  Bde.,  1843 — 52),  von  denen  der 
erstere  vornehmlich  historische,  der  letztere  ethnologische  Vollständigkeit  er- 
strebt. Eine  allgemeine  Uebersicht  über  den  Inhalt  dieser  und  einiger  weiterer 
die  neuere  Culturgeschichtsforschung  vorbereitender  Werke  gibt  Fr.  Jodl  in 
seiner  Arbeit:  Die  Culturgeschichtschreibung,  ihre  Entwicklung  und  ihr  Pro- 
blem.    1878. 

***)  2.  Aufl.   1805,   3.  Aufl.   1815.      Vgl.   besonders  die  allgemeinen  Vor- 
erinnerungen zum  ersten  Theil. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Greschichtsforschung.  328 

wesen,  dass  heute  noch  vielfach  poliidsche  und  Culturgeschichte  nicht 
als  sich  ergänzende  sondern  als  sich  bekämpfende  Richtungen  ein- 
ander gegenüberstehen'*').  Je  mehr  sich  in  diesem  Kampf  der  Gegen- 
satz schärfte,  um  so  mehr  bildeten  sich  dann  aber  auch  innerhalb 
der  culturgeschichtlichen  Strömung  wieder  verschiedene  Richtungen 
anSf  die  theils  auf  der  einseitigen  Geltendmachung  einzelner  unter 
den  firüher  besprochenen  heuristischen  Principien  der  Geisteswissen- 
schaften beruhen  (Cap.  I,  S.  27  ff.),  theils  aber  mit  allgemeinen  philo- 
sophischen Weltanschauungen  zusammenhängen.  In  ersterer  Beziehung 
hat  entweder  das  Princip  des  Natureinflusses  oder  das  der  geistigen 
Umgebung  die  Culturgeschichte  beeinflusst,  während  sich  die  politische 
Historie  schon  vermöge  der  meist  subjectiv  gefärbten  Beschaffenheit 
ihrer  Quellen  mehr  dem  Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  zuneigte. 
In  philosophischer  Beziehung  sind  daher  theils  diese  durch  den  Gegen- 
stand selbst  nahe  gelegten  Gegensätze  universalistischer  und  indi- 
vidualistischer Auffassung  theils  die  aus  den  philosophischen  Systemen 
entnommenen  Anschauungen  für  die  Geschichtsauffassung  massgebend 
geworden.  Hierbei  musste  dann  wieder  naturgemäss  der  Individua- 
lismas  angesichts  der  Bedeutung,  die  der  einzelnen  Persönlichkeit  im 
politischen  Wirken  zukommt,  vorwiegend  die  politische  Geschichte 
beherrschen,  während  die  culturgeschichtliche  Forschung  durch  die 
allgemeine  Bedeutung  ihrer  Objecte  zu  einer  universellen  Auffassung 
gedrängt  wurde  und  zugleich  in  höherem  Masse  als  die  politische 
Geschichte  ein  für  den  Widerstreit  materialistischer  und  idealistischer 
Weltanschauungen  günstiges  Feld  darbot. 

Der  neueren  Geschichtschreibung  sind  diese  Gegensätze  vor- 
nehmlich durch  Thomas  Carlyle  zum  Bewusstsein  gebracht  worden. 
Ihm  ist  der  »Held**,  die  von  ihrer  Zeit  getragene  und  sie  wiederum 
bestimmende  Persönlichkeit,  das  hauptsächlichste  Object  historischer 
Betrachtung.  Auch  da,  wo  er  allgemeine  Ereignisse  schildert,  wie 
die  französische  Revolution,  pflegt  er  daher  zu  betonen,  wie  ein  ein- 
zelner persönlicher  Entschluss  anders  gefasst,  eine  einzige  Handlung 
gethan  oder  unterlassen  möglicher  Weise  dem  ganzen  Verlauf  der 
Qeschichte  einen  andern  Verlauf  hätte   geben  können**).     Die  vor- 


*)  Bezeichnend  för  dieses  Verhältniss  ist  die  zwischen  Dietrich  Schäfer 
and  Eber  h.  Gothein  geführte  Polemik.  Vgl.  Schaf  er,  Das  eigentliche 
Arbeitsgebiet  der  Geschichte,  1888,  und:  Geschichte  und  Culturgeschichte,  eine 
Erwiderung,  1891.     Gothein,  Die  Aufgaben  der  Culturgeschichte,  1889. 

**)  Vgl.  Th.  Carlyle,  Die  französische  Revolution,  deutsch  von  Feddersen. 
3  Aufl.  1894,   .3  Bde.    Freilich  verbindet  sich   damit  bei  Carlyle   zugleich  die 


324  Logik  der  Geschicbtswissenscbaften. 

herrschende  Richtung  der  neueren  politischen  Geschichtschreibung 
findet  jedoch  in  dem  gemässigten  Individualismus  Rankes  ihren 
classischen  Ausdruck.  Auch  Ranke  geht  mit  Vorliebe  der  Wirk- 
samkeit der  einzelnen,  besonders  der  für  die  politische  Entwicklung 
einflussreichen  Persönlichkeiten  nach.  Aber  er  sucht  diese  Wirk- 
samkeit zugleich  auf  Grund  der  gesammten  Cultur  der  Zeit  zu  be- 
greifen, wobei  er  unter  den  Factoren  der  Cultur  wieder  die  geistigen 
bevorzugt.  Auf  diese  Weise  ist  die  politische  Geschichtschreibung 
im  allgemeinen  von  einer  individualistischen  Auffassung  beherrscht, 
und  sie  steht  zugleich  in  ihrer  Weltanschauung  auf  dem  Standpunkte 
der  vorangegangenen  idealistischen  Philosophie.  Aber  sie  ist  von 
dieser  durchgehends  nur  in  ihrer  allgemeinen  Gedankenrichtung  be- 
einflusst,  und  sie  befindet  sich  daher,  wie  überhaupt  ausserhalb  des 
Streites  der  Systeme,  so  insbesondere  auch  ausserhalb  jener  Gegen- 
sätze materialistischer  und  idealistischer  Geschichtsbetrachtung,  die 
sich  inmitten  der  culturgeschichtlichen  Strömung  bekämpfen. 

Hier  hat  nun  zur  Entwicklung  der  neueren  materialistischen 
Geschichtsphilosophie  ohne  Zweifel  Auguste  Comte  einen  wichtigen 
Anstoss  gegeben,  wenn  auch  dessen  eigene  Lehre  schon  deshalb 
nicht  dem  Materialismus  zugerechnet  werden  kann,  weil  sein  posi- 
tives System  grundsätzlich  jede  Metaphysik  ablehnt.  Aber  indem 
er  einerseits  die  Sociologie,  die  bei  ihm  als  einen  wesentlichen 
Bestandtheil  auch  die  Geschichte  einschliesst,  unmittelbar  an  die 
Biologie  anlehnt  und  demgemäss  zwischen  den  naturwissenschaft- 
lichen und  sociologischen  Methoden  keinen  Unterschied  anerkennt, 
und  indem  er  anderseits  in  dem  Sieg  des  Verstandes  und  der  von 
ihm  geleiteten  Erfindungskraft  über  alle  andern  geistigen  Fähigkeiten 
die  Grundbedingung  der  Cultur  erblickt*),  führt  dieser  Standpunkt, 


Ueberzeugang  von  einer  providentiellen  Lenkung  der  Weltgeschichte,  die  jedes 
einzelne  Ereigniss  wieder  za  einem  nothwendigen  macht.  «Die  Weltgeschichte 
konnte  nicht  im  mindesten  das  sein,  was  sie  nach  irgend  einer  Möglichkeit 
gewesen  sein  würde  oder  möchte  oder  sollte,  sondern  durchaas  nur  das  was 
sie  ist.*  (Ebend.  II,  S.  146.)  Für  Carlyles  Schätzung  der  Persönlichkeiten  in 
der  Geschichte  bezeichnend  sind  seine  Vorlesungen  ,Uebe|-  Helden,  Helden- 
verehrung und  das  Heldenthümliche  in  der  Geschichte*  (deutsch  von  J.  Neuberg. 
2.  Aufl.  1893.). 

*)  Diese  Auffassung  beherrscht  allerdings  nur  G  o  m  t  e  s  erstes,  durch  den 
»Cours  de  Philosophie  positive*  repräsentirtes  System.  Die  späteren  Entwick- 
lungen dieses  Systems  in  der  «Politique  positive*  und  den  ihr  folgenden  Werken 
können  aber  hier  ausser  Betracht  bleiben,  weil  sie  einen  nennenswerthen  ge- 
schichtlichen Einfluss  nicht  ausgeübt  haben. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtfiforschung.  325 

je  nachdem  mehr  auf  die  Naturbestimmtheit  der  geistigen  Entwick- 
Iimg  oder  aber  auf  den  Sieg  der  InteUigenz  der  Hauptwerth  gelegt 
wird,  zu  zwei  Formen  einer  materialistischen  oder  mindestens 
naturalistischen  Geschichtsauffassung.  Die  eine  dieser  Formen  ist 
die  des  ökonomischen  Materialismus.  Sie  ist  hauptsächlich  ver- 
treten durch  Karl  Marx,  nach  welchem  ,,die  ökonomische  Structur 
der  äesellschaft  den  socialen,  politischen  und  geistigen  Lebensprocess 
Qberhaupt  bedingt*^  "*").  Die  zweite  Richtung  könnte  man  füglich 
nach  der  Bedeutung  ihres  Grundgedankens  als  die  des  naturalisti- 
schen Intellectualismus  bezeichnen.  Einerseits  nämlich  betrachtet 
sie  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Cultur  als  einen  Naturprocess, 
anderseits  erblickt  sie  das  unterscheidende  dieses  Processes  in  der 
Ausbildung  der  Intelligenz.  Darüber,  dass  das  geschichtliche  Leben 
nach  ebenso  allgemeinen  Gesetzen  verlaufe  wie  das  Naturgeschehen, 
sind  demnach  alle  Vertreter  dieser  Richtung  einig,  und  gerade  des- 
halb weil  diese  Gesetze  nur  in  der  allgemeinen  gesellschaftlichen 
Entwicklung  nachweisbar  seien,  betrachten  sie  die  Culturgeschichte 
als  die  einzige  wirkliche  Geschichtswissenschaft.  Ueber  die  Natur 
jener  intellectuellen  Factoren,  die  als  die  entscheidenden  Ursachen 
des  Culturfortschritts  angesehen  werden  sollen,  sind  dann  aber  wieder 
die  Meinungen  getheilt.  H.  Th.  Buckle  sieht  sie  in  dem  Sieg  des 
Wissens,  insbesondere  des  naturwissenschaftlichen  Erkennens  über 
die  Natur;  Fr.  von  Hellwald  betrachtet  die  gesammte  Cultur- 
geschichte unter  dem  Gesichtspunkt  des  Kampfes  ums  Dasein; 
Jnl.  Lippert  macht  das  „Princip  der  Lebensfürsorge *"  zum  „Grund- 
trieb der  Culturentwicklung**  **). 

Es  ist  bezeichnend,  dass  die  Vertreter  dieser  einseitigen,  überall 


*)  Zur  Kritik  der  politiscben  Oekonomie,  1859,  Vorwort.  Vgl.  über 
K.  Marx'  Geschichtsphilosophie  F.  Barth,  Die  Geschichtsphilosophie  flegeis 
und  der  Hegelianer,  1890.  Allerdings  bezeichnet  Marx  selbst  die  Ökonomi- 
schen Verhältnisse  nur  als  die  „Grundlagen*  aller  geschichtlichen  Erscheinungen, 
und  seine  Worte  lassen  es,  wie  F.  Tönnies  (Archiv  f.  Geschichte  der  Philos. 
VII  1894,  S.  503)  hervorhebt,  einigermassen  unbestimmt,  inwiefern  ihm  diese 
linmdlagen  zugleich  die  ausschliesslichen  Ursachen  der  Erscheinungen  sind, 
unzweifelhaft  aber  ist  es.  dass  seine  Schüler  Fr.  Engels,  E.  Kautsky  u.  A. 
Marx'  Lehren  im  Sinne  eines  folgerichtigen  ökonomischen  Materialismus  auf- 
f^asst  haben. 

**)  H.  Th.  Buckle,  Geschichte  der  Civilisation  in  England,  deutsch  von 
A.Rage.  2  Bde.  2.  Aufl.  1864.  Fr.  v.  Hellwald,  Die  Culturgeschichte  in 
üirer  natürlichen  Entwicklung.  1875.  Jul.  Lippert,  Culturgeschichte  der 
Menschheit.     2  Bde.  1887. 


326  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

zu  bestimmten  geschichtsphilosophischen  Theorien  sich  zuspitzenden 
Anschauungen  zumeist  von  nationalökonomischen,  sociologischen  oder 
ethnologischen  Studien  ausgegangen  sind,  und  dass,  in  dem  Masse 
als  die  culturgeschichtlichen  Bestrebungen  unter  den  Historikern 
selbst  Ausbreitung  fanden,  zwbi  sichtlich  jene  Anregungen  nach- 
gewirkt haben,  dass  aber  dabei  doch  die  einseitige  Betonung  der 
materiellen  Factoren  der  Cultur  zurückgetreten  ist,  und  vollends  von 
dem  Versuch  einer  Keduction  aller  geschichtlichen  Entwicklung  auf 
ein  einziges  Princip  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann.  Zugleich  drängt 
eine  tiefer  eindringende  geschichtliche  Betrachtung  nothwendig  dazu, 
den  psychischen  Factoren  dieser  Entwicklung  einen  höheren  Werth 
beizumessen.  So  bildet  sich  neben  jener  naturalistischen  Oeschichts- 
auffassung  eine  zweite  Richtung  aus,  die  an  Stelle  des  Natur- 
einflusses ein  anderes  unter  den  heuristischen  Principien  der  Geistes- 
wissenschaften, das  der  geistigen  Umgebung,  in  den  Vordergrund 
rückt  (vgl.  Cap.  I,  S.  34).  Je  einseitiger  nun  dieses  Princip  zur  Gel- 
tung kommt,  um  so  mehr  gewinnt  auch  hier  die  culturgeschichtliche 
Forschung  einen  deductiven  und  philosophischen  Charakter,  indem 
überall  der  Versuch  gemacht  wird,  aus  gewissen  allgemeinen  Gesetzen, 
die  als  bestimmend  für  die  Wirksamkeit  des  geistigen  Mediums  an- 
gesehen werden,  die  einzelnen  Erscheinungen  abzuleiten.  Demnach 
werden  die  allgemeinen  wieder  den  individuellen  Einflüssen  voran- 
gestellt, und  insbesondere  die  einzelne  historische  Persönlichkeit  wird 
ganz  und  gar  als  das  Product  der  allgemeinen  geistigen  Bedingungen 
angesehen,  welche  die  Gesellschaft  in  der  sie  lebte  und  die  Epoche 
ihrer  Wirksamkeit  auszeichnen,  Bedingungen  aus  denen  die  ein- 
zelnen Erscheinungen  mit  der  nämlichen  Nothwendigkeit  hervor- 
gehen sollen  wie  die  Naturerscheinungen  aus  den  allgemeinen  physi- 
kalischen Bedingungen.  „Die  Erzeugnisse  des  menschlichen  Geistes,* 
sagt  Taine,  «finden  wie  die  der  schaffenden  Natur  ihre  Erklärung 
nur  in  ihrer  ümgebung%  und:  „wie  es  eine  physische  Temperatur 
gibt,  die  je  nach  ihren  Veränderungen  das  Auftreten  dieser  oder 
jener  Pflanzenart  bedingt,  so  gibt  es  auch  eine  moralische  Temperatur, 
die  je  nach  ihren  Veränderungen  die  Erscheinung  dieser  oder  jener 
Kunstgattung  bedingt  oder  überhaupt  geschichtliche  Erscheinungen 
hervorbringt^").  Und  wie  die  Naturbedingungen  regelmässig  in  einer 
bestimmten  Aufeinanderfolge  wirken,  so  auch  jene  Factoren,  aus 
denen    sich    der    Begriff   der    geistigen    Umgebung    zusammensetzt: 


*)  H.  Taine,  Philosophie  der  Kunst.    Deutsche  Ausg.  2.  Aufl.  1885.  S.  14. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtsforschung.  327 

zunächst  ist  die  einzelne  Erscheinung  aus  dem  speciellen  Oesell- 
schaftskreis  heraus  zu  erklären,  von  dem  sie  ausgeht;  dann  ist  sie 
mit  diesem  auf  die  umfassenderen  gesellschaftlichen  Bedingungen, 
und  endlich  auf  die  den  Zeitpunkt  ihrer  Entstehung  überhaupt  be- 
herrschenden geistigen  Mächte  zurückzuführen.  So  bilden  nach 
Taine  .Rasse,  Sphäre  und  Zeitpunkt**  die  drei  Stufen  der  historischen 
Causalerklärung,  und  sie  stehen  zugleich  in  dem  Verhältnisse  zu 
einander,  dass  jedesmal  die  folgende  der  ihr  vorangehenden  gegen- 
Qber  die  allgemeinere  ist  und  daher  die  Bedingungen  zu  deren  Er- 
klärung einschliesst*). 

Ist  nun  auch  dieses  Princip  der  geistigen  Umgebung,  dadurch 
dass  es  überall  auf  die  Wege  der  psychologischen  Causalerklärung 
hinweist,  der  Lehre  von  der  Naturbestimmtheit  des  historischen  Ge- 
schehens, die  alles  Einzelne  aus  einem  und  demselben  allgemeinen 
Princip  zu  deduciren  sucht,  weit  überlegen,  so  leidet  es  doch  mit 
den  naturalistischen  Theorien  nicht  nur  an  dem  Fehler  der  Einseitig- 
keit sondern  auch  an  dem  der  gleichförmigen  Schematisirung  der 
Erscheinungen.  Man  muss  aber  anerkennen,  dass  durch  die  psycho- 
logische Vertiefung,  die  dieser  Standpunkt  herausfordert,  hier  jene 
Einseitigkeit  leichter  durch  den  Gegenstand  selbst  berichtigt  wird. 
Einen  Beleg  hierfür  bieten  die  Werke  Taines.  Er  hat  das  Princip 
der  Erklärung  aus  dem  Medium  nach  den  drei  Stufen  »Rasse,  Sphäre 
und  Zeitpunkt*"  am  einseitigsten  durchgeführt  in  der  kleinen  Schrift 
über  die  , Philosophie  der  Kunst'',  die  jedenfalls  zugleich  diejenige 
seiner  Arbeiten  ist,  die  der  Vertiefung  in  das  Einzelne  am  meisten 
ermangelt.  In  seinem  letzten  und  reifsten  Werk,  der  „Entstehung 
des  modernen  Frankreich  **,  tritt  dagegen  die  Schablone  der  drei  Stufen 
ganz  zurück,  und  von  der  Theorie  des  Mediums  ist  nur  die  allgemeine 
Tendenz  übrig  geblieben,  den  gesammten  Culturzustand  des  Zeit- 
alters mit  allen  in  ihm  enthaltenen  Factoren  und  Bedingungen,  nicht 
bloss  die  an  die  Oberfläche  tretenden  politischen  Ereignisse  als  den 
eigentlichen  Inhalt  der  Geschichte  zu  betrachten*'"). 

*)  H.  Taine,  Geschichte  der  englischen  Literatur.  Bd.  I.  Einleitung 
S.  15  ff. 

**)  H.  Taine,  Die  Entstehung  des  modernen  Frankreich.  Deutsche  Be- 
iirbeitang  von  L.  Katscher.  3  Bde.  in  6  Theilen.  Uebrigens  ist  das  Werk 
nicht  sowohl  eine  , Geschichte*  im  gewöhnlichen  Sinne  als  eine  Untersuchung 
der  allgemeinen  wirthschaftlichen,  politischen  und  geistigen  Entwicklungen  des 
modernen  Frankreich,  bei  der  überall  die  Eenntniss  der  Ereignisse  vorausgesetzt 
wird.  Bezeichnend  für  diesen  Standpunkt  ist  es,  dass  z.  B.  Mirabeau  nur  beläufig 
erahnt  ist,  während  Marat,  Danton  und  Robespierre,  ja  selbst  Napoleon, 


328  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Dies  ist  nun  die  Richtung,  welche  die  Culturgeschichte  auf  allen 
Gebieten  mehr  und  mehr  eingeschlagen  hat,  seit  in  ihr  durch  die 
gründliche  Vertiefung  in  die  realen  Culturzustände  jene  geschichts- 
philosophischen  Constructionen ,  die  womöglich  die  gesammte  ge- 
schichtliche Entwicklung  auf  ein  einziges  Princip  zurückfahren 
möchten,  verdrängt  worden  sind.  Der  Natureinfluss  und  die  geistige 
Umgebung  treten  so  von  selbst  in  die  berechtigte  Stellung  zurück, 
die  ihnen  als  allgemeinen  heuristischen  Maximen  der  historischen 
wie  der  socialen  Wissenschaften  zukommt.  Zugleich  aber  schliesst 
die  in  diesem  Geiste  behandelte  Culturgeschichte  die  Mitbeachtung 
der  politischen  Zustände  und  Begebenheiten  nicht  mehr  geflissent- 
lich aus,  sondern  sucht  diese  vielmehr  nur  tiefer,  als  es  eine  aus- 
schliesslich politische  Geschichtschreibung  vermag,  in  ihren  Ent- 
stehungsbedingungen zu  begreifen.  Hervorragende  Beispiele  cultur- 
geschichtlicher  Darstellungen  dieser  Art  sind  Jacob  Burckhardts 
„  Cultur  der  Renaissance  in  Italien  '  und  EarlLamprechts  „  Deutsche 
Geschichte*  *).  Beide  vertreten  in  einem  gewissen  Grade  zugleich  wie- 
der verschiedene  Richtungen  culturgeschichtlicher  Forschung,  insofern 
Burckhardt  die  geistigen  Seiten  der  Cultur,  Kunst  und  Literatur, 
vorzugsweise  berücksichtigt,  indess  Lamprecht  diese  erst  auf  der 
Grundlage  der  wirthschaftlichen  Zustände  und  der  von  ihnen  getragenen 
allgemeinen  gesellschaftlichen  Verhältnisse  zu  erklären  sucht. 


nicht  als  die  Träger  bestimmter  geschichtlicher  Vorgänge,  sondern  mehr  nur 
als  charakteristische  psychologische  Typen  der  Revolutionszeit  eingehend  analysirt 
werden.  In  allen  diesen  BeziehaDgen  bildet  Taine  den  vollen  Gegensatz  zu 
dem  Meister  der  modernen  politischen  Geschichtschreibung,  zu  R a n k e.  Auch 
Ranke  pflegt,  wie  namentlich  in  seinen  Darstellungen  zur  neueren  Geschichte 
zu  bemerken  ist,  über  bekannte,  durch  eigene  Forschungen  oder  eigenthfimliche 
Anschauungen  nicht  neu  zu  beleuchtende  Dinge  kurz  hinwegzugehen.  (Vgl.  das 
Vorwort  zur  französischen  Geschichte,  Werke  Bd.  8,  S.  VIII.)  Dabei  verliert 
aber  die  Darstellung  nie  den  Charakter  der  zusammenhängenden  Erzählung  des 
Geschehenen:  sie  ist  nicht  bloss  historische  Untersuchung,  sondern  bleibt 
immer  zugleich  Geschichte.  Taines  Geschichte  der  englischen  Literatur  ist 
allerdings  trotz  der  strengeren  Durchführung  der  Theorie  des  , Milieu'  doch  in 
viel  höherem  Grade  als  das  letzte  Werk  des  Verfassers  eine  wirkliche  Ge- 
schichte. Hier  zeigt  sich  eben,  dass  sich  die  Erscheinungen  der  Literatur  dem 
Schema  der  drei  successiv  anzuwendenden  Gesichtspunkte,  , Rasse,  Sphäre,  Zeit- 
punkt*, am  leichtesten  fügen,  wie  denn  dasselbe  überhaupt  ursprünglich  zuerst 
aus  diesem  Gebiet  abstrahirt  wurde. 

*)  Jacob  Burckhardt,  Die  Cultur  der  Renaissance  in  Italien,  ein  Ver- 
such. 2  Bde.  4.  Aufl.  von  L.  Geiger,  1885.  K;  Lamprecht,  Deutsche  Ge- 
schichte.   Bis  jetzt  Bd.  1—4  und  Bd.  5,  1.  Hälfte,  1891—94. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtsforschung.  329 

Mit  der  Trennung  der  historischen  Forschung  in  die  politische 
imd  die  culturgeschichtliche  Richtung  steht  nun  aber  noch  eine  weitere 
Scheidung  in  nahem  Zusammenhang,  die,  wenn  auch  viel  irüher 
Torbereitet,  doch  zu  ihrer  endgültigen  Entwicklung  erst  unter  der 
Wirkung  der  nämlichen  allgemeinen  Motive  gelangt  ist :  die  Unter- 
scheidung in  Völkergeschichte  und  Universalgeschichte. 
Wie  das  Alterthum  nur  eine  politische  Geschichtschreibung  kannte, 
80  bheb  auch  der  Gesichtskreis  seiner  historischen  Betrachtung  auf 
das  einzelne  und  zwar  im  allgemeinen  auf  das  eigene  Volksthum  be- 
schränkt :  barbarische  Völker  existirten  für  den  Griechen  und  Römer 
nur  insoweit,  als  sie  mit  dem  eigenen  Volk  und  Staat  in  Wechsel- 
wirkung traten.  Erst  auf  der  Grundlage  jenes  erweiterten  Humani- 
tatsbegriffes,  wie  er  in  den  philosophischen  Schulen  der  hellenistischen 
Welt  heranreifte  und  dann  im  Christenthum  seinen  religiösen  Aus- 
druck fand,  wurde  auch  der  Gedanke  einer  Universalgeschichte  der 
Menschheit  möglich.  Aber  so  sehr  hier  der  religiöse  Gesichtspunkt 
in  der  Auffassung  aller  irdischen  Dinge  die  Idee  der  Einheit  des 
Menschengeschlechts  und  des  planvollen  Zusammenhangs  seiner 
Schicksale  in  den  Vordergrund  drängte,  so  sehr  stand  doch  die  unmittel- 
bare Beziehung  dieser  Schicksale  auf  übersinnliche  Ursachen  und 
Zwecke  der  Ausbildung  einer  wirklich  historischen  Auffassung  im 
Wege.  Denn  für  die  Geschichtsphilosophie  des  Mittelalters  liegt 
der  eigentliche  Schauplatz  der  Geschichte  in  der  jenseitigen  Welt; 
die  irdischen  Dinge  haben  für  sie  nur  durch  die  Beziehung,  in  die 
sie  zu  jener  Welt  gesetzt  werden,  eine  Bedeutung*).  Zwischen 
dieser  völlig  transcendenten  Geschichtsbetrachtung  und  einer  eigent- 
lichen Universalgeschichte  bilden  nun  die  mannigfachen  neueren 
Versuche  einer  weltlichen  Geschichtsphilosophie,  in  der  die  Idee 
der  Humanität  unabhängig  von  specifisch  religiösen  Voraussetzungen 
wirksam  wird,  das  verbindende  Mittelglied.  Die  eindringendere  Ver- 
tiefung in  das  wirkliche  Geschehen  trennt  sie  von  der  voraus- 
gegangenen religiösen  Metaphysik  und  bereitet  zugleich  eine  streng 
historische  Betrachtung  vor.  Aber  die  teleologische  Interpretation 
auf  Grund  gewisser  allgemeiner  Ideen,  die  nicht  dem  Verlauf  der 
Begebenheiten  entnommen,  sondern  nach  denen  diese  beurtheilt  wer- 
den, nähert  auch  diese  weltliche  Geschichtsphilosophie  von  Giam- 
battista  Vico   an  bis  auf  Herder  und  Kant  immer  noch  jener 

*)  Vgl.  hierzu  Roch  oll,  Die  Philosophie  der  Geschichte.  I.  1878,  S.  20, 
nud  V.  Eicken,  Geschichte  und  System  der  mittelalterlichen  Weltanschauung. 
1887,  8.  641  ff. 


330  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

religiösen  Metaphysik.  In  der  That  liegt  ja  fOr  jedes  Untemelunen 
einer  Oesammtbetrachtung  der  Menschheitsgescliichte  die  Versuchung 
zu  einer  transcendenten  Interpretation  schon  deshalb  nahe,  weil  der 
geschichtliche  Verlauf  thatsächlich  nie  abgeschlossen  ist  und  also 
der  Versuch,  ihn  in  eine  universelle  Einheit  zusammenzufassen, 
eigentlich  niemals  ihm  selbst  entnommen  werden  kann.  Hier  leitete 
nun  die  culturgeschichtliche  Betrachtung  von  zwei  Gesichts- 
punkten aus  von  einer  transcendenten  zu  einer  immanenten  und 
gleichzeitig  von  einer  teleologischen  zu  einer  c aus alen  Behandlung 
der  Universalgeschichte  über.  Auf  der  einen  Seite  bilden  die  sitt- 
lichen und  geistigen  Eigenschaften,  die  in  der  Gultur  der  Völker 
zur  Entwicklung  gelangen,  auch  da  wo  die  äussere  geschichtliche 
Verbindung  fehlt,  einen  inneren  Zusammenhang  verschiedener  Ent- 
wicklungsstufen, dem  sich  Natur-  wie  Gulturvölker  einordnen.  Jener 
Begriff  der  Einheit  des  Menschengeschlechts,  der  für  die  politische 
Geschichte  stets  eine  Fiction  bleibt  und  der  doch  die  Voraussetzung 
ist,  die  erst  dem  Begriff  der  Universalgeschichte  seine  Berechtigung 
gibt,  fOr  die  Gulturgeschichte  erstreckt  er  sich  thatsächlich  über  die 
gesammte  Menschheit,  da  die  Uebereinstimmung  der  geistigen  An- 
lagen überall  übereinstimmende  Entwicklungsformen  der  Gesittung 
hervorbringt.  Auf  diese  anthropologische  Grundlage  des  Begriffs 
der  Universalgeschichte  hat  bereits  Schiller  in  seiner  akademischen 
Antrittsrede  hingewiesen'*').  Auf  der  andern  Seite  legte  die  seit  der 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  unter  dem  Einfluss  der  beginnenden 
statistischen  Untersuchung  der  Bevölkerungsverhältnisse  entstandene 
Idee  einer  Gesellschafbslehre  den  Gedanken  eines  zunächst  engere, 
dann  immer  weitere  sociale  Kreise  und  endlich  in  seinen  letzten 
Ausstrahlungen  die  ganze  Menschheit  umfassenden  lebendigen  Zu- 
sammenhangs nahe.  Steht  doch  der  Zustand  jeder  einzelnen  Gesell- 
schaftsgruppe in  Wechselbeziehungen  zu  den  Zustanden  aller  andern 
—  eine  Kette  von  Beziehungen,  die  erst  in  der  universellen  Einheit 
der  menschlichen  Gesellschaft  ihr  Ende  findet.  Ist  daher  die  Ge- 
schichte nichts  anderes  als  die  Darstellung  des  Werdens  der  Zustande, 
so  kann  sie  auch  nur  in  einer  Universalgeschichte  ihre  Aufgabe  er- 
schöpfen. Auf  diesen  sociologischen  Grundgedanken  hat  zuerst  die 
Göttinger  culturhistorische Schule,  ein  Gatterer,  Schlözer,  Heeren, 
den  Plan  einer  Universalgeschichte  gegründet. 


*)  «Was  heisst  und  zu  welchem  Ende  studirt  man  Universalgeschichte?' 
Schillers  Werke  Bd.  10,  S.  293  ff. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Geschichtaforschung.  331 

Der  reale  Zusammenhang,  den  diese  Art  universalhistorischer 
Betrachtung  zwischen  den  sämmilichen  zeitlich  und  räumlich  noch 
so  entlegenen  Culturstufen  herstellt,  ist  nun  aber  in  Wahrheit  kein 
geschichtHcher  mehr,  oder  er  ist  es  doch  nur  zu  einem  sehr  kleinen 
Theile.  Was  in  Wirklichkeit  alle  Glieder  der  Menschenfamilie  ver- 
bindet, das  sind  vielmehr  nur  die  übereinstimmenden  naturgeschicht- 
lichen Merkmale  und  vor  allen  Dingen  die  überall  wieder  in  über- 
einstimmenden Lebens-  und  Entwicklungsformen  sich  verrathenden 
psychischen  Anlagen.  Die  Menschheit  als  universelles  Object 
wissenschaftlicher  Betrachtung  ist  also  in  Wahrheit  gar  nicht  ein 
Object  der  Geschichte,  sondern  ein  solches  der  Anthropologie  und 
der  Völkerpsychologie.  Das  beweisen  auch  alle  Versuche  universal- 
historischer Darstellungen  thats'ächlich  dadurch,  dass  sie  sich  ent- 
weder trotz  ihres  allgemeineren  Programms  auf  denjenigen  Theil  der 
Menschheit  beschränken,  für  den  wirklich  irgend  welche  geschicht- 
liche Verbindungen  nachzuweisen  sind,  oder  dass  sie  in  eine  Reihe 
von  Einzelgeschichten  zerfallen,  die  nur  durch  die  Idee  zusammen- 
gehalten werden,  dass  die  Träger  dieser  einzelnen  geschichtlichen 
Entwicklungen  der  nämlichen  Gattung  «Homo"^  angehören,  deren 
Schicksale  und  Erzeugnisse  überall  auf  ähnliche  geistige  Eigen- 
schaften und  Triebfedern  zurückführen.  Nun  ist  eine  Sammlung  der 
einzelnen  Völkergeschichten  unter  diesem  Gesichtspunkte  immer  noch 
eine  wissenschaftliche  Aufgabe  der  Geschichtschreibung.  Nur  ist 
freilich  eine  solche  Aufgabe  mit  dem  Namen  „Universalgeschichte^ 
anzutreffend  bezeichnet,  da  dieser  auf  eine  reale  Einheit  hinweist, 
die  wenigstens  als  geschichtliches  Object  nicht  existirt.  Jeder  Ver- 
such das  Problem  der  Universalgeschichte  auf  dem  Boden  der  Ge- 
schichtswissenschaft selbst  zu  lösen  fuhrt  daher  naturnothwendig  zu 
einer  doppelten  Einschränkung:  erstens  fallen  als  unerheblich  für 
die  allgemeine  Entwicklung  der  Menschheit  diejenigen  Völker  hin- 
weg, die  in  keiner  Weise  activ  in  jene  Entwicklung  eingegriffen 
haben,  also  die  ganz  und  gar  der  Anthropologie,  Ethnologie  und 
Völkerpsychologie  zu  überlassenden  Natur-  oder  primitiven  Cultur- 
Tolker;  und  zweitens  zerfällt  für  die  geschichtliche  Gesammtbetrach- 
tung  der  Menschheit  die  Geschichte  derselben  in  eine  grössere  An- 
zahl von  Einzelentwicklungen  mit  ihren  besonderen  Culturkreisen, 
zwischen  denen  immer  nur  in  gewissen  Bestandtheilen  historische 
Verbindungen  und  Wechselwirkungen  stattfinden.  Mit  Fug  und  Recht 
hat  man  aber  innerhalb  der  Geschichtswissenschaft  für  solche  Ver- 
suche einer  zusammenfassenden  Behandlung  des  gesammten  Inhalts 


332  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

bedeutsamerer  geschichtlicher  Vorgänge  von  Gatterer  bis  auf 
Ranke  den  Namen  «Weltgeschichte" ,  nicht  Universalgeschichte 
gewählt.  Denn  der  Begriff  der  Welt  schliesst  nur  die  Mannigfal- 
tigkeit aller  Dinge,  in  diesem  Fall  aller  bedeutsameren  die  Mensch- 
heit angehenden  Dinge  ein,  während  der  des  Universums,  des  Welt- 
ganzen, zugleich  auf  die  Einheit  dieser  Dinge  hinweist.  Die  « Welt- 
geschichte **  ist  nun  eben  wegen  des  vielfach  zersplitterten,  des  realen 
Zusammenhangs  entbehrenden  Stoffes  häufiger  der  Gegenstand  com- 
pilatorischer  Arbeiten  als  wirklich  zusammenhängender  wissenschaft- 
licher Forschungen  gewesen,  obgleich  es,  wie  das  noch  in  neuester 
Zeit  das  Beispiel  von  Rankes  Weltgeschichte  zeigt,  auch  für  den 
Geschichtsforscher  eine  anziehende  Aufgabe  sein  kann,  auf  €h-und 
reicher  Erfahrungen  im  einzelnen  sich  über  die  thatsächlich  nach- 
weisbaren oder  als  wahrscheinlich  anzunehmenden  Beziehungen  der 
geschichtlichen  Einzelentwicklungen  Rechenschaft  zu  geben.  Zugleich 
mit  dieser  Beschränkung  der  Aufgabe  einer  wissenschaftlichen  Welt- 
geschichte ist  aber  nothwendig  das  Programm  der  „Universal- 
geschichte" ein  anderes,  über  den  Bereich  der  eigentlichen  Geschichts- 
wissenschaft hinausreichendes  geworden.  Hat  die  Idee  der  Einheit 
des  Menschengeschlechts  nicht  in  der  Geschichte  selbst,  sondern  in 
der  Anthropologie  und  Völkerpsychologie  ihre  Wurzeln,  so  bleibt 
das  universalhistorische  Problem  nur  noch  in  dem  Sinne  bestehen, 
dass  es  die  Untersuchung  der  Beziehungen  der  allgemeinen  natür- 
lichen und  geistigen  Eigenschaften  des  Menschen  zu  seiner  ge- 
schichtlichen Entwicklung  in  sich  schliesst,  eine  Untersuchung  die 
dann  unmittelbar  zu  den  weiteren  Fragen  führt,  in  welchem  Sinne 
das  geschichtliche  Leben  als  eine  nothwendige  Entwicklungsform  des 
menschlichen  Geistes  zu  betrachten  sei,  welche  Bedeutung  demnach 
überhaupt  der  Geschichte  in  ihrem  Verhältniss  zu  allen  andern 
Gebieten  geistigen  Lebens  zukomme  u.  s.  w.  Alle  diese  Fragen 
gehören  aber  nicht  mehr  zur  Geschichtswissenschaft,  sondern,  wie 
alle  Probleme  die  eine  allgemeine  Synthese  verschiedener  Wissens- 
gebiete voraussetzen,  zur  Philosophie :  sie  sind  die  eigentlichen  Pro- 
bleme der  Geschichtsphilosophie.  Dass  sie  in  dem  hier  an- 
gedeuteten Sinne  auch  heute  noch  zu  Recht  bestehen,  erhellt  ohne 
weiteres  daraus,  dass  sie  für  die  Würdigung  der  Bedeutung  der 
Geschichte  grundlegend  sind.  Auf  diese  Weise  hat  sich  also  das 
Programm  der  „Universalgeschichte*^  in  zwei  Aufgaben  zerlegt:  in 
die  der  „  Weltgeschichte **,  die  innerhalb  der  Geschichtswissenschaften 
die  einzelnen  Zweige  der  Geschichte  durch  eine  möglichst  vollständige 


Historische  Kritdk.  333 

historische  Synthese  zu  ergänzen  sucht,  und  in  die  der  Geschichts- 
philosophie, welche  die  Aufgabe  hat  die  geschichtliche  Betrachtung 
zu  dem  Inhalt  der  übrigen  Geisteswissenschaften,  namentlich  der 
Anthropologie,  Völkerpsychologie  und  Sociologie,  in  Beziehungen  zu 
setzen  und  auf  Grund  dieser  Beziehungen  zum  Aufbau  einer  allge- 
meinen Weltanschauung  zu  verwerthen. 

b.    Die  historische  Kritik. 

Der  Gegenstand  der  Geschichte  ist  die  Vergangenheit  mensch- 
licher Erlebnisse.  Aber  die  Vergangenheit  selbst  ist  unwiederbring- 
lich verschwunden.  Die  historische  Forschung  sucht  daher  aus  den 
in  die  Gegenwart  hereinreichenden  Ueberlebnissen  derselben 
ihr  Bild  zu  entwerfen.  In  seltenen  Fällen  nur  bestehen  solche  in 
den  Erinnerungen  des  selbst  Erlebten.  Sogar  der  Darsteller  der 
Zeitgeschichte  kann  allein  unter  der  Gunst  einer  bevorzugten  per- 
sönlichen Stellung  und  einfacher  äusserer  Verhältnisse  wie  ein  Thu- 
kydides  die  eigene  Erfahrung  als  seine  hauptsächlichste  Quelle  be- 
nützen. Mit  der  zeitlichen  Entfernung  treten  von  selbst  andere  Zeug- 
nisse an  deren  Stelle,  die  auf  ihren  Wahrheitsgehalt  zu  prüfen  sind, 
ehe  ihnen  der  Stoff  der  Geschichte  entnommen  werden  kann.  Die 
historische  Kritik,  die  eine  solche  Prüfung  bezweckt,  bildet 
daher  den  Anfang  der  historischen  Forschung,  an  den  erst  die  Haupt- 
aufgabe derselben,  die  Deutung  und  causale  Verbindung  der  That- 
sachen  oder  die  historische  Interpretation  sich  anschliessen 
kann.  Demnach  ist,  obgleich  auch  hier  ein  wechselseitiger  Einfluss 
beider  Bestandtheile  der  Methodik  nicht  fehlt,  doch  im  allgemeinen 
die  Aufeinanderfolge  eine  der  philologischen  Forschung  entgegen- 
gesetzte. Dieser  Gegensatz  erklärt  sich  aus  dem  Verhältniss  beider 
Gebiete.  Da  das  einzelne  Geisteserzeugniss  zunächst  gegeben  ist 
und  dann  erst  seine  Verbindung  mit  andern  in  Frage  kommt,  so 
tritt  der  Historiker  zunächst  mit  philologischen  Methoden  seinem 
Stoff  gegenüber;  erst  nachdem  er  ihn  hermeneutisch  und  kritisch 
als  Philologe  bearbeitet,  beginnt  die  Aufgabe  der  historischen 
Kritik,  die  ihn  nun  auf  seine  Bedeutung  als  historisches  Material 
zu  prüfen  hat.  Eine  historische  Interpretation,  die  nicht  sowolil  den 
Inhalt  der  einzelnen  Thatsachen  als  ihr  Verhältniss  zu  andern,  mit 
denen  sie  in  zeitlichem  Zusammenhange  stehen,  zu  ergründen  sucht, 
kann  aber  immer  erst  unternommen  werden,  wenn  die  historische 
Glaubwürdigkeit   der  Thatsachen  selbst  sichergestellt  ist.     In  ihrer 


334  Logik  der  GeBchichtswissenschaften. 

wirklichen  AusfQhruDg  kann  darum  die  historische  Kritik  niemals 
von  der  philologischen  völlig  geschieden  werden.  Schon  bei  der 
philologischen  Vorprüfung  seines  Stoffes  wird  der  Historiker  von  den 
Gesichtspunkten  der  historischen  Kritik  geleitet,  indem  er  manches 
philologisch  Werthvolle  unbeachtet  lässt,  um  anderes  in  den  Vorder- 
grund zu  stellen,  was  dem  Interesse  des  Philologen  ferner  liegt. 
Namentlich  aber  darin  verräth  sich  von  vornherein  der  verschie- 
dene Standpunkt,  dass  unter  jenen  Ueberlebnissen ,  welche  die 
Anwendung  der  historischen  Kritik  verlangen,  manche,  wie  anthro- 
pologische und  ethnologische  Thatsachen,  geographische  Verhältnisse, 
unter  Umständen  auch  mündliche  Traditionen,  ausserhalb  des  Be- 
reichs philologischer  Hülfsmittel  liegen,  während  andere,  wie  Ur- 
kunden, Verträge,  Gesetze,  in  der  Regel  nur  in  Folge  ihres  histo- 
rischen Werthes  und  daher  von  vornherein  unter  geschichtlichen  Ge- 
sichtspunkten zu  Objecten  philologischer  Forschung  werden. 

Die  üeberlebnisse ,  die  dem  Historiker  als  Zeugen  der  Ver- 
gangenheit dienen,  sind  theils  rein  physischer  Art,  theils  physische 
Gegenstände  die  zugleich  einen  bestimmten  geistigen  Werth  besitzen, 
theils  unmittelbare  Geisteserzeugnisse.  In  die  erste  Kategorie 
gehören  die  physischen  Ueberreste  von  Menschen,  Hausthieren,  Cul- 
turpflanzen,  die  geographischen  und  klimatischen  Verhältnisse  oder 
die  physischen  Spuren  von  deren  einstiger  Beschaffenheit:  hier  sind 
es  naturwissenschaftliche  Hülfsquellen ,  die  den  Historiker  bei  der 
Feststellung  der  Thatsachen  unterstützen.  Grösser  an  Zahl  und  zu- 
gleich an  Wichtigkeit  alle  andern  überragend  sind  die  Üeberlebnisse 
der  zweiten  Classe,  die  man  vorzugsweise  unter  dem  Namen  histo- 
rischer Ueberreste  zu  verstehen  pBegt.  Kunstgegenstände,  Bau- 
werke, Inschriften,  sonstige  schriftliche  Zeugnisse,  die  auf  Zustände 
oder  Ereignisse  einer  Zeit  Licht  werfen  können,  gehören  hierher. 
Solche  Ueberreste  werden  zu  Denkmälern,  wenn  sie  absichtlich 
entstanden  sind,  um  das  Gedächtniss  an  ein  Ereigniss  oder  an  eine 
historische  Persönlichkeit  festzuhalten.  Auf  diese  Weise  bilden  die 
Denkmäler  den  Uebergang  zu  den  absichtlichen  Aufzeichnungen  der 
Chronisten  und  älteren  Historiker,  die  gewöhnlich  die  nächsten  Quellen 
für  die  Neubearbeitung  eines  geschichtlichen  Stoffes  bilden.  Denn  diese 
geht  meistens  von  dem  bereits  feststehenden  Bilde  einer  Zeit  oder 
eines  Ereignisses  aus  und  sucht  dasselbe  dann  unter  Zuhülfenahme 
aller  sonstigen  Anhaltspunkte  zu  berichtigen  und  zu  vervollständigen. 
Meist  am  spärlichsten  und  zugleich  für  die  Benützung  am  schwie- 
rigsten  sind   die  Üeberlebnisse   der   dritten  Art,    die  rein  geistigen 


Historische  Kritik.  335 

Erzeugnisse,  die  ihrer  Natur  nach  zugleich  am  vergänglichsten  und 
am  meisten  der  Veränderung  ausgesetzt  sind.  Sprache,  Sitten,  Re- 
ligionsanschauungen ,  mündliche  Ueberlieferungen  gehören  hierher. 
Gerade  wegen  ihrer  Vergänglichkeit  kommen  auch  sie  in  der  Regel 
erst  dann  zu  historischer  Verwerthung,  wenn  sie  durch  schriftliche 
Aufzeichnungen  fixirt  und  dadurch  zugleich  in  üeberlebnisse  der 
zweiten  Classe  übergegangen  sind. 

Diese  verschiedenen  Objecte  historischer  Kritik  sind  nun  nicht 
bloss  an  sich  von  verschiedenem  Werthe,  sondern  es  richtet  sich 
naturgemäss  auch  die  Art  ihrer  Benützung,  die  Bevorzugung  bestimm- 
ter Hülfsquellen  vor  andern  nach  der  zeitlichen  Feme  der  zu  er- 
forschenden Ereignisse  und  dem  Verhältniss,  in  dem  sie  sich  zu  unserm 
eigenen  Denken  und  Handeln  befinden.  Für  die  Urgeschichte  des 
Menschen  überwiegen  so  sehr  die  naturwissenschaftlichen  Hülfsmittel, 
dass  jene  bis  jetzt  noch  ausserhalb  der  historischen  Forschung  in 
der  Anthropologie  und  Ethnologie  ihre  Stelle  einnimmt.  Doch 
.  können  selbst  die  Anfänge  der  eigentlichen  Oeschichte  des  von  der 
Ethnologie  und  ihren  naturwissenschaftlichen  Hülfsgebieten  darge- 
botenen Materials  nicht  entbehren.  Neben  spärlichen  Eunsterzeug- 
nissen,  Inschriften,  uralten  Gesetzesüberlieferungen,  Andeutungen  in 
Sitte  und  Sprache  bildet  sodann  eine  mit  mythologischen  Bestand- 
theilen  durchsetzte  sagenhafte  Tradition  den  einzigen  StofT,  über  den 
die  älteste  Geschichte  der  Völker  verfügt.  Die  naive  Geschicht- 
schreibung früherer  Zeiten,  die  mit  jenen  objectiven  Zeugnissen 
der  Vergangenheit  wenig  anzufangen  wusste ,  hat  hier  in  der 
Regel  die  Sage  selbst  als  Geschichte  behandelt  und  so  gerade 
der  unsichersten  Quelle  historischer  Forschung  ein  Bürgerrecht  in 
der  Oeschichte  verschafft.  Heute  ist,  vor  allem  seit  Niebuhr  in 
seiner  Behandlung  der  Geschichte  Roms  das  Beispiel  gegeben'*'), 
der  Standpunkt  des  Historikers  der  entgegengesetzte.  Zunächst  sucht 
er,  so  viel  als  möglich  abstrahirend  von  diesen  Ueberlieferungen  der 
Sage,  in  den  unmittelbaren  Ueberlebnissen  der  ältesten  Zeiten,  Denk- 
mälem,  Inschriften,  Staatsalterthümem,  einen  gewissen,  wenn  auch 
noch  so  spärlichen  Thatbestand  sicherzustellen,  zu  dem  erst  in  secun- 
därer  Weise  und  mit  steter  Rücksicht  auf  den  durch  jene  Zeugnisse 
an  die  Hand  gegebenen  Massstab  die  Tradition  hinzugezogen  wird, 
lim  zu  prüfen,   ob   auch   in   ihr   nach  Ausscheidung  des  zweifellos 

*)  Niebuhr,  Römische  GeRchichte.  I.  1.  Aufl.  1811.  In  gleichem  Geiste 
ist  unter  den  neueren  Werken  und  unter  Verwerthung  alles  seitdem  erschlos* 
senen  Materials  namentlich  Th.  Mommsens  Römische  Geschichte  gearbeitet. 


336  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Mythischen  und  Sagenhaften  ein  historischer  Kern  zu  retten  sei. 
So  nimmt  überhaupt  in  der  alten  Geschichte  die  Erschliessung  neuer 
Quellen  einen  verhältnissmässig  beschränkten  Raum  ein.  Die  Auf- 
findung von  Denkmälern  und  Inschriften  dient,  abgesehen  von  den 
wenigen  Fällen  wo  solche  Funde  in  kurzer  Zeit  eine  fast  völlig 
unbekannte  Cultur  erschlossen  haben,  wesentlich  nur  dazu,  die  vor- 
handene Ueberlieferung  in  einzelnen  Punkten  zu  berichtigen.  Im 
ganzen  aber  erscheint  hier  die  Ausscheidung  des  Unechten  und  die 
Auffindung  der  echten  Elemente  in  einer  Wahrheit  und  Dichtung 
auf  das  mannigfaltigste  verwebenden  Tradition  als  die  Hauptaufgabe 
des  historischen  Kritikers.  Ganz  anders  steht  dieser  den  Problemen 
der  neueren  Geschichte  gegenüber.  Wohl  handelt  es  sich  auch 
hier,  wie  bei  aller  Ejitik,  um  die  Scheidung  des  Wahren  vom 
Falschen.  Aber  je  reichlicher  mit  der  Annäherung  der  Zeiten  die 
Quellen  der  historischen  Ueberlieferung  fliessen,  um  so  mehr  wird  es 
nothwendig,  wo  möglich  unzureichend  bekannte  oder  völlig  unbenutzte 
Quellen  zu  entdecken,  die  die  Ereignisse  vollständiger  kennen  lehren 
oder  die  bisher  von  einem  einseitigen  Standpunkte  aus  aufgefassten 
Thatsachen  in  ein  neues  Licht  setzen.  Je  weniger  der  neuere 
Historiker  daran  denken  kann,  alle  überhaupt  vorhandenen  Quellen 
zu  benützen,  um  so  mehr  muss  er  darauf  bedacht  sein,  mangelhafte 
Quellen  durch  bessere  überflüssig  zu  machen.  Darum  überwiegt  in 
der  alten  Geschichte  die  Kritik  der  einzelnen  Bestandtheile  der  Ueber- 
lieferungen,  in  der  neueren  die  Kritik  der  Quellen  im  ganzen.  Eine 
Tradition  wie  die  römische  Königssage  würde  in  der  neueren  Ge- 
schichte schwerlich  einen  Anspruch  auf  historische  Beachtung  er- 
heben können;  wohl  aber  kann  in  dieser  durch  die  Erschliessung 
eines  Staatsarchivs  unter  Umständen  eine  ganze  Reihe  bisher  be- 
nutzter Quellen  werthlos  gemacht  werden. 

Diese  in  der  Natur  und  dem  Reichthum  der  Hülfsquellen  be- 
gründeten Eigenthümlichkeiten  bedingen  entsprechende  Unterschiede 
in  der  Methode  der  historischen  Kritik,  ohne  jedoch  den  allgemeinen 
Charakter  derselben  zu  ändern.  UeberaU  besteht  dieser  in  einer 
Anwendung  der  vergleichenden  Methode,  die  der  philologischen 
Kritik  am  nächsten  verwandt  ist,  durch  die  Aufgaben  der  histori- 
schen Forschung  aber  ihre  besonderen  Eigenschaften  annimmt.  Auch 
hier  lässt  sich  nämlich  eine  äussere  und  eine  innere  Kritik 
unterscheiden.  Die  erste  bezieht  sich  in  diesem  Fall  auf  die 
Wahrheit  einer  historischen  Thatsache,  die  zweite  auf  die  Be- 
deutung,   die   sie    in   dem  allgemeinen  Zusammenhang  der   unier- 


Historische  Kritik.  337 

sachten  Ereignisse  einnimmt.     Nur  die  äussere  Kritik  bildet  übrigens 
ein  einigermassen   selbständiges  Geschäft;    die    innere,   welche  die 
ganze  Prüfung  des  Quellenmaterials  voraussetzt,  ist  von  der  Inter- 
pretation nicht  zu  trennen,  da  die  Schätzung  des  Werihes  der  That- 
sacken  durchaus  an  deren  causale  Verknüpfung  gebunden  ist.   Schon 
in  der  äusseren  Kritik  kommt  daher  im  Gegensätze  zur  philologi- 
schen  der  synthetische  Charakter  der  historischen  Methode  zur 
Geltung.     Der  historische  Kritiker  will  nicht  gleich  dem  philologi- 
schen die  Echtheit  eines  einzelnen  Oeisteserzeugnisses,  so  umfassend 
oder  so  beschränkt  es  auch  sein  mag,  bestimmen,  sondern  es  handelt 
sich  für  ihn  darum,  mittelst  einer  Anzahl  von  Objecten,  die  grossen- 
theils  Geisteserzeugnisse  sind,  die  die  philologische  Kritik  zuvor  be- 
standen haben,  einen  Zusammenhang  von  Ereignissen  in  Bezug  auf 
seine  Wahrheit  zu  prüfen.     Dieses  Unternehmen  setzt  voraus,  dass 
irgend  ein  Zeugniss  des  Tbatbestandes,  z.  B.  eine  Inschrift,  der  Be- 
richt eines  Chronisten,  oder  auch  nur  eine  sagenhafte  Ueberlieferung, 
gegeben  sei.     Ist  die  philologische  Echtheit  dieses  Zeugnisses  soweit 
möghch  festgestellt,  so  besteht  nun  seine  historische  Prüfung  in  der 
Tergleichung  mit  andern  Zeugnissen  ähnlicher  Art,  die  sich  entweder 
aaf  denselben  oder  auf  einen  nahe  damit  zusammenhängenden  That- 
bestand   beziehen.     Wegen    des    singulären   Charakters   historischer 
Ereignisse  kann  hier  die  spärlichste  Coincidenz  einen  entscheidenden 
Werth  haben.     Oft  gelingt  es  aber   auch  ohne  sie  eine  Thatsache 
mindestens  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich  zu  machen,  indem  man 
einen  inneren  Zusammenhang  mit  einer  andern  sichergestellten  That- 
sache nachweist.     Gerade  in  solchen  Fällen  pflegt  auch  hier  der  ob- 
jectiven   historischen   Kritik  eine   subjective  und  psychologische 
ergänzend  zur  Seite  zu   treten.     Denn   wo  eine  Thatsache   objectiv 
nur  unzureichend  bezeugt  ist,  da  kann  allein  die  Vergegenwärtigung 
der  subjectiven  Eigenthümlichkeiten  der  betheiligten  Individuen  zu 
einer   gewissen    Wahrscheinlichkeit    gelangen.      In    dieser   psycho- 
logischen Beziehung  findet   daher    der  Analogieschluss ,    z.  B.   der 
Schluss  von  einer  Handlung  eines  Menschen  auf  eine  andere  Hand- 
lung desselben,  eine  einigermassen  berechtigte  Anwendung,  wogegen 
eine  Analogie   nach   bloss  historischen   Gesichtspunkten   wegen   der 
einzigartigen  Natur  der  Ereignisse  in   hohem  Grade  bedenklich  ist. 
Ein  bemerkenswerther  Unterschied  der  historisch-kritischen  Methode 
Ton  der  philologischen  besteht  femer  darin,  dass  in  jener  das  hypo- 
thetische Element  fast  ganz  ausgeschlossen  ist.     Eine  so  wichtige 
Bolle  auch   die  Hypothese  in  der  historischen  Interpretation  spielt, 

Wandt,  Logik.   II,  2.    2.  Aufl.  22 


338  Logik  der  GeschichtBwissenschaften. 

die  Kritik  sucht  sich  ihrer  möglichst  zu  enthalten.  Ein  Verfahren, 
das  etwa  der  philologischen  Conjecturalkritik  gleichkäme ,  ist  hier 
völlig  unmöglich.  Dies  entspricht  der  Richtung  der  philologischen 
Forschung  auf  das  Einzelne,  der  historischen  auf  den  Zusammen- 
hang des  Einzelnen.  Der  philologischen  Forschung  kann  die  ein- 
zelne  Thatsache  in  mangelhafter  Form  gegeben  sein;  die  historische, 
welche  die  philologische  Vorprüfung  bereits  erledigt  hat,  kann  als 
solche  nur  im  Zusammenhang  der  Thatsachen  Lücken  vorfinden, 
deren  Ergänzung  dann  allein  auf  dem  Wege  der  Interpretation 
möglich  ist.  Aus  dieser  verschiedenen  Richtung  der  Thätigkeit  ent- 
springt endlich  ein  letzter  bedeutsamer  Unterschied  der  historischen 
Kritik:  diese  benützt  zwar,  wie  jede  Kritik,  sowohl  Uebereinstim- 
mungen  wie  Widersprüche  in  den  ihr  vorliegenden  Ereignissen,  um 
das  Wahre  vom  Falschen  zu  sondern;  aber  auf  der  Feststellung 
der  Oebereinstimmungen  liegt  der  Schwerpunkt  des  Verfahrens. 
Die  Widersprüche  der  Quellenangaben  können  höchstens  die  Unlös- 
barkeit  eines  Problems  bewirken;  dagegen  ist  die  Uebereinstimmung 
verschiedener  Zeugnisse,  deren  Unabhängigkeit  von  einander  sicher 
constatirt  werden  kann,  stets  ein  wichtiges  Hülfsmittel  zur  Erlangung 
historischer  Gewissheit.  Dieses  Verhältniss  entspringt  abermals  aus 
der  singulären  Natur  geschichtlicher  Ereignisse,  vermöge  deren  durch 
eine  einzige  übereinstimmende  Instanz  unter  Umständen  schon  die 
Sicherheit  eines  Resultates  verbürgt  werden  kann.  So  gehören  die 
Fragen  der  älteren  Chronologie  zu  den  schwierigsten  Aufgaben  histo- 
rischer Kritik|;  die  ungeheuren  Widersprüche  der  verschiedenen  Zeit- 
rechnungen stellen  hier  die  grosse  Unsicherheit  der  einzelnen  Daten 
ins  Licht.  Eine  einzige  Uebereinstimmung  dagegen ,  wie  z.  B.  in 
den  jüdischen  und  griechischen  Angaben  über  gewisse  Thataachen 
der  persischen  und  assyrischen  Geschichte,  kann  nicht  bloss  zur 
Fixirung  der  Ereignisse  dienen,  sondern  in  ihnen  auch  feste  Aus- 
gangspunkte für  weitere  Zeitbestimmungen  gewinnen  lassen*). 

Von  geringerem  Werthe  sind  einige  weitere  formale  Kriterien 
historischer  Wahrheit,  wie  die  Gleichzeitigkeit  der  Berichterstatter 
mit  den  von  ihnen  erzählten  Ereignissen,  die  Abfassung  eines  Berichts 
vor  dem  Eintritt  der  politischen  oder  sonstigen  Wirkungen,  welche 
die  berichtete   Thatsache    ausgeübt   hat,    aus    denen   man   ebenfalls 

*)  Vgl.  L.  y.  Ranke,  Zur  Chronologie  des  Eusebius.  Beilage  zum 
1.  Band  seiner  Weltgeschichte.  Anderweitige  Beispiele  enthalten  desselben  Ver- 
fassers kritische  Erörterungen  zur  alten  Geschichte  im  3.  Band  des  genannten 
Werkes. 


Hifitorische  Kriük.  339 

auf  die  Zuverlässigkeit  einer  Ueberlieferung  glaubt  scUiessen  zu 
können'*').  Ihnen  lässt  sich  entgegenhalten,  dass  gerade  der  Augen- 
zeuge eines  historischen  Ereignisses,  der  seine  näheren  und  ferneren 
Folgewirkungen  noch  nicht  kennt,  schon  deshalb  weil  er  es  meist 
nur  Yon  einem  beschränkten  Standpunkte  aus  auffasst  und  nach 
seiner  vollen  Bedeutung  nicht  zu  würdigen  vermag,  in  einer  un- 
günstigeren Lage  ist  als  ein  später  kommender  Beobachter,  der  be- 
reits kritisch  prüfend  den  Vorgängen  gegenübersteht  **). 

Dies  führt  uns  auf  den  allgemeinen  Grundsatz,  dem  alle  be- 
sonderen Regeln  der  historischen  Kritik,  auch  die  der  Ueberein- 
stinunung  unabhängiger  Zeugnisse,  unterworfen  sind.  Da  es  diese 
Kritik  überall  nur  mit  der  Feststellung  wirklicher  Ereignisse  zu 
thnn  hat,  so  müssen  die  durch  die  einzelnen  kritischen  Methoden  zu 
Tage  geförderten  Resultate  in  erster  Linie  möglich  sein:  sie  müssen 
mit  den  allgemeinen  Gesetzen  unserer  Erfahrungserkenntniss  über- 
einstimmen; und  sie  müssen  in  zweiter  Linie  wahrscheinlich  sein: 
sie  müssen  sich  dem  sonstigen,  namentlich  dem  in  nächster  Ver- 
bindung mit  ihnen  stehenden  historischen  Zusammenhang  ungezwungen 
einfügen.  Darum  wird  kein  wirklicher  Historiker  heute  noch  den 
Bericht  eines  Wunders,  auch  wenn  er  von  noch  so  zuverlässigen 
und  von  einander  unabhängigen  Zeugen  herrühren  sollte,  für  glaub- 
würdig ansehen;  und  er  wird,  auch  wenn  eine  Ueberlieferung  nach 
den  formalen  Kriterien  der  Quellenkritik  hinreichend  bezeugt  ist, 
nicht  unterlassen  zu  prüfen,  inwiefern  sich  die  überlieferte  Thatsache 
in  den  bereits  gegebenen  geschichtlichen  Zusammenhang  einfügt 
oder  etwa  auf  Ghrund  desselben  Zweifeln  begegnet.  Nichts  kann 
darum  verkehrter  sein,  als  jene  formalen  Regeln  von  der  üeberein- 
stimmung  der  Quellen,  der  Bevorzugung  der  ursprünglicheren  Quellen 
vor  den  abgeleiteten  und  andere  mehr  ähnlich  mathematischen  Regeln 
benützen  zu  wollen,  aus  denen,  ohne  weitere  Rücksicht  auf  den 
materiellen  Inhalt  des  Ergebnisses,  mit  unfehlbarer  Sicherheit  Schlüsse 
gezogen  werden  sollen***).  Vielmehr  darf  man  nie  aus  dem  Auge 
verlieren,  dass  die  Geschichte  als  Erfahrungswissenschaft  zunächst 
den  allgemeinen  Gesetzen  unserer  Erfahrungserkenntniss  überhaupt 
und  sodann  den  besonderen  Bedingungen  der  von  ihr  untersuchten  ein- 


•)  Droyeen,  GrundriBS  der  Historik.    3.  Aufl.,  S.  16  ff. 
**)  Ottokar  Lorenz,  Die  Geschichtswissenschaft  in  Hauptrichtungen  und 
Aufgaben.     1891.    U,  S.  329  ff. 

***)  0.  Lorenz  fahrt  dieses  Verfahren   an   einigen  treffenden  Beispielen 

ad  absurdum  (a.  a.  0.  S.  309  ff.). 


340  Logik  der  GeschichtewiBsenschaften. 

zelnen  Thatsachen  unterworfen  ist.  In  Wahrheit  sind  ja  auch  jene 
formalen  Regeln  der  historischen  Ejitik  nichts  anderes  als  gewisse 
Verallgemeinerungen  aus  der  psychologischen  Erfahrung,  die,  wie 
alle  Regeln  ähnlicher  Art,  nur  unter  der  Voraussetzung  bestimmter 
realer  Bedingungen  gültig  sind.  Zu  diesen  realen  Bedingungen  ge- 
hören aber  vor  allem  die  besonderen  Eigenschaften  der  historischen 
Erscheinungen,  um  deren  Untersuchung  es  sich  handelt.  Wegen  der 
auf  geschichtlichem  Gebiete  nie  zu  übersehenden  singulären  Be- 
deutung der  Thatsachen  kann  darum  die  Anwendung  der  generischen 
Vergleichung  und  eine  auf  Orund  derselben  ausgeführte  Abstraction 
kritischer  Regeln  leicht  die  Quelle  verhängniss voller  Irrthümer  werden. 
Ein  charakteristisches  Beispiel  bietet  in  dieser  Beziehung  die  Kritik 
mittelalterlicher  Geschichtsquellen,  die  es  sich  gegenwärtig,  um  solche 
aus  einer  falschen  generischen  Abstraction  entsprungene  Irrthümer 
zu  vermeiden,  geradezu  zum  Grundsatz  gemacht  hat,  die  Frage  der 
Echtheit  von  Urkunden  nicht  nach  generellen  Regeln  sondern  aus- 
schliesslich mittelst  singulärer  Uebereinstimmungen  und  Unter- 
schiede kritisch  zu  prüfen.  Da  als  singulare  Merkmale  vorzugs- 
weise die  der  Handschrift  dessen,  der  eine  Urkunde  ausgestellt  hat, 
in  Betracht  kommen,  so  ist  in  Folge  dieses  Grundsatzes  der  Schwer- 
punkt der  neueren  Urkundenkritik  in  die  Schriftvergleichung  verlegt 
worden*). 

c.    Die  historische  Interpretation. 

Die  allgemeine  Natur  der  geistigen  Schöpfungen  und  die  be- 
sonderen Bedingungen  des  historischen  Geschehens  bringen  es  mit 
sich,  dass  eine  causale  Erklärung  geschichtlicher  Thatsachen  niemals 


*)  Diesem  Princip  der  Singularität  entsprechend  lautet  der  hauptsäch- 
lichste Grundsatz  der  neueren  Diplomatik  für  die  Ausschliessung  einer  Fäl- 
schung: «Wenn  mehrere  Urkunden  desselben  Ausstellers  für  verschiedene  Em- 
pfänger, die  nicht  in  einem  nachweisbaren  Zusammenhang  stehen,  z.  B.  für  ein 
italienisches  Bisthum  und  für  ein  deutsches  Kloster ,  ganz  oder  theilweise  von 
derselben  Hand  geschrieben  sind,  so  kann  diese  Schriftgleichheit  nur  durch  ihre 
Entstehung  in  der  Kanzlei  des  Ausstellers  erklärt  werden,  während  die  Annahme, 
sie  könnten  von  einem  und  demselben  Fälscher  herrühren,  nach  den  Ent- 
stehungsmotiven solcher  Fälschungen  ausgeschlossen  ist/  Vgl.  H.  Bresslau, 
Handbuch  der  Urkundenlehre  für  Deutschland  und  Italien,  1895.  Bd.  I,  S.  36  ff. 
Eine  eingehende  Darstellung  der  verschiedenen  Formen  historischer  Kritik  mit 
Beispielen,  namentlich  aus  dem  Gebiet  der  Quellenkritik,  findet  man  bei 
E.  Bernheim,  Lehrbuch  der  historischen  Methode.    2.  Aufl.,  1894.    S.  236  ff. 


Historische  Interpretation.  341 

in  der  Form  einer  zwingenden  Deduction  möglich  ist.  Die  Aufgabe 
der  historischen  Interpretation  beschränkt  sich  vielmehr  auf  die 
Nachweisung  eines  psychologisch  begreiflichen  Zusammen- 
hangs zwischen  den  durch  die  Kritik  gesicherten  einzelnen  That- 
sachen.  Während  die  Naturerklärung  überall  eindeutige  Resultate 
zu  gewinnen  sucht,  bleiben  daher  die  geschichtlichen  Ereignisse 
unter  allen  umständen  vieldeutig,  indem  mannigfache,  vielleicht 
dem  Grade  nach  gleiche,  aber  qualitativ  abweichende  Arten  des 
historischen  Verständnisses  einer  und  derselben  Reihe  von  Begeben- 
heiten möglich  sind.  Dennoch  würde  es  falsch  sein,  dieses  Ver- 
hältniss  als  einen  Mangel  aufzufassen,  durch  den  die  Interpretation 
der  Geschichte  hinter  derjenigen  der  Natur  zurückstehe.  Vielmehr 
gewinnt  jene,  was  sie  an  logischer  Strenge  einbüsst,  an  Mannig- 
faltigkeit und  Reichthum  ihres  Inhalts.  Auch  ist  nicht  zu  über- 
sehen, dass  der  zwingenden  Kraft,  die  der  naturwissenschaftlichen 
Deduction  in  günstigen  Fällen  zukommt,  die  durchgängig  hypo- 
thetische BeschalSenheit  der  obersten  Prämissen,  von  denen  diese 
Deduction  ausgeht,  insbesondere  aller  Voraussetzungen  über  das  Sub- 
strat der  Erscheinungen,  gegenübersteht,  während  die  Vordersätze 
geschichtlicher  Interpretation  theils  selbst  historische  Thatsachen,  theils 
aber  psychologische  Motive  8ind,  deren  Existenz  im  allgemeinen 
nicht  zu  bezweifeln  ist,  wenn  auch  ihre  Wirksamkeit  in  dem  der 
Untersuchung  unterworfenen  Fall  möglicher  Weise  bestritten  werden 
kann.  Problematisch  ist  daher  im  letzten  Grunde  jede  Erklärung, 
die  über  eine  Beschreibung  der  beobachteten  Thatsachen  hinausgeht. 
Nur  hat  der  Zweifel  jedesmal  einen  andern  Angriffspunkt:  bei  der 
Naturerklärung  bezieht  er  sich  auf  das  reale  Substrat  der  Erschei- 
nungen, bei  der  Interpretation  geschichtlicher  Vorgänge  auf  die  Ver- 
bindung der  Erscheinungen  unter  einander  und  mit  den  allgemein- 
gültigen Motiven  menschlichen  Handelns. 

Hieraus  ergibt  sich  aber  auch,  dass  die  Gesetze  naturwissen- 
schaftlicher Induction  nicht  unmittelbar  auf  das  Gebiet  der  Geschichte 
übertragen  werden  können.  Denn  ist  es  auch  selbstverständlich, 
dass  die  logischen  Normen,  nach  denen  die  wissenschaftliche 
Forschung  handelt,  überall  die  nämlichen  bleiben,  so  müssen  sich 
doch  die  Anwendungen  dieser  Normen  innerhalb  der  zusammenge- 
setzten wissenschaftlichen  Methoden  stets  zugleich  nach  den  Principien 
richten,  die  für  die  in  Frage  stehenden  Erscheinungen  gültig  sind. 
Diese  Principien  sind  nun  im  vorliegenden  Fall  die  psychologi- 
schen,  da  die  Vorgänge  der  Geschichte,   gleichgültig  ob  man   die 


342  Logik  der  Geschichtswisfienschafben. 

individuellen  oder  die  socialen  Einflüsse  bei  ihnen  in  den  Vorder- 
grund stellen  mag,  immer  in  letzter  Instanz  auf  menschliche  Willens- 
motive  und  Handlungen  zurückführen.  Dies  ist  der  Punkt,  wo 
die  früher  gekennzeichnete  naturalistische  Geschichtsauffassung 
(S.  325)  grundsätzlich  fehlgeht,  da  sie  die  historischen  Thatsachen  ledig- 
lich als  objectiv  gegebene  Erscheinungen  behandelt,  auf  welche  die 
nämlichen  Regeln  der  Induction  anwendbar  sein  sollen  wie  auf  alle 
Naturerscheinungen . 

Im  Sinne   dieser  Auffassung   wird    dann   die   Auffindung   all- 
gemeiner  Gesetze    des   historischen  Geschehens  als  die  Hauptauf- 
gabe der  Geschichtsforschung  betrachtet.   Solche  allgemeine  Gesetze 
sollen  aber,   ähnlich  wie  die  Naturgesetze,  mittelst  der  Anwendung 
der  vergleichenden  Methode,   insbesondere  der  Methode  der  üeber- 
einstimmung,    auf  verschiedene  zeitlich   und  räumlich  von    einander 
unabhängige  historische  Begebenheiten  durch  Generalisation  zu   ge- 
winnen   sein,    worauf  dann  umgekehrt  jede   einzelne  Interpretation 
in  einer  Subsumtion  unter  diese  Gesetze  zu  bestehen   habe*).     Nun 
haben   wir  gesehen,    dass    selbst  auf  physikalischem  Gebiete   durch 
eine  blosse  Sammlung  übereinstimmender  Thatsachen   kaum  jemals 
Gesetze  gefunden  werden,    da  es  dabei  völlig  an  der   nothwendigen 
Isolation  und  Variation  der  Bedingungen  mangelt.     Aber  auch  jenes 
Verfahren  der  Vergleichung  ähnlicher  Fälle,  wie  es  die  Naturwissen- 
schaft unter  Umständen  mit  Erfolg  anwendet,   ist  auf  historischem 
Gebiete  nur  in  beschränkter  Weise   anwendbar,    weil   hier   vermöge 
der  unendlich  vielgestaltigen  Bedingungen  der  Erscheinungen  solche 
Fälle,  in  denen  gleichsam  die  Natur  selbst  für  uns  experimentirt  hat, 
niemals  vorkommen.     Es  ist  daher  begreiflich,    dass   man  bei   dem 
Versuch  dieses  Verfahren  anzuwenden  zu  so  vagen  und  trivialen  Ab- 
stractionen  gelangen  muss,   wie  sie  Buckle  gefunden  hat,   zu  Ab- 
stractionen  überdies,    die  immer   noch  eine  psychologische  Interpre- 
tation herausfordern**).     Auch   ist  nicht  zu   hoffen,   dass   etwa  mit 
dem  reicher  werdenden  Stoff,  den  der  Fortgang  der  Geschichte  künf- 

*)  H.  Th.  Buckle,  Geschichte  der  Civilisation  in  England.     Deutsch  von 
A.  Rüge,  2.  Aufl.,  1864,  Bd.  1. 

**)  Dies  erhellt  aus  folgenden  Beispielen:  „Der  Fortschritt  des  Menschen- 
geschlechts beruht  auf  dem  Erfolg,  womit  die  Gesetze  der  Erscheinungen 
erforscht  sind*;  „Die  wissenschaftlichen  Entdeckungen  starken  den  Einfluss 
intellectueller  Wahrheiten  und  schwächen  relativ  aber  nicht  unbedingt  den  Ein- 
fluss sittlicher  Wahrheiten*  u.  s.  w.  Begreiflicher  Weise  hat  sich  die  gegnerische 
Kritik  der  Historiker  vorzugsweise  gegen  diese  „Gesetze*  gerichtet.  Vgl.  z.  B. 
Droysen,  Histor.  Zeitschr.  II,  1863,  S.  1  ff . 


Historische  Interpretation.  343 

tigen  Geschlechtern  an  die  Hand  gibt,  das  Yerhältniss  sich  anders 
gestalten  werde.  Denn  nichts  spricht  dafür,  dass  sich  das  historische 
Geschehen  jemals  unter  gleichen  Bedingungen  wiederholen  werde. 
Mehr  als  die  eigentliche  Geschichte  lässt  allerdings  die  Entwicklungs- 
geschichte einzelner  geistiger  Erzeugnisse,  wie  der  Sprache,  des 
Mythus,  der  Sitte,  die  Auffindung  von  Gesetzen  auf  dem  Wege  der 
Induction  zu,  die  dann  wieder  rückwärts  zur  Deduction  einzelner 
Erscheinungen  dienen  können.  Dies  hängt  aber  mit  der  früher  her- 
vorgehobenen Eigenschaft  solcher  Geisteserzeugnisse  zusammen,  dass 
bei  ihnen  die  individuellen  und  singulären  Einflüsse  gegenüber  den 
allgemeinen  und  gleichförmig  wirkenden  Bedingungen  zurücktreten*). 
Am  ehesten  kommt  es  daher  auch  zu  einer  ähnlichen  gesetzmässigen 
Wiederholung  gewisser  Entwicklungsstadien  in  solchen  Gebieten  des 
geistigen  Lebens,  in  denen  eine  innere  Continuität  der  Entwicklung 
stattfindet,  die  zwar  von  sonstigen  historischen  Einflüssen  mannig- 
fach modificirt  werden  kann,  in  ihrer  allgemeinen  Beschaffenheit  aber 
doch  eine  gewisse  Gleichförmigkeit  der  Ursachen  darbietet,  wie  die 
Literatur,  die  Philosophie,  die  Kunst  u.  s.  w.  Immerhin  kann  selbst 
in  diesen  Fällen  die  vergleichende  Methode  immer  nur  die  vor- 
bereitenden Schritte  zur  eigentlichen  Interpretation  thun.  Gerade 
hier  ist  es  dann  aber  eben  wegen  jener  inneren  Continuität  der  Ent- 
wicklung besonders  augenfällig,  dass  die  Interpretation  selbst  in  der 
Nachweisung  der  psychologischen  Bedingungen  der  Erscheinungen 
bestehen  muss**). 

Soweit  sich  daher  überhaupt  die  historische  Interpretation 
der  vergleichenden  Methode  bedient,  wendet  sie  dieselbe  in  einer 
von  der  Naturwissenschaft  wesentlich  abweichenden  Weise  an.  Ihre 
Aufgabe  ist  es  nicht,  auf  dem  Wege  der  Induction  zur  Generali- 
sation  specifisch  historischer  Gesetze  zu  gelangen,  aus  denen  dann 
eine  Menge  einzelner  Erscheinungen  abgeleitet  werden  könnte,  son- 
dern ihre  Absicht  geht  dahin,  die  Erscheinungen  aus  sich 
selbst  und  aus  den  sich  in  ihnen  verrathenden  psycho- 
logischen Gesetzen  zu  erklären.  Denn  die  allem  historischen 
Geschehen  gemeinsamen  Gesetze  sind  die  psychologischen  Gesetze  der 
Henschennatur,  die  aber  in  jedem  einzelnen  Fall  wieder  unter  nrannig- 
fach  abweichenden  Bedingungen  Anwendung  finden.  Nun  kann  freilich 

*)  Vgl.  oben  Cap.  1,  S.  137  ff. 

**)  Vgl.  E.  Elater,  Geschichte  und  Literatur,  in  der  Festschrift  zur  Ver- 
sammlung der  deutschen  Historiker,  Leipzig  1894,  S.  241  ff.,  sowie  dessen  Vor- 
trag über  die  Aufgaben  der  Literaturgeschichte.     1894. 


344  Logik  der  (Jeschichtewissenschaften. 

die  Geschichte  selbst  dazu  dienen,  psychologische  Gesetze  zu  finden, 
und  vir  haben  in  dieser  Beziehung  die  historisch-psychologische 
Methode  als  ein  wichtiges  Hülfsmittel  yölkerpsychologischer  Forschung 
kennen  gelernt.  (Vgl.  S.  239.)  Aber  hierbei  sind  es  niemals  die  ge- 
schichtlichen Thatsachen  allein,  die  uns  zu  psychologischen  Ergeb- 
nissen verhelfen,  sondern  jene  müssen  mit  den  sonstigen  Hülfsmitteln 
der  psychologischen  Untersuchung,  vor  allem  mit  der  unmittelbaren 
psychischen  Erfahrung,  combinirt  werden.  Die  auf  diesem  Wege 
gefundenen  Gesetze  können  daher  abermals  nur  psychologische  sein. 
Uebrigens  sind  es  auch  hier  wieder  ausschliesslich  jene  philologisch- 
historischen Disciplinen,  die  sich  mit  der  Entwicklung  einzelner  der 
Naturbestimmtheit  des  Bewusstseins  in  höherem  Masse  unterworfener 
Geisteserzeugnisse  beschäftigen,  wie  die  Sprachwissenschaft,  die 
Mythologie  und  die  historische  Ethik,  die  als  Hülfsmittel  der  Psycho- 
logie in  Betracht  kommen. 

Von  diesem  Verhältnisse  zur  Psychologie  ist  nun  die  specielle 
Anwendung  der  vergleichenden  Methode  innerhalb  der  historischen 
Interpretation  durchaus  bestimmt.  Indem  diese  darauf  ausgeht,  die 
Thatsachen  aus  ihrem  eigenen  Zusammenhang  und  aus  den  Motiven 
der  handelnden  Menschen  zu  erklären,  ist  sie  zunächst  auf  die  indi- 
viduelle Vergleichung  angewiesen,  auf  ein  Abwägen  der  möglichen 
Einflüsse,  ein  Ausscheiden  der  aus  thatsächlichen  oder  psychologischen 
Gründen  unwesentlichen  und  eine  Combination  der  zurückbleibenden 
wesentlichen  Factoren.  In  zweiter  Linie  wird  dann  aber  auch  die 
generische  Vergleichung  angewandt.  Sie  kann  wieder  von  sub- 
jectiven  oder  von  objectiven  Bedingungen  bestimmt  sein.  Im  ersteren 
Falle  zieht  sie  andere,  möglicher  Weise  in  ihrer  objectiven  Be- 
schaffenheit ganz  abweichende  Ereignisse  herbei,  an  denen  die  näm- 
lichen massgebenden  Factoren,  seien  diese  nun  einzelne  Personen, 
Regierungen,  Parteien,  Staaten  oder  Völker,  betheiligt  waren.  Aus 
dem  Verhalten  dieser  Factoren  in  andern  Fällen  schliesst  man  auf 
die  Wirksamkeit  bestimmter  Motive  bei  der  in  Frage  stehenden  Er- 
scheinung. Diese  subjective  Anwendungsform  der  generischen  Me- 
thode ist  am  nächsten  mit  der  individuellen  Vergleichung  verbunden; 
und  sie  ist  daher  die  häufigste,  dem  unmittelbaren  Charakter  der 
historischen  Probleme  entsprechend.  Daneben  fehlt  aber  auch  die 
zweite,  objective  Anwendung  nicht.  Sie  besteht  darin,  dass  objectiv 
ähnliche,  jedoch  unter  abweichenden  äusseren  Verhältnissen  und 
darum  unter  Betheiligung  anderer  Factoren  stattgehabte  Erscheinun- 
gen zur  Vergleichung  dienen.    Auch  hier  handelt  es  sich  aber  nicht 


Historische  Interpretation.  345 

um  die  Ableitung  allgemeiner  Gesetze,  sondern  es  wird  von  einem 
Fall  auf  einen  andern  gefolgert.  Beide  Methoden  generischer  Ver- 
gleichung  operiren  also  mit  dem  Analogieschluss.  Bei  der  sub- 
jectiyen  Methode  schliesst  man,  dass  irgend  eine  Person  oder  ein 
bestimmter  Complex  von  Personen  analog  den  in  früheren  Erfah- 
'nmgen  bethätigten  Charaktereigenschaften  auch  unter  einer  andern 
Verkettung  von  Umständen  handeln  werde;  bei  der  objectiven  Me- 
thode schliesst  man,  dass  ein  ähnlicher  causaler  Zusammenhang,  wie 
er  bei  einem  andern  durch  (Ibereinstimmende  Merkmale  ausgezeich- 
neten Ereignisse  stattgefunden  hat,  auch  in  dem  gegebenen  Fall 
vorhanden  sein  werde.  Es  ist  klar,  dass  diese  zweite  Analogie  im 
allgemeinen  die  weniger  bindende  ist ;  denn  die  Charaktere  von  Indi- 
viduen und  selbst  von  Völkern  sind  trotz  der  Schwankungen  die  sie 
darbieten  doch  im  ganzen  constanter  als  die  unter  Umständen  sehr 
verschiedenartigen  Einflüsse^  die  äusserlich  übereinstimmende  histo- 
rische Erfolge  herbeiführen.  Darum  kann  der  objective  Analogie- 
schluss am  ehesten  noch  bei  solchen  Thatsachen,  die  mit  den 
natürlichen  Vorstellungen  und  Trieben  des  menschlichen  Geistes  zu- 
sammenhängen, eine  bindende  Kraft  gewinnen,  also  vor  allem  wieder 
in  der  Geschichte  einzelner  geistiger  Bestrebungen,  wie  der  Kunst 
und  der  Wissenschaft,  oder  bei  solchen  Fragen  der  allgemeinen  Ge- 
schichte, die  sich  auf  die  literarische  Ueberliefemng  beziehen.  So 
schliesst  man  z.  B.,  dass,  wenn  in  den  Traditionen  verschiedener 
Urgeschichten,  vne  in  der  hebräischen  und  der  römischen,  auffallend 
übereinstimmende  Züge  vorkommen,  hieraus  die  mythische  Natur 
derartiger  Theile  der  Ueberliefemng  wahrscheinlich  wird.  Zugleich 
ist  dies  ein  Beispiel  für  den  auch  auf  historischem  Gebiete  vor- 
kommenden Fall,  dass  die  Methode  der  Uebereinstimmung  ausnahms- 
weise als  negative  Instanz  Verwerthung  finden  kann.  (Vgl.  oben 
S.  315.) 

In  ihrem  ganzen  Zusammenhange  betrachtet  ist  demnach  die 
historische  Interpretation  ein  Inductionsverfahren,  das  zunächst  nicht, 
wie  die  naturwissenschaftliche  Induction,  zu  allgemeinen  Gesetzen, 
die  eine  Reihe  ähnlicher  Thatsachen  beherrschen,  sondern  zu  mehr 
oder  minder  verwickelten  Causalbeziehungen  führt,  die  in  der  ihnen 
zukommenden  concreten  Beschaffenheit  allein  für  den  specieUen,  der 
Interpretation  unterworfenen  Zusammenhang  gültig  sind.  Solche 
Causalbeziehungen  sind  gesetzmässig;  aber  sie  sind  selbst  keine 
Gesetze,  sondern  Anwendungen  allgemeiner  psychologischer  Gesetze 
unter  Bedingungen,  die  für  jeden  geschichtlichen  Zusammenhang  von 


346  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

singulärer  Art  sind.  Vermöge  dieser  singulären  Natur  der  histori- 
schen Zusammenhänge  nimmt  daher  der  Beweis  für  bestimmte  causale 
Beziehungen  im  allgemeinen  die  Form  eines  praktischen  Inductions- 
beweises  an  (Bd.  II,  1,  S.  78).  In  die  historische  Induction  greift 
dann  aber,  untrennbar  mit  ihr  verbunden,  die  psychologische 
Deduction  ein.  Während  die  individuelle  Vergleichung  wesentlich 
dem  Inductionsverfahren  dient,  ist  es  die  generische,  die  dieses 
deductive  Element  einschliesst.  Darum  bewegt  sich  die  Deduction 
hier  überall  zunächst  in  Analogieschlüssen  der  oben  geschilderten 
Art.  Diese  Analogieschlüsse  stützen  sich  aber  stets  auf  psycho- 
logische Principien,  welche  letztere  die  wahren  Principien  der 
historischen  Deduction  sind.  Kann  dem  Begriff  des  Gesetzes  in  der 
historischen  Interpretation  nach  allem  dem  nicht  diejenige  Stellung 
angewiesen  werden,  die  er  innerhalb  der  Naturerklärung  einnimmt, 
nämlich  die  eines  den  XJebergang  von  der  inductiven  Untersuchung 
zur  systematischen  Deduction  der  Erscheinungen  vermittelnden  all- 
gemeinen Hülfsmittels,  so  ist  nun  daraus  aber  noch  nicht  zu  schliessen, 
dass  es  historische  Gesetze  überhaupt  nicht  gebe.  Vielmehr  wird 
man  aus  der  Forderung  der  durchgängigen  causalen  Gesetzmässig- 
keit, die  stillschweigend  jeder  Interpretation  zu  Grunde  liegt,  auch 
auf  die  allgemeine  Möglichkeit  der  Existenz  historischer  Gesetze 
schliessen  müssen.  Nur  werden  dieselben  allerdings  gemäss  den  für 
die  Interpretation  geltenden  Regeln  von  vornherein  unter  zwei  Be- 
dingungen stehen,  durch  die  sie  sich  wesentlich  von  den  Natur- 
gesetzen unterscheiden:  erstens  werden  sie  auf  psychologische 
Principien  zurückweisen,  in  diesem  Sinne  also  auch  niclit  spe- 
cifisch  historische  Gesetze  sein  können;  und  zweitens  werden  sie 
immer  nur  den  Charakter  von  letzten  Ergebnissen  historischer 
Betrachtung,  niemals  den  von  Voraussetzungen  haben,  aus  denen  die 
Geschichte  oder  irgend  ein  einzelner  geschichtlicher  Verlauf  zu 
deduciren  wäre.  Da  sonach  die  historischen  Gesetze  weder  Hülfs- 
mittel  noch  unmittelbare  Resultate  historischer  Interpretation  sein 
können,  so  fällt  die  Frage  nach  ihrer  Existenz  und  Bedeutung  ganz 
und  gar  einer  philosophischen  Betrachtung  der  Principien  der 
Geschichte  zu,  die  überall  erst  auf  der  Grundlage  der  mittelst  Kritik 
und  Interpretation  festgestellten  geschichtlichen  Zusammenhänge 
möglich  ist.     (Vgl.  unten  4,  c.) 

Bei   der   Vielgestaltigkeit   der   Hülfsquellen ,    über   welche  die 
historische  Interpretation  gebietet,   ist  eine  beschränkende  Auswahl 


Historische  Interpretation.  347 

unter  ihnen  theils  durch  ihre  verschiedene  Sicherheit,  theils  auch 
schon  durch  ihre  Zahl  geboten.  Sobald  eine  solche  Auswahl  will- 
kürlich und  unter  der  Leitung  eines  bestimmten  methodischen  Prin- 
cips  geschieht,  so  verbindet  sich  die  Induction  mit  einer  Ab  st  r  actio  n, 
deren  auszeichnender  Charakter  in  diesem  Falle  eben  in  ihrer  Will- 
kür besteht.  Daftei  kann  aber  der  Wille  des  historischen  Beob- 
achters bald  durch  objective  Bedingungen,  bald  auch  durch  seine 
eigene  Individualität  motivirt  werden.  In  diesem  Sinne  sind  zunächst 
die  zwei  Richtungen  der  Interpretation  zu  verstehen,  welche  die 
Historik  zu  unterscheiden  pflegt:  die  pragmatische  und  die  psycho- 
logische. Diese  Namen  beziehen  sich  zwar  zunächst  auf  die  Dar- 
stellung; die  unterschiede  liegen  aber  tiefer,  in  den  Methoden  der 
Forschung.  Die  pragmatische  Interpretation  will  den  Thatbestand 
für  sich  selbst  reden  lassen,  indem  sie  den  Zusammenhang  nach- 
weist, in  dem  die  Thatsachen  objectiv  mit  einander  stehen.  Die 
psychologische  geht  den  Motiven  nach,  von  welchen  die  in  das 
historische  Geschehen  eingreifenden  Willenshandlungen  bestimmt 
wurden.  Die  pragmatische  Historik  beschränkt  sich  also  möglichst 
auf  die  eigentliche  historische  Induction,  die  psychologische  verwendet 
mit  Vorliebe  die  deductiven  Hülfsmittel,  die  subjectiven  und  objectiven 
Analogien.  Aber  es  versteht  sich  von  selbst,  dass  niemals  der  Prag- 
matiker der  psychologischen  Auffassung  oder  der  psychologische 
Historiker  der  pragmatischen  Behandlung  ganz  entrathen  kann.  Nur 
um  vorwiegende  Richtungen  handelt  es  sich  also  hier,  und  gerade 
der  reine  Pragmatismus  ist  so  wenig  durchführbar,  dass  sogar  dieser 
Name  eine  veränderte  Bedeutung  angenommen  hat,  indem  man  unter 
ihm  eine  Behandlung  der  Geschichte  versteht,  die,  statt  die  Ereig- 
nisse aus  ihren  eigenen  Motiven  psychologisch  zu  begreifen,  vielmehr 
dieselben  nach  untergeschobenen  moralischen  oder  politischen  Zwecken 
beurtheilt,  so  dass  nun  mit  völliger  Umkehrung  der  eigentlichen 
Bedeutung  die  pragmatische  Interpretation  als  die  subjective,  die 
psychologische  als  die  objective  erscheint'"). 

Wichtiger  als  diese  willkürliche  Scheidung  von  Thatsachen  und 
Motiven  ist  die  Abstraction  von  einzelnen  Quellen  der  Forschung 
und  die  damit  verbundene  ausschliessliche  Benützung  anderer.  Eine 
derartige  Behandlungsweise  kann  namentlich  durch  die  wechselseitige 
Ergänzung  verschiedener  mit  abweichenden  Hülfsmitteln  arbeitender 
Forschungen  von  hohem  Werthe  sein.    Eine  Construction  der  ältesten 


♦)  G.  G.  G ervin uß,  Grundzüge  der  Historik.     1837.    S.  39. 


348  Logik  der  GeschichtswiBsenschaften. 

Geschichte  Roms  an  der  Hand  der  Ueberreste  und  Denkmäler,  wie 
sie  von  Mommsen  versucht  wird,  ist  selbst  dann,  wenn  man  in  der 
sagenhaften  Tradition  historische  Anklänge  vermuthen  sollte,  Ton 
hohem  Werthe,  indem  sie  zunächst  die  sicheren  Bestandtheile  der 
Ueberlieferung  ausscheidet,  die  nun  die  Beurtheilung  jener  mannig- 
fach gefälschten  Quellen  leiten  können.  Die  Art,  wie  Ranke  die 
verschiedensten  Gebiete  der  neueren  Geschichte  mit  vornehmlicher 
Benutzung  von  Gesandtschaftsberichten  bearbeitet  hat,  verdankt  der 
subjectiven  und  doch  '^zugleich  von  gewissen  politischen  Gesichts- 
punkten bestimmten  Färbung,  welche  die  Ereignisse  annehmen,  ihr 
besonderes  Interesse*).  So  wird  überall  die  historische  Abstraction 
zunächst  durch  die  Fülle  des  Stoffs  und  die  Mannigfaltigkeit  der 
Gesichtspunkte,  die  auf  das  historische  Geschehen  anwendbar  sind, 
geleitet;  in  ihrer  speciellen  Richtung  wird  sie  aber  durch  die  be- 
sondere geistige  Auffassung  des  historischen  Forschers  bestimmt,  der 
gerade  hierin  die  Eigenthümlichkeit  seiner  Begabung  zu  verrathen 
pflegt. 

Neben  der  pragmatischen  und  der  psychologischen  hat  man 
noch  eine  Interpretation  der  Bedingungen  und  eine  solche  der 
Ideen  unterschieden'*''*').  Beide  bezeichnen,  falls  man  die  Begriffe 
nicht  wiUkürUch  verengt,  nicht  sowohl  verschiedene  Formen  der 
Interpretation  als  vielmehr  Auf  gaben,  die  jeder' historischen  Unter- 
suchung gestellt  werden  müssen.  Insofern  diese  das  Verständniss 
des  causalen  Zusammenhangs  der  Ereignisse  vermitteln  soll,  bezieht 
sie  sich  nothwendig  auch  auf  deren  Bedingungen.  Dabei  kann  dann 
freilich  wieder  die  historische  Forschung  verschiedene  Richtungen  ein- 
schlagen je  nach  der  Classe  der  Bedingungen  die  sie  bevorzugt. 
Indem  hier  eines  jener  heuristischen  Principien,  die  für  alle  Geistes- 
wissenschaften bestimmend  sind  und  manchmal  sogar  innerhalb  eines 
solchen  eine  bestimmte  Kategorie  von  Ursachen  ausschliesslich  be- 
rücksichtigt wird,  entstehen  einseitige  Interpretationsweisen,  wie  sie 
den  oben  gekennzeichneten  allgemeinen  Richtungen  der  Geschichts- 
auffassung eigenthümlich  sind.  Der  Widerstreit  dieser  Richtungen 
wird  jedoch  principiell  aufgehoben,  sobald  man  sich  der  relativen 
Bedeutung  erinnert,  die  den  Maximen  auf  denen  sie  beruhen  zukommt. 
Für  das  Verständniss  irgend  welcher  objectiv  gegebener  geistiger 
Processe  ist  in  Wahrheit  das  Princip   der  subjectiven  Beurtheilung 

*)  Vgl.  Ranke»  Fürsten  und  Völker  von  Süd-Europa  im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert, Bd.  I,  Vorrede. 

♦♦)  J.  G.  Droysen,  Grundries  der  Historik.    3.  AuO.,  S.  21  ff. 


Historische  Interpretation.  349 

ebenso  unerlässlich  wie  das  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Um- 
gebung oder  des  Natureinflusses'*').  Aber  eben  deshalb  kann  auf 
allen  diesen  Gebieten  und  insbesondere  auch  auf  dem  der  Geschichte 
keine  Erklärung  auf  Vollständigkeit  Anspruch  machen,  die  nicht 
nach  Gebühr  jedes  dieser  Principien  herbeizieht.  Höchstens  insoweit 
wird  man  eine  Bevorzugung  nach  dieser  oder  jener  Richtung  zugeben 
können,  als  der  ungeheure  Reichthum  des  geschichtlichen  Inhalts 
in  der  Regel  zu  einer  Auswahl  nöthigt,  bei  der  die  Individualitat 
des  einzelnen  Forschers  in  der  Bevorzugung  bestimmter  Factoren 
des  Geschehens  eine  gewisse  Rolle  spielen  kann,  gerade  so  gut  wie 
sie  dies  schon  in  der  Auswahl  der  Probleme  thut.  Nur  darf  sich 
freilich  diese  individuelle  Freiheit  nicht  dazu  versteigen,  die  Schranken 
des  eigenen  Gesichtskreises  für  die  Grenzen  der  Dinge  selbst  an- 
zusehen. 

Begreiflicher  Weise  sind  nun  die  verschiedenen  Bedingungen, 
die  durch  die  erwähnten  drei  heuristischen  Principien  angedeutet 
werden,  nicht  alle  zugleich,  sondern  allmählich  und  in  der  durch  die 
Ausbildung  der  historischen  Hülfsmittel  von  selbst  gebotenen  Reihen- 
folge für  die  historische  Interpretation  verfügbar  geworden.  Die 
älteste  und  in  vielen  Darstellungen  der  Geschichte  noch  immer  vor- 
waltende, wenn  auch  kaum  jemals  mehr  allein  herrschende  Inter- 
pretationsform ist  die  aus  der  Einwirkung  individueller  Motive, 
eine  Form  die  demnach  die  geschichtlichen  Ereignisse  so  viel  als  mög- 
lich aus  den  Handlungen  einzelner  führender  Individuen  und  aus 
den  zwischen  ihnen  sich  ergebenden  theils  gemeinsamen  theils  wider- 
streitenden Interessen  ableitet.  Daneben  hat  aber  längst  die  geistige 
Umgebung,  aus  der  man  das  Auftreten  der  führenden  Persönlich- 
keiten zu  begreifen  sucht,  und  die  zugleich  ein  allgemeines  Charakter- 
bild der  Zeiten  gewinnen  lässt,  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  ge- 
lenkt. Vorherrschend  ist  diese  Interpretation  aus  dem  geistigen 
Medium  bei  einem  Theil  der  Historiker  der  culturgeschichtlichen 
Richtung  (vgl.  oben  S.  326).  Am  spätesten  hat  sich  endlich,  als 
eine  die  äusseren  Bedingungen  in  den  Bereich  exacter  Untersuchung 
bringende  Form  der  Forschung,  die  wirthschaftsgeschicht- 
liche  Interpretation  Geltung  verschafiFt.  Der  begreifliche  Grund 
hiervon  liegt  in  der  Schwierigkeit,  für  die  Erkenntniss  der  wirth- 
schaftlichen  Zustände  vergangener  Zeiten,  die  als  Factoren  des  ge- 
schichtlichen Lebens  in  Betracht  zu  ziehen  sind,   die  erforderlichen 


♦)  Vgl,  oben  Cap.  I,  S.  46. 


350  Logik  der  Geschicbtswissenschaften. 

Quellen  zu  eröffiien.  Individuelle  Nachrichten  können  ja  hier  ebenso 
wenig  ein  zureichendes  Bild  des  Zustandes  ganzer  Bevölkerungs- 
massen  geben,  wie  es  etwa  möglich  ist  aus  der  Eenntniss  der  Exi- 
stenzbedingungen einzelner  Individuen  auf  die  Wirthschaftsverhält- 
nisse  der  Bevölkerung,  der  die  Individuen  angehören,  zureichende 
Rückschlüsse  zu  machen.  Etwas  mehr  Licht  verbreiten  schon  die 
socialen  Organisationsformen,  wie  Oemeindeverfassungen,  Stände- 
gliederungen, Einrichtungen  zünftiger  und  sonstiger  Corporationen, 
endlich  Nachrichten  über  Ackerbau,  Gewerbefleiss,  Handel  und  andere 
Wirthschaftszustände.  Aber  sollen  alle  diese  Zustände  ein  volles 
Bild  des  wirthschaftlichen  Lebens  einer  Zeit  gewähren,  so  müssen 
sie  nicht  bloss  qualitativ  betrachtet,  sondern,  so  weit  es  angeht, 
quantitativ  ermittelt  werden.  So  ergab  sich  in  erster  Linie  f&r  die 
Wirthschaftsgeschichte  die  Aufgabe  einer  rückwärts  gekehrten 
Statistik.  Hat  auch  natürlich  die  statistische  Methode  in  diesen 
historischen  Anwendungen  in  Folge  der  Mangelhaftigkeit  der  Ueber- 
lieferungen  mit  ungleich  grösseren  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  als 
die  Statistik  der  Gegenwart,  so  kommt  ihr  doch  auf  wirthschaft- 
lichem  Gebiete  der  Umstand  zu  Hülfe,  dass  gewisse  materielle  Inter- 
essen, wie  die  der  Steuereintreibung,  der  Verwaltung  grösserer  Güter 
und  ähnliche,  stets  zu  gewissen  Aufzeichnungen  geführt  haben,  die 
voraussichtlich  einigermassen  vollständig  sein  werden,  und  die  über- 
dies den  Vorzug  haben,  dass  sie  vollkommen  objectiv  und  ohne 
Rücksicht  auf  irgend  welche  die  statistische  Erhebung  störende 
Zwecke  gemacht  sind.  Auf  diese  Weise  ist  für  grosse,  früher  dieser 
Untersuchungsweise  unzugängliche  Perioden  der  Geschichte,  wie  für 
das  Mittelalter,  die  historische  Wirthschaftsstatistik  ein  wichtiges 
Hülfsmittel  historischer  Interpretation  geworden,  das,  ein  Erzeugniss 
der  culturgeschichtlichen  Richtung,  seinerseits»  dieselbe  wesentlich 
gefordert  hat*).  So  wünschenswerth  es  nun  aber  auch  sein  würde, 
dieses  Verfahren  auf  andere  Culturfactoren ,  wie  Kunst,  Wissen- 
schaft, Sittenzustände  u.  dergl.  auszudehnen,  so  wenig  scheint  doch 
dazu  im  ganzen  Aussicht  vorhanden  zu  sein,  da  eben  hier  nicht 
das  gleiche  zwingende  Interesse  wie  bei  den  wirthschaftlichen  Zu- 
ständen  zur  Niederlegung   eines   brauchbaren  statistischen  Materials 


*)  Ueber  die  Kigenthümlichkeiten  der  statistischen  Methode  überhaupt 
vgl.  unten  Cap.  IV,  1,  c,  über  ihre  Anwendung  auf  die  Geschichte  insbesondere 
Tgl.  das  Hauptwerk  dieser  Richtung :  K.  Lamprecht,  Deutsches  Wirthschafks- 
leben  im  Mittelalter,  1886,  II,  S.  3  ff.,  dazu  auch  G.  Winter  in  Steinhausens 
Zeitschrift  für  Culturgeschichte,  I,  1894,  S.  196  ff. 


Historische  Interpretation.  351 

geführt  hat.  So  ist  schon  die  Bevölkerungsstatistik  früherer  Zeiten 
äusserst  unsicher,  die  Anfänge  der  Moralstatistik  reichen  nur  in  eine 
yerhältnissmässig  kurze  Vergangenheit  zurück,  und  die  Aufzeichnungen 
über  Verhältnisse  des  geistigen  Lebens,  wie  z.  B.  über  die  Frequenz 
von  Schulen  und  Universitäten,  über  die  höheren  Berufsformen  u.  dergl. 
lassen  nirgends  sichere  Schlüsse  zu*). 

Von  einer  Interpretation  der  Ideen  kann  berechtigter  Weise 
nur  in  dem  Sinne  geredet  werden,  dass  man  es  als  eine  Aufgabe 
jeder  historischen  Untersuchung  betrachtet,  den  geistigen  Gehalt 
der  Ereignisse  und  vor  allem  die  eigenthümlichen  Verbindungen  und 
Wechselwirkungen  geistiger  Kräfte,  die  theils  verschiedene  Perioden 
der  Geschichte  theils  verschiedene  nationale  Entwicklungen  kenn- 
zeichnen, zum  Verständnisse  zu  bringen.  Niemals  aber  kann  der 
Historiker  die  „Ideen  der  Geschichte'^  als  ideale  Mächte  gelten  lassen, 
die,  gleich  den  Platonischen  Ideen,  in  einer  jenseits  der  Wirklichkeit 
der  Dinge  liegenden  Welt  ihren  Ursprung  haben  und  so  von  aussen 
her  als  gestaltende  Kräfte  auf  die  Erscheinungswelt  einwirken.  Mit 
einer  solchen  transcendenten  Causalität,  die  nicht  selten  den  Grund- 
gedanken geschieh tsphilosophischer  Speculationen  gebildet  hat,  kann 
in  Wahrheit    die    Geschichte    so    wenig    wie   die   Naturwissenschaft 


*)  Ich  darf  hierzu  vielleicht  einen  Beleg  aus  eigener  Erfahrung  anführen. 
Als  ich  vor  einigen  Jahren  mit  Hülfe  unserer  sehr  vollständigen  üniversitäts- 
matiikel  es  versuchte,  eine  Jahresstatistik  der  Immatriculationsfrequenz  der  Leip- 
ziger Universität  vom  Jahre  ihrer  Gründung  an  bis  zur  Gegenwart  aufzustellen, 
masste  selbstverständlich  von  vornherein  auf  eine  wirkliche  Bestimmung  der 
jeweiligen  Anzahl  vorhandener  Studirender  verzichtet  werden,  da  bei  keiner 
onserer  Universitäten  in  früheren  Jahren  neben  der  Liste  der  Immatriculationen 
eine  solche  des  Abgangs  von  der  üniveraität  geführt  wurde.  Aber  bald  zeigte 
68  sich,  dass  auch  Über  den  Zugang  der  Studirenden  weder  hier  noch  bei  anderen 
Universitäten,  deren  Matrikel  bisher  veröffentlicht  sind,  etwas  zu  erreichen  war, 
weil  von  der  Zeit  der  Reformation  an  bis  etwa  zum  Ende  des  vorigen  Jahr- 
honderts  die  Immatriculationen  zum  Theil  in  einer  so  frühen  Lebenszeit  statt- 
fanden, dass  damit  der  wirkliche  Besuch  der  Universität  meist  unvereinbar  ist. 
Der  Versuch  einer  Gruppenzerlegung  erwies  sich  aber  als  vollkommen  undurch- 
führbar, weil  offenbar  der  Zugang  von  Kindern  zur  Hochschule  zu  verschiedenen 
Zeiten  eine  sehr  verschiedene  Bedeutung  hatte  (z.  B.  während  des  30jährigen 
Krieges,  wo  er  gelegentlich  auf  das  70fache  der  Zahl  der  erwachsenen  Jüng- 
linge stieg,  gewiss  eine  andere  als  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts,  wo  er 
»ich  auf  einige  Kinder  von  Professoren  und  Universitätsbeamten  beschränkte), 
und  weil  sich  diese  Bedeutung  selbst,  da  uns  directe  Zeugnisse  dafür  fehlen, 
in  der  Regel  nur  muthmassen,  nicht  beweisen  lässt,  überdies  aber  die  sichere 
Abgrenzung  der  studirenden  und  der  nicht  studirenden  Knaben  nach  dem 
Lebensalter  wiederum  unmöglich  ist. 


352  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

etwas  anfangen.  Das  Reich  der  Geschichte  ist  schlechterdings  nur 
die  Wirklichkeit  menschlicher  Erlebnisse.  Die  historische  Inter- 
pretation kann  daher  nur  aus  dieser  Wirklichkeit  selbst  schöpfen. 
Unter  dieser  Voraussetzung  kann  aber  eine  Interpretation  der  Ideen 
eine  doppelte  Aufgabe  haben.  Erstens  wird  sie  in  der  klaren 
Vergegenwärtigung  des  geistigen  Zustandes  bestehen,  von  dem  die 
betrachtete  geschichtliche  Entwicklung  getragen  ist;  und  zweitens 
wird  sie  sich  auf  die  Wechselwirkungen  beziehen,  in  denen  die 
mannigfachen  Factoren  dieses  geistigen  Zustandes,  wie  Sitten-  und 
Rechtszustände,  Kunst-  und  Literaturströmungen,  theils  unter  ein- 
ander, theils  aber  mit  den  materiellen  Zustanden  auf  der  einen  und 
den  politischen  Vorgängen  auf  der  andern  Seite  stehen.  In  diesem 
Sinne  betrachtet,  in  dem  die  Geschichte  als  empirische  Wissenschaft 
allein  den  Begriff  der  „Ideen**  verwerthen  kann,  besteht  demnach 
eine  solche  Interpretation  der  Ideen  lediglich  in  einer  möglichst  um- 
fassenden Berücksichtigung  des  Princips  der  geistigen  Umgebung, 
und  ihre  Aufgaben  fallen  so  im  wesentlichen  mit  denen  der  Cultur- 
geschichte  zusammen'*'). 


*)  Es  ist  keine  Frage,  dass  namentlich  Ranke  dem  Begriff  der  .Ideen* 
in  seiner  Anwendung  auf  die  Geschichte  wesentlich  diese  Bedeutung  eines  dem 
geschichtlichen  Leben  immanenten,  nicht  transcendenten  geistigen  Gehaltes 
gegeben  hat,  wie  solches  A.  Dotc  und  0.  Lorenz  mit  Recht  betont  haben. 
(Vgl.  des  letzteren  Geschichtswissenschaft  in  Hauptrichtungen  und  Aufgaben, 
II,  S.  51  ff.)  Gleichwohl  ist  bemerkenswerth ,  dass  auch  bei  Ranke  Aeusse- 
rungen  vorkommen,  in  denen  der  tranecendente  Ideenbegriff  nachwirkt,  wie  er, 
unter  dem  unverkennbaren  Einflüsse  der  Platonischen  Ideenlehre,  vor  allem  noch 
inW.  V.  Humboldts  Abhandlung  «Ueber  die  Aufgabe  des  Geschichtschreibers*' 
(1822,  Ges.  Werke  I)  zu  finden  ist.  So  wenn  Ranke  von  einem  in  der  Ge- 
schichte wirkenden  „Genius*  spricht,  „der  sein  eigenes  Leben  hat",  oder  wenn 
er  sagt:  „Vom  Standpunkt  der  göttlichen  Idee  kann  ich  mir  die  Sache  nicht 
anders  denken,  als  dass  die  Menschheit  eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  von 
Entwicklungen  in  sich  birgt,  welche  nach  und  nach  zum  Vorschein  kommen, 
und  zwar  nach  Gesetzen,  die  uns  unbekannt  sind,  geheimnissvoll  und  grösser 
als  man  denkt."  Obgleich  demnach  Ranke  unter  „leitenden  Ideen*  nichts  anderes 
versteht  als  die  „herrschenden  Tendenzen  in  jedem  Jahrhundert*,  die  von  dem 
Historiker  nur  empirisch  gefunden  und  beschrieben  werden  können,  so  be- 
trachtet er  doch  daneben  die  Ursachen  dieser  Tendenzen  und  ihrer  Ent- 
wicklungsfolge als  etwas  Unbegreifliches,  das  der  religiösen  Vorstellung  über- 
lassen bleibe.  Hierin  besteht  einerseits  sein  Gegensatz  gegen  die  Geschichts- 
philosophie, die  solche  transcendente  Ursachen  vom  Gebiet  des  Glaubens  auf 
das  des  Wissens  zu  übertragen  strebte,  anderseits  aber  trennt  er  sich  dadurch 
von  den  neueren  Versuchen  einer  Culturgeschichtsforschung,  die  den  Wechsel 
der  geistigen  Tendenzen  nicht  als  etwas   an  und  für  sich  Unerklärliches  hin- 


Sprachwissenschaft.  353 


3.    Die  philologisch-historischen  Wissenschaften. 

a.    Die  Sprachwissenschaft. 

Unter  denjenigen  Objecten  geschichtlicher  Entwicklung,  die 
ausserhalb  des  Forschungsgebietes  der  eigentlichen  Geschichte  liegen, 
theils  weil  sie  in  die  äusseren  Lebensschicksale  der  Völker  nicht 
unmittelbar  eingreifen,  theils  weil  ihre  Entstehung  menschlicher 
Erinnerung  entzogen  bleibt,  nimmt  die  Sprache  eine  hervorragende 
Stellung  ein.  Denn  sie  ist  die  Bedingung  aller  anderen  Geistes- 
erzeugnisse; insbesondere  werden  auch  durch  sie  erst  die  wichtigsten 
Thatsachen  der  historischen  Forschung  der  Erkenntniss  zugänglich. 
In  dieser  ursprünglichen  Bedeutung,  der  die  Sprache  zugleich  ihren 
Werth  als  psychologisches  Forschungsobject  verdankt,  liegt  der 
6rund  eines  eigenthümlichen  Streites,  der  zwischen  den  Sprach- 
forschern selbst  Über  die  Stellung  ihrer  Wissenschaft  entstanden  ist. 
Bald  hat  man  sie  den  Geschichtswissenschaften  zugezählt,  bald 
ist  sie  in  ausdrücklichem  Gegensatze  hierzu  als  eine  Naturwissen- 
schaft bezeichnet  worden*).     Mit  Rücksicht  auf  den  Gegenstand 


nimmt,  sondern  vermittelst  der  allgemeinen  Gesetze  geistiger  Entwicklang  zu 
begreifen  sucht.  Ranke  vertritt  also  hier  im  Gebiet  der  Geschichte  die  be- 
rechtigte Reaction  gegen  eine  falsche  Transcendentalphilosophie,  indem  er  die 
Anschauung  zur  Geltung  bringt,  dass  das  einzige  Forschungsobject  der  Ge- 
Khichte  die  Wirklichkeit  des  historischen  Geschehens  selbst  sei.  Zugleich  hält 
er  aber  fest  an  der  Idee  von  Gesetzen,  die  jenseits  dieses  Geschehens  und  der 
es  bestimmenden  psychischen  und  physischen  Kräfte  liegen.  Gegen  diese 
Idee  wäre,  insoweit  sie  sich  auf  eine  ausserhalb  der  wissenschaftlichen  Kritik 
liegende  religiöse  Vorstellung  bezieht,  natürlich  nichts  einzuwenden,  wenn  die- 
^Ibe  nicht  doch,  gerade  so  wie  die  vorausgegangene  speculative  Geschichts- 
betrachtung, in  die  geschichtlichen  Erscheinungen  selbst  Übergriffe,  indem  sie  in 
jenen  «leitenden  Tendenzen  der  Jahrhunderte*  schliesslich  die  Wirkungen  über- 
sinnlicher Ursachen  sieht.  Nun  ist  die  Aufgabe,  den  geistigen  Charakter  eines 
Zeitalters  aus  den  Bedingungen  des  Lebens  und  der  vorangegangenen  Entwick- 
Inng  abzuleiten,  zweifellos  eine  unendlich  verwickelte  und  darum  niemals  ganz 
Tollendbare.  Aber  darum  ist  sie  doch  keine  transcendente,  sondern  ein  Problem 
der  empirischen  Interpretation,  in  dessen  Lösung  daher  auch  eine  „Interpretation 
der  Ideen*  bestehen  sollte. 

*)  Vertreter  der  letzteren  Auffassung  sind  Max  Müller,   Vorlesungen 

über  die  Wissenschaft  der  Sprache,  I,  S.  19  (4.  Aufl.  1892,  S.  28),   und  Aug. 

Schleicher,  Die  Darwinsche  Theorie  und  die  Sprachwissenschaft,  1863.    Ihnen 

i^enQber  betonen  ihren  Charakter  als  Geschichtswissenschaft  Whitney,  Vor- 

Wmtdt,  Logik.  IT,  8.     9.  Anfl.  23 


354  Log^k  der  Geschichtswissenschaften. 

der  sprachlichen  Forschung  kann  es  nun  aber  keinem  Zweifel  unter- 
worfen sein,  dass  die  Linguistik  eine  historische  Wissenschaft  ist: 
die  Sprache  ist  ein  Erzeugniss  des  menschlichen  Geistes,  das  sich 
in  einer  fortwährenden  Entwicklung  befindet,  und  sie  ist  von  Natur- 
bedingungen nicht  in  wesentlich  anderer  Weise  als  andere  historische 
Entwicklungen  abhängig.  Dagegen  ist  es  ebenso  zweifellos,  dass 
die  Sprachwissenschaft  in  Bezug  auf  ihre  Methodik  denjenigen 
Gebieten  der  Naturforschung,  die  auf  die  comparative  Methode 
angewiesen  sind,  verwandter  ist  als  irgend  ein  anderer  Zweig  der 
Geschichtswissenschaften.  Ganz  besonders  gilt  dies  für  die  Geschichte 
der  sprachlichen  Lautveränderungen,  welche  theils  in  Folge 
des  Einflusses  physiologischer  Factoren,  theils  aber  auch  deshalb, 
weil  die  hierher  gehörigen  Vorgänge  mehr  als  andere  dem  directen 
Willenseinflusse  entzogen  bleiben,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den 
Charakter  naturgeschichtlicher  Ereignisse  an  sich  tragen.  Aber  auch 
in  denjenigen  Gebieten,  die  sich  mit  dem  geistigen  Inhalt  der  Laut- 
formen und  ihrer  Verbindungen  beschäftigen,  wie  in  der  Unter- 
suchung der  Wortbildung,  der  syntaktischen  Formen  oder  selbst  des 
historischen  Bedeutungswandels  der  Wörter,  verleugnet  die  Sprach- 
wissenschaft nicht  ganz  den  Charakter  naturwissenschaftlicher  Methodik. 
Denn  die  sprachlichen  Bildungen  besitzen  verhältnissmässig  am 
wenigsten  jene  singulare  Beschaffenheit,  die  sonst  dem  historischen 
Geschehen  eigen  ist.  Darum  ist  es  eine  Hauptaufgabe  der  Linguistik, 
allgemeine  Gesetze  zu  finden,  die,  mögen  sie  nun  für  jede  mensch- 
liche Sprache  oder  für  «einen  besonderen  Sprachstamm  oder  selbst 
bloss  für  eine  Einzelsprache  gelten,  doch  in  allen  diesen  Fällen  in 
ähnlicher  Weise  wie  die  Naturgesetze  die  einzelnen  Thatsachen  er- 
klären und  mit  einander  verbinden.  Freilich  aber  ist  anzuerkennen, 
dass  sich  die  verschiedenen  Gebiete  des  sprachlichen  Lebens  keines- 
wegs in  gleichem  Grade  diesem  naturgesetzlichen  Charakter  fügen; 
und  so  kommt  es,  dass  sich  innerhalb  der  Sprachwissenschaft  selbst 
ein  allmählicher  Uebergang  vollzieht  von  der  vergleichenden  Methodik 
des  Naturforschers,  die  vorzugsweise  mit  der  generischen  Vergleichung 
operirt,  zu  derjenigen  des  Historikers,  die  mehr  auf  die  individuelle 
Vergleichung  beschränkt  bleibt.  Dem  ersten  Gebiet  fällt  die  ganze 
Lautlehre,    dem   zweiten   die   Geschichte   der  Wortbedeutungen  zu; 

lesungen  über  Sprachwissenschaft,  herausgeg.  von  Jolly,  1874,  S.  71,  und 
Herrn.  Paal,  Principien  der  Sprachgeschichte,  1880,  2.  Aufl.  1886,  Einleitung. 
Eine  vermittelnde  Stellung  nimmt  G.  Gurt ius  ein,  Abhandl.  der  Eönigl.  Sachs. 
Ges.  d.  W.  V.  S.  187. 


SprachwiBseiiBchaft.  355 

zwischen  beiden  stehen  mit  einem  nach  Aufgabe  und  Methode  ge- 
mischten Charakter  die  Geschichte  der  Wortbildungen  und  der  syn- 
taktischen Formen. 

Die  Untersuchung  des  Lautbestandes  der  Sprache  und  ihrer 
geschichtlichen  Wandlungen  verdankt  theils  der  relativen  Leichtig- 
keit, mit  der  hier  die  vergleichende  Methode  zur  Aufstellung  all- 
gemeiner Gesetze  fQhrt,  theils  der  fundamentalen  Natur  der  Probleme 
eine  bevorzugte  Stellung  in  der  neueren  Sprachwissenschaft.  Zwei 
Aufgaben  verfolgt  die  lautgeschichtliche  Untersuchung:  sie  will  die 
Veränderungen  der  Laute  ermitteln,  die  im  Laufe  der  Entwicklung 
der  Sprache  eingetreten  sind,  und  sie  will  die  Gesetze  auffinden, 
nach  denen  diese  Veränderungen  erfolgen.  Die  erste  dieser  Auf- 
gaben ist  beschreibender,  die  zweite  erklärender  Art.  Di^  Beschrei- 
bung liefert  den  Stoff,  den  die  Erklärung  an  der  Hand  physiologischer 
und  psychologischer  Thatsachen  zu  verwerthen  sucht.  Jene  bereitet 
die  Induction  vor,  diese  vollzieht  sie,  um  gleichzeitig  zur  deductiven 
Anwendung  der  gefundenen  Gesetze  fortzuschreiten.  Doch  sind  beide 
Aufgaben  nicht  völlig  zu  trennen,  da  sich  nicht  bloss  der  ursprüng- 
liche Lautbestand  einer  Sprache  meistens  unserer  directen  Nach- 
weisung entzieht,  sondern  da  auch  zwischen  den  in  historischer  Zeit 
vorliegenden  Uebergängen  Lücken  der  Tradition  vorhanden  sein 
können,  die  durch  Schlüsse  aus  den  anderweitig  erkannten  Laut- 
gesetzen ausgefüllt  werden  müssen.  Theils  hierdurch  theils  wegen 
der  Vieldeutigkeit  der  physiologischen  und  psychologischen  Momente, 
die  in  die  Erklärung  eingehen,  nimmt  die  Hypothese  in  der  Unter- 
suchung der  historischen  Lautgesetze  eine  unentbehrliche  Stellung 
ein.  In  allen  diesen  Beziehungen  hat  die  lautgeschichtliche  Methode 
eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  der  comparativen  Methode  der  geo- 
logischen Forschung,  bei  der  in  ähnlicher  Weise  Ungewissheit  der 
Anfangszustände,  Lücken  des  Zusammenhangs  und  nachträgliche  Ver- 
schiebungen in  der  Ordnung  der  Objecte  die  geschichtliche  Recon- 
struction  erschweren. 

Die  lautgeschichtliche  Untersuchung  beginnt  mit  der  indivi- 
duellen Vergleichung:  sie  verfolgt  die  Lautform  eines  einzelnen 
Wortes  während  einer  gewissen  mehr  oder  minder  umfassenden  Ent- 
wicklungsperiode;  dann  schreitet  sie  zur  gener is che n  Vergleichung 
fort,  indem  sie  die  Veränderungen  solcher  Wörter  zusammenstellt^ 
deren  Lautbestand  ein  ähnlicher  ist.  Da  aber  diese  Aehnlichkeit 
sich  immer  nur  auf  einzelne  Laute  oder  beschränkte  Lautcomplexe 
beziehen  kann,   so  verbindet  sich  die  Vergleichung  unmittelbar  mit 


356  Logik  der  GeschichtBwissenschaften. 

einer  Abstraction,  die  es  möglich  macht,  dass  das  nämliche  Worfc- 
ganze  gleichzeitig  zu  mehreren  Inductionen  verwendet  wird,  die  sich 
auf  verschiedene  Lautbestandtheile  desselben  beziehen.  Solche  In- 
ductionen können  theils  die  isolirte  Veränderung  der  Laute,  theils 
den  Einfluss  benachbarter  Laute  auf  diese  Veränderung  betreffen. 
In  beiden  Fällen  ergeben  sich  als  Resultate  der  generischen  Ver- 
gleichung  bestimmte  empirische  Gesetze  des  Lautwechsels. 
An  diese  knüpft  dann  eine  doppelte  Hypothesenbildung  an. 
Eine  erste  sucht  von  den  empirisch  gefundenen  Veränderungen  rück- 
wärts zu  gehen,  um  einen  Anfangszustand  zu  reconstruiren,  der 
den  unmittelbaren  Zeugnissen  der  Sprachgeschichte  unzugänglich  ist; 
eine  zweite  sucht  physiologische  und  psychologische  Erklärungs- 
gründe für  die  thatsächlichen  Veränderungen  zu  finden  und  dadurch 
die  rein  empirischen  Gesetze  der  Lautgeschichte  in  causale  umzu- 
wandeln. Es  wiederholt  sich  hierin  lediglich  der  allgemeine  Ver- 
lauf des  inductiven  Verfahrens  (Bd.  II,  1,  S.  25  ff.).  Doch  sind  in 
diesem  Falle,  ähnlich  wie  bei  andern  Vorgängen,  deren  erste  Ent- 
stehung unserer  Beobachtung  entzogen  ist,  nur  diejenigen  Hypothesen, 
die  sich  auf  die  Erklärungsgründe  empirisch  gegebener  Veränderungen 
beziehen,  einer  directen  Verification  zugänglich,  wogegen  alle  Hypo- 
thesen bezüglich  der  Anfangszustände  der  Sprache  einer  solchen  ent- 
behren. Hier  bleiben  wir  daher  auf  Analogieschlüsse  aus  der  uns 
zugänglichen  Entwicklung  angewiesen.  Diese  können  dann  wieder 
von  rein  empirischer  oder  von  causaler  Beschaffenheit  sein:  wir 
können  vermuthen,  dass  eine  Folge  lautlicher  Veränderungen  im 
selben  Sinne  jenseits  des  unserer  Untersuchung  zugänglichen  Anfangs- 
punktes sich  fortsetzt,  in  welchem  sie  diesseits  desselben  verläuft, 
ohne  uns  über  den  Grund  dieser  Vorgänge  Rechenschaft  zu  geben; 
oder  wir  können  schliessen,  dass  die  nämlichen  Bedingungen,  die  in 
der  uns  zugänglichen  Zeit  Lautveränderungen  bewirkt  haben,  jen- 
seits derselben  wirksam  gewesen  sind.  Die  Lautlehre  hat  sich  bis- 
her mit  Analogieschlüssen  der  ersten  Art  begnügen  müssen,  was  um 
so  mehr  zu  beklagen  ist,  da  sie  nicht  nur  die  minder  zwingenden 
sind,  sondern  auch  mit  den  Ergebnissen  der  Schlüsse  zweiter  Art 
nicht  nothwendig  zusammentreffen.  Denn  die  inneren  und  äusseren 
Bedingungen  der  Lautveränderungen  können  gewechselt  haben,  da- 
her diese  sich  nicht  immer  in  der  nämlichen  Richtung,  in  der  wir 
sie  innerhalb  engerer  Grenzen  beobachten,  über  dieselben  hinaus  fort- 
setzen müssen.  So  kommt  es,  dass  hier  überhaupt  derjenige  Theil 
der  Induction,  der  die  Aufstellung  empirischer  Gesetze  überschreitet 


Sprachwissenschaft.  357 

noch  wenig  ausgebildet  ist.  Wir  besitzen  z.  B.  in  Orimms  Gesetz 
der  Lautverschiebungen  das  Resultat  einer  die  isolirten  Veränderungen 
der  consonantischen  Laute  in  den  Einzelsprachen  den  indogermani- 
schen Stammes  sehr  glücklich  zusammenfassenden  Induction  (vgl.  oben 
Cap.  I,  S.  138).  Dagegen  sind  die  hieraus  geschöpften  Yermuthungen 
Ober  den  consonantischen  Lautsch'atz  der  indogermanischen  Ursprache 
zam  Theil  hypothetischer  Art,  und  alles,  was  über  die  physiologischen 
und  psychologischen  Ursachen  der  Lautverschiebung  geäussert  worden 
üt,  besteht  in  zweifelhaften  Yermuthungen.  Noch  unsicherer  wird 
dieser  zweite  Theil  der  Induction  natürlich  dann,  wenn  selbst  das 
empirische  Gesetz  auf  dem  er  weiter  baut  in  Bezug  auf  seine  All- 
gemeinheit bestritten  werden  kann.  So  hatte  man  aus  gewissen 
Unterschieden,  die  sich  bei  der  Vergleichung  älterer  und  jüngerer 
Sprachformen  darbieten,  geschlossen,  dass  die  Aenderungen  in  dem 
Vocalismus  der  Sprache  überall  durch  ein  Gesetz  der  Schwächung 
der  Laute  beherrscht  werden,  und  darum  vermuthet,  dass  einerseits 
die  Ursprache  nur  die  starken  Vocale  a,  i,  u  und  ihre  Verbindungen 
besessen  habe,  und  dass  anderseits  als  die  vorherrschende  Triebfeder 
der  Veränderungen  die  Bequemlichkeit  der  Articulation  zu  betrachten 
sei.  Aber  indem  sich  jenes  Gesetz  der  fortschreitenden  Erfahrung 
gegenüber  nicht  behaupten  konnte,  begegnete  naturgemäss  auch  die 
psychologische  Hypothese,  die  daran  geknüpft  wurde,  erheblichen 
Zweifeln.  Eine  grosse  Schwierigkeit  liegt  in  diesem  Fall  für  die 
Formulirung  empirischer  Gesetze  darin,  dass  dieselben  bei  der  ersten 
Auffindung  keineswegs  als  ausnahmslose  Normen  erscheinen,  daher 
bekanntlich  in  der  alten  Grammatik  der  Satz  „keine  Regel  ohne 
Ausnahmen"  beinahe  allein  als  eine  Regel  ohne  Ausnahmen  auftritt. 
Mehr  und  mehr  hat  die  neuere  Sprachwissenschaft  diesen  Standpunkt 
verlassen  und  die  «Ausnahmslosigkeit  der  Lautgesetze **  in  dem  Sinne 
zur  Geltung  gebracht,  dass,  wo  immer  die  Gültigkeit  eines  Gesetzes 
durchbrochen  erscheint,  der  Einfluss  eines  andern  Gesetzes  nach- 
gewiesen werden  müsse,  dessen  Einfluss  die  Wirkung  des  ersten  auf- 
hebe. Sichtlich  handelt  es  sich  hier  zunächst  nur  um  ein  berechtigtes 
logisches  Postulat,  dem  der  empirische  Nachweis  noch  keines- 
wegs in  allen  Fällen  zu  folgen  vermag.  Darum  drängte  nun  aber 
auch  dieses  Postulat  dazu,  über  eine  bloss  empirische  Gesetzesformu- 
lirung  hinaus-  und  den  Complicationen  causaler  Bedingungen  nach- 
zugehen, die  eine  derartige  Kreuzung  verschiedener  Gesetze  erklär- 
lich machen  (vgl.  oben  Cap.  I,  S.  140  ff.).  So  zeigte  es  sich  auch  hier, 
dass,   sobald   man    zu   einer  Erklärung   der   Erscheinungen   fortzu- 


358  Logik  der  Geechichtswissenechaften. 

schreiten  sucht,  der  stetige  Gang  der  Induction  abgekürzt  wird, 
indem,  noch  bevor  die  Aufstellung  empirischer  Gesetze  abgeschlossen 
ist,  die  Untersuchung  der  causalen  Verhältnisse  beginnt.  Von  be- 
sonderem Einflüsse  sind  hierbei  psychologische  Erklärungsgrfinde 
geworden,  indem  man  in  der  Association  ähnlicher  Lautformen, 
die  in  diesem  Fall  nicht  ganz  zweckmässig  als  Analogie  bezeichnet 
worden  ist,  ^ine  wichtige  Quelle  der  Beeinflussung  der  Lautformen 
erkannte*).  Von  dem  so  gewonnenen  Gesichtspunkte  aus  hat  man 
dann  zuweilen  auch  schon  mit  dem  Versuch  begonnen,  den  Bedin- 
gungen des  ursprünglichen  Lautbestandes  und  der.aUgemeinen  Rich- 
tung der  Lautveränderungen  einer  Sprache  nicht  von  den  empirischen 
Gesetzen  der  Lautgeschichte  selbst  aus,  sondern  durch  eine  allgemeine 
Erwägung  bestimmter  physischer  und  psychischer  Einflüsse  auf  eine 
Sprachgenossenschaft  nachzuspüren**).  Derartige  Versuche  sind  frei- 
lich noch  sehr  in  ihren  Anfängen  begriffen,  immerhin  weisen  sie  auf 
eine  Ergänzung  hin,  der  die  rein  lautgeschichtliche  Untersuchung  an 
und  für  sich  zugänglich  ist,  und  die  in  einer  andern  Anwendung 
der  comparatiyen  Methode  bestehen  würde,  derjenigen  ähnlich,  deren 
sich  in  allgemeinerem  Sinne  die  Anthropogeographie  bei  ihrer  Unter- 
suchung der  Beziehungen  des  Menschen  zu  seinen  äusseren  Lebens- 
bedingungen bedienen  muss. 

Ber  in  der  Lautlehre  annähernd  festgehaltene  regelmässige  Ver- 
lauf der  Induction  von  der  Aufstellung  empirischer  Gesetze  zur 
Hypothesenbildung  und  Causalerklärung  erfahrt  nun  in  der  Theorie 
der  Wortbildung  und  in  der  Geschichte  der  syntaktischenFormen 
nach  entgegengesetzten  Richtungen  hin  Abänderungen :  in  der  ersteren 
durch  den  frühzeitigen  Einfluss  der  Hypothese,  in  der  letzteren  durch 
die  fast  unbeschränkte  Geltendmachung  einer  rein  enipirischen  Induc- 
tion. Dies  liegt  in  der  verschiedenen  Natur  der  Untersuchungsobjecte 
begründet.  Das  Wort  zeigt  im  allgemeinen  schon  in  seinem  frühesten 
uns  zugänglichen  Zustande  eine  fertige  Form,  die  zwar  noch  mannig- 
fache Umwandlungen,   namentlich  lautliche  Veränderungen  erfahren 


*)  Ygl.  hierüber  Osthoff  und  Brugmann,  Untersuchongen  aaf  dem 
Gebiete  der  indogermanischen  Sprachen.  I.  1878;  H.  Schuchardt,  Üeber  die 
Lautgesetze,  1885;  H.  Paul,  Principien  der  Sprachgeschichte,  2.  Aufl.,  8.85  ff.; 
Misteli,  Zeitschr.  f.  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft,  Bd.  11,  S.  365  ff. 
u.  12,  S.  1  ff. 

**)  H.  Osthoff,  Das  physiologische  und  psychologische  Moment  in  der 
sprachlichen  Formenbildung.  (Samml.  wissensch.  Vortr.  von  Virchow  u.  Holtzen- 
dorff.)     1879.    H.  Paul  a.  a.  0.  S.  46  ff. 


Sprachwissenschaft.  359 

kann,  in  Bezug  auf  die  ZusammenfQgung  aus  bedeutungsvoUeu  6e- 
standtheilen  aber  ihre  eigentliche  Bildungsperiode  bereits  hinter  sich 
hat.  So  kann  denn  die  Wortbildung  selbst  gar  nicht  Gegenstand 
einer  directen  Induction  sein,  sondern  Aufschlüsse  über  dieselbe  lassen 
sich  nur  theils  der  Vergleichung  der  Bestandtheile  verschiedener 
Wortformen,  theils  der  Vergleichung  verschiedener  Sprachen  eines 
und  desselben  Stammes  oder  verschiedener  Abstammung  entnehmen. 
Eine  generische  Vergleichung  dieser  Art  bedarf  von  vornherein  der 
leitenden  Hypothesen,  wenn  sie  nicht  zu  jenem  unsicher  tastenden 
Verfahren  herabsinken  will,  das  lange  Zeit  beinahe  alle  etymologischen 
Bestrebungen  in  einen  üblen  Ruf  gebracht  hat.  Dagegen  sind  die 
syntaktischen  Formen  unmittelbare  Objecte  der  Beobachtung,  und 
sie  sind  überdies  in  der  historischen  Zeit  der  Sprache  leicht  zu  ver- 
folgenden Veränderungen  unterworfen,  deren  Interpretation  höchstens 
zu  psychologischen  Hypothesen  Anlass  geben  kann,  von  denen  aber 
das  Grammatische  selbst  unberührt  bleibt.  Sehr  augenfällig  sind 
diese  unterschiede  in  der  indogermanischen  Sprachforschung  hervor- 
getreten. Die  herrschende  Richtung  wird  hier  in  ihrer  Auffassung 
der  Wortformen  und  insbesondere  in  ihrer  Erklärung  der  Flexion 
von  der  Agglutinationstheorie  geleitet.  Diese  ist  aber  ursprüng- 
lich aus  zwei  Hypothesen  hervorgegangen:  aus  der  Annahme  ein- 
silbiger Wurzeln,  und  aus  der  Voraussetzung,  dass  die  Personal- 
endungen  des  Verbums  angehängte  Pronomina  seien'').  Keiner  dieser 
Hypothesen  steht  eine  zureichende  Induction  zur  Seite.  Der  haupt- 
sachlichste Grund  ihrer  Aufrechterhaltung  besteht  in  dem  Nutzen, 
den  sie  bei  der  Ableitung  der  sprachlichen  Formen  gewähren.  Diesem 
heuristischen  Motiv  entsprechend  hat  man  denn  auch  in  dem  Begriff 
der  Wurzel  ursprünglich  nur  eine  grammatische  Abstraction  gesehen. 
Je  mehr  aber  die  Agglutinationstheorie  auf  eine  reale  Entwicklung 
bezogen  wurde,  um  so  nothwendiger  mussten  die  ursprünglichen 
Wurzeln  mit  den  Wörtern  der  Ursprache  selbst  zusammenfallen. 
Dieser  Anschauung  kam  dann  noch  die  generische  Vergleichung  ver- 
schiedenartiger Sprachformen  zu  Hülfe,  die  es  gestattete,  gerade  mit 
Bezug  auf  die  Wortbildung  die  Gesammtheit  der  menschlichen 
Sprachen  in  ein  bestimmtes  Entwicklungsschema  zu  ordnen'*'''').    Hier 


*)  Delbrück,  Einleitung  in  das  Sprachstudium,  1883,  S.  3  if.  Zur 
zweiten  dieser  Hypothesen  vgl.  Brugmann,  Grundriss  der  vergl.  Grammatik 
der  indogermanischen  Sprachen.   U,  S.  1380  ff. 

**)  Eine  üebersicht  der  wichtigsten  hierher  gehörigen  Classificationen  geben 
Fr.   Müller,    Grundriss  der   Sprachwissenschaft,    I,    S.   63  ff.;    Steinthal, 


360  Logik  der  GeschichtowiBsenBchaften. 

war  dann  freilich  die  Entwicklung  selbst  .wieder  zu  einer  Abstraction 
geworden,  die  sicherlich  nur  in  wenigen  Punkten  mit  einer  realen 
Entwicklung  zusammenfiel.  So  bewegen  sich  alle  diese  Unter- 
suchungen über  den  Sprachbau  theils  in  Deductionen  aus  bestimmten 
Hypothesen,  die  in  vereinzelten  sprachlichen  Thatsachen  oder  auch 
in  psychologischen  Erwägungen  ihre  Quellen  haben,  theils  in  Abstrac- 
tionen,  die  nicht  selten  eine  etwas  ungewisse  Stellung  zwischen  Idee 
und  Wirklichkeit  einnehmen. 

Wesentlich  andern  Charakters  sind  die  vom  vergleichenden 
Staudpunkte  aus  unternommenen  Untersuchungen  im  Qebiet  der 
Syntax.  Hier  ist  der  sprachliche  Stoff  nicht  nur  unmittelbar  ge* 
geben,  ohne  einer  auf  Hypothesen  bauenden  Reconstruction  zu  be- 
dürfen, sondern  er  nähert  sich  auch  durch  eine  mehr  singulare 
Beschaffenheit  den  sonstigen  Objecten  philologischer  und  historischer 
Induction.  Die  Art,  wie  der  Redende  seine  Worte  stellt,  ist  zunächst 
immer  von  den  besonderen  psychologischen  Motiven  abhängig,  die 
ihn  im  einzelnen  Fall  leiten,  und  sie  kann  daher  in  jeder  Sprache 
innerhalb  gewisser,  nach  der  Eigenthümlichkeit  derselben  allerdings 
in  hohem  örad  wechselnder  Grenzen  variiren.  Aus  diesen  einzelneu, 
durchaus  nur  der  individuellen  Interpretation  zugänglichen  Erschei- 
nungen ergeben  sich  freilich  auch  hier  mittelst  generischer  Ver- 
gleichung  gewisse  allgemeine  Regeln,  die  einer  ebenso  allgemeinen 
psychologischen  Deutung  zugänglich  sind*).  Dabei  kann  aber  die 
letztere  keine  anderen  Gesichtspunkte  zur  Anwendung  bringen,  als 
die  sie  schon  bei  der  individuellen  Interpretation  benützt  hat.  Die 
Generalisation  liefert  also  hier  nicht  erst  die  erklärenden  Gesetze,  von 
denen  aus  auch  das  Einzelne  verständlich  wird,  sondern  sie  bringt 
nur  die  in  einer  Völkergemeinschaft  vorherrschenden  psychologischen 
Motive  zum  Ausdruck,  die  an  sich  ebenso  deutlich  in  irgend  einer 
einzelnen  Gedankenäusserung  zur  Erscheinung  kommen  können. 
Näher  noch  den  sonstigen  Formen  historischer  Untersuchung  f&hrt 
endlich  die  Geschichte  der  Wortbedeutungen.  Wie  sie  sich  auf 
das  Innerlichste  der  Sprache  bezieht,  so  arbeitet  sie  auch  am  meisten 
mit  psychologischen  Hülfsmitteln.  Jedes  Wort  hat  seine  individuelle 
Geschichte,  durch  die  es,  unterstützt  durch  die  Methoden  philologi- 
scher Forschung  und  unter  steter  Rücksichtnahme  auf  die  historischen 
Bedingungen  des  Sprachgeistes,  verfolgt  werden  muss.   Das  Einzige, 

Charakteristik  der  hauptsächlichsten  Typen  des  Sprachbaues,  8. 827  ff.  Vgl.  aussei^ 
dem  die  2.  Auflage  desselben  Werkes,  bearbeitet  von  M  i  s  t  e  1  i ,  S.  35  ff. 
*)  Vgl.  H.  Paul  a.  a.  0.  S.  99  ff. 


Mythologie.  361 

was  hier  der  generischen  Vergleichung  zu  thun  bleibt,  ist  eine  psycho- 
logische Classification  der  verschiedenen  Formen  des  Bedeutungs- 
wandels. Diese  ist  aber  ein  Geschäft,  das  schon  mehr  auf  dem 
Boden  der  Psychologie  als  auf  dem  der  Sprachwissenschaft  selbst 
liegt,  während  die  individuelle  Wortgeschichte  nicht  nur  von  der 
Methodik  der  Philologie  und  Geschichte  Gebrauch  macht,  sondern 
auch  mit  ihren  Resultaten  diesen  Geisteswissenschaften  zu  HtÜfe 
kommt.  Denn  in  der  Geschichte  der  Wortbedeutungen  reflectirt  sich 
die  ganze  Geschichte  der  Cultur  und  ihrer  Erzeugnisse  **"). 

b.    Die  Mythologie. 

Den  Gegenstand  der  Mythologie  bilden  theils  die  ursprünglichen 
Vorstellungen  des  Völkerbewusstseins  über  Gott,  die  Welt  und  die 
Vorgänge  in  der  Natur,  theils  die  Veränderungen,  die  diese  Vor- 
stellungen bis  zu  dem  Zeitpunkte  erfahren  haben,  wo  in  Folge  der 
sittlichen  und  intellectuellen  Entwicklung  religiöse  Ideen  und  wissen- 
schaftliche Begriffe  an  ihre  Stelle  getreten  sind.  Der  Mythus  ist 
demnach  gleichzeitig  die  Vorstufe  der  Religion  und  der  Wissenschaft. 
Die  Stetigkeit  aller  geistigen  Entwicklungen  bringt  es  aber  mit  sich, 
dass  nirgends  feste  Grenzen  den  Uebergang  aus  der  mythologischen 
in  die  ethisch- religiöse  und  wissenschaftliche  Form  des  Denkens  be- 
zeichnen. Früh  schon  beginnt  diese  an  einzelnen  Punkten  die  Herr- 
schaft des  mythologischen  Denkens  zu  durchbrechen,  wogegen  mannig- 
fache Ausläufer  des  letzteren  in  der  Gestalt  von  Symbolen  und 
symbolischen  Handlungen  oder  als  Sage  und  Aberglaube  in  die 
spätere  Entwicklung  hineinragen.  Noch  in  diesen  späten  Gestaltungen 
bewahrt  der  Mythus  die  Eigenschaft,  dass  er,  ähnlich  der  Sprache, 
fast  als  ein  naturgesetzliches  Erzeugniss  des  menschlichen  Bewusst- 
seins  erscheint.  Trotzdem  kann  kein  Zweifel  daran  aufkommen,  dass 
die  Mythologie,  ebenso  wie  die  Sprachwissenschaft,  ihrer  Aufgabe 
nach  zu  den  historischen  Wissenschaften  zählt,  —  nicht  deshalb 
weil  Mythus  und  Sage  so  oft  selbst  an  die  Stelle  der  Geschichte  zu  treten 
suchen,  sondern  weil  die  Mythologie  eine  Geschichte  des  vorwissen- 
iH^faaftlichen  Denkens  ist,  die  an  sich  ebenso  gut  wie  die  Geschichte 
der  Wissenschaft  den  Anspruch  erheben  darf  Geschichte  zu  heissen. 

*)  Beispiele  zur  Psychologie  des  Bedeutungswandels  vgl.  bei  H.  Lehmann, 
Der  Bedeutungswandel  im  Französischen,  1884;  A.  Darmesteter,  La  Yie  des 
Mots,  1887;  H.  Winkler,  Zur  Sprachgeschichte,  2  Bde.,  1887—89,  sowie  in  den 
allgemeinen  Werken  von  Whitney,  M.  Müller,  Paul  u.  A. 


362  Logik  der  GeBchichtawifiseiifichaften. 

Die  Untersuchungen  der  Mythologie  scheiden  sich  zunächst  in 
die  Behandlung  von  zwei  Aufgaben.  Die  erste  besteht  in  der 
Untersuchung  des  Zusammenhangs  verschiedener  Mythen- 
bildungen: hier  arbeitet  die  Mythologie  der  Geschichte  in  die 
Hände;  denn  die  Oemeinschaft  der  ursprünglichen  Vorstellungskreise 
kann  ein  ebenso  werthvoUes  Zeugniss  für  die  einstige  Stammes- 
gemeinschaft  oder  fOr  frühen  Verkehr  der  Völker  bilden  wie  die 
Beziehungen  der  Sprache.  Die  zweite  Aufgabe  geht  auf  die  Be- 
deutung des  Mythus  und  die  Ursachen  seiner  Verände- 
rungen. Hier  kann  die  Mythologie  psychologischer  Erwägungen 
nicht  entrathen,  und  zugleich  büdet  sie  selbst  eine  der  wichtigsten 
Hülfsquellen  für  die  psychologische  Untersuchung  der  Phantasie- 
thätigkeit.  Auf  die  Lösung  beider  Aufgaben  hat  schliesslich  die 
Mythologie  den  Versuch  einer  Entwicklungsgeschichte  des 
Mythus  zu  gründen,  der  zugleich  über  die  psychologischen  Gesetze 
der  Mythenbildung  und  über  die  Beziehung  derselben  zu  der  ethi- 
schen und  intellectuellen  Entwicklung  des  Bewusstseins  Rechenschaft 
geben  soll.  Bei  allen  diesen  Untersuchungen  bedient  sich  die  mytho- 
logische Forschung  der  vergleichenden  Methode  in  zum  Theil  ab- 
weichenden Anwendungsformen  und  mit  wechselnder  Anlehnung  an 
die  Verfahrungsweisen  anderer,  benachbarter  Forschungsgebiete. 

Bei  der  Erledigung  ihrer  ersten  Aufgabe,  der  Feststellung 
der  ursprünglichen  Identität  verschiedener  räumlich  oder  zeitlich  ge- 
trennter Mythen  bildungen,  mit  der  sich  zuweilen  auch  der  Nachweis 
der  Verschiedenheit  scheinbar  ähnlicher  Formen  verbinden  kann, 
stützt  sie  sich  vor  allem  auf  die  etymologische  Vergleichung. 
Das  nächste  und  in  den  meisten  Fällen  zugleich  das  entscheidendste 
Merkmal  für  die  Uebereinstimmung  der  Göttervorstellungen  ist  die 
Identität  ihrer  Namen.  So  bilden  die  Thatsachen,  dass  der  Name 
des  Zeus  in  lautlich  verwandter  Form  in  fast  allen  indogermanischen 
Sprachen  wiederkehrt,  oder  dass  Vesta,  Juno  und  Janus  offenbar  mit 
den  griechischen  Wörtern  Hestia,  Dione  und  Zen  (Zeus)  identisch 
sind,  gewichtige  Zeugnisse,  dort  für  die  Ursprünglichkeit  gewisser 
arischer  Göttergestalten,  hier  für  eine  den  gräko-italischen  Völkern 
gemeinsame  Vorstellungsgruppe.  Neben  dieser  etymologischen  kommt 
dann  zum  gleichen  Zweck  noch  eine  andere  Form  vergleichender 
Methode  zur  Anwendung,  die  wir  die  eigentlich  philologische 
nennen  können.  Wie  jene  auf  die  Bezeichnung,  so  bezieht  sich  diese 
auf  den  Inhalt  der  mythologischen  Vorstellungen,  auf  alles  was 
in  den  Anschauungen  über  die  Bedeutung  der  Götter  in  Gebräuchen, 


Mythologie.  363 

Symbolen  und  sonstigen  Beziehungen  auf  eine  Uebereinstimmung 
hinweist.  Am  sichersten  ist  diese  natürlich  dann  bezeugt,  wenn  die 
philologische  mit  der  etymologischen  Untersuchung  in  ihrem  Ergeb- 
niss  zusammentrifft.  Aber  da  die  Namengebung  mannigfachen  ver- 
ändernden Einflüssen  ausgesetzt  ist,  so  kann  das  Resultat  der  philo- 
logischen Vergleichung  allein  schon  von  zwingender  Natur  sein.  So 
glaubt  man  z.  B.  trotz  der  Namensverschiedenheit  Indra  und  Thunar, 
ApoUon  und  Mars  als  ursprünglich  identische  Götter  ansehen  zu 
dürfen*).  Die  Hauptgefahr  bei  beiden  Methoden  besteht  in  der 
übertriebenen  Werthschätzung  oberflächlicher  Aehnlichkeiten  und  in 
dem  Uebersehen  negativer  Instanzen.  So  war  die  herkömmliche 
Zurückführung  der  römischen  auf  die  griechische  Mythologie  zum 
Theil  aus  falschen  Etymologien  und  unzureichenden  Analogien  her- 
vorgegangen, gegenüber  denen  die  neben  den  späteren  Wechsel- 
wirkungen fortlebenden  'Keime  altitalischer  Göttervorstellungen  ganz 
übersehen  wurden. 

Grösseren  Schwierigkeiten  begegnet  die  zweite  Aufgabe,  die 
Feststellung  der  ursprünglichen  Bedeutung  des  Mythus.  Denn 
diese  wird  verhüllt  durch  die  späteren  Veränderungen  der  mytho- 
logischen Vorstellungen,  so  dass  auf  sie  nur  in  ähnlicher  Weise 
zurückgeschlossen  werden  kann,  wie  aus  den  späteren  Formen  der 
Sprache  auf  eine  Ursprache.  Auch  hier  bildet  die  etymologische 
Methode,  die  aber  in  diesem  Fall  in  einer  andern  Richtung  als  bei 
der  Mythenvergleichung  verwerthet  wird,  die  nächste  Hülfe  dar. 
Das  erste  und  in  manchen  Fällen  das  sicherste  Merkmal  ist  die 
Wortbedeutung.  Die  Thatsache,  dass  die  indogermanischen  Götter- 
namen Naturerscheinungen,  wie  den  Himmel,  das  Licht,  die  Morgen- 
röthe,  den  Donner  bedeuten,  bildet  zweifellos  das  gewichtigste  Zeug- 
niss  für  eine  einstige  Naturvergötterung.  Nicht  minder  werfen 
sprachliche  Bilder,  wie  die  Vergleichung  der  Morgen-  und  Abend- 
wolken mit  den  Heerden  röthlicher  Kühe,  ihr  Licht  auf  die  Vor- 
stellungen, welche  das  nomadisirende  Hirtenvolk,  auf  das  diese 
Mythologie   zurückweist,    mit  seinen  Naturgöttern  verband**).     Für 

*)  Beispiele  etymologischer  Vergleichung  siehe  bei  MaxMüller,  lieber 
die  Wissenschaft  der  Sprache,  II,  S.  386,  4.  Aufl.,  S.  491  fF.;  Beispiele  philologi- 
scher Veigleichung  bei  Mannhardt,  Wald-  und  Feldculte,  2  Bde.,  1875—77; 
K.  H.  Meyer,  Indogermanische  Mythen,  I,  II,  1883;  in  Bezug  auf  das  griechisch- 
römische Gehiet  bei  W.  H.  Röscher,  Studien  zur  vergl.  Mythologie  der 
Griechen  und  ROmer,  1878—75. 

**)  Vgl.  A.  Kuhn,   Üeber  Entwicklungsstufen  der  Mythenbildung.     Ab- 
bandl.  der  Berliner  Akad.,  1878,  S.  123. 


364  Logik  der  GeschichtswiiiseiLSchafteD. 

die  Erklärung  der  weiteren  Umgestaltungen  des  Mythus  liefert  dann 
diesprachgeschichtliche  Untersuchung  wichtige  Hülfsmittel  durch 
die  Aufzeigung  des  Bedeutungswandels  der  Wörter  und  durch  die 
Nach  Weisung  des  Einflusses,  den  die  Wortzeichen  auf  die  Vorstel- 
lungen ausüben,  eines  Einflusses  wegen  dessen  man  zuweilen  den 
Mythus  überhaupt  auf  ein  blosses  Missverständniss  von  Wörtern  und 
Bildern  zurückführen  wollte"").  So  werden  die  ganz  und  gar  ver- 
menschlichten Gestalten  der  späteren  Mythologie  erst  möglich,  nach- 
dem der  Gedanke  an  die  Naturerscheinungen,  die  man  einst  in  einem 
Indra,  Zeus  oder  Thunar  verkörpert  dachte,  völlig  verschwunden  ist. 
Noch  augenfälliger  wird  dieser  Einfluss  der  Sprache  dann,  wenn  die 
blosse  Klangähnlichkeit  von  Wörtern,  die  verschiedene  Begriffe  be- 
deuten, neue  Vorstellungen  wachruft,  die  mit  der  ursprünglichen 
Bedeutung  des  Mythus  völlig  unvereinbar  sind.  So  wenn  der  Natur- 
mythus von  der  Sonne,  welche  der  Morgenröthe  (Dahanä)  nacheilt, 
durch  die  Bedeutung  „  Lorbeer  bäum  **,  die  das  griechische  Wort 
Daphne  annimmt,  in  die  Legende  von  Apollon  und  Daphne  über- 
geht, oder  wenn  die  Steine,  die  Deukalion  und  Pyrrha  hinter  sich 
werfen,  durch  die  blosse  Wortähnlichkeit  von  Xaö<;  und  Xäac  sich  in 
Menschen  verwandeln.  Aber  gerade  in  solchen  secundären  Wort- 
deutungen zeigt  doch  die  mythenbildende  Phantasie  so  deutlich  ihre 
nie  rastende  Thätigkeit,  dass  es  naturwidrig  erscheint  anzunehmen, 
diese  Thätigkeit  sei  in  jenen  Anfängen  der  Sprache,  in  denen  die 
Worte  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  bewahrt  hatten,  noch  nicht  vor- 
handen gewesen. 

Von  ähnlicher  Anwendung  wie  bei  der  Mythenvergleicfaung  die 
sprachgeschichtliche  ist  bei  dem  Problem  der  Bedeutungsentwickluug 
des  Mythus  die  philologische  Methode.  Sie  erstreckt  sich  niemals 
auf  die  Anfänge  des  Mythus,  die  früher  sind  als  alle  Denkmäler  der 
Kunst  und  Literatur.  Wohl  aber  bieten  diese  die  wichtigsten  Hülfs- 
quellen  dar  für  die  Verfolgung  seiner  weiteren  Entwicklung.  Freilich 
sind  hier  namentlich  die  poetischen  Schöpfungen  insofern  von  zwei- 
deutiger Natur,  als  es  in  Folge  der  nahen  Verwandtschaft  der  poeti- 
schen und  der  mythischen  Phantasiethätigkeit  häufig  zweifelhaft  sein 
kann,  bis  zu  welchem  Grade  eine  Legende  von  dem  Dichter  umgestaltet, 
oder  ob  sie  von  ihm  selbst  geschaffen  worden  ist.  Da  aber  poetische 
Schöpfungen,    wie   der  Einfluss   eines   Homer  und   Hesiod   zeigt, 


*)  Max  Müller,   Essays,   II,  S.   66  ff.     Kuhn  a.  a.  0.  S.  137.    Vgl. 
oben  Cap.  I,  S.  107,  und  meine  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  60. 


Mythologie.  365 

selbst  wieder  in  den  Strom  der  allgemeinen  Mytbenentwicklung  ein- 
münden können,  so  wird  durch  den  Nachweis  einer  derartigen  An- 
theilnabme  der  Dichtung  der  Gegenstand  noch  nicht  aus  dem  Bereich 
des  Mythus  entfernt,  sondern  es  entsteht  nur  die  schwierige  und 
manchmal  gar  nicht  zu  lösende  Aufgabe,  die  Wechselbeziehungen 
zwischen  Dichtung  und  Mythus  im  einzelnen  festzustellen. 

Während  so  die  philologische  Forschung  mittelst  individueller 
Vergleichung  hauptsächlich  den  einzelnen  Gestaltungen  der  mytho- 
logischen Bedeutungsentwicklung  nachgeht,  sucht  neben  ihr  eine 
venerische  Vergleichung  unabhängig  neben  einander  hergehender 
Mythenentwicklungen,  unterstützt  von  psychologischen  Erwägungen, 
theils  die  aus  der  Specialuntersuchung  gezogenen  Schlüsse  zu  be- 
stätigen, theils  deren  Lücken  durch  eine  wahrscheinliche  Interpola- 
tion auszufüllen.  Hierbei  handelt  es  sich  nicht,  wie  bei  der  zum 
Behuf  der  Abstammungs-  und  Verwandtschaftsverhältnisse  der  Mythen 
vorgenommenen  Vergleichung,  um  eine  Verbindung  des  historisch 
Zusammengehörigen,  sondern  um  jene  unbestimmteren,  obgleich  nicht 
minder  gesetzmässigen  Beziehungen,  die  in  den  übereinstimmenden 
Eigenschaften  der  menschlichen  Natur  ihre  Quelle  haben.  Darum 
können  nun  bei  dieser  Vergleichung  nicht  bloss  die  mythologischen 
Vorstellungen  stamm-  oder  geistesverwandter  Völker,  sondern  unter 
umständen  selbst  die  Mythenbildungen  der  Naturvölker  verwerthet 
werden.  Besonders  ist  letzteres  in  der  Absicht  geschehen,  aus  dem 
Geisteszustand  der  niedrigeren  Rassen  Aufschluss  zu  gewinnen  über 
die  Vergangenheit  der  Gulturvölker.  Die  vergleichende  Untersuchung 
auf  dieser  Grundlage  führt  aber  bereits  zu  dem  dritten  und  letzten 
Problem  der  mythologischen  Forschung,  zu  der  Frage  nach  den 
allgemeinen  Gesetzen  der  Mythenentwicklung. 

Gerade  diese  Fr^e,  die  vor  allem  ein  psychologisches  Interesse 
darbietet  und  darum  mebr  der  Völkerpsychologie  als  der  Mythologie 
selbst  zufallt,  begegnet  besonderen  Schwierigkeiten.  Der  singulare 
Charakter  historischer  Thatsachen  wird  zwar  überall,  wo  das  mensch- 
liche Bewusstsein  unter  dem  Antrieb  bestimmter  Naturbedingungen 
handelt,  durch  die  relative  Gleichförmigkeit  dieser  einigermassen  auf- 
gewogen. Dennoch  ist  die  mythologische  Production  vermöge  der 
grosseren  Freiheit,  mit  der  sich  ihre  von  den  individuellen  Ein- 
flüssen der  Kunst  und  selbst  der  Philosophie  abhängigen  Wand- 
lungen vollziehen,  dem  geschichtlichen  Werden  verwandter  als  die 
Schöpfangen  der  Sprache.  Obgleich  daher  die  Aehnlichkeiten,  die 
sich  zwischen  unabhängig  entstandenen  Mythenbildungen   darbieten, 


366  Logik  der  GeschichtswisBenschafken. 

sowie  manche  Uebereinstimmungeii  in  den  VenLnderungen ,  denen 
sie  unterliegen,  das  Stxeben  mythologische  Oesetze  aufzusuchen  be- 
rechtigt erscheinen  lassen,  so  werden  doch  objective  Vergleichung 
und  psychologische  Interpretation  höchstens  in  Bezug  auf  die  all- 
gemeinsten und  eben  deshalb  dürftigsten  Züge  der  Mythenentwick- 
lung zu  Ergebnissen  führen,  denen  unbedingte  Allgemeingültigkeit 
zugesprochen  werden  kann.  In  viel  höherem  Orade  noch  als  bei 
der  Aufsuchung  gemeinsamer  Gesetze  der  Sprachentwicklung  kommt 
hier  neben  dem  Fehler  unberechtigter  Oeneralisation  das  Streben, 
die  Erscheinungen  nach  yorgefassten  Ansichten  zu  deuten,  in  störender 
Weise  zur  Geltung.  Die  pessimistische  und  die  optimistische  Auf- 
fassung der  menschlichen  Natur  hat  wohl  nirgends  eine  so  grosse 
Rolle  gespielt  wie  in  den  der  Hypothese  einen  weiten  Spielraum 
gönnenden  Anschauungen  über  den  Ursprung  der  religiösen  Vor- 
stellungen, und  regelmässig  ist  dadurch  zugleich  die  einseitige  Be- 
vorzugung bestimmter  Untersuchungsmethoden  gefördert  worden. 
Die  pessimistische  Mythologie  stützt  sich  zumeist  auf  die  vergleichende 
Anthropologie.  Sie  geht  von  dem  Grundsatze  aus,  dass  der  Mythus 
bei  den  noch  jetzt  lebenden  Wilden  seinen  ursprünglichen  Zustand 
verhältnissmässig  unverändert  bewahrt  habe,  und  auf  die  weiteren 
Entwicklungsstufen  sucht  sie  dann  aus  den  Spuren  zurückzuschliessen« 
die  von  jenen  Vorstellungen  des  wilden  ^ustandes  in  dem  heutigen 
Bewusstsein  der  Cultur Völker  geblieben  sind  *),  Die  entgegengesetzte 
Auffassung  dagegen  bedient  sich  der  historischen  Methode,  die 
an  und  für  sich  nur  bei  den  geschichtlich  entwickelten  Völkern  an- 
wendbar ist.  Damit  verbindet  sich  leicht  die  Tendenz,  spät  ent- 
wickelte Vorstellungen  schon  in  die  Keime,  aus  denen  sie  entsprungen 
sein  mögen,  hineinzudeuten,  wenn  nicht  gar,  einer  leicht  verständ- 
lichen Neigung  des  Gemüthes  folgend,  das  Ideal,  das  die  Gegenwart 
vermissen  lässt,  in  der  fernen  Vergangenheit  zu  erblicken.  Die 
Mythologie  selbst  unterliegt  so  dem  Zauber  des  Mythus  vom  goldenen 
Zeitalter.  Es  ist  leicht  zu  beweisen,  dass  diese  beiden  Richtungen 
einseitig  sind;  schwerer  ist  es  zu  sagen,  wie  ihre  Fehler  vermieden 
werden  sollen.  Wegen  ihrer  näheren  Beziehungen  zu  dem  geschicht- 
lichen Leben  werden  die  mythologischen  Vorstellungen  im  allgemeinen 
ein  treueres  Abbild  des  unmittelbaren  intellectuellen  und  sittlichen 
Zustandes  eines  Volkes  sein  als  die  Sprache,  in  der  in  Folge  ihres 
mehr  naturgeschichtlichen  Werdens   in  höherem  Masse  die   geistige 

♦)  E.  Tylor,  Die  Anfänge  der  Cultur,  I,  S.  280. 


Mythologie.  3G7 

Arbeit  yei^angener  Geschlechter  nachwirken  kann.  Von  dem  Mythus 
der  geschichtslosen  Völker  werden  wir  daher  immerhin  voraussetzen 
dürfen,  dass  er  der  Vorstellungswelt  der  geschichtslosen  Anfange 
unserer  Gulturyölker  insoweit  verwandt  sei,  als  zwischen  den  intel- 
lectuellen  und  sittlichen  Zuständen  Aehnlichkeiten  bestehen.  Aber 
wie  weit  sich  diese  Aehnlichkeiten  erstrecken,  dies  bleibt  doch  an- 
gesichts der  Verschiedenheiten,  die  wir  schon  in  dem  geistigen  Leben 
der  heutigen  Naturvölker  vorfinden,  eine  schwer  zu  entscheidende 
Frage.  Insbesondere  führt  die  Vergleichung  des  Mythologischen 
selbst  zu  der  Vermuthung,  dass  zwar  gewisse  Vorstellungen  über 
die  kosmischen  Vorgänge  und  über  die  das  menschliche  Schicksal 
bestimmenden  Mächte  unter  den  verschiedensten  Verhältnissen  in 
analogen  Formen  wiederkehren,  dass  dabei  aber  doch  der  ethische 
Behalt  solcher  Vorstellungen  ein  mannigfach  wechselnder  sein  kann. 
Dazu  kommt,  dass  wir  bei  primitiven  Völkern,  deren  Lebens- 
anschauungen sich  nicht  in  Werken  der  Kunst  und  Literatur  ver- 
körpert haben,  häufig  auf  Beobachtungen  und  Mittheilungen  von 
böchst  zweifelhafter  Art  angewiesen  bleiben.  Je  weniger  hier  eine 
nmnittelbare  Correctur  durch  die  Thatsachen  zu  erwarten  ist,  um  so 
grosseren  Einfluss  gewinnen  dann  natürlich  vorgefasste  Meinungen. 
Nichts  beweist  schlagender  diesen  Einfluss  als  die  gänzlich  ab- 
weichende Gestalt,  welche  die  nämlichen  mythischen  Erschetnungen 
in  den  Augen  verschiedener  Forscher  annehmen.  Während  die  eng- 
lische Anthropologie  die  Entwicklung  des  Mythus  im  allgemeinen  in 
die  Stufen  des  Animismus,  der  polytheistischen  Naturvergötterung 
und  des  Monotheismus  gliederte,  wobei  sie  voraussetzte,  dass  zwar 
aus  den  früheren  Stufen  Reste  in  die  späteren  hineinr^eu;  von  diesen 
dagegen  keine  Spur  in  jenen  anzutreffen  sei,  suchte  Theodor 
Waitz  in  seiner  „Anthropologie  der  Naturvölker*  auf  Grund  der 
nämlichen  Schilderungen  nachzuweisen,  dass  der  monotheistische 
bedanke  schon  die  frühesten  und  rohesten  Gestaltungen  des  mytho- 
logischen Denkens  begleite'*'),  und  Max  Müller  ist  geneigt,  in  der 
angeblich  primitivsten  Form  des  Cultus,  in  dem  so  genannten  Feti- 
schismus, lediglich  ein  Product  späten  Verfalls  zu  sehen,  dem  er 
ebenfalls  einen  monotheistischen  Ausgangspunkt  gegenüberstellt'*''''). 
Der  Streit  dieser  Theorien  ist  nicht  bloss  bezeichnend  für 
den  Einfluss   anderweitig   entstandener   ethischer  Gedanken  auf   die 

*)  Waitz,  Anthropologie  der  Naturvölker,  II,  S.  167  f.;  III,  S.  177  u.  a. 
**)  M.  Malier,  Vorlesungen   über  den  Ursprung  und   die  Entwicklung 
der  Religion,  S.  58  ff.,  291  ff. 


368  Logik  der  GreschichtswiBsenschaften. 

Beurtheilung,  sondern  vieUeicht  mehr  noch  zeigt  derselbe,  wie  sehr 
die  Betrachtung  der  Thatsachen  der  Hülfe  psychologischer  Inter- 
pretation bedarf,  wenn  die  Klippen  willkürlicher  Deutung  vermieden 
werden  sollen.  Eine  solche  Interpretation  darf  sich  aber  nicht  auf 
das  Verständniss  des  Einzelnen  beschränken,  sondern  sie  muss  ver- 
suchen die  Entwicklung  des  mythologischen  Bewusstseins  begreiflich 
zu  machen.  Dieses  Ziel  wird  von  den  Vertretern  der  anthropo- 
logischen und  der  historischen  Methode  in  der  Regel  in  entgegen- 
gesetzter Weise  verfehlt.  Die  Aufmerksamkeit  der  ersteren  ist  nur 
der  abwärts  gekehrten  Richtung  des  mythologischen  Denkens  zu- 
gekehrt: ihr  vergleichendes  Verfahren  gestattet  ihnen,  in  späten 
Gulturentwicklungen  mannigfache  Reste  eines  wilden  Animismus  auf- 
zufinden; wie  aber  daneben  sich  die  vollkommeneren  Formen  reli- 
giöser Anschauung  entwickeln  konnten,  bleibt  unverständlich.  Die 
Vertreter  der  historischen  Methode  sind  geneigt,  die  letzten  Resultate 
religiöser  Entwicklung,  manchmal  noch  in  idealisirter  Oestalt,  in  die 
Anfänge  zurückzuverlegen.  Jene  einseitigen  Auffassungen  können  da- 
her nur  durch  eine  Verbindung  der  anthropologischen  und  der  histori- 
schen Methode  mit  einander  und  mit  einer  unbefangenen  psycho- 
logischen Interpretation  vermieden  werden.  In  der  That  ist  dies 
der  Weg,  den  die  wissenschaftliche  Mythologie  einzuschlagen  begonnen 
hat,  ui9d  auf  dem  sie  mehr  und  mehr  dazu  gelangt  ist,  die  ani- 
mistischen  Anfänge  der  Mythenentwicklung  als  gültig  auch  für  die 
geschichtlichen  Culturvölker  anzuerkennen,  wogegen  sich  die  spätere 
Entwicklung  überall  als  ein  gemischtes  Product  geschichtlicher  und 
psychologischer  Einflüsse  mit  immer  mehr  wachsender  Betheiligung 
der  ersteren  darstellt,  so  dass  mit  dem  Fortschreiten  der  Mythen- 
entwicklung auch  das  Uebergewicht  der  singulären  philologisch- 
historischen über  die  allgemeinen  psychologischen  Interpretations- 
elemente grösser  wird.  Dabei  ist  namentlich  zu  beachten,  dass 
die  geschichtliche  Mythenentwicklung  fortwährend  auf  der  einen 
Seite  durch  die  Berührung  mit  den  Vorstellungskreisen  fremder,  dem 
primitiven  Animismus  noch  näher  stehender  Völker,  auf  der  andern 
durch  die  Rückwirkung  bestimmter  philosophischer  oder  theologischer 
Systeme  auf  die  Volksanschauungen  mannigfache  Abänderungen  er- 
fahren kann.  Zugleich  können  aber  diese  Systeme  selbst  wieder  von 
mythologischen  Ideen  beeinflusst  sein,  die  sie  in  abgeklärtere  Formen 
überzuführen  streben.  Ein  trefl^endes  Beispiel  für  dieses  Ineinander- 
greifen verschiedenartiger  Momente  bildet  die  Geschichte  des  Un- 
sterblichkeitsglaubens  bei   den   Griechen,    der,   in    der  homerischen 


Ethologie.  369 

Zeit  ganz  zurücktretend,  späterhin  wahrscheinlich  zugleich  mit  dem 
Dionysischen  Au&egungscult  thrakischen  Völkerschaften  entlehnt 
wird  und  namentlich  durch  die  Verbindung  mit  dem  altgriechischen 
delphischen  Apollodienst  tief  in  die  Volksreligion  eindringt,  um  end- 
lich in  der  Platonischen  Philosophie  jene  geläuterte  Darstellung  zu 
finden,  durch  die  er  sich  seine  weltgeschichtliche  Bedeutung  er- 
rangen hat*). 

c.    Die  Ethologie. 

Neben  Sprache  und  Mythus  bilden  Sitte  und  sittliche  Vor- 
stellungen ein  drittes  wichtiges  Gebiet  geistiger  Entwicklung,  dessen 
Untersuchung  die  Verbindung  philologischer  und  historischer  Metho- 
dik voraussetzt.  Wegen  der  nahen  Beziehungen  ethischer  und 
mythologischer  Vorstellungen  ist  dieses  Gebiet  der  ^ Ethologie''  be- 
sonders der  Mythologie  verwandt**). 

Die  nächste  Aufgabe  bezieht  sich  auch  hier  auf  gewisse  ur- 
sprünglich gemeinsame  Vorstellungen  und  ihnen  entsprechende 
Nonnen  der  Sitte.  Die  sicherste  Hülfe  bei  der  Lösung  dieser  Auf- 
gabe gewährt  wieder  der  gemeinsame  Wortschatz  jetzt  getrennter 
Völker.    Wie  sich  aus  den  übereinstimmenden  Göttemamen  der  indo- 


*)  Vgl.  £rwin  Rohde^  Psyche,  Seelencult  und  ünsterblichkeitsglaube 
der  Griechen,  1894,  bes.  S.  332  ff.  Weitere  Beispiele  philologisch-historischer 
Methode,  die  sich  auf  das  Weihnachtsfest  und  andere  christliche  Festbräuche 
beziehen,  vgl.  bei  H.  U  s  e  n  e  r ,  Religionsgeschichtliche  Untersuchungen,  2  Thle., 
1889.  Einen  interessanten,  ebenfalls  auf  der  Annahme  weit  herabreichender 
Nachwirkungen  des  primitiven  Animismus  beruhenden  Versuch,  den  Traum, 
speciell  den  Albtraum,  als  eine  Wurzel  zahlreicher  Mythenbildungen  der  Gultur- 
völker  nachzuweisen,  hat  L.  Laistner  gemacht  in  seinem  Buch:  Das  Räthsel 
der  Sphinx,  2.  Bde.  1889.  Doch  leidet  dieser  Versuch  an  dem  alten  Fehler 
mythologischer  Theorien,  Alles  aus  Einem  erklären  zu  wollen.  Einige  Inter- 
pretationsbeispiele aus  dem  Gebiet  der  Mythologie,  die  den  Einfluss  der  leiten- 
den Hypothesen  erläutern,  sind  schon  oben  (Cap.  I,  S.  103  ff.)  mitgetheilt. 

**)  Der  Name  .Ethologie*  ist  in  dem  hier  gebrauchten  Sinne  einer 
higtoriech-philologischen  Untersuchung  der  Sitte  meines  Wissens  zuerst  von 
0.  Ribbeck  angewandt  worden.  (Vgl.  dessen  «Ethologische  Studien'  in  den 
Abhandlungen  der  kgl.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.,  Phil.-hist.  Gl.,  Bd.  IX  und  X, 
1883—85.)  Leop.  Schmidt  nannte  sein  das  gleiche  Gebiet  behandelnde 
Werk  eine  ,Ethik  der  alten  Griechen"  (1882).  Zur  Unterscheidung  von  der 
entsprechenden  philosophischen  Disciplin  dürfte  aber  der  Name  , Ethologie"  der 
zweckmässigere  sein.  In  einer  ganz  andern  Bedeutung,  nämlich  in  der  einer 
individuellen  , Charakterologie',  hat  J.  St.  Mill  das  nämliche  Wort  gebraucht. 
VgL  oben  S.  169. 

Wnndt,  Logik,  n,  2.    9.  Aufl.  24 


370  Logik  der  Oeschichtswiflsenschaften. 

germanischen  Stämme  ein  blasses  Bild  der  Mythologie  eines  einstigen 
indogermanischen  Urvolkes  entwerfen  lasst,  so  liefern  uns  die  ge- 
meinschaftlichen Wörter  fUr  ethische  Vorstellungen,  auf  ihre  ur- 
sprüngliche Bedeutung  zurOckverfolgt,  Andeutungen  über  das  sittliche 
Leben  jener  frühen  Zeit.  So  nimmt  man  z.  B.  auf  6rund  dieser 
Zeugnisse  der  Sprache  an,  dass  die  Indogermanen  vor  ihrer  Spaltung 
in  verschiedene  Stämme  bereits  Häuser  gebaut,  Wagen  und  Ruder- 
boote gezimmert,  Stoffe  gewebt  und  SUeider  genäht,  Korn  zu  Mehl 
und  Erz  zu  Waffen  verarbeitet,  sowie  verschiedene  Hausthiere 
gezüchtet  haben,  dass  ihnen  aber  der  Ackerbau  wahrscheinlich  unbe- 
kannt war'*').  Ebenso  werfen  gewisse  gemeinschaftliche  Verwandt- 
schaftsbezeichnungen ein  wegen  des  möglichen  Bedeutungswandels 
freilich  etwas  unsicheres  Licht  auf  das  ursprüngliche  Familienleben 
der  Indogermanen^,  während  anderseits  gerade  der  Bedeutungs- 
wandel der  Ausdrücke  für  sociale  und  sittliche  Begriffe  manche 
Anhaltspunkte  ergibt  für  die  Beurtheilung  der  sittlichen  Entwicklung 
überhaupt*'*''*').  Da  ein  solcher  Bedeutungswandel  mit  den  sprachlichen 
Bezeichungen  immer  auch  die  Vorgänge  selbst,  und  oft  in  weiterem 
umfange  als  die  sprachlichen  Veränderungen  dies  ahnen  lassen,  er- 
greift, so  ist  in  diesem  Fall  jene  Methode,  die  aus  dem  verwandten 
Inhalt  später  entwickelter  Vorstellungen  auf  eine  ursprüngliche 
Gemeinschaft  der  Ideen  zurückschliesst,  von  noch  bedenklicherer 
Anwendung  als  auf  mythologischem  Gebiete,  unter  allen  hier  be- 
sprochenen Geisteserzeugnissen  ist  die  Sprache  das  beständigste;  nach 
ihr  kommt  der  Mythus,  der,  wenn  seine  ursprüngliche  Form  er- 
loschen ist,  in  S^en,  Märchen  und  populärem  Aberglauben  lange 
noch  fortleben  kann;  am  vergänglichsten  ist  die  Sitte,  die,  insoweit 
sie  nicht  in  der  Sprache  und  der  mythischen  Dichtung  anklingt, 
meist  nur  in  einzelnen  unverständlich  gewordenen  symbolischen  Zügen 


*)  Vgl.  Th.  Mommsen,  Römiache  Geachichte.  7.  Aufl.,  I,  S.  16  ff.  Die 
Annahme,  dass  die  Indogermanen  ein  ackerbautreibendes  Volk  gewesen,  was 
man  theils  aus  gewissen  gemeinsamen  Bezeichnungen  für  Geireidearten,  theils 
aus  dem  vermutheten  Zusammenhang  des  Namens  .Arier*  mit  der  Wurzel  ar 
(pflügen)  ableitete  (M.  M  ü  1 1  e  r ,  Vorlesungen  über  die  Wissenschaft  der  Sprache, 
4.  Aufl.,  1892,  I,  S.  274  ff.),  ist  gegenwärtig  wohl  fast  allgemein  aufgegeben, 
nachdem  namentlich  Victor  Hehn  in  seinem  Buche  «Kulturpflanzen  und  Haus- 
thiere* (3.  Aufl.  1877)  die  Unhaltbarkeit  der  von  Pictet,  M.  Müller  u.  A.  aus 
der  Bedeutung  von  Sanskritwörtem  gezogenen  Schlüsse  nachgewiesen  hat 

**)  B.  Delbrück,    Die  indogermanischen  Verwandtschaftsnamen.     Ah- 
handl.  der  kgl.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Leipzig,  Phil.-hi8t.  CL,  XI,  1890,  S.  379, 
***J  Vgl.  hierüber  meine  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  18  ff. 


Ethologie.  371 

nachzudauem  pflegt.  Zugleich  ist  eine  Uebereinstimmung  der  Vor- 
stelluigen  gerade  hier  am  wenigsten  beweisend  für  historischen  Zu- 
sammenhang. Denn  die  völkerpsychologische  Vergleichung  hat  in 
diesem  Fall  der  philologisch-historischen  Forschung  den  guten  Dienst 
geleistet,  dass  sie  zeigte,  wie  Anschauungen  und  Lebensgewohnheiten 
Ton  überraschender  Aehnlichkeit  unter  Bedingungen  vorkommen 
können,  unter  denen  die  Annahme  einer  ursprünglichen  Stammes- 
einheit oder  selbst  einer  Mittheilung  durch  Verkehr  ausgeschlossen 
ist,  so  dass  uns  nichts  anderes  übrig  bleibt,  als  diese  Ueberein- 
stimmung auf  gleich  wirkende  psychologische  Motive  zurückzuführen. 
So  finden  sich  nicht  nur  in  den  Leichen-  und  Hochzeitsgebräuchen 
and  in  andern  Sitten,  bei  denen  die  Gleichheit  der  Motive  leicht  be- 
greiflich ist,  bei  den  verschiedensten  Nationen  ähnliche  Züge,  son- 
dern selbst  auffallenderen  Gewohnheiten,  wie  gewissen  Begrüssungs- 
formen  oder  dem  Männerkindbett,  begegnet  man  gleichzeitig  in  den 
entlegensten  Theilen  der  Welt  *). 

Diese  Beobachtungen  haben  zu  einer  Erweiterung  der  etho- 
logischen  Forschungen  geführt,  welche,  die  früher  durch  die  Hülfs- 
mittel  der  philologisch-historischen  Methode  gezogenen  Schranken 
wesentlich  überschreitend,  durchaus  auf  einer  Combination  dieser 
Methode  mit  der  generischen  Vergleichung  der  Ethnologie  und 
Völkerpsychologie  beruht.  Der  Erste,  der  diese  combinirte  Methode 
mit  Erfolg,  wenn  auch  noch  mit  einem  wesentlichen  Ueberge wicht 
philologischer  Untersuchungen  und  nicht  überall  mit  der  erforder- 
lichen Kritik,  anwandte,  ist  6 ach ofen '*'''').  Der  Grundgedanke  der 
Methode  y  wie  er  sich  namentlich  nach  den  das  Hauptgewicht  der- 
selben nach  der  anthropologischen  Seite  verlegenden  Arbeiten  von 
Mo  Lennan,  Lubbock,  Morgan  u.  A.'*''*'*)    herausgebildet  hat. 


^  Es  ist  das  hauptsächlichste  Verdienst  E.  B.  Tylors,  in  seinen  beiden 
Werken  «Early  history  of  manldnd'  (1865)  und  »Primitive  Culture"  (1871)  diese 
Gemeinschaft  der  Ideen  bei  historisch  völlig  unabhängigen  Völkern  an  zahl- 
reichen Beispielen  gezeigt  zu  haben.  Neben  ihm  sind  besonders  zu  nennen: 
Herbert  Spencer,  Principien  der  Sociologie,  deutsch  von  B,  Vetter,  bis 
jetzt  4 Bde.  1877—94;  Lubbock,  Die  Entstehung  der  Civilisation.  Deutsche 
Aosg.  1875;  femer  die  unten  citirten  Arbeiten  von  Mc  Lennan,  Morgan  u.  A. 
aber  die  Urformen  der  Familie  und  der  Gesellschaft. 

•*)  J.  J.  Bachofen,  Das  Mutterrecht.     Stuttgart  1861. 

***)  Mc  Lennan,  Primitive  Mariage,  1865.  L.  H.  Morgan,  Systems 
of  Consanguinity ,  1871;  Ancient  society,  1877.  Dazu  kommen  von  deutschen 
Arbeiten  die  dem  Gebiet  der  vergleichenden  Rechtswissenschaft  angehörenden 
von  A.  H.  Post,  Die  Geschlechtsgenossenschaften  der  Urzeit,   1875.    Der  Ur- 


372  Logik  der  Geschichtewiasenschaften. 

besteht  aber  darin,  dass  man  zunächst  die  bei  den  heutigen  Natur- 
völkern bestehenden  Zustände  untersucht,  dann  einzelne  Merkmale 
aus  den  ältesten  geschichtlichen  üeberlieferungen  der  Culturrölker 
auf  ihre  Uebereinstimmung  mit  jenen  Zuständen  prüft  und  endlich 
die  hierbei  bleibenden  Lücken  so  weit  möglich  mit  Hülfe  der  Yer- 
gleichung  mit  den  bekannten  Naturzuständen  hypothetisch  ergänzt. 
Diese  Methode  schliesst  hauptsächlich  zwei  Gefahren  ein,  die  irr- 
thümliche  Schlüsse  veranlassen  können.  Erstens  kann  von  einigen 
an  sich  nicht  entscheidenden  Merkmalen  aus  ein  Analogieschluss  auf 
andere  wichtige  Merkmale  gemacht  werden,  für  welche  die  Annahme 
einer  uebereinstimmung  durch  nichts  gerechtfertigt  ist;  und  zweitens 
können  schon  bei  den  wirklich  nachzuweisenden  Uebereinstimmungen 
äussere  Aehnlichkeiten,  die  möglicher  Weise  auf  ganz  verschiedenen 
Bedingungen  beruhen,  auf  gleiche  Ursachen  bezogen  werden.  Dazu 
kommt  noch,  dass  auch  die  Zustände  der  so  genannten  Naturvölker 
in  den  seltensten  Fällen  als  absolut  primitive  zu  deuten  sind,  und 
dass  daher  entweder  abgeleitete  Zustände,  ja  solche  des  Verfalls 
möglicher  Weise  für  ursprüngliche  gehalten  werden,  oder  dass  man 
genöthigt  ist,  schon  die  Annahmen  über  den  primitiven  Zustand  der 
Naturvölker  auf  Schlüsse  aus  ihrem  gegenwärtigen  erheblich  ver- 
änderten zu  gründen,  wobei  abermals  Irrthümer  möglich  sind.  Darum 
sind  im  allgemeinen  auf  diesem  Gebiet  halb  philologisch-historischer 
halb  vergleichend-ethnologischer  Untersuchungen  die  Schlüsse  immer 
mehrdeutig,  und  es  kann  höchstens  aus  einer  grossen  Zahl  überein- 
stimmender Instanzen  eine  überwiegende  Wahrscheinlichkeit  nach 
der  einen  oder  andern  Seite  gewonnen  werden.  Zugleich  ist  dann 
aber  selbstverständlich  für  eine  solche  Annahme  immer  zugleich  die 
allgemeine  psychologische  Wahrscheinlichkeit  wesentlich  mass- 
gebend ;  und  bei  dieser  muss  stets  die  völkerpsychologische  Entwick- 
lungsstufe, um  deren  Beurtheilung  es  sich  handelt,  sorgfältig  be- 
achtet werden.  Sehr  viele  Interpretationen  aus  der  Urgeschichte 
der  Sitte  gehen  daher  entschieden  deshalb  irre,  weil  sie  den  primi- 


sprung  des  Rechts,  1876.  Die  Anfänge  des  Staats-  und  Rechtslebens,  1878. 
Grundriss  der  ethnologischen  Jurisprudenz.  2  Bde.  1894 — 95.  Femer  J.  Eohler, 
Bernhöft  u.  A.  in  verschiedenen  Aufsätzen  der  Zeitschrift  für  vergleichende 
Rechtswissenschaft,  Bd.  3 — 10.  Mehr  nach  der  philologischen  Seite  sind  die 
Arbeiten  von  B.  W.  Leist  gerichtet  (Gräkoitalische  Rechtsgeschichte,  1884, 
Alt-arisches  Jus  gentium,  1889,  Alt-arisches  Jus  dvile,  1892),  ebenso  R.  v.  Jherings 
geistvolles,  aber  zum  Theil  auf  unsicheren  Grundlagen  ruhendes,  aus  dem  Nach- 
lasse veröflfentlichtes  Werk:  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer,  1894. 


Ethologie.  373 

tiren  Menschen  allzu  sehr  nach  den  Motiven  des  gegenwärtig  leben- 
den beurtheilen.  Dies  ist  z.  B.  der  Fehler  in  manchen  sonst  sinn- 
reichen Erklärungen,  die  man  von  dem  Ursprung  gewisser  weit 
yerbreiteter  Sitten,  wie  der  Qrussformen,  der  Leichenschmäuse  u.  a. 
gegeben  hat^).  Ein  allgemeineres  Problem,  das  diese  Vieldeutigkeit 
der  uns  in  solchen  Fällen  zu  Gebote  stehenden  Zeugnisse  besonders 
schl^end  zeigt  und  in  den  verschiedenen  Lösungsversuchen  wieder- 
spiegelt, ist  das  des  Ursprungs  der  Familie.  Auf  der  einen  Seite 
sind  es  die  Verwandtschaftsbezeichnungen  in  den  Sprachen  vieler 
Natur-  und  Gulturvölker  sowie  bei  den  letzteren  manche  üeber- 
liefemngen  der  Sitte  und  des  Rechts,  auf  der  andern  sind  es  noch 
jetzt  besiehende  Zustände  wilder  oder  halbwilder  Stämme,  aus  denen 
man  folgert,  dass  der  heutigen  Organisation  bei  den  Culturvölkem, 
bei  welcher  der  Vater  als  das  Haupt  der  Familie  gilt,  ein  entgegen- 
gesetzter Zustand,  das  .Mutterrecht'',  vorausgegangen  sei.  Hier  ist 
es  nun  erstens  zweifelhaft,  ob  die  Reihenfolge  Mutterrecht- Vater- 
recht wirklich  auf  Allgemeingültigkeit  Anspruch  machen  kann. 
Mindestens  lassen  manche  der  Zeugnisse,  die  dafür  geltend  gemacht 
werden,  auch  eine  andere  Deutung  zu:  so  z.  6.  wenn  gewisse  Be- 
stimmungen der  Erbfolge,  oder  wenn  die  Achtung,  die  nach  der 
Angabe  des  Tacitus  bei  den  Germanen  der  Bruder  der  Mutter  genoss, 
als  Nachwirkungen  des  Mutterrechts  aufgefasst  werden,  da  diese 
Erscheinungen  immerhin  auch  andere  Deutungen  zulassen'"'*').  Aber 
auch  wo  das  Mutterrecht  selbst  nicht  bezweifelt  werden  kann,  da 
sind  noch  verschiedene  Interpretationen  desselben  möglich  und 
in  Wirklichkeit  aufgestellt  worden.  So  sahen  Bachofen  und 
McLennan  in  ihm  einen  Beweis  dafür,  dass  ursprünglich  über- 
haupt keine  Ehe  sondern  freie  Verbindung  zwischen  den  männlichen 


♦)  Vgl.  hierüber  meine  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  176  ff. 

**)  So  leitet  z.  B.  B.  Delbrück  die  Verehrung  des  Avunculus  bei  den 
(lermanen  im  Gegentheil  davon  her,  dass  das  Verhältniss  zu  demselben  ein 
freieres  und  darum  gemüthvolleres  gewesen  sei  als  das  zu  dem  Patruus,  der 
nach  Sitte  und  Recht  in  Abwesenheit  des  Vaters  dessen  Stellvertreter  war 
(Prenss.  Jahrbb.,  Bd.  79,  1895,  S.  14  ff.).  Ich  bekenne  allerdings,  dass  mir  diese 
Dentnng  etwas  gezwungen  und  von  der  Neigung,  eigene  Anschauungen  auf 
eine  völlig  andere  Culturstufe  zu  übertragen,  nicht  ganz  frei  zu  sein  scheint. 
Immerhin,  als  ein  möglicher  Einwand  gegen  die  Mutterrechtstheorie  muss  sie 
^itg^geben  werden,  namentlich  so  lange  auch  die  sonstigen  Spuren  des  Mutter- 
rechts  in  den  Rechtsüberlieferungen  der  Indogermanen  bestreitbar  sind.  Vgl. 
hierüber  Leist,  Alt-arisches  Jus  gentium,  S.  51  ff.,  Alt-arisches  Jus  civile, 
S.  490. 


374  Logik  der  Geschichtswisseiischaften. 

und  weiblichen  Mitgliedern  einer  Horde  bestanden  habe.  Morgan, 
der  diese  Annahme  mit  den  bei  gewissen  Völkern,  namentlich  Ma- 
layen,  üblichen  Verwandtschaftsbezeichnungen  nicht  im  Einklang 
fand,  veränderte  sie  dahin,  dass  die  Verbindung  nicht  beliebig, 
sondern  immer  nur  zwischen  den  Männern  einer  AbtheUung  eines 
Stamms  und  den  Frauen  der  nämlichen  Abiheilung  stattgefunden 
habe.  In  beiden  FäUen  leitete  man  dann  das  Mutterrecht  aus  der 
Unkenntniss  des  Vaters  ab,  von  dem  Gedanken  ausgehend,  dass, 
wo  ein  bestimmter  Vater  nicht  zu  finden  sei,  die  Mutter  allein 
übrig  bleibe.  Offenbar  ist  das  aber  wieder  eine  Erklärung,  die 
heutige  Verhältnisse  auf  eine  völlig  anders  geartete  Urzeit  übertragt. 
Für  diese  lassen  sich  jedenfalls  noch  andere  Gründe  denken,  die 
der  Sitte  die  Zugehörigkeit  zur  Mutter  als  eine  nähere  erscheinen 
lassen  als  die  zum  Vater,  selbst  wenn  eine  geschlossene  Ehe  herr- 
schen sollte,  wie  die  Analogie  mit  den  monogamisch  lebenden 
menschenähnlichen  Affen  mindestens  für  den  primitiven  Menschen 
wahrscheinlich  macht:  werden  doch  Geburt  und  erste  Ernährung  in 
einem  Zustand  rohester  Lebensfürsorge  schon  als  solche  Motive  ge- 
nügen. Auch  Hesse  sich  dafür  die  Thatsache  anführen,  dass  die 
Herrschaft  des  Vaterrechts  um  so  zweifelloser  zu  sein  scheint,  je 
mehr  sich  die  Besitzverhältnisse  ausbilden,  unter  deren  Einfluss 
überall  in  primitiven  Verhältnissen  auch  Weiber  und  Kinder  als 
ein  Besitz  des  Mannes  gelten.  So  muss  hier  eine  objective  Prüfung 
bei  dem  Ergebnisse  stehen  bleiben,  dass  das  Problem  endgültig 
noch  nicht  zu  lösen  ist,  und  dass  es  zweifelhaft  bleibt,  ob  es  jemals 
mit  Sicherheit  in  allgemeingültiger  Weise  zu  lösen  sein  werde*). 
Jedenfalls  werden  aber  irgend  welche  psychologische  Hypo- 
thesen über  die  die  Menschen  einer  vergangenen  Zeit  bewegenden 
Motive  hier  stets  eine  entscheidende  Rolle  spielen,  und  die  richtige 
Wahl  solcher  Hypothesen  wird  davon  abhängen,  dass  man  sich  die 
Fähigkeit  des  eigenen  Einlebens  in  entlegene  Anschauungen  er- 
worben hat  —  eine  Fähigkeit,  zu  der  philologisch-historische  und 
ethnologische  Studien  die  Hülfsmittel  herbeischaffen  können,  deren 
Ausbildung  aber  schliesslich  eine  Sache  der  Psychologie,  ins- 
besondere der  Völkerpsychologie  ist.  Sie  allein  kann  hier  nament- 
lich jene  Irrthümer  der  Interpretation  allmählich  überwinden  helfen, 


*)  Eingehende  Darstellungen  des  Standes  dieser  Frage  findet  man  bei 
N.  Starcke,  Die  primitive  Familie,  1888,  und  Westermarck,  Geschichto 
der  menschlichen  Ehe,  1893. 


^     Ethologie.  375 

die  in  dem  fehlerhaft  angewandten  Princip  der  subjectiven  Beurthei- 
luDg  ihre  Quelle  haben. 

Von  den  erwähnten  mit  der  Völkerkunde  und  Urgeschichte 
zusammenhängenden  Problemen  weichen  jene  ethologischen  Unter- 
suchungen wesentlich  ab,  die  sich  nicht  auf  die  Frage  des  Ursprungs 
gewisser  aUgemein%r  sittlicher  Anschauungen  und  Lebensformen, 
sondern  auf  einzelne  Züge  der  Sitte  beziehen,  die  nach  natio- 
nalen und  örtlichen  Bedingungen  variiren.  Hier  sind  allein  die 
philologisch-historischen  Methoden  verwendbar;  und  auch  für  sie 
kommen  nur  wenig  die  allgemeinen  geistigen  Erzeugnisse,  wie 
Sprache  und  Mythus,  sondern  hauptsächlich  die  einzelnen  Denk- 
mäler der  Literatur,  der  Kunst  und  einzelner  Volksüberliefe- 
rongen,  wie  Volkslieder,  Sprichwörter  u.  dergl.,  in  Betracht.  Ist 
bei  jenen  aUgemeinen  Problemen  die  generische  Vergleichung  nicht 
zu  entbehren,  so  werden  bei  diesen  speciellen  Aufgaben  umgekehrt 
die  Zeugnisse  fast  um  so  werthyoller,  je  singulärer  und  individueller 
sie  sind.  Darin  liegt  nun  aber  auch  eine  wesentliche  Schwierigkeit 
gegenüber  andern  verwandten  Gebieten.  Die  Zeugnisse  der  Sprache 
liegen  offen  zu  Tage,  über  den  Mythus  bieten  die  Denkmäler  der 
Kunst  und  Literatur,  über  das  Recht  Gesetze  und  Verträge  mannig- 
fache Aufschlüsse.  Das  individuelle  sittliche  Leben  verbirgt  sich 
am  meisten.  Es  bildet  nicht  als  solches  den  Gegenstand  von  Auf- 
zeichnungen und  Darstellungen,  sondern  muss  aus  seinem  Spiegel- 
bild in  Dichtung,  Geschichtschreibung,  Redekunst  und  Philosophie 
erschlossen  werden"').  Diese  Quellen  sind  aber  von  ungleichem 
Werthe  und  bedürfen  in  verschiedener  Weise  der  kritischen  Prüfung. 
Unter  den  Formen  der  Dichtung  sind  die  Komödie,  in  modemer  Zeit 
der  bürgerliche  Roman  die  vorzüglichsten**).  Verhältnissmässig  am 
wenigsten  vielleicht  ist  die  philosophische  Literatur  zu  einer  directen 
Verwerthung  geeignet,  vor  allem  auch  in  den  Schriften,  die  der  Ethik 
selbst  gewidmet  sind.  Denn  so  wenig  man  z.  B.  die  Einflüsse  ver- 
kennen wird,  welche  die  griechische  Lebensanschauung  auf  den  Pla- 
tonischen „ Staat **  ausgeübt  hat,  so  würde  es  doch  unmöglich  sein, 
aus  diesem  Werk  das  sittliche  Leben  der  Griechen,  wie  es  wirklich 
beschaffen  war,  zu  erschliessen.  Die  philosophische  Ethik  will  meist 
ein  Ideal  des  sittlichen  Lebens  gestalten;  auf  die  Art,  wie  sie  dies 

♦)  Vgl.  L.  Schmidt,  Die  Ethik  der  alten  Griechen,  Bd.  1,  Einleitung. 
^*)  So    stützt  sich  Ribbeck  in   seinen  ethologischen   Studien   über  die 
sitÜich-socialen  Anschauungen    der  Alten   (a.   a.   0.)    hauptsächlich    auf   die 
Komödie. 


376  Logik  der  Geschichtewissenschaften. 

thut,   bat  aber  neben  den  sittlichen  Anschauungen  der  Umgebung 
die  individuelle  Richtung  des  Philosophen  einen  massgebenden  Einfluss. 


4.  Die  Frincipien  der  OeschichtswissenBchaft. 

a.    Geschichtswissenschaft  und  Geschichtsphilosophie. 

Die  historische  Untersuchung  beschränkt  sich  auf  die  Ermitte- 
lung des  causalen  Zusammenhangs  der  geschichtlichen  Erscheinungen, 
wie  er  unmittelbar  aus  den  Thatsachen  selbst  hervorgeht  oder  nach 
allgemeingültigen  psychologischen  Qesetzen  anzunehmen  ist.  Bei 
der  Erledigung  dieser  Aufgabe  ergeben  sich  aber  Probleme,  die 
durch  ihren  allgemeinen  Charakter  sowie  durch  die  Verbindung,  in 
der  sie  mit  anderen  Fragen  des  menschlichen  Wissens  stehen,  der 
philosophischen  Betrachtung  anheimfallen.  Hiemach  erscheint 
die  Geschichtsphilosophie  als  ein  Gebiet,  welches  zu  dem  durch  die 
Kritik  geprüften  und  durch  die  Interpretation  verbundenen  Inhalt 
der  Geschichte  eine  ähnliche  Stellung  einnimmt  wie  die  Geschichts- 
wissenschaft selbst  zu  dem  Sto£P,  den  sie  bearbeitet.  Natürlich  hat 
aber  eine  Geschichtsphilosophie  in  diesem  Sinne  nicht  ausserhalb 
des  Arbeitsgebiets  der  historischen  Einzelwissenschaften  ihre  Stelle. 
Auch  entspringt  es  wohl  nur  aus  einem  berechtigten  Widerstreben 
gegen  den  Versuch  diese  Verbindung  zu  lösen,  wenn  sich  manche 
Historiker  gegen  die  Philosophie  überhaupt  ablehnend  verhalten. 
Nicht  die  philosophische  Betrachtung  der  Geschichte  überhaupt  ist 
es  eigentlich,  die  sie  bekämpfen,  sondern  nur  jenes  speculative  Ver- 
fahren, das  die  Geschichte  nach  irgend  welchen  von  aussen  her  an 
sie  herangebrachten  Ideen  oder  nach  einem  willkürlichen  logischen 
Begriffsschematismus  construiren  möchte,  und  das  sich  zur  Geschichte 
genau  ebenso  verhält  wie  die  vormalige  speculative  Naturphilosophie 
zur  Naturwissenschaft. 

Wie  sich  nun  die  historische  Forschung  nur  auf  die  der  Erinne- 
rung zugängliche,  aus  Ueberlebnissen  mannigfacher  Art  zu  reconstrui- 
rende  Vergangenheit  beziehen  kann,  so  auch  die  philosophische  Ge- 
schichtsbetrachtung. So  selbstverständlich  dies  erscheinen  sollte,  so  hat 
sich  dennoch  ein  grosser  Theil  der  Bestrebungen,  die  der  Geschichts- 
philosophie gewidmet  waren,  umgekehrt  mit  den  jenseits  aller  Er- 
fahrung liegenden  letzten  Zwecken  der  historischen  Entwicklung 
beschäftigt,  und  die  Betrachtung  der  Geschichte  wurde  höchstens  dazu 


Geschichtswissenschaft  und  Geschichtsphilosophie.  377 

benQtzt,  um  aus  ihr  auf  diese  Zwecke  und  den  nach  ihnen  zu  ver- 
muthenden  künftigen  Verlauf  der  Dinge  zu  schliessen.  Nicht 
minder  gehört  in  dieses  Gebiet  die  Frage,  ob  die  Menschheit  vor- 
wärts-, rückwärtsschreite  oder  stillestehe.  Da  es  sich  hier  überall 
am  Dinge  handelt,  die  sich  der  Beobachtung  entziehen,  so  kann 
eine  Bilanz,  wie  sie  Lotze  in  seinem  „Mikrokosmus''  ausführt,  nach 
der  das  grosse  Facit  der  Weltgeschichte  zwischen  Null  imd  einer 
unbestimmten  negativen  Grösse  zu  schwanken  scheint,  ebenso  wenig 
durch  die  Erfahrung  widerlegt  wie  bewiesen  werden.  Wohl  aber 
kann  dieser  Umstand  darauf  aufmerksam  machen,  dass  jene  Frage 
an  eine  unrichtige  Stelle  gerückt  ist,  wenn  man  sie  auf  dem  Boden 
der  historischen  Betrachtung  zu  entscheiden  sucht.  Die  Entwick- 
lungen der  Geschichte  sind  so  vielgestaltig  und  unsere  Schätzungen 
über  Werth  und  Unwerth  der  Dinge  in  solchem  Masse  subjectiv 
Teränderlich,  dass  jene  geschichtsphilosophischen  Urtheile  im  Grunde 
nur  über  den  Gemüthszustand  des  Urtheilenden  selbst  Aufschluss 
geben.  Die  Anschauung,  dass  alle  menschliche  Entwicklung  einen 
letzten  unaufhebbaren  Zweck  habe,  ist  zunächst  kein  Resultat  histo- 
rischer Erfahrung,  sondern  eine  ethische  Forderung.  Nicht  darum 
also  handelt  es  sich  hier,  in  welchem  Masse  man  in  der  relativ 
kurzen  Spanne  Zeit,  deren  Ueberblick  uns  gegönnt  ist,  thatsächlich 
einen  solchen  Zweck  nachweisen  kann,  sondern  darum,  ob  man  den 
Gedanken,  dass  der  geistige  Lebensinhalt  der  Menschheit  überhaupt 
nichtig  sei,  für  eine  ethisch  mögliche  Idee  hält.  Auch  die  philo- 
sophische Geschichtsbetrachtung  hat  es  darum  nur  in  beschränktem 
Masse  mit  den  künftigen  Zielen,  und  sie  hat  es  gar  nicht  mit  dem 
transcendenten  Zweck  der  geschichtlichen  Entwicklung  zu  thun.  Den 
letzteren  überlässt  sie  dem  religiösen  Glauben;  und  bei  den  ersteren 
kann  es  sich  für  sie  höchstens  darum  handeln  zu  beurtheilen,  in- 
wiefern der  bisherige  Verlauf  der  Geschichte  zu  ethischen  Forde- 
rungen Anlass  gibt,  die  wir  der  Zukunft  entgegenbringen.  Der 
eigentliche  Inhalt  der  Geschichtsphilosophie  liegt  aber  in  dem  In- 
halte der  historischen  Erfahrung,  und  die  Probleme,  auf  die  sie 
ausgeht,  überschreiten  zwar  das  Gebiet  der  historischen  Interpre- 
tation, sie  dürfen  aber  niemals  das  der  historischen  Thatsachen 
selbst  überschreiten.  Dieser  Probleme  gibt  es  im  allgemeinen  drei: 
das  erste  bezieht  sich  auf  die  allgemeinen  Bedingungen  der  ge- 
schichtlichen Entwicklung;  das  zweite  auf  die  allgemeinen 
Gesetze,  die  in  dieser  Entwicklung  zum  Ausdruck  kommen;  das 
dritte   endlich  auf   den   allgemeinen  Verlauf  und  die  ihm  zu  ent- 


378  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

nehmenden,  nicht  transcendenten,  sondern  der  Geschichte  selbst  im- 
manenten  Zwecke. 

Für  das  erste  dieser  Probleme  zieht  die  philosophische  Betrach- 
tung die  Naturgeschichte  und  Völkerkunde  zu  Rathe;  für  das  zweite 
stützt  sie  sich  vor  allem  auf  eine  umfassende  Eenntniss  der  Ge- 
schichte selbst,  die  sich  mit  psychologischer  Beurtheilung  und  ethi- 
scher Auffassung  der  Dinge  verbindet;  die  Lösung  des  dritten  end- 
lich kann  überall  nur  als  ein  hypothetischer  Versuch  gelten,  Tom 
Gegebenen  auf  das  schlechthin  unbekannte  zu  schliessen. 

Die  Erörterung  dieser  Fragen  ist  in  der  That  nicht  bloss  des- 
halb eine  philosophische  Aufgabe,  weil  sie  eine  allgemeine  ist,  son- 
dern auch  deshalb,  weil  die  Geschichtswissenschaft  nicht  in  der  Lage 
ist  sie  zu  lösen.  Denn  die  Hülfsmittel  dazu  sind  nicht  bloss  in  der 
Geschichte  sondern  ausserdem  in  den  übrigen  Geisteswissenschaften, 
vor  allem  in  der  allgemeinsten  derselben,  in  der  Psychologie,  zu 
suchen.  Je  mehr  aber  in  jenen  Fragen  ein  selbständiges,  wenn 
auch  der  Geschichte  zugeordnetes  Gebiet  philosophischer  Unter- 
suchungen gegeben  ist,  um  so  weniger  scheint  es  geboten,  damit 
auch  noch  eine  andere  Aufgabe  zu  verbinden,  die  in  Wahrheit 
der  Geschichtswissenschaft  zufällt:  nämlich  die,  den  Gesammtverlauf 
der  Geschichte  in  dem  Zusammenhang  der  sie  beherrschenden  Ideen 
zu  schildern.  Indem  die  Darstellungen  der  Geschichtsphilosophie 
sämmtlich  diesen  Weg  einschlagen,  sind  sie  mehr  Weltgeschichten 
in  philosophischer  Beleuchtung  als  wirkliche  Philosophie  der  Ge- 
schichte. Die  Weltgeschichte  gehört  jedoch  zur  Geschichte  und 
nicht  zur  Philosophie.  Gleichwohl  ist  jene  Vermengung  dann  un- 
vermeidlich, wenn  man  die  Thatsachen  der  Geschichte  nicht  als 
das  Material  betrachtet,  das  die  philosophische  Untersuchung  zu 
bearbeiten  hat,  sondern,  wie  es  die  Geschichtsphilosophie  in  der 
Regel  thut,  als  das  Substrat,  an  dem  gewisse  von  vornherein 
feststehende  ethische  oder  metaphysische  Ideen  erläutert  werden 
sollen. 


b.   Die   allgemeinen  Bedingungen  der  geschichtlichen 

Entwicklung. 

Von  den  oben  genannten  drei  Problemen  hat  das  erste  in  den 
Darstellungen  der  Geschichtsphilosophie  wie  der  Geschichte  selbst 
bis  jetzt  am  meisten  Beachtung  gefunden.  So  hat  vor  allen  Herder 
in  seinen  „Ideen'*,   freilich  zum  Theil  mit  unzureichender  Kenntniss 


Allgemeine  Bedingungen  der  geschichtlichen  Entwicklung.  379 

der  naturgeschichtlichen  und  ethnologischen  Thatsachen,  aber  unter- 
stützt diurch  seinen  feinen  Natursinn,  die  Naturbestimmtheit  des 
historischen  Geschehens  aufzuzeigen  gesucht.  Von  ähnlichem  Geiste 
ist  Carl  Ritters  Erdkunde  getragen,  und  auf  die  Historiker  sind 
diese  Versuche,  die  geschichtlichen  Eigenschaften  der  Völker  so  viel 
als  möglich  aus  den  Bedingungen  ihrer  Verbreitung  verstehen  zu 
lernen,  nicht  ohne  Einfluss  gewesen,  wie  z.  B.  Max  Dunckers 
Behandlung  der  alten  Geschichte  zeigt.  Freilich  liegt  hier  die  schon 
von  Hegel  gemachte  Bemerkung  nahe,  dass  unter  gleichen  äusseren 
Verhältnissen  Völker  von  sehr  abweichendem  historischem  Charakter 
vorkommen.  Dies  erklärt  sich  aber  daraus,  dass  die  hauptsäch- 
lichsten Wirkungen,  welche  die  Natur  auf  den  Menschen  und  nament- 
lich diejenigen,  die  sie  auf  die  geschichtlichen  Erscheinungen  aus- 
übt, nicht  directe  sondern  indirecte  sind,  solche  die  durch  die 
Lebensbedingungen  und  den  aus  diesen  mit  der  Entwicklung  der 
Cultur  entspringenden  Wirthschaftsverkehr  vermittelt  werden.  Darum 
hat  nun  auch  jene  geschichtsphilosophische  Richtung,  welche  die 
Naturbedingungen  als  die  absolut  letzten  Factoren  der  Geschichte 
ansieht,  die  materialistische,  mehr  und  mehr  ihre  Auffassung 
in  der  Lehre  ausgeprägt,  alle  geistigen  Factoren  der  Geschichte 
seien  nothwendige  Producte  der  Wirthschaftsgeschichte.  (Vgl. 
oben  S.  325.)  Da  jedoch  die  wirthschaftlichen  Zustände  keineswegs 
bloss  von  den  Naturbedingungen,  sondern  von  einer  Menge  anderer 
Umstände,  z.  B.  von  politischen  Ereignissen,  von  Verkehrsbeziehungen, 
vor  allem  aber  selbst  wieder  von  dem  geistigen  Charakter  eines 
Volkes  abhängen,  so  ist  es  klar,  dass  die  Wirthschaftsgeschichte 
schon  das  Erzeugniss  einer  Menge  anderer,  sowohl  physischer  wie 
geistiger  Factoren  ist.  Der  augenfälligste  Beweis  hierfür  liegt 
namentlich  darin,  dass  jeder  Versuch,  die  Erscheinungen  der  Wirth- 
schaftsgeschichte ursächlich  zu  begreifen,  auf  eine  psychologische 
Analyse  hinausführt.  Was  sind  in  der  That  die  Verhältnisse  von 
Angebot  und  Nachfrage,  der  Sporn  der  Concurrenz  und  die  andern 
Hebel  des  Arbeits-  und  Handelsverkehrs  anderes  als  psychische 
Motive,  zu  denen  sich  die  äusseren  Naturbedingungen  ähnlich  ver- 
halten wie  die  physischen  Sinnesreize  zu  den  Vorstellungen  und  Ge- 
fühlen, die  sie  in  uns  anregen? 

Diese  psychischen  Motive  sind  nun  aber  zunächst  allgemeine: 
sie  sind  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Individuen  einer  Volksgemein- 
schaft im  wesentlichen  von  der  nämlichen  Beschaffenheit ,  wenn  sie 
auch    in   ihrer    Stärke   variiren   mögen.     Das   geschichtliche   Leben 


380  Logik  der  Geschichtswifisenschaften. 

erscheint  so  als  die  Wirkung  eines  allgemeinen  geistigen  Zustandes, 
der,  zeitlich  und  räumlich  bestimmt,  auf  eine  Fülle  von  Ursachen 
zurückweist,  unter  denen  auf  der  einen  Seite  die  einzelnen  Natur- 
bedingungen, auf  der  andern. die  Summe  der  geistigen  Wechsel- 
wirkungen, denen  eine  Gemeinschaft  unterworfen  ist,  deutlich  zu 
unterscheiden  sind. 

In  dieser  Betrachtungsweise  wurzelt  nun  jene  zweite  ge- 
schichtsphilosophische  Auffassung,  die  in  der  ZurückfÜhrung  der 
geschichtlichen  Vorgänge  auf  die  Einflüsse  der  geistigen  Um- 
gebung besteht.  Diese  Theorie  der  „Umwelt"  (des  „Milieu*)  ist, 
wenn  sie  auch  vorzugsweise  in  historischen  Einzeluntersuchungen 
zum  Ausdruck  kam,  doch  ganz  und  gar  eine  geschichtsphilo- 
sophische"').  Erhebt  sie  doch  den  Anspruch,  ein  allgemeines 
Princip  für  die  Bedingungen  des  historischen  Geschehens  aufzu- 
stellen, das  ebensowohl  als  ein  Ergebniss  der  historischen  For- 
schung wie  als  ein  Postulat  ftir  jede  einzelne  Untersuchung  anzu- 
sehen sei.  Ohne  Frage  hat  nun  dieses  philosophische  Princip  den 
Vorzug,  dass  es  die  Einseitigkeit  des  vorangegangenen  vermeidet, 
indem  es  den  geistigen  Factoren  ihre  Stelle  einräumt,  ohne  doch 
darum  die  Naturbedingungen  ganz  zu  vernachlässigen.  Vielmehr 
bringt  es  die  letzteren  erst  in  den  ihnen  gebührenden  Zusammen- 
hang, da  es  sie  zu  den  Einflüssen  zählt,  die  auf  den  geistigen 
Charakter  einer  zeitlich  und  räumlich  begrenzten  Gruppe  historischer 
Erscheinungen  einwirken.  In  dieser  Beziehung  ist  namentlich  der 
Ausdruck  „Umwelt"  (Milieu)  ein  durchaus  tre£Pender,  da  er  auf  die 
physische  wie  auf  die  geistige  Umgebung  bezogen  werden  kann« 

Hier  weist  nun  aber  zugleich  in  einer  andern  Richtung  auch 
dieses  Princip  über  sich  selber  hinaus.  Insofern  die  Umwelt  vor 
allen  Dingen  als  geistige  Umgebung,  ja  in  den  directen  geschicht- 
lichen Wirkungen  die  sie  ausübt  fast  nur  als  solche  aufgefasst  wird, 
fordert  nämlich  diese  allgemeine  Bedingung  noch  unmittelbarer  als 
die  vorige  zu  einer  psychologischen  Analyse  auf,  welche  die 
concreten  Factoren  nachweist,  aus  denen  jener  Gesammteinfluss  be- 
steht. Diese  Analyse  muss  nun  aber  nicht  bloss  überall  die  in- 
dividuelle psychologische  Erfahrung  zu  Grunde  legen,  da  ja  in  einer 
geistigen  Gemeinschaft  immer  nur  die  nämlichen  psychischen  Kräfte 

*)  In  der  That  bezeichnet  auch  T  a  i  n  e  das  (in  historischer  Beziehung 
allerdings  unbedeutendste)  seiner  Werke ,  das  er  vorzugsweise  der  Darlegung 
dieses  Princips  an  dem  Beispiel  der  Kunstgeschichte  bestimmt  hat,  als  .Philo- 
sophie der  Kunst*.    Vgl.  oben  S.  326  f. 


Allgemeine  Bedingungen  der  geschichtlichen  Entwicklung.  381 

wie  in  den  sie  zusammensetzenden  Individuen  wirksam  sind,  sondern 
sie  kann  sich  auch  der  Beobachtung  nicht  entziehen,  dass  das  Indi- 
vidamn,  eben  weü  es  der  Träger  der  in  Allen  thätigen  psychischen 
Energien  ist,    seinerseits   auf  Grund   der  von  aussen   empfangenen 
Anregungen  eine   selbständige  Entwicklung  durchmacht,    in   Folge 
deren   in   ihm   neue  Kräfte    entstehen,   die    auf   die   geistige  Um^ 
gebung  yerändemd  zurückwirken.     Den  Einflüssen  der  Umwelt  auf 
den  Einzelnen  stellen  sich  so  die  Wirkungen  des  Einzelnen  auf  die 
Umwelt  gegenüber.    Schwerlich  wird  ein  für  allemal  endgültig  aus- 
zumachen sein,  welche  dieser  Wirkungen  die  grössere  sei.     Jeden* 
falls  steht  aber  fest,    dass   das  ganze  Verhältniss    ein  solches  der 
Wechselbestimmung  ist,   oder  dass,  mit  andern  Worten,   das 
Princip   der  Abhängigkeit  des  Einzelnen  von  der  Umgebung   durch 
ein  Princip  der  Wirkung  des  Einzelnen  auf  diese  Umgebung  ergänzt 
werden  muss. 

Auf  diese  Weise  führt  die  Betrachtung  der  allgemeinen  Be- 
dingungen der  geschichtlichen  Entwicklung  auf  die  nämlichen  drei 
Principien  zurück,  die  uns  bereits  als  die  im  allgemeinen  jeder  ein- 
zelnen Untersuchung  vorausgehenden  Maximen  für  die  Behandlung 
der  Probleme  der  Geisteswissenschaften  entgegentraten.  (Vgl.  Gap.  I, 
S.  27  ff.)  Da  diese  Principien  in  der  allgemeingültigen  Beschaffen- 
heit der  Geistesobjecte  ihre  unmittelbare  Quelle  haben,  so  ist  es 
begreiflich,  dass  sie  in  der  Regel  schon  beim  Beginn,  jedenfalls 
aber  im  Verlauf  der  Untersuchung  sich  aufdrängen,  und  dass  diese 
sie  in  ihrem  weiteren  Fortgang  immer  nur  bestätigt  finden  kann. 
Ist  es  doch  einleuchtend,  dass  geistige  Vorgänge  und  geistige 
Schöpfungen  irgend  welcher  Art  in  den  geistigen  Eigenschaften  des 
individuellen  Menschen  ihre  letzte  Wurzel  haben  und  daher  dem 
Princip  der  subjectiven  Beurtheilung  unterworfen  sind,  dass  dann 
aber  weiterhin  der  Einzelne  nicht  bloss  aus  sich  selbst  begriffen 
werden  kann,  sondern  zunächst  von  seiner  geistigen  Umgebung  und 
dann  zusammen  mit  dieser  von  den  Bedingungen  seiner  ebenen 
physischen  Natur  und  seiner  Naturumgebung  bestimmt  ist.  Wenn 
nun  aber  in  der  historischen  Einzeluntersuchung  die  subjective  Be- 
urtheilung stets  das  nächstliegende  Hülfsmittel  des  Verständnisses 
ist,  dem  sich  erst  in  zweiter  Linie  der  Rückgang  auf  die  geistige 
und  in  dritter  der  auf  die  physische  Umgebung  ausschUesst,  so  ver- 
hält es  sich  umgekehrt  für  eine  philosophische  Betrachtung.  Indem 
diese  von  vornherein  den  Blick  auf  die  allgemeinen  Bedingungen 
richtet,    muss    sie    nothwendig    den    entgegengesetzten    Weg   ein- 


382  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

schlagen.  Sie  wird  zunächst  über  die  Naturbedingungen  und  dann 
über  die  auf  Grund  der  Naturbedingungen  entstandenen  allgemeinen 
geistigen  Tendenzen  Rechenschaft  zu  geben  haben,  aus  denen  sich 
der  Charakter  eines  Zeitalters  oder  irgend  einer  zeitlich  und  raum- 
lich beschränkten  geschichtlichen  Entwicklung  zusammensetzt,  worauf 
sich  erst  an  letzter  Stelle  die  Frage  erhebt,  wie  sich  diese  geistigen 
Tendenzen  in  einzelnen  Individuen  verkörpert  haben  und  von  ihnen 
aus  wieder  auf  die  Gesammtentwicklung  zurückwirkten.  In  der 
That  bietet  sich  diese  Reihenfolge  der  Probleme  für  jede  allgemeinere 
Betrachtung  der  Geschichte  so  sehr  von  selbst  als  die  naturgemäss 
gegebene  dar,  dass  sie  in  der  bisherigen  Geschichtsphilosophie 
überall  da  herrschend  ist,  wo  nicht  gerade  ein  von  aussen  herzu- 
gebrachter Begri£G3schematismus  störend  dazwischen  tritt*).  Da- 
gegen bietet  sich  für  die  specielle  Geschichtsforschung  ebenso  un- 
zweifelhaft der  Weg  von  dem  Individuellen  zum  Allgemeinen  und 
von  den  subjectiven  Motiven  zu  den  objectiven  Bedingungen  der 
geschichtlichen  Erscheinungen  von  selbst  dar.  Und  aus  demselben 
Grunde  haben  dann  unter  den  verschiedenen  Richtungen  historischer 
Forschung  die  cultur-  und  die  universalhistorische  wieder  die  näch- 
sten Beziehungen  zur  Geschichtsphilosophie,  so  dass  sie  nicht  selten 
ohne  scharfe  Grenze  in  eine  solche  übergehen. 


c.    Die  historischen  Gesetze. 

Dass  es  historische  Gesetze  im  Sinne  letzter  Verallgemeine- 
rungen, aus  denen  unmittelbar  die  geschichtlichen  Erscheinungen 
abzuleiten  wären,  nicht  gibt  und  vermöge  der  Natur  der  geschicht- 
lichen Vorgänge  nicht  geben  kann,  ist  oben  bereits  erörtert  worden. 
(S.  342  f.)     Die  Frage  liegt  daher  nahe ,   inwiefern  man  überhaupt 


*)  So  haben  namentlich  Montesquieu  und  Herder  diese  Piincipien 
in  der  angegebenen  Reihenfolge  angewandt.  Die  früher  (S.  327)  erwähnte  Reihe 
Taines  , Rasse,  Sphäre,  Zeitpunkt'  ist  sichtlich  unter  dem  vorwaltenden  Ein- 
flüsse literarhistorischer  Untersuchungen  entstanden.  Eigentlich  entsprechen 
diese  drei  Factoren  zusammmen  der  Reihe  der  Naturbedingungen  und  der  Ein- 
flüsse der  geistigen  Umgebung,  die  hier  beide  in  dem  Begrifi  des  .Milieu'  ver- 
einigt sind  und  dann  nach  zeitlichen  und  räumlichen  Merkmalen  in  jene  Fac- 
toren geschieden  werden.  Den  individuellen  Einflüssen  gönnt  Taine  keine 
Stelle:  in  der  Literatur-  und  Kunstgeschichte  bleiben  sie  eben  der  Einzel- 
betrachtung überlassen,  als  ein  Rest  der  thatsächlich  aus  «Rasse,  Sphäre,  Zeit- 
punkt* nicht  abzuleiten  ist. 


Historiache  Gesetze.  383 

berechtigt  sei  von  historifichen  Gesetzen  zu  reden.  In  der  That, 
da,  wie  wir  sahen,  jede  historische  Interpretation  auf  psychologische 
Gesetze  zurückführt,  so  sind  jene  Principien  der  Psychologie,  in 
denen  sich  der  Ertrag  unserer  Beobachtungen  über  die  inneren  Be- 
ziehungen der  geistigen  Vorgänge  zusammenfassen  lässt,  als  die  all- 
gemeinsten Gesetze  der  Geschichte,  ebenso  wie  aller  andern  Geistes- 
wissenschaften, zu  betrachten.  (Vgl,  oben  S.  241  ff.)  Auch  erkennt 
man  unschwer,  dass  bei  allen  historischen  Entwicklungen,  ob  es 
sich  nun  um  die  Geschichte  eines  einzelnen  Menschen  oder  um  die 
einer  mehr  oder  minder  umfassenden  historischen  Gemeinschaft,  und 
ob  es  sich  um  den  ganzen  Zusammenhang  geschichtlichen  Lebens 
in  Staat,  Gesellschaft  und  Cultur  oder  um  eine  bestimmte  Seite 
dieser  Entwicklungen  oder  endlich  gar  nur  um  die  Geschichte  einer 
einzelnen  geistigen  Function  wie  der  Sprache  handeln  mag,  die 
nämlichen  allgemeinen  Principien  ihre  Anwendung  finden.  In  der 
That  ist  es  ja  auch  eine  wichtige  Disciplin  der  Psychologie,  die 
Völkerpsychologie,  die  hier  bereits  unmittelbar  der  Geschichte  vom 
psychologischen  Standpunkte  aus  vorarbeitet,  indem  sie  die  all- 
gemeinsten geistigen  Gesammterzeugnisse  geschichtlicher  Entwick- 
lung unter  psychologischen  Gesichtspunkten  betrachtet.  Das  würde 
aber  gar  nicht  geschehen  können,  Wenn  die  Geschichte  nicht  eine 
Art  angewandter  Psychologie  wäre,  was  eben  einschliesst,  dass  ihre 
allgemeinsten  Gesetze  keine  andern  als  die  der  Psychologie 
selber  sind. 

Dennoch  verliert  damit  der  Begriff  von  historischen  Gesetzen 
noch  nicht  seine  Berechtigung.  Kann  auch  von  Principien  der  Ge- 
schichtswissenschaft im  Sinne  letzter,  so  zu  sagen  axiomatischer 
Ausgangspunkte  der  historischen  Forschung  oder  höchster  auf  keine 
weiteren  Gründe  zurückfährbarer  Verallgemeinerungen  der  geschicht- 
lichen Erfahrung  niemals  die  Rede  sein,  so  ist  damit  doch  die  Auf- 
stellung empirischer  Gesetze,  wie  solche  in  jedem  in  sich  zusammen- 
hängenden Erfahrungsgebiet  aufgefunden  werden  können,  wohl 
vereinbar;  und  insofern  unter  diesen  Gesetzen  sich  solche  finden 
sollten,  die  als  unmittelbare  Anwendungen  der  allgemeinen  psycho- 
logischen Principien  auf  das  Erfahrungsgebiet  der  Geschichte  er- 
scheinen, und  die  daher  nicht  etwa  bloss  für  eine  beschränkte 
Gruppe  geschichtlicher  Thatsachen  gelten,  sondern  sich  über  das 
Gesammtgebiet  des  historischen  Geschehens  erstrecken,  so  wird 
diesen  Gesetzen  selbst  eine  principielle  Bedeutung  zuzuschreiben 
sein,   etwa  in   ähnlichem  Sinne  wie   wir   gewisse    allgemeine   Sätze 


384  Logik  der  GeschichtswissenBchaften. 

der  Mechanik  als  Principien  bezeichnen,  obgleich  sie  nicht  letzte 
Erklärungsgründe  sind,  sondern  aus  einfacheren  geometrischen  und 
dynamischen  Gesetzen  abgeleitet  werden  können.  In  der  That  ist 
nun  die  Existenz  empirischer  Gesetze  für  gewisse  Gebiete  geschicht- 
licher Entwicklung,  wie  für  den  Laut-  und  Bedeutungswandel  sowie 
die  sonstigen  Vorgänge  des  Sprachlebens,  in  gewissem  umfange 
auch  für  die  Entwicklung  von  Mythus  und  Sitte,  längst  anerkannt. 
Aber  erstens  beziehen  sich  diese  Gesetze  bloss  auf  beschränkte, 
unter  besonderen  Bedingungen  stehende  Erscheinungsgebiete,  so 
dass  ihnen  eine  principielle  Bedeutung  keinesfalls  zugeschrieben 
werden  kann;  und  zweitens  ist  man  geneigt  gerade  jenen  geistigen 
Entwicklungsformen,  die,  wie  Sprache,  Mythus  und  Sitte,  in  das 
vorgeschichtliche  Dasein  des  Menschen  hinüberreichen,  darin  eine 
Ausnahmestellung  einzuräumen,  dass  man  eine  Art  naturgesetzlicher 
Bedingtheit  für  sie  annimmt,  der  gegenüber  die  eigentliche  Ge- 
schichte ein  „Reich  der  Freiheit **  sei,  das  sich  durchaus  dem  Zwang 
irgend  welcher  Normen  entziehe.  Nun  ist  die  erste  dieser  That- 
sachen  offenbar  durchaus  nicht  im  Widerspruch  mit  der  Existenz 
allgemeinerer  historischer  Gesetze.  Können  auch  die  speciellen  Ent- 
wicklungsformen einzelner  Geisteserzeugnisse  auf  den  Namen  solcher 
keinen  Anspruch  machen,  so  bekunden  sie  doch  jedenfalls  die  Exi- 
stenz einer  Gesetzmässigkeit  für  Erscheinungen,  die  dem  Gebiet  des 
geschichtlichen  Werdens  angehören;  und  die  Yermuthung  liegt  nahe, 
dass  sich  wenigstens  diejenigen  unter  diesen  empirischen  Gesetzen, 
die  direct  auf  psychologische  Motive  zurückweisen,  als  specielle  Fälle 
irgend  welcher  allgemeiner  historischer  Gesetze  ausweisen  könnten. 
Die  Behauptung  aber,  dass  sich  die  eigentliche  Geschichte  der  Auf- 
stellung irgend  welcher  Gesetze  entziehe,  oder  dass  solche  Gesetze, 
sofern  sie  existiren,  transcendent  und  darum  für  uns  unerkennbar 
seien,  ist  zwar  angesichts  der  bedenklichen  Versuche  der  specu- 
lativen  und  der  naturalistischen  Geschichtsphilosophie  begreiflich 
genug;  aber  im  letzten  Grunde  beruht  sie  doch  auf  demselben  Irr- 
thum,  dem  Buckle s  angebliche  Gesetze  der  Geschichte  ihren  Ur- 
sprung verdanken*):  sie  verwechselt  das  Gesetz  mit  dem  Natur- 
gesetz, insonderheit  mit  dem  mechanischen  Naturgesetz ;  und  sie  ist 
der  Meinung,  historische  Gesetze  könnten  nur  letzte  Verallgemeine- 
rungen, also  specifisch  historische  Principien  sein,  die  eine  weiter 
zurückgehende   Deutung   und    Begründung  nicht  zuliessen.     Beides 


')  Vgl.  oben  S.  342. 


Historische  Gesetze.  385 

ist  natürlich  falsch:  wenn  es  historische  Gesetze  gibt,  so  müssen 
auch  sie  die  wesentlichen  Merkmale  haben,  durch  die  sich  die 
geistige  Causalitat  überall  von  der  physischen  unterscheidet;  und 
niemals  können  solche  historische  Gesetze  letzte  Principien  des  Ge- 
schehens, sondern  sie  können  nur  Anwendungen  der  allgemei- 
nen psychologischen  Principien  auf  die  besonderen  Be- 
dingungen der  geschichtlichen  Entwicklung  sein.  Auf 
zwei  Wegen  aber  werden  solche  Anwendungen  entstehen  können: 
erstens,  indem  die  historischen  Gesetze  zunächst  als  rein  empirische 
gefunden  und  dann  auf  ihre  psychologischen  Gründe  zurückgeführt 
werden,  und  zweitens,  indem  man  gewisse  allgemeine  psychologische 
Erwägungen  auf  die  Geschichte  anwendet  und  nachträglich  die  so 
erschlossenen  Gesetze  durch  die  historische  Erfahrung  bestätigt. 
Dort  besteht  also  das  Verfahren  in  einer  historischen  Induction,  an 
die  sich  die  psychologische  Deduction  anschliesst;  hier  geht  diese 
voraus,  und  die  mittelst  einer  zureichenden  Sammlung  von  That- 
sachen  bewerkstelligte  Verification  folgt  ihr  nach.  So  unzweifel- 
haft nun  der  erste  dieser  Wege  vorzuziehen  ist,  weil  er  die  grössere 
Unbefangenheit  der  Beobachtung  verbürgt,  so  ist  er  doch  wohl 
selten  allein  eingeschlagen  worden,  sondern  zumeist  wird  das  Ver- 
fahren von  vornherein  ein  gemischtes  sein :  an  vereinzelte  und  darum 
zur  Aufstellung  eines  empirischen  Gesetzes  völlig  unzureichende  Be- 
obachtungen schliessen  sich  psychologische  Reflexionen,  und  im 
Interesse  der  Bestätigung  derselben  werden  dann  weitere  Erfah- 
rungen gesammelt  und  zu  einem  Gesetze  verallgemeinert.  In  welchem 
Umfang  dieses  Verfahren  Erfolge  verspricht,  darüber  kann  natür- 
lich nur  die  Ausführung  im  einzelnen  und  die  kritische  Prüfung 
der  Ergebnisse  entscheiden.  Dass  aber  die  Thatsachen  der  Ge- 
schichte die  Anwendung  desselben  herausfordern,  das  kann  —  ab- 
gesehen von  der  Frage,  ob  es  im  einzelnen  Fall  richtig  angewandt 
wird  oder  nicht,  —  unmöglich  bezweifelt  werden.  Wer  dies  thun 
woUte,  müsste  den  inneren  Zusammenhang  der  geschichtlichen  Vor- 
gänge und  den  Ursprung  menschlicher  Handlungen  aus  psychologi- 
schen Motiven  überhaupt  verneinen.  Er  müsste  also  Schopenhauer 
zustimmen,  der  der  Geschichte  das  Recht  bestritt  sich  eine  Wissen- 
schaft zu  nennen,  weil  sie  immer  nur  vom  Einzelneu  zum  Einzelnen 
^auf  dem  Boden  der  Erfahrung  fortkriechen^,  nie  aber  sich  zum 
Allgemeinen  erheben  könne  '*').     Auch  diese  Meinung  beruht  auf  der 

*)  Schopenhaaer,  Die  Welt  als  Wille  und  Vorstellung,  Werke  Bd.  2, 
S.  288  ff.,  Bd.  3,  8.  501  ff.    Uebrigens  stehen  diese  Ausführungen  Schopen- 
Wandt,  Logik.  U,  2.    8.  Aufl.  25 


386  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Verwechselung  mit  dem  Naturgesetz.     Weil  es  in  der  Geschichte 
allerdings  nicht  möglich  ist,  Verallgemeinerungen,    die  irgend  einer 
einzelnen  Oruppe  von  Thatsachen  entnommen  sind,  als  feste  Regeln 
zu  betrachten,   die  sich  bei  allen  andern  geschichtlichen  Vorgängen 
bestätigt  finden  müssen,  wird  die  Existenz  von  Gesetzen  überhaupt 
geleugnet.     Es  ist  charakteristisch,  dass  hier  die  Ansicht  des  philo- 
sophischen   Verächters     der    Geschichte     mit    der    Meinung    jener 
Historiker   zusammentriflFt,    die    ihre  Wissenschaft  gerade  um  des- 
willen preisen,  weil  ihr  die  Herrschaft  des  Gesetzes  fremd,  und  weil 
sie  nicht  bloss  Wissenschaft  sondern  auch  Kunst  sei.   Aber  so  wahr 
es  ist,  dass  es  die  Geschichte  zunächst  und  vor  allem  mit  den  con- 
creten  Thatsachen  des  geschichtlichen  Lebens   zu  thun  hat,   so   ist 
es  doch  irrthümlich  zu   meinen,   sie  unterscheide    sich  hierin   oder 
auch  in  dem  Bedürfhiss    einer   nach    Analogie    der   künstlerischen 
Phantasie  wirkenden  geistigen  Verknüpfung  der  Erscheinungen  von 
irgend   einer    andern    wissenschaftlichen    Thätigkeit.      Auch    bleibt 
hier  wie  überall  diese  Thätigkeit  gebunden  an  die  Forderung,  dass 
sie  den  Thatsachen  nichts  hinzufüge  was  nicht  in  dem  Bedürfhiss 
logischer  Verknüpfung  streng  begründet  ist  —  das  trennt  sie   von 
der  Dichtkunst  — ,  und  hier  wie  überall  müssen  sich   die  Gesetze, 
die   aus  der  Vergleichung  verwandter   Thatsachenreihen    gewonnen 
werden,  nach  der  Natur  der  Erscheinungen  richten,  sie  müssen  also 
für  das  Gebiet  der  Geschichte  schliesslich  auf  psychologische  Prin- 
cipien  zurückführen,  —  dadurch  scheiden  sich  historische  Gesetze, 
wie  immer  sie  sonst  bescha£Pen  sein  mögen,  unter  allen  Umständen 
von  den  Naturgesetzen. 

Da  nun  die  geschichtlichen  Ereignisse,  wie  alle  Erfahrungs- 
inhalte, räumlich-zeitliche  Vorgänge  sind,  so  werden  zunächst  auch 
im  Gebiet  der  Geschichte  empirische  Gesetze  imter  der  Be- 
dingung aufgestellt  werden  können,  dass  das  historische  Geschehen 
irgend  welche  Regelmässigkeiten  des  räumlich-zeitlichen  Verhaltens 
darbietet*).  Da  jedoch  alle  Geschichte  in  der  Zeit  verläuft,  so 
werden    die    auf   diese   Weise    aufzufindenden   empirischen  (besetze 


hauers  selbst  schon  unter  der  Voraussetzung,  dass  nicht  die  Eenntmss  der 
Geschichte  als  solcher,  sondern  die  psychologische  Erkenntniss  des  Menschen 
der  Zweck  historischer  Darstellung  sei,  ein  Gesichtspunkt  der  ihn  veranlasst 
die  Biographie  noch  am  ehesten  anzuerkennen,  überhaupt  aber  die  Dichtkunst 
der  Historie  vorzuziehen  und  den  Historiker  nur  insofern  er  zugleich  Dichter 
ist  gelten  zu  lassen. 

*)  Vgl.  Bd.  II,  1,  S.  26  ff. 


Historische  Gesetze.  387 

sammtlich  eine  zeitliche,  und  nur  unter  bestimmten  Bedingungen 
werden  sie  daneben  auch  noch  eine  räumliche  Abhängigkeit  ent- 
Iialten.  Wir  können  demnach  räumlich- zeitliche  und  rein 
zeitliche  Gesetze  der  Geschichte  unterscheiden.  In  der  That  führen 
alle  von  Geschichtsphilosophen  und  Bistorikem  versuchten  Gesetzes- 
formulirungen  auf  diese  beiden  Classen  zurück.  Dort  erscheint  die 
Zeit  zugleich  mit  dem  Räume,  hier  erscheint  die  Zeit  allein  als  die 
unabhängig  Variable,  der  ein  bestimmter  in  sich  zusammenhängen- 
der geschichtlicher  Inhalt  als  abhängig  veränderliche  Grösse  gegen- 
übergestellt wird.  Demnach  gleichen  diese  empirischen  Gesetze  der 
Geschichte  denen  der  Naturlehre  darin  ganz  und  gar,  dass  sie  un- 
mittelbar keine  Causalbeziehung,  sondern  nur  eine  Aussage  über  einen 
regelmässigen  äusseren,  in  der  Anschauung  gegebenen  Zusammen- 
hang von  Erscheinungen  enthalten  (vgl.  Bd.  II,  1,  S.  27).  Aber 
während  bei  den  empirischen  Naturgesetzen  dieser  Zusammenhang 
stets  ein  zeitlicher  und  räumlicher  zugleich  ist,  trifft  dies  bei  den 
historischen  Gesetzen  nur  für  einen  kleinen,  und  noch  dazu,  wie  man 
wohl  sagen  darf,  für  den  minder  wichtigen  Theil  derselben  zu.  Die 
Mehrzahl  der  historischen  Gesetze  dagegen,  die  man  auf  Grund  der 
Vergleichung  geschichtlicher  Thatsachenreihen  zu  gewinnen  versucht 
hat,  enthält  eine  bloss  zeitliche  Abhängigkeit.  Damit  soll  natür- 
lich nicht  gesagt  sein,  dass  in  diesem  Fall  den  Erscheinungen  selbst 
die  räumliche  Form  fehle:  gehören  doch  die  historischen  Thatsachen 
in  ihren  äusseren  Erscheinungsformen  ebenfalls  zu  den  Naturvor- 
gongen,  so  dass  sie  wie  diese  nie  bloss  zeitliche,  sondern  immer  nur 
räumlich-zeitliche  Erscheinungen  sein  können.  Aber  was  die  histo- 
rischen Thatsachenreihen  allerdings  auszeichnet  ist  dies,  dass  unter 
denjenigen,  die  zur  Aufstellung  empirischer  Gesetze  herausfordern, 
solche  eine  vorwiegende  Rolle  spielen,  bei  denen  nur  eine  Ver- 
änderung der  Goordinaten  der  Zeit,  nicht  des  Raumes  in  Betracht 
kommt,  sei  es  weil  die  letzteren  constant  bleiben,  sei  es  weü  ihre 
Veränderung  für  die  untersuchten  Erscheinungen  unwesentlich  ist. 
So  sind  die  Schicksale  eines  Volkes,  das  in  der  gegebenen  Zeit  die 
nämlichen  Wohnsitze  innehat,  historisch  betrachtet  rein  zeitliche 
Vorgänge;  und  selbst  bei  solchen  Begebenheiten,  bei  denen  ein 
Ortswechsel  stattfand,  der  aber  aus  irgend  welchen  Gründen  als 
unwesentlich  angesehen  wird,  geht  in  die  eine  regelmässige  Verän- 
derung zusammenfassende  Formel  nur  die  Zeit  als  unabhängig  ver- 
änderliche Grösse  ein.  So  begreift  es  sich  denn  auch,  dass  räumlich- 
zeitliche Gesetze  auf  historischem  Gebiet  vorzugsweise  dann  in  Frage 


388  Logik  der  Greschichtswifisenschaften. 

kommen,  wenn  die  Naturbedingungen  bei  den  geschichtlichen  Er- 
eignissen eine  wesentliche  Rolle  spielen,  während  die  rein  zeithchen 
Gesetze  immer  solche  sind,  die  auf  eine  geistige  Causalitat  hinweisen, 
bei  der  zwar  selbstverständlich  die  Naturbedingungen  auch  nicht 
fehlen,  wo  aber  von  diesen  doch  aus  zureichenden  Gründen  abstra- 
hiit  werden  kann  und  meist  auch  abstrahirt  werden  muss,  weil  sie 
einer  näheren  Ermittelung  unzugänglich  sind.  Dies  zeigen  die  fol- 
genden Beispiele  solcher  Gesetzesformulirungen ,  die  zunächst  ohne 
Rücksicht  darauf,  ob  sie  der  Kritik  Stand  halten  oder  nicht,  ausge- 
wählt worden  sind. 

Als  räumlich- zeitliche  Gesetze  treten  uns  vor  allem  ge- 
wisse allgemeine  Behauptungen  entgegen,  die  sich  theils  auf  die 
geographische  Ausbreitung  der  Gultur  im  Laufe  der  Zeit,  theils  auf 
das  Yerhältniss  «der  Gultur  zur  geographischen  Lage  beziehen.  Hier- 
bei ist  nun  freilich  der  Begri£P  der  „Cultur"  oder  ^^Civilisation*  ein 
nicht  klar  begrenzter,  und  von  einer  einigermassen  exacten  quanti- 
tativen Vergleichung  der  Civilisationsgrade  kann  daher  nicht  die 
Rede  sein.  Immerhin  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  den  Histo- 
rikern und  Philosophen,  die  solche  geographische  Civilisationsgesetze 
aufgestellt  haben,  eine  bestimmte  Summe  von  Merkmalen,  wie  der 
Zustand  der  Wirthschaft,  Technik  und  Industrie,  der  socialen  Glie- 
derung und  politischen  Entwicklung  sowie  der  durchschnittUchen 
geistigen  Bildung,  vorgeschwebt  habe,  mittelst  deren  sich  wenigstens 
grössere  Unterschiede  des  Culturgrades  sicher  unterscheiden  lassen. 
Die  auf  Grund  dieses  Begriffs  aufgestellten  geographischen  Cultur- 
gesetze  sind  nun  bald  von  beschränkterem  bald  von  allgemeinerem 
Inhalt:  dort  wird  eine  einzelne  Erscheinung,  die  als  äusseres  Sym- 
ptom der  Gultur  gelten  kann,  herausgegriffen  und  in  ihrem  räumlichen 
Wechsel  verfolgt;  hier  wird  die  Gultur  in  einen  Gesammtbegriff 
zusammengefasst  und  in  ihrer  Ausbreitung  über  die  Länder  betrachtet. 
Ein  empirisches  Gesetz  im  ersteren  Sinne  ist  es  daher,  wenn  man 
das  räumliche  Wachsthum  der  Städte  als  eine  Folge  wachsender  Gul- 
tur betrachtet,  oder  wenn  man  eine  mit  der  Zunahme  der  Gultur 
eintretende  Wanderung  menschlicher  Ansiedelungen  von  den  Bergen 
in  die  Ebene  und  vom  Binnenland  nach  den  Ufern  der  Flüsse  und 
Meere  aufstellt*).  Gesetzesformulirungen  allgemeineren  Inhaltes  aber 
sind   es,   wenn  behauptet  wird,  die  Gultur  der  Menschheit  schreite 


*)  Mougeolle,   Lee  Probltoes  des  THistoire.    1866,  S.  97.    Vgl.  auch 
Ratzel,  Antbropogeographie  II  (1891),  S.  464  ff. 


Historische  Gesetze.  389 

continuirlich  von  Osten  nach  Westen  fort,  oder  sie  bewege  sich  vom 
Aequator  nach  den  Polen  hin'*').  Man  sieht  ohne  weiteres,  dass 
alle  diese  geographischen  Culturgesetze,  mögen  sie  nun  richtig  sein 
oder  nicht,  jedenfalls  auf  irgend  welche  thatsächliche  oder  hypothe- 
tische Abhängigkeitsbeziehungen  von  der  Natur  hinweisen. 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  rein  zeitlichen  Abhängig- 
keiten. Auch  sie  besitzen  zum  grössten  Theil  den  Charakter  all- 
gemeiner Culturgesetze.  Aber  indem  sie  sich  lediglich  auf  die  Auf- 
einanderfolge bestimmter  Culturstufen  oder  einzelner  Culturerschei- 
nungen  beziehen,  ohne  Rücksicht  auf  deren  räumliches  Vorkommen, 
hat  bei  ihnen  die  Zeit  nur  die  Bedeutung  der  äusseren  Form,  in 
der  die  auf  den  inneren  Entwicklungsbedingungen  beruhende  Regel- 
mässigkeit der  Erscheinungen  zum  Ausdruck  kommt.  Die  Versuche 
solcher  Formulirungen  zeitlicher  Culturgesetze  scheiden  sich  wieder  in 
zwei  Grruppen.  Die  erste  umfasst  solche  Verallgemeinerungen,  die  das 
gesammte  geschichtliche  Dasein  der  Menschheit  zu  umfassen  suchen. 
Die  zweite  bezieht  sich  auf  regelmässige  Entwicklungsfolgen  von  be- 
schränkterer Bedeutung,  die  aus  dem  Gesammtverlauf  des  historischen 
Qeschehens  herausgegriffen  werden,  als  Gesetze  die  zwar  an  sich 
nur  für  ein  bestimmtes  Gebiet  von  Erscheinungen  gültig  seien,  an 
diesem  aber  zu  verschiedenen  Zeiten  in  derselben  Weise  wieder- 
kehren sollen.  Demnach  sind  die  Versuche  beider  Art  von  dem 
Streben  beherrscht,  nicht  bloss  die  historische  Vergangenheit  zu 
begreifen,  sondern  vermittelst  der  gefundenen  Gesetze  auch  die  Zu- 
kunft der  Geschichte,  sei  es  in  ihrem  allgemeinen  Umfang  sei  es 
wenigstens  für  gewisse  besondere  Entwicklungsfolgen,  vorauszusehen. 

Dieser  Wunsch,  eine  begriffliche  Zusammenfassung  nicht  nur 
der  wirklichen,  also  der  vergangenen  Geschichte,  sondern  auch  eine 
solche  der  möglichen  oder  zukünftigen  zu  sein,  beseelt  natürlich  vor- 
zugsweise jene  geschichtsphilosophischen  Bestrebungen,  die  den  ge- 
sammten  Verlauf  der  Geschichte  als  die  in  einer  gesetzmässigen 
Entwicklungsfolge   zur    Verwirklichung   gelangende  Herrschaft  be- 


*)  Die  Bewegung  von  Osten  nach  Westen  betonen  sowohl  Herder  (Ideen 
10.  and  11.  Buch),  wie  Hegel  (Yorles.  über  Philos.  der  Geschichte,  Einleitung 
S.  101  ff.).  Beide  behaupten  ausserdem,  wie  schon  vor  ihnen  Montesquieu 
(Esprit  des  Lois,  livre  XYUI),  dass  die  gemässigte  Zone  zum  Maximum  der 
Coltur  bestimmt  sei  Dem  gegenüber  stellt  P.  Mougeolle  (Probl^mes  de 
rHifltoire,  chap.  II)  ein  , Gesetz  der  geographischen  Breite*  auf,  nach  welchem 
sich  die  Civilisation  im  Verlauf  der  Geschichte  vom  Aequator  nach  den  Polen 
bewegt  haben  soll. 


390  Logik  der  GeschichtswissenschafteD. 

stimmter  Ideen  oder  ursprünglich  der  menschlichen  Natur  einge- 
pflanzter Zwecke  darzustellen  suchen.  Jede  solche  Zweckidee  schliesst 
von  vornherein  schon  die  Voraussetzung  einer  begrifflichen  Einheit 
aller  Geschichte,  der  wirklich  erlebten  sowohl  wie  der  zukünftig  zu 
erlebenden,  in  sich,  und  indem  sie  es  als  die  Aufgabe  der  wissen- 
schaftlichen Beschäftigung  mit  der  Geschichte  ansieht,  in  den  Besitz 
dieses  höchsten  Begriffs  zu  gelangen,  versucht  sie  es  naturgemäss 
auch,  irgendwie  ,,das  Ende  aller  Dinge"  zu  weissagen.  Aber  da 
solche  Weissagungen,  wenn  sie  eine  wirkliche  Construction  der  Zu- 
kunft unternehmen  wollten,  doch  nur  als  höchst  willkürliche  Phan- 
tasieschöpfungen möglich  sein  würden,  so  kommt  es  weiterhin  in 
diesen  Geschichtsphilosophien  leicht  zu  der  seltsamen  Vorstellung, 
dass  der  ganze  Verlauf  der  Geschichte  eigentlich  schon  abgeschlossen 
oder  doch  so  weit  vollendet  sei,  dass  man  alles  wesentliche  was 
noch  bevorstehe  voraussehen  könne.  Hierdurch  entsteht  eine  eigen- 
thümliche  Antinomie  zwischen  der  allgemeinen  Forderung,  den  6e- 
Schichtsverlauf  als  einen  unbegrenzten  zu  denken,  und  dem  aus  jener 
Zweckidee  oder  dem  ihr  conformen  Entwicklungsgesetz  entspringen- 
den Begriff  eines  vollendeten  oder  mindestens  in  absehbarer  Weise 
voUendbaren  Verlaufs  der  Geschichte,  —  eine  geschichtsphilosophische 
Antinomie  die  allen  Versuchen  einer  einheitlichen  Construction  der 
Geschichte  eigen  ist,  welches  auch  sonst  die  allgemeine  Weltan- 
schauung sein  mag  von  der  sie  beherrscht  sind.  Die  Schärfe  dieser 
Antinomie  ist  im  Läufe  der  Entwicklung  der  neueren  Geschickts- 
philosophie  nicht  geringer  sondern  eher  grösser  geworden,  weil  sie 
nothwendig  in  dem  Masse  zunehmen  musste,  als  man  jene  Einheits- 
begriffe, die  für  die  Geschichte  massgebend  sein  sollten,  bestimmter 
zu  definiren  suchte.  Betrachtet  man  Herder  und  Condorcet  als 
die  Väter  der  beiden  Hauptrichtungen,  nach  denen  sich  die  Philo- 
sophie der  Geschichte  im  Laufe  des  letzten  Jahrhunderts  getrennt 
hat,  so  sind  Herders  „Entwicklung  der  Humanität"  und  Con- 
dorcets*)  , Vervollkommnung  der  Künste  und  Wissenschaften  bei 
wachsender    socialer    Gleichheit    der  Menschen**    noch    unbestimmt 

• 

genug,  um  dem  Gedanken  Raum  zu  gönnen,  dass  kein  Punkt  des 
geschichtlichen  Verlaufs  als  der  absolut  letzte  anzusehen  sei.  Bei 
Hegel  dagegen  ist  mit  dem  Gedankenprincip  des  modernen  Staates, 
der  „Aufhebung  des  Gegensatzes  von  Freiheit  und  Nothwendigkeit', 
der  die  vorangegangenen  Zeitalter  beherrschen  soll,  das  Räthsel  der 


'')  Esquisse  d'un  iableau  historique  des  progr^s  de  Tesprit  humain.     179S. 


Hisioriflche  Gesetze.  391 

Geschichte  gelöst  und  eigentlich  auch  das  Ende  derselben  erreicht. 
Was  übrig  bleibt  ist  nur  die  weitere  Ausgestaltung  dieses  nun  end- 
gültig in  das  Bewusstsein  getr^enen  Zwecks.  Höchstens  bleibt  noch 
ein  unbestimmter  Ausblick  auf  neue  nicht  abzusehende  Entwicklungen, 
die  aber  eigentlich  im  Widerspruch  mit  der  ganzen  vorangegangenen 
Construction  stehen,  weil  für  sie  die  gefundene  geschichtsphilo- 
sophische  Formel  nicht  zureicht  "*").  Und  genau  so  wie  Hegels 
endgültige  Versöhnung  der  Nothwendigkeit  mit  der  Freiheit  verhält 
sich  Auguste  Comtes  „positives  Stadium'':  als  das  Ziel  aller  ge- 
schichtlichen Entwicklung  folgt  dieses  auf  die  vorangegangenen 
Stadien,  das  ^theologische **  und  das  „metaphysische*,  und  es  soll, 
wenn  nicht  ganz,  so  doch  nahezu  endgültig  erreicht,  vor  allem  aber 
in  der  positiven  Philosophie  vorbereitet  sein**). 

Alle  hier  besprochenen  Gesetze  des  zeitlichen  Wechsels  in  der 
Geschichte  sind  mit  Rücksicht  auf  den  Inhalt  des  historischen  Ge- 
schehens unbedingte  Fortschrittsgesetze.  Wenn  auch  selbst- 
Terstandlich  zugestanden  wird,  dass  einzelne  rückläufige  Bewegungen 
nicht  fehlen,  so  sollen  doch  diese  auf  den  geschichtlichen  Entwick- 
Inngsprocess  im  ganzen  keinen  Einfluss  ausüben.  Im  Gegensatze 
zu  diesen  durchgängig  auf  das  Allgemeine  der  geschichtlichen  Ent- 
wicklung gerichteten  Theorien  tragen  nun  diejenigen  Gesetze,  die 
sich  auf  einzelne  durch  irgend  welche  Merkmale  in  sich  abgeschlossene 


*)  Philosophie  der  Geschichte,  Werke  Bd.  9,  S.  433  ff.  Bezeichnend  ist 
auch  der  Schloss  der  Vorlesungen  über  Geschichte  der  Philosophie  (Werke 
Bd.  15,  S.  689). 

**)  Comte,  Cours  de  philos.  positive.  I,  Le^.  1.  IV.  Le9.  52 — 56.  Eine 
Parallele  zu  Hegel  bietet  E.  Chr.  Fr.  Krauses  Geschichtsphilosophie:  die 
Entwicklungsstadien  sind  vermOge  der  weiter  gesteckten  Humanitätsideale  dieses 
Philosophen  andere,  aber  das  Ende  der  Geschichte  ist  auch  bei  ihm  eigentlich 
schon  vorhanden  oder  doch  im  Begriff  verwirklicht  zu  werden.  (Abriss  der 
Philosophie  der  Geschichte,  herausgegeben  von  Hohlfeld  und  WQnsche,  S.  108  ff.) 
C 0 m t  e 8  Stadien  sind  schon  vonTurgot  in  einigen  geschichtsphilosophischen 
Umrissen  angedeutet.  (Discours  sur  Thistoire  universelle.  1750.)  Verwandt  mit  dem 
Comte*schen  Gesetz  der  drei  Stadien  ist  endlich  Quetelets  Periodisirung  der 
Geschichte,  die  eine  ähnliche  Dreitheüung,  einem  in  der  Geschichtsphilosophie 
atiwerordentlich  verbreiteten  Gedanken  folgend,  an  die  Analogie  mit  den  Lebens- 
altern des  Menschen  anknüpft.  (Sur  Thomme  et  le  developpement  de  ses 
facolt^,  II,  p.  273.  1835.)  Vor  Comte  hat  schon  St.  Simon  (1819—20) 
geschichtsphilosophische  Ideen  veröffentlicht,  in  denen  das  Gesetz  der  drei 
Stadien  enthalten  ist.  Aber  es  ist  möglich,  dass  Comte  an  den  Schriften 
St.  Simons  aus  dieser  Zeit  einen  wesentlichen  Antheil  hat.  Vgl.  über  diese 
Frage  H.  Waentig,  Auguste  Comte,  S.  51  ff. 


392  Logik  der  GeschichtswisseiiBchaften. 

Theile  dieser  Oesammtentwicklung  beziehen,  bald  das  Gepräge  vor 
Fortschritts-,  bald  das  von  Rückschrittsgesetzen,  und  nicht  seltsn 
verbinden  sich  beide  mit  einander  zu  der  Annahme  einer  cyklischen, 
immer  wieder  zu  den  nämlichen  Ausgangspunkten  zurücklaufenden 
Bewegung.  Wird  diese  Annahme  auf  das  Ganze  der  Geschichte 
übertragen,  so  führt  sie  dann  zu  der  Voraussetzung  eines  durch- 
schnittlichen Stillstandes,  bei  dem  alle  Veränderung  durch  ein  un- 
aufhörliches Oscilliren  zwischen  entgegengesetzten  Zustanden  hervor- 
gerufen werde.  Zunächst  pflegt  aber  ein  solches  Gesetz  auf-  und 
absteigender  Entwicklung  als  ein  für  einzelne  Völker  und  Staaten 
gültiges  angesehen  zu  werden.  Man  stützt  sich  dabei  theils  auf 
nahe  liegende  geschichtliche  Erfahrungen  theils  aber  eingestandener- 
massen  auch  auf  die  Analogie  mit  dem  Leben  des  einzelnen  Menschen; 
und  dieser  letzteren  Analogie  sind  durchgängig  die  Periodisirungen 
entlehnt,  die  auf  Grund  dieses  Gesetzes  eines  Auf-  und  Niedergangs 
angenommen  werden.  Bald  bestehen  auch  sie  in  einer  DreitheUung, 
indem  eine  Zeit  aufsteigenden  Lebens,  eine  solche  der  Reife  und 
eine  letzte  der  schwindenden  Kräfte  unterschieden  wird;  oder  man 
überträgt  ohne  weiteres  die  herkömmliche  Vierzahl  der  Lebensalter, 
Kindheit,  Jugend,  Mannes-  und  Greisenalter,  auf  die  Völker  und 
Staaten.  Wo  unter  diesem  Gesichtspunkt  das  Ganze  der  Geschichte 
betrachtet  wird,  da  ist  dann  freilich  der  durchgängig  die  Geschichts- 
philosophie beherrschende  Optimismus  geneigt  auch  das  Gb*ei8enalter 
noch  in  die  Höhe  der  Entwicklung  hineinzuziehen  **").  Eine  Aufein- 
anderfolge auf-  und  absteigender  Entwicklungsphasen  hat  man  in 
der  Regel  nur  für  einzelne  Factoren  des  geschichtlichen  Lebens  an- 
genommen. So  vor  allem  für  die  Entwicklung  des  Staates  und 
seiner  Verfassungsformen,  wo  schon  Aristoteles  darauf  hinweist, 


*)  So  vornehmlich  Hegel.  Bei  ihm  darchbricht  die  Analogie  mit  den 
vier  Lebensaltem  sogar  die  allgemeine  dialektische  Dreitheilung  der  Geschichts- 
entwicklung (Philosophie  der  Geschichte,  S.  103  flF.)-  ^^ch  Krause  unter- 
scheidet vier  Hauptlebensalter,  und  er  vergleicht  die  auf-  und  absteigende  Ent- 
wicklung mit  einer  Schleifenlinie  (Lebenslehre,  1843,  S.  126).  Aber  bei  Hegel 
werden  Jünglings-  und  Mannesalter  der  Menschheit,  jenes  die  griechische,  dieses 
die  rOmische  Welt,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  Entwicklung  des  Staats- 
gedankens, wieder  zu  einer  Einheit  zusammengefasst.  Bei  Krause  steht  das 
vierte  Zeitalter,  das  der  Abnahme,  eigentlich  ausserhalb  der  Gesduchtsphilo- 
sophie,  weil  er  der  Meinung  ist,  dass  die  Menschheit  eben  erst  in  ihr  Mannes- 
alter eingetreten  sei.  So  ergibt  sich,  wie  oben  bemerkt,  bei  beiden  schliesslich 
eine  Dreitheilung,  aber  aus  verschiedenen,  für  den  Charakter  ihres  Philosophirens 
bezeichnenden  Gründen. 


Historische  Gesetze.  393 

dass  die  Bildung  des  Staates  mit  der  Monarchie  beginne,  und  sich 
dann  die  Oberherrschaft  auf  immer  weitere  Ejreise  ausdehne,  wobei 
aber  zugleich  diese  Entwicklung  dadurch  unterbrochen  werden  könne, 
daas  ein  Einzelner  widerrechtlich  die  Macht  an  sich  reisse.  Monarchie 
Aristokratie  und  Politie  erscheinen  daher  bei  ihm  als  eine  natur- 
gemässe  Entwicklungsfolge  der  Staatsformen,  von  denen  freilich  jede 
in  Gefahr  sei  in  eine  naturwidrige  Form  auszuarten:  so  die  Mon- 
archie in  die  Tyrannis,  die  Aristokratie  in  die  Oligarchie,  die  Politie 
in  die  Demokratie*).  Bestimmter  als  Aristoteles  hat  dann  Po- 
lybios  zu  erweisen  gesucht,  dass  die  logisch-systematische  Ord- 
nung der  Verfassungsformen  zugleich  ihrer  geschichtlichen  Auf- 
einanderfolge entspreche;  und  er  hat  damit  die  weitere  Behauptung 
Terbunden,  dass  diese  Entwicklung  eine  in  sich  zurücklaufende 
sei,  da,  nachdem  die  Reihenfolge  Monarchie,  Ajristokratie,  Demo- 
kratie beendet,  die  letztere  regelmässig  wieder  der  Monarchie  Platz 
mache  und  damit  eine  neue  Entwicklung  beginne**).  In  dieser  Form 
hat  sich  das  Gesetz  der  drei  Staatsformen  bis  heute,  wenn  auch  mit 
einigen  Abänderungen,  erhalten  ***).  Dabei  ist  freilich  zu  bemerken, 
dass  Anfang  und  Ende  dieses  Kreislaufs,  das  patriarchalische  ür- 
königthum  und  der  aus  dem  Verfall  der  Demokratie  hervorgegangene 
Cäsarismus  wenig  mehr  als  das  Merkmal  der  Einzelherrschaft  mit 
einander  gemein  haben,  so  dass  jedenfalls  von  einem  auf  diese  Weise 
ins  unbegrenzte  fortdauernden  Kreislauf  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Das  hat  auch  schon  Polybios  bemerkt.  Um  die  Idee  der  unbe- 
grenzten periodischen  Entwicklung  zu  retten,  macht  er  daher  die 
HOlfsannahme,  dass  von  Zeit  zu  Zeit  durch  Ueberschwemmungen, 
Krankheiten  und  andere   ähnliche   Katastrophen   ein   grosser  Theil 

*)  Aristoteles,  Politik,  III,  9 — 12.  Allerdings  wird  von  Aristoteles 
nar  das  KOnigthnm  ausdrücklich  als  die  Urform  des  Staates  bezeichnet;  die 
weitere  Aufeinanderfolge  ergibt  sich  aber  indirect  aus  seinen  systematischen 
Erörterungen.  Auch  geht  aus  diesen  hervor,  dass  er  die  drei  Stadien  Monarchie, 
Aristokratie,  Politie  nur  als  eine  ideale  Entwicklui^gsfolge  betrachtet,  die  durch 
die  in  der  Wirklichkeit  niemals  fehlenden  Ausartungen  mannigfache  Ab- 
weichungen darbieten  könne. 

**)  Polybios,  Geschichten,  VI.  9.  Dabei  finden  sich  übrigens  nach 
Polybios  zwischen  den  drei  obigen  Hauptformen  die  ihnen  entsprechenden 
Ausartungen  als  üebergänge,  so  dass  der  E[reislauf  eigentlich  sechs  Stufen  um- 
fassi:  die  Monarchie  geht  durch  die  Tyrannis  in  Aristokratie,  diese  durch  die 
Oligarchie  in  Demokratie,  und  die  letztere  endlich  durch  die  Ochlokratie  in 
eine  neue  Monarchie  über.  In  dieser  Gestaltung  hat  auch  das  Zeitalter  der 
Rezuüssanoe  das  Gesetz  vom  , Kreislauf  der  Verfassungen"  wieder  aufgenommen. 

***)  Vgl.  z.  B.  Röscher,  Politik,  S.  12  f. 


394  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

der  Menschen  hinweggeraffb  werde,  worauf  dann  unter  den  wenigen 
üeberlebenden  die  nämliche  Entwicklungsfolge  von  neuem  anfange*). 
Verwandt  mit  diesen  aus  dem  AJterthum  überkommenen  politischen 
Entwicklungsgesetzen  sind  die  Periodisirungen  der  neueren  Wirth- 
schaftsgeschichte :  so  die  die  Yerkehrsobjecte  zum  Eintheilungsgnind 
nehmende  Gliederung  in  Natural-,  Geld-  und  Creditwirthschaft**}, 
oder  die  nach  den  Verkehrsgebieten  aufgestellte  Stufenfolge  der  ge- 
schlossenen Haus-,  der  Stadt-  und  der  Volkswirthschaft***). 

Ceberblicken  wir  alle  diese  Versuche,  empirische  Gesetze  der 
räumlichen  Ausbreitung  oder  des  zeitlichen  Verlaufs  geschichtlicher 
Entwicklungen  zu  gewinnen,  so  entsprechen  offenbar  die  meisten 
derselben  nur  wenig  den  an  solche  Verallgemeinerungen  zu  stellen- 
den methodischen  Anforderungen.  Den  räumlich-zeitlichen  Gesetzen 
über  die  geschichtliche  Ausbreitung  der  Cultur  fehlt  vor  allem  das 
erste  Erforderniss  eines  Gesetzes:  die  Geltung  für  eine  Vielheit  von 
einander  unabhängiger  Erscheinungen.  Wäre  es  wirklich  zutreffend, 
dass  sich  in  der  für  die  Geschichte  erreichbaren  Zeit  die  allmähliche 
Wanderung  der  Cultur  von  Osten  nach  Westen  oder  von  Süden 
nach  Norden  nachweisen  liesse,  so  würde  das  immer  nur  eine 
einzige  grosse  Wanderung  sein,  also  eigentlich  nur  eine  einzige 
Thatsache,  nicht  eine  Vielheit  von  einander  unabhängiger  Er- 
scheinungen, die  einem  übereinstimmenden  Gesetze  gehorchen. 
Wollte  man  aber  auch  hiervon  absehend  etwa  die  einzelnen  Theil- 
erscheinungen ,  aus  denen  sich  jene  Wanderung  zusammensetzt^ 
als  die  übereinstimmenden  Thatsachen  gelten  lassen,  so  würde 
selbst  dann  die  an  ein  Gesetz  zu  stellende  Forderung  der  Regel- 
mässigkeit nicht  erfüllt  sein,  weil  es  zahlreiche  Erscheinungen  gibt, 
die  jener  Regel  nicht  entsprechen.  So  ist  die  östlichste  Cultur, 
die  chinesische,  schwerlich  die  älteste;  und  historisch  betrachtet 
bildet  sie  jedenfalls  nicht  den  Ausgangspunkt  einer  durch  directe 
Uebertragung  fortgepäanzten  Culturbewegung.  Der  Gang  der  Cultur 
von  Süden  nach  Norden  *findet,  abgesehen  davon  dass  er  sich  nur 
für  die  nördliche  Halbkugel  der  Erde  allenfalls  annehmen  lässt, 
jedenfalls   an   den   extremen   geographischen  Breiten  seine  Grenzen: 


*)  Polybios,  VI,  5. 

**)  Nach  demEinfluss  dieser  drei  WirthschaftsformeD  versucht  Lamp recht 
(Festschrift  der  Versammlung  deutscher  Historiker,  1894,  S.  165,  Deutsche  Ge- 
schichte, V,  I,  S.  1  ff.)  eine  Periodisirung  der  deutschen  Geschichte  Überhaupt 
durchzuführen. 

**♦)  K.  Bücher,  Die  Entstehung  der  Volkswirthschaft,  1893,  S.  15  ff. 


HiBtorische  Gesetze.  395 

Yon  der  äquatorialen  und  der  polaren  Zone  muss  dabei  abstrahirt 
werden.  Selbst  in  dem  beschränkten  Umfang,  in  welchem  diese 
Thatsachenreihen  eine  gewisse  historische  Geltung  besitzen,  weisen 
sie  übrigens  auf  causale  Bedingungen  zurück,  denen  gegenüber  die 
räumlichen  Beziehungen  eine  melir  indirecte  und  zufällige  Bolle 
spielen.  Bringt  man  z.  B.,  wie  dies  früher  die  allgemeine  Annahme 
war,  die  Ausbreitung  der  Gultur  mit  den  ursprünglichen  Wanderungen 
der  indogermanischen  Völker  in  Beziehung'*'),  so  würden  als  deren 
eigentliche  Ursachen  die  Motive  zu  gelten  haben,  die  diese  Wände- 
rangen  veranlassten.  Nimmt  man  dagegen  an,  dass  die  indoeuro- 
päischen Völker,  die  die  Hauptträger  der  heutigen  Gultur  sind, 
ursprünglich  nördliche  Länder  bewohnt  haben ''^),  so  wird  man 
zunächst  an  allmählich  wachsende  Handelsbeziehungen  zu  denken 
haben.  Dass  diese  femer  die  Bildung  der  Städte  in  erster  Linie 
bestimmt  haben  und  so,  in  Wechselwirkung  mit  einem  auf  früheren 
Culturstufen  häufig  dominirenden  Schutzbedürfniss  stehend,  dem  oben 
erwähnten  Gesetz  der  Ausbreitung  menschlicher  Ansiedelung  zu 
Grunde  liegen,  ist,  so  weit  dieses  Gesetz  überhaupt  Geltung  bean- 
spruchen kann,  ohne  Zweifel  wahrscheinlich.  Die  Motive  zur  Ent- 
stehung eines  Handelsverkehrs  sind  aber,  ähnlich  wie  die  zum  Ver- 
lassen bisheriger  und  zum  Aufsuchen  neuer  Wohnplätze,  augen- 
scheinlich wieder  psychologischer  Art.  Alle  empirischen  Gesetze, 
die  historische  Vorgänge  als  Functionen  räumlich-zeitlicher  Ver- 
änderungen darzustellen  suchen,  führen  also,  sobald  man  sie  in 
causale  Gesetze  umzuwandeln  sucht,  unvermeidlich  auf  psychische 
Causalbeziehungen  und  demnach  in  letzter  Instanz  auf  psychologische 
Gesetze  zurück.  Aus  der  ungeheuren  Complication  der  psychischen 
Motive  und  aus  den  mannigfachen  Einwirkungen,  welche  die 
wechselnden  physischen  Naturbedingungen  auf  sie  ausüben,  wird  es 
dann  zugleich  begreiflich,  dass  solche  Gesetze  nicht  den  Charakter 
unveränderlicher  Naturgesetze  haben,  sondern  immer  nur  Regeln 
mit  vielen  Ausnahmen  sein  können.  Diese  Vielgestaltigkeit  der 
äusseren  Erscheinungsform,  die  in  einzelnen  Fällen  zur  scheinbaren 
Unregelmässigkeit  wird,  hat  aber  ihren  Grund  nicht  in  den  einzelnen 
psychologischen  Gesetzen  selbst,  die  einzeln  betrachtet  ebenso  regel- 
mässig sind  wie  die  Naturgesetze,  sondern  nur  in  der  Mannigfaltig- 
keit ihres  Zusammenwirkens  und  in  der  allen  geistigen  Entwicklungen 


*)  Pictet,  Origines  indo-europeennes,  I,  2.  edit.  1877. 
**)  0.  Sehr  ad  er,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte,  1883,  S.  117  ff. 


396  Logik  der  Gesclücfatswisseiischaften. 

zukommenden  Veränderung  der  Bedingungen  ihrer  Wirkung.  Hier- 
durch geschieht  es  erst,  dass  jedes  einzelne  geschichtliche  Ereigniss 
streng  genommen  immer  ein  singulärer  Fall  ist,  der  sich  in  der 
Form,  in  der  er  in  die  Erscheinung  tritt,  nicht  ein  zweites  Mal 
vollkommen  wiederholt.  Darum  sind  zwar  analoge,  es  sind  aber 
niemals  gleiche  oder  auch  nur  annähernd  gleiche  geschichtlicbe 
Entwicklungen  möglich. 

unmittelbarer  noch  als  die  räumlich-zeitlichen  weisen  die  rein 
zeitlichen  Gesetze  der  Geschichte  auf  eine  geistige  Gesetzmässig- 
keit hin,  die,  wie  jeder  Zusammenhang  von  Ursachen  und  Wirkungen, 
in  der  Form  der  regelmässigen  Aufeinanderfolge  in  die  Erscheinung 
tritt.  In  der  That  ist  dieser  Charakter  der  geistigen  Gesetzmässig- 
keit durchweg  schon  in  dem  unmittelbaren  Inhalt  dieser  Gesetze 
deutlich  ausgeprägt.  Denn  sie  sind  stets  Entwicklungsgesetze, 
die  sich  entweder  auf  den  ganzen  Umfang  des  geistigen  Lebens 
oder  auf  einen  einzelnen  Bestandtheil  dieses  Lebens  und  seiner  unter 
dem  Gesammtbegriff  der  Cultur  zusammengefassten  geistigen  Er- 
rungenschaften sammt  den  ihrer  Erhaltung  oder  Förderung  dienenden 
materiellen  Hülfsmitteln  beziehen.  Je  mehr  aber  diesen  Gesetzen 
die  logische  Verbindung  der  in  der  zeitlichen  Form  geordneten 
Entwicklungsstufen  an  die  Stirn  geschrieben  steht,  um  so  mehr 
erhebt  sich  ihnen  gegenüber  von  vornherein  der  Zweifel,  ob  sie 
wirklich  aus  der  Erfahrung  abstrahirt  und  nicht  vielmehr  auf  Grund 
irgend  welcher  intellectueller  oder  ethischer  Voraussetzungen  logisch 
construirt  worden  seien.  Es  ist  namentlich  eine  formale  Eigenschaft 
dieser  Gesetze,  die  einen  solchen  Verdacht  rechtfertigt:  sie  besteht 
in  der  überall  bevorzugten  Dreiheit  der  Entwicklungsstadien. 
Dass  diese  Dreiheit  mit  fast  ermüdender  Eintönigkeit  wiederkehrt, 
ob  es  sich  nun  um  allgemeine  und  in  sich  abgeschlossene  Ent- 
wicklungsreihen handelt,  wie  bei  den  grossen  Periodisirungen  Hegels, 
Krauses  undComtes,  oder  um  cyklisch  sich  wiederholende,  bloss 
einzelne  Factoren  der  Cultur  umfassende  Erscheinungen,  wie  Ver- 
fassungs-,  Wirthschafts-  und  andere  Culturformen,  —  dies  ist  eine 
Eigenschaft,  die  man  doch  mehr  auf  die  logischen  Neigungen  des 
reflectirenden  Philosophen  oder  Historikers  als  auf  eine  den  That- 
sachen  selbst  immanente  Tendenz  zur  Dreitheilung  zurückführen 
muss.  In  der  That  ist  ja  bei  Hegel  die  Periodisirung  der  Ge- 
schichte eingestandenermassen  nichts  anderes  als  eine  specielle  An- 
wendung des  durch  Thesis,  Antithesis  und  Synthesis  fortschreitenden 
dialektischen  Verfahrens:  die  reale  Entwicklung  der  Vernunft  in  der 


Historische  Gesetze.  397 

Geschichte   spiegelt  sich   ihm   in  der   subjectiven  logischen  Selbst- 
bewegung der  Begriffe.    In  concreterer  Gestalt  kehrt  aber  die  näm- 
liche Anschauung   wieder,   wenn   die  historischen  Perioden  mit  den 
Lebensaltem  des  individuellen  Menschen  in  Parallele  gebracht  werden, 
wie   dies   selbst  bei   Comte    noch   geschieht.     Diese  Analogie  hat 
ihre  einzige  empirische  Grundlage  darin,  dass  die  geistigen  Eigen- 
schaften uncultivirter  Völker  denen  des  Kindes  in  gewissem  Grade 
ähnlich  sein  sollen.    Selbstverständlich  muss  nun  dies  bei  allen  den 
Eigenschaften   zutreffen,   die  unmittelbar  aus  dem  Mangel  geistiger 
Ausbildung   entspringen.     Aber  deshalb    ist    doch    das    barbarische 
Volk  so  weit  entfernt  ein  kindliches  Volk  zu   sein,   dass  es  uns  im 
allgemeinen  ganz  an  Merkmalen  gebricht,  an  denen  sich  jene  Bar- 
barei, die  das  Product  einer  zerfallenen  Gultur  ist,  von  derjenigen, 
die  aus  einer  noch  nicht  entwickelten  entspringt,  unzweideutig  unter- 
scheiden Hesse.     Bei  den  geschichtslosen  Völkern,  bei  denen  es  an 
den  zu  dieser  Unterscheidung  erforderlichen  historischen  Zeugnissen 
mangelt,    muss  daher  die  Frage,   ob   ein   gegebener  Zustand  einer 
auf-   oder   einer    absteigenden  Entwicklung    angehört,    eine   offene 
bleiben*).     Ihren    allgemeinen    Grund    haben    natürlich   diese   drei- 
gliedrigen Periodisirungen  der  Geschichte  und  die  auf  sie  gegründeten 
so  genannten  historischen  Gesetze  sämmtlich  in  den  logischen  Vor- 
zügen,  welche   die  Dreitheilung  eines  Begriffs  in  ihrer  Anwendung 
auf  reale  Objecte  vor  andern  möglichen  Eintheilungen  besitzt.   Diese 
Vorzüge  kommen  namentlich  dann   zur  Geltung,   wenn  die  Objecte 
stetige  üebergänge  darbieten,   wie  solches  bei  allen  Eutwicklungs- 
vorgangen,  namentlich  auch  bei  denen  der  Geschichte  der  Fall  ist. 
Ein  Volk   durchläuft  so  gut  wie   ein   einzelner  Mensch   nicht  drei 
oder  vier  sondern  unendlich  viele  Entwicklungsstufen.     Indem  man 
aber  zunächst  die  Endglieder  dieser  Reihe  als  einen  conträren  Gegen- 
satz auffasst  und  die  zwischen  ihnen  liegenden  Cebergänge  zu  einem 
Gesammtbegriff  vereinigt,  entsteht  eine  Dreitheilung,  die  das  logische 
Bedürfniss  nach  Unterscheidung  wenigstens  oberflächlich  befriedigt**). 
Da  die  Völker  und   ihre  Culturen  so  gut  wie   die  Einzelnen  ent- 
stehen  und  untergehen,    so   lässt   sich   diese  Unterscheidung  einer 
anf-  und  absteigenden  Periode  und  einer  dazwischenliegenden  Höhen- 


*)  Ratzel  (Anthropogeographie,  II,  S.  614)  ist  sogar  der  Ansicht,  bei 
der  Benriheiluiig  der  Galtur  der  Natarvölker  verdiene  im  Zweifelsfalle  stets  die 
»devolationäre''  Anffassung  vor  der  evolutionären  za  probeweiser  Anwendung 
den  Vorzug. 

♦♦)  Vgl.  Bd.  II,  1,  S.  64. 


400  Logik  der  GescfaichtswiBsenschafteD. 

gelten  zu  lassen.  Dennoch  sind  es  auch  hier  in  erster  Linie  logische 
Erwägungen,  aus  denen  die  Aufstellung  bestimmter  Entwicklungs- 
gesetze hervorgegangen  ist.  So  griff  Aristoteles  ftlr  die  Cha- 
rakteristik der  Yerfassungsformen  zunächst  das  äusserlichste  Merkmal 
heraus:  die  Zahl  der  Regierenden.  Ob  Einer,  ob  Mehrere,  ob 
Alle  herrschen  —  dies  ist  eine  Stufenfolge,  die  den  drei  quantitativen 
Kategorien  der  logischen  Subsumtion  vollkommen  entspricht  um 
den  übrig  bleibenden  qualitativen  unterschieden  der  Verfassungen 
einigermassen  gerecht  zu  werden,  verknüpfte  er  dann  jenen  Ein- 
theilungsgrund  der  Zahl  mit  dem  Gegensatz  des  .Vollkommenen*  und 
«Unvollkommenen*.  Der  reinen  Durchführung  des  so  sich  ergeben- 
den doppelten  Eintheilungsprincips  trat  jedoch  bei  ihm  selbst  noch 
der  ethische  Gedanke  der  , richtigen  Mitte*  entgegen,  der  ihn  in 
der  ^Politeia*  eine  an  den  Vorzügen  aller  andern  theilnehmende 
Staatsform  finden  Hess.  Erst  Polybios  hat  die  Zweitheilungen 
Monarchie  und  Tyrannis,  Aristokratie  und  Oligarchie,  Demokratie 
und  Ochlokratie  strenge  festgehalten,  indem  er  zugleich  die  , un- 
vollkommenen* Formen  als  üebergangsstufen  aus  je  einer  der  drei 
Hauptformen  in  die  andere  auffasste,  so  dass  jene  nun  zugleich 
dazu  dienten,  das  Gesetz  der  drei  Stadien  psychologisch  zu  motiviren. 
Denn  jede  der  unvollkommenen  Formen  ist  durch  die  Unzufrieden- 
heit die  sie  erregt  Ursache  des  Uebergangs  zu  einer  neuen  Form 
und  schliesslich  des  Rückgangs  zum  Anfang  der  Reihe.  Aehnlichen 
logischen  Gesichtspunkten  sind  die  oben  erwähnten  nationalökono- 
mischen Entwicklungsgesetze  entsprungen.  Natural-,  Geld-  und 
Greditverkehr  oder  Haus-,  Stadt-  und  Volkswirthschafk  sind  ja  eben- 
falls insofern  künstliche  Eintheilungen ,  als  bei  ihnen  ein  Ein- 
theilungsgrund  willkürlich  herausgegriffen  wird,  neben  dem  natürlich 
noch  andere  nicht  minder  wichtige  Merkmale  existiren,  die  zum 
Theil  mit  dem  bevorzugten  in  Wechselbeziehung  stehen,  zum  Theil 
aber  auch  unabhängig  veränderliche  Werthe  sein  können.  So  bilden 
z.  B.  das  freie  Nomadenthum  der  Urzeit,  das  mit  der  Bildung  fester 
Siedelungen  sich  einstellende  Lehenswesen,  die  absolute  Fürsten- 
gewalt und  die  Beschränkung  derselben  durch  ständische  Vertretungen, 
endlich  die  Ausbildung  einer  Beamtenregierung  politische  Ent- 
wicklungsstufen, die  mit  jenen  Verkehrs-  und  Wirthschaftsstufen  in 
der  engsten  Beziehung  stehen.  Aber  dabei  sind  offenbar  ebensowohl 
die  wirthschaftlichen  wie  die  politischen  Zustände  immer  auch  noch 
besonderen  Bedingungen  unterworfen,  so  dass  eindeutige  Beziehungen 
zwischen    ihnen    durchaus    nicht    existiren.      Die    Entwicklung   des 


Historische  Qesetze.  401 

Lehenswesens  z.  B.  wird  zweifellos  in  hohem  Qrade  begünstigt  durch 
den  Zustand  der  Natural wirthschaft ;  aber  sie  ist  doch  nicht  derart 
an  den  letzteren  gebunden,  dass  nicht  Einrichtungen,  die  aus  ihr 
hervorgegangen,  noch  weit  in  eine  Zeit  wachsenden  Geldverkehrs 
hineinreichen  könnten.  Namentlich  aber  bilden  jene  Wirthschafts- 
stufen  weniger  noch  als  die  nach  gewissen  willkürlichen,  wenn  auch 
nahe  liegenden  Merkmalen  unterschiedenen  Yerfassungsformen  in 
sich  abgeschlossene  Begriffe.  Denn  Verfassungsänderungen  yoII- 
ziehen  sich,  wenn  auch  lange  vorbereitet,  doch  zumeist  in  plötzlichen 
geschichtlichen  Umwälzungen.  Wirthschaftliche  Zustände  aber  sind 
einem  langsamen  und  stetigen  Wandel  unterworfen.  Darum  können 
Natural-  und  Geld-,  Geld-  und  Greditwirthschaft  nicht  nur  neben 
einander  herrschen,  sondern  es  ist  sogar  zweifelhaft,  ob  jemals  eine 
dieser  Formen  für  sich  allein  bestanden  hat.  Irgend  eine  Art  von 
Geld  oder  Geldäquivalenten  (Muscheln,  Salz  u.  dergl.)  kennt  schon 
die  primitive  Cultur;  ein  Zeitalter  des  reinen  Gredits  ist  aber  bis 
jetzt  ein  wirthschaftliches  Zukunftsideal,  keine  geschichtliche  Wirk- 
lichkeit. Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  den  Perioden  der  Haus-, 
der  Stadt-  und  der  Yolkswirthschaft.  Nur  kommt  hier  neben  der 
Existenz  der  üebergangsformen  noch  die  weitere  Thatsache  in  Be- 
tracht, dass  Haus,  Stadt  und  Volk  selbst  schon  Begriffe  sind,  die 
einigermassen  willkürlich  aus  der  Stufenfolge  gesellschaftlicher  Glie- 
derungen herausgegriffen  wurden;  daher  sie  auch  eigentlich  nur  als 
typische  Beispiele  für  gewisse  qualitativ  verschiedene  Wirthschafts- 
stufen  gelten,  zwischen  denen  thatsächlich  alle  möglichen  üeber- 
gange  vorkommen"^). 

Nun  soll  natürlich  mit  dem  Hinweis  auf  die  logische  Willkür, 
die  bei  allen  diesen  Versuchen  einer  Formulirung  historischer  Ge- 
setze obwaltet,  das  Recht  derselben  nicht  im  mindesten  bestritten 
werden.  Wohl  aber  ist  es  klar,  dass  diese  logische  Willkür,  wie 
sie  besonders  in  der  Bevorzugung  einer  einfachen,  nach  Begriffen 
geordneten  Stufenreihe  sich  ausspricht,  jedesmal  zu  einer  kritischen 
Prüfung  der  Frage  herausfordert,  inwieweit  ein  solches  Schema  dem 
berechtigten  Bedürfhiss  nach  logischer  Ordnung  der  Erfahrungs- 
thatsachen  entspricht  oder  nicht.  Ersteres  wird  überall  da  der  Fall 
sein,  wo  die  Eintheilungsgründe  wirklich  den  dem  Gesetz  subsumirten 
Erfahrungen  entnommen  und  nicht  bloss  von  aussen,  sei  es  ver- 
mittelst willkürlicher  Analogiebildungen   nach  andern  Erfahrungen, 


*)  Bücher,  a.  a.  0.  S.  43,  76. 
Wandt,  Logik.  11,  8.    2.  Aufl.  26 


402  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

sei  es  yermöge  irgend  welcher  ethischer  oder  intellectueller  Forde- 
rungen, auf  sie  übertragen  worden  sind.  Wenden  wir  dieses  Kri- 
terium an,  so  halten  offenbar  jene  Gesetze  am  wenigsten  der  kriti- 
schen Prüfung  stand,  die  sich  anheischig  machen,  irgend  ein  Schema 
begrifflicher  Gliederung  auf  das  Ganze  der  Geschichte  anzuwenden. 
Diese  Versuche  sind  ja  schon  deshalb  verfehlt,  weil  dieses  Ganze 
zu  einem  wesentlichen  Theile  in  die  Zukunft  hineinreicht,  der  wir 
zwar  Wünsche  und  Forderungen  entgegenbringen,  von  der  wir  aber 
schlechterdings  nichts  wissen  können.  So  beruhen  denn  auch  alle 
hierher  gehörigen  sogenannten  Gesetze  zunächst  darauf,  dass  be- 
stimmte Ideen,  deren  Gültigkeit  man  a  priori  annimmt,  auf  die 
Geschichte  angewandt  werden.  Solcher  Ideen  gibt  es  namentlich 
zwei,  die,  je  nachdem  man  die  eine  oder  die  andere  zu  Grunde 
legt,  zu  Gesetzen  von  entgegengesetztem  Inhalt  führen  —  ein  Wider- 
spruch dem  man  dadurch  zu  entgehen  sucht,  dass  man  im  einen 
Fall  bloss  einzelne  Völker  oder  Staaten,  im  andern  aber  die  ganze 
Menschheit  zum  Substrat  des  Gesetzes  macht.  Die  erste  dieser  Ideen 
besteht  nämlich  in  der  Annahme,  dass  jede  irgendwie  endlich  be- 
grenzte sociale  Geraeinschaft  und  jede  dieser  eigene  Culturform 
eine  dem  Verlauf  des  Einzellebens  analoge  Entwicklung  durchlaufe. 
Die  zweite  besteht  in  der  Voraussetzung,  dass  die  Menschheit  im 
ganzen  trotz  einzelner  Störungen  und  Unterbrechungen  immer  voll- 
kommeneren Stufen  materieller  und  geistiger  Cultur  entgegengehe, 
und  dass  daher  das  Ziel,  das  man  nach  dem  bisherigen  Verlauf  der 
Geschichte  als  das  Ideal  betrachtet,  dem  die  Menschheit  zustrebe, 
das  dereinst  wirklich  zu  erreichende  Endstadium  geschichtlicher 
Entwicklung  sei,  so  dass  sich  auch  die  vorangehende  Entwicklung 
nach  ihrem  Verhältniss  zu  diesem  letzten  Ziel  der  Geschichte  in 
bestimmte  Perioden  zerlegen  lasse.  Nun  hat  die  Analogie  der  all- 
gemeinen und  der  individuellen  Entwicklung  nur  insoweit  eine  Be- 
rechtigung, als  der  Begriff  der  Entwicklung  überall  eine  Aufein- 
anderfolge auf-  und  absteigender  Vorgänge  in  sich  schliesst.  Da- 
gegen ist  es  durchaus  zweifelhaft,  ob  damit  auch  die  für  den 
individuellen  physischen  und  geistigen  Organismus  gültige  Regel, 
dass  mit  einem  einzigen  derartigen  Lebenscyklus  eine  ganze  Ent- 
wicklung abgeschlossen  sei,  auf  die  höheren  geistigen  Organismen, 
die  Völker  und  ihre  Culturen,  übertragen  werden  könne;  und  nicht 
minder  ist  es  zweifelhaft,  ob  die  verschiedenen  Factoren,  aus  denen 
sich  die  Gesammtcultur  eines  Volkes  zusammensetzt,  wirthschaftliche 
Blüthe,  sittliche  Tüchtigkeit,  politisches  Leben,  Kunst  und  Wissen- 


Historische  Gresetze.  403 

Schaft,  nicht  Entwicklungen  durchlaufen,  deren  Höhepunkte  keines- 
wegs durchgängig  zusammenfallen  *).  Demnach  bleibt  nur  die  ziem- 
lich inhaltsleere  Verallgemeinerung  als  eine  allerdings  überall  durch 
die  Erfahnmg  bestätigte  übrig,  dass  im  geschichtlichen  Leben  auf- 
und  absteigende  Entwicklungen  einander  folgen.  Aber  das  was 
dieser  Verallgemeinerung  allein  den  Charakter  eines  Gesetzes  geben 
konnte,  die  der  individuellen  Entwicklung  eigenthümliche  Regel- 
mässigkeit dieser  Aufeinanderfolge  und  ihrer  einzelnen  Stufen,  fehlt 
hier  vollständig. 

Nicht  anders  steht  es  mit  den  auf  Grund  irgend  eines  voraus- 
gesetzten Zukunftsidealü  angenommenen  Fortschrittsgesetzen. 
Sie  finden  sich  genau  in  dem  Umfang  in  der  geschichtlichen  Er- 
fahrung bestätigt;  als  diese  auf  die  Unterordnung  des  historischen 
Geschehens  unter  den  Begriff  der  Entwicklung  hindrängt.  Auch 
kann  man  sich  zum  Besten  dieser  Gesetze  mit  einem  gewissen  Rechte 
darauf  berufen,  dass  die  auf  Grund  der  individuellen  Analogie  an- 
genommenen rückläufigen  Bewegungen  im  allgemeinen  nie  endgültige 
sind,  weil  die  geistigen  Culturgüter,  die  ein  Zeitalter  erworben  hat, 
noch  in  unabsehbarer  Zukunft  zu  fruchtbaren  Keimen  neuer  Ent- 
wicklungen werden  können.  So  lange  daher  überhaupt  eine  Conti- 
Quität  des  geistigen  Lebens  möglich  ist,  findet  an  dieser  auch  der 
Oedanke  des  Fortschritts  seinen  Rückhalt.  Das  Gesetz  des  Fort- 
schritts ist  unter  dieser  Voraussetzung  nichts  anderes  als  die  An- 
wendung des  psychologischen  Princips  des  Wachsthums  geistiger 
Energie  auf  das  Gebiet  der  Geschichte.  Die  verschiedenen  Formu- 
lirungen  aber,  die  dem  Gesetz  des  Fortschritts  gegeben  worden  sind, 
lassen  sich  als  die  Producte  verschiedener  Abstractionen  betrachten, 
die  zwar  sämmtlich  nach  Anleitung  jenes  Princips,  im  übrigen  je- 
doch so  vollzogen  wurden,  dass  jedesmal  andere  Factoren  der  Ent- 


*)  In  seinen  Berchtesgadener  Vorlesungen  bemerkt  Ranke,  dass  in  den 
•geschichtlichen  Tendenzen'  einer  bestimmten  Zeit  , immer  eine  bestimmte 
particoläre  Richtung  vorwiegt  und  bewirkt,  dass  die  andern  zurücktreten*  (Welt- 
geschichte, IX,  2,  S.  4).  Gervinus  glaubte  sogar  das  Oesetz  aufstellen  zu 
kennen,  dass  die  Blüthezeiten  der  Religion,  der  Literatur  und  der  Politik  regel- 
mSssig  in  dieser  Reihenfolge  einander  ablösten,  ein  Gesetz  dem  für  die  frühe- 
sten Stufen  der  intellectuellen  Entwicklung  eine  gewisse  Wahrheit  zukommen 
dflrfte,  das  aber  auf  die  neueste  Geschichte  angewandt,  wie  es  Gervinus  thut, 
offenbar  mehr  in  den  patriotischen  Wünschen  des  Verfassers  als  in  der  geschicht- 
lichen Erfahrung  seine  Quelle  hat.  (Gervinus,  Geschichte  der  deutschen 
Dichtung.  4.  Aufl. ,  V ,  S.  662  ff.  Einleitung  in  die  Geschichte  des  19.  Jahr- 
hunderts, S.  179.    1853.) 


404  Logik  der  Geachichtswissenschaften. 

Wicklung  beachtet  werden:  so  bei  Herder  die  allgemeinen  ethi- 
schen Anlagen  der  menschlichen  Natur,  bei  Hegel  die  staat- 
lichen Verhältnisse,  bei  Comte  und  Spencer  die  inteUectuellen 
Leistungen  und  ihre  Anwendung  zur  Hervorbringung  mannigfacher 
Lebensgüter.  Da  alle  diese  Fortschrittsgesetze,  insoweit  sie  eine 
empirische  Grundlage  haben,  Abstractionen  aus  einem  und  dem- 
selben einheitlichen  Thatbestande  sind,  bei  denen  nur  der  Gesichts- 
punkt des  Beobachters  jedesmal  ein  anderer  ist,  so  würde  natürlich 
nichts  im  Wege  stehen  anzunehmen,  jede  von  ihnen  sei  richtig,  und 
sie  alle  zusammen  bildeten  so  das  wahre  Fortschrittsgesetz  der  Ge- 
schichte. Aber  dieses  Recht  auf  eine  mindestens  relative  Anerken- 
nung findet  an  zwei  Thatsachen  ihre  Schranken.  Erstens  ist  jeder 
geschichtliche  Fortschritt  an  die  Erhaltung  einer  historischen  Conti- 
nuität  gebunden,  und  auch  innerhalb  dieser  ist  er  nur  unter  der 
fortwährenden  üeberwindung  rückläufiger  Entwicklungen  möglich; 
und  da  sich  das  Verhältniss  solcher  vor-  und  rückschreitender  Be- 
wegungen zu  einander  niemals  mit  einiger  Sicherheit  quantitativ 
abschätzen  oder  gar  in  alle  Zukunft  voraussagen  lässt,  so  beschrankt 
sich  die  empirische  Grundlage  eines  jeden  Fortschrittsgesetzes,  welchen 
Inhalt  dieses  auch  haben  möge,  nothwendig  auf  die  Thatsache,  dass 
sich  stets  eine  Anzahl  von  Einzelentwicklungen  aufzeigen  lässt,  die 
ihm  entsprechen.  Daneben  fehlt  es  aber  natürlich  in  Folge  der 
erwähnten  Hin-  und  Uerbewegungen  auch  nicht  an  anderen  Ent- 
wicklungen, bei  denen  dies  nicht  zutrifft.  Zweitens  beruht  jedes 
Fortschrittsgesetz  auf  einer  ethischen  Forderung,  der  eine  bestimmte 
Idee  von  dem  allgemeinen  Zweck  der  geschichtlichen  Entwicklung 
zu  Grunde  liegt.  Der  abweichende  Inhalt  der  einzelnen  Fortschritts- 
gesetze erklärt  sich  daher  wesentlich  aus  der  Verschiedenheit  der 
ethischen  Standpunkte,  von  denen  aus  jene  Abstractionen  bestimmt 
werden,  die  das  Mannigfaltige  der  Erfahrung  unter  ein  Gesetz  ordnen. 
Solche  ethische  Forderungen  würden  nun.  freilich  wiederum  nicht 
möglich  sein,  wenn  nicht  ursprünglich  schon  die  schöpferische 
Energie  des  geistigen  Lebens  in  zahlreichen  Erscheinungen  wahr- 
zunehmen wäre  und  daher  zu  jenen  Verallgemeinerungen  hindrängte, 
die  dann,  je  nach  der  Richtung  in  der  die  Eindrücke  hauptsäch- 
lich wirken,  in  den  verschiedenen  Fortschrittsgesetzen  ihren  Aus- 
druck finden.  Aber  im  Vergleich  mit  der  concreten  Verarbeitung 
der  historischen  Thatsachen  besitzen  doch  die  richtunggebenden 
ethischen  Forderungen  vielmehr  die  Bedeutung  a  priori  aufgestellter 
Maximen   als   empirischer  Gesetze,    daher   auch  zu  ihrem  Anspruch 


Historische  Gesetze.  405 

auf  allgemeine  Geltung  der  Umstand,  dass  sie  einem  subjectiven 
Gemttthsbedürfnisse  entgegenkommen,  wesentlich  beiträgt.  Der  Aus- 
druck , Forderungen"  deutet  diese  doppelte  Eigenschaft,  dass  sie 
Wünsche  und  doch  theilweise  zugleich  Verallgemeinerungen  aus  der 
Erfahrung  sind,  unmittelbar  an.  Denn  eine  Forderung  ist  ein  be- 
gründeter Wunsch,  ein  solcher  also  der  sein  Recht  auf  irgend 
welche  Thatsachen  der  Erfahrung  stützen  kann. 

Insofern  nun  an  der  Aufstellung  historischer  Fortschrittsgesetze 
stets  ethische  Forderungen  Antheil,  ja  fOr  die  ursprüngliche  Auf- 
suchung wie  für  die  endgültige  Formulirung  derselben  sogar  die 
entscheidende  Bedeutung  haben,  sind  sie  sämmtlich  geleitet  von 
einem  universellen  Zweckbegriff,  den  man  der  gesammten  ge- 
schichtlichen Entwicklung  zu  Grunde  legt.  Ein  solcher  Begriff  über- 
schreitet aber,  da  er  sich  auf  das  niemals  vollendbare  Ganze  der 
Geschichte  bezieht,  selbstverständlich  jede  historische  Erfahrung. 
Die  Frage  seiner  Berechtigung  bedarf  daher  einer  besonderen  Unter- 
suchung, die  uns  unten  beschäftigen  soll.  Auch  über  den  end- 
gültigen Werth  der  Fortschrittsgesetze  wird  deshalb  erst  dort  ge- 
sprochen werden  können.  Sieht  man  aber  von  diesem  metaphysischen 
Hintergrund  ab,  und  prüft  man  jene  Gesetze  bloss  nach  ihrem  Ver- 
haltniss  zur  geschichtlichen  Wirklichkeit,  so  ist  es  klar,  dass  die- 
selben, wollte  man  sie  als  rein  empirische  Gesetze  betrachten, 
wiederum  nur  den  Charakter  von  Regeln,  deren  Gültigkeit  von 
zahlreichen  Ausnahmen  durchbrochen  wird,  also  überhaupt  nicht  von 
Gesetzen  besitzen  würden.  Anders  verhält  es  sich,  wenn  man  sie, 
gemäss  der  allgemeinen  Natur  historischer  Gesetzmässigkeit,  als  An- 
wendungen allgemeingültiger  psychologischer  Gesetze  auf  die 
verwickelten  physischen  und  psychischen  Bedingungen  des  geschicht- 
lichen Daseins  auffasst.  Dass  dies  aber  der  allein  zulässige  Ge- 
sichtspunkt für  ihre  Beurtheilung  ist,  das  beweist  in  diesem  Fall 
schon  der  Zusammenhang  aller  dieser  Fortschrittsgesetze  mit  dem 
psychologischen  Princip  des  Wachsthums  der  geistigen  Energie.  Ist 
doch  dieses  Princip  selbst  nur  ein  allgemeiner  teleologischer  Aus- 
druck für  die  Beziehungen  der  Werthgrössen  psychischer  Entwick- 
lungen, wie  solche  von  der  einfachen  Sinneswahmehmung  an  bis 
hinauf  zu  den  verwickeltsten  intellectuellen  Processen  überall  sich 
nachweisen  lassen.  Darum  führt  nun  aber  auch  jedes  einzelne 
historische  Fortschrittsgesetz  auf  psychologische  Erwägungen  zurück. 
Wer  z.  B.  mit  Hegel  in  der  vollendeten  Harmonie  zwischen 
socialem  Zwang  und  individueller  Freiheit   das  Ziel   der  Geschichte 


406  '     Logik  der  GeschichtBwissenschaften. 

erblickt,  der  wird  die  allmähliche  Annäherung  an  dieses  Ziel  nur 
derart  historisch  begründen  können,  dass  er  auf  die  psychischen 
Motive  hinweist,  die  einerseits  das  Bewusstsein  der  Nothwendigkeit 
des  socialen  Zwangs  und  die  Erkenntniss  seiner  möglichen  Schranken, 
anderseits  das  Streben  nach  Bethätigung  der  individuellen  Persön- 
lichkeit immer  mehr  zunehmen  lassen,  ein  Process  bei  dem,  wie  bei 
allen  Entwicklungen,  die  erreichten  Zwecke  immer  wieder  neue  und 
wirksamere  Hülfsmittel  für  den  weiteren  Fortschritt  herbeischaffen. 
Oder  wer  mit  Comte  die  Geschichte  der  Menschheit  in  ein  theo- 
logisches, metaphysisches  und  positives  Stadium  gliedert,  der  wird 
sich  nicht  etwa  darauf  beschränken  die  thatsächliche  Aufeinander- 
folge mythologischer,  naturphilosophischer  und  exact  wissenschaft- 
licher Systeme  der  Welterkenntniss  hervorzuheben,  sondern  er  wird 
diese  Aufeinanderfolge  vor  allem  aus  der  zu  Grunde  liegenden  psycho- 
logischen Gesetzmässigkeit  als  eine  allgemeingültige  darzuthun  suchen. 
Eben  darum  hat  Comte  selbst  auf  die  üebereinstimmung  mit  der 
individuellen  Geistesentwicklung  Werth  gelegt.  In  der  That  ist  es 
kaum  zu  bezweifeln,  dass  bei  der  Aufstellung  aller  dieser  Gesetze 
neben  den  herrschenden  Zweckideen  solche  psychologische  Er- 
wägungen wirksam  gewesen  sind,  und  dass  diesen  beiden  Factoren 
gegenüber  die  historische  Erfahrung  eigentlich  eine  untergeordnete 
Rolle  spielt. 

Noch  augenfälliger  ist  diese  Mitwirkung  psychologischer  Re- 
flexion bei  den  speciellen  Entwicklungsgesetzen  aus  den  verschiedenen 
Gebieten  der  politischen  und  der  Culturgeschichte,  da  hier  die  nähere 
Ausführung  über  die  Gesetze  von  vornherein  in  einer  psychologi- 
schen Motivirung  zu  bestehen  pflegt.  So  erklären  schon  Aristo- 
teles und  Polybios  den  Wechsel  der  Verfassungsformen  aus 
der  Neigung  zum  Missbrauch  der  Gewalt,  die  in  den  natürlichen 
Leidenschaften  des  Menschen  ihre  Quelle  habe,  sowie  aus  dem  gegen 
einen  solchen  Missbrauch  nothwendig  entstehenden,  in  dem  natür- 
lichen Freiheitsbedürfhiss  begründeten  Widerstand  der  Beherrschten. 
So  leitet  man  ferner  den  Uebergang  von  der  socialen  Stufe  der 
4  geschlossenen  Hauswirthschaft*^  zur  „Stadtwirthschaft*  aus  dem 
allmählich  erwachenden  Bedürfniss  nach  einem  Ausgleich  von 
Mangel  und  Ueberfluss  zwischen  den  verschiedenen  ursprünglichen 
Wirthschaftseinheiten  her,  einem  Bedürfniss  welches  aus  dem  so 
entstehenden  Verkehr  den  Zusammenschluss  zu  einer  grösseren 
Wirthschaftseinheit  hervorgehen  lasse.  Unverkennbar  ist  es  gerade 
der  unmittelbar  einleuchtende  Charakter  dieser  psychologischen  Moti- 


Historische  Gesetze.  407 

viiungeD,  der  uns  geneigt  macht  die  so  abgeleiteten  Gesetze  anzu- 
erkennen, auch  wenn  die  geschichtlichen  Thatsachen,  auf  die  sie  sich 
stützen,  zu  einer  rein  empirischen  Verallgemeinerung  bei  weitem 
nicht  zureichen  würden.  Darum  sind  nun  aber  auch  diese  speciellen 
Gesetze  nicht  allgemeingültig  in  dem  Sinne,  dass  jede  politische 
oder  wirthschaftliche  Entwicklung  nothwendig  nach  dem  von  ihnen 
aufgestellten  Schema  verlaufen  müsste,  sondern  sie  sind  allgemein- 
gültig genau  in  demselben  umfang,  in  dem  etwa  die  Sprachgesetze 
es  sind,  insofern  nämlich  als  unter  den  gleichen  psychischen  und 
psychophysischen  Bedingungen  die  gleichen  Wirkungen  eintreten 
müssen.  Je  wahrscheinlicher  es  ist,  dass  bestimmte  Entwicklungen 
immer  wieder  aus  dem  Zusammenfluss  ähnlicher  Bedingungen  her- 
vorgegangen sind,  um  so  grössere  Wahrscheinlichkeit  wird  es  auch 
haben,  dass  die  so  sich  ergebenden  empirischen  Entwicklungsgesetze 
von  allgemeiner  Geltung  sind.  Bei  der  ungeheuren  Complication  des 
geschichtlichen  Lebens  ist  aber  eine  absolute  Gleichförmigkeit  der 
Bedingungen  schwerlich  auf  irgend  einem  Gebiet  zu  erwarten.  Auch 
den  specielleren  historischen  Entwicklungsgesetzen  kann  daher  im 
günstigsten  Falle  nur  eine  relative,  auf  bestimmte  Gulturgebiete 
und  gegebene  geschichtliche  Perioden  eingeschränkte  Allgemeingültig- 
keit zugeschrieben  werden. 

In  dieser  Hinsicht  verhält  es  sich  wesentlich  anders  mit  einer 
Anzahl  von  Principien  historischer  Beurtheilung,  die  man  ebenfalls 
unter  den  Begriff  des  historischen  Gesetzes  im  allgemeinsten  Sinne 
bringen  kann,  deren  abstractere  Natur  sich  aber  von  vornherein 
darin  zu  erkennen  gibt,  dass  sie  weder  eine  bestimmte  räumliche 
noch  eine  zeitliche  Abhängigkeit  enthalten,  wie  denn  auch  die  in 
ihnen  zum  Ausdruck  kommenden  Beziehungen  bald  in  einem  Neben- 
bald  in  einem  Nacheinander  der  Erscheinungen  empirisch  gegeben 
sind.  Indem  nun  aber  diese  Beziehungen  auf  psychologische  Motive 
von  ganz  allgemeingültiger  Art  zurückweisen,  ist  es  begreiflich, 
dass  die  so  entspringenden  historischen  Gesetze  ihrerseits  einen  all- 
gemeingültigen Charakter  haben.  Es  ist  bemerkenswerth,  dass  diese 
Gesetze,  im  directen  Gegensatze  zu  den  aUgemeinen  Fortschritte- 
gesetzen, in  den  Systemen  der  Geschichtephilosophie  gar  keine  Rolle 
spielen,  dagegen  nicht  selten  von  den  Historikern  bald  gestreift 
bald  ausdrücklich  erwähnt  werden.  Sie  lassen  sich  den  vorhin  be- 
trachteten Formulirungen,  die  sämmtlich  unter  den  Begriff  der  Ent- 
wicklungsgesetze fallen,  allgemein  als  historische  Beziehungs- 


408  Logik  der  GeschichtswiBsenschaften. 

ge setze  gegenüberstellen,  da  bei  ihnen  stets  die  unmittelbare  cau- 
sale  Beziehung  der  geschichtlichen  Thatsachen  zu  einander  in  Frage 
steht.  Solcher  Beziehungsgesetze  können  wir  nun,  wie  ich  glaube, 
drei  unterscheiden.  Sie  ergänzen  sich  zugleich  in  ihrer  logischen 
Bedeutung,  insofern  sie  auf  verschiedene  phychologische  Principien 
zurückführen.  Wir  wollen  sie  als  die  Gesetze  der  historischen 
Resultanten,  Relationen  und  Contraste  bezeichnen. 

Nach  dem  Gesetz  der  historischen  Resultanten  ist  jeder 
einzelne  in  einen  engeren  oder  umfassenderen  Begriff  zu  verbindende 
Inhalt  der  Geschichte,  bestehe  er  nun  in  einem  concreten  geschicht- 
lichen Ereigniss,  in  einer  historischen  Persönlichkeit  oder  in  einem 
historisch  gewordenen  Culturzustand,  die  resultirende  Wirkung  aus 
einer  Mehrheit  geschichtlicher  Bedingungen,  mit  denen  er  derart 
zusammenhängt,  dass  in  ihm  die  qualitative  Natur  jeder  einzelnen 
Bedingung  nachwirkt,  während  er  doch  zugleich  einen  neuen  und 
einheitlichen  Charakter  besitzt,  der  zwar  durch  die  historische 
Analyse  aus  der  Verbindung  jener  geschichtlichen  Factoren  abge- 
leitet, niemals  aber  aus  ihnen  durch  eine  a  priori  ausgeführte  Syn- 
these construirt  werden  kann.  Von  den  resultirenden  Kräften  der 
Mechanik  unterscheiden  sich  also  die  historischen  Resultanten  erstens 
darin,  dass  es  bei  ihnen  in  erster  Linie  auf  die  Qualität  der 
Wirkung  ankommt,  wie  denn  auch  schon  die  Componenten  als 
qualitativ  verschiedene  psychische  Kräfte  wirken;  und  zweitens  darin, 
dass  die  Resultanten  selbst  neue  qualitative  Eigenschaften  besitzen, 
die  zwar  in  den  Eigenschaften  der  Componenten  causal  begründet, 
aber,  weil  keine  psychische  Qualität  anders  als  auf  empirischem 
Wege  gefunden  werden  kann,  doch  immer  nur  aus  jenen  Compo- 
nenten regressiv  zu  motiviren,  niemals  progressiv  zu  de- 
duciren  sind.  Offenbar  ist  dieses  Gesetz  der  historischen  Resul- 
tanten nichts  anderes  als  eine  unmittelbare  Uebertragung  des  all- 
gemeinen psychologischen  Princips  der  schöpferischen  Synthese  auf 
das  Gebiet  der  Geschichte.  (Vgl.  oben  Cap.  II,  S.  267  ff.)  Hier 
aber  hat  es,  ebenso  wie  jenes  allgemeinere  Princip  in  der  Psycho- 
logie, nicht  sowohl  die  Bedeutung  einer  Norm,  in  der  die  causale 
Verknüpfung  des  Einzelnen  ausgedrückt  ist,  als  die  einer  Regel, 
nach  der  die  psychologische  Analyse  des  Historikers  bei  der  con- 
creten Erklärung  der  geschichtlichen  Erscheinungen  zu  verfahren 
hat.  In  der  That  ist  das  der  Gebrauch,  den  die  Geschichtswissen- 
schaft von  dem  Gesetz  der  Resultanten  macht;  und,  entsprechend 
dieser  Rolle  eines  leitenden  Princips  der  historischen  Untersuchung, 


Historische  besetze.  409 

pflegt  sie  sich  dabei  auf  die  Erwägung  der  voiTiehmsten  histori- 
schen Componenten  zu  beschränken,  derjenigen  von  denen  vor- 
ausgesetzt werden  kann,  dass  sie  durch  ihr  Zusammenwirken  den 
filr  uns  erkennbaren  geistigen  Inhalt  einer  geschichtlichen  Erschei- 
nung nach  seinen  wesentlichsten  Beziehungen  erschöpfen.  Diese 
Tornehmsten  Componenten  sind  es,  die,  insoweit  es  sich  um  die  Er- 
klärung des  Gesammtcharakters  einer  geschichtlichen  Periode  handelt, 
Ranke  die  »leitenden  Ideen**  oder  die  «grossen  Tendenzen*  der 
Jahrhunderte  genannt  hat"*").  Denn  indem  er,  abweichend  von  der 
speculativen  und  teleologischen  Geschichtsphilosophie,  unter  „Ideen 
der  Geschichte**  nicht  transcendente  Ideen  im  Sinne  Piatos  verstand, 
die  als  übersinnliche  Kräfte  das  geschichtliche  Leben  den  ihm  im 
voraus  gestellten  Zielen  entgegenführen,  sondern  den  geschichtlichen 
Vorgängen  .selbst  immanente  psychische  Kräfte,  fallen  dieselben 
durchaus  mit  dem  oben  aufgestellten  Begriff  der  geschichtlichen 
Componenten  zusammen.  Von  dem  allgemeineren  Begriff  der  histo- 
risch en  Bedingungen  aber,  wie  er  oben  nach  den  drei  für  die 
geschichtliche  Betrachtung  massgebenden  Richtungen  erörtert  wurde 
(S.  378),  unterscheiden  sich  die  Componenten  dadurch,  dass  unter 
ihnen  immer  nur  die  unmittelbaren  psychischen  Ursachen 
der  Erscheinungen  verstanden  werden  können.  Da  alles  historische 
(xeschehen  direct  nur  auf  menschlichem  Handeln  beruht,  letzteres 
aber  stets  einer  psychologischen  Motivirung  bedarf,  so  ist  damit 
Ton  selbst  der  Umkreis  der  Componenten  auf  das  psychische  Gebiet 
beschränkt.  Auch  ist  es  einleuchtend,  dass  sich  nur  gleichartige 
Kräfte  zu  einer  Resultanten  verbinden  können.  Damit  wird  selbst- 
verständlich den  Naturbedingungen  des  historischen  Geschehens  nicht 
ihre  Bedeutung  genommen,  aber  sie  werden  in  die  Reihe  entfern- 
terer Bedingungen  zurückverwiesen,  die  sich  erst  durch  die  psychi- 
schen Motive  die  aus  ihnen  entspringen  in  historische  Componenten 
umwandeln.  In  diesem  Sinne  betrachtet  man  z.  B.  als  die  Com- 
ponenten, die  den  geistigen  Charakter  des  Zeitalters  der  Reformation 
bildeten,  erstens  den  Umschwung,  den  die  geographischen  Ent- 
deckungen in  der  allgemeinen  Weltanschauung  hervorbrachten,  dann 
in  politischer  Beziehung  die  Vermehrung  der  Gewalt  des  Territorial- 
fürstenthums  sowie  die  äusseren  Conflicte  der  europäischen  Mächte, 
in  religiöser  Beziehung  die  Verweltlichung  der  Kirche  und  die  ihr 
gegenüber  aus  einem    subjectiven  Bedürfniss   hervorfliessende   durch 


*)  Ranke,  Weltgeschichte,  IX,  2,  S.  6  f. 


410  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

keine  Autorität  gebändigte  mystisch-religiöse  Geistesströmung,  dazu 
endlich  als  entferntere  Factoren  den  Humanismus  und  die  Erneuerung 
der  weltlichen  Wissenschaften.  Aber  diese  Aufzeigung  der  ver- 
schiedenen Componenten  einer  historischen  Erscheinung  würde  sehr 
unvollständig  bleiben,  wenn  sich  der  Historiker  nicht  bemühte  nach- 
zuweisen, wie  gerade  durch  die  Wechselwirkung,  in  die  jene  mit 
einander  treten,  der  Gesammtcharakter  der  historischen  Erschei- 
nungen sowie  der  neue,  nicht  selten  zu  den  bisher  bestandenen 
leitenden  Tendenzen  in  einem  voUen  Gegensatz  stehende  Inhalt  der- 
selben bedingt  wird.  In  diesem  Sinne  hat  z.  B.  Jacob  Burck- 
hardt  in  seiner  «Cultur  der  Elenaissance'*  in  einer  ßeihe  von  Einzel- 
untersuchungen gezeigt,  wie  eine  Menge  geistiger  Factoren  zusammen- 
wirkten, um  dem  Zeitalter  der  Renaissance  im  staatlichen  Leben,  in 
Literatur  und  Kunst,  in  Religion  und  Sitte  den  Charakter  des  In- 
dividualismus zu  verleihen,  der  energischen  Tendenz  die  einzelne 
Persönlichkeit  in  ihrer  Eigenart  auszubilden,  einen  Charakter  der 
ebensowohl  die  Eigenthümlichkeit  dieser  Epoche  wie  ihren  Gegen- 
satz zur  vorangegangenen  Periode  autoritativer  Gebundenheit  aus- 
macht.  Indem  nun  hierbei  die  Analyse  der  geschichtüchen  Erschei- 
nungen  überall  zugleich  Beziehungen  der  üebereinstimmung  und  des 
Gegensatzes  auffindet,  in  denen  die  Bestandtheile  einer  zusammen- 
gesetzten Erscheinung  theils  zu  einander  theils  zu  andern  histori- 
schen Entwicklungen  stehen,  weist  das  Princip  der  historischen 
Resultanten  selbst  schon  auf  die  beiden  folgenden  Gesetze  hin. 

unter  ihnen  bezeichnet  das  Gesetz  der  historischen  Re- 
lationen die  sich  bei  der  Zergliederung  geschichtlicher  Zusammen- 
hänge überall  aufdrängende  Thatsache,  dass  jeder  geschichtliche  In- 
halt, der  den  Charakter  eines  zusammengesetzten,  aber  vermöge 
irgend  welcher  geistiger  Beziehungen  einheitlichen  Ganzen  hat,  aus 
Factoren  von  verwandtem  geistigem  Charakter  besteht;  und  zwar  ist 
diese  Verwandtschaft  namentlich  auch  zwischen  solchen  Factoren 
vorhanden,  die  ganz  und  gar  verschiedenen  Richtungen  des  geistigen 
Lebens  angehören.  Zwischen  der  Kunst  und  der  Wissenschaft  eines 
Zeitalters  und  in  engerem  umfange  zwischen  den  verschiedenen 
Formen  und  Arbeitsgebieten  derselben,  zwischen  der  geistigen  Cultur 
und  den  politischen  Zuständen,  den  socialen  und  religiösen  Bestre- 
bungen bestehen  durchgängig  Beziehungen.  So  hat  Burckhardt 
darauf  hingewiesen,  dass  jene  Ausbildung  der  modernen  PersönUch- 
keit,  wie  sie  sich  vornehmlich  in  Italien  vom  13.  Jahrhundert  an 
verfolgen   lässt,    nicht   bloss   in  der  Sinnesart  und  den  Leistungen 


Historische  Gesetze.  411 

zahlreicher  SchriftsteUer  und  Künstler  hervortritt,   sondern  auch  in 
einer  Fülle  sonstiger  das  politische  und  sociale  Leben  der  Zeit  kenn- 
zeichnender Züge,  wie  in  dem  Gondottierenthum,  in  der  schranken- 
losen Willkür   der  Trachten,    in   der  völligen  Lockerung  der  Sitte 
u.  s.  w."*").    Aehnliche  Beziehungen  hat  Ranke,  im  Zusammenhang 
mit  seinem  Bemühen   die    „leitenden  Tendenzen''  der  Jahrhunderte 
zu  bestimmen,  mannigfach  hervorgehoben,  indem  er  dabei  besonders 
die  Wechselverhaltnisse  der  politischen  und  der  allgemeinen  geistigen 
Strömungen  in  den  Vordergrund  stellte*"*").     Ebenso  wird  aber  bei 
Taine   die  diesem  Historiker  eigenthümliche  Theorie  des  „  Milieu '^ 
erst  dadurch  zu   einem  fruchtbaren  Princip  historischer  Forschung, 
dass  sie  die  Aufgabe  in  sich  schliesst,  die  wechselseitigen  Beziehungen 
zwischen   den  einzelnen  Theilen,   in  die  das  Oanze  einer  Gultur  zu 
zerlegen   ist,   sowie  das  Verhältniss,   in  dem  gewisse  typische  Per- 
sönlichkeiten zu  jenem  Gesammtzustande  stehen,  nachzuweisen'*''*'*).  In 
der   That  sind   dies   die  zwei   hauptsächlichsten  Richtungen,    nach 
denen   sich  das  Gesetz  der  historischen  Relationen   verfolgen  lässt: 
die  culturgeschichtliche  und  die  biographische.     Aehnlich 
wie   nach  einem  Ausspruche  Cuviers  aus  einem  einzigen  Knochen 
die   typische  Form  des   ganzen   Wirbelthiers  dem  er  angehört  be- 
griffen   werden  kann,    so   liefert  jeder  einzelne  Bestandtheil  einer 
Cultur  ein  annäherndes  Spiegelbild  aller  übrigen  Bestandtheile.     So 
würde  man  aus  den  symmetrisch  regelmässig  angelegten^  auf  Massen- 
wirkung berechneten,  nicht  der  Natur  sich  anpassenden,  sondern  sie 
gewaltsam  unterdrückenden  Gartenanlagen  der  Barockzeit  ohne  wei- 
teres nicht  bloss  den  allgemeinen  Charakter  der  Architektur  und  der 
Malerei,   sondern  in  gewissem  Masse  sogar  den  der  Poesie  und  der 
Literatur  der  nämlichen  Zeit,  und  aus  diesem  wieder  die  Grundzüge 
der  socialen  und  politischen  Anschauungen  erschliessen  können.   Die 
einzelne  Persönlichkeit  aber   steht  zu  der  Gesammtcultur  ihrer  Zeit 
jeweils  in  einer  doppelten  Beziehung:  in  erster  Linie  ist  sie  selbst 
Wirkung   und   Ausdruck    ihrer  Zeit;    sodann    wirkt   sie   durch   ihr 
eigenes  Handeln   auf  ihre  Umgebung  zurück  und  vermag  so  theils 


*)  J.  Burckhardt,  Cultur  der  Renaissance,  4.  Aufl.,  I,  S.  143  ff. 
**)  Dies  tritt  besonders  hervor  in  der  schematisirenden  üebersicht  der 
Berchtesgadener  Vorlesungen    „Ueber   die   Epochen   der    neueren   Geschichte** 
Weltgeschichte.  IX,  2,  S.  23,  128,  156  ff. 

***)  Am  eingehendsten  durchgefQhrt  ist  diese  Untersuchung  der  Relationen 
von  Taine  in  seiner  Philosophie  der  Kunst,  sowie  in  der  Geschichte  der  eng- 
lischen Literatur. 


412  Logik  der  Geschichtswissenechaften. 

die  vorhandenen  Tendenzen  zu  verstärken  theils  die  Umwandlunfi^en 
derselben  vorzubereiten.  Darum  ist  die  Untersuchung  des  Verhält- 
nisses der  führenden  Geister  zu  den  allgemeinen  geschichtlichen 
Entwicklungen  eine  wichtige  Aufgabe,  auf  die  das  Gesetz  der  Re- 
lationen hinweist*).  In  beiden  Fällen  führt  aber  augenscheinlich 
dieses  Gesetz  auf  das  allgemeine  psychologische  Princip  der  be- 
ziehenden Analyse  zurück  (S.  295  fP.).  Das  historische  Gesetz 
bezeichnet  nur,  indem  es  dies  Princip  auf  das  Gebiet  der  Geschichte 
anwendet,  zugleich  die  Hauptrichtungen,  nach  denen  es  hier  ver- 
folgt werden  muss.  Auf  diese  Weise  bildet  es  die  logische  Ergänzung 
zu  dem  Gesetz  der  historischen  Componenten.  Bezog  sich  dieses 
auf  die  Synthese  der  einzelnen  Ursachen  einer  geschichtlichen  Ent- 
wicklung, so  beherrscht  jenes  die  Analyse  einer  solchen  in  ihre 
ebenfalls  causal  verbundenen  Factoren.  Dabei  sind  nun  aber  die 
Componenten  und  die  Factoren  historischer  Erscheinungen  im  all- 
gemeinen von  einander  verschiedene  Thatsachen.  Die  Componenten 
gehen  als  ursächliche  Bedingungen  zeitlich  der  Erscheinung  voraus, 
können  aber  auch,  falls  sie  nicht  durch  die  von  ihnen  ausgeübte 
Wirkung  selbst  verändert  werden,  noch  neben  ihrer  Wirkung  an- 
dauern, ja  sie  können  unter  Umständen  diese  überdauern  und  dann 
in  Verbindung  mit  neuen  Componenten  neue  Wirkungen  hervor- 
bringen. Ferner  können  die  Componenten  qualitativ  höchst  ver- 
schiedenartige, ja  entgegengesetzte  Erscheinungen  sein.  Dass  sie 
trotzdem  einheitliche  Resultanten  erzeugen,  das  ist  eine  Eigenschaft, 
die  mit  der  historischen  Erscheinungsweise  des  Princips  der  schöpfe- 
rischen Synthese  auf  das  engste  zusammenhängt.  Denn  nur  dadurch 
dass  die  Wirkung  gegenüber  den  sie  bewirkenden  Ursachen  ein 
neues  Erzeugniss  ist,  kann  sie  völlig  verschiedenartige  Bedingungen 
zu  einem  einheitlichen  Producte  verbinden.  Ganz  anders  verhält  es 
sich  mit  den  Factoren,  in  die  sich  eine  historische  Gesammterschei- 
nung  oder  ein  Complex  unter  einander  verbundener  geschichtlicher 
Thatsachen  zerlegen  lässt.  Sie  sind  in  der  Regel  gleichzeitig  ge- 
geben, oder  wo  sie  etwa  in  zeitlicher  Folge  auftreten  sollten,  da 
entspringt  dies  aus  Nebenbedingungen  der  geschichtlichen  Entwick- 
lung, insbesondere  aus  jener  Regel  der  Einseitigkeit  der  jeweils 
herrschenden  Interessen,  die  zu  der  psychologischen  Thatsache  der 
Enge  des  Bewusstseins  gewissermassen  ein  historisches  Correlat  bildet. 
Aehnlich    wie    die    Wirkung    bestimmter    psychischer    Bedingungen 


*)  Vgl.  über  dieses  Verhältniss  meine  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  460  f. 


Historische  Gesetze.  413 

meist  nicht  in  einem  Acte,  sondern  in  einer  Folge  psychischer 
Entwicklungen  in  das  Bewusstsein  tritt,  so  pflegt  auch  eine  ge- 
schichtliche Epoche  den  ganzen  Inhalt  ihres  Denkens,  Könnens  und 
Wollens  nicht  in  einer  völlig  simultanen  Entwicklung  sondern  min- 
destens in  einem  theilweisen  Nacheinander  zu  entfalten.  Eine  feste 
Regel  dieser  Aufeinanderfolge  lässt  sich  freilich  kaum  geben.  Nur 
80  viel  wird  sich  aus  allgemeinen  psychologischen  Gründen  mit  Wahr- 
scheinlichkeit voraussagen  lassen  und  scheint  auch  durch  die  histo- 
rische Erfahrung  bestätigt  zu  werden,  dass  unter  ursprünglichen 
Bedingungen  die  mehr  innerlichen  und  geistigen  Bewegungen  den 
äusseren,  auf  sociale  und  staatliche  Veränderungen  gerichteten  vor- 
ausgehen, und  dass  unter  den  ersteren  wieder  die  auf  den  Trieb- 
kräften der  Phantasie  und  des  Oefühls  beruhenden  Entwicklungen 
der  Kunst  gegenüber  dem  wissenschaftlichen  Fortschritt  die  früheren 
zu  sein  pflegen.  Aber  es  ist  begreiflich,  dass  diese  Regel  keine 
Geltung  mehr  beanspruchen  kann,  sobald  unter  dem  Einfluss  voran- 
gegangener geschichtlicher  Bewegungen  und  der  üeberlebnisse  früherer 
Culturen  das  Zusammenwirken  der  historischen  Componenten  ein 
rerwickelteres  vnrd*).  Theils  in  Solge  der  Succession  der  einzelnen 
Factoren  einer  geschichtlichen  Entwicklung  theils  aber  auch  in  Folge 
der  Wechselbeziehungen  gleichzeitiger  Elemente  zu  einander  ge- 
schieht es  nun  aber  ausserdem  sehr  häufig,  dass  eine  einzelne  Er- 
scheinung ebensowohl  die  Stellung  eines  Factors  einer  gegebenen 
historischen  Oesammtentwicklung  wie  die  einer  Gomponente  gegen- 
über einem  andern  einzelnen  Bestandtheil  dieser  Entwicklung  ein- 
nimmt. 

In  diese  Gomplication  der  Bedingungen  greift  endlich  noch 
eme  allgemeine,  ebenfalls  auf  psychologische  Gründe  zurückführende 
Erfahrung  ein,  die  in  einem  dritten  Princip  historischer  Beurthei- 
luDg,  in  dem  Gesetz  der  historischen  Gontraste  ihren  Aus- 
druck findet.  Indem  die  geschichtliche  Analyse  die  Gomponenten 
und  die  Factoren  einer  geschichtlichen  Erscheinung  sondert  sowie 
den  üebergang  jener  in  diese  und  dieser  in  jene  nachzuweisen  sucht, 
findet  sich  nämlich,  dass  die  causale  Wirksamkeit  eines  bestimmten 
Vorganges  sich  nicht  unter  allen  Umständen  im  Sinne  einer  Erzeugung 


*)  Selbst  eine  relativ  so  ursprüngliche  Cultor  wie  die  hellenische  zeigt 
daher  schon  ein  Uebereinandergreifen  der  verschiedenen  Factoren,  was  diese 
Regel  auf  die  spätere  griechische  Geschichte  ananwendbar  macht.  Noch  unmög- 
licher ist  es,  wie  schon  oben  (S.  808,  Anm.)  bemerkt,  sie  mit  Gervinus  auf  neuere 
historische  Entwicklungen  zu  übertragen. 


414  Logik  der  GeschichtswiBsenBchaften. 

des  Gleichartigen  durch  Gleichartiges  äussert,  wie  sie  die  wechsel- 
seitige Beziehung  der  Factoren  einer  in  sich  homogenen  geschicht- 
lichen Erscheinung  beherrscht,  sondern  dass  neben  diesen  Wirkungen 
entgegengesetzte  vorkommen,  indem  namentlich  in  solchen  Fällen, 
wo  eine  bestimmte  historische  Tendenz  einen  unter  den  obwaltenden 
Bedingungen  und  bei  den  vorhandenen  Anlagen  nicht  weiter  über- 
schreitbaren Höhepunkt  erreicht  hat,  nun  die  in  der  gleichen  Rich- 
tung fortwirkende  Kraft  entgegengesetzte  Strebungen  wachruft. 
Die  grosse  Bedeutung  dieses  Princips  besteht  darin,  dass  es  alle  die 
geschichtlichen  Veränderungen  beherrscht,  die  nicht  in  der  Weiter- 
entwicklung und  fortschreitenden  Differenzirung  in  gegebener  Rich- 
tung sondern  in  der  Erzeugung  qualitativ  neuer  Erscheinungen 
bestehen.  In  diesem  Sinne  wurde  schon  seit  alter  Zeit  der  Gontrast 
zur  Haupttriebfeder  der  Yerfassungsentwicklung  gemacht,  indem 
man  nach  dem  Vorgang  des  Aristoteles  den  Wechsel  der  politischen 
Zustände  aus  allgemein  menschlichen  Eigenschaften  psychologisch 
zu  deuten  suchte  *).  Eine  allgemeinere,  aber  freilich  zugleich  mysti- 
sche Anwendung  fand  derselbe  Gedanke  in  der  transcendenten 
Geschichtsphilosophie  des  Mittelalters.  Sie  fasste  die  ganze  Welt- 
geschichte als  einen  Entwicklungsprocess  auf,  der  durch  zwei  Gegen- 
sätze vermittelt  werde:  einmal  durch  den  grossen  Gegensatz  des 
göttlichen  und  des  weltlichen  Reiches,  der  mit  der  endlichen  Herr- 
schaft des  ersteren  ende,  und  dann  durch  die  besonderen  Gegen- 
sätze der  auf  einander  folgenden  weltlichen  Herrschaften,  des  assyri- 
schen, des  medisch- persischen,  des  griechischen  und  endlich  des 
römischen,  das  man  mit  seiner  Fortsetzung  in  das  deutsche  E^aiser- 
thum  als  die  letzte  Entwicklungsform  weltlicher  Herrschaft  vor  ihrem 
Uebergang  in  das  ewig  dauernde  göttliche  Reich  ansah*'*').  Unter 
den  neueren  Historikern  hat  vor  allen  Ranke  die  Bedeutung  der 
Gegensätze  in  der  Geschichte  hervorgehoben,  wobei  er  aber  zugleich 
bemüht  war  sie  als  immanente  Kräfte  derselben  nachzuweisen.  Doch 
lassen  sich  bei  ihm  deutlich  zwei  Anwendungen  dieses  Princips 
unterscheiden.  Die  eine,  die  universalhistorische,  kann  ihre  Verwandt- 
schaft mit  der  geschichtsphilosophischen  Tradition  des  christlichen 
Mittelalters  nicht  ganz  verleugnen.    Ihr  folgend  sucht  Ranke  nament- 


*)  Vgl.  oben  S.  406. 

**)  So  nach  den  von  Aagustin  in  seinem  „Gk)tte88taat*  gegebenen 
Grundgedanken  namentlich  Otto  v.  Freising.  Vgl.  über  die  Grandzüge 
seiner  Geschichtsphilosophie  v.  Eicken,  Geschichte  und  System  der  mittel- 
alterlichen Weltanschauung,  S.  646. 


Historische  Gesetze.  415 

lieh  in  der  « Weltgeschichte*^  den  allgemeinen  Gang  der  Welt- 
begebenheiten zu  schildern.  Perser,  Griechen,  Römer,  Germanen,  die 
arabischen  Weltreiche  und  die  Staaten  der  romanisch-germanischen 
Nationen  bilden  hier  gleichzeitig  Gegensätze  und  Entwicklungsstufen. 
Auch  der  religiöse  Grundgedanke  der  christlichen  Geschichtsphilosophie 
wirkt  bei  Ranke  nach,  nicht  bloss  in  der  Art,  wie  er  die  Gegen- 
sätze der  religiösen  Ideen  in  den  Vordergrund  der  alten  Geschichte 
rQckt,  sondern  speciell  auch  in  der  bevorzugten  Stellung,  die  er 
Docb  der  jüdischen  Geschichte  anweist  '*').  Nun  haben  ja  ohne  Zweifel 
in  den  Kämpfen  der  Perser  und  Griechen,  der  Griechen  und  Römer, 
später  der  abendländischen  Christen  mit  dem  Islam,  abgesehen  von 
manchen  andern  Motiven,  die  Gegensätze  der  Rassen  und  der  Culturen 
eine  wichtige  Rolle  gespielt.  Aber  diese  Gegensätze  waren  vor- 
handen, ehe  sie  mit  einander  in  Gonflict  geriethen.  Mögen  sie  daher 
auch  als  causale  Momente  in  den  Gang  der  geschichtlichen  Ereig- 
nisse eingegriffen  haben,  sie  selbst  lassen  sich  doch  in  keiner  Weise 
zu  einander  in  eine  ursächliche  Beziehung  bringen,  und  am  aller- 
wenigsten lässt  sich  sagen,  dass  eine  geistige  Bewegung  eine  andere, 
entgegengesetzte  durch  den  Contrast  erst  erzeugt  habe.  Zu  einem 
besonderen  Gesetz  des  Contrastes  würden  also  alle  jene  universal- 
historischen Beobachtungen  gar  keinen  Anlass  geben.  Wesentlich 
anders  verhält  es  sich  mit  einer  zweiten  Anwendung,  die  Ranke 
Tom  Begriff  des  Gegensatzes  macht.  Sie  bezieht  sich  auf  engere 
geschichtliche  Zusammenhänge,  also  auf  Erscheinungen  innerhalb  eines 
und  desselben  Culturkreises,  innerhalb  gleichzeitiger  oder  unmittel- 
bar auf  einander  folgender  Entwicklungen.  Bei  ihnen  findet  sich, 
wie  Ranke  hervorhebt,  überall  ein  Streit  entgegengesetzter  Welt- 
anschauungen, Richtungen  und  Interessen,  in  welchem  sich  die  Gegen- 
sätze selbst  durch  ihren  Kampf  erst  verstärken  und  nicht  selten 
abwechselnd  über  einander  obsiegen,  so  dass  bald  die  eine  bald  die 
andere  Richtung  zur  herrschenden  wird  und  den  Gesammtcharakter 
des  Zeitalters  bestimmt**),    üeber  die  Art  freilich,  wie  er  sich  diese 


*)  Auf  letzteren  Punkt  weist  auch  0.  Lorenz  hin,   a.  a.  0.  II,  S.  120. 

^*)  Stellen,  in  denen  dieser  Gedanke  angedeutet  iat,  finden  sich  mannig- 
fach in  den  Einzeldarstellungen  wie  in  der  Weltgeschichte,  zusammenfassend 
auch  in  den  der  letzteren  beigegebenen  Berchtesgadener  Vorlesungen.  Besonders 
bezeichnend  sind  zahlreiche  Stellen  in  der  , Geschichte  der  römischen  Päpste' 
(6.  Aufl.,  Werke  Bd.  37—39),  I,  S.  315;  II,  S.  119,  328  fl^.  Vgl.  auch  das  Vor- 
wort zur  .Englischen  Geschichte"  (Werke,  Bd.  14),  S.  IX,  und  0.  Lorenz, 
a.  a.  0.  II.  S.  78  ff. 


416  Logik  der  Geschichtawissenschaften. 

Contraste  wirksam  denkt,  hat  sich  Ranke  nicht  mit  zureichender 
Klarheit  ausgesprochen.  Wenn  er  die  Ausdrücke  .herrschende  Ten- 
denzen" und  ,|kämpfende  Kräfte*  fast  als  Synonyma  gebraucht,  so 
erhellt,  wie  grosse  Bedeutung  er  dem  Gesetz  des  Gontrastes  beilegt; 
sie  lassen  aber  auch  vermuthen,  dass  er  dasselbe  yon  den  andern 
causalen  Principien  der  Geschichte  nicht  klar  unterschieden  hat.  Das 
eigenthümliche  Dunkel,  in  dem  er  die  Entstehungsweise  solch  neuer 
Tendenzen  lässt,  wenn  er  sie  schliesslich  aus  den  „unerforschten 
Tiefen  des  menschlichen  Geistes **  ableitet,  scheint  dies  zu  bestätigen. 
In  einem  Punkt  hat  jedoch  der  Scharfblick  des  vielerfahrenen  Histo- 
rikers die  Entstehungsweise  neuer  geistiger  Strömungen  zweifellos 
richtig  erfasst,  wenn  er  bemerkt,  sie  gelangten  zunächst  ,im  ein- 
zelnen starken  und  mächtigen  Individuen  zum  Durchbruch*,  um  dann 
in  immer  weitere  Kreise  zu  dringen,  dabei  aber  zugleich  ,|mit  dem 
äusseren  Leben  auf  das  sie  treffen  *  sich  selbst  wieder  einigermassen 
umzuwandeln.  Nur  bezieht  sich  freilich  dieser  Zug  mehr  auf  den 
äusseren  Verlauf  und  die  Ausbreitung  neuer  geschichtlicher  Bewe- 
gungen als  auf  ihre  geistigen  Ursachen.  Diese  können  eben  auch 
hier  nicht  historisch,  sondern  nur  psychologisch  begriffen  werden. 
Denn  sie  beruhen  auf  dem  Uebergang  der  Gefühls-  und  Willens- 
richtungen  in  ihre  Gegensätze,  der  Lust  in  Unlust,  des  Begehrens 
in  Widerstreben,  einer  Eigenschaft  ohne  die  es  keine  geistige  Ent- 
wicklung geben  würde,  da  nur  aus  jenen  fortwährend  zwischen 
entgegengesetzten  Phasen  oscillirenden  Schwankungen  neue  Motive 
hervorgehen  und  sich  in  ihrem  Kampf  gegen  widerstreitende  Impulse 
verstärken  können.  Auf  diese  Weise  entspringen  die  historischen 
Contraste  unmittelbar  aus  dem  allgemeinen  psychologischen  Princip 
der  Contrastverstärkung  (S.  282),  einem  Princip  das  sich  vom 
individuellen  Seelenleben  aus  auf  alle  jene  objectiven  Erscheinungen 
überträgt,  die  schliesslich  in  den  Gemüthsbewegungen  und  Willens- 
handlungen der  Einzelnen  ihre  Quellen  haben. 

Diesem  Ursprung  gemäss  findet  sich  das  Gesetz  der  historischen 
Contraste  im  allgemeinen  am  deutlichsten  in  solchen  geschichtlichen 
Entwicklungen  ausgeprägt,  die  eine  bestimmte,  in  sich  zusammen- 
hängende Richtung  geistiger  Thätigkeit  umfassen.  So  könnte  man 
von  der  Geschichte  der  Philosophie  geradezu  sagen,  sie  sei  nichts 
anderes  als  eine  fortwährende  Geschichte  der  Contraste.  Theils 
neben  einander  theils  nach  einander  erheben  sicjx  Weltanschauungen, 
die  mit  wechselndem  Glück  um  die  Herrschaft  kämpfen  und  dabei 
stets  in  dem  Sinne  fördernd  auf  einander  einwirken,  dass  jede  Rieh- 


Historische  Gesetze.  417 

tiing  durch  den  Widerstand  den  sie  erfahrt  zu  grösserer  Vertiefung 
und  Vollendung  angetrieben  wird.  Nicht  anders  verhält  es  sich 
Qberall  sonst  in  Wissenschaft  und  Kunst.  Als  eine  Bedingung  des 
historischen  Fortschritts  bewährt  sich  aber  dieses  Gesetz  zumeist 
darin,  dass  die  in  der  Aufeinanderfolge  der  Zeiten  herrschenden 
Tendenzen  in  der  Regel  nach  Gegensätzen  wechseln,  wobei  dann 
freilich  der  unbedingten  Vorherrschaft  einer  bestimmten  Richtung 
eine  üebergangsperiode  vorherzugehen  pflegt,  in  der  beide  neben 
einander  bestehen  und  die  eine  auf  die  andere  bald  verstärkend  bald 
aber  i^uch  mässigend  und  den  vollständigen  üebergang  allmählich 
vorbereitend  zurückwirkt.  Man  denke  z.  B.  an  den  Wechsel  der 
Sidlformen  in  der  Architektur,  an  den  Üebergang  aus  der  Gothik 
in  die  Renaissance,  aus  der  Renaissance  in  das  Barock,  eine  Ent- 
wicklung die  zugleich  anschaulich  zeigt,  wie  dieser  Wechsel  keines- 
wegs ein  Oscilliren  zwischen  gleich  bleibenden  Gegensätzen  ist, 
sondern  ein  Process  der  immer  wieder  neue,  der  Zeit  der  sie  an- 
gehören specifisch  eigenthümliche  Richtungen  hervorbringt.  Aehnlich 
erbebt  sich  in  der  neueren  deutschen  Literatur  wider  den  steifen, 
nach  französischem  Vorbild  zugeschnittenen  Classicismus  der  Zopf- 
zeit die  Sturm-  und  Drangperiode  mit  ihrer  Verachtung  des  Formen- 
zwangs und  ihrer  rückhaltlosen  Hingabe  an  das  ursprüngliche  Gefühl. 
Ans  ihr  entwickelt  sich  der  hellenisirende  Classicismus,  der  in  der 
massvollen  Beherrschung  des  StofiPs,  wie  sie  die  Natur  selbst  in 
ihren  vollendetsten  Gestaltungen  zeigt,  das  Ideal  der  Kunst  sieht. 
Gegenüber  der  Freude  an  der  schönen  Wirklichkeit,  von  der  diese 
Richtung  erfüllt  ist,  sucht  dann  die  Romantik  ihr  Ideal  in  der  über- 
sinnlichen Welt,  und  in  dem  so  entstandenen  Zwiespalt  zwischen 
Wirklichkeit  und  Ideal  fühlt  sie  sich  der  mystischen  Gefühlsrichtung 
des  mittelalterlichen  Christenthums  am  nächsten  verwandt.  Die 
Romantik  endlich  wird  abgelöst  durch  das  »junge  Deutschland',  eine 
Literaturströmung  die,  weitabgewandt  allen  Idealen  vergangener 
Zeiten,  in  der  geschäftigen  Wirklichkeit  des  Tages,  in  den  politi- 
schen und  socialen  Tendenzen  der  Gegenwart  den  Zweck  der  Kunst 
erblickt.  Wie  hier  in  einzelnen  geistigen  Bewegungen  die  Gegen- 
sätze sich  ablösen,  so  gilt  dies  aber  auch  zumeist  von  dem  Ge- 
sammtcharakter  der  auf  einander  folgenden  Zeiten.  In  der  That 
muss  ja  nach  dem  Gesetz  der  historischen  Relationen  jede  irgendwie 
tiefer  in  das  geschichtliche  Leben  eingreifende  geistige  Strömung 
auch  in  andern  Factoren  dieses  Lebens  durch  analoge  Ueberein- 
stimmungen   und  Gegensätze    sich    ausprägen.     So  bezeichnen    das 

Wandt,  Logik.  II,  a.    2.  Aufl.  27 


418  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Auftreten  der  Sophisten,  dann  die  im  Kampf  gegen  die  Sophistik 
erstehende  reformatorisch-idealistische  Wirksamkeit  des  Sokrates  und 
Plato,  endlich  die  kosmopolitische  und  zugleich  realistischere  Rich- 
tung des  Aristoteles  wechselnde  Gegensätze  im  Entwicklungsgang 
der  griechischen  Philosophie,  die  mit  den  Strömungen  des  öffent- 
lichen Lebens  auf  das  engste  zusammenhängen.  Der  rege  Handels- 
geist des  15.  Jahrhunderts,  das  neu  erwachte  Interesse  an  der 
Beobachtung  der  wirklichen  Welt,  das  sich  in  den  grossen  geo- 
graphischen Entdeckungen  ebenso  wie  in  mannigfachen  Versuchen 
einer  auf  neuen  Grundlagen  zu  errichtenden  Naturphilosophie  aus- 
spricht, endlich  die  unverkennbare  Vorherrschaft  der  weltlichen  Politik 
setzen  diese  Zeit  in  einen  vollen  Gegensatz  zu  dem  darauf  folgenden 
16.  Jahrhundert,  in  welchem  in  der  Literatur  wie  in  den  politischen 
Bewegungen  das  religiöse  Interesse  im  Vordergrund  steht.  Aber 
auf  diese  Periode  folgt  dann  im  17.  Jahrhundert  eine  Zeit,  in  der  die 
mächtigen  Fortschritte  der  Naturforschung  dem  gesammten  geistigen 
Leben  wieder  eine  weltliche  Richtung  geben;  nicht  minder  waltet 
diese  jedoch  in  den  politischen  Bestrebungen  vor,  bei  denen  der 
religiöse  Zwiespalt  nur  eine  äussere  Form  ist,  hinter  der  sich  der 
Kampf  um  die  weltliche  Herrschaft  verbirgt. 

In  dieser  Entwicklung  durch  Gegensätze  liegt  es  offenbar  be- 
gründet, dass  fast  jedes  Zeitalter  auf  das  ihm  unmittelbar  voran- 
gegangene mit  einer  gewissen  Geringschätzung  und  dagegen  auf  eine 
noch  frühere  Zeit  mit  sympathischer  Bewunderung  zurückblickt.  So 
fühlen  wir  uns  heute  den  Menschen  des  17.  Jahrhunderts  verwandter 
als  denen  des  18.,  abgesehen  von  den  den  üebergang  in  die  Jetzt- 
zeit vermittelnden  literarischen  Strömungen  der  letzten  Jahrzehnte 
desselben.  Aehnlich  hat  sich  vielleicht  der  Mensch  des  17.  Jahr- 
hunderts dem  des  15.  verwandter  gefühlt  als  der  ihm  unmittelbar 
vorausgegangenen  Generation.  Natürlich  ist  aber  jede  Zeit  geneigt, 
diejenige  Gultur  als  die  höhere  zu  schätzen,  der  sie  sich  selber  ver- 
wandt fühlt,  so  dass  ihr  nun  an  diesem  Masse  des  eigenen  Ideals 
gemessen  die  ganze  Vergangenheit  eine  Folge  wechselnder  Fort- 
schritte und  Rückschritte  zu  sein  scheint.  Von  einem  höheren  ge- 
schichtlichen Standpunkte  aus  betrachtet  erscheinen  solche  Vor- 
urtheile  als  subjective  Meinungen,  die  für  den  Geist  des  urtheilenden 
Zeitalters  selbst  charakteristisch,  objectiv  aber  ohne  Werth  sind. 
Jede  geschichtliche  Epoche  hat  ihre  Eigenart,  die  durch  den  Zu- 
sammenfluss  der  Bedingungen,  unter  denen  sie  sich  entwickelt  hat, 
nothwendig  so  und  nicht  ander.«  geworden  ist.    Diese  Eigenart  kann. 


Historische  Gesetze.  419 

an  dem  moralischen  Massstabe  gemessen ,    gut    oder    scUecht  sein. 
Aber  der  moralische  ist  nur  einer  unter  den  vielen  Factoren,  die  die 
geschichtliche  Beurtheilung   zu    beachten   hat.     Wer   möchte   selbst 
die  schlimmste  Zeit  des  Sittenverfalls  in  der  römischen  Eaiserperiode 
eine  geschichtlich  werthlose  nennen  —  eine  Zeit,  in  der  die  geistige 
Bildung  des  Alterthums  und  das  Ghristenthum  vereint  ihren  Sieges- 
zag durch  die  Welt  antraten?    So  wenig  es  physikalisch  betrachtet 
gute  und  schlechte  Naturerscheinungen  gibt,    gerade  so  wenig  gibt 
es  für  die  historische  Weltbetrachtung  gute  und  schlechte  Perioden 
der  Geschichte.     Der  Orund  freilich  dieser  Unzulässigkeit  absoluter 
Werthprädicate  ist  in  beiden  Fällen  wieder  ein  wesentlich  verschie- 
dener.    Für  die  Naturwissenschaft  liegt  er  darin,  dass  sie  überhaupt 
die  Dinge  absichtlich  aus  ihrer  Verbindung  mit  dem  die  Quelle  aller 
Werthbestimmungen  bildenden  geistigen  Leben  loslöst,   für  die  Ge- 
schichte  darin,    dass   diese  die  geschichtlichen  Erscheinungen  nicht 
isolirt  nach  ihrem  absoluten  ethischen  Werth  zu  prüfen,  sondern  in 
ihrem  Zusammenhang  mit  vorangegangenen,  gleichzeitigen  und  nach- 
folgenden Vorgängen   zu   untersuchen   hat.     In    diesem  Zusammen- 
hang betrachtet  ist  nun  zwar  die  Geschichte   ein  Gebiet,   das   die 
fortwährende  Erzeugung  ethischer  Werthe  zu  seinem   eigensten  In- 
halte hat.     Sie  ist  aber  auch  ein  Gebiet,  auf  dem  jede  Erscheinung 
neben   dem   absoluten  Werth,    den   wir  an  einem    unserer   eigenen 
sittlichen    Ueberzeugung    entsprechenden    ethischen    Ideale    messen, 
unmittelbar  noch   einen   relativen  .Werth   hat,    denjenigen    nämlich 
der  ihr   als   einem  nothwendigen  Moment  der   geschichtlichen  Ent- 
wicklung zukommt.      Dieses   relative   ist   nun   zugleich   das   einzige 
geschichtliche  Werthmass.     Denn   es   ist  ja  die  Aufgabe  der 
Geschichte,   die  Erscheinungen  nicht  isolirt  zu  betrachten,   sondern 
in  ihren  causalen  Verbindungen  und  Wechselwirkungen.     Hier  lehrt 
aber  vor  allem  das  Gesetz   der  historischen  Gontraste,    dass   das  an 
sich  Werthlose,  ja  das  ethisch  Verwerfliche  mittelbar  einen  hervor- 
ragenden   Antheil   an    der   Erzeugung    bedeutsamer    geschichtlicher 
Wirkungen   und  innerhalb  dieser   auch  an   der  Entstehung   solcher 
Erscheinungen   haben   kann,    denen   wir  selbst  im  absoluten  Sinne 
einen  hohen  ethischen  Werth  zugestehen  *). 


*)  In  unserer  Zeit  findet  man  namentlich  in  der  Literatur  die  Ansicht 
weit  verbreitet,  dass  wir  uns  in  einer  Periode  der  ,D6cadence*  befänden.  Von 
Entartung,  Weltuntergangsstimmung  und  ähnlichem  ist  viel  die  Rede,  und  man 
bringt  die  Erscheinungen,  die  in  diesem  Sinne  gedeutet  werden,  meist  durch 
eine  zwar  psychologisch  begreifliche,  aber  einer  aufgeklärten  Zeit  doch  eigent- 


420  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Während  sich  die  früher  betrachteten  historischen  Entwicklungs- 
gesetze zunächst  für  empirische  ausgaben  und  erst  nachträglich 
ihre  Rechtfertigung  in  bestimmten  psychologischen  Erwägungen  zu 
finden  suchten,  sind  die  drei  zuletzt  besprochenen  Beziehungsgesetze 
unmittelbare  Folgen  allgemeiner  psychologischer  Principien.  Hiermit 
steht  es  durchaus  im  Einklang,  dass  der  Werth  der  Entwicklungs- 
gesetze in  vielen  FäUen  ein  fragwürdiger  ist,  da  neben  den  psycho- 
logischen Motiven,  die  eine  Entwicklung  in  bestimmter  Richtung 
veranlassen,  immer  auch  Motive  von  entgegengesetzter  Richtung 
existiren  können.  Selbst  in  den  Fällen,  wo  solche  Entwicklungs- 
gesetze nicht  auf  einer  mangelhaften  Generalisation  oder  gar  auf 
vorgefassten  subjectiven  Forderungen  beruhen,  sind  sie  daher  von 
hypothetischer  Geltung.  Dagegen  besitzen  die  historischen  Bezieh- 
ungsgesetze in  demselben  Sinne  Allgemeingültigkeit,  wie  solche  den 
psychologischen  Principien  auf  die  sie  sich  gründen  zukommt.  Doch 
sind  sie  eben  darum  auch  nicht,  wie  die  Entwicklungsgesetze,  all- 
gemeine Abstractionen,  denen  sich  eine  grössere  Anzahl  thatsäch- 
licher  geschichtlicher  Erscheinungen  unterordnen  lässt,  sondern  sie 
sind  Maximen,  die  sämmtlich  stets  neben  einander  angewandt 
werden  müssen,  an  deren  Hand  dann  aber  jeder  concrete  geschicht- 
liche Zusammenhang  auf  seine  psychologischen  Bedingungen  zurück- 
geführt werden  kann. 


lieh  nicht  ganz  würdige  Ideenassociation  gar  noch  mit  dem  bevorstehenden 
£nde  des  Jahrhunderts  in  Verbindung.  Auch  diese  Geistesströmung  könnte 
man  vielleicht  unter  das  Gesetz  der  historischen  Gontraste  stellen.  Jedenfalls: 
war  die  Stimmung,  die  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  herrschte,  genau 
die  entgegengesetzte :  man  glaubte  damals  ziemlich  allgemein,  dass  die  Mensch- 
heit nunmehr  auf  einer  Gulturhöhe  angekommen  sei,  auf  der  es  eigentlich 
nichts  mehr  zu  wünschen  gebe.  Zweifellos  verhält  es  sich  mit  diesen  Selbst- 
beurtheilungen  genau  ebenso  wie  mit  den  bekannten  Antworten  auf  die  Frage, 
ob  die  Welt  die  beste  oder  die  schlechteste  unter  allen  möglichen  Welten  sei. 
Wie  diese  Antworten  für  das  Temperament  des  ürtheilenden  charakteristisch 
sind,  aber  an  der  Beschaffenheit  der  wirklichen  Welt  gar  nichts  ändern,  so 
dürfte  es  sich  auch  mit  der  Auffassung  verhalten,  die  eine  Zeit  von  sich  selbst 
hat.  Für  den  geistigen  Gharakter  derselben  sind  solche  Urtheile,  wenn  sie  sehr 
verbreitet  vorkommen,  bezeichnend,  aber  irgend  einen  objectiven  Werth  haben 
sie  nicht.  Ein  Auf  und  Ab  mannigfacher  Strömungen  und  Strebungen  findet 
sich  zu  jeder  Zeit.  Ob,  wenn  man  alle  directen  und  indirecten  Wirkungen 
zusammennimmt,  in  irgend  einem  Zeitpunkt  die  Summe  der  positiven  oder  der 
negativen  Werthe  überwiegt,  das  ist  eine  Frage,  die,  wie  oben  bemerkt,  nicht 
einmal  durch  die  objective  historische  Beurtheilung,  noch  viel  weniger  also 
jemals  durch  das  Urtheil  der  Mitlebenden  zu  entscheiden  ist. 


Zweckbegriff  in  der  Geschichte.  421 


d.    Der  Zweckbegriff  in  der  Geschichte. 

Da  alle  geschichtlicben  Vorgänge  aus  menschlichen  Handlungen 
ihren  unmittelbaren  Ursprung  nehmen,  das  menschliche  Wollen  aber 
stets  auf  irgend  welche  Zwecke  gerichtet  ist,  so  macht  in  der  Qe- 
schichte,  wie  in  allen  andern  Geisteswissenschaften,  der  Zweckbegriff 
nicht  bloss  dadurch  seine  Rechte  geltend,  dass  auf  Qrund  desselben 
ursächliche  Beziehungen  vermittelst  einer  von  den  Wirkungen  aus 
rückwärts  gerichteten  Analyse  verfolgt  werden  können,  sondern  auch 
in  jenem  engeren  Sinne,  in  welchem  bestimmte  objective  Zwecke 
selbst  als  causal  wirksame  Motive  in  die  geschichtlichen  Vorgänge 
eingreifen.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  646  und  oben  Cap.  I,  S.  49.)  Da  nun 
aber  neben  solchen  Zweckmotiven  jedenfalls  auch  andere  psycho- 
physische  wie  psychische  Bedingungen  an  der  Entstehung  und  dem 
Verlauf  der  geschichtlichen  Vorgänge  betheib'gt  sind,  so  stellt  sich 
die  teleologische  Geschichtsbetrachtung  von  vornherein  in  dem  Sinne 
in  einen  Gegensatz  zur  causalen,  als  diese  auf  eine  gleichmässigere 
Berücksichtigung  der  verschiedenen  Factoren  geschichtlicher  Ent- 
wicklung auszugehen  pflegt,  während  jene  einseitig  solche  Elemente 
herausgreift,  die  mit  den  in  Betracht  gezogenen  Motiven  in  unmittel- 
barer Verbindung  stehen.  Eine  solche  Abstraction  entspringt  stets 
aus  einer  bestimmten  philosophischen  Grundanschauung,  die  aber 
natürlich  nicht  in  einem  besonderen  System  der  Geschichtsphilosophie 
ausgearbeitet  zu  sein  braucht,  sondern  ebenso  gut  der  speciellen 
historischen  Untersuchung  selbst  immanent  sein  kann.  In  der  That 
beruhen  ja  durchweg  die  verschiedenen  Richtungen  der  Geschichts- 
forschung auf  bestimmten  geschichtsphilosophischen  üeberzeugungen, 
in  denen  sich  zugleich  allgemeinere  philosophische  Weltanschauungen 
spiegeln.  (Vgl.  oben  S.  322  ff.)  Indem  jede  dieser  Richtungen  eine 
bestimmte  Seite  der  historischen  Entwicklung  als  allein  oder  vorzugs- 
weise der  Berücksichtigung  werth  herausgreift,  vertritt  sie  auch  eine 
bestimmte  Anschauung  über  das  Ziel  der  Geschichte.  Denn  aus- 
drücklich oder  stillschweigend  ist  mit  einer  solchen  Betrachtungs- 
weise stets  die  Forderung  verbunden,  dass  die  weitere  Ausgestaltung 
derjenigen  menschlichen  Entwicklungen,  die  man  als  den  eigentlichen 
Inhalt  der  Geschichte  ansieht,  das  Ziel  der  Geschichte  sei.  Wie 
jede  Geschichtsphilosophie,  selbst  die  des  Materialismus,  ihrem  Wesen 
nach  teleologisch  ist,  da  sie  bestimmten  historischen  Thatsachen 
einen  höheren  Werth   beimisst   als   andern  und  demzufolge  die  ge- 


422  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

schichtliche  Entwicklung  im  Sinne  dieser  Werthbestimmnng  sowohl 
in  dem  was  sie  erreicht  hat  wie  in  dem  was  noch  zu  erreichen  ist 
beurtheilt,  so  ist  auf  der  andern  Seite  jede  allgemeinere  Geschichts- 
betrachtung, wie  sehr  sie  sich  auch  bemühen  mag  den  Boden  der 
Thatsachen  festzuhalten,  bis  zu  einem  gewissen  Qrade  eine  teleo- 
logische und  darum  ebenfalls  geschichtsphilosophische,  weil  jeder 
historische  Zusammenhang  die  Frage  nach  den  erreichten  oder  noch 
zu  erreichenden  Zwecken  herausfordert,  hinter  einer  Summe  einzelner 
Zwecke  aber  stets  mindestens  ein  relatiy  letztes  Ziel  angenommen 
werden  muss,  auf  das  die  Entwicklung  ausgeht.  Dieser  mit  Noth- 
wendigkeit  in  eine  Geschichtsphilosophie  irgend  welcher  Art  ein- 
mündenden Teleologie  würde  die  Geschichte  nur  dann  ledig  werden, 
wenn  sie  überhaupt  leugnete,  dass  es  zwischen  den  einzelnen  Zweck- 
motiven historischen  Geschehens  einen  Zusammenhang  gebe. 

Es  entspricht  ganz  diesem  oft  abgeleugneten,  aber  in  den 
Problemen  selbst  unabänderlich  begründeten  Zusammenhang  zwischen 
Geschichtswissenschaft  und  Geschichtsphilosophie,  dass  die  Systeme 
der  letzteren  keineswegs,  wie  es  nach  den  Aeusserungen  mancher 
Historiker  scheinen  könnte,  gänzlich  ausserhalb  der  Entwicklung  der 
historischen  Forschung  liegen.  Vielmehr  reflectiren  sich  deuthch 
in  dieser  die  allgemeinen  philosophischen  Richtungen,  und  zumeist 
sind  sogar  die  geschichtsphilosophischen  Ideen  den  ihnen  entsprechen- 
den Richtungen  der  Einzelforschung  vorausgegangen.  Auch  wo  ein 
offenkundiger  Einfluss  nicht  nachzuweisen  ist,  wird  man  daher  jene 
verborgeneren  Wirkungen  annehmen  müssen,  die  überall  geistige 
Bewegungen  auf  einander  ausüben.  So  findet  der  Gegensatz  der 
culturgeschichtlichen  und  der  politischen  Richtung  der  Geschichts- 
wissenschaft in  dem  Widerstreit  der  geschichtsphilosophischen  An- 
schauungen Herders  und  Kants  sein  Vorbild.  Auf  die  Noth- 
wendigkeit  einer  allseitigen  Beachtung  der  sämmtlichen  physischen 
wie  psychischen  Factoren  der  Geschichte  die  Historiker  eindringlich 
hingewiesen  und  so  der  Geschichte  das  Ziel  einer  den  gesammten 
Inhalt  der  geistigen  Kräfte  und  ihrer  Bethätigungen  umfassenden  Dar- 
stellung gesteckt  zu  haben,  ist  Herders  unvergängliches  Verdienst. 
Mochte  auch  die  Ausführung  in  Anbetracht  der  unvollkommenen 
Hülfsraittel  über  die  er  verfügte  noch  so  mangelhaft  und  vielfach 
durch  dichterisch  ansprechende,  aber  logisch  unhaltbare  Combinationen 
und  Analogien  getrübt  sein:  der  Geist  der  Herder'schen  Anschauung 
wirkte  in  der  Geschichtsforschung  nach  von  Heerens  ^Ideen* 
an,   die   schon   im  Namen   an  ihr  philosophisches  Vorbild  erinnern. 


Zweckbegriff  in  der  Geschichte.  423 

bis  herab  auf  Taines  Theorie  des  ^ Milieu*^.  Den  Gedanken,  dass 
die  Geschichte  eine  in  sich  zusammenhängende  Entwicklung  sei,  hat 
nun  zwar  auch  Herder  schon  Yorgefunden.  Aber  die  Bedeutung 
seines  Werkes  liegt  darin,  dass  er  trotz  der  auch  von  ihm  noch 
Läufig  gewählten  theologischen  Einkleidung,  die  an  den  Gedanken 
der  , Erziehung**  anknüpft,  als  die  Kräfte  dieser  Entwicklung  überall 
solche  nachzuweisen  sucht,  die  dem  menschlichen  Geiste  selbst 
immanent  sind,  und  die  zugleich  durch  die  Wirkung  äusserer  Natur- 
bedingungen ausgelöst  und  in  ihrer  besonderen  Wirkungsweise  be- 
stimmt werden.  In  diesem  Sinne  hat  Herder  als  der  Erste  das 
Beispiel  einer  genetischen  Geschichtsbetrachtung  gegeben *) . 
Freilich  hat  er  noch  nicht  ganz  mit  dem  Gedanken  gebrochen,  dass 
das  Ziel  der  Geschichte  ein  transcendentes,  dass  also  diese  um  eines 
Zweckes  willen  da  sei,  der  selbst  jenseits  aller  Geschichte  liege. 
Aber  indem  er  in  der  ^Entwicklung  zur  Humanität"  diesen  Zweck 
sieht  und  unter  der  Humanität  nichts  anderes  versteht  als  die  Summe 
der  thatsächlich  in  dem  Menschen  wirkenden  geistigen  Anlagen,  ist 
ihm  doch  der  transcendente  Zweck  zugleich  ein  der  Menschheit  zu 
jeder  Zeit  immanenter.    Jenes  an  das  Ende  der  Geschichte  verlegte 


*)  Eugen  Kühnemann  (Preuss.  Jahrbb.,  Bd.  77,  1894,  S.  342  ff.)  be- 
zeichnet es  als  eine  Illusion,  dass  Herder  den  Entwicklungsgedanken  für  die  Be- 
trachtung der  Geschichte  begründet  habe.  „Zur  wissenschaftlichen  Begründung 
des  Entwicklungsgedankens  fehlt  ihm  nicht  viel  weniger  als  alles.*  (S.  358 
Anm.)  Natürlich  ist  dieses  ürtheil  ein  relatives.  Es  fragt  sich,  was  man  unter 
«wissenschaftlicher  Begründung*  versteht.  Nimmt  man  diese  im  exactesten 
Sinne,  so  Hesse  sich  ja  zweifeln,  ob  heute  schon  eine  solche  Begründung 
existire.  Sieht  man  aber  das  Wesen  des  gegenwärtig  zur  Herrschaft  gelangten 
Entwicklungsgedankens  darin,  dass  die  Voraussetzungen  über  die  Kräfte  dieser 
Entwicklung  nicht  transcendenten  Zweckbegriffen,  sondern  den  thatsächlichen 
Factoren  der  Geschichte  selber  entnommen  werden,  so  kann  es  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  Herders  Geschichtsphilosophie  im  wesentlichen  in  diesem 
Geiste  ausgeführt  ist.  Auch  scheint  es  mir  mit  jenem  abfälligen  Urtheil  wenig 
im  Einklang  zu  stehen,  wenn  Eühnemann  selbst  von  Herders  Darstellung 
des  Griechen thums  sagt,  sie  sei  „die  erste  und  wahre  Entwicklungsgeschichte 
einer  Volksseele,  die  geschrieben  ward",  und  von  seiner  Entstehungsgeschichte 
deä  neueren  Europa,  sie  sei  ,in  dem  Ineinandergreifen  anthropologischer  Be- 
schreibung, religiöser  Gedanken  und  culturgeschichtlicher  Momente  ein  einfach 
nnd  einheitlich  geschlossenes  Kunstwerk  von  gprossartiger  Wirkung'  (S.  344). 
Gerechter  als  die  Philosophen,  die  in  ihrer  Auffassung  Herders  noch  meist 
in  Kants  Spuren  wandeln,  haben  in  neuerer  Zeit  die  Historiker  die  Bedeutung 
Herders  für  die  moderne  Geschichtsauffassung  gewürdigt.  Vgl.  Bernheim, 
Geschichtsforschung  und  Geschichtsphilosophie,  1880,  S.  14  ff.,  und  Buchholz, 
Deutsche  Zeitschr.  für  Geschichtswissensch.,  Bd.  2,  S.  20  ff. 


424  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Ideal  wird  so  zu  einem  wenigstens  in  relativen  Annäherungen  bereits 
erreichten,  und  die  Transcendenz  des  geschichtsphilosophischen  Be- 
griffs ist  nahe  daran  sich  in  ein  ethisches  Ideal  zu  verwandeln. 
Kant  vermochte  es  nicht  zureichend,  das  bleibend  WerthvoUe  in 
Herders  Ideen  von  den  Verirrungen  einer  überströmenden  Ein- 
bildungskraft und  der  verfehlten  Einmischung  erbaulicher  Tendenzen 
zu  sondern.  Bei  der  gänzlich  abweichenden  Art  seines  Denkens 
mussten  ihm  diese  Mängel  des  Herder'schen  Werkes  vor  allem 
ins  Auge  fallen,  um  so  mehr  da  er  selbst  schon  im  Einklang  mit 
den  Grundgedanken  seiner  kritischen  Philosophie  die  Idee  eines 
transcendenten  Zwecks  der  Geschichte  ungleich  klarer  als  Herder 
zu  einem  weder  jemals  erreichbaren  noch  auch  in  Begriffen  sicher 
zu  fixirenden  ethischen  Postulate  ermässigt  hatte '^).  Doch  indem  er 
diesen  idealen  Zweck  der  Geschichte  in  einer  «auch  äusserlich  voll- 
kommenen Staatsverfassung '^  sah,  als  dem  Zustande  in  welchem  die 
Menschheit  alle  in  ihr  vorhandenen  Anlagen  völlig  entwickeln  könne, 
wird  Kants  Geschichtsphilosophie  zur  Vertreterin  einer  einseitig 
politischen  Auffassung  der  Geschichte,  welche  zwar  die  sonstigen 
Momente  menschlicher  Entwicklung  nicht  ganz  vernachlässigt,  aber 
als  etwas  Secundäres,  als  eine  Wirkung  der  politischen  Verhältnisse 
ansieht.  Es  waltet  dabei  offenbar  zugleich  die  Vorstellung,  dass 
alle  diese  übrigen  Bestandtheile  und  insbesondere  die  geistigen 
Factoren  der  Cultur  nicht  wie  die  Staatsverfassungen  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  als  solcher  angehörten,  sondern  dass  sie  nur  für 
den  Einzelnen  der  sie  besitzt  ein  Gut  seien.  So  wirkt  in  dieser  Auf- 
fassung Kants  die  individualistische  Gesellschaftstheorie  der  voran- 
gegangenen Zeit,  vornehmlich  Rousseaus  nach,  und  er  bestimmt 
daher  auch  ganz  im  Sinne  dieser  Theorie  jenes  Staatsideal,  das  ihm 
als  das  Ziel  der  Geschichte  gilt.  Es  soll  einen  Zustand  der  Gesell- 
schaft verwirklichen,  der  fQr  jeden  Einzelnen  nur  so  viel  Zwang  in 
sich  schliesse,  als  für  den  Bestand  der  Gesellschaft  und  zugleich  für 
die  möglichst  freie  und  vollkommene  Entfaltung  der  individuellen 
Anlagen  erforderlich  sei.  Ist  dieses  Verfassungsideal  nur  nach  dem 
ethischen  Bedürfniss  des  Einzelnen  entworfen,  so  wird  aber  die  ge- 
schichtliche Entwicklung,  als  deren  letzter  Zweck  jenes  Ideal  gilt, 
selbst  zu  einem  blossen  Spielraum  für  die  Entfaltung  individueller 
Kräfte.     Mit  der  grösstmöglichen,  nach  Vernunftgesetzen  geregelten 

*)  Kant,  Idee  zu  einer  allgemeinen  Geschichte  in  weltbürgerlicher  Ab- 
sicht. 1784.  Werke  von  Rosenkranz  und  Schubert,  Bd.  7,  S.  817  ff.  Kritik  des 
ersten  Theils  von  Herders  Ideen.   1785.    Ebend.  S.  339  ff. 


Zweckbegriff  in  der  Oeschichte.  425 

Freiheit  der  Einzelnen  ist  das  Ziel  der  Oeschichte  erreicht.  So  fehlt 
Kant  gerade  das  was  Herders  Qeschichtsphilosophie  ausgezeichnet 
hatte :  der  Blick  auf  das  Ganze,  die  Erkenntniss,  dass  sich  die  Ent- 
wicklung des  menschlichen  Qeistes  in  der  Menschheit,  nicht  in 
dem  einzelnen  Menschen  vollende,  und  dass  innerhalb  der  Mensch- 
heit wieder  jedes  einzelne  Volk  und  jede  einzelne  Periode  diesen 
Geist  nach  einer  andern  Seite  hin  offenbare.  In  allem  dem  ist 
Herder  der  volle  Gegensatz  zur  individualistischen  Auffassung  des 
vorigen  Jahrhunderts,  während  Kant  wieder  zu  dieser  zurückkehrt. 
Der  völlig  ungeschichtlichen  Anschauung  der  vorangegangenen  Zeit 
ist  freilich  auch  Kant  entwachsen.  Die  Geschichte  selbst  ist  ihm 
weder  ein  ewig  sich  gleich  bleibendes  Hin-  und  Herwogen  streitender 
Kräfte  ohne  Entwicklung,  noch  auch  eine  bloss  durch  einzelne  her- 
vorragende Individuen  gemachte  Reihe  von  Begebenheiten ,  sondern 
er  glaubt  in  ihrem  Verlauf  einen  »verborgenen  Plan  der  Natur **  zu 
erkennen,  ^um  eine  vollkommene  Staatsverfassung  zu  Stande  zu 
bringen,  als  den  einzigen  Zustand  in  welchem  sie  alle  ihre  An- 
lagen in  der  Menschheit  völlig  entwickeln  könne '.  Aber  gerade 
hier  erinnern  Kants  Worte  durchaus  noch  an  die  hergebrachte  Idee 
der  »Erziehung*,  in  der  in  der  ganzen  Geschichtsphilosophie  des 
18.  Jahrhunderts  die  transcendente  Theorie  des  christlichen  Mittel- 
alters nachklingt.  In  der  Bemerkung,  dass  das  Mittel  zur  Er- 
reichung dieses  Zwecks  der  »Antagonismus  der  menschlichen  An- 
lagen", der  Widerstreit  zwischen  der  Selbstsucht  und  den  socialen 
Trieben  des  Menschen  sei,  ist  freilich  zugleich  der  Versuch  an- 
gedeutet, jenen  »verborgenen  Plan  der  Natur '^  mittelst  empirischer 
Motive  zu  erklären,  ein  Versuch  den  man,  ebenso  wie  manche  ähn- 
liche Ausführungen  Herders,  als  eine  Anticipation  Darwin'scher 
Gedanken  betrachten  könnte  *). 

Die  einseitig  politische  Auffassung  Kants  setzt  sich  auf  Fichte 
und  Hegel  fort,  bei  welchem  letzteren  sie  sich  zugleich,  wenn  auch 
nicht  in  der  Bestimmung  des  Endzwecks  der  Geschichte,  so  doch  in 
dem  Einzelnen  der  historischen  Betrachtung,  mit  der  universelleren 
Auffassung  Herders  verbindet.  Aus  dieser  Verbindung  sind  zwei 
wichtige  Gedanken  hervorgegangen,  mit  denen  Hegels  Geschichts- 
philosophie theils  direct  theils  durch  ihr  Zusammentreffen  mit  den 
vorhandenen  Zeitströmungen  in   der    historischen  Wissenschaft  der 

*)  Für  Herder  sucht  dies  in  der  That  nacb^uweisen  Fr.  v.  Bärenbach, 
Herder  als  Vorläufer  Darwins  und  der  modernen  Naturphilosophie,  1877;  für 
Kant  Fritz  Schultze,  Kant  und  Darwin,  1875. 


426  Logik  der  Geschichte wissenBchaften. 

folgenden  Jahrzehnte  nachwirkt.  Der  eine  dieser  Gedanken  bestand 
in  der  Annahme  einer  streng  gesetzmässigen  historischen 
Entwicklung.  Mochte  dieser  Gedanke  auch  in  dem  logischen 
Schematismus  der  HegeFschen  Dialektik  einen  yerkünstelten ,  seine 
natürliche  Triebkraft  schädigenden  Ausdruck  finden,  an  sich  selbst 
war  er  doch  zu  werthvoll,  um  unfruchtbar  zu  bleiben.  Der  zweite 
folgenreiche  Gedanke  war  die  Voraussetzung,  dass  die  Kräfte  der 
historischen  Entwicklung  dieser  selbst  immanent  seien. 
Nicht  in  abstracten  und  transcendenten  Ideen,  nicht  in  einem  ,  ver- 
borgenen Plan  der  Natur*  bestehen  diese  Kräfte,  sondern  in  den 
concreten  Entwicklungen  der  Geschichte,  in  denen  jede  Erscheinung 
aus  andern  Erscheinungen  mit  Nothwendigkeit  hervorgeht.  Freilich 
wird  dieser  Gedanke  wiederum  dadurch  eines  guten  Theils  seiner 
Bedeutung  beraubt,  dass  Hegel  jene  Entwicklung  auf  eine  logische 
Zeugungskraft  der  Begriffe  zurückführt,  statt  sie  aus  den  psychi- 
schen Kräften  abzuleiten,  die  durch  das  Zusammenspiel  der  ge- 
schichtlichen Bedingungen  ausgelöst  werden.  Gerade  hier  musste  aber 
der  Uebergang  dieser  Auffassung  in  die  concrete  historische  Forschung 
jenen  Mangel  beseitigen.  Denn  der  Historiker  hat  es  ja  nicht  mit 
logischen  Kategorien  zu  thun,  sondern  mit  den  realen  Mächten  des 
Lebens,  wie  sie  sich  aus  dem  Zusammenhang  der  geschichtlichen 
Vorgänge  ergeben.  Ungleich  dauernder  wirkte  dagegen  die  einseitig 
politische  Auffassung  der  Geschichtsphilosophie  Kants  und  Hegels 
in  der  Geschichtsforschung  nach.  Traf  doch  jene  in  diesem  Punkte 
mit  einer  ohnehin  schon  herrschenden  Tendenz  zusammen.  Anfang- 
lich aus  der  den  politischen  Vorgängen  vor  allen  andern  socialen 
Erscheinungen  zukommenden  Eigenschaft  der  unmittelbareren  und 
augenfälligeren  Wirksamkeit  hervorgegangen,  wurde  diese  Bevor- 
zugung in  der  Zeit,  da  die  neuere  Geschichtsphilosophie  sich  aus- 
bildete, noch  durch  den  Umstand  begünstigt,  dass  die  Rechtswissen- 
schaft die  einzige  zur  allgemeinen  Anerkennung  gelangte  Gesell- 
schaftswissenschaft war,  und  dass  die  Theorien  des  Naturrechts  über 
Entstehung,  Umwandlung  und  Zweck  der  Verfassungen  ganz  das 
öffentliche  Interesse  beherrschten.  So  hat  denn  auch,  abgesehen 
von  dem  indirecten  Einflüsse  der  Naturforschung,  theils  das  Auf- 
blühen anderer  Socialwissenschaften,  namentlich  der  Nationalökonomie, 
theils  das  wachsende  Interesse  für  die  geschichtliche  Behandlung  der 
verschiedenen  Gebiete  der  materiellen  und  der  geistigen  Cultur  all- 
mählich jene  culturgeschichtlichen  Richtungen  entstehen  lassen,  in 
denen,    wenn   auch  manchmal  getrübt   durch  die  Bevorzugung  ein- 


Zweckbegriff  in  der  Geschichte.  427 

seiner  Factoren,  die  universellere  QeschichtsauffassuDg  Herders  in 
der  Einzelforschung  zu  ihrem  Recht  kommt. 

Auf  dem  so  gewonnenen  Standpunkte,  wie  er  einerseits  durch 
die  Voraussetzung  der  Immanenz  der  geschichtlichen  Kräfte,  ander- 
seits durch  die  Ausdehnung  der  historischen  Betrachtung  auf  die 
Gesammtheit  der  direct  oder  indirect  für  die  menschliche  Entwick- 
lung werthyoUen  Elemente  der  Cultur  bestimmt  ist,  gewinnt  nun 
der  Zweckbegriff  der  Geschichte  von  selbst  einen  doppelten 
Inhalt.  Zunächst  trägt  jede  geschichtliche  Erscheinung  ihren  Werth 
in  sich  selber.  Wie  ein  gegebener  staatlicher,  wirthschaftlicher  und 
geistiger  Zustand  aus  immittelbar  vorhandenen  Bedürfnissen  ent- 
springt und  die  nämlichen  Bedürfnisse  zu  befriedigen  sucht,  so  ist 
auch,  im  Licht  der  Qeschichte  betrachtet,  jedes  Volk,  jeder  Staat, 
die  Cultur  jeder  Geschichtsepoche  um  ihrer  selbst  willen  da;  und 
die  historische  Beurtheilung  hat  daher  alle  diese  Erscheinungen  zu- 
nächst nach  dem  Werthe  zu  schätzen,  den  sie,  ohne  Rücksicht  auf 
andere  Zeiten  und  andere  Völker,  in  sich  selbst  tragen.  Würde 
dieser  unmittelbare,  allen  historischen  Entwicklungen  immanente 
Zweck  nicht  anerkannt,  so  würde  damit  in  Wahrheit  der  reale  Werth 
der  Geschichte  selbst  aufgehoben.  Denn  indem  jeder  einzelne  ge- 
schichtliche Inhalt  niemals  Selbstzweck  wäre,  sondern  immer  nur 
Mittel  zur  Erreichung  eines  Folgenden,  worauf  dann  dieses  sich 
ebenfalls  in  ein  blosses  Mittel  für  fernere  Zwecke  verwandelte  und 
80  fort  ins  unendliche,  würde  auch  der  Zweck  der  Geschichte  über- 
haupt jenseits  aller  Geschichte  oder  doch  mindestens  ganz  und  gar 
jenseits  derjenigen  Geschichte  liegen,  die  den  Inhalt  der  historischen 
Wissenschaft  ausmacht. 

Aber  so  nothwendig  dieser  nächste  Zweck  nicht  bloss  aner- 
kannt, sondern  sogar  als  der  betrachtet  werden  muss,  mit  dem  es 
die  Geschichte  vor  allem  zu  thun  hat,  so  führt  doch  nicht  minder 
dieser  nächste  zu  einem  weiteren  Zweckbegriff,  sobald  man  nur  zu- 
gibt, was  die  Voraussetzung  aller  Geschichte  ist,  dass  jeder  geschicht- 
liche Zustand  Product  einer  Entwicklung  sei  und  seinerseits  wieder 
zur  Grundlage  anderer  aus  ihm  hervorgehender  Entwicklungen  werde. 
So  unangetastet  in  der  That  wir  auch  etwa  unseren  germanischen 
Vorfahren  oder  den  Völkern  des  classischen  Alterthums  ihre  selb- 
ständigen Lebenszwecke  lassen  mögen,  ohne  jede  Rücksicht  auf  das 
was  wir  selbst  ihnen  verdanken,  so  bleibt  es  doch  nicht  abzuleugnen, 
dass  unser  eigenes  Leben  seinen  Inhalt  nur  in  Folge  dieser  voraus- 


428  Logik  der  (Geschichtswissenschaften. 

gegangenen  geschichtlichen  Entwicklungen  gewinnen  konnte,  und 
dass  uns  daher  unter  diesem  Gesichtspunkte  die  ganze  vorange- 
gangene Geschichte  zugleich  als  ein  Mittel  zu  dem  nun  erreichten 
Ziel  erscheinen  muss.  Aber  da  mit  dem  gegenwärtigen  Zeitptmkt 
die  Geschichte  keineswegs  vollendet  ist,  sondern  zu  immer  neuen 
und  neuen  Entwicklungen  fortschreitet,  so  ist  es  nun  unvermeid- 
lich, dass  wir  die  nämliche  Anschauung  auch  auf  das  Yerhaltniss 
der  Gegenwart  zur  Zukunft  übertragen,  indem  wir  in  demselben 
Sinne,  in  dem  uns  die  vorangegangene  geschichtliche  Entwicklung 
als  ein  Mittel  zur  Erreichung  des  gegenwärtigen  Zustandes  gilt,  so 
auch  uns  selbst  und  unsere  ganze  Cultur  als  eine  Vorstufe  aller  der 
Entwicklungen  betrachten,  die  nach  uns  kommen.  In  der  That  ist 
das  die  Anschauung,  von  der  die  praktische  Wirksamkeit  des 
Menschen  in  Staat  und  Gesellschaft  überall  durchdrungen  ist.  Wir 
betrachten  es  als  unser  Recht  die  Güter  der  Cultur  zu  geniesseu; 
aber  wir  sehen  es  auch  für  unsere  Pflicht  an,  diese  Güter  für  kommende 
Geschlechter  zu  bewahren  und  zu  mehren.  Die  sittliche  Werth- 
beurtheilung  nimmt  diesen  mittelbaren  Erfolg  des  Handelns,  seine 
Wirkung  auf  Andere  und  auf  ein  dem  eigennützigen  Streben  vöUig 
entrücktes  Ideal  zu  ihrem  ausschliesslichen  Massstabe,  indem  ihr  die 
handelnde  Persönlichkeit  selbst  niemals  als  letzter,  sondern  immer 
nur  als  nächster  Zweck  gilt,  der  sich  allgemeineren  Zwecken  unter- 
ordnet. Denn  die  sittliche  Beurtheilung  richtet  sich  nicht  nach  dem 
objectiven  Werth  der  durch  menschliche  Thätigkeit  erzeugten  Güter, 
sondern  nach  der  subjectiven  Grösse  der  Pflichterfüllung,  und  diese 
misst  sie  an  dem  Masse  der  Selbstlosigkeit.  So  fallen  für  sie 
nur  diejenigen  Lebensgüter  in  Rechnung,  die  der  Handelnde  nicht 
für  sich  sondern  für  Andere  und  im  letzten  Grunde  für  die  Mensch- 
heit erstrebt*). 

Nun  ist  die  geschichtliche  von  der  sittlichen  Werthbeur- 
theilung  darin  verschieden,  dass  jene  die  einzelne  Zeit,  das  einzelne 
Volk,  endlich  die  einzelne  Persönlichkeit  nicht  bloss  an  dem  misst 
was  sie  für  das  Ganze,  also,  da  uns  in  anderer  Weise  dies  Ganze 
nicht  gegeben  ist,  für  den  kommenden  Verlauf  der  Geschichte  sind, 
sondern  auch  nach  dem  was  sie  für  sich  selber  waren.  Die  geschicht- 
liche Beurtheilung  ist  also  hier  die  umfassendere,  und  darum  ist 
für  sie  der  moralische  Masstab  nur  einer  neben  andern.  Dagegen 
würde  es  nicht  minder  einseitig  sein  und  ebensowohl  dem  Zusammen- 


*)  Vgl.  meine  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  496  f. 


Zweckbegri£F  in  der  Geschichte.  429 

hang  des  historischen  Qeschehens  selbst  wie  einer  genetischen  Auf- 
fassung der  Geschichte  widerstreiten,  wenn  man  nun  umgekehrt  den 
Zweck  einer  geschichtlichen  Erscheinungsgruppe  bloss  in  dem  sehen 
wollte  was  diese  für  sich  selber  gewesen  ist.  Wenn  daher  Ranke 
gesagt  hat,  der  Werth  einer  Epoche  beruhe  ,,gar  nicht  auf  dem  was 
ans  ihr  hervorgeht,  sondern  in  ihrer  Existenz  selbst,  in  ihrem  eigenen 
Selbst**),  so  mag  diese  Aeusserung  als  Zurückweisung  einer  trans- 
cendenten  Geschichtsphilosophie  begreiflich  sein.  Gleichwohl  ent- 
hält sie  nur  die  Hälfte  der  Wahrheit,  wie  im  Grunde  Ranke  selbst 
anerkennt,  wenn  er  unmittelbar  darauf  hervorhebt,  der  Historiker 
habe  auch  ,|den  Unterschied  zwischen  den  einzelnen  Epochen  wahr- 
zunehmen, um  die  innere  Nothwendigkeit  der  Aufeinanderfolge  zu 
betrachten''.  Wie  wäre  das  möglich,  ohne  dass  man  einer  Epoche 
auch  ihre  Stellung  in  der  Reihe  auf  einander  folgender  Entwick- 
lungen anweist,  wo  sie  dann  jeder  folgenden  Stufe  gegenüber  die 
Bedeutung  einer  Vorbereitung,  also  teleologisch  betrachtet  eines 
Mittels  zum  Zweck  hat?  Der  Vorwurf,  den  Ranke  gegen  eine  der- 
artige Zweckbestimmung  erhebt,  dass  sie  gleichsam  jede  Generation 
zu  Gunsten  der  nach  ihr  kommenden  mediatisire,  besteht  nur  so 
lange  zu  Recht,  als  man  den  selbständigen  Zweck  des  Einzelnen 
ganz  leugnet  und  so  einen  Gesichtspunkt  einseitig  moralischer  Werth- 
beurtheilung  unmittelbar  auf  die  Geschichte  überträgt**). 


♦)  Ranke,  Weltgeschichte,  Bd.  IX,  2,  S.  5. 

**)  Es  mag  sein,  dass  der  Charakter-  zwanglos  und  doch  zugleich  durch 
die  Persönlichkeit,  fQr  die  sie  bestimmt  waren  (König  Max  von  Bayern),  nicht 
ohne  jeden  äusseren  Zwang  gehaltener  Vorträge,  der  den  im  Schlussband  der 
Weltgeschichte  veröffentlichten  .Epochen  der  Weltgeschichte*  anhaftet,  hier  auf 
den  Gedankenausdruck  Rankes  nicht  ganz  ohne  Einfluss  gewesen  ist.  Dennoch 
wird  man  auch  nach  den  sonstigen  Aeusserungen  des  grossen  Historikers  an- 
nehmen müssen,  dass  ihn  zwar  sein  feiner  historischer  Takt  hier  in  der  ent- 
schiedenen Abweisung  der  speculativen  Geschichtsphilosophie  den  richtigen  Weg 
gefilhrt  hat,  dass  aber  doch  seine  eigenen  geschichtsphilosophischen  Gedanken 
an  einer  gewissen  Unbestimmtheit  leiden,  und  dass  er  sich  selbst  von  der  An- 
wendung des  transcendenten  Zweckbegriffs  auf  die  Geschichte  insofern  noch 
nicht  frei  gemacht  hat,  als  seine  Teleologie  überall  von  der  Idee  einer  unmittel- 
baren providentiellen  Lenkung  der  Geschichte  beherrscht  ist  So  wenn  er  sagt : 
,Jede  Epoche  ist  unmittelbar  zu  Gott*,  und:  ,wenn  die  vorhergehenden  Gene- 
rationen immer  nur  die  Träger  für  die  nachfolgenden  wären,  so  würde  das 
eine  Ungerechtigkeit  der  Gottheit  sein*.  Wie  können  wir  uns  unterfangen  zu 
wissen,  was  für  Gott  Mittel  und  was  für  ihn  Zweck  ist?  Man  kann  es 
keinem  Historiker  verbieten,  dass  er  die  Gegenstände  seines  wissenschaftlichen 
Interesses  mit  seiner  religiösen  Weltanschauung  in  Einklang  zu  bringen  sucht. 


430  Logik  der  GeschichtswiBsenschsflen. 

Mit  der  Anerkennung  dieses  doppelten  Zwecks  geschichtlicher 
Entwicklung,  des  jeder  historischen  Erscheinung  selbst  immanenten 
und  des  in  ihr  bloss  latenten  und  in  ihren  ferneren  geschichtlichen 
Wirkungen  erst  actuell  werdenden,  ist  nun  zugleich  die  Frage  nach 
dem  Fortschritt  in  der  Geschichte  in  dem  Sinne  beantwortet, 
in  welchem  diese  Antwort  im  Qrunde  nur  eine  Voraussetzung  ist, 
die  jede  allgemeinere  historische  Forschung  bereits  an  ihren  Gegen- 
stand heranbringt.  Zwei  Vorstellungen  sind  von  vornherein  von 
dieser  Idee  des  historischen  Fortschritts  fernzuhalten,  weil  sie  in 
Wahrheit  diese  auf  ein  Gebiet  verlegen,  das  gar  nicht  das  Gebiet 
der  Geschichte  selbst  ist.  Die  erste  dieser  Vorstellungen  ist  jene 
Annahme  der  Geschichtsphilosophie,  dass  der  Fortschritt  der  Ge- 
schichte ein  Ziel  habe,  das  jenseits  aller  Geschichte  liege.  Die 
zweite  besteht  in  der  populären,  vielfach  aber  selbst  bei  Historikern 
verbreiteten  Meinung,  dass  dieser  Fortschritt  in  irgend  einer  sei  es 
intellectuellen  sei  es  moralischen  Vervollkommnung  der  einzelnen 
Menschen  bestehen  müsse. 

Die  erste  dieser  Vorstellungen  würde,  wenn  man  sie  folge- 
richtig durchführen  wollte,  der  geschichtlichen  Entwicklung  jeden 
in  ihr  selbst  ruhenden  Werth  nehmen,  da  sich  ihr  jeder  geschicht- 
liche Inhalt  in  ein  blosses  Mittel  verwandelt  zu  unerreichten  und 
möglicher  Weise  unerreichbaren  Zwecken.  Um  dem  zu  entgehen 
pflegen  daher  die  geschichtsphilosophischen  Systeme  dieser  Richtung 
in  den  Entwicklungsgesetzen,  die  sie  aufstellen,  und  die  wir  oben 
(S.  389  ff.)  an  einigen  hervorragenden  Beispielen  kennen  lernten,  das 
Ideal  einer  das  Ende  der  Geschichte  bildenden  Zukunft  in  ein  ganz 
oder  theilweise  schon  in  der  Gegenwart  erreichtes  zu  verwandeln. 
Indem  man  so  nicht  die  Geschichte  überhaupt,  sondern  nur  die  ge- 
schichtliche Vergangenheit  als  blosse  Vorbereitung  preisgibt,  liegt 
hierin  schon  ein  berechtigtes  Widerstreben  gegen  die  Zumuthung  den 
selbsterlebten  Inhalt  geschichtlicher  Ereignisse  nur  als  ein  Mittel  zu 
künftig  zu  erfüllenden  Zwecken  anzusehen.  Aber  dieses  Widerstreben 
reicht  nicht  über  den  Horizont  der  eigenen  Zeit  und  Umgebung: 
das  Recht  auf  eigenen  Werth,    das   man  für  die  erreichten  Zwecke 


Aber  eine  andere  Sache  ist  es  doch«  wissenschailliche  Yoraussetzungen  aaf  sub- 
jective  religiöse  Glaubensmotive  zu  gründen.  Ein  Astronom  z.  B.  mag  ans  dem 
Anblick  des  Weltgebäudes  religiöse  Erbebung  schöpfen.  Aber  er  hat  ebenso 
wenig  das  Recht,  mit  Copemikus  die  centrale  Stellung  der  Sonne  aus  der  Voll- 
kommenheit Gottes,  wie  mit  einigen  Anticopemikanem  des  16.  Jahrhunderts 
den  StiUstand  der  Erde  aus  der  Güte  Gottes  abzuleiten. 


Zweckbegriff  in  der  Geschichte.  431 

in  Anspruch  nimmt,  gönnt  man  nicht  in  gleicher  Weise  voran- 
gegangenen Generationen.  So  lebt  in  allen  diesen  Entwicklungs- 
theorien, ob  sie  nun  mit  Hegel  in  der  socialen  Gebundenheit  oder 
mit  Gomte  in  der  Vorherrschaft  der  theologischen  und  der  meta- 
physischen Vorstellungen  den  Charakter  der  vorübergegangenen  Peri- 
oden erblicken  mögen,  immer  noch  etwas  von  dem  selbstgenUgsamen 
Geiste  des  Aufklärungszeitalters,  das  auf  die  Mängel  und  Vorurtheile 
vergangener  Culturepochen  verächtlich  zurückblickte.  Und  so  will- 
kQrlich  diese  Auffassung  das  Ideal  der  eigenen  Zeit  zum  absoluten 
Masse  nimmt,  ebenso  willkürlich  pflegt  sie  einzelne  Momente  der 
geschichtlichen  Entwicklung,  wie  das  politische,  das  intellectuelle 
oder  gar  das  technisch- industrielle ,  also  wiederum  einzelne  Seiten 
jenes  Oulturideals  der  eigenen  Zeit,  zu  bevorzugen.  Durch  diese 
Abstraction  von  wichtigen  Bestandtheilen  der  geschichtlichen  Ent- 
wicklung wird  es  dann  um  so  leichter  möglich,  an  die  Stelle  des 
wirklichen  Inhalts  der  lebendigen  Geschichte  einen  willkürlich  er- 
fundenen logischen  Schematismus  zu  setzen,  der  zur  Charakteristik 
seines  Erfinders  oder  auch  der  geistigen  Strömung  der  dieser  an- 
gehört einiges  beitragen  kann,  für  die  Beurtheilung  der  wirklichen 
Geschichte  aber  gar  keinen  Werth  hat. 

Nicht  minder  verkehrt  ist  es  jedoch,  das  Mass  des  geschicht- 
lichen Fortschritts   der  individuellen   Vervollkommnung  zu    ent- 
nehmen, die  Frage  nach  der  Existenz  eines  solchen  Fortschritts  also 
entscheiden   zu  wollen,    indem  man   eine   Antwort  auf   die   andere 
Frage  sucht,  ob  die  einzelnen  Menschen  in  ihren  moralischen  oder 
intellectuellen  Eigenschaften  im  Lauf  der  Geschichte  vollkommener 
geworden  seien.     Der  einzelne  Mensch  ist  abhängig  von  seiner  Zeit: 
er  steht  unter  dem  Einfluss  der  Anschauungen  dieser  Zeit,  ihres  in- 
tellectuellen und  materiellen  Besitzes.     Wo  wir  den  eigenen  Werth 
des  Einzelnen  beurtheilen,  da  geschieht  dies  stets  mit  Rücksicht  auf 
diese  Bedingungen.     Bei  der  ungeheuren  Veränderlichkeit  derselben 
ist  es  darum  schlechterdings  unmöglich  Menschen  weit  von  einander 
abliegender  Zeiten  ihrem  Werthe  nach  zu  vergleichen.     Wir  können 
allenfalls  fragen,  ob  Leibniz  oder  Newton  als  Mathematiker,  Goethe 
oder  Schiller   als  Dichter  grösser   gewesen  seien.     Zwischen  Archi- 
medes  und  Leibniz,   Homer   und  Shakespeare  fehlt  uns  jedes  Mass 
der  Vergleichung.    Diese  Vergleichung  kann  ja  den  Einzelnen  immer 
Dur  an  dem  Masse  seiner  Zeit  messen.   Sie  könnte  daher  höchstens 
die  Frage  beantworten  wollen,  ob  sich  in  dem  Verhältniss  der  her- 
vorragenden Individuen   zu   den  Bedingungen   ihrer  Zeit  merkliche 


432  Logik  der  Geschichtswissenschaften. 

Veränderungen  vollzogen  haben.  Aber  da  es  uns  an  jedem  Mittel 
gebricht  dieses  Verhältniss  zu  bestimmen,  so  ist  selbst  diese  Frage  nie 
zu  beantworten.  Folgt  man  ToUends  jener  geschichtlichen  Betrach- 
tung, die  jeder  Epoche  historischer  Entwicklung,  ganz  abgesehen 
von  dem  was  sie  für  die  Zukunft  gewesen  ist,  ihren  selbständigen 
Werth  zugesteht,  so  kommt  zu  diesen  negativen  Gründen  der  Un- 
möglichkeit einer  vergleichenden  Beurtheilung  noch  ein  positiver: 
auch  die  leitenden  Persönlichkeiten  einer  gegebenen  Zeit  haben 
wegen  der  Bedeutung  die  sie  für  diese  Zeit  besitzen  ihren  eigenen, 
unvergleichlichen  Werth,  der  uns  durch  irgend  eine  einer  andern 
Zeit  angehörende  Persönlichkeit  ebenso  wenig  ersetzt  Verden  kann, 
wie  die  Zeiten  selber  einander  ersetzen  können.  Im  Lichte  dieser 
historischen  Würdigung  und  des  Werthes,  den  jede  historische  Er- 
scheinung gerade  dadurch  gewinnt,  dass  sie  inmitten  der  Cultur  ihrer 
Zeit  steht  und  in  gewissem  Masse  dadurch  auch  uns  an  dieser  sonst 
unwiederbringlich  verlorenen  Cultur  theilnehmen  lasst,  wird  die  Werth- 
vergleichung  der  Individuen  vollends  zu  einer  im  objectiven  Sinne 
unvollziehbaren  Aufgabe. 

Aber  die  Geschichte  hat  zu  ihrem  Gegenstande  nicht  die  Indi- 
viduen, sondern  die  Völker.  Wer  auf  die  Frage,  ob  es  für  das 
Einzelleben  einen  Fortschritt  gibt,  eine  Antwort  sucht,  der  hat  diese 
nicht  in  der  Universalgeschichte,  sondern  in  der  Geschichte  des 
Einzellebens,  in  der  Biographie  zu  suchen.  Wie  nun  der  Fort- 
schritt für  den  Einzelnen  nicht  darin  besteht,  dass  er  über  Andere, 
sondern  darin,  dass  er  auf  jeder  folgenden  Stufe  über  die  vorige 
hinausschreitet,  so  kann  sich  auch  der  Fortschritt  der  Geschichte 
nur  auf  das  beziehen,  was  deren  eigensten  Inhalt  ausmacht:  auf 
jene  Gesammterzeugnisse  des  menschlichen  Geistes,  in  denen  jede 
folgende  Epoche  das  Erbe  der  Vergangenheit  benützt,  um  neue  Er- 
zeugnisse hervorzubringen.  Die  Frage,  ob  es  einen  Fortschritt  in 
der  Geschichte  gibt,  ist  also  hier  mit  der  andern  identisch,  ob  die 
Errungenschaften  der  vorangegangenen  Culturstufen  eine  fortwirkende 
Kraft  bewähren,  und  ob  daher  der  Inhalt  der  geschichtlichen  Er- 
werbungen zunimmt  oder  nicht.  Dass  nun  diese  Frage  im  ganzen 
in  Bezug  auf  alle  Gebiete  des  geistigen  Lebens  sowie  ihrer  mate- 
riellen Bedingungen  bejaht  werden  muss,  kann  deshalb  nicht  zweifel- 
haft sein,  weil,  wenn  wir  sie  verneinen  wollten,  wir  damit  auch  die 
Voraussetzung  aller  Geschichte,  den  Zusammenhang  der  geschicht- 
lichen Entwicklungen,  verneinen  müssten.  Für  den  moralischen  oder 
intellectuellen   Charakter   der  Einzelnen   oder  auch   fUr   die  Glücks- 


Zweckbegriff  in  der  Geschichte.  433 

geftkUe,  deren  sie  theilhaftig  werden,  hat  aber  diese  Frage  gar  keine 
Bedeutung.  Die  Qeschichte  kann  immer  nur  die  Bedingungen  ändern, 
unter  denen  jener  Charakter  und  jene  GlücksgefUhle  sich  äussern. 
Diese  selbst  könnten  nur  andere  werden,  wenn  die  individuellen  An- 
lagen des  Menschen  innerhalb  der  constanten  Unterschiede  der  Rassen 
wesentliche  Aenderungen  erfahren  haben  sollten.  Dass  dies  in  irgend 
nachweisbarem  Grade  in  historischer  Zeit  geschehen  sei,  dafür  ist 
nun  die  Wahrscheinlichkeit  um  so  geringer,  als  in  physischer  Be- 
ziehung wesentliche  Umwandlungen,  namentlich  etwa  solche  in  pro- 
gressiver Richtung,  entschieden  nicht  eingetreten  sind.  Die  Frage 
der  individuellen  Vervollkommnung  des  Menschen  ist  also  eine  Frage 
der  Vorgeschichte  und  Anthropologie,  nicht  der  Geschichte.  Die 
historischen  Zeiträume  sind  offenbar  viel  zu  klein,  um  für  die  Pro- 
bleme der  generellen  Entwicklung,  die  fQr  jede  merkliche  Verände- 
rung relativ  unermessliche  Zeiträume  fordert,  irgendwie  in  Betracht 
zu  kommen.  Ferner  kann  von  einem  Fortschritt  in  der  Geschichte 
selbstverständlich  immer  nur  unter  der  Bedingung  einer  Continuität 
auf  einander  folgender  Entwicklungsstadien  die  Rede  sein;  und  auch 
innerhalb  dieser  Grenzen  wird  es  sich,  wie  bei  allen  Entwicklungen, 
höchstens  um  einen  Gesammtfortschritt  handeln  können,  der  einzelne 
rückläufige  Bewegungen  nicht  ausschliesst,  die  übrigens,  wie  die 
historische  Erfahrung  lehrt,  nicht  selten  selbst  wieder  nach  dem 
Gesetz  der  Gontraste  Bedingungen  für  eine  auf  sie  folgende  fort- 
schreitende Entwicklung  sind.  Insofern  nun  aber  die  historische  Erfah- 
rung nicht  nur  rückläufige  Bewegungen,  sondern  auch  Unterbrechungen 
der  Continuität  aufweist,  kann  überhaupt  der  geschichtliche  Fort- 
schritt nicht  die  Bedeutung  eines  unbedingt  und  für  alle  Zukunft 
gültigen  Gesetzes,  sondern  nur  die  eines  Postulates  haben,  das  wir 
auf  Gnmd  der  aus  der  Vergangenheit  gewonnenen  geschichtlichen 
Anschauung  der  Zukunft  entgegenbringen.  Wie  alle  Postulate,  so  hat 
demnach  auch  dieses  seine  Grundlage  in  der  Erfahrung  und  führt 
zugleich  über  die  möglichen  Grenzen  der  Erfahrung  hinaus,  indem 
es  auf  ein  zukünftiges  Ideal  hinweist,  welches  nicht  sowohl  eine 
nothwendige  Folgerung  aus  dem  bisherigen  Gang  der  Geschichte  als 
Tielmehr  eine  Forderung  ist,  der  die  Einzelnen  und  die  Gemein- 
schaften nachkommen  sollen,  um  dem  ihnen  gewordenen  geschicht- 
lichen Beruf  zu  genügen.  Diese  Idee  eines  durch  die  geschichtliche 
Entwicklung  einem  Volke  und  innerhalb  desselben  jedem  einzelnen 
Menschen  gewordenen  Berufes  sowie  der  durch  diesen  Beruf  auf- 
erlegten Pflicht  ist  nun   selbst  keine   geschichtliche,   sondern    eine 

Wundt,  Logik,  n,  8.    2.  Aufl.  28 


■ 
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434  Logik  der  Greschichtswissenschaften. 

moralische  Idee,  die  sich  aber  mit  derselben  Nothwendigkeit  als  letzter 
Zweckbegriff  der  geschichtlichen  Entwicklung  ergibt,  wie  schon  das 
individuelle  Handeln  und  Streben  auf  einen  solchen  hinführt.  Auf 
historischem  Gebiete  schliesst  diese  Idee  eines  letzten  morali- 
schen Zwecks  zwei  speciellere  Forderungen  ein:  erstens  die,  dass 
alle  rückläufigen  Ent Wickelungen  immer  wieder  Vorbereitungen 
seien  zu  einem  kommenden  Fortschritt,  zu  dem  sie  nach  dem  Gesetz 
der  historischen  Contraste  möglicher  Weise  selbst  die  Bedingungen 
enthalten  können;  und  zweitens  die,  dass  die  Continuitat  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  eine  immer  allgemeinere  werde,  so  dass  schliess- 
lich auch  die  Gesammtheit  der  geschichtslosen  Völker  jenem  letzten 
moralischen  Zweck  der  Geschichte  dienstbar  sei. 

Es  liegt  in  der  Natur  dieses  Zwecksbegriffs,  dass  die  ver- 
schiedenen Gebiete  menschlicher  Thätigkeit,  die  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  unterworfen  sind,  in  verschiedenem  Masse  an 
ihm  theilnehmen.  Wie  jede  Epoche  ihren  Werth  theils  in  sich 
selbst  trägt,  theils  in  dem  was  aus  ihr  hervorgeht,  so  fallen  auch 
die  verschiedenen  Gruppen  historischer  Vorgänge  bald  mehr  dem 
einen,  bald  mehr  dem  andern  Gebiet  zu.  So  wird  alles  was  mit 
dem  eigensten  Lebensgefühl  einer  Gulturperiode  zusammenhängt,  wie 
die  Kunst,  die  religiösen  Anschauungen  sowie  die  philosophischen 
Versuche  den  Ertrag  des  Nachdenkens  über  der  Welt  Lauf  und 
über  das  eigene  Schicksal  zusammenzufassen,  endlich  die  Sitte  und 
ihr  Einfluss  auf  die  äussere  und  innere  Cultur,  schon  von  der 
historischen  Beurtheilung  vielmehr  als  Bestandtheil  des  Charakters 
jeder  einzelnen  Periode,  denn  als  treibende  Kraft  für  die  folgende 
geschichtliche  Entwicklung  gewürdigt.  Umgekehrt  dagegen  betrachten 
wir  unter  dem  letzteren  Gesichtspunkte  vorzugsweise  diejenigen 
Factoren  der  Cultur,  in  denen  der  intellectuelle  Fortschritt  in  der 
Erkenntniss  der  objectiven  Welt  wie  der  eigenen  Natur  des  Menschen 
und  die  mit  diesem  Fortschritt  eng  verbundene  Vervollkonrnmung 
technischer  Hülfsmittel  zur  Beherrschung  der  Aussenwelt  sowie  zu 
gesteigerter  Ausnutzung  der  eigenen  Kräfte  zum  Ausdruck  kommt. 
Vor  allem  aber  gehören  hierher  die  Fortschritte  in  den  politischen 
und  socialen  Zuständen  der  menschlichen  Gemeinschaft,  Fortschritte 
in  denen  am  einleuchtendsten  der  ungeheure  Einfluss  der  geschicht- 
lichen Arbeit  vorangegangener  Generationen  auf  die  folgende  Zeit 
zu  erkennen  ist.  Offenbar  ist  dieser  Umstand  der  hauptsächlichste 
Grund  der  bekannten  Bevorzugung  der  politischen  und  socialen 
Factoren  in  der  Geschichtswissenschaft;  und  ebenso  wird  es  hieraus 


Zweckbegriif  in  der  Geschichte.  435 

begreiflich y  dass,  wo  immer  man  sich  bemühte  das  «Gesetz  des 
historischen  Fortschritts'^  empirisch  zu  beweisen,  die  als  Zeugnisse 
Torwertheten  Thatsachen  dem  nämlichen  Gebiete  entnommen  wurden'*'). 
Aber  so  berechtigt  es  sein  mag,  in  der  Beurtheilung  der  geschicht- 
lichen Erscheinungen  eine  Unterscheidung  nach  ihrem  bald  mehr 
die  einzelne  Epoche  charakterisirenden  bald  mehr  in  zu- 
künftigen Entwicklungen  fortwirkenden  Werthe  zu  machen, 
so  ist  es  doch  selbstverständlich,  dass  es  sich  hier  niemals  um  eine 
absolute  Theilung  der  Gebiete  handeln  kann.  Vielmehr,  wie  das 
Gesetz  der  historischen  Contraste  rückläufige  Bewegungen  der  Cultur 
dem  Princip  des  Fortschrittes  unterzuordnen  erlaubt,  so  bringt  es 
das  Gesetz  der  Relationen  mit  sich,  dass  jeder  Bestandtheil  einer 
gegebenen  Cultur  den  Werth  eines  immanenten  und  den  eines  trans- 
eonten  Factors  der  Geschichte  in  sich  vereinigt,  so  dass  es  im 
Grunde  nicht  sowohl  ein  innerer  als  ein  äusserer,  symptomati- 
scher Unterschied  ist,  der  jene  Sonderung  der  Gebiete  begründet. 
Dieser  symptomatische  Unterschied  steht  aber  im  engsten  Zusammen- 
hang damit,  dass  die  Bestandtheile  der  Cultur,  die  wir  vorzugsweise  als 
amnittelbare  Factoren  des  Fortschritts  der  geschichtlichen  Entwick- 
lung ansehen,  zugleich  diejenigen  sind,  die  uns  als  die  directen  An- 
griffspunkte aller  der  menschlichen  Handlungen  gelten,  die  auf 
die  Vervollkommnung  des  gemeinschaftlichen  Lebens  und  der  Formen, 
die  es  in  Staat  und  Gesellschaft  findet,  gerichtet  sind.  Wegen  der 
eminenten  Bedeutung,  die  diese  Gebiete  für  die  fortschreitende  Ent- 
wicklung der  menschlichen  Gemeinschaft  besitzen,  bilden  sie  nun 
nicht  bloss  Bestandtheile  der  Geschichte,  sondern  ausserdem  Ob- 
jecte  einer  besonderen  Classe  systematischer  Geisteswissenschaften, 
die  das  gesellschaftliche  Dasein  des  Menschen  und  den  inneren 
psychologischen  und  logischen  Zusammenhang  der  einzelnen  Bestand- 
theile und  Bedingungen  dieses  Daseins  zu  ihrem  Inhalte  haben. 
Auf  diese  Weise  liegen  die  Motive  zur  Entstehung  der  Gesell- 
schaftswissenschaften einerseits  in  bestimmten  Thatsachen  der 
historischen  Erfahrung  und  andererseits  in  praktischen  Forderungen. 


*)  Vgl.  z.  B.  A.  B  r  ti  c  k  n  e  r ,  Ueber  Thatsachenreihen  in  der  Geschichte. 
Pestrede  zur  Jahresfeier  der  Universität  Dorpat.  1886. 


436  Logik  der  Gesellschaftswissenschafben. 


\ 


Viertes  Capitel. 
Die  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 


1.   Die  allgemeinen  GFesellfichaftswissenschaften. 

a.    Die  Sociologie. 

Der  Geschiclite  und  den  ihr  durch  die  historische  Betrachtung 
der   Objecte   nächstverwandten   Gebieten  treten   die  Wissenschaften 
Yon  der  Gesellschaft  als   eine  zwar  mit  ihnen   nahe  zusammen- 
hängende,  aber  durch  die  überwiegend  systematische  Form  der 
Betrachtung  doch  wesentlich  yerschiedene  Classe  von  Geisteswissen- 
schaften gegenüber.    Indem  es  ihre  Aufgabe  ist,  die  realen  Zustande 
der  menschlichen  Gesellschaft,  insbesondere  der  für  das  menschliche 
Leben  wichtigsten,  der  Völker  und  Staaten,  zu  schildern,  nach  ihren 
Bestandtheilen  logisch   zu  ordnen  und  in  ihren  Bedingungen  causal 
zu  begreifen,  weist  diese  Aufgabe  schon  auf  die  engste  Verbindung 
mit  der  Geschichte  hin.     Denn  jeder  gegebene  Zustand  der  Gesell- 
schaft ist  ja  ein  geschichtlich  gewordener  und  zugleich  ein '  fortan 
unter  der  Einwirkung  neuer  Bedingungen   sich   geschichtlich   ver- 
ändernder.    Dieser  Zusammenhang,    der  innerhalb   der  Geschichts- 
forschung die  vorzugsweise  der  Entwicklung  der   Zustände  zuge- 
kehrte culturgeschichtliche  Richtung  entstehen  Hess  (S.  322  f.),  macht 
die  Annahme  relativ  stabiler  Zustände,  wie  sie  die  Gesellschaftswissen- 
schaften ihren  Untersuchungen  zu  Grunde  legen  müssen,  überall  zu 
einer  blossen  Abstraction,  die  in  diesen  Gebieten  selbst  schon  durch 
eine  geschichtliche  Betrachtung  ihre   Gorrectur  und  Ergänzung  zu 
finden  pflegt.     Wie  daher  in  der  Geschichtsforschung  die  Zustands- 
geschichte  in  ihren  verschiedenen  Verzweigungen  eine  Brücke  bildet 
zu  den  Gesellschaftswissenschaften,  so  stehen  nicht  minder  in  diesen 
historische  Disciplinen  und  Betrachtungsweisen  der  logisch-systemati- 
schen Behandlung  gegenüber. 

Während  nun  aber  in  der  Geschichte  die  allgemeinsten  Schick- 
sale der  Völker  und  Staaten  zuerst  die  Aufmerksamkeit  fesselten, 
und  verhältnissmässig  spät  die  Verzweigung  in  die  verschiedenen 
Gebiete  der  Wirthschafts-,  Rechts-,  Kunst-,  Literaturgeschichte  u.  s.  w. 
eintrat,  ist  der  Entwicklungsgang  der  Gesellschaftswissenschaften  im 
allgemeinen   der   umgekehrte  gewesen.     Hier  begannen,   abgesehen 


Sociologie.  437 

Ton  der  durch  das  Interesse  am  öffentlichen  Leben  früh  erwachten 
philosophischen  Staatstheorie,  zunächst  unter  dem  zwingenden  Ein- 
fluss  ihrer  praktischen  Bedeutung,  die  Einzelgebiete  sich  auszubilden, 
allen  voran  die  Rechtswissenschaft,  später  die  Volkswirthschaftslehre, 
während  die  allgemeineren  Gesellschaftswissenschaften,  wie  die  Be- 
Tölkerungslehre  und  selbst  ein  strengerer  wissenschaftlicher  Betrieb 
der  Völkerkunde,  ganz  aus  neuerer  Zeit  stammen.  Dieser  Umstand 
macht  es  begreiflich,  dass  vollends  die  Idee  einer  allgemeinsten 
Gesellschaftswissenschaft,  die  auch  diesen  Gebieten  wieder  überzu- 
ordnen wäre  und  demnach  der  Gesammtheit  der  Socialwissenschaften 
ähnlich  gegenüberstünde  wie  die  allgemeine  Geschichte  den  ver- 
schiedenen Theilgebieten  historischer  Forschung,  nicht  nur  neu 
sondern  auch,  wie  meist  das  Neue,  noch  einigermassen  ein  Gegen- 
stand des  Streites  ist. 

Näher  betrachtet  ist  nun  aber  der  Begriff  einer  allgemeinen 
Gesellschaftslehre  offenbar  ein  nothwendiges  Erzeugniss  des  allge- 
meinen Begriffs  der  Gesellschaft  selbst,  der,  allmählich  aus  dem  Betrieb 
der  speciellen  Socialwissenschaften  hervorgegangen,  alle  möglichen 
Formen  menschlicher  Vereinigung,  Horde,  Volk,  Staat,  Gemeinde, 
Genossenschaften  und  Vereine,  endlich  in  weiterem  Umfang  selbst 
internationale  Verbände  in  sich  schliesst.  Wie  jedes  in  eine  begriff- 
liche Einheit  zusammenzufassende  Object,  so  fordert  auch  dieses, 
der  allgemeine  Begriff  der  Gesellschaft,  eine  wissenschaftliche  Unter- 
suchung. Bezeichnen  wir  eine  derartige  Disciplin  mit  dem  in  den 
heutigen  Socialwissenschaften  mehr  und  mehr  in  Aufnahme  ge- 
kommenen Namen  der  Sociologie,  so  wird  es  sich  aber  bei  der 
näheren  Prüfung  ihrer  Aufgabe  vor  allem  darum  handeln  festzu- 
stellen, wie  sie  einerseits  gegenüber  der  Geschichte  und  anderseits 
gegenüber  den  verschiedenen  einzelnen  Socialwissenschaften  zu  be- 
grenzen sei*). 


*)  Der  Name  .Sodologie"  ist  namentlich  in  Deutschland  manchen  An- 
fechtungen begegnet,  theüs  weil  er  eine  barbarische  Wortbildung  ist,  theils 
and  besonders  weil  die  halb  geschichts-  halb  sodalphilosophischen  S3^teme,  die 
unter  diesem  Namen  gehen,  und  auf  die  wir  unten  zurückkommen  werden,  den 
Begriff  dieser  Disciplin  in  eine  etwas  unsichere  Beleuchtung  gerückt  haben. 
Aber  selbst  wenn  man  der  Meinung  sein  sollte,  dass  die  Art,  wie  die  Sociologie 
in  die  neuere  Philosophie  eingeführt  worden  ist,  auf  einer  theilweisen  oder 
^mzlichen  Yerkennung  der  wahren  Aufgaben  einer  derartigen  Wissenschaft  be- 
ruhe,  so  wird  man  doch  nicht  leugnen  können,  dass  es  allgemeine  Gesellschafts- 
probleme gibt,  und  dass  demnach  auch  eine  allgemeine  Gesellschaftswissenschaft, 
theüs  ab  Grundlage  theils  als  abschliessende  Zusammenfassung  aller  einzelnen 


438  Logik  der  GesellschafUwissenschaften. 

Die  Begrenzung  der  Sociologie  gegenüber  der  Geschichte  ergibt 
sich  nun  zunächst  daraus,  dass  jene  die  Zustände  der  menschlichen 
Gesellschaft  in  ihren  nach  Zeit  und  Raum  möglichen  Begrenzungen, 
diese  aber  die  Vorgänge  zu  ihrem  Inhalte  hat,  durch  die  sich 
eben  jene  Zustände  entwickelt  haben.  Die  Gesellschaft  ist  eine  ge- 
schichtlich gewordene,  und  sie  steht  niemals  still  in  dem  Flusse 
dieser  Entwicklung.  Nichts  desto  weniger  sind  wir  nicht  nur  be- 
rechtigt sondern  sogar  zum  Zweck  der  historischen  Untersuchung 
genöthigt,  bestimmte  Zustände  der  Gesellschaft,  die  zwischen  engeren 
Zeitgrenzen  eingeschlossen  sind,  innerhalb  deren  erhebliche  Ver- 
änderungen durch  das  Eingreifen  bestimmter  geschichtlicher  Ereig- 
nisse nicht  stattfanden,  als  relativ  beharrende  anzusehen.  Durch 
die  hier  beigefügte  Bedingung  ist  schon  angedeutet,  dass  die  Zeit- 
grenzen, in  denen  eine  solche  Abstraction  gestattet  ist,  mannigfach 
wechseln  können.  Ueberhaupt  ist  hierauf  der  Charakter  der  unter- 
suchten Zustände  von  wesentlichem  Einflüsse.  So  sind  Sitten  und 
Biechtsnormen  und  in  vielen  Fällen,  nämlich  überall  wo  nicht  plötz- 
liche politische  Umwälzungen  in  Betracht  konunen,  auch  die  staat- 
Uchen  Einrichtungen  meist  nur  einer  langsamen  ümbüdung  zugäng- 
lich,  während  sich  die  Verhältnisse   des  wirthschaftlichen  Verkehrs 


Socialwissenschafben,  ihr  gutes  Recht  hat.  In  der  That  ist  dieses  Recht  gegen- 
wärtig namentlich  im  Kreise  der  Vertreter  der  Nationalökonomie  nnd  der  Staats- 
wissenschaft wohl  allgemein  zur  Anerkennung  gelangt.  Nur  Juristen  und  Philo- 
sophen verhalten  sich  noch  theilweise  skeptisch,  die  ersteren  vermöge  einer 
conservativen  Neigung,  die  bei  'der  Jurisprudenz  als  der  ältesten  und  ehr- 
würdigsten unter  den  Social  Wissenschaften  mindestens  entschuldbar  ist,  die 
letzteren  weil  sie  bei  dem  Wort  «Sociologie*  sofort  nur  an  die  philosophischen 
Systeme  denken,  durch  die  —  ein  Verdienst  das  ihnen  trotz  aller  Fehlgri£fe  bleiben 
wird  —  die  Idee  einer  solchen  allgemeinen  Disciplin  zuerst  Verbreitung  ge- 
funden hat.  Ist  man  aber  einmal  der  Ansicht,  dass  Fehler  in  der  Ausführung 
den  richtigen  Kern  des  Gedankens  nicht  beeinträchtigen  sollten,  und  dass 
Staatswissenschafb,  Nationalökonomie  und  selbst  Jurisprudenz  sämmtlich  den 
allgemeinen  Begriff  der  Gesellschaft,  also  auch  eine  allgemeine  Gesellschafts- 
wissenschaft voraussetzen,  so  darf  die  barbarische  Etymologie  des  Wortes 
nicht  hindern  es  anzuwenden,  so  lange  man  nicht  im  Stande  ist  es  durch  ein 
besseres  zu  ersetzen,  das  einige  Aussicht  auf  allgemeine  Annahme  hat.  Dazo 
ist  aber  wenig  Hofifoung  vorhanden,  nachdem  das  Wort  einmal  in  weiten  Kreisen 
Eingang  gefunden.  Ueberdies  sprechen  für  dasselbe  noch  zwei  Gründe:  erstens 
empfiehlt  es  sich,  für  derartige  allgemeine  Disciplinen  Bezeichnungen  zu  wählen, 
die  dem  internationalen  Wortschatze  angehören ;  und  zweitens  ist  das  deutsche 
Wort  ,  Gesellschaftslehre  **  schon  allzu  oft  in  einem  specielleren  Sinne,  nament* 
lieh  in  dem  der  Bevölkerungslehre  (Demologie)  gebraucht  worden. 


Sociologi>.  439 

in  schnelleren  Schwankungen  befinden.  Zugleich  versteht  es  sich 
von  selbst,  dass  jene  Voraussetzung  immer  nur  vorübergehend  fest- 
gehalten werden  darf,  da  an  die  Untersuchung  eines  gegebenen 
Zustandes  sofort  die  Frage  nach  seiner  Entstehung  sich  anschliesst. 
Die  Sociologie  kann  daher  der  historischen  Forschung  so  wenig  ent- 
rathen  wie  die  Physiologie  der  Entwicklungsgeschichte.  Die  Be- 
ziehungen zwischen  beiden  Gebieten  sind  aber  auch  hier  wieder 
wechselseitige.  Denn  so  sehr  die  Socialwissenschaft  für  das  Verständ- 
niss  gegebener  Zustände  die  Kenntniss  von  deren  geschichtlichem 
Werden  verlangt,  ebenso  gewiss  kann  sie  sein,  dass  die  Resultate 
ihrer  Untersuchung  wiederum  die  wichtigsten  Quellen  historischer 
Forschung  sind.  Nur  die  späte  Entwicklung  einiger  der  hauptsäch- 
lichsten GeseUschafbswissenschaften  und  namentlich  der  allgemeinen 
Sociologie  selbst  bringt  es  mit  sich,  dass  bis  jetzt  der  erste  dieser 
Einflüsse  fühlbarer  geworden  ist  als  der  zweite. 

Wie  in  der  Ausführung  ihrer  Arbeiten  die  Sociologie  an  die 
Geschichte  gebunden  ist,  so  wird  nun  auch  die  Gliederung  der  Auf- 
gaben in  beiden  Fällen  eine  ähnliche  sein.  Demnach  ist  zu  er- 
warten, dass  das  Verhältniss  der  Sociologie  zu  den  einzelnen  Ge- 
sellschaftswissenschaften dem  Verhältniss  der  allgemeinen  Geschichte 
zu  den  specielleren  historischen  Disciplinen  einigermassen  entsprechen 
werde.  Verschiedene  Bedingungen,  namentlich  der  sehr  abweichende 
Entwicklungsgang  der  beiden  grossen  Zweige  der  Geisteswissen- 
schaften, haben  jedoch  verändernd  auf  diese  Beziehungen  eingewirkt. 
Die  Geschichte  hat  mit  der  allgemeinsten,  die  Sociologie  mit  der 
speciellsten  Form  der  Untersuchung  begonnen.  Dort  sind  aus  der 
allgemeinen  Geschichte,  für  die  zunächst  nur  die  nationale  Sonderung 
als  Schranke  bestand,  spät  erst  die  einzelnen  Zweige  einer  Cultur-, 
Literatur-,  Rechtsgeschichte  hervorgegangen.  Hier  sind  die  Sonder- 
gebiete der  Rechtswissenschaft,  Politik,  Wirthschaftslehre  jede  für 
sich  entstanden,  und  erst  die  neueste  Zeit  hat  gewagt,  sie  einer 
allgemeinen  Gesellschaftslehre  unterzuordnen,  die  ihr  selbständiges 
Recht  hauptsächlich  auf  die  Erwägung  gründet,  dass  jene  Einzel- 
gebiete, da  sie  wesentlich  praktischen  Motiven  ihre  Ausbildung  ver- 
danken, zahlreiche  Erscheinungen  unbeachtet  lassen,  die  nicht  nur 
an  sich  ein  wissenschaftliches  Interesse  beanspruchen,  sondern  auch 
auf  die  politischen,  rechtlichen  und  wirthschaftlichen  Erscheinungen 
Einflüsse  ausüben.  In  diesem  Sinne  sucht  daher  die  Sociologie  eine 
ähnliche  Stellung  neben  den  einzelnen  Socialwissenschaften  einzu- 
nehmen, wie  sie  etwa  der  allgemeinen  Sprachwissenschaft  neben  der 


440  Logik  der  GeseUschaftewissenschafken. 

Grammatik  einer  einzelnen  Sprache  oder  der  allgemeinen  Physiologie 
neben  der  speciellen  Physiologie  der  Pflanzen  und  Thiere  zukommt 
Während  nun  die  Sociologie  mit  diesen  andern   allgemeineren 
Wissenschaften  naturgemäss  das  Schicksal  einer  späten  Entwicklung 
theilt,    haben  aber  bei  ihr  noch  besondere  umstände   zusammen- 
gewirkt, um  ihre  Aufgabe  als  eine  unsichere  und  selbst  fragwürdige 
erscheinen  zu  lassen.     Auf  der  einen  Seite  hat  die  Thatsache,  dass 
manche  Seiten  des  gesellschaftlichen  Lebens  in  den  speciellen  Social- 
wissenschaften  keine  Berücksichtigung  finden,   dahin  geführt,  dass 
die  neuere  Rechtswissenschaft  die  Gesellschaft  als  einen  eigenen 
Lebenskreis  zwischen  das  Einzelleben  und  den  Staat  einfügte  und 
so  die  Gesellschaftslehre  als  einen  Zweig  der  Staatslehre  behandelte. 
Dem  entsprechend  erscheint  hier  die  Gesellschaft  als   ein  engerer 
Begriff,   der   den  Staat  nicht  als  eine  besondere   Gesellschaftsfonn 
einschliesst,   sondern  theils  ihm  als  ergänzender  Begriff  gegenüber- 
steht,  theils  sich  ihm  unterordnet,  insofern   der  Staat  alle   gesell- 
schaftlichen Verbindungen  einer  bestimmten  Bevölkerung  umfasst"*"). 
Auf  der  andern  Seite  hat  die  Philosophie,  geleitet  yon  humanen  und 
socialen  Bestrebungen,  die  Wechselbeziehung,  die  zwischen  den  ge- 
gebenen Zuständen  der  Gesellschaft  und  ihrem  geschichtlichen  Werden 
vorausgesetzt  werden  muss,  als  das  eigentliche  Object  der  Sociologie 
hingestellt,   als  deren  Hauptaufgabe  demnach  eine  Theorie  der  bis- 
herigen  geschichtlichen  Entwicklung   der  Gesellschaft  und  ihrer  in 
der  Zukunft  zu   erwartenden  Umwandlungen  betrachtet  wird.     Die 
Bedeutung    dieser    philosophischen    Bestrebungen    besteht    weniger 
in  dem  positiven  Inhalt  der  sociologischen  Systeme,  als  in  den  An- 
regungen, die  sie  auf  die  Einzelforschung  ausgeübt  haben,  und  vor 
allem   in   der  in   ihnen  zum  ersten  Mal  zum  deutlichen  Ausdruck 
gelangten  Erkenntniss  einer  unleugbar  vorhandenen  Lücke  in  dem 
systematischen  Zusammenhang  der  Geisteswissenschaften.    Auguste 
Comte,  der  Begründer  der  philosophischen  Sociologie,  ist  zunächst 
nicht  sowohl  durch  sein    eigenes   sociologisches   Studium   als  durch 
die    Analogie    mit    der   Naturwissenschaft,    speciell    mit    der    ab- 
stracten  Mechanik,  auf  den  Gedanken  geführt  worden,  der  in  Wirk- 


*)  Vgl.  R.  V.  Mohl,  Geschichte  und  Literatur  der  Staatswissenschaften, 
I,  1855,  S.  88  ff.;  Encyklopädie  der  Staatswissenschaften,  2.  Aufl.,  8.  34.  Lorenz 
von  Stein,  System  der  Staatswissenschaften,  2.  Theil:  Gesellschaftslehre,  S.  51. 
Gegenwärtig  hat  allerdings  auch  in  der  Staatswissenschaft  mehr  und  mehr  dieser 
engere  Begriff  der  Gesellschaft  dem  allgemeineren,  nach  welchem  der  Staat 
eine  besondere  Gesellschaftsform  ist,  Platz  gemacht. 


Sociologie.  441 

lichkeit  bestimmend  für  die  Scheidung  der  Socialwissenschaften  von 
der  Oeschichte  ist.  Comte  selbst  aber  hat  diesen  Gedanken  in 
seiner  Sociologie  in  einer  Weise  verwerthet,  die  eine  sichere 
Umgrenzung  dieser  Wissenschaft  unmöglich  machte.  Wie  die 
classische  Mechanik,  die  Comtes  wissenschaftliches  Denken  durch- 
gängig bestimmte,  eine  Statik  und  Dynamik  der  Körper  unter- 
scheidet, so  meinte  er  auch  die  Lehre  von  der  Gesellschaft  in  eine 
sociale  Statik  und  Dynamik  gliedern  zu  soUen,  von  denen  es 
die  erstere  mit  den  Zuständen,  die  letztere  mit  den  Veränderungen 
und  vor  allem  mit  der  Entwicklung  der  menschlichen  Gesellschaft 
za  thun  habe.  Aber  statt  von  diesen  beiden  Theilen  nur  die  Lehre 
Ton  den  Zuständen  fUr  die  Sociologie  in  Anspruch  zu  nehmen  und 
die  Lehre  von  der  Entwicklungen  der  Geschichte  zu  überlassen, 
nrie  dies  von  Seiten  der  einzelnen  Socialwissenschaften  geschieht, 
vereinigte  Comtes  Sociologie  beide  Aufgaben.  Sie  wollte  Social- 
wissenschaft  und  Geschichte  zugleich  sein,  und  da  sie  sich  hier  wie 
dort  auf  Grund  eines  äusserst  spärlichen  empirischen  Materials  wesent- 
lich nur  in  philosophischen  Constructionen  erging,  deren  Schwer- 
punkt sogar  durchaus  auf  der  dynamischen  Seite  lag,  so  war  der 
eigentliche  Inhalt  der  Comte'schen  Sociologie  eine  Geschichtsphilo- 
sophie, die  sich  fast  ganz  in  der  wiederholten  Erläuterung  und 
pohtischen  wie  socialen  Nutzanwendung  seines  „  Gesetzes  der  drei 
Stadien*  erschöpfte.  (Vgl  über  dieses  Cap.  III,  S.  391,  406.)  Die 
, Statik*,  also  gerade  das  was  das  eigentliche  Object  einer  Sociologie 
hätte  sein  sollen,  kam  dagegen  sehr  zu  kurz:  sie  beschränkte  sich 
auf  die  Hervorhebung  der  allgemeinen  Bedeutung  socialer  Corre- 
lationen;  und  Comtes  mangelhafte  Kenntniss  der  einzelnen  Social- 
wissenschaften Hess  es  zu  einer  fruchtbaren  Anwendung  dieser  all- 
gemeinen Idee  nicht  kommen*).  Ungleich  werthvoller  ist  in  letzterer 
Beziehung  die  Sociologie  Herbert  Spencers,  die  eine  Fülle 
ethnologischen  Materials  zur  Beleuchtung  der  verschiedenen  Ent- 
wicklungsstufen der  menschlichen  Gesellschaft  beibringt.  Aber  indem 
dieses  Werk  durchaus  von  dem  Entwicklungsgedanken  beherrscht 
ist,  und  indem  es  vorzugsweise  darauf  Werth  legt  den  Anfängen 
socialer  Entwicklung  und  der  an  diese  gebundenen  Vorstellungen, 


*)  Comte,  Philosophie  positive,  besonders  IV,  Le^.  46,  50  und  51.  üeber 
die  späteren  Wandlungen  von  Comtes  Lehre  orientirt  die  Einleitung  in  seine 
Politique  positive,  T.  I,  jetzt  (1894)  auch  in  deutscher  üebersetzung  erschienen 
n.  d.  T.  Der  Positivismus  in  seinem  Wesen  und  seiner  Bedeutung.  Uebersetzt 
von  E.  Roschlau. 


442  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

Sitten  und  Organisationsformen  nachzugehen,  wird  es  zwar  im  einzehien 
zu  einer  reichen  und  dankenswerthen  Materialiensammlung  f&r  die 
Völkerpsychologie  und  Culturgeschichte ;  doch  sein  eigentlicher  socio- 
logischer  Oedankengehalt  liegt  nicht  hierin,  sondern  in  gewissen 
allgemeinen  philosophischen  Ideen,  die  Spencer  an  jenen  Stoff  heran- 
bringt, und  nach  denen  er  ihn  zu  ordnen  sucht.  Die  Grundlagen 
seiner  sociologischen  Theorie  bilden  nämlich  die  nach  gewissen 
schematischen  Gesichtspunkten  geordneten  Entwicklungserscheinungen 
in  der  äusseren  sowohl  unorganischen  wie  organischen  Natur,  wobei 
namentlich  die  letztere,  als  die  unmittelbare  Vorstufe  der  mensch- 
lichen Gesellschaft,  zur  Interpretation  der  socialen  Erscheinungen 
verwerthet  wird.  So  ist  Spencers  Sociologie  im  wesentlichen  eine 
Geschichtsphilosophie,  die  zugleich  angewandte  Naturphilosophie  zu 
sein  strebt.  Dem  eigentlichen  Begriff  der  Sociologie  steht  er  aber 
noch  femer  als  Gomte,  der  in  seiner  socialen  Statik,  wenn  auch 
in  allzu  abstracter  Form,  wenigstens  gewisse  allgemeine  Aufgaben 
richtig  erfasst  hatte*). 

Gegenüber  diesen  Versuchen,  welche  die  Grenzen  der  Gesell- 
schaftslehre entweder  zu  eng  ziehen,  indem  sie  dieselbe  nur  als  einen 
untergeordneten  Theil  der  Staatswissenschaft  betrachten,  oder  zu  weit, 
indem  sie,  mit  einziger  Ausnahme  der  Individualpsychologie,  eigent- 
lich die  Gesammtheit  der  Geisteswissenschaften  in  sie  aufgehen  lassen, 
wird  nun  das  Ezistenzrecht  der  Sociologie  vor  allem  davon  abhängen, 
ob  es  wirklich  möglich  ist,  bestimmte  Aufgaben  zu  bezeichnen,  die 
an  jenen  allgemeinen  Begriff  der  Gesellschaft,  dem  die  Forderung 
einer  allgemeinen  Gesellschaftswissenschaft  ihren  Ursprung  verdankt, 

*)  Herbert  Spencer,  Die  Prindpien  der  Sociologie,  deutsch  toq 
B.  Vetter,  4  Bde.  (der  4.  noch  unvollendet),  1877—91.  In  Spencers  «Study  of 
Sociology"  (deutsch  u.  d.  T.  , Einleitung  in  die  Sociologie",  2  Thle.  1875)  kommen 
die  principi eilen  Fragen  und  die  Thatsachen  der  Sociologie  nicht  zur  Erörte- 
rung; dagegen  enthalten  sie  eine  Menge  treffender  Bemerkungen  Über  die  Ter- 
schiedenen  Vorurtheile,  die  dem  Studium  des  Menschen  überhaupt  und  insonder» 
heit  dem  der  menschlichen  Gresellschaft  im  Wege  stehen.  Spencers  eigene 
praktische  üeberzeugungen  im  (rebiete  der  Sociologie  und  Politik  kommen 
übrigens  mehr  in  seinen  Schriften  zur  Ethik  zum  Ausdruck  als  in  der  Sociologie. 
Vgl.  besonders  ,The  Man  versus  the  state"  und  , Justice*,  letzteres  als  4.  Theil 
der  Ethik,  übersetzt  von  Vetter,  1892.  Zur  Kritik  der  Spencer'schen  Sociologie 
vgl.  F.  Tönnies,  Phü.  Monatshefte  Bd.  25,  S.  50;  28,  S.  37  ff.  und  P.  Barth, 
Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Phil.  XVII,  S.  178  ff.  Auf  einige  weitere  Bearbeitungen 
der  Sociologie  aus  neuerer  Zeit  (von  Schaf fle,  Grumplowiczu.  A.)  wird  wegen 
ihrer  besonderen  Bedeutung  für  die  Staatswissenschaft  erst  später  (unter  d) 
einzugehen  sein. 


Sociologie.  443 

geknüpft  sind.  Dabei  ist  es  natürlich  von  vornherein  ganz  gleich- 
gültig, ob  solche  Aufgaben  von  irgend  welchen  bereits  vorhandenen 
Disciplinen  zu  lösen  versucht  werden,  oder  ob  hier  noch  eine  Lücke 
m  dem  System  der  Wissenschaften  besteht.  Insoweit  ersteres  der 
Fall  ist,  wird  es  nur  erforderlich  sein  die  Stellen  zu  bezeichnen,  die 
jene  schon  vorhandenen  Gebiete  in  dem  allgemeinen  Umfang  der 
sociologischen  Aufgaben  einnehmen.  Insoweit  aber  letzteres  zutreffen 
sollte,  werden  natürlich  die  Probleme  einer  solchen  noch  nicht  exi- 
stirenden  Zukunftewissenschaft  näher  zu  bezeichnen  sein. 

Nun  lassen  sich  in  der  That  drei  Fragen  unterscheiden,  deren 
Beantwortung  nothwendig  zu  den  Aufgaben  einer  allgemeinen  Socio- 
logie gerechnet  werden  muss,  und  deren  jede  zugleich  das  Grund- 
problem einer  bereits  bestehenden  Wissenschaft  ausmacht. 

Die  erste  dieser  Fragen  bezieht  sich  auf  die  Gliederung 
der  menschlichen  Gesellschaft  in  ihrer  Gesammtheit.  Mit 
ilir  beschäftigt  sich  die  Völkerkunde  oder  Ethnologie.  Da  sie 
ebensowohl  die  physischen  wie  die  geistigen  Eigenschaften  des 
Menschen  berücksichtigt,  so  reicht  sie  mit  ihren  Aufgaben  zu- 
gleich in  das  Gebiet  der  Naturwissenschaften.  Doch  wie  bei  der 
Abgrenzung  der  Geisteswissenschaften  überhaupt,  so  entscheidet 
auch  hier  das  vorwaltende  Interesse.  Die  Ethnologie  kann  eben 
80  wenig  wie  die  Psychologie  von  der  physischen  Seite  des 
Menschen  abstrahiren.  Aber  diese  hat  für  beide  ihre  wesentlichste 
Bedeutung  darin,  dass  sie  die  Trägerin  der  geistigen  Eigenschaften 
ist.  Vom  bloss  naturwissenschaftlichen  Standpunkte  aus  betrachtet 
gehört  der  Mensch  in  die  Zoologie;  naturgeschichtlich  bilden  die 
Völker  unbedeutende  Spielarten  einiger  Hauptrassen.  Gerade  da 
wo  das  zoologische  Interesse  aufhört  beginnt  aber  das  ethnologische, 
für  das  die  geringen  Unterschiede  der  nahe  verwandten  Culturvölker 
am  meisten  ins  Gewicht  fallen.  Da  femer  die  Ethnologie  die  geistigen 
Charaktere  der  Völker  in  ihrer  Bedingtheit  durch  die  physischen 
Einflüsse  der  Organisation  und  des  Wohnorts  und  in  ihrer  Rück- 
wirkung auf  die  socialen  und  historischen  Erscheinungen  untersucht, 
so  schliesst  sie  sich  auf  das  engste  an  die  Psychologie,  zunächst  an 
die  Völkerpsychologie  an.  Wie  diese  das  Fundament  der  Geistes- 
wissenschaften überhaupt,  so  bildet  jene  eine  Grundlage  der  socialen 
und  dadurch  indirect  zugleich  der  historischen  Wissenschaften.  Hier- 
bei bringt  es  aber  die  Allgemeinheit  ihrer  Aufgabe  mit  sich,  dass 
sie  auch  relativ  unthätige  und  vor  allem  sich  selbst  ihrer  Zusammen- 
gehörigkeit durchaus  nicht  bewusste  Glieder   der  menschlichen  Ge- 


444  Logik  der  GesellschaftswiBsenscbafteii. 

Seilschaft  berücksichtigt.  Ueberdies  ist  in  absolutem  Sinne  gleich- 
gültig für  die  Menschheit  vielleicht  kein  noch  so  verwahrloster  und 
isolirter  Stamm;  die  Geschichte  der  Völkerwanderungen,  der  Ent- 
deckungen und  der  Colonisationen  ist  erfüllt  von  den  Wirkungen 
des  culturlosen  Theiles  der  Menschheit  auf  die  Culturvölker.  Ebenso 
wenig  wie  innerhalb  eines  einzelnen  Volkes  die  unmündigen  ausser- 
halb der  Gesellschaft  stehen,  sind  daher  die  Naturvölker  auszuschliessen 
von  der  menschlichen  Gesellschaft  überhaupt.  So  ist  es  denn  zweifel- 
los, dass  jene  universelle  Social  Wissenschaft,  welche  die  Vertreter 
der  philosophischen  Sociologie  als  ein  Desiderat  betrachteten  ^  nach 
einer  Richtung  wenigstens  thatsächlich  existirt.  Die  Ethnologie 
ist  eine  universelle  Sociologie.  Denn  eine  allgemeine  Lehre  von  der 
menschlichen  Gesellschaft  wird  sich  als  eine  Hauptaufgabe  die  stellen 
müssen,  das  Ganze  der  Menschheit  in  Bezug  auf  die  eigenthümlichen 
Unterschiede,  die  sich  in  ihm  durch  Naturbedingungen  und  geistige 
Eigenschafben  entwickelt  haben,  einer  zusammenfassenden  Unter- 
suchung zu  unterwerfen. 

An  die  Erledigung  der  ethnologischen  Probleme  schliesst  sich 
sodann  eine  zweite  Frage  an.  Sie  bezieht  sich  auf  die  Erschei- 
nungen des  gesellschaftlichen  Lebens  in  ihrem  wechsel- 
seitigen Zusammenhang.  Mit  ihr  beschäftigt  sich  eine  eben- 
falls bereits  bestehende  Wissenschaft,  die  Bevölkerungskunde 
oder  Demologie*).  Während  die  Völkerkunde  die  Menschheit  in 
ihre  durch  Abstammung  und  Geschichte  bedingten  Zweige  gliedert, 
jeden  der  letzteren  aber  nach  allen  Richtungen  seines  geistigen 
Lebens  schildert,  geht  die  Bevölkerungskunde  von  einer  einzelnen 
fest  begrenzten  Gemeinschaft  aus,   um   an  ihr  zuerst  successiv  die 


*)  Die  Ausdrücke  Demologie  und  Demographie  sind  wohl  zuerst 
von  E.  Engel  und  G.  Kümelin  gebraucht  worden.  (Vgl.  des  Letzteren 
Reden  und  Aufsätze,  I,  S.  261.)  Von  beiden  Ausdrücken  hat  in  der  Praxis  unter 
dem  Einfluss  der  ,  demographischen  Congresse*  imd  ihrer  Berichte  vorzugsweise 
der  zweite  Eingang  gefunden.  Auch  hat  dies  seine  Berechtigung  darin,  dass 
die  Bevölkerungslehre  bis  jetzt  noch  wesentlich  eine  beschreibende  Disciplin 
ist.  Dies  verhält  sich  aber  mit  der  Ethnologie  kaum  anders;  und  da  man 
immerhin  diesen  Gebieten  die  Aufgabe  zuerkennen  muss ,  nicht  bloss  über  die 
Thatsachen  selbst  sondern  auch  über  ihren  Zusammenhang  Rechenschaft  zu  geben, 
so  dürfte  schon  nach  der  Uebereinstimmung  mit  der  sonstigen  wissenschaftlichen 
Terminologie  das  Wort  Demologie  vorzuziehen  sein.  Weniger  passend  und 
wegen  der  Verwechslung  mit  der  gleichbenannten  Methode  leicht  irreführend 
ist  der  noch  immer  für  das  nämliche  Gebiet  nicht  selten  gebrauchte  Ausdruck 
Statistik. 


Sociologie.  445 

einzelnen  socialen  Erscheinungen  für  sich  zu  betrachten  und  sie  sodann 
einer  Prüfung  in  Bezug  auf  ihre  wechselseitigen  Beziehungen  zu 
unterwerfen.  In  der  Regel  bezeichnet  dabei  die  ethnologische  Ein- 
heit, das  Volk,  das  umfassendste  Object  der  Untersuchung;  selten 
nur  erstreckt  sich  diese  auf  einen  Complex  von  Völkern,  viel  häu- 
figer schreitet  sie  zu  engeren  Scheidungen  fort,  indem  sie  die  Be- 
Tölkerungen  einzelner  Provinzen,  Städte,  Ortschaften  als  nächste 
Objecto  der  Analyse  betrachtet. 

Die  zuletzt  erwähnten  Untersuchungen  führen  endlich  zu  einer 
dritten,  für  die  Anwendungen  der  Sociologie  auf  das  praktische 
Leben  wichtigsten  Frage.  Sie  bezieht  sich  auf  die  Bedingungen 
und  Eigenschaften  der  Organisationsformen  der  Gesell- 
schaft. Da  unter  diesen  socialen  Organisationen  der  Staat  für 
den  Culturmenschen  die  wichtigste  Stelle  einnimmt,  so  gehört  diese 
Frage  vor  das  Forum  der  ältesten  unter  den  Socialwissenschaften, 
der  Staatswissenschaft  oder  Politik*).  Der  Name,  in  welchem 
in  diesem  Falle  der  wichtigste  Theil  für  das  Ganze  gesetzt  ist,  darf 
über  die  Tragweite  der  Aufgaben  einer  wissenschaftlichen  Politik 
nicht  täuschen.  Diese  hat  zu  jeder  Zeit  die  Untersuchung  der  wich- 
tigsten im  Staate  enthaltenen  oder  neben  ihm  bestehenden  gesell- 
schaftlichen Organisationen  mindestens  als  eine  wichtige  Nebenauf- 
gabe betrachtet.  Freilich  ist  aber  der  ganze  Umfang  dieser  Probleme 
erst  von  der  neueren  Staatswissenschaft  erkannt  worden,  so  dass  die 
Betrachtung  der  im  Staate  sich  durchkreuzenden,  theils  ihn  bestim- 
menden theils  von  ihm  abhängigen  socialen  Organisationen  eine  immer 
grössere  Bedeutung  gewann  und  so  die  Staatswissenschaft  selbst 
mehr  und  mehr  thatsächlich  zu  einer  allgemeinen  Lehre  von  den 
socialen  Organisationen  erweitert  hat.  An  die  Staatswissenschaft 
schliessen  sich  daher  auch  unmittelbar  diejenigen  Disciplinen,  die 
aus  den  gesammten  Erscheinungen  des  gesellschaftlichen  Lebens 
solche  herausgreifen,  die  theils  für  die  Erhaltung  theils  für  die 
Organisation  der  Gesellschaft  eine  hervorragende  Bedeutung  be- 
sitzen, und  die  wir  als  die  speciellen  Gesellschaftswissenschaften 
jenen  allgemeinen  gegenüberstellen  .können.  Sie  sind  die  Volk s- 
wirthschaftslehre  und  die  Rechtswissenschaft.  Insofern 
Wirthschaft  und   Recht  zu   den   wichtigsten  Grundlagen   der  staat- 

*)  Der  Name  , Politik*  hat,  wenn  es  auch  an  Arbeiten  nicht  fehlt,  die 
das  Wort  im  Sinne  des  Aristoteles  verstehen,  doch  durch  die  vorwiegende  Be- 
ziehung auf  die  praktische  Staatskunst  eine  Nebenbedeutung  angenommen,  die 
Her  im  allgemeinen  dem  deutschen  Wort  den  Vorzug  verschafft  hat. 


446  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

liehen  Organisation  gehören,  lassen  sich  beide  auch  als  Abzwei- 
gungen der  Staatswissenschaft  betrachten,  die  sich  von  dem  sonstigen 
Inhalt  der  letzteren  nur  in  Folge  des  eigenthümlichen  systematischen 
Zusammenhaugs  und  des  grossen  Umfangs  ihrer  Arbeitsgebiete  ge- 
sondert haben. 

Völkerkunde,  Bevölkerungslehre  und  Staatswissenschaft  bilden 
demnach  drei  Gebiete,  die  in  ihrer  Vereinigung  den  wichtigsten  Theil 
der  Aufgaben  lösen,  die  man  einer  allgemeinen  Sociologie  stellen 
kann.  Ja  es  könnte  scheinen,  dass  jene  drei  allgemeinen  Fragen, 
mit  deren  Beantwortung  sich  diese  drei  Wissenschaften  beschäftigen, 
eigentlich  die  s'ämmtlichen  Probleme  umfassen,  die  überhaupt 
hier  aufzuwerfen  sind,  so  dass  füi'  eine  weitere  Wissenschaft 
neben  ihnen  gar  kein  Platz  mehr  ist  oder  doch,  wenn  jene  Fragen 
zureichend  behandelt  werden,  keiner  mehr  sein  sollte.  Denn  es  ist 
kaum  einzusehen,  auf  was  anderes  irgend  ein  sociologisches  Problem 
sich  sollte  beziehen  können,  als  entweder  auf  die  allgemeinen  Eigen- 
schaften irgend  einer  menschlichen  Volksgemeinschaft  in  ihrem  Ver- 
hältniss  zu  dem  Ganzen  der  menschlichen  Gattung,  oder  auf  die 
Verhältnisse  der  einzelnen  socialen  Erscheinungen  innerhalb  einer 
bestimmten  Gesellschaft,  oder  endlich  auf  die  Organisationsformen 
der  verschiedenen  Gesellschaften  und  Gemeinschaften  und  auf  die 
in  ihren  Organisationsbedingungen  begründeten  Wechselwirkungen. 
Auch  ist  es  augenfällig,  dass  die  verschiedenen  Entwürfe  philoso- 
phischer Sociologie,  sobald  sie  das  bedenkliche  Terrain  geschichts- 
philosophischer  Constructionen  oder  naturphilosophischer  Analogien 
verliessen,  um  sich  mit  den  wirklichen  Thatsachen  des  gesellschaft- 
lichen Lebens  zu  beschäftigen,  entweder,  wie  Comte,  auf  das  Gebiet 
der  Politik,  oder,  wie  Spencer,  auf  das  der  Ethnologie  und  Völker- 
psychologie gerathen  sind.  So  kommt  diese  philosophische  Sociologie 
den  wirklich  ezistirenden  allgemeinen  Socialwissenschaften  gegenüber 
genau  in  die  nämliche  unhaltbare  Stellung,  wie  sie  die  Geschichts- 
philosophie der  Universalgeschichte  gegenüber  einnimmt.  Gerade 
so  wenig  wie  jene  Geschichtsphilosophie,  die  nichts  anderes  als  eine 
von  philosophischen  Bemerkungen  begleitete  Weltgeschichte  ist,  neben 
der  wirklichen  Geschichte  auf  eine  selbständige  Aufgabe  Anspruch 
erheben  kann,  gerade  so  wenig  ist  das  bei  einer  Sociologie  der  Fall, 
die  im  einzelnen  nichts  bietet  als  einen  allgemeinen  Abriss  der  schon 
bestehenden  allgemeinen  Socialwissenschaften,  je  nach  Umstanden 
mit  besonderer  Bevorzugung  der  einen  oder  andern  unter  ihnen  und 
mit  hinzugefügten   allgemeinen  Ergebnissen.     Gehört  jenes  Material 


Sociologie.  447 

an  und  für  sich  zur  Domäne  der  einzelnen  Wissenschaften,  denen 
es  entlehnt  wird,  so  lässt  sich  von  diesen  allgemeinen  Ergebnissen 
sagen,  dass  sie  ihnen  ebenfalls  zugehören,  wenn  sie  richtig,  und  dass 
sie  nirgends  hingehören,  wenn  sie  falsch  sind. 

Dennoch  gibt  es  einen  Gesichtspunkt,  unter  dem  hier  wie 
überall  die  der  Einzelforschung  nachfolgende  philosophische  Behand- 
lung ihr  gutes  Recht  hat.  Ueberall  da  nämlich,  wo  in  den  einzelnen 
sociologischen  Gebieten  allgemeine  Begriffe  und  Principien 
zur  Geltung  kommen,  die  eben  deshalb  weil  sie  allen  Gebieten  ge- 
meinsam sind  in  keinem  einzelnen  eine  endgültige  Erörterung  finden 
können,  und  überall  da  wo  die  sociologischen  Probleme  auf  all- 
gemeine psychologische,  erkenntnisstheoretische  oder  ethische  Fragen 
zurückführen,  da  bedarf  natürlich  das  System  jener  Wissenschaften 
einer  ergänzenden  philosophischen  Untersuchung.  Da  jedoch  eine 
solche  Untersuchung  ihrer  Aufgabe  nach  nur  auf  die  Principien, 
niemals  direct  auf  die  zur  Domäne  der  Einzelwissenschaften  ge- 
hörigen Thatsachen  gerichtet  ist,  so  überschreitet  eine  Sociologie, 
die  neben  der  Untersuchung  der  Principien  auch  noch  den  wesent- 
lichen Inhalt  der  sociologischen  Wissenschaften  selbst  behandelt,  gerade 
so  ihre  wirkliche  Aufgabe,  wie  dies  jene  Geschichtsphilosophie  thut, 
die  zugleich  Universalgeschichte  sein  will.  Hier  wie  dort  ist  dieses 
Verfahren  vor  allem  deshalb  zu  verwerfen,  weil  eine  solche  Ge- 
bietsüberschreitung keineswegs  in  einer  an  sich  unschuldigen  Wieder- 
holung eines  schon  anderwärts  vorhandenen  Inhalts  besteht,  sondern 
weil  sich  dahinter  stets  zugleich  die  Tendenz  verbirgt,  die  That- 
sachen willkürlich  nach  speculativen  Gesichtspunkten  zu  verbinden, 
wobei  dann  solche  Gesichtspunkte  nicht  den  Thatsachen  selbst  son- 
dern fremden  Gebieten  entlehnt  sind  oder  in  irgend  welchen  philo- 
sophischen Vorurtheilen  ihre  Quelle  haben.  Bei  dieser  Vermengung 
der  Aufgaben  pflegt  aber  in  der  Sociologie  wie  in  der  Ge- 
schichtsphilosophie das  was  wirklich  eine  philosophische  Aufgabe 
ist,  nämlich  die  Aufsuchung  und  kritische  Untersuchung  der  von 
den  einzelnen  Wissenschaften  stillschweigend  vorausgesetzten  Prin- 
cipien, nothwendiger  Weise  zu  kurz  zu  kommen.  Da  die  Erörterung 
dieser  Principien  zunächst  eine  logische  Aufgabe  ist,  so  werden 
wir  am  Schlüsse  dieses  Capitels,  nach  der  methodologischen  Be- 
trachtung der  einzelnen  Socialwissenschaften,  auf  sie  eingehen. 


448  Logik  der  GesellBchaftswissenschaften. 


b.    Die  Ethnologie. 

Der  sociale  Zustand  des  Menschen  wird  yor  allem  bestimmt 
durch  die  .Volksgemeinschaft,  der  er  angehört  In  ihr  wurzeln 
die  allgemeinsten  Grundlagen  des  gemeinsamen  Lebens,  Sprache, 
Sitten,  religiöse  Anschauungen;  und  auf  ihren  Eigenschaften  beruhen 
die  ursprünglichen  Formen  gesellschaftlicher  Organisation  von  der 
Horde  und  Familie  an  bis  hinauf  zum  Staate.  In  diesem  Sinne  ist 
daher  die  Völkerkunde  die  Grundlage  aller  andern  Socialwissen- 
schaften.  Sie  selbst  aber  ruht  wieder  auf  der  Völkerpsychologie, 
mit  der  sie  zugleich  in  jener  überall  bei  den  Geisteswissenschaften 
wiederkehrenden  Wechselwirkung  steht,  dass  sie  ihr  einen  grossen 
Theil  der  speciellen  Thatsachen  übermittelt,  aus  denen  allgemeine 
psychologische  Folgerungen  zu  ziehen  sind,  worauf  sie  dann  ihrerseits 
diesen  wieder  die  Gesichtspunkte  für  die  psychologische  Charakte- 
ristik der  einzelnen  Völker  entnehmen  muss.  Weiterhin  steht  aber 
die  Völkerkunde,  da  sie  überall  die  natürlichen  Lebensbedingungen 
der  Völker  und  ihre  physischen  Eigenschaften  in  Betracht  zu  ziehen 
hat,  in  enger  Verbindung  mit  gewissen  Naturwissenschaften :  so  vor 
allem  wegen  der  Abhängigkeit  der  Völker  yon  ihrer  räumlichen 
Verbreitung  auf  der  Erde  mit  der  Erdkunde,  und  wegen  der  Beziehung 
ihrer  physischen  Charaktere  zu  den  allgemeinen  zoologischen  Eigen- 
schaften des  Menschen  mit  der  physischen  Anthropologie,  die 
zugleich  ihr  gegenüber  die  Bedeutung  einer  Hülfsdisciplin  hat,  in- 
sofern ihre  Methoden  zur  Feststellung  der  körperlichen  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Völker  dienen.  Aber  der  abweichende  Standpunkt 
der  Ethnologie  von  dem  dieser  angrenzenden  Naturwissenschaften 
verräth  sich  darin,  dass  sie  bei  der  Lösung  ihrer  Aufgaben  histo- 
risthen  und  socialen  Thatsachen  eine  eingehende  Rücksicht  schenkt, 
und  dass  ihre  wichtigsten  Aufgaben  sociologischer,  nicht  naturwissen- 
schaftlicher Art  sind.  Namentlich  gehören  hierher  zwei  Probleme: 
das  der  Abstammung  und  der  Verwandtschaftsbeziehungen  der  ein- 
zelnen Völker,  und  das  der  Veränderung  des  ethnologischen  Charak- 
ters durch  Natureinflüsse  und  Culturbedingungen.  Beide  Probleme 
stehen  in  nahem  Zusammenhange,  da  die  Lösung  des  ersten  nicht 
selten  durch  die  Thatsachen,  mit  denen  sich  das  zweite  beschäftigt, 
erschwert  oder  unmöglich  gemacht  wird.  Deshalb  können  aber  auch 
schon  bei  der  Behandlung  des  an  sich  dem  naturhistorischen  Gebiet 
am   nächsten    stehenden    genealogischen    Problems    historische   und 


Ethnologie.  449 

philologische  Hülfsmittel  nicht  entbehrt  werden.  Neben  den  physi- 
schen Eigenschaften  bildet  die  Sprache  das  hauptsächlichste  Zeug- 
niss  gemeinsamer  Abstammung,  und  ausser  ihr  können  Gemeinsam- 
keit der  Eunsterzeugnisse,  der  Sage  und  Sitte  sowie  die  historische 
Tradition  in  Betracht  kommen.  Je  vielgestaltiger  diese  Hülfsmittel 
sind,  um  so  grössere  Vorsicht  erheischt  ihre  Benützung.  Wie  unzu- 
länglich aber  hier  die  ausschliessliche  Yerwerthung  einer  Gruppe 
von  Merkmalen  ist,  dafür  liefern  gewisse  auf  Grund  der  Kranio- 
metrie  unternommene  ethnologische  Classificationen  sowie  die  aus 
der  Verbreitung  einzelner  Sagen,  wie  z.  B.  der  Fluthsage,  gezogenen 
Schlüsse  warnende  Beispiele.  Im  allgemeinen  hat  sich  aus  nahe- 
liegenden Gründen  die  Sprache  als  dasjenige  Merkmal  erwiesen, 
welches  bei  den  Gulturvölkem  die  sichersten  Anhaltspunkte  liefert, 
während  bei  den  Naturrölkem  den  physischen  Eigenschaften  ein 
grösseres  Gewicht  beizumessen  ist.  Dabei  ist  freilich  nie  zu  ver- 
gessen, dass  im  allgemeinen  alle  Merkmale  mehrdeutiger  Art  sind. 
Nicht  nur  Sagen,  Sitten,  Formen  der  Kunst  und  der  Technik  können 
sich  von  einem  Volk  zum  andern  verbreiten,  sondern  selbst  die 
Sprache  und  die  physischen  Eigenschaften  können  durch  den  Ver- 
kehr und  durch  die  Vermischungen  der  Völker  Veränderungen 
erfahren,  die  ihre  Verwerthung  zu  genealogischen  Schlüssen  er- 
schweren. Im  allgemeinen  kann  darum  hier  überall  erst  auf  Grund 
des  Uebergewichts  oder  der  Verbindung  gewisser  Merkmale  zwischen 
jenen  verschiedenen  Möglichkeiten  entschieden  werden,  die  früher 
schon  an  dem  Beispiel  des  Mythus  eingehender  erörtert  worden 
sind.     (Vgl.  Cap.  I,  S.  103  ff.) 

Ungleich  schwieriger  noch  als  die  genealogische  Frage  gestaltet 
sich  aber  das  Problem  der  ethnologischen  Veränderungen.  Hier 
geht  zunächst  die  ethnologische  mit  der  geographischen  Untersuchung 
Hand  in  Hand,  indem  sie  den  Einfluss  von  Klima,  Bodenbeschaffen- 
heit, Oberflächengestaltung  und  Umgebung  auf  die  physischen  und 
geistigen  Eigenschaften  zu  ermitteln  sucht.  Die  grosse  Schwierig- 
keit liegt  hier  darin,  dass  kein  anderer  Weg  als  die  Generalisation 
auf  Grund  vergleichender  Beobachtungen  möglich,  und  dass  doch 
die  Zahl  der  Thatsachen,  die  der  Generalisation  zur  Verfügung 
stehen,  viel  zu  klein  ist,  um  so  mehr  da  nicht  selten  entgegengesetzte 
Einflüsse  zu  der  schon  gewonnenen  Regel  Ausnahmen  hinzutreten 
lassen.  Meist  bleibt  dann  nichts  anderes  übrig,  als  der  Schwäche 
solcher  Verallgemeinerungen    durch   eine   psychologische   Deduction 

Wandt,  Logik.  II,  2.    2.  Aufl.  29 


450  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

zu  Hülfe  zu  kommen,  die  das  Resultat  von  vornlierein  als  ein  an  sich 
wahrscheinliches  erscheinen  lässt. 

Die  Methoden  der  Ethnologie  bestehen  hiemach  in  einer 
Verbindung  der  beiden  vergleichenden  Methoden,  der  individuellen 
und  der  generischen,  wobei,  ganz  wie  in  den  entsprechenden  Dis- 
ciplinen  der  Naturgeschichte,  der  letzteren  der  entscheidende  An- 
theil  zukommt.  Dies  ergibt  sich  schon  daraus,  dass  fbr  die  Ethno- 
logie die  Resultate  der  Vergleichung  erst  bedeutsam  werden,  wenn 
sie  nicht  vereinzelt  bleiben,  sondern  sich  in  einer  grossen  Zahl  von 
Fällen  wiederholen.  Der  einzelne  Fall,  z.  B.  die  Verbreitung  einer 
Sage,  die  Aufnahme  eines  Wortes,  kann  historisch  wichtig  sein, 
da  er  unter  allen  umständen  auf  geschichtliche  Verbindungen  hin- 
weist; für  ethnologische  Zusammenhänge  bleibt  der  einzelne  Fall 
unerheblich.  Die  individuelle  Vergleichung  tritt  darum  hier,  ganz 
so  wie  in  den  verwandten  Gebieten  der  systematischen  Naturwissen- 
schaft, in  die  Rolle  eines  die  generische  Vergleichung  vorbereitenden 
Verfahrens  zurück.  Anderseits  ist  aber  ebenso  die  statistische  Me- 
thode, die  in  der  Bevölkerungslehre  eine  so  grosse  Rolle  spielt,  für 
die  Ethnologie  von  relativ  untergeordneter  Bedeutung.  Ihre  An- 
wendung beschränkt  sich  hier  auf  die  numerische  Feststellung  der 
Angehörigen  eines  bestimmten  Volksstammes  oder  bei  gemischten 
Bevölkerungen  auf  die  Bestimmung  der  Zahlenverhältnisse  der  ein- 
zelnen Rassenbestandtheile,  kurz  auf  diejenigen  Gliederungen,  die 
eine  ethnologische  Bedeutung  besitzen.  Sobald  sich  die  statistische 
Untersuchung  irgend  welchen  anderen  gesellschaftlichen  Unterschie- 
den, wie  Berufs-,  Standes-,  Besitzverhältnissen  u.  dergl.,  oder  gar 
der  Frequenz  gewisser  Lebenserscheinungen  und  Willenshandlungen, 
wie  der  Geburten  und  Todesfälle,  der  Eheschliessungen,  der  Ver- 
brechen, zuwendet,  so  begibt  sie  sich  vom  Gebiet  der  Völkerkunde 
auf  das  der  Bevölkerungslehre,  womit  aber  natürlich  nicht  gesagt 
ist,  dass  die  Ethnologie  nicht  solche  demologische  Untersuchungen 
für  ihre  Zwecke,  namentlich  für  die  Charakterisirung  einer  bestimm- 
ten Volksgemeinschaft,  verwerthen  könne.  Das  Verhältniss  ist  eben 
auch  hier  wieder  ein  solches  der  wechselseitigen  Beziehungen.  Die 
Ethnologie  als  die  allgemeinere  Disciplin  überliefert  der  Bevölke- 
rungslehre diejenigen  Gesellschaftsbegriffe,  die  allen  weiteren  socialen 
Unterscheidungen  zu  Grunde  zu  legen  sind;  und  die  Demoiogie 
trägt  dann  wieder  durch  ihre  Resultate  zur  Vertiefung  der  ethno- 
logischen Aufgaben  bei.  Im  ganzen  aber  bringt  es  dieses  Verhältniss 
mit  sich,   dass  sich   die  Ethnologie  zumeist  auf  ein  qualitatives 


Ethnologie.  451 

Verfahren  beschränkt,  während  die  zu  dessen  Ergänzung  erforder- 
lichen quantitativen  Bestimmungen  bereits  in  das  Gebiet  der 
Bevdlkerungslehre  hinüberreichen. 

Die  generischen  Vergleichungen  der  Ethnologie  pflegen  nun 
r^elmässig  mit  einem  Hauptmerkmal  zu  beginnen,  dieses  über  die 
Glieder  einer  bestimmten  ethnologischen  Gruppe  nach  Massgabe  ihrer 
geographischen  Verbreitungsgebiete  zu  verfolgen  und  daran  die  Ver- 
gleichung  anderer  Eigenschaften  anzuschliessen,  die  jenem  Haupt- 
merkmal gegenüber  die  Stellung  secundärer  Zeugnisse  einnehmen, 
welche  entweder  das  dort  gewonnene  Ergebniss  bekräftigen  oder 
modificiren.  W.  von  Humboldt  gebührt  das  Verdienst,  als  der 
Erste  auf  weit  von  einander  entfernten  Gebieten  der  Ethnologie  als 
ein  solches  Hauptmerkmal  die  Sprache  methodisch  verwerthet  zu 
haben.  Wie  er  in  einer  seiner  früheren  Arbeiten*)  aus  Orts-  und 
Flussnamen  auf  die  einstigen  Verbreitungsgebiete  baskischer  und 
keltischer  Stämme  in  Spanien  und  Südfrankreich  wichtige  Schlüsse 
zog,  so  widmete  er  einen  Theil  seines  letzten  grossen  Werkes  dem 
Nachweis,  dass  die  Bewohner  der  malayo-polynesischen  Inselwelt 
nach  den  Merkmalen  ihrer  Sprache  Glieder  einer  einzigen  Elasse 
seien,  die  sich  allmählich  von  Westen  nach  Osten  ausgebreitet  habe**). 
Dieses  sprachwissenschaftliche  Ergebniss  ist  dann  durch  manche 
secundäre  Zeugnisse,  wie  die  Verbreitung  von  Kunstfertigkeiten,  Sitten 
und  Sagen,  endlich  auch  durch  die  gleich  gerichtete  Wanderung 
gewisser  Hausthiere  bestätigt  worden***).  Die  neuere  Ethnologie 
hat  dieses  vergleichende  Verfahren  mehr  und  mehr  auf  speciellere 
Merkmale ,  wie  z.  B.  auf  besondere  Formen  der  Bewaffnung,  Eigen- 
thümlichkeiten  der  Tracht,  der  Tattuirung  u.  dergl.  ausgedehnt f). 
Je  singulärer   und  je   äusserlicher   dabei    die   gewählten  Merkmale 


*)  Prüfung  der  Untersuchangen  über  die  ürbewohner  Spaniens  vermittelst 
der  Yaskischen  Sprache,  1821.    Werke,  11,  S.  1  ff. 

**)W.  von  Humboldt,  Ueber  die  Eawisprache  auf  der  Insel  Java, 
Bd.  ni,  1839.  Ueber  den  gegenwärtigen  durchweg  mit  Humboldts  Ergebnissen 
Übereinstimmenden  Stand  der  Untersuchungen  vgl.  Fr.  M  ü  1 1  e  r ,  Grundriss  der 
Sprachwissenschaft,  Bd.  U,  Abth.  2,  S.  1  ff. 

**♦)  Waitz-Gerland,  Anthropologie  der  Naturvölker,  Bd.  5,  2.  Abth., 
S.  18  ff. 

t)  Vgl.  z.  B.  Ratzel,  Die  afrikanischen  Bögen,  ihre  Verbreitung  und 
Verwandtschaften,  Abh.  der  sächs.  Ges.  der  Wiss.  Philologisch-historische 
Classe,  Xni,  S.  291.  H.  Schurtz,  Grundzüge  einer  Philosophie  der  Tracht. 
1891.  (Enthält  hauptsächlich  Untersuchungen  über  die  Verbreitung  der  Neger- 
trachten.) 


452  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

sind,  um  so  wahrscheinlicher  wird  es  freilich,  dass  sie  nicht  in 
ursprünglichen  Völkerzusammenhängen  sondern  in  Einflüssen  des 
Verkehrs  und  in  der  allmählichen  Ausbreitung  ursprünglich  indivi- 
dueller Aneignungen  ihren  Grund  haben. 

Wesentlich  verschieden  nach  Inhalt  und  Zweck  von  diesen 
Vergleichungen  ethnologischer  Merkmale  sind  diejenigen  Unter- 
suchungen ,  die  das  Verh&ltniss  der  einzelnen  Völker  zu  ihren  Ver- 
breitungsgebieten, insbesondere  ihre  Abhängigkeit  yon  der  geographi- 
schen Beschaffenheit  der  Länder  und  die  Wirkungen  der  Natur- 
bedingungen auf  ihre  Eigenschaften  zum  Gegenstande  haben.  In 
dieser  Richtung  hat  vor  allen  Carl  Ritter,  angeregt  durch  Her- 
ders geschichtsphilosophische  Ideen,  in  seiner  Erdkunde  die  ethno- 
logischen Probleme  behandelt,  ohne  dadurch  freilich  auf  die  Ethno- 
logie selbst ,  die  zum  Theil  im  bewussten  Gegensatz  gegen  jene 
Geschichtsphilosophie  die  Natureinflüsse  gänzlich  leugnete  oder  auf 
ein  kleinstes  Mass  zu  beschränken  suchte,  in  der  nächsten  Zeit  eine 
sonderliche  Wirkung  auszuüben  "*").  Erst  als  die  demologischen  Me- 
thoden auf  die  Ethnologie  herüberzuwirken  begannen,  wurde  all- 
mählich in  bescheideneren  Grenzen,  als  es  in  jenen  der  Erfahrung 
vorauseilenden  geschichtsphilosophischen  Speculationen  geschehen  war, 
eine  Reihe  hierher  gehöriger  Fragen  mit  methodischer  Strenge  auf- 
genommen. In  erster  Linie  standen  hier  die  an  das  demologische 
Gebiet  nahe  angrenzenden  Untersuchungen  über  die  Beziehungen 
der  Ansiedelungen  zu  Küsten-  und  Flussläufen,  zur  Bodenbeschaffen- 


*)  Man  vergleiche  z.  B.  die  Bemerkungen  Peschels  in  seinen  Neuen 
Problemen  der  vergleichenden  Erdkunde,  2.  Aufl.  1876,  S.  3.  Wenn  Feschel 
hier  den  Begründer  der  vergleichenden  Erdkunde  einer  Teleologie  bezichtigt, 
welche  die  Erdtheile  wie  .grosse  Individuen''  betrachte,  die  «mit  ungezügelter 
Parteinahme  in  die  Geschicke  der  Menschen  eingreifen* ,  so  trifft  dieser  Voi> 
wurf  doch  nur  die  in  der  Form  teleologische  und  nicht  selten  bildliche  Dar-  . 
Stellung  Ritters,  auch  vielleicht  eine  gewisse  Ueberschätzung  der  klimatischen 
Einflüsse,  aber  sicher  nicht  den  an  sich  richtigen  Grundgedanken,  der  durch- 
aus nichts  Teleologisches  an  sich  hat,  da  die  geographischen  Bedingungen 
zweifellos  zu  den  Ursachen  gehören,  welche  die  ethnologischen  Eigenschaften 
bestimmen.  In  welchem  Umfange  das  geschieht,  ist  freilich  eine  Frage,  die 
erst  durch  concrete  Untersuchungen  festzustellen  ist,  und  hier  ist  ja  zuzugeben, 
dass  die  ältere  Anthropologie  mit  der  Annahme  einer  directen  Einwirkung  der 
Naturbedingungen  auf  den  physischen  und  geistigen  Habitus  des  Menschen  allzu 
freigebig  war.  Das  ,post  hoc'  galt  auch  hier  meist  ohne  weiteres  für  ein 
,propter  hoc*.  So  viel  sich  jetzt  Übersehen  lässt,  wirken  die  geographischen 
Bedingungen  vielmehr  indirect  als  direct,  und  jedenfalls  sind  es  diese  indirecten 
Einflüsse  allein,  die  sich  einigermassen  nachweisen  lassen. 


Ethnologie.  453 

heit  und  zu  andern  für  die  materielle  Existenz  wichtigen  Natur- 
bedingungen"*").  Nach  Inhalt  wie  Methode  bilden  diese  Untersuchungen 
ein  Grenzgebiet  zwischen  Ethnologie  und  Bevölkerungslehre.  Dieser 
Stellung  entsprechend  haben  sie  eine  doppelte  Bedeutung.  Zunächst 
dienen  die  durch  individuelle  Vergleichung  aufgefundenen  Ueberein- 
stimnGiungen  und  Unterschiede  zur  ethnologischen  Charakteristik  der 
einzelnen  Völker.  Sodann  bilden  sie,  sobald  sie  durch  generelle 
Vergleichung  bestätigt  werden,  die  Grundlagen  für  die  Feststellung 
gewisser  bei  den  verschiedenen  Völkern  wiederkehrender  Gleich- 
förmigkeiten der  Verbreitung  und  der  culturellen  Eigenschaften  je 
nach  den  vorhandenen  Naturbedingungen. 

Für  die  Darstellung  der  Ergebnisse  beider  Formen  ethnologi- 
scher Vergleichung  ist  die  kartographische  Veranschaulichung 
ein  nützliches  Hülfsmittel.  Sie  gestattet  den  Inhalt  weitläufiger  Er- 
örterungen in  ein  mit  einem  Blick  zu  überschauendes  einheitliches 
Bild  zusammenzufassen.  In  ihrer  einfachsten  Anwendung,  als  Völker- 
karte, dient  sie  der  Darstellung  der  Verbreitung  von  Bevölkerungen, 
deren  Gebiete  zugleich  mit  bestimmten  geographischen  Grenzen  zu- 
sammenfallen. In  diesem  Fall  bildet  die  ethnologische  ein  Seiten- 
stück zur  politischen  Karte.  Aber  da  die  Stammesgrenzen  wegen 
der  allmählichen  Uebergänge  in  der  Regel  nicht  so  scharf  zu  ziehen 
sind  wie  die  Staatsgrenzen,  so  werden  schon  hier  meist  verwickeitere 
Modificationen  der  Darstellung  erforderlich,  die  sich  um  so  mehr 
häufen,  je  mehr  auf  die  über  ein  ganzes  Territorium  sich  erstrecken- 
den Mischungen  oder  auf  feinere  Stammeseigenthümlichkeiten  Rück- 
sicht genommen  wird.  Können  in  diesem  Fall  verschiedene  Dichtig- 
keiten der  Bevölkerung  durch  die  Tiefe  des  Farbentons,  unerheblichere 
Beimengungen  anderer  ethnologischer  Bestandtheile  durch  eine  ver- 
schiedene Schraffirung,  die  selbst  wieder  eine  die  Bevölkerungsdichte 
yersinnlichende  Verstärkung  zulässt,  dargestellt  werden,  so  nöthigt 
doch,  sobald  mehrere  Mischungen  neben  einander  hergehen,  schon 
dieses  einfache  Problem  zu  einer  Auseinanderlegung  des  nämlichen 
Gegenstandes  in  eine  Anzahl  parallel  laufender  Karten,  die  zusammen 
erst  die  sämmtlichen  ethnologischen  Verhältnisse  eines  Landes  einiger- 
massen  erschöpfend  zur  Darstellung  bringen.  Zu  diesen  Völker- 
nnd  Stammeskarten,  denen  die  menschlichen  Individuen  in  der  Ge- 

*)  Eine  Reihe  von  Beispielen  solcher  statistisch-ethnologischer  Betrach- 
tangen vgl.  im  n.  Theil  von  Ratzeis  Anthropogeographie ,  1891,  besonders 
die  Abschnitte  Über  die  Wohnplätze  und  die  geographische  Verbreitung  von 
Völkermerkmalen,  S.  401  und  631  ff. 


454  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

sammtheit  ihrer  ethnologischen  Merkmale  als  Unterlage  dienen,  kommen 
als  eine  zweite  Glasse  die  ethnologisch-topographischen  Karten, 
die  theils  die  Verbreitung  der  verschiedenen  Formen  von  Ansiede- 
lungen, Städte,  Dörfer,  Höfe,  Burgen  u.  s.  w.,  theils  die  besonderen 
in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  der  menschlichen  Cultur  stehen- 
den Verhältnisse  der  Cultur  des  Bodens,  Acker,  Weideland,  Wald 
u.  s.  w. ,  überblicken  lassen.  Auch  sie  fassen  je  nach  umstanden 
mehrere  dieser  Elemente  in  einem  Bild  zusammen  oder  yertheilen 
verschiedene  Gruppen  derselben  auf  mehrere  geographisch  gleich- 
bedeutende Bilder.  Dazu  kommt  endlich  als  eine  dritte  Classe  die 
der  Merkmalskarten,  die  die  Verbreitung  irgend  welcher  ethno- 
logischer Eigenschaften ,  wie  gewisser  Dialektunterschiede,  Sitten, 
Trachten,  Bewaffnungen,  Eigenthümlichkeiten  der  Ortsbezeichnung 
u.  a.,  auf  einer  oder  wieder  auf  mehreren  parallel  laufenden  Karten 
veranschaulichen,  wobei  durchweg  die  Frequenz  der  Merkmale  durch 
die  bei  den  Völkerkarten  erwähnten  Httlfsmittel  ausgedrückt  wird. 
Auch  in  diesen  Fällen  bleibt  die  ethnologische  an  die  geographische 
Karte  gebunden.  Das  bildet  einen  zwar  nicht  immer,  aber  doch  in 
den  vorzugsweise  charakteristischen  Fällen  zutreffenden  Unterschied 
von  der  demologischen  Karte,  die  überall  da,  wo  in  einer  An- 
zahl zusammengehöriger  graphischer  Darstellungen  die  topographische 
Unterlage  als  constant  vorausgesetzt  bleibt,  unmittelbar  eine  den 
quantitativen  Verhältnissen  der  Erscheinungen  genauer  Brechnung 
tragende  geometrische  Versinnlichung  zu  Hülfe  ninunt.  (Vgl.  unten,  c) 
Die  demographische  Darstellung  bleibt  nur  dann  ebenfalls  an  die 
geographische  Karte  gebunden,  wenn  ihr  Inhalt  dem  oben  erwähnten 
Zwischengebiet  zwischen  Völkerkunde  und  Bevölkerungslehre  zu- 
gehört. 

Gegenüber  den  beiden  Problemen  der  genealogischen  Beziehun- 
gen und  der  ethnologisch-geographischen  Abhängigkeitsverhältnisse 
ist  nun  bis  jetzt  eine  dritte  wichtige  Aufgabe  der  Ethnologie,  die 
der  ethnologischen  Charakterologie,  nach  ihrer  wichtigsten, 
der  psychologischen  Seite  verhältnissmässig  zurückgeblieben. 
Zwar  an  Schilderungen  von  religiösen  Anschauungen,  Sitten,  Kunst* 
leistungen,  Temperaments-  und  Charaktereigenthümlichkeiten  fehlt 
es  in  keinem  ethnologischen  Werke.  Aber  diese  Schilderungen  be- 
finden sich  durchgängig  noch  auf  der  Stufe  einer  Sammlung  von 
tbatsächlichem  Material,  ohne  tiefere  psychologische  Verwerthung; 
und  das  allen  jenen  Eigenschaften  gegenüber  grundlegende  geistige 
Erzeugniss,  die  Sprache,  hat  als  charakterologisches  Merkmal  bis 


Bevölkerungslehre.  455 

jetzt  kaum  eine  eingehendere  Beachtung  gefunden.  Und  doch  wür- 
den zweifellos  auch  jene  andern  psychischen  Eigenschaften  in  ein 
helleres  Licht  rücken,  wenn  dafür  erst  durch  die  Erforschung  des 
in  der  Sprache  seinen  unmittelbarsten  Ausdruck  findenden  Denkens 
eine  Grundlage  gewonnen  wäre.  Dazu  fehlt  es  aber  an  einer  zu- 
reichenden Psychologie  der  Sprache,  wie  denn  überhaupt  dieser 
Mangel  der  ethnologischen  Charakterologie  offenbar  mit  der  bis  da- 
hin noch  allzu  geringen  Ausbildung  der  Völkerpsychologie  zusammen- 
hängt, die  hier  für  die  psychische  Seite  der  Ethnologie  eine  ebenso 
unerlässliche  Grundlage  sein  sollte,  wie  in  physischer  Beziehung  die 
physische  Anthropologie  als  eine  solche  anerkannt  ist. 

c.   Die  Bevölkerungslehre. 

Während  die  Völkerkunde  den  Menschen  in  seiner  Zugehörig- 
keit zu  einer  bestimmten  Volks-  oder  Stammesgemeinschaft  und  in 
den  durch  diese  ihm  aufgeprägten  Merkmalen  betrachtet,  stellt  sich 
die  Demologie  oder  Bevölkerungslehre  den  Zweck,  das  gesellschafb- , 
liehe  Leben  als  solches  ohne  Rücksicht  auf  besondere  Volks-  oder 
Stanmieseigenthümlichkeiten  zu  untersuchen.  Die  Aufgabe  der  Demo- 
logie ist  daher  zunächst  eine  allgemeinere  als  die  der  Ethnologie; 
anderseits  gliedert  sich  aber  dieselbe  weit  mehr  ins  einzelne.  Denn 
eben  weil  die  Bevölkerung  als  solche  ihr  Object  ist,  steht  es  ihr 
frei  das  Territorium  und  damit  zugleich  den  socialen  Zusammen- 
hang, auf  den  sich  ihre  Untersuchung  bezieht,  beliebig  zu  erweitem 
oder  zu  verengem.  Freilich  wird  diese  Freiheit  praktisch  wieder 
dadiurch  beschränkt,  dass  sie  in  der  Beschaffung  ihrer  Hülfsmittel 
an  bestimmte  politische  Bedingungen  gebunden  ist,  so  dass  im  all- 
gemeinen der  Umfang  eines  einzelnen  Staates  das  grösste  Bevölke- 
rungsganze darstellt,  das  noch  eine  einheitliche  Behandlung  zulässt. 
Da  nun  der  Begriff  der  ^ Gesellschaft*  in  seinem  weitesten  Sinne 
neben  dem  Zusammenleben  einer  Vielheit  von  Individuen  noch  die 
ethnologischen  Eigenschaften  und  socialen  Organisationsformen  ein- 
schliesst,  so  kann  man  auch  die  Bevölkerungslehre  als  denjenigen 
Theil  der  Sociologie  definiren,  der  von  diesen  beiden  Bestand- 
theilen  des  Gesellschaftsbegriffs  abstrahirt,  um  die  Gesellschaft  bloss 
als  eine  Vielheit  von  Individuen  zu  betrachten,  mit  den  Er- 
scheinungen, welche  durch  die  in  allgemein  menschlichen  Eigen- 
schaften begründeten  Wechselwirkungen  dieser  Individuen  bedingt 
sind.    Das  Object  dieser  Disciplin,   die    ,  Bevölkerung ** ,  lässt  sich 


456  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

demnach  im  gleichen  Sinne  der  ,  Gesellschaft*  im  engeren  Sinne 
gegenüberstellen.  Während  diese  das  menschliche  Zusammenleben 
mit  Einschluss  seiner  ethnologischen  Differenzirangen  und  seiner 
realen  Organisationsformen  bezeichnet,  yerstehen  wir  unter  der  ,  Be- 
völkerung'' die  irgend  einem  Verbreitungsgebiet  entsprechende  Ge- 
sammtheit  von  Individuen  ohne  Rücksicht  auf  die  ihnen  zukommenden 
Volkseigenschaften  und  Organisationsformen  "*").  Auf  social  wissen- 
schaftlichem Gebiet  hat  demnach  der  Begriff  der  Bevölkerung  eine 
analoge  Bedeutung  wie  auf  naturwissenschaftlichem  der  Begriff  der 
Masse,  bei  dem  ebenfalls  von  den  qualitativen  Eigenschaften  sowie 
von  einer  etwaigen  organischen  Structur  abstrahirt  wird.  In  diesem 
Sinne  pflegt  man  daher  auch  die  ^  Massenerscheinungen  der  Gesell- 
schaft**  als  das  Object  der  Bevölkerungslehre  zu  bezeichnen. 

Der  Ausdruck  ,  Massenerscheinungen  **  weist  unmittelbar  dar- 
auf hin,  dass  die  nächsten  Aufgaben  und  Methoden  der  Demo- 
logie  quantitativer  Art  sind,  wie  dies  ja  übrigens  auch  schon 
aus  dem  Verhältniss  zu  den  beiden  andern  Hauptgebieten  der 
Sociologie  hervorgeht,  die  in  der  Untersuchung  der  ethnologischen 
Merkmale  und  der  politischen  Organisationsformen  die  wesentlichen 
qualitativen  Probleme  des  gesellschaftlichen  Lebens  erschöpfen. 
Natürlich  schliesst  dies  ein  Uebereinandergreifen  der  Untersuchungen 
nicht  aus.  Ein  solches  findet  in  der  That  regelmässig  in  dem  Sinne 
statt,  dass  ethnologische  oder  politische  Gesichtspunkte  für  die  quanti- 
tativen demographischen  Aufgaben  massgebend  werden ,  und  dass 
wiederum  die  Resultate  dieser  zugleich  einen  qualitativen  Werth  be- 
sitzen, der  der  Völkerkunde  und  der  Staatswissenschaft  zu  gute  kommt 
Indem  nun  die  quantitativen  Ergebnisse  der  Bevölkerungslehre  überall 
nur  durch  ein  Abzählungsverfahren  gewonnen  werden  können,  das 
sich  über  eine  sehr  grosse  Zahl  individueller  Fälle  erstreckt,  ist  es 
die  statistische  Methode,  die  hier  ihr  hauptsächlichstes  An- 
wendungsgebiet findet'*^'*'),    üebrigens  ist  das  Anwendungsgebiet  der 

*)  John,  Die  jüngste  Entwicklung  der  Bevölkerungstheorie,  Verhandl. 
des  VI.  internationalen  demographischen  Congresses  zu  Wien.     1887. 

**)  Ursprünglich  bedeutet  bekanntlich  das  Wort  „Statistik"  nichts  anderes 
als  „  Staatskunde *,  fällt  also  vielmehr  mit  der  heutigen  Staatswissenschaft  als 
mit  der  ßevölkerungslehre  zusammen.  Dann  wurde  es  spedell  auf  die  im 
politischen  Interesse  angewandten  Abzählungsmethoden,  auf  die  so  genannte 
a politische  Arithmetik*,  und  von  da  aus  auf  die  Bevölkerungslehre  und  alle  die 
Gebiete,  die  auf  die  Anwendung  ähnlicher  quantitativer  Methoden  angewiesen 
sind,  übertragen.  (Vgl.  John,  Geschichte  der  Statistik.  1884.)  Nach  dieser 
Verallgemeinerung,  nach  der  von  „statistischen  Methoden"  auch  auf  den  Ge- 


BevölkeniDg^lebre.  457 

Statistik  auch  in  Bezug  auf  die  mit  den  socialen  Problemen  nahe 
zusammenhängenden  Aufgaben  ein  ungleich  weiteres  als  das  der 
Massenerscheinungen  der  Gesellschaft.  Erstens  nämlich  liegt  ausser- 
halb des  Bereichs  der  letzteren  alles  was  sich  auf  die  durchschnitt- 
lichen Massyerhältnisse  des  menschlichen  Körpers  bezieht,  also  die 
ganze  wesentlich  mit  statistischen  Methoden  arbeitende  Anthropo- 
metrie,  die  nach  der  Natur  ihrer  Aufgaben  zur  Anthropologie  und, 
insofern  es  sich  dabei  um  die  Feststellung  ethnologischer  Differenzen 
handelt,  zur  Ethnologie  gehört.  Zweitens  stehen  die  Massen- 
erscheinungen des  Wirthschaftslebens,  also  diejenigen  Vorgänge,  die 
sich  auf  die  Production,  den  Verkehr  und  Verbrauch  wirthschaft- 
licher  Güter  beziehen,  nicht  minder  ausserhalb  der  Bevölkerungs- 
lehre.  Sie  bilden  das  statistische  Material  der  concreten  National- 
ökonomie, die  es  zwar  ebenfalls  mit  Massenerscheinungen  zu  thun 
hat,  aber  mit  solchen,  bei  denen  die  der  statistischen  Behandlung 
unterworfenen  Massen  die  innerhalb  einer  Gesellschaft  in  Verkehr 
kommenden  wirthschaftlichen  Güter,  nicht  die  Individuen  der  Gesell- 
schaft selbst  sind.  Die  Anthropometrie  dagegen  hat  zwar  Individuen 
zu  ihren  Objecten,  aber  nicht  diejenigen  Eigenschaften  der  Indivi- 
duen, die  durch  ihr  Zusammenleben  bedingt  werden,  sondern  in  den 
dem  einzelnen  Menschen  ohne  Bücksicht  auf  Andere  zukommenden 
Merkmalen:  sie  beschäftigt  sich  also  überhaupt  nicht  mit  Massen- 
erscheinungen, sondern  lediglich  mit  individuellen  Eigenschaften,  und 
sie  bedient  sich  nur  deshalb  zumeist  einer  grossen  Anzahl  von 
Messungen,  um  die  durchschnittliche  Grösse  dieser  individuellen 
Eigenschaften  zu  finden.  Die  Messung  eines  einzigen  Individuums, 
das  als  Repräsentant  der  typischen  Eigenschaften  gelten  darf,  kann 
daher  in  diesem  Fall  Werthe  ergeben,  die  den  Durchschnittswerthen 
einer  sehr  grossen  Anzahl  individueller  Messungen  annähernd  gleich- 
kommen. Bei  den  eigentlichen  Massenerscheinungen  gibt  es  niemals 
einen  typischen  Einzelfall,  der  die  Abzahlung  der  Mengen  ersetzen 
könnte.  Es  gibt  ebenso  wenig  einen  typischen  Geburts-  oder  Todes- 
fall oder  eine  typische  Lebensdauer,  wie  es  ein  typisches  Verbrechen 


bieten  der  Naturwissenschaft,  z.  B.  in  der  Meteorologie,  und  der  Psychologie 
z.  B.  in  der  Psychophysik ,  geredet  werden  kann ,  ist  es  offenbar  das  einzig 
richtige,  unter  Statistik  nur  noch  eine  Methode,  aber  keine  besondere  Wissen- 
schaft ZQ  verstehen.  Auch  ist  der  Ausdruck  im  letzteren  Sinne  um  so  Über- 
flassiger^  als  es  kein  Gebiet  gibt,  in  welchem  die  statistische  Methode  ange- 
wandt wird,  das  nicht  nach  anderen  sachlicheren  Merkmalen  bereits  zureichend 
definirt  mid  benannt  wäre. 


458  Logik  der  GesellschaftswisBeiiBchafteii. 

oder  eine  typische  Yerkehrserscheinung  gibt.  Vielmehr  behält  im 
Gebiet  der  Massenerscheinungen  jeder  einzelne  Fall  seine  indlTiduelle 
Bedeutung,  und  das  Wesen  der  statistischen  Behandlung  besteht 
hier  darin,  dass  sie  sich  bloss  mit  den  Massen,  mit  den  einzelnen 
Fällen  aber  nur  zu  dem  Zweck  beschäftigt,  um  durch  ihre  Verbin- 
dung Massen  zu  erhalten.  Auch  die  Berechnung  von  Durchschnitts- 
werthen  will  darum  hier  immer  nur  Werthe  gewinnen,  die  zur  Ver- 
gleichung  der  individuellen  Fälle  mit  den  Massenerscheinungen  dienen 
können.  So  hat  z.  B.  schon  die  mittlere  Lebensdauer  nicht  in  dem 
analogen  Sinne  eine  typische  Bedeutung  wie  etwa  die  mittlere  Körper- 
lange.  Denn  während  diese  so  sehr  von  der  ursprünglichen  Rassen- 
anlage abhängt,  dass  man  eben  deshalb  das  Mittel  aus  vielen  ein- 
zelnen Messungen  als  einen  annähernd  typischen  Werth  betrachten 
darf,  ist  die  erstere  so  sehr  von  socialen  Bedingungen  bestimmt, 
dass  man  in  ihr  mindestens  in  gleichem  Grade  einen  Ausdruck  für 
die  Grösse  der  socialen  Lebensgefährdung  wie  einen  solchen  für  eine 
ursprüngliche  Anlage  sehen  kann.  Der  Durchschnittswerth  hat  darum 
hier  überall  nur  die  Bedeutung,  dass  er  einen  aus  der  Massenbeob- 
achtung erschlossenen  Bevölkerungszustand  in  ein  individuelles  Bild 
zusammenfasst,  das  bei  der  Vergleichung  verschiedener  Bevölkerungen 
oder  Bevölkerungsgruppen  der  directen  Massenvergleichung  sub- 
stituirt  wird. 

Bezeichnen  wir  die  statistische  Methode  in  ihrer  Anwendung 
auf  solche  Massenerscheinungen,  deren  Elemente  menschliche  Persön- 
lichkeiten sind,  als  Personalstatistik,  dieselbe  Methode  in  ihrer 
Anwendung  auf  beliebige  andere  reale  Objecte  als  Bealstatistik, 
so  gehören  demnach  die  demologischen  Probleme  sämmtlich  zu  der 
ersteren,  während  die  zweite  theils  gewissen  Naturwissenschaften, 
wie  z.  B.  der  Meteorologie,  theils  und  besonders  aber  auch  der 
Wirthschaftslehre  als  Unterlage  dient.  Die  Personalstatistik  lässt 
sich  sodann  wieder  in  eine  individuelle  und  eine  sociale  sondern. 
Jene  zerfällt  in  einen  physischen  Theil,  die  Anthropometrie, 
und  in  einen  psychischen  Theil,  der,  noch  wenig  ausgebildet, 
einstweilen  als  Psychometrie  bezeichnet  werden  mag.  Die  letztere 
würde  die  zur  allgemeinen  Charakteristik  des  Menschen  überhaupt 
oder  einzelner  Völkerindividualitäten  dienenden  psychischen  Con- 
stanten, wie  Beizschwelle  und  Reizhöhe,  Unt^rschiedsempfindlich- 
keit,  Apperceptionsdauer  u.  dergl.  zu  ermitteln  haben,  Werthe  die 
sämmtlich  zu  ihrer  Gewinnung,  ähnlich  wie  die  mittleren  physischen 
Körpermasae  der  Anthropometrie ,   im   allgemeinen   ein   statistisches 


BevölkeniDgslehre.  459 

AbzähluDgsYerfahren  erfordern.     Dieses  ist  aber  hier  lediglich  eine 
Hülfsmethode  der  Anthropologie  und  Ethnologie,   in   deren   Gebiet, 
wie  schon  oben  bemerkt,  die  Anthropometrie  und  demnach  auch  die 
Psjchometrie   gehören.     Der   Demologie   bleibt  so   die  Personal- 
statistik   der    socialen    Erscheinungen    oder     derjenigen 
menschlichen  Lebensvorgänge,  die  entweder  in  ihrem  Da- 
sein oder  in  ihrem  quantitativen  Werthe  unmittelbar  durch 
das  Zusammenleben  der  Menschen  bestimmt  sind.     Hierher 
gehören  in  erster  Linie  Geburt  und  Tod,   dann  als  ein  für  die  Ge- 
bartszifiPer  entscheidender  Factor  die  Eheschliessung,    und  als  Mo- 
mente,   die  neben   Geburt  und   Tod   für  die  Bevölkerungszahl   ins 
Gewicht  fallen,  die  Ein-   und  Auswanderung.     Die  Statistik  dieser 
Verhältnisse  pflegt  man   wohl  auch  als   eine  Bevölkerungslehre  im 
engeren  Sinne  des  Wortes  (^Populationistik^)  zu  betrachten.     Aber 
obgleich  dieses  Gebiet  wegen  seiner  praktischen  Bedeutung  in  dem 
Ganzen   der    personalstatistischen   Erhebungen    eine    gewisse    Selb- 
ständigkeit behauptet,    so  kann   es   doch  weder   nach  Inhalt  noch 
Umfang  als  eine  besondere  Wissenschaft  gelten.     Die  Eheschlies- 
sung hat  neben  ihrer  Bedeutung  als  Geburtsursache  noch  die  weitere, 
dass  sie  eine  freiwillige  menschliche  Handlung  ist,  die  je  nach  ihrer 
Frequenz,   ihrer  Vertheilung  nach  Lebensaltern  und  Bevölkerungs- 
kreisen zur  Kennzeichnung  des  gesammten  Zustandes   der  Bevölke- 
ning  beiträgt;  und  indem  die  Aufnahme  der  Eheziffer  weiterhin  zur 
statistischen  Scheidung  ehelicher  und  ausserehelicher  Geburten  ver- 
anlasst,  tritt  damit  ein  weiteres  für   die  Bevölkerungszahl  an  sich 
ganz  unwesentliches,  für  den  moralischen  Zustand  der  Bevölkerung 
aber  sehr  wichtiges  Moment  hinzu.     Dasselbe  gilt  von  der   aus  der 
Differenzirung  der  Todesfälle   sich  ergebenden  Statistik  der  Selbst- 
morde und  der  tödÜichen  Krankheitsursachen,   wo  wieder  jene  für 
den  moralischen,  diese  für  den  physischen  Zustand  der  Bevölkerung 
ganz    abgesehen    von    den  Beziehungen    zum   Bevölkerungswechsel 
kennzeichnend   sind.      Eine  Statistik    der  Todesursachen   lasst   sich 
endlich  rationeller  Weise  von  einer  Statistik  der  Krankheiten  über- 
haupt,   eine  Statistik   einzelner   moralischer  Handlungen  von    dem 
ganzen  übrigen  Gebiet  der  Moralstatistik  nicht  trennen.   Mag  daneben 
auch  die  Krankheitsstatistik  für  die  Medicin,   die  Moralstatistik  für 
Polizei,  Criminalrechtspflege  und  Ethik  von  Interesse  sein,  das  hindert 
nicht,  dass  beide  zunächst   die  Bestandtheile  einer   allgemeinen 
Kunde  des  socialen  Zustandes  der  Bevölkerung  bilden,  wobei 
dann  natürlich,  gemäss  der  durchgängigen  psychophysischen  Bedingt- 


460  Logik  der  GesellschaftewissenBchaften. 

heit  des  menschlichen  Lebens,  einzebie  Factoren  dieses  Zustandes 
in  physischen,  andere  in  psychischen  oder  theils  in  physischen  theils 
in  psychischen  Merkmalen  bestehen.  Die  Lehre  yom  Bevölkerungs- 
wechsel,  die  Krankheitsstatistik,  die  Moralstatistik  bilden  Theile 
dieses  Gebiets ,  die  nicht  bloss  ein  selbständiges  Interesse  bean- 
spruchen, sondern  auch  in  andere  Oebiete  hinüberreichen;  nur  die 
Gesammtheit  aller  dieser  die  sociale  Personalstatistik  umfassenden 
Untersuchungen  ist  aber  offenbar  ein  nach  Inhalt  und  Umfang 
sicher  abzugrenzendes  Gebiet,  das  den  Namen  einer  besonderen 
Wissenschaft  zu  tragen  verdient.  Natürlich  kann  es  dabei  auch, 
ganz  wie  in  so  vielen  andern  Fällen ,  vorkommen ,  dass  gewisse 
Untersuchungen  unter  einem  bestimmten  Gesichtspunkte  der  Demo- 
logie,  unter  einem  andern  irgend  einem  angrenzenden  Gebiete  zu- 
fallen. Namentlich  kommen  solche  Gebietstheilungen  gegenüber  der 
Nationalökonomie  vor,  und  sie  entsprechen  hier  stets  zugleich  einem 
Ineinandergreifen  personal-  und  realstatistischer  Untersuchungen.  So 
gehört  z.  B.  die  Berufs-  und  Gewerbestatistik,  insofern  sie  sich 
auf  die  Anzahl  der  individuellen  Vertreter  der  verschiedenen  Berufe 
und  Gewerbe  bezieht,  oder  die  Unterrichtsstatistik,  insofern  sie  die 
Individuen  nach  gewissen  elementaren  Kenntnissen  (Alphabeten  und 
Analphabeten)  oder  nach  den  von  ihnen  besuchten  Schulen  eintheilt, 
von  Rechts  wegen  zur  Bevölkerungslehre;  denn  die  personalstatisti- 
schen Ermittelungen  dieser  Art  sind  so  gut  wie  alle  andern  durch 
den  socialen  Zustand  bedingt,  und  sie  sind  hinwiederum  für  die  aU- 
gemeine  Beschaffenheit  desselben  kennzeichnend.  Insoweit  dagegen 
die  Gewerbestatistik  die  Zahl  und  Grösse  der  einzelnen  Gewerbe- 
betriebe, ihre  Betriebsarten,  Productionsweisen  undProductionsgrössen, 
oder  insoweit  die  Unterrichtsstatistik  Zahl  und  Grösse  der  Lehr- 
anstalten, Aufwand  an  Unterrichtsmitteln  u.  dergl.  in  Betracht  zieht, 
handelt  es  sich  um  realstatistische  Untersuchungen,  die  im  ersten 
Fall  der  praktischen  Nationalökonomie,  im  zweiten  der  Staatswissen- 
schaft oder  specieller  der  Verwaltungslehre  zufallen*). 


*)  Unter  den  StatiBtikern  ist  noch  immer  der  Begriff  der  »BeySlkerungs- 
lehre'  in  jenem  engeren  Sinne,  in  welchem  er  sich  lediglich  auf  die  direct  für 
die  BevölkerungB  zahl  massgebenden  Factoren  bezieht,  vorherrschend.  Dies  hat 
theils  historische  theils  praktische  Gründe.  Die  Bevölkerungsstatistik  hat  aus 
der  einfachen  Volkszählung  ihren  Ursprung  genommen.  Die  Staatslehre  des 
vorigen  Jahrhunderts  aber  sah  eines  der  vornehmsten  politischen  Interessen  in 
der  Fürsorge  für  eine  angemessene  Vermehrung  der  Bevölkerung,  zu  deren 
Beurtheilung  aus  der  Statistik  der  Geburts-  und  TodesfUUe,  der  Aus-  und  Ein- 


Bevölkerungslehre.  461 

Im  Sinne  der  oben  aufgestellten  allgemeinen  Definition,   nach 
welcher  die  Bevölkerungslehre  die  Wissenschaft  von  den  durch  das 


waoderang  und  indirect  auch  der  Ebeschliessungen  das  erforderliche  Material 
zu  gewinnen  sei.  (Vgl.  L.  Elster,  Art.  Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungs- 
politik, Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften,  II,  S.  465  ff.)  Am  meisten 
kommt  bei  der  Festhaltung  dieses  engeren  Begriffs  eigentlich  die  Moralstatistik 
zQ  kurz,  die  kaum  in  irgend  einem  andern  Grebiet  eine  angemessene  Stelle 
findet  und  daher  in  der  Regel  wieder  als  eine  selbständige  Disciplin  betrachtet 
vird.  In  Wahrheit  wird  aber,  wie  oben  angedeutet,  jener  Begriff  selbst  schon 
durch  die  Herbeiziehung  der  Statistik  der  Eheschliessungen  durchbrochen. 
Strenge  würde  sich  derselbe  nur  unter  Beschränkung  auf  die  directen  Fac- 
toren  der  Bevölkerungszahl  und  ihrer  Veränderungen,  also  Geburts-  und  Sterbe- 
ziffer, Aus-  und  Einwanderung,  festhalten  lassen,  wozu  dann  noch  die  Yer- 
iheilang  aller  dieser  numerischen  Werthe  auf  die  beiden  Geschlechter  hinzu- 
treten könnt«.  Nun  ist  sicherlich  eine  solche  Lehre  von  der  Bevölkerungszahl 
eiQ  wichtiger  Theil  der  allgemeinen  Lehre  vom  Bevölkerungs  z  u  s  t  a  n  d ,  und 
sie  hat  für  gewisse  praktische  Fragen ,  die  in  der  Statistik  des  Bevölkerungs- 
wechsels massgebend  sind,  eine  selbständige  Bedeutung,  gerade  so  wie  die 
Erankheits-  und  die  Moralstatistik  eine  solche  nach  anderen  Richtungen  hin 
besitzen.  Aber  da  die  Bevölkerungszahl  nur  eines  und  zwar  das  äusserlichste 
der  Elemente  ist,  die  zusammen  den  Bevölkerungs  z  u  s  t  a  n  d  bestimmen,  so  ist 
die  entsprechende  Erweiterung  der  wissenschaftlichen  Aufgabe  der  Bevölkerungs- 
lehre um  so  mehr  geboten,  als  vermöge  der  Wechselbeziehungen  der  verschie- 
denen Factoren  des  socialen  Zustandes  eine  causale  Betrachtung  der  einzelnen 
Thatsachen,  wie  diese  doch  Überall  Aufgabe  der  Wissenschaft  ist,  erst  auf 
Gnmd  einer  erweiterten  Begriffsbestimmung  möglich  wird.  In  diesem  Sinne 
sind  denn  auch  übereinstimmend  namentlich  G.  von  Mayr  (Die  Gesetzmässig- 
keit im  Gesellschaftsleben,  1877,  S.  14;  Statistik  und  Gesellschaftslehre,  1,  1895, 
S.  17  ff.),  A.  von  Oettingen  (Die  Moralstatistik  in  ihrer  Bedeutung  für  eine 
Sodalethik,  3.  Aufl.  1883,  S.  9)  und  G.  Rümelin  (Ueber  den  Begriff  der  Gesell- 
schaft und  einer  Geseüschaftslehre ,  1888,  abgedruckt  in  Reden  und  Aufsätze, 
3.  Folge,  S.  248)  für  den  weiteren  Begriff  eingetreten,  ohne  sich  freilich  durch- 
gängig ober  die  Bezeichnung  der  neuen  Wissenschaft  zu  einigen,  für  die  bald 
der  alte  Name  Statistik,  bald  Gesellschaftslehre,  bald  Demographie  vorgeschlagen 
wird.  Da,  wie  oben  bemerkt,  die  Statistik  als  Methode  eine  weit  über  das  demo- 
logische Gebiet  hinausreichende  Anwendung  findet,  die  „Gesellschaftslehre*  aber 
im  weitesten  Sinne  alle  allgemeinen  Socialwissenschaften  umfasst,  so  empfiehlt  sich 
offenbar  am  meisten  die  dritte  dieser  Bezeichnungen  mit  der  ihr  gleichwerthigen 
der  Demologie  oder  Bevölkerungslehre.  Dagegen  scheint  es  mir  nicht  zu  billigen, 
wenn  J.  Körösi  (Wissensch.  Stellung  und  Grenzen  der  Demologie,  in  v.  Majrs 
Allgem.  statistischem  Archiv,  II,  2,  1892,  S.  18)  die  letztere  ganz  und  gar  unter 
die  Naturwissenschaften  einreiht,  indem  er  sie  als  die  «Lehre  von  den  physi- 
kalischen Erscheinungen  im  geselligen  Leben  der  Menschheit*  oder  als  „sociale 
Biologie*  definirt.  Denn  es  scheint  mir  völlig  unmöglich,  bei  der  Untersuchung 
des  socialen  Zustandes  einer  Bevölkerung  die  physischen  und  die  psychischen 
{demente  überhaupt  von  eijiander  zu  sondern.    Auch  in  dieser  Beziehung  ver- 


462  Logik  der  Gesellflchaftswissenschafben. 

Zusammenleben  der  Menschen  bedingten  Massenerscheinungen  und 
von  den  wechselseitigen  Beziehungen  dieser  Erscheinungen  ist,  werden 
derselben  zwei  allgemeine  Aufgaben  zu  stellen  sein.  Die  erste 
dieser  Aufgaben  besteht  in  der  quantitativen  Ermittelung  des  Zu- 
standes  einer  Bevölkerung  durch  die  Erhebung  der  sämmtlichen 
numerischen  Werthe,  die  sich  aus  der  Massenbeobachtimg  der  ein- 
zelnen Zustandsfactoren  ergeben.  Die  Bevölkerungszahl  bildet 
hier  unter  allen  Umständen  die  Grundlage  fUr  die  übrigen  Bestim- 
mungen, insofern  diese  in  der  Regel  ^rst  durch  ihren  relativen  Werth 
im  Verhältniss  zu  jener  ihre  Bedeutung  gewinnen.  Als  Zustands- 
factoren physischer  Art  kommen  die  Geburts-  und  Sterbeziffern,  das 
numerische  Verhältniss  der  Geschlechter  je  nach  dem  Lebensalter, 
die  mittlere  Lebensdauer,  endlich  die  Statistik  der  Krankheiten  und 
Unfälle,  als  psychophysische  und  psychische  Factoren  die  Ehe- 
schliessungen, die  Aus-  und  Einwanderung,  die  Vertheilung  der  Be- 
völkerung nach  religiösen  Bekenntnissen,  nach  Vermögensclassen  und 
Berufsformen,  endlich  die  verschiedenen  Formen  moralischer  und 
unmoraUscher  Handlungen,  wie  Stiftungen,  freiwillige  Wohlthätigkeit, 
Rechtsstreitigkeiten,  Polizei-  und  Strafgesetzübertretungen  in  Betracht. 
Natürlich  kann  sich  aber  die  statistische  Beobachtung  nicht  über 
alle  Thatsachen  des  socialen  Lebens  erstrecken,  die  an  und  für  sich 
für  die  Kennzeichnung  des  Zustandes  der  Bevölkerung  von  Werth 
sein  würden.  Sie  muss  sich  im  allgemeinen  auf  diejenigen  be- 
schränken, die  öffentlich  controlirbar  sind,  und  in  den  meisten  Fällen 
auf  solche,  die  irgendwie  einen  amtlichen  Charakter  besitzen  und 
dadurch  zur  Kenntniss  der  officiellen  statistischen  Organe  gelangen. 
Dabei  bleibt  es  stets  eine  Schranke  der  socialstatistischen  Unter- 
suchung gegenüber  andern  Methoden,  dass  die  Erhebung  der  ein- 
zelnen Thatsachen  und  ihre  Verwerthung  in  verschiedenen  Händen 
liegen,  so  dass  es  der  demographische  Statistiker  eigentlich  niemals 
direct  mit  dem  Stoff  selbst  zu  thun  hat,  auf  den  sich  seine  Fragen 
beziehen,  sondern  zunächst  mit  einem  Material,  das  durch  eine  von 


hält  sich  die  Demologie  analog  wie  die  Ethnologie.  Wie  bei  dieser  haben 
daher  bei  jener  die  psychologischen  Momente  sogar  das  grössere  Interesse,  und 
sie  sind  jedenfalls  diejenigen,  die  zur  Charakteristik  der  verschiedenen  Be- 
völkerungen und  BeTÖlkerungskreise  das  meiste  beitragen,  ebenso  wie  sie  auch 
bei  der  praktischen  Anwendung  als  die  den  politischen  Einwirkungen  zugäng- 
lichsten am  meisten  in  Betracht  kommen.  Darum  wird  man  eher  mit  einigen 
Einschränkungen  Rümelin  beistimmen  können,  wenn  er  die  Demologie  im 
wesentlichen  für  eine  angewandte  Psychologie  häli^    (A.  a.  0.  S.  272  ff.) 


Bevölkerungslehre.  463 

ihm  unabhängige  Bearbeitung  aus  jenem  Stoff  hergestellt  worden  ist. 
Um  so  mehr  ist  es  wünschenswerth,  dass  sich  die  ursprünglichen 
Erbebungen  auf  möglichst  viele  wechselseitig  durch  einander  con- 
trolirbare  Thatsachen  beziehen,  die  zugleich  möglichst  individualisirt 
sind,  um  ein  Urtheil  über  die  Zuverlässigkeit  der  Erhebung  zu  ge- 
statten"^). Je  grösser  aber  die  Anzahl  der  Massenerscheinungen  ist, 
die  auf  diese  Weise  nach  ihren  absoluten  und  relativen  numeri- 
schen Werthen  ermittelt  wird,  um  so  treuer  spiegelt  sich  in  den 
gewonnenen  Ergebnissen  der  gesammte  Zustand  der  Bevölkerung, 
so  dass  dadurch  diese  Zustandsbestimmungen  zugleich  wieder  ein 
Tölkerpsychologisches  und,  insofern  sie  auf  Bevölkerungen  von  ver- 
schiedener Abstammung  angewandt  werden,  auch  ein  ethnologisches 
Interesse  gewinnen. 

Die  zweite  Aufgabe  der  Demologie  besteht  in  der  Ermittelung 
der  zwischen  den  verschiedenen  Massenerscheinungen  bestehenden 
Beziehungen.  Solche  Beziehungen  verrathen  sich  zunächst  durch  die 
correlativen  Veränderungen,  die  an  den  einzelnen  Erscheinungen  zu 
beobachten  sind.  Diese  Veränderungen  können  aber  im  allgemeinen 
auf  doppelte  Weise  constatirt  werden.  Erstens  bei  verschiedenen 
BeTölkerungen,  bei  denen  die  Erhebung  des  Gesammtzustandes  ein 
regelmässiges  Verhältniss  gewisser  Erscheinungen  ergibt:  so  z.  B. 
wenn  die  moralstatistische  Erhebung  nachweist,  dass  eine  relativ 
grosse  Zahl  von  Verbrechen  gegen  die  Person,  wie  Todtschlag, 
Körperverletzung,  in  einer  grösseren  Anzahl  sonst  ähnlich  beanlagter 
BeTölkerungen  regelmässig  mit  einer  relativ  geringen  Anzahl  von  Ver- 
gehen gegen  das  Eigenthum  verbunden  zu  sein  pflegt,  und  um- 
gekehrt. Zweitens  innerhalb  einer  und  derselben  Bevölkerung,  bei 
welcher  die  Verhältnisse  der  Massenerscheinungen  zu  verschiedenen 
Zeiten  festgestellt  werden:  so  z.  B.  wenn  man  findet,  dass  auf  Zeiten 
nngewöhnlich  erhöhter  Sterblichkeit,  wie  nach  Kriegen  oder  Epidemien, 
Perioden  mit  erhöhter  Geburtsfrequenz  folgen.  Wie  man  sieht,  ent- 
spricht die  erste  dieser  Methoden  der  generischen,  die  zweite  der 
individuellen  Vergleichung.  (Cap.  I,  S.  65.)  Wie  auf  geschichtlichem 
Gebiete,  so  ist  aber  auch  hier  das  zweite  Verfahren  im  allgemeinen 
das  zuverlässigere,  weil  natürlich  der  Schluss,  dass  die  durch  die 
Massenbeobachtung  gefundene  Gorrelation  auf  irgend  einer  ursäch- 
lichen Beziehung  beruhe,  um  so  sicherer  ist,  je  mehr  die  übrigen 
Zustandsfactoren  übereinstimmen. 


*)  Vgl.  Bücher,  üeber  das  Aufnahmeverfahren  bei  Volkszählungen,  in 
▼on  Mayrs  Allg.  statist.  Archiv,  I,  1890,  S.  482  ff. 


464  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

Hiernach  yerfolgt  die  erste  der  genannten  Aufgaben  lediglich 
einen  descriptiven  Zweck.  Von  einer  Ermittelung  causaler  Be- 
ziehungen kann  dabei  niemals  die  Rede  sein.  Wenn  in  unabhängig 
Yon  einander  yorgenommenen  statistischen  Erhebungen  die  nämlichen 
absoluten  oder  relativen  numerischen  Werthe  für  irgend  einen  der 
untersuchten  Zustandsfactoren,  z.  6.  für  die  Geburts-  oder  Sterbe- 
ziffer oder  für  Verbrechen  einer  bestimmten  Art,  gefunden  wurden, 
so  lässt  sich  daraus  immer  nur  schliessen,  dass  der  Zustand,  der 
beiden  Erhebungen  zu  Grunde  liegt,  in  dieser  Beziehung  ein  über- 
einstimmender war;  und  wenn  sich  die  unabhängigen  Erhebungen 
auf  zeitlich  getrennte  Zustände  derselben  Bevölkerung  beziehen,  so 
lässt  sich  weiterhin  schliessen,  dass  die  nämlichen  Factoren  in  der 
betreffenden  Zeit  unverändert  geblieben  sind.  Aber  eine  solche  Con- 
stanz  der  numerischen  Werthe  kann  ebenso  wenig  ein  sociales  Gesetz 
genannt  werden,  wie  man  es  ein  anthropologisches  Gesetz  nennen 
kann,  dass  zwei  Menschen  in  den  wesentlichsten  Eigenschaften  ihres 
Baues  einander  gleichen,  oder  dass  sich  die  physischen  Eigenschaften 
eines  Individuums  während  einer  gewissen  Zeit  nicht  merklich  ver- 
ändern. Auch  ist  eine  solche  relative  Constanz  dei  Eigenschaften 
bei  jenen  Massenerscheinungen  ebenso  wenig  auffallend,  wie  sie  es  bei 
diesen  individuellen  Eigenschaften  ist"*").  Dagegen  führt  die  Losung 
der  zweiten  der  oben  bezeichneten  Aufgaben  unmittelbar  zu  den 
causalen  Problemen  der  socialen  Erscheinungen.  Denn  die  Existenz 
irgend  eines  ursächlichen  Verhältnisses  kann  sich  überall  nur  durch 
die  thatsächlich  vorhandene  Correlation  verschiedener  Erscheinungen 
verrathen.  Entweder  pflegt  daher  die  empirische  Feststellung  solcher 
Correlationen  selbst  die  Entdeckung  ursächlicher  Verknüpfungen  zu 
vermitteln,  oder  eine  zuvor  schon  bestehende  Vermuthung  eines 
Causalverhältnisses  wird  nachträglich  durch  die  Nachweisung  der 
entsprechenden  Correlationen  bestätigt.  Hieraus  ergibt  sich  schon, 
dass  es  für  die  Auffindung  der  letzteren  zwei  Wege  gibt:  den  in- 
ductiven,  der  mittelst  der  statistischen  Data  zunächst  zu  einer  rein 
empirischen  Gesetzmässigkeit  führt,  die  sich  dann  günstigen  Falls  in 
eine  causale  umwandeln  lässt;  und  den  deductiven,  der  von  einer 
provisorischen  Hypothese  ausgeht,  die  nachher  durch  die  statistische 


*)  Von  den  Statistikern  wird  freilich  fast  durchgängig  diese  Constanz 
der  Eigenschaften  mit  den  eigentlichen  empirischen  und  causalen  Gresetsen  rtr- 
mengt:  so  z.  B.  auch  von  G.  von  Majr  (Statistik  und  Gesellschaftslehre,  1, 
S.  121),  der  solche  relativ  constante  Eigenschaften  von  Bevölkerungen  al^ 
„Zustandsgesetze*  bezeichnet.    Vgl.  hierzu  Cap.  1,  S.  136,  144. 


Bevölkerungslehre.  465 


ö 


Nachweisung  der  aus  ihr  erschlossenen  Gorrelationen  bestätigt  wird. 
Da  nun  aber  die  Sammlung  der  Thatsachen  und  ihre  Bearbeitung 
bei  den  Untersuchungen  der  socialen  Statistik  ganz  verschiedene  und 
auf  verschiedene  Individuen  vertheilte  Functionen  sind,  so  lässt  sich 
hier  meist  nachträglich  nicht  mehr  feststellen,  ob  der  eine  oder  der 
andere  dieser  Falle  vorliegt.  Denn  in  dem  Augenblick,  wo  sich  der 
Statistiker  etwa  einer  provisorischen  Hypothese  zuneigt,  liegt  in  der 
R«gel  auch  schon  das  Beobacbtungsmaterial  bereit,  das  dieselbe 
bestätigen  oder  widerlegen  kann.  Im  allgemeinen  wird  man  jedoch 
voraussetzen  dUrfen,  dass  die  der  Combination  der  Thatsachen  vor- 
angehende Hypothesenbildung  hier  eine  nicht  minder  grosse  Bolle 
spielt  als  bei  der  Leitung  naturwissenschaftlicher  Beobachtungen,  da 
nicht  selten  die  Anzahl  der  coexistirenden  Thatsachenreihen ,  aus 
denen  die  causal  zusammengehörigen  auszuwählen  sind,  sehr  gross 
ist,  während  doch  die  wirkliche  Untersuchung  selten  lange  zu  zweifeln 
pflegt,  welche  Gorrelationen  zunächst  für  ein  causales  Verhältniss  in 
Frage  kommen.  Dabei  kann  nun  aber  die  physische  oder  psycho- 
logische Deduction  im  allgemeinen  wieder  zwei  Formen  an- 
nehmen. Bei  der  ersten  geht  sie  der  statistischen  Erhebung 
voraus,  und  diese  hat  lediglich  den  Zweck  ein  an  und  fUr  sich 
schon  ursächlich  bekanntes  Phänomen  nach  seiner  Grösse  zu  be- 
stimmen, um  daraus  eventuell  auf  die  Intensität  der  bekannten 
Ursachen  zurückzuschliessen.  So  gilt  eine  Epidemie  als  bekannte 
Todesursache:  die  Zunahme  der  Sterblichkeit  während  derselben  und 
speciell  der  Todesfälle  in  Folge  der  durch  die  Epidemie  hervor- 
i^erufenen  Erkrankungen  lässt  daher  die  Grösse  dieser  Ursache  er- 
messen. Oder  wenn  eine  Provinz  von  einer  Hungersnoth  heimgesucht 
wird,  so  kann  man  mit  absoluter  Sicherheit  darauf  rechnen,  dass 
die  Anzahl  der  Personen,  die  der  Armenpflege  anheimfallen,  zunimmt. 
Auch  hier  wird  dann  wieder  die  Grösse  dieser  Zunahme  als  ein 
Mass  des  eingetretenen  Nothstandes  betrachtet  werden  können, 
während  nach  der  den  Zustandswechsel  bewirkenden  Ursache  gar 
nicht  gefragt  zu  werden  braucht,  da  sie  von  vornherein  bekannt  ist 
und  die  ihr  entsprechende  Veränderung  der  statistischen  Werthe 
ihrer  allgemeinen  Richtung  nach  vorausgesehen  werden  kann.  Hier- 
nach kann  es  sich  in  allen  diesen  Fällen  nicht  um  eine  Auffindung 
(1er  Ursachen,  sondern  immer  nur  um  die  Feststellung  statistischer 
Werthe  für  die  Schätzung  der  Grösse  der  Ursachen  handeln. 
Dies  ist  wesentlich  anders  bei  der  zweiten  Form.  Hier  ist  eine 
Reihe  von  Zustandsfactoren  gegeben,  die  sämmtlich  von  einer  grossen 

Wnndt,  Logik.   U,  2.    2.  Aufl.  30 


466  Logik  der  GeseUschaftswissenschaften. 

Anzahl  theils  bekannter  theils  unbekannter  Ursachen  bestimmt  sind, 
und  von  denen  vermuthet  werden  darf,  dass  einzelne  wieder  unter 
einander  in  causalen  Beziehungen  stehen,  ohne  dass  jedoch  diese 
Beziehungen  von  yomherein  als  feststehend  gelten  können.  Hier 
handelt  es  sich  also  darum,  mittelst  der  Beziehungen  der  einzelnen 
Factoren  selbst,  insbesondere  ihrer  correlativen  Veränderungen,  die 
causalen  Verbindungen  zu  finden,  worauf  dann  die  Schätzung  der 
Wirkungsgrösse  der  aufgefundenen  Ursachen  erst  als  eine  secundäre 
Aufgabe  hinzutritt,  die  überdies  um  so  mehr  eine  untergeordnete 
Bedeutung  hat,  je  schwieriger  wegen  der  Einflüsse  sonstiger  Be- 
dingungen, die  theils  in  gleicher  theils  in  entgegengesetzter  Richtung 
wirken  können,  eine  einigermassen  zuverlässige  Grössenschätzung 
dieser  Art  zu  sein  pflegt.  So  kann  z.  B.  eine  VeiiLnderung  ge- 
wisser Strafgesetzbestimmuugen  von  einer  Veränderung  der  Zahl  der 
Gesetzesverletzungen  überhaupt  oder  des  Verhältnisses  bestimmter 
Formen  derselben  zu  einander  begleitet  sein:  dabei  erhebt  sich  nun 
zunächst  die  Frage,  ob  die  beobachtete  Massenerscheinung  in  jener 
Veränderung  des  Rechtszustandes  oder  in  andern  gleichzeitig  vor- 
handenen Ursachen  ihren  Grund  hat,  und  wenn  das  erstere  sich 
herausstellen  sollte,  welcher  Art  diese  Wirkung  ist,  ob  sie  auf  einem 
directen  Einfluss  der  Gesetze  auf  die  menschlichen  Handlungen,  oder 
ob  sie  bloss  auf  veränderter  Classification  der  Vergehen  und  ähn- 
lichen zufälligen  Momenten  beruht.  Hier  handelt  es  sich  also  in  erster 
Linie  um  die  Auffindung  der  Ursachen,  erst  in  zweiter  um  die 
Schätzung  ihrer  Grösse,  insoweit  eine  solche  überhaupt  möglich  scheint. 
Demnach  ist  es  selbstverständlich,  dass  die  Untersuchungen  der 
zweiten  Art  die  wichtigeren  sind.  In  der  That  setzt  sich  aus  ihnen 
durchweg  jede  über  die  bloss  descriptive  Bestimmung  der  Zustands- 
factoren  hinausgehende  Untersuchung  der  Bevölkerungslehre  zu- 
sammen, während  die  blossen  Grössenbestimmungen  von  Massen- 
erscheinungen deren  Ursachen  bekannt  sind  hauptsächlich  im  Interesse 
anderer  Disciplinen,  wie  der  Pathologie,  Nationalökonomie,  Finanz- 
wissenschaft u.  dergl.,  zu  geschehen  pflegen*). 


*)  Lexis  bezeichnet  den  ersten  der  beiden  oben  erörterten  Fälle  als  den 
der  ngenerischen",  den  zweiten  als  den  der  ^concreten'  Masaenerscheinungeo. 
wobei  natürlich  bei  den  letzteren  zunächst  fraglich  bleibt,  ob  bei  ihnen  über- 
haupt causale  Beziehungen  aufzufinden  sind.  Lexis  betrachtet  daher  die  ,cod- 
creten"  Erscheinungen  als  solche^  die  an  sich  nur  einer  thatsächlichen  Fest- 
btellung  zugänglich  seien.  (Lexis,  Zur  Theorie  der  Massenerscheinungen  in 
der  menschlichen  Gesellschaft,  1877,  S.  9.)    Die  Ausdrücke  generisch  und  concret 


BevÖlkerung&lehre.  467 

Nun  wird  aber  die  Gorrelation  zweier  Massenerscheinungen, 
auch  wenn  sie  sich  als  eine  noch  so  regelmässige  herausstellen  sollte, 
nur  in  seltenen  Fällen  an  sich  schon  genügen,  um  mit  zureichender 
Sicherheit  ein  causales  Yerhältniss  annehmen  zu  lassen,  sei  es  in 
dem  Sinne  dass  die  eine  dieser  Erscheinungen  als  die  Wirkung 
der  anderen,  sei  es  in  dem  dass  beide  als  zusammengehörige  Wir- 
kungen einer  dritten  Ursache  anzusehen  sind.  Ein  Schluss  dieser 
Art  wird  nämlich  wegen  der  grossen  Gomplication  der  Massen- 
erscheinungen in  der  Regel  nicht  ohne  weiteres  möglich  sein.  Viel- 
mehr verlangt  diese  Gomplication,  ähnlich  wie  auf  andern  Gebieten, 
?or  allem  eine  Analyse  der  Erscheinungen  in  ihre  Bestandtheile, 
worauf  dann  diese  einzeln  auf  ihre  causale  Bedeutung  geprüft  werden 
müssen.  Die  Analyse  nimmt  aber  hier  wieder  vermöge  der  be- 
sonderen Bedingungen  der  statistischen  Methode  eigenthümliche  Formen 
an.  Indem  nämlich  der  Statistiker  entweder  unmittelbar  an  ein 
gegebenes  Erhebungsmaterial  gebunden  ist  oder  günstigen  Falls  nur 
in  fest  vorgezeichneten  Richtungen  künftige  Erhebungen  beeinflussen 
kann,  stehen  hier  der  causalen  Analyse  der  Erscheinungen  zwei 
Methoden  zu  Gebote,  von  denen  die  erste  eine  speciell  den  Massen- 
erscheinungen angepasste  Form  der  Analyse,  die  andere  dagegen  an 
sich  ein  synthetisches  Verfahren  ist,  das  jedoch  durch  die  Art  seiner 
Anwendung  Schlüsse  von  analytischem  Werthe  zulässt.  Diese  Methoden, 
die  übrigens  nicht  immer  getrennt  vorkommen,  sondern  zuweilen  bei 
der  Behandlung  eines  und  desselben  Problems  in  einander  eingreifen 
können,  sind  die  statistische  Gruppenzerlegung  und  die 
statistische  Gruppenverknüpfung. 

Die  statistische  Gruppenzerlegung  beruht  auf  folgender 
Erwägung.  Es  seien  zwei  complexe  Massenerscheinungen  x  und  y 
gegeben,  die  correlative  Beziehungen  erkennen  lassen.  Es  wird  das 
diesen  Beziehungen  zu  Grunde  liegende  causale  Verhältniss  zu  ent- 
decken sein,  wenn  man  x  und  y  in  einzelne  Gruppen  eintheilt,  z.  B. 
:c  in  a^  ft,  c,  d,  .  .  .,  y  in  w,  w,  0,  ^  .  .  .^  und  jede  der  Gruppen 
der  einen  Reihe  auf  ihre  correlativen  Beziehungen  zu  den  Gruppen 


haben  jedoch  sonst  eine  so  abweichende  Bedeutung,  dass  es  mir  zweckmässiger 
scheint,  sie  in  diesem  Fall  nicht  zu  wählen.  Auch  scheint  es  mir,  dass  die 
Bestimmung  concreter  Zustände  zwar  die  nächste,  aber  nicht  die  letzte  Aufgabe 
in  dem  zweiten  der  obigen  Fälle  ist,  sondern  dass  die  Correlationen  dieser 
concreten  Zustände  zugleich  da.s  Gebiet  bilden,  auf  dem  sich  die  causalen  Unter- 
suchungen der  Bevölkerungslehre ,  insoweit  solche  überhaupt  ausführbar  sind, 
bewegen. 


468  Logik  der  GesellBchaftswisBenschaften. 

der  andern  Reihe  prüft.    Gibt  eine  erste  Zerlegung  dieser  Art  kein 
befriedigendes  Ergebniss,   so   kann   eventuell  eine  zweite  Zerlegung 
nach  einem  andern  Eintheilungsgrunde  vorgenommen  werden,  nach 
welcher  x  in  a\   V ,   r',  d',  .  .  .,  y  in  m',  n',  o',  |>'  .  .  .  zerfallt, 
worauf   dann  an  diesen  neuen   Gruppen   die  gleiche   Untersuchung 
wiederholt  ¥drd.   Diese  Freiheit  in  der  Verfdgung  über  das  statistische 
Material,   die   freilich  in  der  Praxis  an  der  Art  der  Erhebung  des- 
selben  gewisse  Schranken    findet,    ist   es,    die,    wie   schon    früher 
(S.  109)  bemerkt,  der  statistischen  Methode  eine  analoge  Herrschaft 
über   ihren   Stoff   gibt,    wie   sie   dem   Experiment   durch   die   will- 
kürliche Yariirung  der  umstände  möglich  ist.  Denn  die  vrillkürUche 
Gruppenzerlegung  hat,   da   sie  principiell  unbeschränkt  ist,   logisch 
durchaus  die  Bedeutung  einer  willkürlichen  Yariirung  der  umstände, 
natürlich  in  derjenigen  Form,   wie  sie  einem  in  seiner  eigenen  Be- 
schaffenheit  durch  den  Beobachter  niemals  zu  verändernden  Gegen- 
stande gegenüber  allein  möglich  ist:  nämlich  als  Yariirung  der  sub- 
jectiv  mit  den  Beobachtungsobjecten  vorzunehmenden  Gruppirungen. 
Ist  auch  diese  Yariirung  durch  die  Gebundenheit  an  ein  bestimmtes 
Beobachtungsmaterial   meist  weit  beschränkter   als   das  in    die  ob- 
jectiven  Erscheinungen  selbst  verändernd  eingreifende  experimentelle 
Yerfahren,    so    liegt    doch    ein   gewisser   Yorzug    der    statistischen 
Methode  wieder  eben  in  dieser  Unabhängigkeit  und  Unveränderlich- 
keit  des   objectiven  Materials.     Denn   es  werden  dadurch  natürlich 
auch  die  Gefahren  subjectiver  Täuschung  vermindert,   die  bei  einer 
allzu    sehr    von   vorgefassten   Hypothesen   geleiteten   Experimental- 
untersuchung    unvermeidlich    sind.      Solche    vorläufige   Hypothesen 
fehlen  natürlich  auch  hier  nicht:  sie  geben  in  der  Regel  die  Gesichts- 
punkte her,  nach  denen  die  Gruppenzerlegungen  vorgenommen  werden, 
und   die   Möglichkeit,    dass   correlative   Beziehungen   zwischen   zwei 
Gruppen   dennoch   kein   directes   causales  Yerhältniss   enthalten,  ist 
darum  keineswegs  ausgeschlossen;  aber  durch  wiederholte  Gruppen- 
zerlegungen wird  doch  die  Gefahr  einer  Täuschung  sehr  vermindert 
werden  können. 

Mannigfache  Beispiele  für  die  Methode  der  Gruppenzerlegung 
finden  sich  schon  auf  dem  Gebiete  der  Mortalitätsstatistik.  Gesetzt 
z.  B.  zwischen  zwei  einem  und  demselben  Lande  angehörigen  und 
daher  unter  im  allgemeinen  gleichen  Bedingungen  der  Rasse  und 
der  Cultur  lebenden  Bevölkerungen  finde  sich  ein  bedeutender  und 
constanter  unterschied  der  Mortalitätsziffer,  um  die  Ursache  dieses 
Unterschieds  zu  finden,  wird  man  von  verschiedenen  Gesichtspunkten 


BevölkeruBgBlehre.  469 

aus  Gruppenzerlegungen  yomehmen  können,  wobei  jeder  der  ge- 
wählten Eintheilungsgründe  eigentlich  wieder  eine  besondere  pro- 
risorische  Hypothese  einschliesst.  Vermuthet  man,  dass  bei  der  einen 
Bevölkerung  eine  grössere  Anzalü  ungesund  gelegener  Wohnungen 
rorkomnie  als  bei  der  andern,  so  wird  eine  topographische  Gruppen- 
bildung gefordert,  die  namentlich  auf  Flussniederungen,  Sumpf-  und 
Höhenlagen  oder  auf  Wohnungsverhältnisse,  wie  z.  B.  die  relative 
Anzahl  von  Kellerwohnungen  in  den  Städten,  Rücksicht  nimmt. 
Will  man  die  Emährungsverhältnisse  prüfen,  so  wird  eine  Gruppen- 
bildung nach  den  Subsistenzmitteln  nöthig  sein.  Regt  sich  der 
Verdacht,  dass  aus  bestimmten  in  Sitte  und  Lebensgewohnheiten 
gelegenen  Gründen  eine  besondere  Gefährdung  des  Eindesalters  vor- 
liege, so  geht  man  von  der  Gruppirung  nach  Lebensaltem  aus,  u.  s.  w. 
Natürlich  sind  die  Aussichten  für  die  vollständige  Ermittelung  der 
wirklichen  Ursachen  um  so  günstiger,  je  mehr  alle  diese  Momente 
neben  einander  berücksichtigt  werden,  und  insbesondere  kann  dadurch 
auch  allein  die  etwaige  Goncurrenz  bestimmter  Bedingungen  sowie 
die  Ausschliessung  anderer  bewiesen  werden. 

Die  statistische  Gruppenverknüpfung  besteht  in  einer 
Umkehrung  der  vorigen  Methode,  und  sie  setzt  daher  in  der  Regel 
eine  vorangegangene  Gruppenzerlegung  voraus.  Doch  ist  nicht 
selten,  namentlich  bei  der  Bildung  topographischer  und  zeitlicher 
Gruppen,  schon  die  ursprüngliche  statistische  Erhebung  gruppen- 
weise vorgenommen  worden,  so  dass  die  zu  behandelnden  Massen- 
erscheinungen von  vornherein  in  zureichender  Zerlegung  gegeben 
sind.  Die  Methode  beruht  auf  folgender  Erwägung.  Yertheilt  sich 
eine  bestimmte  Massenerscheinung  M  auf  verschiedene  Gruppen  a, 
hy  Cy  d  .  ,  .  und  W;  W;  0;  p  .  .  .  \u  verschiedcuer  relativer  Frequenz, 
und  zeigt  es  sich,  dass  eine  Bedingung  X,  die  auf  die  Erscheinung 
£infiu8s  haben  könnte,  auf  gewisse  Glieder  der  Reihen  a,  b,  c,  d  .  .  . 
und  m,  n,  0,  p  .  .  .  einwirkt,  auf  andere  aber  nicht,  so  combinirt 
man  die  unter  dem  Einfluss  von  X  stehenden  Glieder  und  ebenso 
diejenigen,  auf  die  X  zweifellos  keine  Wirkung  ausgeübt  hat.  Er- 
gibt sich  dann,  dass  die  relative  Frequenz  der  Massenerscheinung 
M  durch  die  Combination  der  mit  X  verbundenen  Gruppen  zu- 
und  der  von  X  unabhängigen  abnimmt,  so  wächst  auch  die  Wahr- 
scheinlichkeit, dass  X  wirklich  in  causaler  Verbindung  mit  M  stehe. 
Die  Methode  stützt  sich  demnach  einerseits  auf  die  zunehmende 
Sicherheit  einer  Annahme  mit  der  Zunahme  der  relativen  Anzahl 
bestätigender  Fälle    und    anderseits  auf   die  Elimination  zufälliger 


470  Logik  der  GesellschaftswissenBchaften. 

Nebenbedingungen,  die  um  so  leichter  gelingen  ¥rird,  je  zahlreicher 
und  je  verschiedenartiger  in  ihren  übrigen  Bedingungen  die  Er- 
scheinungen sind. 

Ein  gutes  Beispiel  fUr  dieses  Verfahren  gibt  die  Untersuchung 
der  beiden  Fragen,  ob  die  Schutzpockenimpfung  die  Häufigkeit  der 
Erkrankungen  und  der  Todesfalle  an  Pocken,  und  ob  sie  die  Lebens- 
gefahr überhaupt  vermindert  habe.  Das  hauptsächlichste  statistische 
Material,  das  man  zur  Entscheidung  der  ersten  Frage  besitzt,  be- 
steht in  den  Jahresziffern  der  in  den  verschiedenen  europäischen 
Ländern  seit  dem  Anfang  dieses  Jahrhunderts  verzeichneten  Pockeu- 
todesfälle.  Diese  Ziffern  bilden  für  jedes  Land  eine  zeitliche  Reihe 
von  Gruppen  und  für  alle  Länder  zusammen  in  jedem  Jahr  eine 
räumliche  Reihe  von  Gruppen.  Nun  ist  eine  einzelne  zeitliche  Reihe 
nicht  beweisend.  Stellt  sich  in  ihr  auch  eine  allmähliche  Abnahme 
der  durchschnittlichen  Pockensterblichkeit  heraus,  so  wäre  es  doch 
möglich,  dass  eine  solche  nicht  von  der  Einführung  der  Vaccination, 
sondern  von  andern  Ursachen  herrühre,  eine  Vermuthung  die  in  der 
That  dadurch  unterstützt  wird,  dass  in  dem  einzigen  Lande,  von  dem 
man  eine  über  das  Zeitalter  der  Yaccination  hinaufreichende  Sta- 
tistik der  Pockentodesfälle  besitzt,  in  Schweden,  unverkennbar  schon 
vorher  eine  Abnahme  der  Epidemien  zu  bemerken  war.  Da  nun  aber 
in  den  verschiedenen  Ländern  die  zeitlichen  Gruppen  eine  ähnliche  Ab- 
nahme zeigen,  so  wird  dadurch  allerdings  die  Annahme  einer  andern 
Ursache  schon  unwahrscheinlicher;  dennoch  ist  sie  noch  nicht  aus- 
geschlossen, weil  auch  bei  andern  epidemischen  Krankheiten,  gegen 
die  ähnliche  Vorbeugungsmassregeln  nicht  eingeführt  sind,  eine  an- 
scheinend spontane,  d.  h.  ursächlich  unbekannte  Abnahme  beob- 
achtet wurde.  Hier  tritt  nun  die  zweite  Reihe  statistischer  Gruppen, 
die  räumliche,  ergänzend  hinzu.  Sie  ist  deshalb  besonders  werth- 
voU,  weil  die  Strenge  des  Impfzwangs  in  den  verschiedenen  Ländern 
variirt,  so  dass  sich  die  räumlichen  Gruppen  wieder  nach  dem  Ge- 
sichtspunkt der  mehr  oder  minder  strengen  Schutzimpfung  zusammen- 
fassen lassen.  Indem  nun  hier  dem  geringeren  Impfzwang  durchweg 
die  grössere  Pockensterblichkeit  parallel  geht,  wird  offenbar  die 
Wahrscheinlichkeit  eines  causalen  Zusammenhangs  dieser  Factoren 
grösser,  und  es  wird  zugleich  die  entsprechende  Deutung  der  zeit- 
lichen Reihen  unterstützt.  Eine  grössere  Sicherheit  würden  aber 
natürlich  diese  Schlüsse  erst  dann  gewinnen,  wenn  man  nicht  bloss 
die  relative  Zahl  der  Pockentodesfälle,  sondern  auch  die  der  Pocken- 
erkrankungen und  die  Vertheilung  beider   auf  Geimpfte  und  Unge- 


Bevölkerungslehre.  471 

impfte  kennte.  Zu  einer  solchen  Statistik  in  weiterem  Umfange 
fehlt  jedoch  das  erforderliche  Material:  man  hat  dieselbe  bis  jetzt 
nur  für  engere  Gruppen,  nämlich  in  Krankenhäusern,  und  zwar 
im  allgemeinen  mit  bestätigendem  Erfolg  durchzuführen  vermocht. 
Das  im  letzteren  Fall  angewandte  Verfahren  besteht  aber  augen- 
scheinlich wieder  in  einer  Gruppen  Zerlegung.  Ebenso  würde 
diese  direct  analytische  Methode  anzuwenden  sein,  wenn  man 
der  bis  jetzt  einer  statistischen  Untersuchung  noch  fast  ganz 
unzugänglichen  Frage  nach  dem  Einflüsse  der  Yaccination  auf  die 
sonstige  Morbidität  und  Mortalität  nahetreten  wollte.  Denn  es  würde 
dazu  erforderlich  sein,  nachdem  die  Anzahl  der  Geimpften  und  der 
Ungeimpften  in  einer  Gesammtheit  festgestellt  ist,  wieder  bei  den 
einzelnen  Krankheiten  und  Todesfällen  eine  Zerlegung  in  Gruppen 
geimpfter  und  ungeimpfter  Kranker  und  Gestorbener  auszuführen'''). 
So  hat  überhaupt  die  Methode  der  Gruppenzerlegung  eine  unmittel- 
barere Bedeutung  für  die  Auffindung  bestimmter  Ursachen  der 
Massenerscheinungen.  Die  Methode  der  Gruppenverknüpfung  da- 
gegen tritt  vor  allem  da  ergänzend  ein,  wo  ein  fest  gegebenes 
Material  vorliegt,  das  an  und  für  sich  schon  in  bestimmte  räumliche 
oder  zeitliche  Gruppen  zerfällt,  und  das  eine  weitere  willkürliche 
Zerlegung  aus  Mangel  zureichender  statistischer  Erhebungen  nicht 
zulässt.  Uebrigens  erweisen  sich  beide  Yerfahrungsweisen  auch 
darin  als  specielle  Formen  der  vergleichenden  Methode,  dass  jede 
von  ihnen  sowohl  auf  Erkennung  von  Unterschieden  wie  auf  Fest- 
stellung von  Uebereinstimmungen  beruht.  So  ist  die  Gruppen- 
zerlegung zwar  an  und  für  sich  eine  unterscheidende  Thätigkeit, 
aber  die  Ordnung  der  individuellen  Fälle  in  bestimmte  Gruppen  er- 
folgt auf  Grund  übereinstimmender  Merkmale;  und  die  Gruppen- 
verknüpfimg  geht  zwar  zunächst  von  Uebereinstimmungen  aus, 
aber  bei  der  darauf  folgenden  Gegenüberstellung  verschiedener 
Gruppen  spielen  theils  Qualitäts-  theils  Quantitätsunterschiede  eine 
entscheidende  Rolle.  In  beiden  Fällen  muss  man  ferner  stets  im 
Auge  behalten,  dass  einzelne  Uebereinstimmungen  und  Unter- 
schiede oder  einzelne  correlative  Veränderungen  an  und  für  sich 
nichts  beweisen,  auch  wenn  die  statistischen  Zahlen  in  denen  sie 
hervortreten  noch  so  gross  sind.  Vielmehr  müssen  die  correlativen 
Veränderungen    durch    alle    möglichen    Variationen    sonstiger    Be- 

*)  Das  ganze  für  die  Methodik  der  Statistik  sehr  interessante  Material 
über  diese  Fragen  erörtert  J.  Körösi,  Kritik  der  Yaccinationsstatistik  und 
neue  Beiträge  zur  Frage  des  Impfschutzes.    1889. 


472  Logik  der  Gesellschaftewisfienschaflen. 

dinguDgen  hindurch  nachgewiesen  werden,  und  es  muss  so  viel  als 
möglich  durch  zweckmässige  Gruppenzerlegungen  und  -Verknüpfungen 
die  Möglichkeit  einer  bloss  zufälligen  d.  h.  in  Wirklichkeit  auf 
andern  unbekannten  Ursachen  beruhenden  Correlation  ausgeschlossen 
werden.  Leider  wird  dieser  Gesichtspunkt  nicht  immer  mit  zu- 
reichender Strenge  festgehalten,  und  man  ist  nur  zu  sehr  geneigt  irgend 
einer  vereinzelten  Beziehung,  sobald  sie  durch  grosse  Zahlen  unter- 
stützt ist,  eine  allgemeingültige  Bedeutung  beizulegen  oder  sie  nach 
Yorgefassten  Meinungen  causal  zu  deuten'''). 

Sobald  durch  die  angegebenen  Methoden  entweder  bestimmte 
regelmässige  Beziehungen  zwischen  gegebenen  socialen  Massen- 
erscheinungen und  ihrem  zeitlichen  oder  räumlichen  Vorkommen 
oder  aber  solche  zwischen  zwei  Massenerscheinungen  selbst  auf- 
gefunden sind,  besitzen  solche  Beziehungen  den  Charakter  von 
empirischenGesetzenim  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes.  (Vgl. 
Bd.  II,  1,  S.  26  u.  oben  Cap.  I,  S.  135  ff.)  Die  erste  und  einfachste 
Art  dieser  empirischen  Gesetze,  die  sich  unmittelbar  an  die  rein 
descriptiven  Zustandsbestimmungen  anschliesst  und  in  ihrer  Form 
den  empirischen  Gesetzen  der  Naturwissenschaft  am  nächsten  steht, 
ist  diejenige,  bei  der  die  eine  der  beiden  in  functionelle  Beziehung 
gesetzten  Grössen  in  bestimmten  Zeit-  oder  Raumwerthen,  die  andere 
in  dem  numerischen  Werth  gewisser  Massenerscheinungen  besteht. 
So  erscheint  bei  der  Bestimmung  der  Sterblichkeitsziffer  für  die  ver- 
schiedenen Bezirke  eines  Landes  die  erstere  als  Function  des  Raumes, 
und  bei  der  Untersuchung  ihrer  Verschiedenheiten  während  der 
einzelnen  Jahresmonate  tritt  sie  als  Function  der  Zeit  auf.  Von 
den  empirischen  Naturgesetzen  findet  hier  nur  die  in  den  Verhält- 
nissen der  Massenbeobachtung  begründete  Abweichung  statt,  dass 
im  allgemeinen  nicht  an  eine  stetige  Abstufung  der  Veränder- 
lichen gedacht  werden  kann,   sondern   dass  meist  ein  sprung weiser 


*)  Mehr  noch  als  in  den  personalstatistischen  Untersuchungen  der  Be- 
völkerungslehre spielt  diese  Beurtheilung  vereinzelter  Correlationen  in  der  national • 
Ökonomischen  Realstatistik  eine  Rolle.  Dass  der  Wohlstand  einer  Bevölkerung 
zu-  oder  abnehme,  dass  ein  Schutzzoll  wohlthätig  oder  verderblich  gewirkt  habe 
u.  dergl.,  kann  unter  Umständen  auf  Grund  des  nämlichen  statistischen  Materials 
bewiesen  werden.  Hier  setzt  eben,  wie  früher  erörtert,  jede  statistische  Inter- 
pretation eine  sorgfältige  Analyse  der  einzelnen  zu  berücksichtigenden  Factoren 
voraus.  (Vgl.  Cap.  I,  S.  109  ff.)  Freilich  muss  aber  auch  gesagt  werden ,  dass 
eine  solche  Analyse  wirklich  durchgeführt  sehr  häufig  die  Unmöglichkeit  ergibt, 
auf  Grund  des  zur  Verfügung  stehenden  statistischen  Materials  das  Problem 
endgültig  zu  lösen. 


BevÖlkerungslehre.  473 

Uebergang  zwischen  benachbarten  Raum-  und  Zeitgebieten  ge- 
schieht. Entweder  entspringt  dies  nur  aus  der  Zusammenfassung  der 
Einzelbeobachtungen  in  bestimmte  Gruppen;  oder  es  sind  zugleich, 
z.  B.  wenn  geographische  Bezirke  als  die  Urveränderlichen  auftreten, 
die  Bedingungen  solche,  dass  für  die  zu  Grunde  liegende  Beziehung 
selbst  keine  Stetigkeit  vorauszusetzen  ist.  Bei  der  zweiten  Art 
dieser  Gesetze  werden  direct  in  der  Beobachtung  von  einander  un- 
abhängige Massenerscheinungen  in  eine  regelmässige  Beziehung  ge- 
bracht. So  z.  B.  wenn  man  die  Mortalität  gewisser  Gewerbe,  die 
Vertheilung  der  Verbrechen  nach  dem  Berufsstand  und  ähnliches 
numerisch  zu  bestimmen  sucht.  Auch  hier  finden  sich  natürlich 
immer  zugleich  räumliche  und  zeitliche  Beziehungen  der  Erschei- 
nungen; es  kann  aber  von  ihnen  abstrahirt  werden,  und  es  ge- 
schieht dies  namentlich  dann,  wenn  die  Beziehung  als  eine  aus- 
nahmslose, also  zu  jeder  Zeit  und  an  jedem  Ort  stattfindende,  dar- 
gestellt werden  soll.  Die  Regelmässigkeiten  dieser  zweiten  Art  sind 
offenbar  ebenfalls  empirische  Gesetze,  sie  weisen  aber  meist  unmittel- 
barer als  die  bloss  räumlichen  und  zeitlichen  Correlationen  auf  be- 
stimmte causale  Beziehungen  hin. 

Insoweit  nun  die  durch  Massenbeobachtung  gefundenen  empi- 
rischen Bevölkerungsgesetze  überhaupt  einer  causalen  Deutung  zu- 
gänglich sind,  ist  diese  übrigens  niemals  aus  ihnen  selbst  zu 
gewinnen,  sondern  aus  psychologischen,  historischen  und,  wenn 
es  sich  um  die  physische  Seite  des  Menschen  handelt,  aus  physio- 
logischen und  physikalischen  Thatsachen.  Wenn  z.  B.  die  Statistik 
zeigt,  dass  die  Eheschliessungen  zunehmen,  sobald  die  Getreide- 
preise sinken,  so  sind  die  psychologischen  Motive,  die  dieses  Ge- 
setz erklären,  lange  vor  ibrer  statistischen  Nachweisung  bekannt 
gewesen.  So  gibt  es  überhaupt  schwerlich  irgend  ein  causales 
Öesetz,  welches  durch  die  sociale  Statistik  direct  aufgefunden 
worden  wäre;  sondern  diese  kann  überall  nur  auf  ursächliche  Be- 
ziehungen aufmerksam  machen,  deren  eigentliche  Auffindung  dann 
der  Psychologie  oder  den  in  Betracht  kommenden  physischen  Hülfs- 
wissenschaften  überlassen  bleibt.  Hiermit  hängt  zusammen,  dass 
die  Gesetze  der  socialen  Massenerscheinungen,  ganz  ebenso  wie  die 
Gesetze  der  Sprache,  des  Mythus  u.  dergl. ,  in  ihrer  Formulirung 
durchweg  den  Charakter  empirischer  Gesetze  beibehalten,  dass 
sie  sich  aber  in  solche  scheiden,  deren  psychische  oder  physische 
Ursachen  noch  unbekannt  oder  zweifelhaft  sind,  und  in  solche,  bei 
denen  wir  jene  Ursachen  ohne  Schwierigkeit  hinzudenken  können. 


474  Logik  der  Gesellschafts  Wissenschaften. 

Hierbei  sind  es  übrigens  gerade  diese  letzteren,  die  durchaus  nicht 
von  unwandelbarer  Allgemeingültigkeit  zu  sein  pflegen,  da  sie  nicht 
selten  durch  psychologische  Motive,  die  den  gewöhnlichen  entgegen- 
wirken, durchkreuzt  werden  können.  (Vgl.  Cap.  I,  S.  142  f.)  Deshalb  gibt 
es  überhaupt  nur  wenige  Sätze,  denen  der  Charakter  causaler  Gesetze 
der  Gesellschaft  im  allgemeinsten  Sinne  zugeschrieben  worden  ist,  und 
viele  von  ihnen  sind  überdies  hypothetischer  Art.  (Vgl.  unten  4,  c.) 
Der  Werth  der  Nachweisung  numerischer  Regelmässigkeiten  besteht 
nun  aber  auch  hier  ebenso  sehr  in  der  Erkenntniss  des  physischen  und 
moralischen  Zustandes  der  Bevölkerungen  wie  in  der  Aufhellung 
ursächlicher  Beziehungen ;  und  da  für  die  Erklärung  geschichtlicher 
Veränderungen  die  Erkenntniss  der  Zustände  ein  wesentliches  Hfllfs- 
mittel  ist,  ebenso  wie  hinwiederum  gegebene  Zustände  zum  Theil 
in  geschichtlichen  Bedingungen  ihre  Erklärung  finden,  so  bilden  die 
Zustandsbestimmungen  der  Bevölkerungslehre  namentlich  das  werth- 
voUste  Material  für  das  causale  Verständniss  der  Geschichte. 
Doch  darf  man  sich  nicht  verführen  lassen  zu  glauben,  deshalb^ 
weil  die  statistischen  Thatsachen  selbst  eine  exacte  Form  be- 
sitzen, müsse  nun  auch  der  auf  sie  gegründeten  Interpretation  eine 
solche  zukommen.  Schon  die  schwierigeren  Gebiete  der  Natur- 
forschung, wie  Meteorologie  oder  Biologie,  bieten  vielfach  Erschei- 
nungen dar,  die  zwar  exacte  Massbestimmungen  gestatten,  deren 
causale  Erklärung  aber  nur  eine  qualitative  sein  kann.  Noch  mehr 
trifft  dies  bei  den  socialen  Erscheinungen  zu,  nicht  bloss  in  Folge 
der  Beschaffenheit  der  Wissenschaften,  auf  die  sich  die  Bevölkerungs- 
kunde stützen  muss,  wenn  sie  die  Massenerscheinungen  erklären  will 
sondern  auch  in  Folge  des  eigenthümlichen  Verfahrens  der  Ab- 
straction  und  Generalisation ,  dessen  sie  sich  zum  Behuf  der  Auf- 
stellung ihrer  empirischen  Gesetze  bedient.  Causale  Gesetze  von 
exactem  Charakter  lassen  sich  überall  nur  gewinnen,  wenn  die 
numerisch  festgestellten  Wirkungen  einzelne  Thatsachen  sind,  zu 
denen  nun  andere  einzelne  Thatsachen  als  numerisch  festzustellende 
Ursachen  gefunden  werden  können.  So  beschaffen  sind  aber  die 
Thatsachen  der  statistischen  Massenbeobachtung  niemals.  Denn  die 
Statistik  verwendet  grosse  Zahlen,  nicht  um  die  mehr  oder  minder 
erheblichen  Abweichungen  einzelner  Beobachtungen,  deren  jede  schon 
das  ganze  gesuchte  Gesetz  enthält,  zu  eliminiren,  sondern  weil  bei 
ihrem  Untersuchungsobject  das  Gesetz  überhaupt  nur  für  Massen- 
erscheinungen gilt.  Darum  können  auch  irgend  welche  Fragen,  ** 
sich   auf  das  Individuum   als   solches   beziehen,   niemals   durch  i 


Bevölkerungslehre.  475 

Massenbeobachtung  entschieden  werden.  Die  Regel,  dass  für  einen 
vierzigjährigen  Mann  die  durchschnittliche  Wahrscheinlichkeit  be- 
steht zehn  weitere  Jahre  zu  leben,  kann  für  eine  Lebensversiche- 
rungsgesellschaft massgebend  sein,  die  es  bei  ihren  Berechnungen 
nur  mit  Massen  zu  thun  hat,  nicht  für  den  Einzelnen  selbst.  Und 
niemand  wird  nach  den  Resultaten  der  Yerbrecherstatistik  die  Neigung 
eines  bestimmten  Individuums  zu  einzelnen  Formen  der  Gesetzes- 
übertretung bemessen  wollen.  Wo  die  Statistik  trotzdem  ihre  Durch- 
schnittswerthe  auf  das  Individuum  bezieht,  da  besteht  für  sie  die 
Bedeutung  dieser  Abstraction  des  „mittleren  Menschen"  nur  darin, 
dass  sie  am  einfachsten  eine  Yergleichung  des  Zustandes  verschie- 
dener Bevölkerungen  oder  Bevölkerungskreise  ermöglicht,  wobei  aber 
die  Vergleichung  eine  unvollkommene  bleibt,  wenn  nicht  ausserdem 
Zahlwerthe  für  die  Grösse  der  Schwankungen  angegeben  werden. 
Während  jedoch  bei  der  Ermittelung  physikalischer  Gesetze  diese 
letzteren  Werthe  nur  ein  Mass  für  die  Genauigkeit  der  Beobachtung 
sind,  beziehen  sie  sich  hier  auf  die  Erscheinungen  selbst.  In  Folge 
dieser  Bedeutung  der  Durchschnittswerthe  und  der  Abweichungen  von 
denselben  sind  für  die  Verwerthung  der  statistischen  Beobachtungen 
die  Ghrundsätze  der  Wahrscheinlichkeitstheorie  massgebend,  deren 
Anpassungen  an  den  vorliegenden  Fall  sich  aus  den  oben  geltend 
gemachten  allgemeinen  Gesichtspunkten  ergeben^). 

Neben  den  arithmetischen  Methoden  spielen  aber  ausserdem 
geometrische  Darstellungen  als  Hülfsmittel  der  Yeranschaulichung 
und  bis  zu  einem  ge¥rissen  Grade  auch  der  Auffindung  regelmässiger 
Beziehungen  eine  nicht  unwichtige  Rolle.  Der  specifische  Charakter 
des  statistischen  Verfahrens  findet  bei  ihnen  seinen  Ausdruck  darin, 
dass  die  darzustellenden  Functionsbeziehungen  meist  viel  zu  ver- 
wickelt sind,  um  einfache  Curven,  bei  denen  die  Zeit  oder  der 
Raum  als  lineare  Abscissen  dienen,  verwenden  zu  können.  So  führt 
z.  B.  schon  eines  der  einfachsten  Probleme  des  Bevölkerungswechsels, 
die  Darstellung  der  Geburts-  und  Todesfälle  in  ihrer  Vertheilung 
über  einen  bestimmten  Zeitraum  und  in  ihrer  Be-'  Dhimg  zu  der  zu- 
gehörigen Gesammtheit  der  Lebenden,  zu  eir  .  mit  den  gewöhn- 
Uchen  Mitteln  der  geometrischen  Construction  nicht  zu  lösenden 
Aufgabe,  auch  wenn  man  die  dritte  Dimension  des  Raumes  zu  Hülfe 
nimmt.    Man  ist  daher  zur  Einführung  besonderer,  für  diesen  Zweck 

*)  Vgl.  W.  Lexia,  Zur  Theorie  der  Massenerscheinungen  der  mensch- 
ichen  Qesellschaft.  1877,  S.  13  fF.  Wcstergaard,  Die  Grundzüge  der  Theorie 
der  Statistik.    1890. 


476  Logik  der  Gesellschafts Wissenschaften. 

geeigneter  Darstellungsweisen  genöthigt.  Man  verzeichnet  z.  B. 
nach  dem  Vorgänge  von  Knapp  die  einzelnen  Lebenslängen  al> 
gerade  Linien,  die  der  Äbscissenlinie  der  Zeiten  parallel  gezogen 
und  zugleich  in  dem  Masse,  als  ihre  Anfangspunkte,  die  Geburts- 
zeiten, späteren  Zeitabscissen  entsprechen,  in  zunehmend  grössere 
Ordinatenhöhen  gehoben  werden.  Es  bilden  dann  die  Anfangs-  und 
Endpunkte  dieser  Lebenslinien,  die  Geburts-  und  Sterbepunkte,  Punkt- 
mengen, die  ein  unmittelbares  Bild  von  der  durch  Geburt  und  Tod 
verursachten  Bewegimg  der  Bevölkerung  gewähren  und  sich  in  ihrer 
wechselnden  Dichtigkeit  ebensowohl  zu  der  mittleren  Grösse  der 
Lebenslinien  wie  zu  den  Gesammtheiten  der  Geborenen  und  Ver- 
storbenen in  Beziehungen  bringen  lassen*).  Sobald  die  Anzahl  der 
zu  berücksichtigenden  variabeln  Werthe  grösser  wird,  sind  aber 
auch  diese  Methoden  nicht  mehr  anwendbar,  und  man  bedient  sich 
daher  in  solchen  Fällen  vereinfachter  Veranschaulichungen,  die  sich 
aus  den  vorigen  von  selbst  ergeben,  wenn  man  sich  die  Punkt- 
mengen, die  der  Frequenz  irgend  eines  Ereignisses  oder  einem 
sonstigen  durch  Abzahlung  gewonnenen  Massenwerth  entsprechen, 
durch  Flächengrössen,  z.  B.  durch  Rechtecke,  ersetzt  denkt,  wo  die 
Basis  jedesmal  einem  bestimmten  Abscissenwerth  der  Zeit  oder  der  sonst 
angenommenen  Urveränderlichen  entspricht,  während  die  Höhe  den 
auf  diesen  Abscissenwerth  kommenden  numerischen  Betrag  der  be- 
treffenden Massenerscheinung  misst.  Derartiger  Diagramme  können 
dann,  durch  verschiedene  Farbe  oder  Schraffirung  unterschieden,  so 
viele  über  einander  gesetzt  werden,  als  man  neben  einander  her- 
gehende Massenerscheinungen,  bezogen  auf  die  nämliche  Zeit,  dar- 
zustellen wünscht.  Wo  räumh'che  Abhängigkeiten  vorliegen,  da 
versagen  aber  in  der  Regel  auch  diese  Hülfsmittel  quantitativer 
Veranschaulichung,  und  es  bleiben  nur  die  oben  (S.  454)  erwähnten 
Darstellungen  auf  Grundlage  der  geographischen  Karte  übrig,  eine 
Verbindung  die  der  gemischten,  halb  demologischen  halb  ethno- 
logischen Natur  solcher  Erscheinungen  entspricht**). 


*)  Ueber  verschiedene  Confitruetionen  dieser  Art  vgl.  Lexis,   Einleitung 

in  die  Theorie  der  Bevölkerungsstatistik,  1875,  und  in  kürzerer  Darstellung  im 

Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften,  II,  Art.  Bevölkerungswechsel,  S.  456  ff. 

**)  Vgl.  G.  Majr,   Die  Gesetzmässigkeit  im  Gesellschaftsleben,  S.  70 ff- 

Statistik  und  Gesellschaftslehre,  T,  S.  102  ff. 


Staatswissenschaft.  477 


d.   Die  Staatswissenschaft. 

Indem  die  Ethnologie  die  menschliche  Gesellschaft  in  ihren 
durch  Rasse  und  Volksthum  bestimmten  qualitativen  Differenzirungen, 
die  Demologie  dieselbe  in  ihren  durch  das  sociale  Leben  bedingten 
Massenerscheinungen  erforscht,  enthalten  sich  beide,  so  weit  es  ohne 
Beeinträchtigung  der  eigenen  Aufgaben  möglich  ist,  einer  näheren 
Betrachtung  der  socialen  Organisationen,  die  das  Zusammen- 
leben bestimmen,  und'  die  den  verschiedenen  Gruppen  social  ver- 
bundener Individuen  nach  innen  und  aussen  den  Charakter  zu- 
sammengesetzter Einheiten  verleihen.  Die  Untersuchung 
dieser  socialen  Organisationsformen  bildet  nun  die  Aufgabe  der 
dritten  und  letzten  unter  den  allgemeinen  Socialwissenschaften, 
der  Staats  wissen  Schaft.  Sie  trägt  ihren  Namen  von  der  wich- 
tigsten jener  Gemeinschaften,  an  deren  Betrachtung  sie  sich  zuerst 
herangebildet  hat,  und  die  bis  in  die  neueste  Zeit  fast  das  aus- 
hchliessUche  Object  ihrer  Untersuchungen  gewesen  ist.  In  dem 
System  der  Gesellschaftswissenschaften  kommt  ihr  aber  an  und  für 
sich,  wie  gegenwärtig  mehr  und  mehr  anerkannt  wird,  eine  allge- 
meinere Stellung  zu.  Setzt  doch  das  Studium  der  Organisation  des 
Staates,  wenn  es  sich  auf  ein  historisch-genetisches  Yerständniss 
gründen  will,  die  Eenntniss  der  dem  Staate  vorangehenden  primi- 
ti?eren  socialen  Organisationen,  der  Horde,  des  Stammes,  der  Familie, 
voraus.  Vollends  bilden  die  in  ihm  enthaltenen  socialen  Bildungen, 
die  Vereine,  Corporationen ,  Gemeinden  u.  s.  w.,  einen  wesentlichen 
Bestandtheil  der  Staatsorganisation  selbst,  während  die  über  ihn 
hinausreichenden  internationalen  und  völkerrechtlichen  Verbindungen 
eine  immer  mehr  zur  Entwicklung  gelangende  wichtige  und  noth- 
wendige  Ergänzung  seiner  Organisation  sind. 

Für  die  Sonderung  der  Staatswissenschaft  von  andern  ihrer 
Aufgabe  nach  ihr  nahe  verbundenen  Socialwissenschaften  ist  nun 
die  Unterscheidung  derPersonal-  von  den  Realorganisationen, 
die  uns  in  den  Untersuchungen  der  Bevölkerungslehre  in  der  Form 
der  Personal-  und  Realstatistik  bereits  begegnete  (S.  458),  von 
wesentlicher  Bedeutung.  Da  der  Staat,  ebenso  wie  jeder  andere 
sociale  Verband,  Personen  als  letzte  Bestandtheile  in  sich  schliesst, 
so  ist  die  Staatswissenschaft  vor  allem  eine  Lehre  von  den  Personal- 
organisationen der  menschlichen  Gesellschaft.  Da  sich  aber  das 
Leben  dieser   persönlichen  Verbände   zu   einem   wichtigen   Theil   in 


478  Logik  der  Gesellschaftswiasenachafteii. 

Realorganisationen  bethätigt,  so  fallen  im  weiteren  Sinne  auch 
diese  der  staatswissenschaftlichen  Untersuchung  anheim.  Denmach 
werden  die  persönlichen  Organisationen  der  Gesellschaft  in  Familie, 
Gemeinde,  Staat  und  Staatenverbindungen  sowie  in  den  freieren 
Gesellschaftsbildungen  der  Vereine,  Genossenschaften  und  Corpora- 
tionen  einer  allgemeinen  Staatslehre  zugerechnet,  während 
die  sämmtlichen  Realorganisationen,  wie  die  Staatswirthschaft,  das 
Finanzwesen,  Polizei,  Cultus  und  Unterricht,  Verkehr,  Arbeitsschutz. 
Armenpflege  u.  s.  w.,  Specialgebiete  bilden,  von  denen  die  wichtigeren 
überall  zu  selbständigen  Wissenschaften  ausgewachsen  sind.  Unter 
ihnen  nehmen  zwei  Gebiete,  nämlich  die  Volkswirthschafts- 
lehre  und  die  Rechtswissenschaft,  aus  verschiedenen  Gründen 
wieder  eine  noch  selbständigere  Stellung  ausserhalb  der  Staats- 
wissenschaft in  der  engeren  Bedeutung  dieses  Begriffes  ein:  die 
Volkswirthschaft  weil  sie  in  so  aUgemeinen  menschlichen  Bedürf- 
nissen ihren  Ursprung  hat,  dass  dieselben  an  sich  ganz  unabhängig 
von  bestimmten  politischen  und  sonstigen  socialen  Organisations- 
bedingungen untersucht  werden  können;  die  Rechtswissenschaft  weil 
die  Rechtsnormen  zwar  zunächst  Producte  der  socialen  und  nament- 
lich der  politischen  Organisation  sind,  ausserdem  aber  mit  allgemein- 
gültigen ethischen  Eigenschaften  des  Menschen  zusammenhängen, 
die  ihrerseits  der  Bildung  socialer  Gemeinschaften  normgebend  gegen- 
übertreten. In  diesem  letztem  Verhältnisse  liegt  es  dann  begründet, 
dass  auch  die  Rechts  begriffe  eine  Stufenleiter  von  Abstractionen 
bilden,  von  denen  gerade  die  allgemeinsten  auf  die  besonderen  Be- 
dingungen der  socialen  Organisation  gar  keine  Rücksicht  nehmen, 
wogegen  die  specielleren  überall  den  concreten  Bedingungen  des 
gesellschaftlichen  Lebens  nachgehen,  daher  nun  den  einzelnen  Gre- 
bieten  der  Staats  Wissenschaft  überall  auch  besondere  Gebiete 
des  Staatsrechts  entsprechen:  so  einerseits  der  allgemeinen  Staat«- 
wissenschaft  das  allgemeine  Staatsrecht  mit  den  in  ihm  enthaltenen 
Theilen  des  Familienrechts,  Gemeinderechts,  Corporationsrechts  u.  s.  w., 
und  anderseits  den  verschiedenen  realen  Organisationsgebieten  be- 
sondere Theile  des  öffentlichen  Rechts,  wie  das  Verwaltungsrecht 
Verkehrsrecht,  Armenrecht  u.  s.  w.  Während  also  die  Volkswirth- 
schaftslehre  ausserhalb  des  engeren  Gebiets  der  Staatswissenschaft 
liegt,  weil  ihr  Gegenstand  mit  ursprünglichen  Bedürfnissen  des 
menschlichen  Lebens  zusammenhängt,  die  von  jeder  besonderen  Be- 
schaffenheit der  Gesellschaft  unabhängig  sind,  verdankt  die  Rechts- 
wissenschaft ihre  Sonderstellung  dem  Umstände,    dass  ihre  Begriffe 


Staatswissenschafb.  479 

auf  ethische  Normen  gegründet  sind,  die  wiederum  unabhängig  von 
jeder  besonderen  Gestaltung  der  Gesellschaft  gelten.  Während  aber 
dort  diese  Abhängigkeit  von  allgemein  menschlichen  Bedürfnissen 
und  Forderungen  schon  in  den  primitivsten  Stadien  der  socialen 
Entwicklung  und  auf  ihnen  am  deutlichsten  hervortritt,  setzt  sie 
hier,  wo  sie  ein  Product  sittlicher  Entwicklung  ist,  eine  Reife  der 
Anschauungen  voraus,  die  nur  auf  den  höchsten  Stufen  der  socialen 
Organisation  erreicht  wird.  Vorher  ist  das  Recht  ein  social  ge- 
bundenes, sein  ethischer  Charakter  wird  zurückgedrängt  von  dem 
Zwang  gesellschaftlicher  Bedürfnisse:  man  erinnere  sich  nur  der 
langsamen  Anerkennung  humaner  Anschauungen  im  Strafrecht,  im 
Völkerrecht,  und  an  das  sehr  allmähliche  Eindringen  ethischer  Ideen 
in  die  verschiedensten  Gebiete  des  inneren  Staatsrechts.  Demnach 
ist  das  Yerhältniss  der  Volkswirthschaft  und  des  Rechts  zur  Staats- 
wissenschaft und  allgemeinen  Gesellschaftslehre,  obgleich  äusserlicli 
ähnlich,  doch  innerlich  ein  entgegengesetztes  —  ein  unterschied  der 
auch  für  die  Entwicklung  beider  Gebiete  eine  grosse  Bedeutung 
hat.  In  der  Volkswirthschaft  überwindet  allmählich  der  sociale  Zweck 
die  ursprünglichen,  vorgesellschaftlichen  Beweggründe ;  in  dem  Recht 
Terdrängt  das  ethische  Princip  mehr  und  mehr  die  ursprünglich 
unter  dem  alleinigen  Einflüsse  der  socialen  Noth  entstandenen  Nor- 
men. Dagegen  ist  es  hinwiederum  eine  Folge  der  äusseren  Aehn- 
lichkeit  der  Verhältnisse,  dass  beide  Wissenschaften  ihre  relative 
Unabhängigkeit  von  den  besonderen  socialen  Bedingungen  vor  allen 
Dingen  in  den  abstracteren  begrifflichen  Untersuchungen  zur 
Geltung  bringen,  worauf  sich  dann  die  concreten  Theile  von  selbst 
zu  Anwendungen  der  abstracten  Theorie  auf  die  besonderen  Formen 
des  socialen  Lebens  gestalten. 

Die  staatswissenschaftlichen  Methoden  bestehen  natur- 
gemäss  überall  in  Anwendungen  der  vergleichenden  Methode, 
die  auch  hier  wieder  in  den  beiden  Formen  der  individuell-histo- 
rischen und  der  generischen  Vergleichung  vorkommt.  (Vgl.  S.  68  ff.) 
Sucht  jene  über  die  Entwicklung  der  gesellschaftlichen  Organi- 
sationen Aufschluss  zu  gewinnen,  so  ist  diese  bemüht  die  Organi- 
sationsformen der  einzelnen  socialen  Bildungen  durch  die  Feststellung 
ihres  Verhältnisses  zu  andern  von  verwandter  Art  zu  beleuchten. 
Im  allgemeinen  ist  auf  diesem  Gebiet  die  generische  Vergleichung 
die  weit  früher  geübte.  Sie  hat  zu  den  bekannten  Eintheilungen 
der  Staatsformen  in  Monarchie,  Aristokratie  und  Demokratie,  Autori- 


480  Logik  der  GesellschaftswissenBchaften. 

täts-  und  Rechtsstaat,  Krieger-,  Ackerbau-  und  Industriestaat  u.  s.  w., 
ebenso  der  Familie  in  Einzelfamilie  und  Gesammtfamilie,  mono- 
gamische und  polygamische  Eheform,  endlich  der  verschiedenen 
freien  Verbände  in  Gesellschaften,  Vereine,  Genossenschaften  und 
Corporationen  geführt.  So  unerlässlich  solche  auf  wenige  descrip- 
tive  Merkmale  gegründete  Eintheilungen  sind,  so  sind  doch  die 
meisten  derselben  und  namentlich  die  der  verwickelteren  Organi- 
sationen, wie  des  Staates,  von  nur  geringem  Erkenntnisswerth ;  und 
dem  Mangel  der  hierbei  im  allgemeinen  vorzeitig  angewandten 
generischen  Abstraction  wird  auch  durch  die  verschiedenen  schema- 
tischen Untereintheilungen,  die  das  künstliche  System  den  concreten 
Verhältnissen  näher  bringen  sollen,  wie  z.  B.  die  Aristotelische 
Unterscheidung  jeder  der  drei  Hauptformen  in  eine  gute  und  eine 
schlechte  Art  oder,  wie  wir  es  wohl  heute  nennen  würden,  in  eine 
Rechts-  und  eine  Autoritätsform,  wenig  abgeholfen.  Die  neuere 
Staatswissenschaft  pflegt  daher  durchgängig  vor  der  generischen  die 
individuell-historische  Methode  zu  bevorzugen.  Sie  sieht  ihre  nächste 
und  wichtigste  Aufgabe  in  der  Untersuchung  der  Organisations- 
verhältnisse der  concreten  einzelnen  Staaten  und  gönnt  der  gene- 
rischen Vergleichung  nur  insoweit  Raum,  als  sich  aus  den  indivi- 
duellen Erscheinungen  allgemeingültige  Regeln  ergeben.  Demnach 
legt  dann  eine  solche  auf  Grund  der  concret-historischen  Unter- 
suchung entstehende  allgemeine  Staatstheorie  auch  bei  den  gene- 
rellen Verhältnissen  nur  einen  verhältnissmässig  untergeordneten 
Werth  auf  die  äusseren  Formen,  den  weitaus  grösseren  dagegen  auf 
die  Beschaffenheit  der  einzelnen  im  Staate  zusammenwirkenden  per- 
sonalen und  realen  Organisationen  und  auf  die  durch  sie  erstrebten 
socialen  Zwecke*). 


*)  In  diesem  Geiste  sind  daher  die  meisten  neueren  Darstellungen  der 
Staatswissenschafb  und  des  Staatsrechts,  wie  die  Werke  von  R.  von  Mohl 
(Encyklopädie  der  Staatewissenschaften,  2.  Aufl.  1872),  Bluntschli  (Deutsche 
Staatslehre  und  die  heutige  Staaten  weit,  1890),  Schaf  fle  (Bau  und  Leben  des 
socialen  Körpers,  Bd.  4,  S.  217  ff.)  u.  A.  gehalten.  Röscher  folgt  zwar  in 
seiner  Politik  (2.  Aufl.  1892)  in  der  Hauptgliederung  des  Stoffs  der  Aristotelischen 
Classification,  sucht  sie  aber  dann  im  einzelnen  nach  geschichtlichen  Gesichts- 
punkten zu  ergänzen :  so  z.  B.  indem  er  die  Aristokratie  in  eine  Ritter-,  Priester- 
und  Stadtearistokratie  eintheilt  u.  s.  w.,  und  ausserdem  gewisse  politisch  wichtige 
Erscheinungen,  wie  Plutokratie  und  Proletariat,  Cäsarismus,  in  ergänzenden 
Capiteln  behandelt.  Freilich  lässt  sich  aber  auch  an  der  DarsteUung  Rösche rs 
erkennen,  dass  durch  diese  Bevorzugung  des  formalen  Eintheilungsprincips  die 
eigentlichen  Organisationsfragen  zurücktreten,  wie  denn  z.  B.  in  dem  sonst  so 


Staatswissenscliaft.  481 

Immerhin  bleibt  es  eine  Aufgabe  der  Staatswissenschaft,  auch 
aof  ihrem  Gebiete,  entsprechend  dem  regelmässigen  Gang  der  ver- 
gleichenden Methode,  von  der  individuellen  zur  generischen  Betrach- 
tung fortzuschreiten,  und  wenn  dieser  Aufgabe  durch  die  gewöhn- 
lichen formalen  Unterscheidungen  nur  sehr  mangelhaft  entsprochen 
wird,  so  liegt  darin  eine  um  so  dringendere  Aufforderung,  an 
die  Stelle  dieser  äusserlichen  Auffassung  der  Staatsformen  eine 
tiefere  Betrachtung  des  Wesens  und  der  Wesensunterschiede  der 
Staatsorganisationen  zu  setzen.  So  leicht  nun  aber  jene  äusseren 
Unterscheidungen  sind,  so  schwierig  ist  eine  befriedigende  Lösimg 
dieses  mehr  und  mehr  in  den  Mittelpunkt  der  neueren  Staatswissen- 
schaft gerückten  Problems.  Setzt  sie  doch  neben  der  Kenntniss  der 
politischen  und  socialen  Zustände  auch  eine  solche  der  mannigfachen 
Factoren  voraus,  die  diese  Zustände  und  ihren  wechselseitigen  Zu- 
sammenhang bestimmen.  So  sieht  sich  hier  die  Staatswissenschaft 
bei  einem  ähnlichen  Wendepunkt  angelangt  wie  die  Geschichts- 
wissenschaft, seitdem  in  ihr  die  Forderung  nach  einer  allseitigen 
Berücksichtigung  der  culturhistorischen  und  socialen  Factoren  der  ge- 
schichtlichen Zustände  zur  Geltung  gelangt  ist.  Nur  freilich  dass 
die  Kräfte,  von  denen  die  Organisation  der  Gesellschaft  abhängt, 
im  allgemeinen  noch  weniger  aufgehellt  sind  als  jene  wirthschaft- 
lichen  und  geistigen  Bedingungen,  die  in  das  geschichtliche  Leben 
bestimmend  eingreifen.  So  ist  es  denn  verständlich,  dass  sich  hier 
die  Staatswissenschaft  vielfach  gewisser  Hülfsmethoden  bedient, 
die  sie  entweder  ganz  und  gar  andern  Gebieten  entnimmt,  oder  die 
doch  unmittelbar  nur  gewissen  Theilerscheinungen  des  politisch- 
sodalen  Lebens  entsprechen.  Solcher  Methoden  sind  in  der  Staats- 
wissenschaft vier  zur  Anwendung  gekonmuen;  wir  wollen  sie  nach 
den  in  ihnen  herrschenden  hauptsächlichsten  Gesichtspunkten  als 
die  physikalische,  die  biologische,  die  juristische  und 
diesociologische  bezeichnen.  Das  Yerhaltniss  dieser  vier  Methoden 
ist  derart,  dass  die  erste  und  dritte  durch  die  individualistische, 


Tiele  treffende  poUtische  und  historische  Bemerkungen  enthaltenden  Werke  die 

oonititationelle  Monarchie  und  der  Parlamentarismus  nicht  einmal  erwähnt  sind« 

Ganz  im  Gegensatz  hierzu  nennt  6.  Ratzenhofe r  (Wesen  und  Zweck  der 

Politik,  Bd.  I,  8. 198)  die  Aristotelische  Classification  eine  «unwissenschaftliche* 

und  legt,  abgesehen  von   der  Unterscheidung  des  absoluten  Staats  und  des 

Eechtsstaats,  auf  die  formalen  Unterschiede  Überhaupt  einen  geringen,  auf  die 

socialen  und  civilisatorischen  Aufgaben  des  Staates  und  die  ihnen  dienenden 

Organisationen  aber  den  Hauptwerth. 

Wandt,  Logik.  II,  >.    2.  Aufl.  31 


482  Logik  der  GeselUchaftswiBsenschaften. 

die  zweite  und  vierte  durch  die  collectivistische  Gesinnung,  die 
in  ihnen  vorherrscht,  einander  näher  stehen,  während  die  erste  und 
zweite  durch  die  Anlehnung  an  bestimmte  naturwissenschaftliche 
Methoden,  die  dritte  und  vierte  durch  das  Streben  dem  Oebiet  des 
gesellschaftlichen  Lebens  selbst  die  leitenden  Gesichtspunkte  zu  ent- 
nehmen einander  verwandt  sind.  Aus  der  letzteren  Beziehung  er- 
klärt es  sich  auch,  dass  üebergänge  zwischen  diesen  Methoden  und 
den  Anschauungen,  von  denen  sie  getragen  sind,  in  der  Regel  ent- 
weder als  eine  Verbindung  der  physikalischen  mit  der  biologischen 
oder  als  eine  solche  der  juristischen  mit  der  sociologischen  Betrach- 
tung vorkommen. 

Die  physikalische  Methode  wurzelt  in  den  Anschau- 
ungen der  mechanischen  Naturphilosophie.  Hatte  Hobbes  den 
Staat  als  einen  „ künstlichen  Körper **  bezeichnet,  so  stellte  dem 
die  nachfolgende  Entwicklung  des  Naturrechts,  namentlich  in  ihren 
einer  materialistischen  Metaphysik  zugeneigten  Vertretern,  die  Idee 
gegenüber,  dass  er  ein  , natürlicher  Körper'*  sei  oder  doch  sein 
sollte,  von  den  physischen  Körpern  im  engeren  Sinne  nur  durch 
seine  verwickeitere  Zusanunensetzung  verschieden  *).  In  der  neueren 
Ausbildung  der  physikalischen  Methode  tritt  jedoch  dieser  meta- 
physische Gesichtspunkt  zurück:  nicht  weil  die  Gesellschaft  ein  zu- 
sammengesetzter Körper,  sondern  weil  sie  überhaupt  ein  zusammen- 
gesetzter Begriff  ist,  sollen  auf  sie  die  Methoden  anzuwenden  sein, 
welche  die  Physik  zur  Analyse  solcher  concreter  Erscheinungen  ge- 
schaffen hat,  bei  denen  sich  die  resultirenden  Wirkungen  als  noth- 
wendige  Folgen  aus  den  Eigenschaften  der  einzelnen  Gomponenten 
und  Bestandtheile  ergeben.  Dies  ist  der  Sinn,  in  welchem  Com te 
seine  sociale  Statik   und  Dynamik  unterschied"'"'),   und  in  welchem 


*)  Einen  Beleg  filr  diese  Fortbildang  liefert  Montesquieu«  .Geist  der 
Gesetze*  zusammengehalten  mit  den  daza  gelieferten  kritischen  Anmerkungen 
des  Helvetius.  Den  Naturgesetzen,  die  aus  dem  Wesen  des  Menschen  ent- 
springen, stellt  Montesqieu  die  , positiven  Gesetze'  gegenüber,  die  allerdings 
ebenfalls  möglichst  der  natürlichen  Beschaffenheit  des  Landes  und  Volkes  ent- 
sprechen sollen,  ihrem  Ursprung  nach  aber  Erzengnisse  des  Willems  nnd  Te^ 
•nünfdger  üeberlegung  seien.  (Geist  der  Gesetze,  Buch  I,  Gap.  1 — 8.)  Helvetiiu 
h&lt  diese  Unterscheidung  für  .schwach  und  dunkel*,  weil  die  wahre  Quelle 
aller  Gesetze  die  «wohl  begründete  Natur  des  Menschen*  seL 

*^  Allerdings  stützt  Gomte  seine  Sociologie  zugleich  anf  die  Biologie; 
aber  er  hebt  doch  nachdrücklich  hervor,  dass  die  Harmonie  oder  der  Consenstis 
der  Theile  des  Ganzen,  der  den  Org^ismus  auszeichne,  nichts  diesem  spedfisch 
eigenthümliches  sei,   sondern  dass  derselbe  schon  in  d«r  unorganischen  Natur, 


V 


Staatswissenschafk.  483 

Quetelet  die  Gesellschaftslebre  eine  „Physique  social^  nannte.  Am 
schärfsten  hat  aber  John  Stuart  Mill  diese  methodologische  Ana- 
logie mit  der  Physik  hervorgehoben,  indem  er  das  entscheidende 
Gewicht  darauf  legte,  dass  die  gesellschaftlichen  Erscheinungen  genau 
so  aus  der  Natur  des  individuellen  Menschen  abzuleiten  seien,  wie 
in  der  Physik  aus  den  Eigenschaften  der  einzelnen  Körper  die  Er- 
scheinungen ihres  Zusammenwirkens.  Darum  ist  ihm  auch  die 
Sociologie  ihrem  Qrundcharakter  nach  eine  deductive  Wissen- 
schaft: aus  den  Eigenschaften  des  Individuums  habe  sie  zuerst 
die  socialen  Gesetze  psychologisch  zu  deduciren,  um  dann  die  Resultate 
nachträglich  durch  die  directe  Beobachtung  zu  verificiren'*'). 

Gegen  das  Princip  dieser  Methode  lässt  sich  vor  allem  ein- 
wenden, dass  dasselbe  auf  einer  falschen,  nirgends  durch  die  Er- 
fahrung bestätigten  Voraussetzung  ruht,  auf  der  Voraussetzung 
nämlich,  alle  Eigenschaften  einer  Gemeinschaft  seien  aus  den  Eigen- 
schaften der  Individuen  die  ihr  angehören  a  priori  abzuleiten.    Eine 


z.  B.  in  dem  astronomiflchen  System,  vorkomme.  (Cours  de  Philos.  pos.,  lY,  Le^.  48.) 
Comte  steht  hier,  ähnlich  wie  Spencer  (s.  u.),  zwischen  physikalischer  und 
biologischer  Methode  mitten  inne.  Doch  hat  immerhin  Spencer  die  , organische' 
Natnr  der  Gesellschaft  stärker  betont,  weshalb  es  angemessener  scheint,  ihn  den 
Vertretern  der  biologischen  Methode  zuzuzählen. 

*)  Mill,  Logik,  n,  Buch  VI,   Cap.  VII,   deutsche  üebers.  von  Schiel, 
2.  Aufl.,  II,  S.  486  ff.    Mill  unterscheidet  seine  .physikalische'  von  der  „geo. 
metrischen'  und  der , chemischen'  Methode.  Dabei  versteht  er  unter  geometrischer 
Methode  ein  abstract-constructives,  unter  chemischer  ein  ezperimentell-inductives 
Verfahren,  welches  da  angewandt  werden  müsse,  wo,  wie  in  der  Chemie,  die  resul- 
tiienden  Wirkungen  nicht  aus  ihren  Componenten  deducirt,  sondern  nur  em- 
pirisch ermittelt  werden  könnten.    Da  nun  diese  Voraussetzung  auch  für  die 
biologische  Methode  massgebend  ist,  bei  der  jene  Verschiedenheit  des  Ganzen 
von  der  Summe  seiner  Theile  in  der  , organischen"  Structur  der  Gesellschaft 
gesehen   wird,   so   ist  offenbar  die  chemische   mit  der  biologischen  Methode 
identisch.    Die  letztere  Bezeichnung  dürfte  aber  doch  die  angemessenere  sein, 
da  die  Vergleichung  der  Gesellschaft  mit  einem  organischen  Gebilde  immerhin 
i^er  liegt,   als   die   mit  einer  chemischen  Verbindung.    Mill  tadelt  es  an 
Comte,   dass   er  zwar  im  ganzen  die  physikalische  Methode  anzuwenden  ver- 
sacht,  aber  die  erforderliche  Reihenfolge  der  Verfahrungsweisen   umgekehrt 
habe,  indem   er  zuerst  generalisire,   um   dann   wo   möglich   die   gefundenen 
empirischen  G^etze  zu  deduciren.    Die  Ansicht,  dass  man  unmittelbar  durch 
die  Sammlung  zahlreicher  Beobachtungen  sociale  und  historische  Gesetze  auf- 
finden könne,  ist  aber  bei  Comte  selbst  noch  bei  weitem  nicht  so  ausgesprochen 
^e  bei  Quetelet  und  Buckle,  bei  denen   diese  Ansicht  mit  der  Forderung 
einer  unmittelbaren  Anwendung  der  statistischen  Methode  auf  Sociologie 
Qod  Geschichte  zusammenhängt.    (Vgl.  hierzu  Cap.  m,  S.  342.) 


484  Logik  der  Geaellschaftswissenschaften. 

solche  Deduction  ist  aber  nicht  nur  unmöglich,  sondern  es  sind  sogar 
umgekehrt  die  socialen  Erscheinungen,  wenn  sie  empirisch  gegeben 
sind,  immer  nur  theilweise  durch  das  Zurückgehen  auf  die  psychischen 
Eigenschaften  des  einzelnen  Menschen  verständlich  zu  machen.  Was 
hierbei  überall  noch  hinzukommen  muss,  ist  die  Erwägung  der  Be- 
dingungen, die  aus  dem  Zusammenleben  der  Einzelnen  entstehen, 
und  durch  deren  Rückwirkung  auf  den  Einzelnen  auch  in  diesem 
neue  psychische  Eigenschaften  entbunden  werden.  Das  wird  Tor 
allem  deutlich  an  den  ursprünglichsten,  allen  weiteren  Formen 
des  socialen  Lebens  zu  Grunde  liegenden  Gemeinschaftserzeugnissen, 
der  Sprache,  der  Sitte,  die  überall  zuerst  in  ihrer  thatsächlichen 
Beschaffenheit  und  in  ihren  besonderen  geschichtlichen  Entwicklungs- 
bedingungen erkannt  sein  müssen,  ehe  an  eine  psychologische 
Deutung  gedacht  werden  kann,  und  wo  diese  Deutung  selbst  stets 
den  concreten  Bedingungen  menschlichen  Zusammenlebens  Rechnung 
tragen  muss.  Der  Schematismus  der  physikalischen  Methode  beruht 
daher  auf  einer  völligen  Yerkennung  der  methodischen  Grundlagen 
aller  Interpretation.  (Vgl.  Cap.  I,  S.  99  f.)  Einigermassen  begreif- 
lich wird  dieser  Irrthum  nur  dadurch,  dass  diesem  Versuch,  die 
Socialwissenschaften  als  deductive  Wissenschafken  im  Sinne  der  theo- 
retischen Physik  aufzufassen,  die  theoretische  Volkswirthschafkslehre, 
nicht  die  eigentliche  Staatswissenschaft,  als  Vorbild  gedient  hat. 
Aber  auch  für  jene  trifft  das  Schema  nicht  zu,  da  die  Erscheinungen 
des  wirthschaftlichen  Verkehrs  schliesslich  nach  den  nämlichen 
Regeln  der  Interpretation  beurtheilt  werden  müssen,  die,  nur  modi- 
ficirt  nach  den  besonderen  Bedingungen,  für  alle  Geisteswissen- 
schaften gelten.  (Vgl.  unten  S.  503.)  So  lässt  sich  denn  der  , physi- 
kalischen Methode*^  in  keiner  Hinsicht  irgend  ein  werth voller  Ge- 
sichtspunkt abgewinnen:  sie  bleibt  ein  warnendes  Beispiel  für  die 
schädliche  Wirkung  einer  nach  spärlichen  äusseren  Analogien  aus- 
geführten üebertragung. 

Die  biologische  Methode  geht  bis  in  das  Alterthum  zurück. 
Sie  hat  ihre  Wurzel  in  der  hellenischen  Staatsauffassung  der  classi- 
schen  Zeit  und  findet,  während  freilich  im  öffentlichen  Leben  selbst 
diese  Auffassung  bereits  geschwimden  war,  ihren  Ausdruck  in  der 
Platonischen  und  in  einer  gemilderten  Form  in  der  Aristotelischen 
Staatslehre.  Dem  Plato  ist  der  Staat  ein  Mensch  im  grossen,  dem 
Aristoteles  ist  der  Mensch  ein  politisches  Wesen,  beiden  aber 
ist  der  Staat  ein  organisches  und  lebendiges  Ganze.  Dieselbe  An- 
schauung taucht  im  Mittelalter  wieder  auf  als  Symptom  des  Gegen- 


Staatswifisenschaft.  485 

Satzes  gegen  die  von  der  Kirche  angenommene  Lehre  von  dem  künst- 
lichen, bloss  auf  Vertrag  und  üebereinkunft  beruhenden  Wesen  des 
Staates.  Ihr  gegenüber  betont  schon  ein  Nikolaus  von  Gues  die 
organische,  auf  ursprünglichen  und  natürlichen  Bedingungen  be- 
ruhende Natur  desselben.  Diese  organische  Staatslehre  zieht  sich 
dann  mit  wechselndem  Glück,  aber  meist  durch  Anschauungen  ent- 
g^engesetzter  Art  zurückgedrängt  und  daher  nur  auf  einzelne 
Denker  beschränkt,  durch  die  neueren  Jahrhunderte,  bis  sie  sich  in 
unserer  Zeit,  angeregt  zuerst  durch  politische  Instinkte,  dann  durch 
naturphilosophische  und  sociologische  Anschauungen,  mit  grösserer 
Macht  wieder  erhebt.  So  lange  freilich  bloss  das  politische  Interesse 
hinter  ihr  stand,  konnte  es  die  «organische  Staatslehre''  zu  keinem 
rechten  Erfolg  bringen.  War  auch  an  sich  der  Wunsch,  die  orga- 
nische Natur  des  Staats  und  seine  dem  Einzeldasein  überlegene 
ReaUtät  zu  betonen,  ein  wohl  berechtigter  und  im  ganzen  auf  rich- 
tiger Beobachtung  ruhender;  so  blieb  doch  die  Ausbildung  der 
Theorie  so  lange  eine  allzu  äusserliche,  als  diese  organische  Staats- 
lehre in  der  mystisch  verschwonmienen  Naturphilosophie  Schellings 
und  seiner  Nachfolger  einen  Anhalt  für  die  Ausbildung  ihrer  Be- 
griffe suchte.  Hier  wurde  dann  unausbleiblich  der  weitgehende 
Missbrauch,  den  diese  Naturphilosophie  mit  vagen  Analogien  trieb, 
nur  auf  ein  anderes  Gebiet  verpflanzt.  So  entstand  eine  Staats- 
philosophie, die  an  die  Stelle  einer  wirklichen  Interpretation  der 
Dinge  eine  Versinnlichung  derselben  durch  mehr  oder  minder  poetisch 
gedachte,  meist  aber  sehr  willkürliche  und  nicht  selten  geschmack- 
lose Gleichnisse  setzte :  so  wenn  die  Verbindung  von  Staat  und  Kirche 
mit  der  Ehe  verglichen  und  in  diesem  Ehebunde  der  Staat  als  der 
Mann,  die  Kirche  als  das  Weib  bezeichnet  wurde,  oder  wenn  man 
gar  die  verschiedenen  Regierungs-  und  Verwaltungsorgane  mit  den 
Sinneswerkzeugen  und  sonstigen  Theilen  des  Körpers  in  Analogie 
brachte*). 

Eine  ernstere  Bedeutung  gewann  die  biologische  Methode,  als 
auf  der  einen  Seite  die  Naturphilosophie  aus  der  Darwin'schen 
Theorie  neue  und  exacter  begründete  Anregungen  schöpfte,  während 
auf  der  andern  in  die  Staatswissenschaft  der  Gedanke  eindrang, 
dass  sie  nur  ein  Theil  einer  allgemeinen  Sociologie  sei.  Es  lag 
nun  nahe   genug,   als   die  Vorstufe  dieser  Sociologie  die  Biologie 


*)  Vgl   über  diese  Lehren  R.  von  Mohl,   Die  Geschichte  und  Literatur 
der  StaatawiasenBchaften,  I,  1855,  S.  259  f. 


486  Logik  der  GesellBchafbswiBsenschaften. 

zu  betrachten  und  daraus  die  Folgerung  zu  ziehen,  dass  die  Methoden 
des  relativ  einfacheren  Gebietes  auch  in  dem  verwickelteren  anwend- 
bar sein  müssten,  analog  wie  sich  ja  die  Biologie  ihrerseits  der 
physikalischen  und  chemischen  oder  die  Physik  der  mechanischen 
imd  mathematischen  Methoden  bediene.  Die  biologische  Methode 
der  Staatswissenschaft  ergab  sich  so  als  eine  unmittelbare  Folgerang 
aus  dem  von  Comte  so  genannten  System  der  ,  Hierarchie  der 
Wissenschafken''  *).  Damit  entstand  aber  zugleich  eine  Spaltung 
dieser  biologischen  Richtung  in  zwei  einzelne  Richtungen  von  theil- 
weise  entgegengesetzter  Tendenz.  Fasste  man  die  Anwendung  der 
biologischen  Methode  im  Sinne  des  Gomte'schen  Systems,  so  musste 
dieselbe  nothwendig  um  so  mehr,  je  vollständiger  der  Gedanke  der 
Hierarchie  auf  den  gesammten  Inhalt  der  Naturphilosophie  Einfluss 
gewann,  ihre  specifische  Beschaffenheit  verlieren  und  einer  all- 
gemeinen Methode  naturphilosophischer  Interpretation  Platz  machen, 
bei  der  es  ungewiss  blieb,  wie  viel  die  organischen  und  wie  viel  die 
imorganischen  Erscheinungen  zu  ihr  beitragen  mochten;  ja  im  all- 
gemeinen war  zu  erwarten,  dass  diesen  letzteren  der  Hauptantheil 
an  der  Entstehung  der  grundlegenden  Anschauungen  zufallen  werde, 
da  sie  vorausgehen  und  so  von  vornherein  die  Gesichtspunkte  be- 
stimmen, unter  denen  auch  die  verwickeiteren  organischen  Erschei- 
nungen betrachtet  werden.  Indem  aber  die  Biologie  selbst  wieder 
physikab'sche  oder  allgemeiner  ausgedrückt  kosmologische  Principien 
anwendet,  müssen  von  diesem  Standpunkte  aus  auch  die  socio- 
logischen  oder  staatswissenschaftlichen  Methoden  nur  in  einer  fort- 
gesetzten Anwendung  gewisser  allgemein  für  die  Erscheinungsweli, 
insbesondere  also  schon  für  die  Erforschung  der  unorganischen  Ag- 
gregate gültiger  Methoden  bestehen.  Damit  wird  zunächst  für  die 
Biologie  der  Gesichtspunkt  massgebend,  dass  der  Organismus  ein 
Aggregat  physikalischer  Einheiten,  für  die  Sociologie  der,  dass  Ge- 
sellschaft und  Staat  Aggregate  physiologischer  Einheiten  seien.  So 
entsteht  auf  der  Grundlage  dieser  biologischen  Methode  eine  indi- 
vidualistische Staats-  und  Gesellschafkslehre ,  wie  sie  am  folge- 
richtigsten, freilich  aber  auch  mit  der  verwegensten  Benützung  rein 
äusserer  Analogien  Herbert  Spencer  in  seinen  Systemen  der  Socio- 
logie und  der  Ethik  gegeben  hat.  Seine  Methode  besteht  wesent- 
lich darin  nachzuweisen,  dass  die  nämlichen  Processe  der  Integration 
und  der  Desintegration,  der  Vereinigung  zu  einem  Ganzen  und  der 


*)  Comte,  Cours  de  Philos.  positive,  I,  Le9.  1. 


Staatawissenschafb.  487 

Aufhebung  des  Zusammenliangs,  in  deren  fortwährender  rhythmischer 
Aufeinanderfolge  er  das  , Entwicklungsgesetz **  sieht,  sich  in  der 
ganzen  Natur  von  den  einfachsten  astronomischen  Erscheinungen  an 
bis  zu  den  höchsten  organischen  und  gesellschaftlichen  Bildungen 
wiederholen.  Da  nun  jede  der  so  durch  fortgesetzte  Integration  ent- 
stehenden Gestaltungen  vermöge  der  durchgängigen  Analogie  der 
Erscheinungen  nur  eine  Wiederholung  der  sämmtlichen  voran- 
gegangenen Bildungen  auf  einer  höheren  Stufe  ist,  so  hat  der  Staat 
ebenso  gut  wie  die  zunächst  unter  ihm  stehende  Integrationsstufe, 
die  zusammengesetzte  physiologische  Einheit,  den  Charakter  des 
,  Organismus  **,  er  hat  aber  auch  mit  dieser  das  Wesen  der  ursprüng- 
licheren unorganischen  Einheit,  des  „Aggregates^,  gemein,  und  genau 
wie  bei  einem  unorganischen  Aggregat  sind  daher  bei  ihm  die 
sänmstliehen  Eigenschaften  des  Oanzen '  in  den  Eigenschaften  der 
Einheiten,  aus  denen  sich  dies  Ganze  zusammensetzt,  vorgebildet. 
So  kommt  es,  dass  diese  Gesellschaftstheorie  organisch  und  atomistisch 
zugleich  ist.  Und  da  bei  der  Erörterung  der  allgemeinen  gesell- 
schaftlichen Erscheinungen  der  organische  Zusammenhang,  also  die 
biologische  Analogie,  bei  der  Betrachtung  der  sittlichen  Zwecke  aber 
das  Yerhältniss  des  Einzelnen  zu  dem  socialen  Aggregat  dem  er 
angehört,  also  die  unorganische  Analogie,  die  Hauptrolle  spielt,  so 
U^  der  scheinbare  Widerspruch  der  Theile  dieses  Systems,  dass 
die  „Sociologie*  auf  den  Begriff  des  socialen  Organismus,  die  „Ethik'' 
aber  auf  den  der  Autonomie  des  Individuums  aufgebaut  ist,  in  den 
Grundvoraussetzungen  der  Methode  begründet.  Gleichwohl  ist  dieser 
Widerspiruch  zugleich  ein  Zeugniss  für  die  Willkürlichkeit  dieser  Me- 
thode. Eine  solche  Vereinigung  entgegengesetzter  Grundanschauungen 
ist  eben  nur  deshalb  möglich,  weil  jene  m  einem  rein  formalen 
Analogieverfahren  besteht,  welches  nirgends  dem  Gegenstand  selbst 
adäquat  ist,  sondern  auf  ihn  überall  anderwärts  entlehnte  Anschauungen 
hinüberträgt:  so  auf  den  physiologischen  Organismus  den  Begriff 
des  unorganischen  Aggregates,  auf  die  Gesellschaft  als  solche,  ohne 
sonderliche  Rücksicht  auf  die  unendliche  Verschiedenheit  der  in  ihr 
sich  durchkreuzenden  Organisationsformen,  den  Begriff  des  Organis- 
mus. Dass  dieses  Verfahren  äusserlicher  Analogiebildungen,  das 
die  entlegensten  Erscheinungen  schliesslich  einem  und  demselben 
mit  dem  Namen  eines  Entwicklungsgesetzes  geschmückten  Begriffs- 
8chematismus  unterordnet,  die  wahre  Interpretation  der  Thatsachen 
wenig  fordern  kann,  und  dass  es  ein  Hineintragen  sonst  erworbener 
subjectiver  üeberzeugungen  nicht  schwer  macht,  ist   einleuchtend. 


488  Logik  der  GesellBchaftswissenschaften. 

Wenn  Spencer  in  der  Sociologie  die  Analogie  der  Gesellschaft  mit 
dem  unorganischen  Aggregat  und  in  der  Ethik  die  mit  dem  orga- 
nischen Gbnzen  in  den  Vordergrund  gekehrt  hätte  statt  umgekehrt, 
so  würde  schwerlich  jemand  berechtigt  sein,  dies  als  einen  Verstoss 
gegen  die  Methode  zu  rügen.  Da  nach  dieser  Alles  analog  ist, 
Niemand  aber  Alles  zugleich  in  Analogie  bringen  kann,  so  gestattet 
sie  eben  die  Vergleichspunkte  nach  Belieben  zu  wählen*). 

Tritt  nun  aber  die  biologische  Methode  nicht,  wie  es  hier  ge- 
schehen ist,  in  den  Zusammenhang  eines  allumfassenden  philosophi- 
schen Systems,  sondern  beschränkt  man  sich,  wie  es  dem  Standpunkt 
des  ausschliesslichen  Sociologen  und  Politikers  angemessen  ist,  auf 
die  Uebertragung  der  auf  biologischem  Gebiete  gewonnenen  An- 
schauungen über  Entstehung  und  Wesen  organischer  Bildungen  auf 
das  Gebiet  des  gesellschaftlichen  Lebens,  so  gewinnt  die  Anwendung 
derselben  einen  ganz  andern  Charakter.  Von  diesem  engeren 
staatswissenschaftlichen  Standpunkte  aus  wird  man  von  vornherein 
nur  dann  zur  biologischen  Methode  greifen,  wenn  man  dadurch  der 
Anschauung,  dass  die  Gesellschaft,  besonders  der  Staat,  ein  organi- 
sches Ganze  sei,  einen  entschiedenen  Ausdruck  geben  und  die  Frucht- 
barkeit dieser  Anschauung  durch  ihre  methodische  Verwerthung  dar- 
thun  will.  Die  Bestrebungen  dieser  Art  sind  also  selbst  schon 
von  einer  collectivistischen  Tendenz  eingegeben,  die  sich  zu 
dem  Individualismus  der  vorhin  erwähnten  philosophischen  Form  der 
biologischen  Methode  im  äussersten  Gegensätze  befindet,  und  die  als 
eine  directe,  nur  den  veränderten  Anschauungen  der  Zeit  und  den 
neueren  biologischen  Erkenntnissen  Rechnung  tragende  Fortbildung 
der  älteren  «organischen  Staatslehre*^  erscheint.  Während  jene 
philosophische  Richtung,  wie  dies  namentlich  die  Vergleichung  der 
unorganischen  Aggregate  mit  den  physiologischen  und  socialen  Or- 
ganisationen zeigt,  ausschliesslich  mit  formalen  Analogien  operirt, 
werden  hier  die  Beziehungen  zwischen  dem  einzelnen  Organismus 
und  der  socialen  Gemeinschaft  nachdrücklich  als  «reale  Analogien'' 
bezeichnet,   und  die  Bedeutung  dieser  Analogien  wird  gerade  darin 


*)  Zu  Spencers  Methode  im  allgemeinen  vgl.  dessen  , First  Frinciples', 
deutsch  u.  d.  T.  Grundlagen  der  Philosophie,  Gap.  XII,  S.  282  ff.,  zur  Anwen- 
dung der  Methode  in  der  Sociologie  die  einleitenden  Gapitel  des  zweiten  Bandes 
der  Sociologie,  S.  8  ff  und  die  Einleitung  in  die  Sociologie,  Cap.  III,  S.  59  ff. 
der  deutschen  Ausgabe,  zur  Charakterisirung  von  Spencers  Standpunkt  den 
zweiten  Band  der  Ethik  (Justice)  und  die  Schrift  .The  man  versus  the  state**, 
1884.    Ueher  die  Anwendung  der  Analogie  bei  Spencer  vgl.  auch  oben  S.  441. 


Staatswissenschaft.  489 

gesehen,  dass  sie  die  Gesellschaft  und  vor  allem  den  Staat  nicht 
als  ein  blosses  Aggregat  von  Individuen  sondern  als  eine  ähnliche 
lebendige  Einheit  erkennen  lassen,  wie  der  Einzelorganismus  eine 
solche  ist.  Daraus  wird  dann  weiterhin  die  methodisch  wichtige 
Folgerung  gezogen,  dass  den  Geweben,  Organen  und  Hauptfunctionen 
des  individuellen  Organismus  im  allgemeinen  auch  Gewebe,  Organe 
und  Functionen  des  socialen  Organismus  entsprechen  müssten,  und 
es  werden  in  diesem  Sinne  Gesellschaftslehre  und  Staatswissenschaft 
zusammen  eine  „Anatomie  und  Physiologie  des  socialen  Körpers^ 
genannt*). 

Nun  hat  augenscheinlich  diese  Methode  der  ,, realen  Analogien*^ 
zwei  Seiten  von  ungleichem  Werthe.  Erstens  kann  sie  der  Ver- 
anschaulichung von  Zusammenhängen  dienen,  die  an  und  fUr 
aich  schon  bekannt  sind,  durch  die  Beziehung  auf  das  biologische 
Bild  also  nur  verdeutlicht  werden  sollen.  Bei  dieser  Verwendung 
hat  sie  also  nur  einen  didaktischen  Werth.  Zweitens  kann  die 
biologische  Analogie  möglicher  Weise  auf  bisher  unbekannte   Be- 


*)  Die  Anregung  zu  einer  derartigen  Yerwerthung  der  neueren  biologi- 
schen Anschaungen  fär  die  Staatswissenschaft  hat  Paul  von  Lilien feld  ge- 
geben (Gedanken  über  die  Staatswissenschaft  der  Zukunft,  Mitau  1873—79; 
4 Bde.),  ihren  systematischen  Ausbau  hat  A.  Schäffle  unternommen  in  seinem 
Werke:  Bau  und  Leben  des  socialen  Körpers,  4  Bde.  1875 — 78,  2.  in  der  Ein- 
leitung umgearbeitete,  sonst  unveränderte  Aufl.  1881.  Schaf  fle  ist  der  Ansicht, 
die  menschliche  Gtemeinschafb,  namentlich  die  staatliche,  sei  ein  socialer,  aber 
kein  ^organischer  Körper",  zum  , Organismus"  werde  sie  erst,  wenn  man  den 
Begriff  des  letzteren  künstlich  erweitere  (a.  a.  0.  2.  Aufl.  I,  S.  9).  Natürlich 
sind  solche  terminologische  Fragen  wenig  erheblich,  aber  wie  sich  nun  einmal 
die  begriffliche  Bedeutung  der  Wörter  «Körper"  und  , Organismus'  gestaltet 
hat,  scheint  mir  doch  vielmehr  das  umgekehrte  Verhältniss  obzuwalten.  Die 
Gemeinschaft  ist  kein  einheitlicher  Körper,  sondern  eine  Vielheit  von  Körpern, 
sie  besitzt  aber  eine  Organisation  (die  Berechtigung  dieses  Ausdrucks  räumt 
auch  Schäffle  ein),  die  sich  unter  bestimmten  Bedingungen  zum  „Organismus" 
verdichtet.  Hierbei  beruht  nun  freilich  die  Anwendung  dieses  Begriffe  auf  einer 
Erweiterung  desselben,  die  aber  doch  sicherlich  viel  eher  in  dem  ursprünglichen 
Begriff  selbst  schon  vorgebildet  ist,  als  die  üebertragung  des  Begriffs  «Körper" 
auf  eine  Vielheit  von  einzelnen  Körpern.  Als  Thomas  Hobbes  dereinst  von 
emem  «Corpus  politicum"  redete,  wollte  er  damit  theils  seine  materialistische 
drundanschauung  betonen,  theils  aber  auch  auf  den  Gegensatz  dieses  künst- 
lichen Körpers  zu  dem  natürlichen,  der  immer  ein  einzelner  sei,  hinweisen. 
Wenn  man  mit  Schäffle  der  Ansicht  ist,  dass  auch  die  Organisation  der  Ge- 
seUschaft  durch  natürliche  Kräfte  erfolgt,  dass 'aber  diese  Kräfte  in  letzter 
Instanz  psychische,  nicht  physische  sind,  so  hat  man,  wie  ich  meine,  um  so 
mehr  Grund,  die  an  Hobbes  erinnernde  Bezeichnung  zu  vermeiden. 


490  Logik  der  GeselischaftswiBsenschaften. 

Ziehungen  socialer  Thatsachen  aufmerksam  machen:  dann  besiizt  sie 
einen  heuristischen  Werth,  und  allein  in  diesem  Fall  kann  sie 
daher  auf  den  Namen  einer  Forschungsmethode  Anspruch  erheben. 
Natürlich  kann  nur  die  Erfahrung  darüber  entscheiden,  welche  dieser 
beiden  Anwendungsweisen  die  überwiegende  ist;  und  die  Erfahrung 
lehrt,  dass  der  erste  dieser  Zwecke,  der  didaktische,  jedenfalls 
weitaus  vorherrscht,  so  sehr  dass  sich  wohl  nur  wenige  Bei- 
spiele werden  auffinden  lassen,  in  denen  wirklich  neue  Beziehungen 
zwischen  socialen  Erscheinungen  mittelst  realer  Analogien  gefunden 
worden  sind.  Der  Hauptnutzen,  ja  wahrscheinlich  der  einzige  eine 
wirkliche  Bedeutung  beanspruchende  der  Methode  bleibt  also  der 
einer  Yeranschaulichung ,  wobei  sich  übrigens  diese  stets  zugleich 
mit  der  Tendenz  verbinden  wird,  die  individualistische  Ansicht  von 
der  Natur  der  Gesellschafk  zurückzuweisen'*').  Dabei  ist  aber  nicht 
zu  verkennen,  dass  dieser  berechtigte  Zweck  auch  gewisse  Gefahren 
mit  sich  führt.  Sie  bestehen  theils  in  der  üebertreibung  der  Ana- 
logie, für  die  ja  die  ältere  organische  Staatslehre  abschreckende  Bei- 
spiele geliefert  hat,  theils  darin,  dass  das  Streben  nach  Auffindung 
realer  Analogien  die  nicht  minder  vorhandenen  und  besonders  wich- 
tigen realen  Unterschiede  übersehen  lässt.  Hier  führt  dann  die  Methode 
nur  dann  ihr  eigenes  Heilmittel  mit  sich,  wenn  man  sie  der  vergleichen- 
den Methode  im  allgemeinen  unterordnet,  wo  sie  als  eine  specielle 
Form  der  Methode  der  üebereinstimmungen  erscheint,  die  selbst- 
verständlich durch  die  andern  Bestandtheile  des  Yergleichungsver- 
fahrens,  nämlich  durch  die  directe  Yergleichung  der  sociologischen 
Thatsachen  mit  einander  und  durch  die  Methode  der  Unterschiede, 
ergänzt  werden  muss.  Hierbei  hat  dann  die  letztere  unter  anderem 
auch  die  wesentlichen  Differenzen  zwischen  dem  physischen  und  dem 
socialen  Organismus  festzustellen. 

Die  juristische  Methode  betrachtet  den  Staat  sowie  alle 
andern  socialen  Verbände  von  politischer  Bedeutung  als  rechtliche 
Organisationen,  indem  sie  von  der  Thatsache  ausgeht,  dass  überall 
erst  das  positive  Recht  die  Verhältnisse  dieser  Organisationsformen 
ordnet.  In  Folge  des  grossen  Einflusses,  den  die  privatrechtlichen 
Begriffe  auf  die  juristische  Auffassung  aller  Rechtsverhältnisse  aus- 
geübt haben,  ist  nun  die  juristische  vorzugsweise  in  der  Form  der 
civilistischen  Methode  auch  in  der  Staats  Wissenschaft  angewandt 

*)  Das  ist,  während  von  Lilien felds  Intentionen  allerdings  weiter  geheiL 
im  wesentlichen  auch  Schaf  fies  Ansicht  von  der  Sache.  Vgl.  Bau  und  Leben, 
I,  S.  53  ff.;  IV,  S,  505  ff.  und  namentlich  2.  Aufl.  1,  S.  8. 


Staatswissenschafb.  491 

worden*).     In  dieser  Form  geht  die  juristische  Methode  von  einer 
der  , organischen*'  Auffassung  des  Staates  diametral  entgegengesetzten 
Grundvoraussetzung  aus.     Sie   nimmt  an,   das   einzige   reale  Object 
der   Gesel}schaftslehre    und   Staatswissenschaft    sei    der    einzelne 
Mensch,  die  socialen  Organisationen,  insbesondere  auch  der  Staat, 
seien   demnach  entweder  wirklich   willkürliche   Schöpfungen 
der  Individuen  oder  doch  nach  ihrer  juristischen  Bedeutung  als 
solche  zu  betrachten.   Mit  dieser  Voraussetzung  verbindet  sich  noth- 
wendig  die  weitere,  dass  diese  Organisationen  niemals  andere  Zwecke 
haben  könnten  als  solche,  die  dem  individuellen  Bedürfhiss  der  Mit- 
glieder der  Gemeinschaft  entsprechen.     Nur  wenn  dies  zugestanden 
wird,   ordnen   sich  in  der  That  alle   staatsrechtlichen  Verhältnisse 
civilrechtlichen    Gesichtspunkten   unter.      Das  Verhältniss   des 
Einzelnen  zum  Staat  regelt  sich   dann  im   wesentlichen  nach  den 
nämlichen  Normen,  denen  das  Verhältniss  der  Einzelnen  zu  einander 
unterworfen  ist;  ja  es  ist  principiell  von  diesem  gar  nicht  verschie- 
den, da  es  im  Grunde  nur  ein   civilrechtliches  Verhältniss  Aller  zu 
Allen  ist.     Demnach  ist  auch  die  Organisation  der  Gesellschaft  zwar 
als  eine  « Selbstorganisation ^    zu  betrachten,   aber  als   eine  solche, 
die   sich   nicht   vermöge   der    ursprünglichen    menschlichen  Eigen- 
schafben,  sondern  auf  Grund  eines  Willensentschlusses  der  Einzelnen 
ToUzieht,    der    ebenso   gut   hätte   unterbleiben    können.     Die   juri- 
stische Methode  ruht  demnach  auf  einer  streng  individualisti- 
schen Auffassung  der   Gemeinschaft.     Aber  diese  Auffassung  ist 
doch  hier  gänzlich   andern  Ursprungs  als  bei  der  oben  erwähnten 
ersten  Art  der  biologischen  Methode.   Während  diese  vermöge  ihrer 
naturphilosophischen  Grundlage  ein  socialer  Atomismus  ist,  der 
bei  der  Gemeinschaft  auf  den  Begriff  des  Aggregats  das  Haupt- 
gewicht  legt,   beruht   die   juristische  Methode  auf  einem   eigent- 
lichen Individualismus,  dem  auch  in  der  Vielheit  das  Indivi- 
duum immer  die  Hauptsache  bleibt,  und  der  daher  energisch  dessen 
Freiheit,  nach  Willkür  Verträge  zu  schliessen  oder  zu  lösen,  betont. 
Natürlich  können  sich  übrigens  beide  an  sich  wahlverwandte  Anschau- 
ungen verbinden,  wofür  namentlich  der  hervorragendste  Vertreter 
der  civilrechtlichen  Methode  in  der  Staatslehre,  Hobbes,  ein  Vor- 
bild ist:  denn  ihm  ist  die  politische  Gemeinschaft  bei  ihrem  Ursprung 
ein  vollkommen  freies  Erzeugniss  der  Individuen;  einmal  entstanden 


*)  üeber  das  Verhältniss  dieser  Methode   zu  den  sonstigen  rechtswissen- 
scfaaftlichen  Methoden  vgl.  unten  S.  561  ff. 


492  Logik  der  Gesellschafts wissenachaffcen. 

wird  sie  aber  zu  einem  Aggregat  socialer  Atome,  dessen  Elemente 
ihre  Selbständigkeit  vollkommen  verloren  haben  —  eine  Anschauung 
die  von  da  an  bis  auf  Rousseaus  „Gontrat  social"  und  dessen 
Nachwirkungen  ein  bequemes  Mittel  geblieben  ist  den  Staat  ganz 
auf  das  Individuum  zu  gründen  und  ihm  trotzdem  diesem  gegenüber 
seine  Autorität  zu  sichern.  Der  Ursprung  dieser  Anschauungen 
ist  aber  jedenfalls  so  alt  wie  der  der  , organischen  Staatslehre*. 
Hatte  doch  schon  die  griechische  Sophistik  die  Vorstellung  aus- 
gebildet, dass  jede  sociale  Gemeinschaft  das  Erzeugniss  eines  frei 
eingegangenen  Vertrages  sei.  Nun  ist  dieser  Begriff  des  Vertrags  die 
Gh'undlage  der  juristischen  Methode.  Wie  nach  ihr  der  Privatvertrag  die 
Form  ist,  nach  der  sie  alle  öffentb'chen  Rechtsverhältnisse  beurtbeilt, 
so  ist  ihr  die  private  Vertragsgesellschaft  das  Urbild  für  alle  Formen 
der  Selbstorganisation  der  Gemeinschaft.  Die  Theorie  des  Natur- 
rechts  hat  diese  Anschauung  mit  allen  ihren  Folgerungen  ausgebildet. 
Der  Name  «Naturrecht''  selbst  weist  aber  auch  schon  auf  eine 
doppelte  Wurzel  dieser  Theorie  hin:  auf  eine  Naturphilosophie, 
der  nur  der  einzelne  Körper  und  also  auch  nur  der  einzelne  indivi- 
duelle Mensch  selbständige  Realit&t  hat,  und  auf  eine  Rechts- 
wissenschaft, die  das  Netz  ihrer  privatrechtlichen  Begriffe  über 
aUe  Verhältnisse  des  menschlichen  Lebens  auszubreiten  strebt. 

In  der  neueren  Staatswissenschaft  sind,  vornehmlich  unter  dem 
Einflüsse  historischer  Betrachtung,  diese  Anschauungen  der  Natur- 
rechtstheorie fast  ganz  zurückgedrängt;  und  auch  die  aus  den  Zwecken 
des  Individuums  die  socialen  Verbindungsformen  abstract  deducirende 
Methode  ist  demnach  bis  auf  geringe  Reste  verschwunden«  Eine 
üebertragung  der  civilrechtlichen  Begriffe  auf  das  öffentliche  Leben 
wird  daher  meist  principiell  abgelehnt.  Aber  in  methodischer 
Beziehung  wirken  doch  jene  Anschauungen  noch  immer  nach,  und 
dieser  Nachwirkung  kommt  wesentlich  die  grössere  Einfachheit  und 
Klarheit  der  privatrechtlichen  Verhältnisse  zu  Hülfe.  Gesteht  man 
auch  zu,  dass  ein  wirklicher  Vertrag  höchstens  einer  kleinen  Anzahl 
modernster  staatlicher  Bildungen  zu  Grunde  liege,  und  dass  er  selbst 
hier  ohne  die  ihm  vorausgehenden  socialen  Bedingungen  vmrkungs- 
los  bleiben  würde,  so  erscheint  es  doch  mindestens  als  ein  Mittel 
der  Verdeutlichung  der  politischen  Organisationen,  wenn  man  sie  an 
den  einfacheren,  zur  Erreichung  fest  begrenzter  Zwecke  willkürUch 
gegründeten  Privatverbänden,  wie  Genossenschaften,  Actiengesell- 
Schäften  u.  dergl.,  verständlich  zu  machen  sucht.  In  der  That  hat 
ja  die  Organisation  des  Vorstandes   einer  solchen  Gesellschaft  eine 


Staatswissenschaft.  493 

gewisse  Aehnlichkeit  mit  der  Organisation  der  Staatsbehörden;  die 
Finanzverwaltung,  die  Mitgliedervertretung,  der  Einfiuss  dieser  auf 
die  Aufstellung  des  Budgets  u.  dergl.  zeigen  vermöge  der  Aehnlich- 
keit der  Zwecke  auch  manche  innere  Aehnlichkeit  mit  den  ent- 
sprechenden politischen  Einrichtungen  *),  Durch  diese  Betrachtungs- 
weise geht  nun  aber  offenbar  auch  hier  die  Methode  in  ein 
Analogieverfahren  über,  das  mit  den  «realen  Analogien'  der 
biologischen  Methode  verwandt  ist,  —  nur  dass  freilich  die  Analogie- 
gheder  völlig  andere  geworden  sind.  Denn  es  ist  nicht  mehr  die 
Voraussetzung  einer  Aehnlichkeit  der  socialen  mit  der  physischen 
Organisation,  sondern  die  einer  inneren  üebereinstimmung 
der  socialen  Organisationsformen  verschiedener  Stufe, 
von  der  diese  Methode  geleitet  wird.  Eine  solche  Voraussetzung 
wird  nun  in  der  That  so  lange  eine  Berechtigung  und  bei  der  Aus- 
führung der  Untersuchung  wieder  theils  einen  veranschaulichenden 
theils  einen  heuristischen  Werth  haben,  als  über  den  Aehnlichkeiten 
die  wesentlichen  unterschiede  nicht  übersehen  werden.  Dass  dies 
bei  den  älteren,  auf  die  Natiu*rechtstheorie  gegründeten  Anwendungen 
der  juristischen  Methode  geschah,  ist  zweifellos.  Hatte  man  doch 
hier  jeden  Unterschied  zwischen  Organisationen  verschiedener  Stufe 
grundsätzlich  negirt.  Die  Ursache  dieses  Fehlgriffs  lag  haupt- 
sächlich darin,  dass  von  vornherein  für  alle  diese  Organisationen 
eine  und  dieselbe  übereinstimmende  Entstehungsweise, 
nämlich  eben  die  des  Vertrags,  angenommen  wurde.  Es  ist  aber 
klar,  dass,  wenn  auch  im  allgemeinen  eine  gewisse  Verwandtschaft 
der  socialen  Organisationsformen  wegen  ihrer  überall  aus  mensch- 
lichen Individuen  bestehenden  Zusammensetzung  wahrscheinlich  ist, 
damit  doch  noch  keineswegs  der  Ursprung  dieser  Formen  als  ein 
übereinstimmender  vorausgesetzt  werden  darf.    Vielmehr  wird  dieser 


*)  YgL  Beispiele  dieser  Methode  bei  Lab  and,  Staatsrecht  des  Deutschen 
Reiches,  1876—82,  8  Bde.,  besonders  Bd.  I,  S.  251  ff.  Zur  Kritik  dieser  Methode 
F.  Stoerk ,  Zur  Methodik  des  öffentlichen  Rechts,  1885,  S.  87  ff.,  und  0.  Gierke, 
Schmollers  Jahrb.  f.  Gesetzgebung,  Verwaltung  u.  s.  w.  YII,  1888,  S.  1097  ff. 
Allerdings  wird  von  Lab  and  hervorgehoben,  dass  die  Methode  eben  dadurch 
in  eine  publicistische  übergehe,  dass  man  sich  Überall  bei  der  Untersuchung 
der  politischen  Verhältnisse  deren  Eigenthümlichkeiten  und  wesentliche  Unter- 
schiede von  den  privatrechtlichen  klar  mache.  Aber  insofern  dabei  immer  die 
letzteren  zum  Ausgang  genommen  werden  und  eine  ähnliche  führende  Rolle 
spielen  wie  die  biologischen  Begriffe  bei  der  Methode  der  «realen  Analogien", 
mofls  doch  die  Methode  selbst  nach  diesen  ihren  begrifflichen  Grundlagen  be- 
^tttheilt  werden. 


494  Logik  der  Gesellfichaftewissenschaflen. 

Ursprung  in  jedem  einzelnen  Fall  so  viel  wie  möglich  dir e et  durcli 
die  Anwendung  der  yergleichend-historischen  Methode  ermittelt  wer- 
den müssen.  So  bleibt  der  juristischen  Methode  nur  die  eine  Auf- 
gabe als  eine  relativ  berechtigte  übrig,  dass  sie  die  Erkenntniss  der 
bestehenden  socialen  Organisationen  durch  die  Vergleichung  der 
zusammengesetzteren  mit  den  einfacheren  zu  fördern  sucht.  Auch 
diese  Aufgabe  ist  aber  ihrer  Natur  nach  eine  beschränkte  und,  ähn- 
lich wie  die  der  biologischen  Methode,  in  dem  Sinne  eine  äussere, 
als  sie  in  blossen  Analogien  besteht,  mögen  gleich  diese  der 
Sache  selbst  näher  kommen  als  dort  die  naturwissenschaftlichen  Yer- 
anschaulichungen.  Jedenfalls  ist  demnach  auch  die  juristische  Me- 
thode bloss  als  ein  secundäres  Hülfsmittel  anzuerkennen,  das  nicht 
von  der  Verpflichtung  entbinden  kann^  vor  allem  jede  sociale 
Organisation  aus  sich  selbst  zu  erklären.  Dies  ist  es  nun 
aber  was  die  dritte  und  letzte  dieser  Methoden  zu  leisten  sucht. 

Die  sociologische  Methode  konnte  erst  von  dem  Augen- 
bUck  an  als  die  den  staatswissenschaftlichen  Problemen  vor  allen 
andern  adäquate  erkannt  werden,  als  man  überhaupt  den  Beziehimgen 
von  Staat  und  Gesellschaft  näher  nachging  und  daher  auch  das 
politische  als  ein  sociologisches  Problem  aufzufassen  begann,  womit 
die  von  nun  an  allmählich  zur  Geltung  gelangende  Auffassung  der 
Staatswissenschaft  als  einer  socialen  Organisationslehre  unmittelbar 
zusammenhängt.  Hatte  nun  aber  auch  die  politische  Theorie  viel- 
fach schon  von  sich  aus  das  Bedürfniss  empfunden,  sich  in  diesem 
Sinne  in  der  Gesellschafbslehre  eine  allgemeinere  Grundlage  zu  suchen 
(vgl.  oben  S.  440),  so  waren  es  doch  vornehmlich  Einflüsse,  die  von 
zwei  andern  Wissensgebieten  ausgingen,  die  hier  der  sociologi- 
schen  Methode  zum  Durchbruch  verhalfen,  ihr  aber  freilich  auch 
zum  Theil  eine  Richtung  gaben,  die  noch  allzu  deutlich  die  Spuren 
dieser  äusseren  Einwirkung  an  sich  trug.  Auf  der  einen  Seite  war 
es  nämlich  die  Ethnologie,  die  in  den  mannigfachen  socialen 
Organisationen  primitiver  Culturvölker  eigenthümliche  Bildungen 
kennen  lehrte,  die,  in  mancher  Beziehung  von  den  bekannten  gesell- 
schaftlichen und  politischen  Zuständen  der  Culturvölker  verschieden, 
dennoch  geeignet  schienen  auf  die  Entstehung  und  die  früheren 
Stufen  der  letzteren  Licht  zu  werfen.  Auf  der  andern  Seite  wies 
die  generelle  Entwicklungsgeschichte  der  Organismen  unter 
dem  Einfluss  der  von  der  Darwin'schen  Theorie  ausgehenden  neuen 
Anschauungen  auf  die  noch  primitiveren  Formen  des  Zusammenlebens 
der  Thiere  hin,  die,  insoweit  äussere  Naturbedingungen  und  Ursprung- 


Staatewissenschaft.  495 

liehe  Triebe  das  Leben  der  Thiere  bestimmen,  als  natürliche  Vor- 
stufen der  menschlichen  Gesellschaftsformen  erscheinen*).  Beide 
Änschanungskreise  wirkten  nun  darin  übereinstimmend ,  dass  sie 
daran  gewöhnten  die  gesellschaftlichen  Verbindungen  in  ihrem  Ur- 
sprung als  natürliche  Erzeugnisse  allgemein  menschlicher  Triebe  zu 
betrachten.  Dadurch  stellte  sich  die  sociologische  Richtung  vor  allem 
in  den  entschiedensten  Gegensatz  zu  den  Gbnindanschauungen  der 
juristischen  Methode.  Von  der  biologischen  trennte  sie  sich  aber, 
indem  sie  durch  die  Thatsachen,  von  denen  sie  ausging,  von  vorn- 
herein auf  eine  strengere  Beachtung  der  Grenzen  zwischen  dem 
rein  Physiologischen  und  dem  wirklich  Sociologischen  hingewiesen 
wurde.  Denn  nicht  das  einzelne  Individuum  sondern  die  überall  auf 
psychologische  Triebe  zurückführende  Verbindung  der  Individuen 
war  ja  das  Urphänomen,  mit  dem  sie  rechnete.  Gegenüber  diesem 
wurde  der  ursprünglich  isolirte  Mensch  als  eine  Abstraction  erkannt, 
die  in  der  Wirklichkeit  entweder  überhaupt  nicht  vorkomme  oder  doch 
jedenfalls  nicht  als  der  allgemeine  Anfangspunkt  menschlicher  Entwick- 
lung angesehen  werden  dürfe.  Danach  versteht  es  sich  von  selbst, 
dass  die  realen  Grundlagen  für  die  Erkenntniss  der  socialen  und 
staatlichen  Organisation  in  der  Ethnologie  und  Völkerpsychologie 
zu  suchen  sind,  nicht  in  der  Jurisprudenz,  die  vielmehr  überall  erst 
da  helfend  einzutreten  hat,  wo  jene  Organisationen  zur  Entwicklung 
Ton  Rechtsnormen  geführt  haben,  —  ein  Punkt  von  dem  aus  nun 
allerdings  die  neu  entstehenden  socialen  Bildungen  entweder  von 
Tomherein  unter  der  directen  Mitwirkung  oder  mindestens  unter 
dem  normirenden  Einflüsse  des  Rechts  zu  Stande  kommen. 

Indem  nun  so  die  sociologische  Methode  eine  zoologische  und 
eine  ethnologische  Grundlage  hat,  kann  sie,  je  nachdem  die  eine 
oder  die  andere  den  massgebenden  Einfluss  ausübt,  ihrerseits  wieder 
in  verschiedenem  Geiste  angewandt  werden.  Bei  dem  grossen  Ein- 
flüsse, den   die  Darwin^sche  Theorie   des    „Kampfes  ums  Dasein' 

*)  Einen  bedeutenden  Einfluss  hat  in  dieser  Richtung  namentlich  das 
Werk  von  A.  Espinas,  Die  thierischen  Gesellschaften,  eine  vergleichend- 
psychologische  Untersuchung,  1877,  deutsche  Ausgabe  1879,  ausgeübt.  Es  gibt  eine 
treffliche  üebersicht  der  socialen  Erscheinungen  im  Thierreiche,  die  nur  an  dem 
Fehler  leidet,  dass  sie  die  Grenzen  des  rein  Biologischen  und  des  wirklich 
Sodologischen  nicht  immer  streng  g^nug  innehält.  Ein  besonderes  Verdienst 
hat  sich  Espinas  dadurch  erworben,  dass  er  die  Bedeutung  des  Begriflfs  der 
,'niientaaten'  auf  sein  richtiges  Mass  zurfickführte.  Auch  auf  die  Sociologen 
der  biologischen  Richtung  hat  in  Folge  der  erwähnten  Eigenschaften  das  Werk 
eingewirkt    Vgl.  Schäffle,  Bau  und  Leben»  2.  Aufl.  I,  S.  11  fp. 


496  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

weit  über  die  Grenzen  ihres  ursprünglichen  Anwendungsgebietes  hin- 
aus gewann,  war  es  begreiflich,  dass  zunächst  mehr  der  zooli^^che 
als  der  ethnologische  Gesichtspunkt  wenigstens  auf  die  Gestaltung 
der  grundlegenden  Anschauungen  einwirkte.  Hatte  Darwin  nach 
eigenem  Geständniss  die  Anregung  zu  seinen  Gedanken  den  Ideen 
der  Nationalökonomen  über  die  Wirkungen  der  wirthschaftlichen 
Concurrenz  entnommen,  so  war  es  ja  verstandlich,  dass  die  Erschei- 
nungen des  menschlichen  Zusammenlebens  ihrerseits  wieder  zu  einer 
Rückübertragung  von  dem  zoologischen  auf  das  sociologische  Gebiet 
aufforderten;  und  dass  bei  dieser  Rückübertrag^g  gel^entlich, 
nach  Schaf  fies*)  treffendem  Ausdruck,  an  dem  „Kampf  ums  Da- 
sein'^  allzu  viel  „bestialisches''  hängen  blieb,  verstand  sich  von 
selbst.  Auf  die  politische  Theorie  angewandt  musste  so  der  Horden- 
und  Rassenkampf  zur  Grundbedingung  aller  staatlichen  Bildungen 
werden.  Die  Gliederung  der  Gesellschaft  in  verschiedene  Stände, 
das  Zusammenwachsen  grösserer  Staaten  aus  kleineren  Stanmies- 
einheiten,  schliesslich  selbst  der  Fortschritt  der  Civilisation  liessen 
sich  so,  nach  dem  alten  Wort,  dass  der  Streit  der  Vater  der  Dinge 
sei,  als  eine  Art  Fortsetzung  des  allgemeinen  Kampfes  der  Arten 
um  ihre  Lebensbedingungen  auf  der  Bühne  der  Menschheitsgeschichte 
betrachten.  Auf  dieser  soll  jener  Kampf  nur  deshalb  theils  müdere 
theils  aber  auch  wirkungsvollere  und  gefahrlichere  Formen  annehmen, 
weil  die  ursprünglichen  Triebe  nach  Erhaltung  und  Erweiterung  des 
Daseins  unter  die'  Leitung  der  menschlichen  Vernunft  treten**).  Ge- 
schichtlich lenkt  diese  Auffassung  wieder  zu  den  Anschauungen  zu- 
rück, auf  die  der  Vater  der  neueren  Naturrechtstheorie,  Thomas 
Hobbes,  die  Entstehung  des  Staates  gegründet  hatte.  In  der  That 
ist  er  es,  der  lange  vor  Darwin  in  dem  Wort  „Homo  homini  lupus* 
den  Daseinskampf  der  Menschen  und  der  Thiere  als  einander  ver- 
wandte Phänomene  gekennzeichnet  hat.  Nur  setzt  die  neuere  socio- 
logische Theorie  an  die  Stelle  der  Einzelnen,  die  bei  Hobbes 
um  die  Existenz  kämpfen,  die  Gruppen  der  Gesellschaft,  und^ 
psychologisch  weiter  sehend  als  der  unerbittliche  Logiker  des  Social- 
vertrags,  lässt  sie  den  Streit  nicht  mit  der  Entstehung  des  Staates 


*)  Yierteljahrsschrift  f.  wies.  Philos.,  I,  S.  540.    Vgl.  auch  desselben  Ver- 
fassers Aufsatz  in  Bd.  U,  S.  38  ff.  derselben  Zeitschrift. 

**)  In  der  neueren  staatswissenschaftlichen  Literatur  wird  diese  Richtung 
vertreten  durch  L.Gumplowicz,  Der  Rassenkampf,  sociologische  Untersuchungen, 
1888;  Grundriss  der  Sociologie,  1885;  Die  sociologische  Staatsidee,  1892  u.  a» 
sowie  durch  G.ustav  Ratzenhofe r,  Wesen  und  Zweck  der  Politik,  3  Bde.  1893. 


StaatswiBsenschaft  497 

Terschwinden ,  sondern  sucht  fortan  alle  Entwicklungen  des  staat- 
lichen Lebens  auf  ihn  zurückzuführen,  wobei  sich  dann  zugleich  der 
Kampf  um  die  Existenz  allmählich  zu  einem  Kampf  um  die  Herr- 
schafk  ermässigt. 

Nun  ist  es  zweifellos  ein  Verdienst  dieser  Auffassung,  dass  sie, 
gegenüber  der  biologischen  und  den  neueren  Gestaltungen  der  juristi- 
schen Methode,  die  beide  auf  die  friedliche  Entwicklung  der 
socialen  Organisationen  das  Hauptgewicht  legen,  die  Bedeutung  des 
Wettstreit-s  der  Interessen  und  das  Eingreifen  des  Kampfes  um  die 
Macht  namentlich  in  die  politische  Entwicklung  betonen.  Auch  lenkt 
dieser  Factor  von  selbst  die  Aufmerksamkeit  auf  den  springenden 
Punkt,  der  bei  der  Anwendung  der  vorigen  Methoden  allzusehr  im 
Hintergrund  bleibt,  auf  die  Grundtriebe  nämlich,  die  alle  socialen 
Gestaltungen  bedingen,  und  die  sehr  häufig  selbst  wieder  gegen 
einander  streitende  psychische  Kräfte  sind.  In  der  That  spricht 
sich  diese  Wirkung  augenfällig  darin  aus,  dass  zum^  ersten  Mal  bei 
der  Anwendung  der  sociologischen  Methode  Versuche  gemacht  werden, 
in  einer  Psychologie  der  Triebe  die  letzten  Erklärungsgründe 
der  socialen  Bildungen  aufzusuchen.  Mag  auch  in  diesen  Versuchen 
der  Individualismus  des  alten  Naturrechts  noch  allzu  sehr  in  dem 
Bestreben  nachwirken,  in  dem  Egoismus  die  Wurzeln  aller  andern 
Triebe  zu  finden  —  eine  Anschauung  die  ja  durch  die  in  den 
Vordergrund  gestellte  Theorie  des  Daseinskampfes  nahe  gelegt 
wird  —  und  mögen  überhaupt  diese  Versuche  noch  der  erforder- 
lichen psychologischen  Vertiefung  entbehren,  so  ist  damit  doch  das 
unerlässliche  psychologische  Fundament  aller  Sociologie  und  Politik 
richtig  bezeichnet'*').  Noch  mehr,  es  ist  auch  der  Weg  gezeigt, 
auf  dem  die  erforderliche  Selbstcorrectur  dieser  sociologisch-politi- 
schen  Anschauungen  allmählich  eintreten  kann.  Ist  doch  schon 
dadurch,  dass  die  neue  Anwendung  der  sociologischen  Methode  an 
die  Stelle  des  Kampfes  der  Einzelnen  die  des  Wettstreits  der  socialen 
Gruppen  an  den  Anfang  der  Gesellschaftsentwicklung  stellt,  von 
selbst  den  GemeinschaffcsgefQhlen  eine  wichtige,  ja  eigentlich  die 
ursprüngliche  Stelle  eingeräumt'*'''').  Sobald  man  aber  einmal  einen 
solchen  Trieb  nach  Vereinigung  als  einen  primären  zugibt,  so  ist 
nicht  einzusehen,  warum  derselbe  nicht  auch  fortan  neben  allen  den 


*)  Vgl.  namentlich  in  dieser  Beziehung  die  von  Ratzenhofer  ver- 
suchte Darstellung  einer  die  Politik  begründenden  Trieblehre  a.  a.  0.  I,  S.  65  ff., 
U,  S.  287  ff. 

**)  Vgl.  Gnmplowicz,  Der  Raasenkampf,  S.  240  ff. 
Wnn dt,  Logik.  71,9.   ?.  Anfl.  32 


498  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

Motiven,  die  den  Kampf  der  Gruppen  und  der  Einzelnen  yerursachen, 
seine  Wirkungen  äussern  soll,  Wirkungen  die  nicht  weniger  wie  die 
Motive  des  Kampfes  an  Ausdehnung  zunehmen  werden,  da  mit  der 
Entwicklung  der  Gesellschaft  die  socialen  Verbände  und  mit  ihnen 
die  entsprechenden  socialen  Gefühle  und  Triebe  immer  umfassender 
werden. 

Der  Fehler  der  sociologischen  Methode  in  ihren  bisherigen 
Anwendungen  liegt  also  in  ihrer  Einseitigkeit,  und  an  dieser  Ein- 
seitigkeit trägt  vneder  theils  die  trotz  des  verdienstlichen  Hin- 
weises auf  die  allgemeingültigen  socialen  Triebe  noch  mangelhafte 
psychologische  Erkenntniss  dieser  Triebe  theils  die  einseitige  Rück- 
sichtnahme auf  die  Frage  des  Ursprungs  der  socialen  und  politi- 
schen Bildungen  die  Hauptschuld.  Neben  dem  Problem,  wie  der 
Staat  geworden,  ist  doch  das  andere,  wie  er  beschaffen  ist, 
mindestens  von  gleichem  Interesse.  Wirken  bei  der  Entstehung  der 
Staaten  zerstörende  und  erhaltende  Ejräfte  stets  neben  einander,  so 
dass  sich  eben  daraus  meist  ein  Kampf  zwischen  beiden  ergibt,  so 
überwiegen  aber  in  dem  Bestand  der  fortdauernden  Organisationen 
unbedingt  die  erhaltenden  Kräfte,  und  der  Kampf,  der  freilich  auch 
hier  nicht  fehlt,  wird  schon  durch  die  den  bestehenden  Zustand 
regulirende  Rechtsordnung  in  engere  Grenzen  eingeschränkt.  So 
trägt  die  sociologische  Methode  gegen  die  Ausschreitungen,  die  der 
einseitigen  Betonung  des  Kampfes  ums  Dasein  entspringen,  zum 
Theil  das  Heilmittel  in  sich  selbst:  es  besteht  in  der  Ausdehnung 
der  Untersuchung  auf  die  Probleme  der  realen  socialen  und  politischen 
Organisation.  Namentlich  aber  vrird  dazu  die  erweiterte  Herbei- 
ziehung der  ethnologischen  und  völkerpsychologischen  sowie  der 
geschichtlichen  Hülfsmittel  beitragen.  Von  jenen  in  vorübergehenden 
Zeitströmungen  begründeten  Mängeln  abgesehen  wird  man  daher  die 
sociologische  Methode  als  diejenige  betrachten  dürfen,  der  vor  allen 
andern  die  Zukunft  gehört.  Denn  sie  ist  die  einzige,  die  die  Probleme 
der  Staats  Wissenschaft  direct  zu  lösen  sucht,  während  die  andern 
immer  nur  einen  indirecten  theils  veranschaulichenden  theils 
heuristischen  Werth  beanspruchen  können.  Wird  nun  aber  die 
Staats  Wissenschaft,  wie  es  ihre  wissenschaftliche  Stellung  verlangt, 
in  dem  erweiterten  Sinne  einer  socialen  Organisationslehre 
aufgefasst,  so  liegt  darin  auch  die  Forderung,  dass  auf  ihre  Objecte, 
ebenso  wie  auf  die  aller  Geisteswissenschaften,  die  allgemeinen 
Methoden  der  individuellen  und  generischen  Yergleichung  anzuwenden 
seien.   Der  Ausdruck  .sociologische  Methode"  hat  dann  eine  ebenso 


Aufgaben  und  Riebtungen  der  Volkswirtbscbaftalebre.  499 

selbstverständliche  Bedeutung  wie  die  Ausdrücke  „philologische 
Methode'^  in  der  Philologie  oder  «historische  Methode*  in  der  Ge- 
schichte: er  kann  nur  noch  andeuten  wollen,  dass  auch  in  der  Staats- 
wiesenschaft die  allgemeinen  Methoden  der  Interpretation  und  Kritik 
Ton  dem  Object  der  Untersuchung  ihr  besonderes  Gepräge  empfangen. 


2.    Die  Volkswirthschaftslehre. 

a.  Aufgaben  und  Riebtungen  der  Volkswirtbscbaftslehre. 

Die  meisten  Nationalökonomen  verzichten  auf  eine  eigentliche 
Definition  ihrer  Wissenschaft.  Denn  wenn  als  deren  Forschungs- 
gebiet das  «wirthschaftliche  Gemeinschaftsleben  der  Menschen*  oder 
der  «Zusammenhang  der  Privatwirthschaften  unter  einander  und  mit 
grösseren  Wirthschaftsganzen*  bezeichnet  wird*),  so  sind  diese  und 
andere  ähnliche  BegrifFsbestinunungen  wenig  mehr  als  tautologische 
Umschreibungen,  da  sie  den  Begriff,  auf  den  es  bei  einer  Definition 
der  Wirthschaftslehre  zunächst  ankommt,  den  der  Wirthschaft  selbst, 
unbestimmt  lassen.  Will  man  diesem  Mangel  abhelfen,  so  muss 
also  jedenfalls  dem  Begriff  der  « Wirthschaftslehre*  eine  nähere 
Definition  der  Wirthschaft  beigefügt  werden,  indem  man  diese  etwa 
bezeichnet  als  den  «Inbegriff  derjenigen  gesellschaftlichen  Erschei- 
nungen, welche  in  der  durch  vorsorgliche  Arbeit  zu  erreichenden 
Befriedigung  der  Lebensbedürfnisse  ihre  Quelle  haben* '^''').   Nachdem 


♦)  Vgl.  Knies,  Das  Geld.  2.  Aufl.  1885,  S.  40.  Jul.  Lehr,  Grundbegriffe 
und  Grundlagen  der  Volkswirtbschaft,  1898,  S.  10.  H.  von  Scbeel,  Scbön- 
bergs  Handbuch  der  politischen  Oekonomie,  1,  1882,  S.  57.  Ein  Reihe  weiterer 
theilfl  ähnlich  tautologischer  theils  bestimmte  theoretische  Anschauungen,  wie 
die  Subsumtion  der  Volkswirthschaft  unter  die  Geschichte  (Roscheri  Br.  Hilde- 
brand, Mangold t)  oder  unter  den  allgemeinen  «Kampf  ums  Dasein '^ 
(Ümpfenbach)  aufnehmende  Begriffsbestimmungen  stellt  G.  Meng  er  zu- 
sammen. (Untersuchungen  über  die  Methode  der  Socialwissenschaften  und  der 
politischen  Oekonomie.  1883,  S.  241  ff.) 

**)  Aehnliche  Definitionen  geben  A.  Wagner,  Grundlegung  der  politi- 
schen Oekonomie,  3.  Aufl.,  1892,  I,  S.  81,  und  C.  Menger,  a.  a.  0.,  S.  232  Anm. 
Doch  nehmen  beide  den  Begriff  des  .Gutes'  mit  in  die  Definition  auf,  indem 
sie  die  Beschaffimg  und  Vertheilung  von  Gütern  als  den  Zweck  der  Wirthschaft 
bezeichnen.  Da  aber  hier  das  Gut  ausschliesslich  im  Sinne  des  „wirthschafblichen 
Ontes'  gemeint  ist,  so  setzt  dieser  Begriff  abermals  den  der  Wirthschaft  vor- 
aus. Früher  (in  der  2.  Auflage  seiner  Grundlegung,  S.  67)  hat  Wagner  über- 
dies die  Staatseinheit  des  Wirthschaftsganzen  in  die  Begriffsbestimmung  der 


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500  Logik  der  GenellschafUwiBseiiBchaften. 

auf  diese  Weise  der  Begriff  der  Wirthschaft  ohne  Benutzung  der 
erst  durch  ihre  Existenz  möglichen  Begriffe  festgestellt  ist,  hat  dann 
die  Bestimmung  der  wirthschafUichen  Einzelbegriffe,  unter  denen 
die  yerschiedenen  Erscheinungen  des  wirthschafUichen  Lebens  unter 
bestimmten  Gesichtspunkten  zusammengefasst  werden,  abermaLs  in 
der  für  die  einzelnen  Definitionen  logisch  erforderlichen  Reihenfolge 
zu  geschehen,  mit  der  Bedingung  also  dass  jeder  Begriff  sich  zwar  auf 
die  vorangegangenen  Definitionen  stützen  darf,  nicht  aber  die  noch 
zu  bestimmenden  specielleren  Begriffe  bereits  in  sich  schliesst.  In 
diesem  Sinne  bilden  die  Begriffe  des  wirthschaftlichen  Gutes,  des 
Werthes,  des  Preises,  des  Lohnes,  des  Vermögens^  des  Gapitals,  der 
Rente,  des  Geldes  u.  s.  w.  ein  System,  dessen  einzelne  Glieder,  so 
weit  dabei  Begriffe  yon  grundlegender  Bedeutung  in  Betracht 
kommen,  nicht  in  einem  Verhältniss  successiver  Subsumtion,  sondern 
in  einem  solchen  stufenweiser  logischer  Abhängigkeit  stehen,  so 
dass  ein  in  der  Reihe  später  kommender  Begriff  stets  in  ein  Functions- 
yerhältniss  zu  mehreren  der  vorangegangenen  Begriffe  gebracht 
werden  kann,  durch  welches  Functionsverhältniss  er  eben  zugleich 
definirt  ist. 

Die  Anfange  dieses  Begriffssystems  beginnen,  wenn  auch  wenig 
ausgebildet  und  der  ezacten  logischen  Bestimmung  völlig  ermangelnd, 
in  der  gewöhnlichen  praktischen  Lebenserfahrung,  wie  schon  die 
Thatsache  bezeugt,  dass  die  grosse  Mehrzahl  der  Begriffsbezeichnungen, 
und  unter  ihnen  namentlich  die  wichtigsten,  wie  die  des  Ghites, 
Werthes,  Preises,  Lohnes,  Vermögens,  der  allgemeinen  Sprache  ent- 
nommen sind.  Die  Wissenschaft  hat  nun  gegenüber  diesem  ihr  von 
der  Erfahrung  überlieferten  Begriffssystem  offenbar  drei  allgemeine 
Aufgaben  zu  lösen.  Sie  bestehen:  1)  in  der  präcisen  Bestimmung 
der  einzelnen  Begriffe,  2)  in  der  Feststellung  der  logischen  Ab- 
hängigkeitsbeziehungen, in  denen  dieselben  zu  einander  stehen,  und 
endlich  3)  in  der  Ermittelung  der  geschichtlichen  Entwicklung  der 
einzelnen  jedem  dieser  Begriffe  zu  subsumirenden  Erscheinungen  und 


Volkswirthschafb  anfgenommen,  ebenso  wie  dies  auch  von  Schmoller  (Art 
Volkswirthschaft  im  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften,  VI,  8.  529)  und 
manchen  Andern  geschieht.  Aber  dadurch  wird  der  Begriff  ohne  Noth  yerengt. 
Der  wirthschafUichen  entspricht  zwar  in  der  Regel  eine  staatliche  Volkseinheit; 
doch  ist  dies  an  sich  kein  unbeding^s  Erfordemiss.  Denn  in  dem  wirthschaft- 
lichen  Verkehr  selbst  liegen  Bedingungen  einer  gesellschaftlichen  Selbstorgani- 
sation,  vermöge  deren,  auch  ohne  hinzukommende  Staatseinheit,  eine  Wirth- 
Schaftseinheit  entstehen  kann. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Volkswirthschafbslehre.  501 

der  in  dieser  geschichtlichen  Entwicklung  sich  darstellenden  Stufen- 
folge wirthschaftlicher  Zustände.  Von  diesen  drei  Aufgaben  stehen 
?or  allem  die  beiden  ersten  im  engsten  Zusammenhang,  da  wegen 
der  eigenthümlichen  Verhältnisse  der  allgemeinen  Wirthschaftsb^riffe 
zu  einander  eine  erschöpfende  Definition  der  einzelnen  durchaus  nur 
in  der  Form  geschehen  kann,  dass  man  die  wechselseitigen  functio- 
nellen  Beziehungen  derselben  feststellt.  Dagegen  steht  die  dritte 
Aufgabe  den  beiden  ersten  selbständiger  gegenüber.  Dennoch  ist 
auch  diese  Selbständigkeit  eine  bloss  relative,  da  sich  in  Wahrheit 
mit  der  geschichtlichen  Entvncklung  der  Wirthschaftserscheinungen 
die  reale  Bedeutung  der  sie  zusammenfassenden  Begriffe  vielfach  ver- 
ändert hat.  Wenn  daher  die  beiden  ersten  Aufgaben  überhaupt  nicht 
zu  trennen  sind,  so  ist  immerhin  auch  ihrer  beider  Sonderung  von 
der  dritten  nur  in  Folge  einer  Abstraction  möglich,  bei  der  man  die 
zurückgelegte  Entwicklung  und  eventuell  sogar  die  mögliche  Weiter- 
bildung der.  Begriffe  ausser  Betracht  lässt. 

Seine  ersten  Anregungen  hat  nun  das  Studium  der  volkswirth- 
schaftlichen  Erscheinungen  aus  Beobachtungen  gewonnen,  die  im 
wesentlichen  dem  Gebiet  der  zweiten  der  genannten  Aufgaben  zu- 
gehören. Regelmässige  Beziehungen  concreter  Erscheinungen  drängten 
sich  naturgemäss  früher  der  Aufmerksamkeit  auf  als  allgemeine 
Begriffsverhältnisse  oder  langsam  vor  sich  gehende  geschichtliche 
Entwicklungen  socialer  Zustände.  Dass  der  Beichthum  eines  Landes 
steigt  mit  dem  Absatz  seiner  Producte,  dass  die  Möglichkeit  eines 
solchen  Absatzes  mit  der  Zahl  der  Arbeitskräfte  und  der  Möglichkeit 
sie  zu  beschäftigen  wächst  u.  s.  w.  —  solche  Beobachtungen  mehr 
oder  minder  regelmässiger  und  im  allgemeinen  verständlich  scheinen- 
der Correlationen  boten  sich  dar,  sobald  sich  nur  überhaupt  der 
Trieb  regte  über  die  verschiedenen  Factoren,  die  den  durch  den 
Handel  vermittelten  Wirthschaftsverkehr  der  Länder  bestimmen, 
Rechenschaft  zu  geben.  So  ist  das  von  Adam  Smith  so  genannte 
«Merkantilsjstem'^  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  der  erste  frei- 
lich noch  äusserst  unvollkommene  und  überdies  durch  die  starke 
Einmischung  praktischer  Tendenzen  wesentlich  beeinträchtigte  Ver- 
such einer  Theorie  des  wirthschaftlichen  Lebens.  Gegründet  auf 
die  dem  politischen  Absolutismus  der  Zeit  entsprechende  Voraus- 
setzung einer  unumschränkten  staatlichen  Lenkung  der  wirthschaft- 
lichen Verhältnisse,  vermochte  es  aber  dem  immer  mächtiger  werdenden 
Drang  der  Neuzeit  nach  individueller  Freiheit  auf  die  Dauer  nicht 
Stand  zu  halten,  während  zugleich  die  Schwäche  jener  äusserlichen 


502  Logik  der  GesellschafiswissenBchaften. 

und  einseitigen  Ableitung  des  Volkswohlstandes  aus  den  günstigen 
Bedingungen  des  Handels  einem  tieferen  Nachdenken  über  die  letzten 
Quellen  der  Erhaltung  und  Förderung  menschlicher  Existenz  nicht 
verborgen  bleiben  konnte.  Dass  diese  Quellen  schliesslich  der  um- 
gebenden Natur  angehören,  dass  insbesondere  die  ursprünglichsten 
Lebensbedürfnisse,  auf  deren  zureichendem  Vorhandensein  alle  weitere 
Cultur  beruht,  dem  Boden  der  Erde  entstammen,  und  dass  also  alles 
wirthschaftliche  Leben  in  der  rationellen  Ausnützung  und  Vertheilung 
dieser  natürlichen  Hülfsmittel  der  Bedürfnissbefriedigung  bestehen 
müsse,  —  dies  war  nun  um  so  mehr  ein  von  selbst  sich  darbietender 
Gedanke,  als  die  Philosophie  nicht  weniger  wie  die  Rechts-  und 
Staatslehre  namentlich  vom  Ende  des  17.  Jahrhimderts  an  immer 
energischer  darauf  drang,  auch  das  menschliche  Dasein  in  seinem 
natürlichen  Bedingtsein  yerstehen  zu  lernen.  So  entstand  als  die 
gemeinsame  Frucht  der  naturalistischen  Tendenz  in  der  Philosophie, 
der  Naturrechtstheorie  in  der  Staatslehre  und  einer  selbständigen 
Besinnung  über  den  letzten  Ursprung  der  ökonomischen  Verhältnisse 
selbst  das  „physiokratische  System',  die  erste  national- 
ökonomische Theorie  von  bleibender  Bedeutung,  da  zwar  auch  dieses 
System  im  einzelnen  durch  die  folgende  Entwicklung  überholt  wurde, 
in  seinem  entscheidenden  Grundgedanken  aber  immer  noch  fortwirkt*). 
Denn  in  Wahrheit  bestand  die  Leistung  Adam  Smiths,  des  Haupt- 
begründers der  heutigen  wissenschaftlichen  Nationalökonomie,  im 
wesentlichen  in  einer  Fortbildung  der  Grundgedanken  des  physio- 
kratischen  Systems,  bei  der  einerseits,  den  fortgeschrittenen  wirth- 
schaftlichen  Bedingungen  der  Zeit  gemäss,  unter  den  Factoren  des 
wirthschaftlichen  Lebens  neben  der  Agricultur  die  Industrie  stärkere 
Berücksichtigung  fand,  während  anderseits  überhaupt  die  Grund- 
begriffe der  Volkswirthschafb  und  ihre  wechselseitigen  Beziehungen 
exacter  bestimmt  wurden.  Insbesondere  aber  begründete  Smith 
diejenige  Methode  der  Volkswirthschaftslehre ,  die  bis  gegen  die 
Mitte  unseres  Jahrhunderts  die  herrschende  geblieben  ist,  und  die 
man  wohl  deshalb  auch  als  die  «classische^  oder  wegen  ihres  ab- 
stract    deducirenden    Charakters    als    die    ^ezacte"    bezeichnet   hat. 


*)  Der  nahe  Zusammenhang  des  physiokratischen  Systems  mit  der  Philo- 
sophie des  18.  Jahrhunderts  und  mit  der  Naturrechtstheorie  tritt  vor  allem  bei 
Quesnay,  dem  wissenschaftlichen  Begründer  dieses  Systems,  deutlich  hervor. 
Vgl.  hierüber  W.  Hasbach  in  Schmollers  Staate-  und  socialwissenschafUichen 
Forschungen,  X,  2,  1890,  und  A.  Oncken  im  Handwörterbuch  der  Staats- 
wissenschaften, V,  S.  315  ff. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  Volkswirthschafkslehre.  503 

Sie  bestand  darin,  dass  er  die  Grundgesetze  der  Production  und 
Tertheilung  der  wirthschaftlichen  Güter,  unter  Absti*action  von  allen 
entgegenwirkenden  Bedingungen,  aus  der  Voraussetzung  ableitete, 
dass  die  Oesammtwirthschaft  eines  Volkes  das  Product  aller  einzelnen 
Privatwirthscbaften  desselben,  und  dass  für  die  letzteren  das  wohl 
verstandene  eigene  Interesse  das  allein  massgebende  und  daher 
allein  zu  berücksichtigende  sei.  Erst  nachdem  diese  theoretische 
Deduction  vollendet  war,  wurde  dann  die  Erfahrung  mit  den  Ergeb- 
nissen verglichen,  theils  um  diese  zu  bestätigen,  theils  aber  auch  um 
praktische  wirthschaftspolitische  Folgerungen  daran  zu  knüpfen. 
Diese  mit  noch  grösserer  Strenge  später  yon  Ricardo  befolgte 
Methode  ist  es,  die  J.  St.  Mill  vollkommen  zutreffend  eine  psycho- 
logische Deduction  mit  darauf  folgender  empirischer  Verification 
genannt  hat,  und  in  der  er  sogar  die  universelle  Methode  aller 
Socialwissenschaften  sah  (vgl.  oben  S.  484),  ohne  dass  er  freilich 
die  Beschränktheit  der  psychologischen  Prämissen  der  Deduction,  die 
sie  von  vornherein  zu  einer  solchen  Ausdehnung  unfähig  machte, 
erkannte.  Mochte  aber  auch  diese  Uebertragung  verfehlt  sein,  auf 
ihrem  eigenen  Gebiete  hatte  die  Methode  ihr  grosses  und  unvergäng- 
liches Verdienst.  Es  bestand  darin,  dass  sie  zum  ersten  Mal  exacte, 
wenn  auch  natürlich  noch  nicht  sofort  überall  endgültig  stehen 
bleibende  Definitionen  der  vnrthschaftlichen  Grundbegriffe  möglich 
machte,  und  dass  sie  in  der  Bestimmung  der  functionellen  Beziehungen 
dieser  Begriffe  ein  wegen  der  stattgehabten  Abstraction  zwar  keines- 
wegs absolut  massgebendes,  immerhin  aber  heuristisch  äusserst  wirk- 
sames Hülfsmittel  zur  Subsumtion  einzelner  Erscheinungen  unter 
allgemeine  Wirthschaftsgesetze  abgab.  Daneben  stand  allerdings  der 
Nachtheil,  dass  die  nachträgliche  empirische  Verification,  vne  so  oft 
in  ähnlichen  Fällen,  allzusehr  ausschliesslich  als  ein  Bestätigungs- 
mittel  der  vorher  theoretisch  gewonnenen  Ergebnisse  behandelt  wurde, 
und  dass  namentlich  die  wirthschaftspolitischen  Anwendungen  des 
Systems  ganz  und  gar  von  der  üeberzeugung  geleitet  waren,  jene 
theoretischen  Ergebnisse  seien  nicht  die  unter  den  gemachten  Vor- 
aussetzungen richtigen,  sondern  sie  seien  die  absolut  richtigen.  EUer 
wirkten  eben  auch  auf  Smith  die  Traditionen  der  naturrechtlichen 
und  physiokratischen  Schule:  die  Abstraction  von  den  historisch 
gewordenen  wirthschaftspolitischen  Zuständen  und  Organisationen, 
die  das  Princip  des  freien,  vom  natürlichen  Selbstinteresse  geleiteten 
Verkehrs  der  Individuen  nirgends  zu  einer  imbeschränkten  Geltung 
kommen  lassen,  galt  ihm  nicht  bloss   als   ein  theoretisches  Hülfs- 


504  Logik  der  OeBellschaftswissenschafben. 

mittel,  um  auf  diesem  Wege  die  Wechsel?mrkuiigen  der  rein  wirth- 
schafÜichen  Bedingungen  zu  erforschen,  sondern  sie  war  ihm  zugleich 
der  absolut  vollkommene  wirthschaftliche  Zustand.  So  gewann  die 
Doctrin  des  freien  wirthschaftlichen  Verkehrs  und  der  Selbstreguliruug 
der  wirthschafUichen  Interessen  der  Einzelnen  in  dem  abstract  dedac- 
tiyen  Theil  des  Systems  dieser  Volkswirthschaftslehre  eine  wissen- 
schaftliche Grundlage,  die  um  so  wirksamer  war,  je  mehr  die  ver- 
wandte naturrechtliche  Strömung  in  Staats-  und  Rechtswissenschaft 
die  nämliche  individualistische  Tendenz  begünstigte. 

Dieser  Parallelismus  in  der  Entwicklung  der  Wirthschafts-  und 
der  Rechtstheorien  bewährte  sich  nun  auch  darin,  dass  nicht  minder 
die  wider  jene  naturalistische  und  individualistische  Richtung  sich 
erhebenden  Oegenströmungen  auf  beiden  Gebieten  verwandten  Ur- 
sprungs sind.  War  die  anAdamSmith  sich  anschliessende  Schule 
des  ökonomischen  Liberalismus  eine  Nachblüthe  der  Naturrechts- 
theorie gewesen,  so  wiederholte  sich  in  der  Richtung  der  geschicht- 
lichen Nationalökonomie,  wie  sie,  nachdem  Röscher  in  der 
Verwerthung  philologisch-historischer  Methoden  für  das  Studium 
der  Wirthschaftsgeschichte  vorangegangen  war,  am  entschiedensten 
zuerst  von  E.  Knies  eingeschlagen  wurde,  die  verwandte,  im 
Gegensatz  gegen  die  ungeschichtliche  Auffassung  des  Naturrechts 
entstandene  historische  Rechtsschule.  Den  concreten  Gestaltungen 
des  wirthschaftlichen  Lebens  zugewandt  suchte  sie  vor  allem  die 
Wirklichkeit  der  Zustände  aus  ihrem  geschichtlichen  Werden  zu 
begreifen  und  war  geneigt,  innerhalb  dieses  geschichtlichen  Werdens 
allen  überhaupt  in  Betracht  kommenden  psychischen  Motiven,  ins- 
besondere auch  den  ethischen,  sowie  den  politischen  und  socialen 
Organisationsbedingrungen  ihren  berechtigten  Einfluss  einzuräumen*). 


*)  Die  neuere  historische  Richtung  der  Nationalökonomie  wird  eingeleitet 
durch  W.  Roschers  Grundriss  zu  Vorlesungen  über  die  Staatswirthschaft  nach 
geschichtlicher  Methode,  1843.  Das  Hauptwerk  dieser  Richtung  in  methodo- 
logischer Beziehung  ist  aber  E.  Knies,  Die  politische  Oekonomie  vom  Stand- 
punkte der  geschichtlichen  Methode,  1853,  2.  Aufl.  u.  d.  T.  Die  politische 
Oekonomie  vom  geschichtlichen  Standpunkte,  1888.  Die  Yerändernng  dee  Titels 
ist  wohl  nicht  ohne  Bedeutung:  sie  scheint  der  abstract  deductiven  Methode 
ihre  relative  Berechtigung  einräumen  zu  wollen,  wie  denn  auch  ein  solcher  ver- 
mittelnder Standpunkt  noch  mehr  in  dem  späteren  Werk  des  gleichen  Ver- 
fassers .Geld  und  Credit"  (2  Bde.  1873 — 79)  zu  erkennen  ist  Die  Berück- 
sichtigung der  psychologischen  und  ethischen  Motive  des  wirthschaftlichen 
Lebens  betont  namentlich  Gust.  Schmoller  in  seiner  Schrift:  lieber  einige 
Grundfragen  des  Rechts  und  der  Volks wirthschaft,  2.  Aufl.,  1875.     (Ein  Send- 


Aufgaben  und  Richtungeii  der  Volke wirthschaftBlehre,  505 

Hatte  der  ökonomiBche  Liberalismus  abstracte  Ergebnisse  in 
praktische  Fostulate  umgewandelt,  so  begegnete  es  nun  alter  dieser 
historischen  Richtung  nicht  selten,  dass  sie  den  Werth  iler  festen 
ökoDomischen  Begriffe,  weil  er  ihr  in  dem  Fluss  des  historischen 
Qeschehens  als  ein  reränclerlicher  erschien,  Oberhaupt  untpr^ch  ätzte, 
Dod  dass  sie  auf  ihrem  eigensten  Oebiete  zwar  aber  eine  Fülle  coucreter 
geschichtlicher  Entwicklungen  Liebt  verbreitete  und  so  im  einzelnen 
die  wirthachaftliche  Erkenntniss  in  hohem  Masse  förderte,  es  aber 
uoterlieflB,  den  allgemeinen  geschichtlichen  EntwickluRf^s^^^äetzen 
des  Wirthschaftslebens  nachzugehen,  obgleich  hier  ebenso  j^ut  wie 
>nf  andern  verwandten  Gebieten  allgemeiner  Organisation,  wie  z.  B. 
denen  der  Sprache  und  der  Sitte,  solche  von  vornherein  zu  erwarten 
sind.  Immerhin  kann  wohl  der  letztere  Mangel  als  ein  »iolcber 
gelten,  der  mit  der  allmählichen  Entwicklang  der  historischen  Unter- 
suchungen naturgemäss  verknOpft  ist,  da  diese  hier  wie  übt;raU  zu- 
i&hst  vom  Einzelnen  ausgehen  mOssen,  um  erst  von  da  aus  Oenerali- 
satioosversuche  machen  zu  können.  In  der  That  sind  derartige, 
freilich  zum  Theil  bestrittene  Versuche  in  der  neuesten  Zeit  mehr- 
fach unternommen  worden*). 

Nun  war  es  eine  begreifliche  Wirkung  der  im  Kampf  sich 
steigernden  Gegensätze,  dass  die  historische  Richtung  nicht  nur  die 
üebergriffe  der  vorangegangenen  .classischen*  NationalökuDomie  in 
die  praktische  Gestaltung  des  wirthschaftlichen  Lebens  zurückwies, 
sondern  dass  sie  vielfach  auch  die  an  sich  berechtigte  Seite  der 
abstracten  Methode  auf  dem  Gebiet  der  allgemeinen  Untii-iuchung 
der  Begriffe  verkannte.  So  konnte  es  denn  nicht  ausblcilien,  dass 
aQmählich  Yersuche  entstanden,  jedem  dieser  Standpunkte  auf  seinem 
Gebiete  sein  Recht  zu  wahren.  Für  den  allgemeinen  Charakter  dieser 
vermittelnden  Bestrebungen  ist  es  bezeichnend,  dass  nur  wenige  ihrer 
Vertreter  in  praktischer  Hinsicht  dem  ökonomischen  Liberalismus 
and   Individualismus   zuzurechnen    sind,    und    dass    der    Ruf   nach 


Khrdben  an  H.  t.  Treitschke.    Vgl.  daza  Treitschke,  Der  Socialif^mus  und 
Küe  Gönner,  1875.) 

*)  Vgl  1.  B.  Scbmoller.  Die  Thatsacben  der  Arbei^ibeilmig ,  .Talirb. 
üi  Geaetigebimg,  Verwaltung  und  Volkswirthachaft  im  Deutschen  Ceich,  XllI, 
3,  1889.  Das  We«en  der  Arbeitatheilnug  und  der  socialen  Classenbilduni^,  ebend, 
ItV,  1,  1890.  Dazu:  E.  Bücher,  ArbeiUtheilttng  und  sociale  Cl»a^>;iibi!dung, 
ia:  Die  Entatebnog  der  Voltowirthschaft,  1893,  S.  119.  Derselbe,  Ari,  Gewerbe 
im HudwSrterbuuh  der  StaatswisBeiiBcbafteii,  III,  S.  922  ff.  und  EnUtubung  der 
Tolknrirthscbaft,  S.  1  ff. 


506  Logik  der  Gesellschaftswissenscliafben. 

psychologischem  Verständniss  der  Erscheinungen  hier  nicht  min- 
der laut  geworden  ist  wie  bei  den  Anhängern  der  geschichtlichen 
Betrachtung.  Endlich  verräth  sich  der  wesentliche  unterschied  von 
dem  Individualismus  der  älteren  politischen  Oekonomie  auch  noch 
darin,  dass  der  Ausbau  der  abstracten  Theorie  nicht  mehr  fOr  un- 
yereinbar  gilt  mit  den  Anschauungen  der  „ organischen*'  Staats-  und 
Oesellschaftslehre  *).] 

Bei  dem  jetzt  erreichten  Standpunkte  wissenschaftlicher  Be- 
trachtung kann  wohl  nicht  mehr  dies  die  Frage  sein,  welchen  der 
beiden  Wege  man  als  den  richtigen  einzuschlagen  habe,  sondern 
nur  noch,  welche  Stellung  jeder  der  beiden  Methoden  in  dem 
Zusammenhang  der  wirthschaftlichen  Doctrinen  anzuweisen  sei,  und 
wie  sie  sich  systematisch  zu  dem  Ganzen  der  theoretischen  National- 
ökonomie verbinden  müssen.  Als  der  wesentliche  Ertrag  des  zwischen 
beiden  Richtungen  geführten  Streites  kann  daher  die  mehr  und  mehr 
allseitig  eingetretene  Erkenntniss  angesehen  werden,  dass  die  ab- 
stracto Wirthschaftstheorie  und  die  concrete,  auf  die  Hülfsmittel 
der  historischen  und  der  statistisch-sociologischen  Forschung  gestützte 


*)  Der  erste  einschneidende  Yersuch  einer  Rehabilitation  der  abstracten 
Methode  der  classischen  Nationalökonomie  wurde  von  C.  Menger  gemacht  mit 
seiner  Schrift:  Untersuchungen  über  die  Methode  der  Socialwissenschaften  und 
der  politiBchen  Oekonomie,  1883.  An  diese  Schrift  schloss  sich  ein  methodo- 
logischer Streit  zwischen  den  Anhängern  der  so  genannten  exacten  und  der 
historischen  Richtung,  der  zum  Theil  noch  fortdauert.  Die  schärfsten  Gegen- 
sätze vertraten  dabei  Schmoll  er  in  seiner  Recension  der  Menger'schen  Arbeit 
(Zur  Literaturgeschichte  der  Staats-  und  Socialwissenschaften ,  1888,  S.  275  ff.» 
abgedruckt  aus  Schmollers  Jahrbuch  fiir  Gesetzgebung,  Verwaltung  etc.,  VII. 
1883,  S.  975  ff.)  und  Menger  in  seiner  Gegenschrift:  Die  Irrthümer  des  Historis- 
mus in  der  deutschen  Nationalökonomie,  1884.  Ausserdem  betheiligten  sich  an 
diesem  methodologischen  Streit  von  Seiten  der  historischen  Richtung  L.  Bren- 
tano.  Die  cl assische  Nationalökonomie,  1888;  von  Seiten  der  classischen  Rich- 
tung H.  D  i  e  t  z  e  1 ,  lieber  das  Verhältniss  der  Volkswitthschaftslehre  zur  Social- 
wirthschaftslehre,  1882,  und  Beiträge  zur  Methodik  der  Wirthschaftswissenschaft, 
in  Hildebrand-Conrads  Jahrbüchern  der  Nationalökonomie  und  Statistik,  N.  F. 
IX,  S.  17  ff.  Die  psychologischen  Gesichtspunkte  in  der  Theorie,  sowie  die 
Vereinbarkeit  derselben  mit  einem  coUectivistischen  Standpunkt  wurde  besonders 
betont  von  E.  S  a  x  (Die  neuesten  Fortschritte  der  nationalökonomischen  Theorie, 
1889,  und  Grundlegung  der  theoretischen  Staats wirthschaft,  1887,  vgl.  die  ein- 
leitenden Ausführungen  S.  4  ff.).  Eine  objectiv  gerechte  Würdigung  der  relativen 
Verdienste  der  beiden  gegensätzlichen  Richtungen  sucht  £.  von  Philipovich 
zu  geben  in  seiner  Rede :  Ueber  Aufgabe  und  Methode  der  politischen  Oekonomie, 
1886,  sowie  A.  Wagner  in  den  methodologischen  Erörterungen  der  3.  Auflage 
seiner  Grundlegung  der  politischen  Oekonomie,  1892,  I,  S.  37  ff. 


Aufgaben  und  Richtungen  der  VolkswirthscbafUlehre.  507 

Nationalökonomie  nicht  zwei  sich  ausschliessende  Systeme,   sondern 
zwei  einander  ergänzende  Theile  eines  und  desselben  Systems  sind*). 


*)  C.  Menger  hat  die  genannten  Unterschiede  als  die  der  ^exacten" 
und  der  .realistisch-empirischen"  Forschung  bezeichnet  (Untersuchungen  S.  49  ff.), 
und  manche  andere  Nationalökonomen  sind  seinem  Beispiel  gefolgt.    So  sehr 
man  es  nun  afuch  vermeiden  soll,  einmal  eingeführte  Namen  ohne  Noth  zu  ver- 
ändem,  so  scheinen  mir  doch  in  diesem  FaU  die  M  e  n  g  e  raschen  Bezeichnungen 
so  wenig  dem  sonstigen   logischen   Sprachgebrauch   und    auch   der   logischen 
Zweckmässigkeit  zu  entsprechen,  dass  ich  es  vorziehe,  die  schon  in  der  ersten, 
gleichzeitig  mit  Mengers  Schrift  erschienenen  Auflage  dieses  Werkes  gebrauchten 
Ausdrücke  beizubehalten.    ,£zact*  und  , realistisch-empirisch'  sind  in  der  That 
keine  Gegensätze,  während  es  sich   doch  zweifellos  hier  um  methodologische 
Gegensätze  handelt.    Man  kann  in  empirischen  Dingen  ezact  und  in  abstracten 
höchst  unexact  verfahren.    So   spricht   man  z.  B.  mit  Recht  von  einer  exacten 
Anwendung  der  philologischen  Methoden,  obgleich  diese  nach  der  Natur  ihrer 
Gegenstände  immer  realistisch  und  empirisch  sein  müssen.    Dagegen  ist  gerade 
in  der  Nationalökonomie  die  abstracte  Methode  oft  in  sehr  unexacter  Weise  an- 
gewandt worden.    Der  Umstand,  dass  die  Geometrie  und  Mechanik  abstracte 
nnd  zugleich  exacte  Wissenschafben  sind,   hat  offenbar  zu  dieser  Yertauschung 
der  Begriffe  den  Anlass  gegeben.    Aber  was  von  der  Geometrie  und  Mechanik 
gilt,  das  gilt  darum  noch  nicht  von  andern  Grebieten.    Es  sei  mir  gestattet, 
bei  dieser  Gelegenheit  noch  einige  weitere  Punkte  zu  erwähnen,   in  denen  ich 
Ton  M  e  n  g  e  r  s  Terminologie  abweichen  muss,  weil  mir  diese  weder  der  eigent- 
lichen Bedeutung  der  Ausdrücke  noch  dem  logischen  BedÜr&iss  zureichend  zu 
entsprechen  scheint.    Singular  nenne  ich,  was  nur  ein  einziges  Mal  vor- 
konmit,  individuell  das  Einzelne,  gleichgültig  ob  es  einmal  oder  mehr- 
mals existirt.   Das  Individuelle  ist  also  der  allgemeinere  Begriff,  der  das  Singulare 
als  einen  Specialfall  unter  sich  enthält.    Der  Gegensatz  des  Singulären  ist  das 
Reguläre,  der  Gegensatz  des  Individuellen  das  Generelle.    Indem  das  Regu- 
läre zwei  Merkmale  in  sich  schliesst,  nämlich  erstens  eine  Vielheit  gleichartiger 
Fälle  und  zweitens  eine  bestimmte  Ordnung  dieser  Fälle,  stehen  ihm  auch  zwei 
Gegensätze,  ein  positiver  und  ein  negativer,  gegenüber.    Der  positive  Gegensatz 
ist  das  Singulare:   es  schliesst  die  Vielheit  der  Fälle  aus;   der  negative 
Gegensatz  ist  das  Irreguläre:   es  verneint   die  Möglichkeit  einer  Ordnung 
der  gleichartigen  Fälle.    Femer:  viele  Individuen  oder  individuelle  Fälle  über- 
einstimmender Art  bilden  ein  Genus  oder  eine  generelle  Regel,  aber  das  Singu- 
lare bleibt  immer  individuell.   CoUectiverscheinungen  (oder  auch  Massen- 
erecfaeinungen)   nenne  ich   eine  Vielheit  individueller  Erscheinungen,  die  der 
Dämlichen  allgemeinen  Classe  angehören,  innerhalb   dieser  Classe  aber  im  ein- 
zelnen sowohl  singulär  als  regulär  sein  können.     So  sind  die  TodesfUUe  inner- 
halb einer  bestimmten  Bevölkerung  eine  CoUectiverscheinung ,  und  sie  sind  zu- 
gleich eine  generelle  Erscheinung,  wenn  sie  bloss  mit  Rücksicht  auf  den  Tod 
überhaupt,  nicht  auf  die  besondere  Form  desselben  betrachtet  werden.    Dagegen 
kann  diese  Form  selbst  bald  eine  reguläre  bald  eine  singulare  sein,  ersteres 
wenn  sie  sich  einer  gleichartigen  Gruppe,   z.  B.   der  der  Lungenentzündungen, 
unterordnet,   letzteres  wenn  sie  mindestens  innerhalb  der  betrachteten  Massen- 


508  Logik  der  Gesellschaftswissenschafleii. 


b.   Die  abstracte  Wirthschaftstheorie. 

Yermöge  einer  natürlichen  Anwendung  der  isolirenden  Ab- 
straction  greift  man  bei  der  Untersuchung  der  wirthschafUichen  Er- 
scheinungen zunächst  dasjenige  Motiy  des  menschlichen  Handelns 
heraus,  welches  erfahrungsgemäss  auf  die  Production  und  den  Um- 
lauf der  materiellen  Oüter  vom  allgemeinsten  Einflüsse  ist.  Dieses 
Motiv  ist  das  eigene  Interesse.  Die  abstracte  Untersuchung  be- 
trachtet demnach  die  Gesellschaft  als  eine  Summe  in  Verkehr  stehen- 
der Individuen,  deren  jedes  von  dem  Wunsche  beseelt  werde,  mög- 


erscheinungen  einzigartig  dasteht.  Die  Begriffe  des  Regul&ren  und  des  Generellen 
können  demnach  zwar  ftb:  einen  und  denselben  Thatbestand  zutreffen,  aber  sie 
behalten  dabei  doch  eine  verschiedene  logische  Bedentang:  regulär  ist  das 
IndividueUe,  das  sich  einer  übereinstimmenden  Regel  fügt,  generell  das  All- 
gemeine, das  viele  individuelle  F&Ile  von  übereinstimmender  Art  unter  sich 
begreift.  So  ist  z.  B.  ein  niemals  wiederkehrender  Komet  eine  singulare  Er- 
scheinung; ein  Komet  der,  wie  der  £ncke*sche,  seine  ümlaufsdauer  nach  einer 
bestimmten  Gesetzmässigkeit  verändert,  ist,  so  lange  nicht  eine  grössere  Zahl 
gleicher  Erscheinungen  nachgewiesen  ist,  eine  reguläre,  aber  keine  generelle 
Erscheinung;  ein  immer  nach  derselben  Zeit  wiederkehrender  Komet  endlich 
ist  eine  reguläre  und  eine  generelle  Erscheinung  zugleich,  weil  es  eine  grosse 
Zahl  von  Kometen  gibt,  für  die  diese  Regel  gilt.  Menger  (a.  a.  0.,  8.  6 
Anm.)  bringt  die  Singulärerscheinung  in  einen  Gegensatz  zur  Collectiverscheinung, 
während  in  Wirklichkeit  .generell'  und  .collectiv*  zwei  Begriffe  sind,  die  beide 
das  Individuelle  zum  Gegensatz  haben,  wobei  aber  nur  jedesmal  der  Gegensatz 
einem  andern  Gesichtspunkt  der  Betrachtung  entspringt:  das  collective  Game 
entsteht,  wenn  ich  eine  grosse  Zahl  individueller  FäUe  ohne  Rücksicht  auf 
die  Gleichartigkeit  oder  Ungleichartigkeit  der  einzelnen  zusammenfasse;  das 
Generelle  dagegen  entspringt  aus  der  Verbindung  gleichartiger  Individuen. 
Darum  ist  das  Genus  zugleich  ein  Merkmal  des  Individuums,  die  CoUectir- 
erscheinung  ist  aber  bloss  ein  Durchschnittsergebniss  vieler,  unter  Umständen 
weit  auseinandergehender  individueller  Erscheinungen.  Gerade  mit  Rücksicht 
auf  die  auch  für  die  Yolkswirthschaftslehre  massgebende  CoUectivbetrachtaiig 
der  individuellen  Erscheinungen  ist  es  nun  aber  beachtenswerth,  dass  das  Indi- 
viduelle je  nach  dem  Gesichtspunkt  der  Yergleichung  mit  andern  Objecten 
wieder  ein  mehr  oder  minder  umfassender  Begriff  sein  kann,  der  unter  einem 
abweichenden  Gesichtspunkt  auch  als  Gollectivbegriff  auftreten  kann.  So  ist 
nicht  bloss  der  einzelne  Mensch  gegenüber  einem  andern  einzelnen  Menschen, 
sondern  auch  ein  Volk  oder  Staat  gegenüber  einem  andern  einzelnen  Volk 
oder  Staat  ein  Individuum.  Innerhalb  jedes  umfassenderen  socialen  Individnal- 
begriffs,  mit  Ausnahme  des  untersten,  der  individuellen  Persönlichkeit,  sind 
aber  CoUectiverscheinungen  in  Bezug  auf  die  in  ihm  enthaltenen  Particular- 
individuen  möglich. 


Abstracte  Wirthschaftstheorie.  509 

liehst  viel  Güter  durch  nützliche  Arbeit  zu  erwerben  und  wieder 
nutzbringend  zu  verwerthen;  sie  abstrahirt  aber  von  allen  andern 
Neigungen,  die  in  der  Wirklichkeit  diesem  Wunsche  entgegenwirken 
können.  Diese  Abstraction  führt  von  selbst  zu  der  weiteren,  dass 
die  Unterschiede  in  der  wirthschaftlichen  Beanlagung  der  Menschen 
ignorirt  werden,  indem  man  einen  Zustand  voraussetzt,  in  welchem 
jedes  Individuum  in  jedem  Augenblick  nicht  nur  eine  richtige  £r- 
kenntniss  seines  eigenen  Interesses  und  der  für  dasselbe  erspriess- 
lichsten  Hülfsmittel  sondern  auch  den  Willen  besitze,  dieser  Er- 
kenntniss  gemäss  zu  handeln.  Es  ist  klar,  dass  die  so  angenom- 
menen wirthschaftlichen  Kräfte  nur  dann  imgestört  sich  entfalten 
können,  wenn  keinerlei  politische  Einrichtungen  ihnen  Schranken 
auferlegen,  wenn  also  der  Staat  dem  aus  dem  Selbstinteresse  ent- 
springenden Wechselverkehr  der  Privatwirthschaften  nirgends  hem* 
mend  im  Wege  steht.  Freier  Verkehr  und  Abwesenheit  wirthschaft- 
licher  Vorrechte  ist  daher  die  dritte  Voraussetzung,  die  zu  den  beiden 
in  axiomatischer  Form  vorangestellten  Hypothesen  der  Alleinherr- 
schaft des  eigenen  Nutzens  und  der  wirthschaftlichen  Vollkommen- 
heit der  Individuen  hinzukommt. 

Die  abstracte  Theorie  von  Production  und  Vertheilung  der 
wirthschaftlichen  Güter,  von  Werth,  Tausch,  Preis,  Geld,  Capital 
und  Credit  beruht  im  wesentlichen  auf  den  genannten  Voraussetzungen. 
Indem  hierbei  von  der  Qualität  der  Werth-  und  Tauschobjecte,  von 
den  Formen  der  Production  und  Capitalisirung,  von  der  verschiedenen 
socialen  Stellung  der  Individuen  und  von  allen  sonstigen  äusseren 
Bedingungen  abgesehen  wird,  gewinnt  die  Untersuchung  einen  Cha- 
rakter logischer  Allgemeinheit,  der,  da  alle  jene  Begriffe  nicht  bloss 
eine  qualitative  sondern  auch  eine  quantitative  Seite  haben  und  in 
bestimmten  quantitativen  Relationen  zu  einander  stehen,  zur  mathe- 
matischen FormuUrung  der  Schlussfolgerungen  herausfordert.  In 
der  That  ist  eine  solche  mehrfach  mit  Erfolg  versucht  worden*). 
Sie  hat  den  Vorzug,  dass  sie  zu  vollkommen  präcisen  Definitionen 
Döthigt,  verwickelte  Schlussfolgerungen  übersichtlicher  gestaltet  und 
manche  Irrungen  vermeiden  lässt,  die  sich  bei  der  unbestimmteren 
logischen  Form  der  gewöhnlichen  Darstellung  einstellen  können. 

Die  hauptsächlichsten  Schwierigkeiten  einer  derartigen  ab- 
stracten   Untersuchung  bestehen  nun    aber   darin,    dass   allgemein- 

*)  W.  St.  Jevons,  Theorie  of  political  economy.  London  1871.  L6on 
Walras,  Mathematische  Theorie  der  Preisbestimmang  der  wirthschaftlichen 
O&ter.  1681.    ^l^ments  d'I^conomie  politique  pure.    2.  Edit.  1889. 


510  Logik  der  Geeellschaftswissenschaften. 

gültige   Definitionen    der    in   die  Betrachtung   eingehenden  Begriffe 
nicht  in  analoger  Weise  wie  etwa  in  den  sonst  in  ihrer  methodischen 
Behandlung    verwandten    Gebieten    der   Mathematik    möglich   sind. 
Diese  Schwierigkeit  entspringt  zunächst  daraus,  dass  die  wirthschaft- 
lichen  Begriffe   nicht  wie  die  mathematischen   in  einem  unabänder- 
lich gegebenen  Anschauungssubstrat  ihre  Quelle  haben,  sondern  dass 
die  Objecte,  aus  denen  sie  abstrahirt  werden,  Erzeugnisse  einer  ge- 
schichtlichen Entwicklung  sind,  innerhalb  deren  ihre  eigene  Bedeu- 
tung gewisse  Wandelungen  erfahren  hat.     Sodann  aber  kann  eben 
wegen  dieser  Entwicklungsfähigkeit,  je  nachdem  die  Rücksicht  auf 
den  gegenwärtigen  Moment  oder  die  auf  vorangegangene  Stufen  oder 
endlich  Ausblicke  auf  künftige  Zustände  eine  Rolle  spielen,  fast  jeder 
Begriff   ein   Gegenstand    des   Streites   zwischen   verschiedenen    An- 
schauungen sein.     So   wird  z.   B.   der   für  alle   weiteren   Begriffs- 
bestimmungen   massgebende   Begriff    des   Werthes    noch    in    der 
heutigen    Wirthschaftslehre    in    sehr    verschiedener    Weise    definirt. 
Wenn  nun  die  eine  dieser  Begriffsbestimmungen  das  Mass  des  Werthes 
in  der  Seltenheit  eines  wirthschaftlichen  Gutes  oder  in  der  Schwierig- 
keit es  zu   erlangen  (Scharling),   eine  .andere    in   den   auf   seine 
Erlangung  aufgewendeten  Kosten  (H.  Dietzel),   eine  dritte  in  dem 
geringsten  Nutzen  (Grenznutzen),  zu  dem  es  wirthschaftlicher  Weise 
noch  verwendet  werden  darf  (Menger,  v.  Wieser),  eine  vierte  in  der 
zur  Herstellung  erforderlichen  Arbeit  (K.  Marx),  eine  fünfte  endlich 
in  dem  ,,  wahren  Vortheil"    der  wirthschaftlichen  Gemeinschaft  sieht 
(Moriz  Naumann)*)  u.  s.  w. ,   so  ist  es  klar,   dass   hier  mit  dem 


*)  M.  Naumann,  Die  Lehre  vom  Werth,  1898,  S.  60  ff.  Naumann  be- 
zeichnet diesen  ihm  eigenthümüchen  Werthbegriff,  zu  dem  sich  übrigens  namentr 
lieh  bei  £.  Sax  (Grundlegung  der  theoretischen  Staatswirthschaft,  1887,  S.  801) 
in  dessen  .collectivistischer  Werthungsform*  bereits  Ans&tze  finden,  auch  als 
.theoretiBChe  Wertbschätzung*.  Das  Wesentlichste  ist  aber  doch,  dass  bei  dieser 
Definition  der  gemein-  oder  staatswirtbschafUiche,  bei  der  Nutzungs-  und  Kosten- 
theorie  dagegen  ausschliesslich  der  privatwirthschaftliche  Gesichtspunkt  mass- 
gebend ist.  Im  Gegensatze  zu  beiden  ist  sodann  für  die  Marx'sche  Definition 
der  socialistische  Standpunkt  bestimmend:  das  Mass  des  Werthes  ist  hier 
die  .gesellschaftlich  (d.  h.  unter  den  gesellschaftlich-normalen  Productions- 
verh&ltnissen)  nothwendige  Arbeitszeit",  und  es  wird  daher  die  einfachste  Arbeits- 
form als  das  allgemeine  Mass  aller  irgendwie  complicirteren  Arbeiten  betrachtet, 
welche  letzteren  nach  Uebereinkunft  als  Multipla  der  einfachen  Arbeitszeit  be- 
rechnet werden  sollen :  eine  solche  conventionelle  Festlegung  würde  aber  offen- 
*bar  nicht  in  dem  System  freier  Frivatwirthschafben,  sondern  nur  in  der  oom- 
munistisch  organisirten  Gesellschaft  möglich  sein.  (K.  Marx,  Das  Kapital,  I, 
4.  Aufl.,  S.  5  ff.)    Uebrigens  werden  die  obigen  Definitionen  vielfach  auch  nur 


Abstracte  Wirthschaftstheorie.  511 

definirten  Begriff  in  der  Regel  auch  das  übrige  Begriffssystem  mit 
dem  dieser  zusammenhängt  sich  verändern  wird. 

Eine  weitere  Schwierigkeit  entspringt  aus  dem  einer  sehr  ver- 
schiedenen Beurtheilung  unterliegenden  Verhältnisse  der  aus  den 
abstracten  Begriffen  abgeleiteten  Theorie  zur  Wirklichkeit  der 
wirthschaftlichen  Erscheinungen.  Dass  sich  beide  im  allgemeinen 
nicht  decken,  und  dass  sich  diese  von  jener  nicht  bloss  quantitativ 
entfernen,  sondern  ihr  sogar  qualitativ  widerstreiten  kann,  lehrt  ohne 
weiteres  die  Erfahrung.  Aehnlich  wie  die  Mechanik  durch  Deter- 
mination ihrer  abstracten  Voraussetzungen  allmählich  einen  üeber- 
gang  zu  den  concreten  Thatsachen  der  Physik  gewinnt,  so  sucht 
nun  auch  die  abstracte  Wirthschaftstheorie  meist  mittelst  der  Hin- 
zunähme  weiterer  Voraussetzungen  den  wirklichen  Erscheinungen 
des  wirthschaftlichen  Lebens  näher  zu  kommen.  Dies  ist  geschehen 
durch  bestinunte  Annahmen  über  die  Formen  der  nützlichen  Arbeit 
und  ihre  Vertheilung,  über  das  Verhältniss  der  Bevölkerungs- 
zunahme zu  dem  Wachsthum  der  Güter  u.  dergl.  Hierbei  verbindet 
sich  aber  bestimmter  noch  ala  bei  den  allgemeineren  wirthschaft- 
lichen Axiomen  mit  der  Abstraction  die  Hypothese,  um  Voraus- 
setzungen aufzustellen,  die  sich  nirgends  in  der  Wirklichkeit  erfüllt 
finden.  So  trennt  die  Abstraction  die  Berufskreise  in  gewisse  Classen, 
ohne  die  innerhalb  derselben  stattfindenden  oft  sehr  wichtigen  Unter- 
schiede zu  beachten,  und  zu  dieser  Eintheilung  pflegt  ausserdem 
die  Annahme  hinzuzutreten,  dass  jedes  Individuum  nur  einem 
wirthschaftlichen  Beruf  angehöre,  z.  B.  Grundeigenthümer,  Capitalist 
oder  Arbeiter,  niemals  aber  dieses  zugleich  sei,  eine  Annahme 
der  offenbar  die  Erfahrung  wenigstens  in  sehr  vielen  Fällen  wider- 
streitet. 

Vergleicht  man  demnach  diese  Abstractionen  und  Hypothesen- 
bildungen mit  den  Voraussetzungen  der  allgemeinen  Mechanik,  mit 
denen  sie  äusserlich  eine  nahe  Verwandtschaft  zu  haben   scheinen. 


als  partielle  verstanden,  indem  man  sie  für  bestimmte  Werthformen  durch 
andere  ersetzt:  so  z.  B.  die  Kostendefinition  für  Seltenheits-  oder  Affections- 
güter  durch  die  Nutzungsdefinition  (Dietzel).  Die  so  genannte  ,claflsi8che  Werth- 
theorie'  von  Smith  und  Ricardo  ist  sogar  in  Folge  des  Bestrebens,  den 
verschiedensten  Anwendungen  des  Begriffs  gerecht  zu  werden,  eigentlich  nur 
eine  eklektische  Verbindung  einer  Anzahl  von  Definitionen,  die  heterogenen 
Oerichtsponkten  entspringen.  Zum  neueren  Stand  der  Frage  vgl.  eine  Reihe 
▼on  Aufsätzen  in  den  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik  von  Böhm- 
Bawerk,  Dietzel,  Scharling  u.  A.,  Bd.  13  (1886)  bis  21  (1892),  und  Böhm- 
Bawerk,  Art  Werth  im  Handw.  d.  Staatsw.  VI,  S.  681  ff. 


512  Logik  der  GeseUschaftswissenschaften. 

so  fällt  der  Unterschied  zu  üngansten  der  Wirthschaftstheorie  in 
die  Augen.  Die  Annahmen  der  letzteren  entsprechen  nicht  nur  in 
viel  geringerem  Grade  der  Wirklichkeit,  sondern  sie  setzen  auch  der 
allmählichen  Annäherung  an  dieselbe  durch  Hinzufügung  deter- 
minirender  Bestimmungen  grössere,  in  vieler  Beziehung  offenbar  un- 
lösbare Schwierigkeiten  entgegen.  Die  Abstractionen  eines  absolut 
starren  Körpers,  einer  absolut  beweglichen  Flüssigkeit  u.  dergl.  sind 
zwar  weit  entfernt  jemals  mit  den  wirklichen  Körpern  übereinzu- 
stimmen. Aber  die  aus  ihnen  abgeleiteten  Resultate  bleiben  doch 
immer  in  grösserer  oder  geringerer  Annäherung  f&r  die  Elrfahmng 
gültig,  so  dass  es  der  Beobachtung  verhältnissmässig  leicht  wird, 
aus  der  Art  und  dem  Grad  der  stattfindenden  Abweichungen  selbst 
die  weiteren  Voraussetzungen  zu  finden,  die  in  einem  gegebenen 
Füll  den  mechanischen  Abstractionen  beigefügt  werden  müssen,  um 
eine  grössere  üebereinstimmung  zu  erzielen ;  und  f&r  diese  Zugaben 
sind  schliesslich  wieder  die  nämlichen  Axiome  und  Postulate  gültig 
wie  für  die  ursprünglichen  Sätze.  In  einer  ganz  andern  Lage  be- 
findet sich  die  abstracte  Wirthschaftstheorie.  Hier  bietet  die  Er- 
fahrung nicht  bloss  Fälle  dar,  in  denen  die  Erscheinungen  irgendwie 
hinter  den  Voraussagen  der  Theorie  zurückbleiben,  sondern  nicht 
selten  solche,  in  denen  sie  in  directem  Gegensatz  zu  denselben  stehen. 
Diese  Widersprüche  zwischen  Theorie  und  Erfahrung  lassen  sich 
aber  nur  theilweise  durch  die  Einführung  speciellerer  Voraussetzungen 
ausgleichen.  Denn  bei  diesen  bleibt  man  immer  auf  die  Hinzufügung 
objectiver  Bedingungen  beschränkt,  wie  der  Güter-  und  Arbeits- 
theilung  in  einer  Gesellschaft,  bestimmter  politischer  Verhältnisse 
u.  dgl. ;  die  subjectiven  Postulate  der  Alleinherrschaft  des  Eigen- 
nutzes und  der  wirthschaftlichen  Vollkommenheit  der  Individuen 
lassen  sich  aber  nicht  abändern,  ohne  das  Fundament  der  Wirth- 
schaftstheorie überhaupt  zu  beseitigen.  Und  doch  sind  gerade  diese 
Postulate  thatsächlich  sehr  häufig  unrichtig;  mindestens  ist  der  Er- 
fahrungskreis, innerhalb  dessen  sie  als  annähernd  gültig  betrachtet 
werden  können,  ein  beschränkter.  Da  nun  der  menschliche  Wille 
nicht  wie  ein  gestossener  Körper  unter  der  Einwirkung  verschiedener 
Motive  eine  mittlere  Richtung  einschlägt,  sondern  einem  herrschenden 
Motiv  ausschliesslich  zu  folgen  pflegt,  ja  durch  eine  solche  Ebindlung 
auf  seine  eigenen  künftigen  Willensbestimmungen  und  unter  Um- 
ständen selbst  auf  die  von  andern  Individuen  in  gleichem  Sinne  ein- 
wirkt, so  ist  es  begreif  lieb,  dass  in  vielen  Fällen  die  Erscheinungen 
nicht  bloss  hinter  den  Voraussagen  der  Theorie  zurückbleiben,  son- 


Abstracte  Wirthschaftstheorie.  513 

dern  in  vollem  Gegensatze  *zu  ihnen  stehen.  Versucht  man  aber 
durch  eine  gründlichere  Berücksichtigung  der  psychologischen  Eigen- 
schaften des  Menschen  auch  jene  subjectiven  Voraussetzungen  zu 
erganzen,  so  wird  dadurch  der  exacte  Charakter  der  Theorie  noth- 
wendig  aufgehoben.  Denn  dieser  beruht  gerade  auf  der  einheitlichen 
Natur  der  Voraussetzungen.  Sobald  man  der  Mehrheit  widerstreitender 
Motive  und  der  thatsächlichen  Ungleichheit  der  Menschen  Rechnung 
tragen  will,  gelangt  man  zu  variabeln  Factoren,  deren  Wirksamkeit 
von  Fall  zu  Fall  sich  verändert,  so  dass  dieselbe  höchstens  nach 
jedem  Ereigniss  geschätzt,  nicht  aber  als  allgemeine  Voraussetzung 
der  Erklärung  aller  Ereignisse  zu  Grunde  gelegt  werden  kann.  Die 
abstracte  Wirthschaftstheorie  würde  sich  also,  wenn  sie  diese  Zuge- 
ständnisse machte,  von  selbst  auf  den  Boden  der  concreten  Be- 
trachtung begeben. 

Man  könnte  nun  daran  denken,  diesem  Mangel  auf  dem  Boden 
der  abstracten  Theorie  selbst  abzuhelfen*^  indem  man  an  Stelle  des 
Eigennutzes  und  der  wirthschaftlichen  Vollkommenheit  andere  Eigen- 
schaften in  ähnlicher  Ausschliesslichkeit  voraussetzte,  nach  dem  Grund- 
satze dass,  wo  eine  Wirkung  von  mehreren  Ursachen  abhängt,  es 
zweckmässig  ist  zuerst  die  Effecte  der  einzelnen  Ursachen  isolirt  zu 
studiren,  ehe  man  sie  alle  in  ihrem  Zusammenwirken  ins  Auge  fasst. 
Das  so  einzuschlagende  Verfahren  successiver  Abstraction  und  De- 
duction  würde  zwar  von  dem  in  der  Mechanik  und  andern  exacten 
Wissenschaften  üblichen  Verfahren  allmählicher  Determination  weit 
abweichen,  und  die  Frage,  wie  die  aus  den  verschiedenen  Voraus- 
setzungen gewonnenen  Folgerungen  schliesslich  mit  einander  zu  com- 
biniren  seien,  würde  überdies  kaum  zu  überwindende  Schwierigkeiten 
bereiten.  Immerhin  könnte  fnan  meinen,  eine  solche  Methode  ver- 
schiedenartiger Deductionen  sei  wegen  der  Eigenthümlichkeit  der 
wirthschaftlichen  Erscheinungen  gerade  die .  angemessene.  Nun  ist 
aber  von  vornherein  klar,  dass  sich  unter  allen  möglichen  sonstigen 
Bedingungen  nur  eine  zu  einer  principiellen  Voraussetzung  von 
ähnlich  allgemeiner  Bedeutung  wie  die  des  wirthschaftlichen  Egois- 
mus eignen  würde:  das  ist  der  diesem  Egoismus  'entgegengesetzte 
Altruismus,  der  folgerichtig  durchgeführt  überall  nach  dem  Grund- 
satze der  Verleugnung  des  eigenen  Interesses  zu  Gunsten  Anderer 
verfahren  müsste*).    Alle  andern  etwa  dem  wirthschaftlichen  Selbst- 

*)  L.  Dargun»  Egoismus  und  Altruismus  in  der  Nationalökonomie.  1885. 

Auch  A.  Wagner  hat  den  Versuch  gemacht,  so  viel  als  möglich  die  sämmt- 

lichen  bei  dem  wirthschaftlichen  Handeln  in  Betracht  kommenden  «Leitmotive', 
Wandt,  Logik,  n,  s.    2.  Aufl.  33 


514  Logik  der  GesellschaftswiBsenschaften. 

Interesse  entgegenwirkenden  Bedingungen,  wie  mangelnde  Einsicht, 
Verschwendung,   politische  Einflüsse,   besitzen   den   Charakter  mehr 
oder    minder   singulärer  Erscheinungen.     Das    altruistische  Princip 
würde  jedoch,  wollte  man  es  auf  die  Individuen  anwenden,  den  Be- 
griff  einer    sittlichen    Gemeinschaft   von   idealer  VoUkommenheit 
ergeben,   deren  Mitglieder  unter  einander  keinerlei  wirthschaftliche 
Beziehungen  mehr  unterhalten  könnten.     Eine  solche  Gemeinschaft 
würde  daher  nur  noch  in  ihrem  wirthschaftlichen  Verhaltniss  andern 
ähnlichen  Einheiten  gegenüber  als  eine  wirthschaftliche  Individualität 
betrachtet  werden  können,   ähnlich   wie  ja  auch  schon  in   dem  ge- 
wöhnlichen wirthschaftlichen  System   die  Individuen  nicht   die  ein- 
zelnen Mens.chen   sondern   die  Privatwirthschaften  sind,   deren  Mit- 
glieder zu  einander  auch  hier  im  aUgemeinen  als  in  einem  sittlichen, 
nicht  in  einem  wirthschaftlichen  Verhältnisse  stehend  vorausgesetzt 
werden.      Dass    nun    eine   j^^mfassendere    Gemeinschaft  r   namentlich 
ein  Staat,    ein   solches    untheilbares   Wirthschaftsindividuum   bilden 
könnte,   würde  zwar  praktisch   gewiss   schwer  durchzuführen  sein, 
aber  theoretisch  ist  es  sehr  wohl  denkbar.    In  wirthschaftUeher  Be- 
ziehung  würde  jedoch   dadurch  immer  nur  der  Begriff  der  wirth- 
schaftlichen Individualität  verschoben,  an  den  Wirthschaftsbegriffen 
selbst  würde  nichts   geändert.     Denn   ein    vollkommen    altruistisch 
organisirter  Staat,   in  welchem  alle  Production  und  Vertheilung  der 
Güter  von  der  Gemeinschaft  zu  Gunsten  der  Einzelnen  geleitet  würde, 
könnte  selbst  wiederum  nur  dadurch  wirthschaftlich  existiren,   dass 
er   mit  andern    ähnlichen  Einheiten,    also    mit  andern  Staaten,  in 
Wirthschafts verkehr   stünde,   ähnlich   wie  ja  auch   z.  B.   Fouriers 
auf  dieses  Princip  des  Altruismus  gegründete  Genossenschaften  nur 
deshalb   möglich    wurden,    weil  sie   selbst  nichts   anderes    als   um- 
fassende Privatwirthschaften  waren.     Erst  dann,    wenn   die   ganze 
die  Erde   bewohnende   Menschheit  eine    einzige   solche   Einheit   im 
Sinne  der  heutigen  Privatwirthschaft  darstellte,    würde  wirklich  ^in 
solches  System  des  Altruismus   und  mit  ihm  die  Aufhebung    aller 
gültigen  Wirthschaftsbegriffe  durchführbar  sein  —  eine  Utopie   der 
Utopien,  die  natürlich  nicht  in  ernsthafte  Erwägung  gezogen  werden 


auch  die  unegoiatiBchen  und  ethischen,  in  ihren  Wirkungen  zu  erörtern.  Er 
bedient  sich  aber  dabei  nicht  der  Methode  der  Theilung  der  Ursachen,  sondern 
sucht,  nachdem  die  rein  wirthschaftlichen  Beweggründe  betrachtet  sind,  die 
Modificationen  ihrer  EfiPecte  durch  anderweitige  Motive  im  allgemeinen  zu  be- 
stimmen. A.  Wagner,  Grundlegung  der  politischen  Oekonomie.  3.  Aufl. 
I,  S.  83  ff. 


Abstracte  WirthschafUtheorie.  515 

• 

kaon.  Auf  allen  Zwischenstufen  würde  aber  einer  grösseren  Be- 
theiligung altruistischer  Motive  nicht  dadurch  Rechnung  getragen 
werden  können,  dass  man  zuerst  ein  consequentes  System  des  Egois- 
mus und  dann  des  Altruismus  entwickelte,  wie  dies  nach  der  Me- 
thode der  getheilten  Untersuchung  der  Ursachen  Torgeschlagen  wird, 
sondern  die  anzubringende  Veränderung  würde  lediglich  in  der  Aus- 
dehnung des  Begriffs  der  Wirthschaftseinheit  auf  die  altruistisch 
verbundenen  Gemeinschaften,  d.  h.  also  in  der  Ersetzung  der  heutigen 
Priyatwirthschaften  durch  umfassendere  Wirthschaftsgemeinschaften 
bestehen  können.  Nun  enthält  die  abstracto  Wirthschaftstheorie 
selbst  eigentlich  gar  keine  Voraussetzungen  über  die  wirthschaft- 
üchen  Einheiten:  als  solche  könnten  streng  genommen  ebenso  gut 
communistische  Staats-  wie  Priyatwirthschaften  gedacht  werden.  Das 
altruistische  Wirthschafkssystem  ist  also,  so  lange  überhaupt  noch 
eine  Vielheit  selbständiger  Wirthschafbseinheiten  angenommen  wird, 
rein  wirthschaftlich  betrachtet  mit  dem'  egoistischen  Wirthschafts- 
system  identisch.  Die  wirklichen  Unterschiede  liegen  nicht  auf  dem 
Gebiet  der  abstracten  Theorie,  sondern  theils  auf  dem  der  concreten 
Wirthschaftslehre  theils  aber  auf  dem  der  Ethik  und  Politik. 

Zu  den  oben  erwähnten  theoretischen  Eigenthümlichkeiten 
kommt  endUch  noch  ein  praktischer  Unterschied,  der  die  abstracto 
Wirthschaftstheorie  zu  ihrem  Nachtheil  von  den  ihr  methodisch  ver- 
wandten Gebieten  der  Naturforschung  trennt.  Die  physikalische 
Beobachtung  zieht  der  Gültigkeit  der  mechanischen  Voraussetzungen 
unzweideutig  ihre  Grenzen,  indem  sie  zugleich  auf  die  Ergänzungen 
hinweist,  deren  dieselben  bedürfen.  Die  Correctur,  die  der  abstracten 
Wirthschaftstheorie  durch  die  Erfahrung  zu  Theil  wird,  ist  praktisch 
weit  weniger  wirksam.  Denn  wo  diese  Theorie  mit  der  Realität  in 
Conflict  geräth,  da  ist  man,  yermöge  jenes  Glaubens  an  die  Wirklich- 
keit abstracter  Ideen,  der  so  leicht  aus  der  Beschäftigung  mit  ihnen 
entspringt,  imd  dessen  sogar  der  speculirende  Mathematiker  nicht  ganz 
entbehrt,  geneigt,  dem  Sein  durch  ein  Sollen  nachzuhelfen:  wenn 
die  Erscheinungen  den  Gesetzen  nicht  gehorchen,  so  sollten  sie  es 
doch  thun  und  werden  es  in  Zukunft  gewiss  thun,  wenn  erst  die 
Hindemisse  beseitigt  sind,  die  den  gemachten  Voraussetzungen  wider- 
streiten. Als  solche  Hindemisse  betrachtet  man  aber  meistens  nicht 
die  relativ  unveränderlichen  Eigenschaften  der  menschlichen  Natur, 
sondern  hauptsächlich  gewisse  äussere,  durch  die  Gesetzgebung 
leicht  zu  beseitigende  Schranken,  wie  die  Hemmnisse  des  Verkehrs 
und  der  Freiheit  der  wirthschaftlichen  Arbeit.     Das   Postulat   der 


516  Logik  der  Gesellschaftawissenschaften. 

abstracten  Theorie,  dass  jedes  Individuum  in  seinem  wilihschaftiichen 
Handeln  unbeschränkt  sei,  wird  auf  diese  Weise  Ton  der  Richtung 
des  ökonomischen  Liberalismus  unmittelbar  in  eine  Forderung  um- 
gewandelt, zu  deren  Begründung  man  sich  auf  die  Resultate  der 
abstracten  Theorie  beruft,  uns  beschäftigt  hier  nicht  der  materielle 
Inhalt  dieser  Forderung,  die  ja,  insoweit  sie  auf  die  Möglichkeit  der 
Selbstregulirung  der  wirthschaftlichen  Interessen  gegründet  ist, 
eine  gewisse,  freilich  beschrankte  relative  Berechtigung  hat.  Hier 
ist  nur  auf  den  logischen  Fehler  hinzuweisen,  den  man  begeht,  in- 
dem man  aus  einer  Anzahl  gleich  abstracter  Voraussetzungen  einen 
befriedigenden  Zustand  des  wirthschaftlichen  |Gleichgewichts  ableitet 
um  nun  daraus  zu  folgern,  dass  diejenige  Voraussetzung,  deren  Er- 
füllung in  unserer  Macht  steht,  praktisch  verwirklicht  werde,  ohne 
danach  zu  fragen,  ob  auch  die  andern  Voraussetzungen  erf&llt  seien. 
Wie  unzulässig  solche  einseitige  Anwendungen  der*  Theorie  sind, 
das  hat  denn  auch  der  Erfolg  thatsächlich  gezeigt,  indem  die  näm- 
lichen allgemeinen  Voraussetzungen  zu  praktischen  Forderungen  von 
ganz  entgegengesetztem  Inhalte  führten.  Die  befriedigte  «Selbst- 
regulirung der  egoistischen  Interessen',  die  in  der  Selbsthülfe  des 
Einzelnen  und  in  der  Staatsweisheit  des  «Laissez  faire,  laissez  aller '^ 
gipfelt,  und  das  ,,eheme  Lohngesetz"  Lassalles,  das  die  Hunger- 
grenze als  den  Normalzustand  der  arbeitenden  Massen  betrachtet, 
diese  beiden  Lehren  sind  Kinder  einer  und  derselben  abstracten 
Theorie,  der  sie  auch  darin  nacharten,  dass  sie  die  Vielheit  der 
ethischen  Motive  des  Handelns  und  die  Verschiedenartigkeit  der 
Menschen  unbeachtet  lassen. 

Mit  der  Zurückweisung  solch  praktischer  Nutzanwendungen  ist 
nun  aber  keineswegs  der  Werth  der  Wirthschaftstheorie  selbst  auf- 
gehoben. Vielmehr  liegt  ihre  grosse  Bedeutung  gerade  darin,  dass 
sie  die  isolirte  Wirkung  der  im  eigentlichen  Sinne  wirthschaft- 
lichen Factoren  des  realen  Wirthschaftslebens  untersucht  und  auf 
diese  Weise  die  Analyse  der  complexen  Erscheinungen ,  in  denen 
jene  Factoren  mit  andern  Bedingungen  zusammenwirken,  vorbereitet. 
Eine  solche  Analyse  kann  naturgemäss  erst  unternommen  werden, 
wenn  man  sich  zuvor  mindestens  über  die  Wirkungen  der  allge- 
m'einsten  in  der  Natur  des  wirthschaftlichen  Lebens  selbst  be- 
gründeten Bedingungen  Rechenschaft  gegeben  hat.  Die  Ermittelung 
der  weiteren  realen  Factoren  dieses  Lebens  in  seinen  einzelnen  Er- 
scheinungen ist  aber  das  Werk  einer  an  der  Hand  der  historischen 
und  socialen  Thatsachen  unternommenen  Induction,  nicht  einer  Theorie, 


Abstracte  Wirthschaftstheorie.  517 

die  zum  Theil  wenigstens  den  Thatsachen  yorausgeht.  Bei  dieser 
dem  Gebiet  der  concreten  Yolkswirthschafitslehre  angehörenden  In- 
duction  spielt  dann  allerdings  auch  die  abstracte  Theorie  die  Rolle 
eines  flOlfsmittels.  Doch  ist  diese  Rolle  eine  von  derjenigen,  die 
den  abstracten  Theorien  der  Mechanik  und  der  mathematischen 
Physik  im  Yerhältniss  zu  den  ihnen  entsprechenden  concreten  Ge- 
bieten zukommt,  wesentlich  abweichende.  Die  abstracte  Wirth- 
schaftstheorie  vermag  weder  allgemeingültige  Gesetze  aufzustellen, 
wie  es  die  theoretische  Physik  z.  B.  in  dem  Trägheitsgesetz,  dem 
Princip  der  Gleichheit  von  Action  und  Reaction  und  andern  ähn- 
lichen ihut,  noch  vermag  sie  durchgängig  erste  Annäherungen  an 
die  Wirklichkeit  zu  formuliren,  wie  solche  etwa  das  Gesetz  des 
mathematischen  Pendels  oder  die  Eepler'schen  Gesetze  sind;  son- 
dern ihre  Gesetze  sind,  an  der  Wirklichkeit  gemessen,  Regeln  die 
nur  zuweilen  in  Annäherungen  zutreffen,  wie  das  mit  Noth- 
wendigkeit  schon  daraus  hervorgeht,  dass  diese  Regeln  unter  Be- 
dingungen abgeleitet  sind,  die  sich  nicht  bloss  stets  mit  andern 
Bedingungen  verschiedener  Art  verbinden,  sondern  die  sogar  unter 
dem  Einfluss  solch  abweichender  Bedingungen  gänzlich  wirkungslos 
werden  können.  Daraus  geht  aber  auch  hervor,  dass  als  einem 
Hülfismittel  zur  Auffindung  der  die  wirkliche  Erfahrung  beherrschen- 
den Gesetze  der  abstractän  Wirthschaftstheorie  nur  ein  höchst  be- 
schränkter Werth  zukommt,  und  dass  sie  in  dieser  Beziehung  mit 
den  abstracten  Disciplinen  der  Naturwissenschaft  nicht  zu  ver- 
gleichen ist.  Dagegen  gibt  es  eine  andere  Eigenschaft  dieser  Theorie, 
in  der  sie  als  Hülfsmittel  der  concreten  Untersuchung  eine  ungleich 
grössere  Bedeutung  hat,  als  sie  jene  exacten  Gebiete  ihren  con- 
creten Anwendungen  gegenüber  besitzen.  Erschöpfende«Definitionen 
der  naturwissenschaftlichen  Begriffe,  wie  z.  B.  der  Materie ;  des 
Lichtes,  der  Elektricität  u.  s.  w.,  zu  gewinnen,  wird  niemals  als  die 
Aufgabe  solcher  abstracten  mathematischen  Grundlegungen  be- 
trachtet. Man  überlässt  jene  vielmehr  der  concreten  Untersuchung, 
die  erst  mit  dem  voUen  Rüstzeug  dazu  versehen  ist.  Die  abstracten 
Theorien  begnügen  sich  auch  hier  mit  ersten  Annäherungen  oder 
auch  geradezu  mit  hypothetischen  Fictionen,  von  denen  sich  an- 
nehmen lässt,  dass  sie  zu  einem  allgemeinen  theoretischen  Zusammen- 
hang des  betrachteten  Erscheinungsgebietes  verhelfen  können.  Der 
Zweck  der  abstracten  Untersuchung  ist  eben  hier  von  vornherein 
nicht  darauf  gerichtet  Begriffe  zu  definiren,  sondern  Gesetze  zu 
finden,   denen   sich  alle  empirisch  zu  beobachtenden  Erscheinungen 


518  Logik  der  GesellschaftswisseDschaften. 

unterordnen  lassen.  Ganz  anders  steht  die  abstracte  Wirthschafts- 
theorie  ihren  Objecten  gegenüber.  Die  wirklichen  Gesetze  des 
wirthschaftlichen  Lebens  zu  finden  muss  sie  zum  allergrössten  Theil 
der  concreten  Untersuchung  überlassen.  Dagegen  ist  ihr  ganzes 
Bemühen  von  vornherein  auf  die  exacte  Definition  der  Begriffe 
gerichtet,  und  diese  erzielt  sie  eben  dadurch,  dass  sie  diese  Be- 
griffe aus  allen  den  Verbindungen  loslöst,  in  denen  sie  in  der  Wirk- 
lichkeit stets  enthalten  sind,  und  sie  rein  nur  in  Bezug  auf  die  in 
sie  eingehenden  wirthschaftlichen  Factoren  betrachtet.  Durch  solche 
Definitionen  werden  aber  die  wirthschaftlichen  Begriffe  unter  ein- 
ander in  die  mannigfaltigsten  Beziehungen  gebracht.  Denn  da  ir. 
jeden  Begriff,  abgesehen  von  dem  alle  andern  tragenden  der  Wirth- 
schaft  selbst,  gar  keine  Elemente  eingehen  dürfen  als  solche,  die 
an  und  für  sich  schon  eine  wirthschaftliche  Bedeutung  besitzen,  so 
werden  durch  die  Definitionen  immer  nur  die  Wirthschaftsbegriffe 
selbst  wechselseitig  bestimmt.  Dadurch  wird  es  möglich,  die  De- 
finitionen allmählich  immer  exacter  zu  gestalten,  indem  man  sich 
dabei  auf  das  Postulat  stützt,  dass  ein  in  bestimmter  Weise  de- 
finirter  Begriff  in  derselben  Bedeutung  zugleich  in  allen  andern 
Definitionen  vorkommen  muss.  So  ist  denn  auch  das  Bemühen 
der  Wirthschaftstheoretiker  in  erster  Linie  keineswegs  darauf  ge- 
richtet, nachzuweisen,  dass  die  von  ihnen  formulirten  Begriffis- 
relationen  empirisch  gelten,  sondern  darauf,  dass  diese  Begriffe 
sämmtlich  ein  widerspruchlos  in  sich  zusammenhängendes  System 
bilden.  Hierin  liegt  aber  der  praktische  Beleg  dafOr,  dass  die  ab- 
stracte Wirthschaftstheorie  nicht  in  der  Feststellung  der 
Gesetze  des  wirklichen  Wirthschaftslebens,  sondern  in 
der  exacfen  Bestimmung  der  Wirthschaftsbegriffe  und 
ihrer  wechselseitigen  Beziehungen  ihre  Aufgabe  zu  sehen 
hat.  Die  Untersuchung  der  wirthschaftlichen  Gesetze  wird  bei  der 
Lösung  dieser  Hauptaufgabe  nur  insofern  berührt,  als  die  in  den 
Verhältnissen  der  wirthschaftlichen  Begriffe  zum  Ausdruck  kommen- 
den thatsächlichen  Verhältnisse  zugleich  den  Charakter  psycho- 
logischer Motive  besitzen  können,  die  neben  andern  auf  das 
wirkliche  Handeln  der  wirthschaftlichen  Individuen  einen  Einfluss 
ausüben. 

Mit  dieser  Auffassung  von  der  vorwiegend  definitorischen,  nicht 
oder  nur  in  beschränkter  Weise  explicativen  Bedeutung  der  ab- 
stracten  Wirthschaftslehre  steht  es  nun  vollkommen  im  Einklang, 
dass  die  meisten  der  sogenannten   „ Theorien **    derselben,   wie  die 


Abstmcte  Wirthschaftstheorie.  519 

von  Werth,  Preis,  Lohn  u.  s.  w.,  in  Wahrheit  gar  nicht  Theorien, 
sondern  Definitionen  sind,  und  dass  namentlich  sehr  oft  an  Stelle 
einer  wirklichen  Theorie  der  Erscheinungen  ein  blosses  Nebenein- 
ander verschiedener  Definitionen  eines  und  desselben  Begriffs  aus- 
helfen muss.  So  besteht  z.  B.  die  „  Werth theorie"  der  classischen 
Nationalökonomie  im  wesentlichen  nur  in  einer  Summe  von  ein- 
ander abweichender  Definitionen  des  Werthbegriffs,  wie  des  Nutzungs- 
werths,  des  Tauschwerths ,  des  Seltenheitswerths ,  durch  die  dem 
allgemeinen  logischen  Bedürfniss  genügt  werden  soll,  dass  zu  jeder 
einzelnen  Wertherscheinung  ein  Allgemeinbegriff  vorhanden  sei,  dem 
dieselbe  subsumirt  werden  kann.  Nun  hat  freilich  die  neuere  Wirth- 
schaffcslehre  dieses  eklektische  Verfahren,  bei  welchem  die  „Theorie* 
nur  in  einer  nach  Bedürfniss  wechselnden  Subsumtion  besteht,  zu 
vermeiden  gesucht,  indem  sie  möglichst  einheitliche,  consequent  fest- 
gehaltene Definitionen  einführte.  Aber  auch  die  so  aufgestellten 
Begriffsbestimmungen,  wie  z.  B.  die  des  Werthes  als  „(^^ei^znutzen'* 
oder  als  , verdichtete  Arbeit*  *).  sind  an  und  für  sich  betrachtet 
nicht  Theorien,  wie  sie  genannt  zu  werden  pflegen,  sondern  Defini- 
tionen. Deshalb  weil  sie  nur  dies  sind,  ist  es  auch  möglich,  dass 
so  verschiedene  Bestimmungen  eines  und  desselben  Begriffs,  wie 
z.  B.  die  beiden  eben  genannten,  neben  einander  existiren,  ja  dass 
sie,  wenn  man  die  Gesichtspunkte  im  Auge  behält  unter  denen  sie 
aufgestellt  wurden,  sogar  neben  einander  wahr  sein  können.  Das 
ist  bei  zwei  Definitionen  sehr  wohl  möglich,  weil  hier  die  eine  eine 
descriptive,  die  andere  eine  genetische,  die  eine  eine  causale.,  die 
andere  eine  teleologisch  begründende  sein  kann  u.  s.  w. ;  von  zwei 
Theorien,  die  einen  gänzlich  verschiedenen  Inhalt  haben,  muss  aber 
nothwendig,  wenn  die  eine  wahr  ist,  die  andere  falsch  sein.  In  der 
That  ist  nun  die  Begriffsbestimmung  des  Werthes  nach  dem  „  Grenz- 
nutzen *  *  offenbar  eine  teleologische  Definition,  insofern  sie  aus- 
schliesslich vom  Gesichtspunkte  der  ökonomischen  Verwendung  der 
Güter  ausgeht;  die  Definition  als  , verdichtete  Arbeit*  dagegen  ist 
eine  genetische  Definition:  sie  steht  unter  dem  Gesichtspunkt  der 
ökonomischen  Entstehung  der  Werthe.  Diese  Definitionen  können 
dann  allerdings  auch  die  Grundlagen  bestimmter  ökonomischer 
Theorien  abgeben.  Damit  dies  geschehen  könne,  müssen  aber  stets 
weitere  Voraussetzungen  hinzutreten.  In  diesem  Sinne  ist  z.  B.  die 
Definition    des   Grenznutzens    zu    einer    wirklichen    „Theorie*    ent- 


•    Siehe  oben  S.  510. 


520  Logik  der  Gesellachaftgwissenschafleii. 

wickelt  worden,  indem  man  auf  die  Voraussetzung,  dass  jedes ^Be- 
dttrfhiss  in  eine  Anzahl  von  Theilbedürfnissen  von  verschiedener  In- 
tensität zerlegt  werden  könne,  sowie  auf  allgemeine  psychologiBche 
Betrachtungen  über  die  Verhältnisse  der  Intensität  yerschiedener 
Triebe  zu  einander  und  zu  der  Menge  der  zu  ihrer  Befriedigung 
verfügbaren  Güter  Schlüsse  über  die  Abhängigkeit  der  dkonomischen 
Werthe  von  ihren  allgemeinen  Bedingungen  gründete*).  Ebenso  sind 
die  von  E.  Marx  auf  die  Definition  des  Werthes  als  «verdichteter 
Arbeit**  gegründeten  Folgerungen  über  den  Verwerthungsprocess 
der  Arbeit,  die  Waarencirculation,  die  Gapitalbildung,  die  Erzeugung 
von  «Mehrwerthen*  Bestandtheile  einer  Theorie,  in  die  theils  wei> 
tere  Begriffsdefinitionen,  wie  der  Waare,  des  Capitals  u.  a.,  theils 
aber  auch  bestimmte  Hypothesen  eingehen,  wie  z.  B.  die,  dass  alle 
Werthe  auf  verschieden  grosse  Arbeitszeit  zurückführbar  sein  müss- 
ten,  indem  jede  noch  so  hoch  qualificirte  Arbeit  in  Zeiteinheiten 
einer  einfachsten  Arbeitsform  ausgedrückt  werden  könne**).  Mit  der 
Einführung  dieser  und  ähnlicher  Voraussetzungen  verlässt  nun  aber 
jede  Theorie  regelmässig  zugleich  den  Boden  abstract  logischer  Be- 
trachtungen :  sie  nimmt  entweder,  wie  die  Theorie  des  Grenznutzens, 
empirisch-psychologische  Momente  zu  Hülfe,  oder  sie  stützt  sich, 
wie  die  des  Normalarbeitsmasses,  auf  socialistische  Pdstulate,  unter 
allen  umständen  also  auf  Voraussetzungen,  denen  eine  ähnliche  ab- 
stracte  Allgemeingültigkeit  wie  den  ökonomischen  Begriffen  selbst 
nicht  zugeschrieben  werden  kann,  unter  diesen  Voraussetzungen 
hat  man  mehr  und  mehr  die  psychologischen  vor  den  früher 
meist  allein  berücksichtigten  äusseren  Momenten,  die,  wie  z.  B.  die 
Seltenheit  der  Güter,  die  Kosten,  Angebot  und  Nachfrage,  erst 
directe  oder  indirecte  ViTirkungen  psychischer  Bedingungen  sind, 
bevorzugt.  Und  gewiss  mit  Recht.  Sind  doch  Gut,  Bedürfiiiss, 
Werth,  Arbeit,  diese  Grundbegriffe  des  ökonomischen  Lebens*  psycho- 
logische oder  psychophysische  Begriffe.  Die  Erscheinungen,  auf  die 
sie  sich  beziehen,  können  daher  unmöglich  exact  verfolgt  werden, 
ohne  dass  man  auf  die  Gesetze  zurückgreift,  denen  die  Lust-  und 
ünlustgefühle   in   ihrer  Abhängigkeit   von   der  Befriedigung ,    dem 


*)  Vgl.  hierher  gehörige  Ausführungen  bei  C.  Meng  er,  Grundsätze  der 
Volkswirthschaftslehre,  1871,  S.  100  ff.,  E.  Saz,  Grundlegung  der  theoretischen 
Staatswirthschaft,  1887,  S.  256  ff.,  M.  Naumann,  Die  Lehre  vom  Werth,  1893^ 
S,  26  ff. 

**)  Vgl.   hierzu   die  Bemerkungen   über  die  Theorie   der  .Mehrwerthe^ 
unten  S.  6^0  ff. 


Abstracie  Wirthachaftstheorie.  521 

Hangel,  der  Arbeit  und  von  dem  Ineinandergreifen  verschiedener  in 
Wettstreit  stehender  Bedürfnisse  folgen  "**).  Aber  diese  psychologische 
Aufgabe  ist  nicht  nur  eine  äusserst  schwierige,  sondern  sie  ist  eine 
solche,  die  eine  abstracte  Theorie  Ton  allgemeingültiger  Bedeutung 
von  Tomherein  ausschliesst.  Liesse  sich  auch  allenfalls  noch  auf 
Grund  allgemeiner  psychologischer  Abstractionen  über  die  Gesetze 
des  Gefühlslebens  eine  exacte  Functionsbeziehung  zwischen  der  Grösse 
eines  Bedürfnisses  und  der  zu  seiner  Befriedigung  vorhandenen 
Gütermenge  als  allgemeiner  Ausdruck  der  Grösse  des  Werthes  unter 
der  Annahme,  dass  nur  ein  Bedürfniss  in  Betracht  zu  ziehen  sei, 
und  ebenso  eine  wahrscheinlich  in  seiner  Form  dem  allgemeinen 
psychophysischen  Gesetze  gleichende  Relation  zwischen  Werth- 
zunahme  und  Güterzimahme  unter  der  gleichen  Voraussetzung  finden, 
so  wird  doch,  sobald  mehrere  Bedürfnisse  mit  einander  in  Wett- 
streit gerathen,  deren  jedes  sich  in  Theilbedürfnisse  von  mehr  oder 
minder  rasch  abnehmender  Intensität  zerlegen  lässt,  das  Problem  so 
verwickelt,  dass  sich  an  eine  allgemeine  Lösung  desselben  nicht 
mehr  denken  lässt.  Und  selbst  wenn  man  sich  auf  eine  Lösung 
in  schematisch-hypothetischer  Form  beschränken  wollte,  würde  das 
wegen  der  unendlichen  Variabilität  der  Gefühlsvorgänge  für  die 
concrete  Lösung  ökonomischer  Aufgaben  kaum  eine  nennenswerthe 
Bedeutung  haben.  Vielmehr  wird  eine  derartige  psychologische 
Analyse  erst  in  der  nachträglichen  Anwendung  auf  die  Interpretation 
bereits  abgelaufener  ökonomischer  Erscheinungen  ihren  Werth  haben, 
vermöge  des  allgemeinen  Charakters  der  Psychologie,  die  nicht  eine 
a  priori  mathematisch  deducirende,  sondern  eine  auf  Grund  ge- 
gebener Inductionen  analysirende  Hülfsdisciplin  der  Geisteswissen- 
schaften ist.  Mit  einer  solchen  psychologischen  Interpretation  voll- 
zieht sich  daher  von  selbst  der  üebergang  aus  der  abstracten  Wirth- 
schaftstheorie  in  die  concrete  Volkswirthschafbslehre '*''*'). 


*)  Die  Nothwendigkeit  einer  solchen  psychologischen  Gnindlegung  mittelst 
der  Gefühlslehre  ist  besonders  eindringlich  von  £.  Saz  (Die  neuesten  Fort- 
schritte der  nationalOkonomischen  Theorie,  1889)  und  von  M.  Naumann  (a.  a.  0.) 
horrorgehoben  worden.  Aber  auch  sonst,  namentlich  bereits  bei  Menger,  liegt 
eine  psychologische  Betrachtung  den  Auseinandersetzungen  der  Vertreter  der 
Theorie  des  Grenznutzens  zu  Gininde;  und  man  darf  vieUeicht  umgekehrt 
ngen,  dass  die  wachsende  Erkenntniss  der  Nothwendigkeit  einer  psychologi- 
schen Fundirung  der  allgemeinen  Wirthschaftsbegriffe  wesentüch  zu  der  Ver- 
breitung dieser  Theorie,  wenn  auch  bei  manchen  NationalOkonomen  in  modifi- 
cirter  Form  oder  bloss  für  einen  Theil  der  Erscheinungen,  beigetragen  hat. 

**)  Allerdings  haben  die  Vertreter  der  mathematischen  Wirthschaftstheorie, 


522  Logik  der  Gesellscbaftswissenschaflen. 


c.   Die  concrete  Volkawirtbschaftslehre. 

Da  die  concreten  gesellschaftlichen  Zustände  stets  die  Ergeb- 
nisse geschichtlicher  Entwicklung  sind,  so  beruht  die  Erkenntniss 
derselben  in  erster  Linie  auf  historischer  Forschung,  in  zweiter  auf 
allen  den  Hülfsmitteln,  die  der  Untersuchung  der  in  der  Gegenwart 
gegebenen  Zustände  zu  Gebote  stehen.  Insbesondere  ist  es  da- 
her die  Statistik,  die  hier  die  geschichtliche  Untersuchung  er- 
gänzen muss.  Durch  diese  Vereinigung  der  sämmtlichen  Hülfs- 
mittel,  die  die  empirische  Erforschung  der  thatsächlichen  Wirth- 
schaftszustände  und  ihrer  Entstehung  zur  Verfügung  hat,  tritt  die 
concrete  Volkswirthschaftslehre  in  einen  logischen  Gegen- 
satz zur  abstracten  Wirthschaftstheorie.  Für  diesen  Gegensatz  ist 
namentlich  die  verschiedenartige  Verwendung  der  statistischen  That- 
'  Sachen  bezeichnend.  Während  dieselbe  in  der  Wirthschaftstheorie 
höchstens  zur  Verification  und  quantitativen  Abschätzung  der  Ergeb- 
nisse, die  auf  dem  Wege  logischer  Deduction  gewonnen  sind,  dienen 
kann,  wobei  freilich  nicht  selten  aus  den  oben  erörterten  Gründen 
die  Uebereinstimmung  ganz  ausbleibt,  betrachtet  die  concrete  Wirth- 
schaftslehre  das  statistische  Material  als  Grundlage  ihrer  In- 
ductionen.  Damit  hängt  zusammen,  dass  die  abstracte  Theorie 
von  diesem  Hülfsmittel  zugleich  einen  beschränkteren  Gebrauch 
macht:   sie  begnügt  sich  mit  der  Auslese  jener  Zahlen  der  Wirth- 


J  ey  0 n 8  uod  W a  1  r  a 8 ,  jene  Verwicklung  der  Probleme,  welche  durch  den  Rück- 
gang auf  die  p87chologi8chen  Grundlagen  der  Gefühlstheorie  entsteht,  zu  ver- 
meiden gewusst.  £8  wurde  ihnen  dies  aber  doch  nur  dadurch  möglich,  dass 
sie  an  Stelle  der  psychologischen  äussere  Ökonomische  Begriffe,  wie  Nachfrage, 
Angebot,  Preis  u.  dergl.,  einführten,  wodurch  dann  das  Hereingreifen  jener  ver- 
änderlichen psychischen  Factoren  umgangen,  aber  auch  freilich  eine  im  psycho- 
logischen Sinne  erklärende  Theorie  nicht  gegeben  wurde.  Eine  mathematische 
Theorie  ist  eben  nur  unter  Abstraction  von  allen  besonderen  psychologischen 
Gefühlsgesetzen  auf  Grund  der  rein  logisch^ökonomischen  Definition  der  Wirth- 
schaftsbegriffe  möglich.  Es  werden  in  Folge  ctessen  aber  auch  alle  besonderen 
quantitativen  FeststeUungen  über  die  Relationen  der  ökonomischen  Grössen  rein 
hypothetisch,  und  es  ist  nicht  zu  erwarten,  dass  sie  auch  nur  in  einem  einzigen 
Fall  mit  der  Wirklichkeit  übereinstimmen  werden.  Damit  ist  diesen  Unter- 
suchungen nicht  im  geringsten  ihr  Werth  genommen,  sondern  es  ist  nur  ge- 
sagt, dass  dieser  Werth  eben  zum  wesentlichsten  Theile  in  der  ezacten  De- 
finition der  Begriffe  und  in  der  Feststellung  der  ezacten  Verhältnisse  derselben 
besteht. 


Concrete  Volkswirthschaftslehre.  523 

scfaaftssiatistik,  die  auf  die  Ergebnisse  ihrer  Deductionen  unmittel- 
bar Bezug  haben.  Die  concrete  Untersuchung  dagegen  sucht  die 
sämmtlichen  Thatsachen  zu  verwerthen,  die  für  den  socialen  Zu- 
stand bedeutsam  sein  können;  namentlich  schenkt  sie  neben  der 
Wirthschafts-  auch  der  Bevölkerungsstatistik  ihre  Aufmerksamkeit. 
Der  ursprünglich  für  diese  Untersuchungen  gebrauchte  Ausdruck 
»historische  Nationalökonomie '^  ist  daher  jedenfalls  ein  zu  beschränkter. 
Immerhin  bleibt  der  historischen  Betrachtung  eine  sehr  wichtige 
Aufgabe;  denn  überall  da,  wo  man  ein  causales  Verständniss  ge- 
gebener wirthschafklicher  Zustände  zu  gewinnen  sucht,  kann  dies 
nur  auf  dem  Wege  der  geschichtlichen  Entwicklung  geschehen, 
während  die  Statistik  dazu  dient,  die  Zustände  selbst  in  ihrem  Detail 
festzustellen,  üeberdies  ist  die  Statistik  wegen  der  kurzen  Dauer 
ihrer  methodischen  Anwendungen  auf  die  Zustände  einer  weiter 
zurückliegenden  Vergangenheit  nur  unter  den  beschränkenden  Be- 
dingungen anwendbar,  die  die  mangelhafte  Beschaffenheit  der  üeber- 
lieferungen  mit  sich  bringt*). 

Die  geschichtlichen  Aufgaben  der  concreten  Volkswirth- 
schaftslehre erstrecken  sich  wieder  nach  zwei  Richtungen.  Indem 
die  historische  Forschung  einzelnen  Bedingungen  des  wirthschafi;- 
lichen  Lebens  nachgeht,  ergibt  sich,  dass  diese  an  dem  allgemeinen 
Flusse  des  geschichtlichen  Werdens  theilnehmen,  und  es  erwächst 
so  zunächst  die  Aufgabe,  die  individuellen  wirthschaftlichen  Er- 
scheinungen von  den  sonstigen  Vorgängen  der  Culturgeschichte 
abzusondern  und  in  ihren  ursächlichen  Beziehungen  zu  den  poli- 
tischen und  socialen  Zuständen  historisch  zu  verfolgen.  Als  Resultat 
dieser  Untersuchungen  ergibt  sich  eine  Geschichte  des  Wirt h- 
schaftslebens  der  einzelnen  Völker,  die  ebenso  sehr  dazu 
bestimmt  ist,  der  allgemeinen  historischen  Untersuchung  Gesichts- 
punkte für  das  Verständniss  der  geschichtlichen  Vorgänge  entgegen- 
zubringen, wie  der  Erkenntniss  der  in  der  Gegenwart  bestehenden 
concreten  wirthschaftlichen  Zustände  die  Wege  zu  bereiten.  Diese 
Untersuchung  steht  demnach  ebensowohl  im  Dienste  der  eigentlichen 
Geschichte  wie  in  dem  der  Volkswirthschaftslehre.  Indem  nämlich 
mittelst  individueller  Vergleichungen  und  so  viel  als  möglich  an  der 
Hand  der  statistischen  Data,  die  sich  urkundlichen  üeberlieferungen 
entnehmen  lassen,  die  Wirthschaftszustände  der  einzelnen  Territorien 
und  Zeiten  erforscht  werden,  bildet  zunächst  die  sich  hieraus  ergebende 


*)  Vgl.  oben  Cap.  III,  S.  850  f. 


524  Logik  der  GesellschaflBwissenschafteiL 

indiTiduelle  WirÜischaftsentwicklung,  wie  schon  früher  (S.  328,  349) 
erörtert,  eine  wichtige  Grundlage  für  das  Yerstandniss  der  politischen 
wie  der  culturgeschichtlichen  Vorgänge.  Eine  so  gewonnene  indi- 
viduelle Wirthschaftsgeschichte  dient  aber  auch  der  Volkswirth- 
schaftslehre  in  einem  ähnlichen  Sinne,  in  welchem  die  Geschichte 
überhaupt  das  Yerstandniss  gegenwärtiger  Zustände  vermittelt,  in- 
sofern nämlich  als  die  Vergangenheit  den  Hauptantheil  der  cau- 
salen  Bedingungen  gegenwärtiger  Erscheinungen  in  sich  birgt.  Da 
die  Volksförthschaftslehre  neben  ihren  theoretischen  auch  praktische 
Aufgaben  verfolgt,  und  in  diesem  Interesse  den  bei  den  heutigen 
Culturvölkem  bestehenden  Wirthschaftsformen  ihre  besondere  Auf- 
merksamkeit zuwendet,  so  ist  daher  diese  Methode  der  individuellen 
historischen  Betrachtung  insbesondere  in  der  Anwendung  auf  die 
näher  zurückliegende  Vergangenheit  in  ihrem  üebergang  zur  Gegen- 
wart für  die  Volkswirthschaft  selbst  von  Wichtigkeit*). 

In  dieser  volkswirthschaftlichen  Verwerthung  bleibt  nun  aber 
die  historische  Untersuchung  nicht  bei  der  individuellen  Betrach- 
tung stehen.  Denn  die  wirthschaftlichen  Erscheinungen  gehören  zu 
jenen  Bestandtheilen  der  Geschichte,  die  nicht,  wie  im  allgemeinen 
das  politische  Leben,  in  eine  grosse  Summe  singulärer  Verkettungen 
auseinanderfallen,  so  dass  in  ihnen  nur  eine  ganz  abstracto  Be- 
trachtung gewisse  regelmässige  Beziehungen,  wie  sie  sich  zu  den 
früher  (S.  407  ff.)  betrachteten  historischen  Beziehungsgesetzen  for- 
muliren  lassen,  aufzufinden  vermag;  sondern  das  «wirthschaftliche 
Leben  gehört  zu  jenen  CoUectiverscheinungen,  die,  wie  die  Sprache, 
die  Sitte,  in  weitem  Umfange  auch  das  Recht,  Entwicklungsformen 
darbieten,  die  zwar  in  manchen  einzelnen  Bestimmungen  abweichen, 
in  gewissen  Grun,dzügen  aber  auch  da  übereinstimmen,  wo  die  con- 
creten  Entwicklungen  ausser  jedem  historischen  Zusammenhang 
stehen.  Diese  allgemeinen  wirthschaftlichen  Entwicklung»- 
gesetze  aufzufinden  ist  ein  Hauptproblem  der  historischen  Volks- 
wirthschaftslehre.  Zu  diesem  Zweck  muss  sich  aber  an  die 
individuell  -  historische  Vergleichung  der  einzelnen  Wirthschafts- 
entwicklungen  eine  generische  anschliessen ,  die  den  verschiedenen 
Wirthschaftsbegriffen,  abstrahirend'  von  den  concreten  Verbindungen 
in  denen  sie  vorkommen,  in  ihren  räumlich  und  zeitlich  getrennten 
Erscheinungsformen  nachgeht.     Die  Aufgabe  einer  solchen  allge- 


*)  Ueber  die  Hülfsmittel  der  historischen  Statistik  vgl.  G.  von  May r, 
Statistik  und  Gesellschaftslehre,  I,  S.  24  fP. 


Goncrete  Volkswirthschaftilehre.  525 

meinen  Wirthschaftsgeschichte  ist  es  demnach,  zunächst  die 
allgemeine  Entwicklungsgeschichte  der  Wirthschaftsformen, 
der  Haus«,  Stadt-,  Volkswirthschaft  u.  s.  w.,  sodann  die  der  ein- 
zelnen Wirthschaf tsbegrif fe  in  ihrer  Anwendung  auf  die 
Wirklichkeit  des  wirthschaftlichen  Lebens,  wie  der  Arbeit,  der 
Arbeitstheilung,  des  Werthes,  Preises,  Lohnes,  Geldes,  Capi- 
tals  u.  8.  w.,  endlich  die  der  einzelnen  Wirthschaftsgebiete,  der 
Viehzucht,  des  Landbaus,  des  Gewerbee,  des  Handels,  zu  verfolgen. 
Dabei  sind  naturgemäss  auch  die  abzuleitenden  Entwicklungsgesetze 
um  so  genereller,  um  je  allgemeinere  Begriffe  es  sich  handelt. 
Am  wenigsten  fQgen  sich  daher  die  Objecte  der  dritten  Classe 
der  Subsumtion  unter  allgemeine  Entwicklungsgesetze,  und  in  der 
That  bilden  dieselben  eine  Art  von  üebergangsgebiet  zwischen 
der  allgemeinen  Entwicklungsgeschichte  des  wirthschaftlichen  Lebens 
und  der  individuellen  Wirthschaftsgeschichte.  Auch  da  wo  sich  die 
erstere  auf  ihrem  eigensten  Boden  befindet,  in  der  Genese  der  all- 
gemeinen Wirthschaftsformen  und  Wirthschaftsbegriffe ,  wird  sie 
aber  zu  einer  weitgehenden  Abstraction  theils  von  den  Besonder- 
heiten der  individuellen  Entwicklung,  theils  und  namentlich  von  den 
niemals  fehlenden  üebergangsstufen  derselben  genöthigt,  um  ge- 
wisse begrifflich  scharf  gegen  einander  abgegrenzte  Entwicklungs- 
stufen fixiren  zu  können,  die  in  der  Wirklichkeit  natürlich  nicht  in 
dieser  Trennung  vorkommen.  So  geht  die  Hauswirthschaft  nicht 
mit  einem  Male  in  die  Stadt-  und  diese  in  die  Volkswirth- 
schaft, so  der  Tausch-  nicht  unvermittelt  in  den  Geld-  und  dieser 
in  den  Greditverkehr  Ober,  sondern  es  finden  sich  hier  überall 
Zwischenstufen,  die  lange  Zeiträume  einnehmen  und  geschichtlich 
eme  hervorragende  Bedeutung  besitzen  können.  Diese  üebergangs- 
stufen, die  in  den  schematischen  Gliederungen  der  wirthschaft- 
lichen Entwicklungsgesetze  nicht  zum  Ausdruck  kommen,  sind  so- 
gar für  die  Interpretation  der  generellen  Gesetze  von  besonderer 
Bedeutung.  Denn  gerade  ihnen  müssen  die  Bedingungen  ent- 
nommen werden,  die  jeweils  das  Verlassen  der  vorangegangenen 
und  den  TJebei^ang  in  die  folgende  Stufe  begreiflich  machen.  Diese 
Interpretation  selbst  kann  aber  natürlich  in  letzter  Instanz  überall 
nur  eine  psychologische  sein,  während  die  besonderen  Cultur- 
bedingungen  als  äussere  bestimmende  Momente  in  Rechnung  kom- 
men. Hier  steht  daher  die  generelle  Wirthschaftsgeschichte  einer- 
seits hinsichtlich  der  allgemeinen  Gesichtspunkte  psychologischer  Be- 
urtheilung  mit  der  Völkerpsychologie,   anderseits  in  den  That- 


526  Logik  der  Gesellschaf iBwiBseuBcliafteii. 

Sachen  auf  die  sie  sich  stützt  mit  der  Ethologie  in  nächster  Be- 
ziehung*). 

Der  so  nach  zwei  Richtungen  auseinandergehenden  geschicht- 
lichen Forschung  steht  nun  die  Betrachtung  des  Zusammenhangs 
gegebener  Zustande  als  die  systematische  Aufgabe  der  Volks- 
wirthschaftslehre  gegenüber.  Indem  sich  nämlich  die  gesammten 
Wirthschaftszustände  eines  Volkes  in  verschiedene  Wirthschafts- 
gebiete  scheiden,  die  doch  sämmtlich  unter  einander  zu  einer  Ein- 
heit verbunden  werden,  sind  für  diese  Untersuchung  im  wesentlichen 
die  nämlichen  logischen  Gesichtspunkte  massgebend,  die  für  jedes 
einheitliche  Begriffsystem  gelten.  Unter  Zuhülfenahme  der  von  der 
abstracten  Wirthschaftstheorie  bestimmten  allgemeinen  Wirthschafts- 
begriffe  handelt  es  sich  daher  hier  darum  zunächst  das  der  Betrach- 
tung unterworfene  Wirthschaftsganze  in  seinem  allgemeinen  Zu- 
sammenhang mit  den  bestehenden  Gesellschafks-,  Verfassungs-  und 
Rechtszuständen  zu  untersuchen,  und  dann  die  einzelnen  Wirth- 
schafbsgebiete,  aus  denen  jenes  Gknze  besteht,  wie  Land-  und  Forst- 
wirthschaft,  Gewerbe  und  Handel,  Verkehrswesen,  endlich  den  alle 
diese  einzelnen  Gebiete  umschliessenden  staatlichen  Finanzhaushalt, 
einer  Eleihe  successiver  Sonderbetrachtungen  zu  unterziehen.  Da- 
bei zeigt  es  sich  überall,  dass  das  Ganze  dieser  Untersuchungen 
nicht  bloss  in  dem  Sinne  einen  systematischen  Charakter  hat,  als 
auf  die  concreten  Erscheinungen  des  wirthschaftlichen  Lebens  überall 
das  nämliche  System  allgemeiner  Wirthschaftsbegriffe  anwendbar 
ist,  die  nur  in  jedem  Gebiet  durch  die  besonderen  Eigenschaften 
der  Objecte  modificirt  werden,  sondern  dass  auch  der  Zusammenhang 
der  einzelnen  Wirthschaftsgebiete  unter  einander  einen  organi- 
schen Charakter  besitzt.  Dieser  besteht  hier  wie  überall  darin, 
dass  sich  die  Theile  wechselseitig  bestimmen,  und  dass  sie  ebenso- 
wohl durch  die  Zwecke  des  Ganzen  bestimmt  werden,  wie  sie  selbst 
wieder  auf  diese  Zwecke  von  Einfluss  sind.  Dies  ist  der  Grund, 
weshalb  das  Wirthschaftssystem,  ebenso  wie  andere  in  Staat  und 
Gesellschaft  bestehende  Cultursysteme,  z.  B.  die  Sitte,  das  Recht, 
als  eine  eigenthümliche  Form  psychophysischer,  aber  in  ihren  letzten 
Gründen  psychisch  bedingter  Organisation  mit  dem  physischen 
Organismus  in  Analogie  gebracht  werden  kann.  Dabei  weist  aber 
zugleich  diese  Analogie  über  sich  selbst  hinaus,  da  in  dem  Ghknzen 

♦)  Vgl.  oben  Cap.  II,  S.  231,  Cap.  III,  S.  369  ff.  Ueber  Wirthschafts- 
gesetze  als  eine  spedelle  Form  historiscber  Entwicklungsgesetze  vgl.  ansserdem 
S.  394,  Über  ihre  Bedeutung  als  sociale  Gesetze  unten  8.  614  ff. 


Concrete  Volks wirthschaftslehre.  527 

der  menschlichen  Gemeinschaft  das  Wirthschaftsleben  immerhin  nur 
die  Bedeutung  eines  Systems  von  Organen  neben  andern  beanspruchen 
kann.  Die  organische  Betrachtung  der  Yolkswirthschaft  fordert  auf 
diese  Weise  eine  Eingliederung  derselben  in  das  umfassendere  System 
der  Staats-  und  Gesellschaftslehre*). 

Die  Methoden  der  concreten  Volks¥mrthschaftsl6hre  in  diesem 
ihrem  systematischen  Theile  zerfallen  im  wesentlichen  in  zwei 
Hauptmethoden:  in  die  statistische  Untersuchung  der  einzelnen 
Wirthschaftsbetriebe  und  ihrer  Factoren,  und  in  die  allgemeine 
sociologische  Erforschung  der  Organisationsformen  des.  wirthschaft- 
lichen  Lebens.  Die  erste  dieser  Methoden,  die  systematische 
Wirthschaftsstatistik,  zerfällt  wieder  in  zwei  Verfahrungs- 
weisen,  von  denen  das  erste  die  Haupt-,  das  zweite  die  Hülfs- 
methode  genannt  werden  kann.  Die  Hauptmethode  der  Wirth- 
schaftsstatistik besteht  nämlich  in  allen  den  planmässig  ausgeführten 
numerischen  Feststelluügen,  denen  sich  die  quantitativen  Eigen- 
schaften der  einzelnen  Wirthschaftsbetriebe  im  ganzen  wie  in  ihren 
Bestandtheilen,  in  ihren  absoluten  wie  in  ihren  relativen  Werthen 
entnehmen  lassen.  Es  ist  dies  das  gewöhnlich  im  engeren  Sinne 
als  , Wirthschaftsstatistik''  bezeichnete  Gebiet,  dessen  hauptsäch- 
lichste Aufgaben  realstatistischer  Natur  sind  und  nur  in  den 
Beziehungen,  wo  sich  die  Probleme  mit  denen  der  Bevölkerungslehre 
berühren,  zum  Theil  mit  personalstatistischen  sich  verbinden,  wie 
z.  B.  in  der  personalen  Gewerbe-,  Arbeiterstatistik  u.  s.  w.**).  Diese 
eigentliche  Statistik  liefert  nun  aber  kein  zureichendes  Bild  der 
wirthschaftUchen  Zustände.  Theils  kann  der  Statistiker,  angewiesen 
auf  die  hauptsächlich  nur  von  beschränkteren  praktischen  Interessen 
geleitete  amtliche  Erhebung,   nicht   auf  alle  Fragen  eine  Antwort 


^  Von  den  Vertretern  der  .biologischen  Methode'  in  der  GesellBchafbs- 
lehre,  wie  z.  B.  von  A.  Schäffle,  wird  daher  auch  der  Znsammenhang  der 
Volkswirthachaftslehre  mit  dem  Ganzen  der  Staatswissenschaft  besonders  stark 
betont  (VgL  oben  S.  488  ff.)  Speciell  für  die  Yolkswirthschaft  ist  der  orga- 
lösche  Zusammenhang  ihrer  einzelnen  Gebiete  unter  einander  und  mit  den  ge- 
sammten  gesellschaftlichen  Zuständen,  im  Gegensatz  zur  individualisirenden 
Betrachtung  der  Smith*schen  Schule,  wohl  zuerst  von  E.  Dietzel  (Die  Yolks- 
wirthschaft und  ihr  Yerhältniss  zu  Gesellschaft  und  Staat,  1864)  hervorgehoben 
worden.  Den  nämlichen  Gedanken  führt,  namentlich  im  Hinblick  auf  die  wirth- 
schaftlicben  Entwicklungsgesetze,  AI  fr.  Wenzel  aus  in  seinen  Beiträgen  zur 
Sodalwirthschaftslehre,  Phil.  Stud.  X,  S.  431  ff.,  604  ff. 

**)  Üeber  die  unterschiede  der  Personal*  und  Realstatistik  im  allgemeinen 
Tgl.  oben  S.  458. 


528  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

erhalten,  die  gestellt  werden  können;  theils  sind  die  Antworten  Über- 
haupt wegen  ihrer  generellen,  überall  nur  GoUectiv-  oder  Durch- 
schnittswerthe  angebenden  Beschaffenheit  nicht  geeignet  ein  Detail- 
bild des  wirthschaftlichen  Lebens  zu  geben.  So  tritt  hier,  in  neuerer 
Zeit  einen  immer  weiteren  umfang  einnehmend,  die  Einzelerhe- 
bung (die  sogenannte  Enquete)  der  Massenstatistik  als  HOlfsmethode 
zur  Seite.  Sie  besteht  in  der  sorgfältigen  Ermittelung  der  Verhält- 
nisse der  einzelnen  in  ein  concretes  Wirthschaftsganzes  eingehenden 
Privatwirthschafben.  Da  es  selbstverständlich  unmöglich  ist,  die 
sämmtlichen  individuellen  Fälle,  z.  B.  alle  Privatwirthschaften  eines 
Gewerbes,  mit  Rücksicht  auf  das  Budget  des  Haushaltes,  Oeschäfts- 
gewinn  und  -verlust,  Zahl  der  Arbeiter,  Wohnungs-  und  sonstige 
LebensverhältniBse  derselben,  zu  untersuchen,  so  beschränkt  sich 
die  ^inzelerhebung  auf  eine  Anzahl  typischer  Beispiele,  die  mög- 
lichst den  verschiedenen  Schichten  des  Wirthschaftsganzen  entnommen 
werden.  Ist  auf  diese  Weise  ein  System  planmässig  ausgeführter 
Einzelerhebungen  entstanden,  so  ergänzt  nun  dasselbe  die  Resultate 
der  eigentlichen  Statistik  in  der  wirksamsten  Weise.  Oibt  diese  über 
den  Gesammtzustand  der  untersuchten  Wirthschaftseinheit  Rechen- 
schaft, so  lässt  jenes  die  Einzelzustände  und  die  Breite  der  Schwan- 
kungen beurtheilen,  die  in  dem  betreffenden  Lebensgebiet  vorkommen. 
Natürlich  hat  die  Statistik  vor  der  Einzelerhebung  den  Vorzug  der 
grösseren  *Objectivität.  Ihre  Zahlen  bleiben,  falls  sie  nicht  absicht- 
lich gefälscht  sind,  unter  allen  Umständen  wahr.  Bei  der  Einzel- 
erhebung steht  aber  die  Wahl  der  typischen  Beispiele  frei:  absicht- 
lich vrie  unabsichtlich  kann  darum  hier  das  Bild  im  einzelnen  treu 
und  dennoch,  insofern  es  eine  typische  Bedeutung  haben  soll,  falsch 
sein.  Umgekehrt  hat  die  Statistik  den  Nachtheil,  dass  sich  in  ihr 
ein  gewisser  mittlerer  Zustand  allzusehr  in  den  Vordergrund  drangt, 
während  die  Grenzfälle,  die  namentlich  in  socialer  Beziehung  schwer 
ins  Gewicht  fallen,  im  Hintergrund  bleiben.  Das  Hauptstreben  der 
methodischen  Untersuchung  hier  wie  dort  ist  daher  auf  möglichste 
Ausgleichung  dieser  Mängel  gerichtet.  Das  geschieht  bei  der  Stati- 
stik durch  thunlichste  Specialisirung  der  Gruppen,  bei  der  Einzel- 
erhebung  durch  eine  planmässige  Vertheilung  der  als  Typen  aus- 
gewählten Fälle,  die  von  vornherein  die  Willkür  ausschliesst*). 

Die  sociologische  Methode  tritt  nun  diesen  beiden  Formen 

*)  Vgl.  Specielleres  über  die  Einzelerhebungen  und  die  Fehlerquellen 
derselben  beiG.  Schnapper-Arndt,  Zur  Methodologie  der  socialen  Enqudten 
1888,  und  G.  von  Mayr,  Statistik  und  Gesellschafbslehre,  I,  S.  8  ff . 


Theoretische  und  praktische  Nationalökonomie.  529 

statistischer  Erhebung  ergänzend  zur  Seite,  indem  sie  der  qualitativen 
Ennittelung  der  typischen  Formen  der  Wirthschaftsorganisation  zu- 
gewandt ist.  Diese  Organisationsformen  sind  aber  wieder  doppelten 
Ursprungs.  Einerseits  beruhen  sie  auf  dem  allen  socialen  Bildungen 
innewohnenden,  durch  die  Bedürfnisse  der  Einzelnen  und  ihre  Wechsel- 
wirkungen geregelten  Trieb  zur  Selbstorganisation.  Anderseits  greift 
in  diesen  Trieb,  theils  die  vorhandenen  Entwickelungen  lenkend, 
theils  selbständig  Organisationen  begründend,  die  staatliche  Fürsorge 
ein,  so  dass  bei  diesem  Punkte  das  Wirthschaftsleben,  ebenso  wie 
die  andern  wichtigeren  Gestaltungen  des  socialen  Lebens,  mit  der 
rechtlichen  Organisation  des  Staates  in  den  innigsten  Wechsel- 
beziehungen steht.  Dies  ist  der  Grund,  weshalb  die  Probleme  der 
Wirthschaftsorganisation  zu  einem  wesentlichen  Theile  immer  zu- 
gleich Probleme  der  Staatswissenschaft  sind,  wie  ja  die  letztere  über- 
haupt ihrer  allgemeineren  Aufgabe  nach  selbst  nichts  anderes  als  eine 
Organisationslehre  der  Gesellschaft  ist.  Dieser  Zusammenhang  tritt 
b^edf  lieber  Weise  besonders  bei  den  praktischen  Fragen  des  Wirth- 
schaftslebens  zu  Tage,  bei  denen  die  Auseinandersetzung  mit  den 
concreten  staatlichen  und  rechtlichen  Zuständen  am  wenigsten  zu 
vermeiden  ist,  da  sich  aus  diesen  nicht  nur  die  für  das  wirthschaft- 
liche  Leben  entscheidenden  äusseren  Bedingungen  ergeben,  sondern 
auch  aus  diesem  Leben  und  aus  den  von  ihm  getragenen  socialen 
Zuständen  Forderungen  an  die  Thätigkeit  des  Staates  erhoben  werden. 
In  Folge  dieser  Verhältnisse  besitzen  alle  hier  in  Rede  stehenden 
praktischen  Anwendungen  der  Yolkswirthschaftslehre  durchaus  den 
Charakter  eines  Zwischengebietes  zwischen  ihr  und  der  Staatswissen- 
schaft,  eine  Stellung  die  in  dem  meist  für  sie  gebrauchten  Namen 
der  „Wirthschaftspolitik"  unmittelbar  ausgedrückt  ist.  Bei  der  grossen 
Bedeutung  der  Yolkswirthschaftslehre  für  das  praktische  Leben  ist  nun 
die  klare  Sonderung  der  so  sich  ergebenden  zwei  Hauptgebiete  der 
theoretischen  und  der  praktischen  Nationalökonomie  und 
die  genaue  Bestimmung  der  wissenschaftlichen  Zwecke  einer  jeden 
von  ihnen  eine  wichtige  logische  Aufgabe. 

d.    Theoretische  und  praktische  Nationalökonomie. 

Das  System  der  theoretischen  Nationalökonomie  stand  bis  auf 
die  neueste  Zeit  namentlich  in  Deutschland  noch  vielfach  unter  dem 

■ 

Einflüsse  der  Staatswissenschaft,  von  der  es  sich  zusammen  mit 
der  Statistik  und  Bevölkerungslehre  abgezweigt  hatte.     Dieser  üm- 

Wundt,  Logik.  II,  2.    s.  Aufl.  34 


530  Logik  der  GeseUschaftswissenschafteii. 

stand  begünstigte  eine  Vermengung  der  theoretischen  mit  den  prak- 
tischen Aufgaben  und  stand  einer  scharfen  logischen  Scheidung  beider 
Gebiete  im  Wege.  Die  von  Adam  Smith  und  Ricardo  be- 
gründete abstracte  Wirthschaftstheorie  arbeitete  zwar  einer  solchen 
Scheidung  vor;  aber  indem  die  Schule  des  ökonomischen  Liberalis- 
mus die  unmittelbare  üeberführung  der  Theorie  in  die  Praxis  er- 
strebte, war  auch  sie  unfähig  diese  Aufgabe  mit  genügender  Klar- 
heit durchzuführen.  Dazu  kam,  dass  sie  nur  für  die  eine  Seite  der 
Theorie,  die  des  logischen  Zusammenhangs  der  Begriffe,  nicht  aber 
für  die  andere,  nicht  minder  wesentliche,  für  die  psychologische  und 
geschichtliche  Entwicklung  der  Begriffe,  ein  Verstandniss  besass. 
So  kam  es,  dass  erst  die  neuere  Zeit,  welche  die  Ansprüche  der 
abstracten  und  der  concreten  Forschung  gerechter  gegen  einander 
abzuwägen  begann,  den  realen  Bedürfnissen  der  Gebietsscheidung 
mehr  zu  entsprechen  suchte.  Doch  herrscht  noch  jetzt  ein  gewisser 
Zwiespalt  der  Meinungen  darüber,  inwieweit  die  Unterscheidung 
eines  theoretischen  und  eines  praktischen  Theils  der  Nationalökonomie 
überhaupt  gerechtfertigt,  oder,  falls  man  dies  zugesteht,  in  welchem 
Umfange  die  mit  den  Hülfsmitteln  der  Geschichte  und  Statistik 
arbeitende  concrete  Yolkswirthschaftslehre  zu  dem  theoretischen  oder 
zu  dem  praktischen  Gebiet  zu  rechnen  sei*). 

Zur  theoretischen  Nationalökonomie  gehören  nun  an  und 
für  sich  alle  diejenigen  Untersuchungen,  die  der  Erkenntniss 
des  wirthschaftlichen  Lebens,  sei  es  in  seinen  allgemeingültigen 
Eigenschaften  sei  es  in  seinen  einzelnen  Gestaltungen,  dienen.  Die 
theoretische  Nationalökonomie  umfasst  also  ebensowohl  allgemeine 
wie  specielle,  abstracte  wie  concrete,  statistische  und  sociologische 
wie  historische  Probleme.  Der  praktischen  Nationalökonomie 
werden  dagegen,  entsprechend  den  allgemeinen  Aufgaben  der  tech- 
nischen Disciplinen,  lediglich  die  Anwendungen  der  in  der 
theoretischen  Untersuchung  gewonnenen  Ergebnisse  auf  die  Bedürf- 

*)  Bekämpft  wird  die  Scheidung  der  Nationalökonomie  in  einen  theoreti- 
schen und  einen  praktischen  Theil  namentlich  von  Anhängern  der  historischen 
Schule  oder  Solchen,  die  ihr  nahe  stehen:  so  von  F.  J.  Neumann,  Schönbergs 
Handbuch  der  politischen  Oekonomie,  1,  S.  184  ff.    Von  Andern,  wie  z.  B.  von 
L.  Brentano  (Die  klassische  Nationalökonomie,  1888,  S.  28),  werden  die  Be- 
griffe allgemein  und  theoretisch,    speciell  und  praktisch  identificirt.    Für  die 
Scheidung  in  , theoretisch*  und  , praktisch*  treten  dagegen  ein  Ad.  Wagner        ; 
(Grundlegung,  3.  Aufl.,   I,  S.  2  f.)  und  C.  Menger  (Untersuchungen,  S.  239  ff.        ! 
und   Grundzüge   einer  Klassification   der  Wirthschaftswissenschaften,    Conrads        \ 
Jahrbücher,  XIX,  1889).  \ 


Theoretische  und  prakÜBche  Nationalökonomie.  531 

nisse  des  praktischen  Lebens,  insbesondere  auf  die  zur  Erhaltung 
und  Förderung  der  wirthschaftlichen  Cultur  erforderlichen  politi- 
schen Massregeln  zufallen. 

Die  angemessene  Gliederung  der  theoretischen  National- 
ökonomie ergibt  sich  dann  ohne  weiteres  aus  der  logischen  Ord- 
nongy  in  der  die  oben  erörterten  Methoden  und  Hülfsmittel  abstracter 
und    concreter   Untersuchung  jenem   allgemeinen  Erkenntnisszweck 
dienen.     Da  das  theoretische  System   in  allen  seinen  Theilen  mög- 
Uchst   exacte  Definitionen  der  wirthschaftlichen  Grundbegriffe,   ihrer 
psychologischen    Bedingungen   und    ihrer    allgemeinen   Beziehungen 
voraussetzt,  so  ¥mrd  die  abstracto  Wirthschaftstheorie  in  der  ihr  oben 
zugewiesenen  Bedeutung  zunächst  die  logische  Grundlage  des  Systems 
bilden  müssen.     Daran   wird   sich  dann  zweckmässig  die   generelle 
Entwicklungsgeschichte  der  Wirthschaftsformen,  Wirthschaftsgebiete 
und  Wirthschaftsbegriffe,   wie   sie  aus  der  yergleichend  historischen 
Behandlung  entspringt,    anschliessen.     Indem   diese    unter    anderm 
zeigt,  wie  die  von  der  abstracten  Theorie  dem  heutigen  Cultursystem 
entnommenen  Begriffe  allmählich  entstanden  sind,  arbeitet  sie  einer 
starr  dogmatischen  Auffassung  derselben  entgegen,  während  sie  zu- 
gleich ein  angemessenes  Mittelglied  ist  zwischen  der  abstracten  Be- 
trachtung  und   ihren   concreten  Anwendungen  auf  die  theoretische 
Untersuchung  der  wirthschaftlichen   Zustände    der  Gegenwart,    die 
sich  den  beiden  vorigen  als  eine  dritte  Aufgabe  anschliesst.    Bilden 
jene   beiden   ersten  Aufgaben   zusammen   den   allgemeinen  Theil 
der  theoretischen   Nationalökonomie,    der  demnach   wieder  in   eine 
logisch-psychologische    und    eine   entwicklungsgeschichtliche   Unter- 
suchung   zerfällt,    so   ist    dieses    dritte   Gebiet  in  doppeltem   Sinne 
als  eine   specielle   Theorie   zu   bezeichnen:    einmal   deshalb    weil 
die  Einführung    der    besonderen    Bedingungen    des    gegenwärtigen 
Wirthschaftssystems    an   und  für  sich  der  Betrachtung   einen   spe- 
cielleren  Charakter  gibt,    sodann   aber   auch  weil  diese  Betrachtung 
neben    der  Gesamratorganisation    der    bestehenden   Wirthschaft    die 
besonderen  Wirthschaftsgebiete,   aus   denen   sich  jene   Organisation 
zusammensetzt,  nicht  von  sich  ausschliessen  kann.     Bei  der  grossen 
praktischen  Bedeutung,  die  allen  solchen  einzelnen  Fragen  zukommt, 
liegt  es   aber  allerdings   sehr  nahe,    an   diese   theoretische   Unter- 
suchung  der   einzelnen  Wirthschaftsgebiete  sofort  die   wirthschafts- 
politische  Behandlung  derselben   anzuknüpfen,   so   dass   es  gerecht- 
fertigt  erscheint,    wenn    man    hier   die    concreto    theoretische    und 
die   praktische   Aufgabe    zu    verbinden   pflegt,    worauf  dann    meist 


532  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

das  Ganze  dieser  Untersuchungen  zur  praktischen  Nationalökonomie 
gerechnet  wird.  In  diesem  Sinne  pflegt  man  also  die  National- 
ökonomie des  Ackerbaus,  der  Gewerbe,  des  Handels  u.  s.  w.  und 
namentlich  die  gesammte  Finanzwissenschaft  ohne  weiteres  dem  prak- 
tischen Theil  des  Systems  zuzuzählen,  obgleich  man  in  diesen  Capiteln 
auch  die  Theorie  der  betreffenden  Gebiete  abhandelt.  Nach  dem 
vorwaltenden  Zweck  richtet  sich  eben  auch  hier  der  Gesichtspunkt 
der  Eintheilung. 

Abgesehen  von  diesen  nur  aus  äusseren  Zweckmässigkeits- 
gründen hervorgegangenen  Verbindungen  gehört  nun  principieU  zur 
praktischen  Nationalökonomie  jede  systematische  Anwendung 
der  theoretischen  Lehren  auf  die  durch  Gesetzgebung  und  Verwaltung 
zu  beeinflussenden  Wirthschaftszustände.  Hierbei  ist  auf  den  syste- 
matischen Charakter  dieser  Anwendungen,  der  einen  ähnlichen  inneren 
Zusammenhang  derselben  begründet  wie  ihn  die  Theorie  hat,  ein 
entscheidender  Werth  zu  legen.  Denn  an  diesem  Merkmal  unter- 
scheidet sich  die  praktische  Nationalökonomie  als  Wissenschaft  von 
einer  beliebigen  Summe  vereinzelter  Anwendungen  der  Theorie  auf 
concrete  Fragen.  Die  praktische  hat  hier  zur  theoretischen  Volks- 
wirthschaft  genau  dasselbe  Verhältniss  wie  die  technische  Physik  und 
Chemie  zu  den  entsprechenden  theoretischen  Gebieten.  Es  ist  gerade 
bei  der  Nationalökonomie  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob  solche 
Anwendungen  überhaupt  als  Wissenschaft  zu  bezeichnen  seien  oder 
nicht'*').  Auf  dieses  Bedenken  ist  jedoch  zu  entgegnen,  dass  hier 
wie  überall  die  systematische  Verbindung  der  Theile  den  Charakter 
der  Wissenschaft  ausmacht.  So  wenig  wir  einzelne  Anwendungen 
theoretisch-mechanischer  Sätze  auf  eine  Maschine  eine  techniscbe 
Mechanik  nennen,  gerade  so  wenig  können  einzelne  Exemplifica- 
tionen  der  wirthschaftlichen  Theorie  eine  besondere  Wissenschaft  be- 
gründen. Indem  aber  solche  Anwendungen  in  eine  systematische 
Verbindung  gebracht  werden,  bilden  sie  ein  eigenthümhches,  in  der 
Theorie  noch  keineswegs  mitenthaltenes  Wissenschaftsgebiet,  das 
ähnlich,  wie  es  auch  ausserhalb  liegende  theoretische  Wissenschaften 
thun,  auf  die  Theorie  aus  der  es  entsprungen  befruchtend  zurück- 
wirken kann.  Das  zeigt  vor  allem  das  Vorbild  dieser  praktischen 
Disciplinen,  die  technische  Mechanik.  Wie  in  ihr  die  Anwendungen 
der    mechanischen    Theoreme    auf    besondere    Materialien    und    be- 


*)  Vgl.   über  diese  Frage  C.  Menger,   Conrads  Jahrbuch,  XIX,  S.-A. 
S.  20  ff. 


\ 


Entwicklung  des  Rechts.  533 

stimmte  constructive  oder  maschinelle  Zwecke  der  Untersuchung 
ihre  besonderen  Richtungen  anweisen,  so  geschieht  das  ähnliche 
in  der  praktischen  Yolkswirthschaft  durch  die  stete  Rücksicht- 
nahme auf  die  Bedingungen  von  Staat  und  Gesellschaft,  durch 
die  zugleich  in  diesem  Fall  die  ganze  Disciplin  zu  einem  eben- 
sowohl der  Nationalökonomie  wie  der  Staatswissenschaft  zugehörigen 
öebiet  wird.  Immerhin  hat  diese  wie  jede  praktische  Wissenschaft 
einen  halb  wissenschaftlichen  halb  technischen  Charakter,  weshalb 
man  auch  mit  Recht  unter  Wissenschaften  im  engeren  Sinne  oder 
miter  reinen  Wissenschaften  nur  die  theoretischen,  d.  h.  die  dem 
blossen  Erkenntnissbedürfniss  dienenden  zu  verstehen  pflegt. 


3.    Die  Rechtswissenschaft. 

a.    Die   Entwicklung   des   Rechts. 

Wie  Sprache,  Mythus  und  Sitte,  so  ist  auch  das  Recht  nicht 
aus  willkürlicher  IJebereinkunft  hervorgegangen,  sondern  ein  natür- 
liches Erzeugniss  des  Bewusstseins,  das  in  den  Gefühlen  und  Stre- 
bungen, die  durch  das  Zusammenleben  der  Menschen  erweckt  werden, 
seine  fortdauernde  Quelle  hat.  Es  fällt  ursprünglich  mit  der  Sitte 
zusammen  und  ist  innig  geknüpft  an  religiöse  Anschauungen,  indess 
die  Sprache  ihm  die  Symbole  leiht,  mit  deren  Hülfe  seine  Begriffe 
sich  ausbilden  und  befestigen  können.  Aber  verschieden  von  jenen 
ihm  nahe  verbundenen  Aeusserungen  des  Geistes  hat  das  Recht  unter 
dem  Zwang  der  Bedürfnisse  des  geselligen  Lebens  frühe  schon  eigen- 
thfinüiche,  in  höherem  Grade  von  willkürlichen  Eingriffen  und  ein- 
zelnen geschichtlichen  Vorgängen  abhängige  Wege  der  Entwicklung 
emgeschlagen.  Nachdem  zuerst  die  unmittelbare  Zurückführung  auf 
die  Gebote  der  Götter  die  Normen  des  Rechts  von  andern,  gleich- 
gültigeren Bestandtheilen  der  Sitte  gesondert  hatte,  folgte  unter  dem 
zunehmenden  Einfluss  weltlicher  Interessen  jener  ersten  eine  weitere 
Scheidung,  indem  sich  dem  göttlichen  ein  weltliches  Recht  von 
immer  wachsender  Ausdehnung  gegenüberstellte*).     Wie  auf  diese 


*)  Vgl.  über  diese  Differenzining  des  Rechts  bei  den  arischen  Völkern 
6.  W.  Leist,  Gräco-italische  Rechtsgeschichte»  S.  175  ff.  Bei  den  Semiten  ist 
die  Scheidung  zwischen  sacralem  und  weltlichem  Recht  niemals  vollständig 
eingetreten.  Bei  primitiven  GolturvOlkem  aber  weist  einerseits  die  ursprüng- 
liche Einheit   von  Häuptling  und  Priester  (A.  H.  Post,  Ethnologische   Juris- 


534  Logik  der  GesellscliaftswiBsenschaften. 

Weise  der  Inhalt  des  Rechts  von  der  Sitte  sich  sondert,  so  ge- 
winnt dasselbe  aber  gleichzeitig,  gegenüber  den  mit  Sprache  und 
Mythus  durch  blosse  Ueberlieferung  sich  forterbenden  Gewohnheiteo 
der  Sitte,  eigenthümliche  Formen  seiner  Auffindung  und  An- 
wendung. Auch  sie  entstammen  ursprünglich  dem  sacralen  Recht. 
Wie  bei  diesem  der  Mund  des  Priesters  die  Gebote  eines  Gottes  ver- 
kündet und  deutet,  so  bleibt  fortan,  auch  nachdem  das  Recht  welt- 
lich geworden  ist,  die  Feststellung  der  Rechtsnorm  für  jeden 
einzelnen  Fall  nicht,  wie  bei  der  Sitte,  dem  insünctiyen  Takt  Aller 
überlassen,  sondern  sie  ist  die  persönliche  und  bewusste  Hand- 
lung eines  Einzelnen  oder  einer  dazu  ausersehenen  Gemeinschaft.  So 
wird  mit  dem  Recht  das  Richteramt  geboren.  Jede  Rechtsnorm 
aber  besteht  ursprünglich  nur  in  der  von  Fall  zu  Fall  geschehenden 
Feststellung  dessen  was  Recht  sei.  Indem  für  diese  Feststellungen 
gleichförmige  Regeln  sich  ausbilden,  entspringt  dann  aus  solchen 
individuellen ,  durch  das  natürliche  Gerechtigkeitsgefühl  geleiteten 
Bestimmungen  das  Gewohnheitsrecht,  das  nun  den  Charakter 
einer  allgemeingültigen  Norm  annimmt,  der  neue  Rechtsent- 
scheidungen folgen.  Das  Gewohnheitsrecht  endlich  erweckt  das  Be- 
dürfniss  einer  ausdrücklichen,  in  einer  bestimmten  sprachlichen 
und  womöglich  schriftlichen  Form  geschehenden  Feststellung  all- 
gemeiner Rechtsregeln.  So  entsteht  als  letzte  Stufe  das  Gesetzes- 
recht, das  aber  noch  fortan  in  gewohnheitsrechtlichen  Normen 
sowie  nicht  minder  in  jener  individuellen  Anpassung  der  Rechts- 
normen an  den  einzelnen  Fall,  aus  der  das  ursprüngliche  Gewohn- 
heitsrecht selbst  entsprungen  ist,  seine  Ergänzung  findet. 

Aus  diesen  drei  Bestandtheilen,  dem  Gesetzesrecht,  dem  Ge- 
wohnheitsrecht und  den  einzelnen  Rechtsentscheidungen,  setzt  sich 
daher  von  nun  an  das  geltende  Recht  zusammen.  Dabei  kann  je 
nach  der  Entwicklungsstufe  bald  der  eine  bald  der  andere  dieser 
Bestandtheile  übervnegen'*').   Im  allgemeinen  aber  geht  das  Streben 


prndenz,  I,  S.  440)j  anderseits  der  wahrscheinlich  überall  als  ursprüngliche 
Processform  vorkommende  zauberpriesterliche  Process  (abend.  11,  S.  454)  anf 
den  gleichen  religiösen  Ursprung  der  Rechtsnormen  hin,  welcher  wahrscheinlich 
überall  zugleich  das  früheste  Mittel  der  Scheidung  von  Sitte  und  Recht  ge- 
wesen ist. 

*)  So  war  schon  nach  der  Ansicht  der  Alten  das  Recht  Spartas  blosses 
Gewohnheitsrecht,  das  Athens  blosses  Gesetzesrecht,  das  Roms  beides  zugleich. 
(Leist,  Gräco-italische  Rechtsgeschichte,  S.  602  ff. ,  Alt- arisches  Jus  civile,  I, 
S.  2.)    Dabei  sind   freilich   diese  Ausdrücke  nicht  im  absoluten,  sondern  ixa 


Entwicklang  des  Recht«.  535 

der  Rechtsentwicklung  dahin,  das  Gewohnheitsrecht  yoUständig  durch 
das  Gesetzesrecht  zu  verdrängen,  und  das  letztere  dadurch  systema- 
tisch zu  regeh),  dass  dem  Richter  zugleich  die  allgemeinen  Gesichts- 
punkte vorgezeichnet  sind,  nach  denen  der  einzelne  Fall  zu  beur- 
iheilen  ist'*').  Für  diese  systematische  Ausbildung  des  Rechts  ist 
dann  überdies  die  Mithülfe  der  Wissenschaft  unerlässlich. 

Mit  dem  üebergang  zum  Gesetz  verstärkt  sich  nun  wesentlich 
der  unterschied  des  Rechts  von  andern,  sonst  ihm  verwandten  Geistes- 
erzeugnissen. So  frühe  auch  diese,  allen  voran  Sprache  und  Mythus, 
in  bleibenden  Denkmälern  der  Literatur  und  der  Kunst  bewahrt 
worden  sind,  so  hat  dieser  Vorgang  doch  die  weitere  Entwicklung 
nur  durch  jene  natürlichen,  ohne  jede  Reflexion  entstehenden  Wechsel- 
wirkungen beeinflussen  können,  in  denen  sich  der  individuelle  Geist 
überall  mit  dem  geistigen  Leben  der  Gemeinschaft  beflndet.  Da- 
gegen gibt  es  keinen  Vorgang,  der  auf  die  Weiterbildung  der 
Rechtsanschauungen  selbst  mit  so  unmittelbarer  Gewalt  eingewirkt 
hätte  wie  der  von  planmässiger  Willkür  geleitete  Üebergang  des 
Rechts  in  die  Gesetzgebung.  Und  noch  eigenthümlicher  gestaltet 
sich  das  Verhältniss  zur  Wissenschaft.  Für  sie  sind  Sprache, 
Mythus  und  Sitte  durchaus  nur  Gegenstände  theoretischer  Be- 
trachtung; niemals  kann  diese  auf  die  realen  Vorgänge  einen 
nennenswerthen  Einfluss  gewinnen ,  oder  wo  ein  solcher  versucht 
werden  mag,  da  muss  er  selbst  den  Weg  des  Rechtes  einschlagen, 
wenn  er  eine  Wirkung  äussern  will.  Die  Jurisprudenz  dagegen  ist 
die  in  eminentem  Sinne  praktische  Wissenschaft.  Sie  bringt  die 
gegebenen  Rechtssatzungen  in  eine  systematische  Form,  die  den  Um- 
fang und  die  Richtigkeit  ihrer  Anwendungen  sichert,  während  sie 
gleichzeitig  die  künftigen  Acte  der  Gesetzgebung  vorbereitet. 

Aus  diesen  eigenthümlichen  Beziehungen,  die  zwischen  Erkennt- 
niss  und  Anwendung  des  Rechts  bestehen,  ergeben  sich  die  Gesichts- 
punkte für  die  Unterscheidung  gewisser  Stadien  der  Rechts- 
entwicklung.    Das  erste  dieser  Stadien  gehört  der  praktischen 


relativen  Sinne  zu  verstehen.    Wedfr  fehlte  den  Spartanern  das  Gesetz,  noch 
den  Athenern  das  Gewohnheitsrecht  gänzlich. 

*)  Dass  das  fßr  jeden  einzelnen  Fall  in  zwingender  Weise  geschehen 
könne,  ist  aber  freilich  bei  der  unendlichen,  durch  keine  Regel  ganz  zu  be- 
herrschenden Mannigfaltigkeit  der  RechtsfäUe  unmöglich,  daher  auch,  wie 
0.  Bülow  (Gesetz  und  Richteramt,  1885)  treffend  nachgewiesen  hat,  das 
Richteramt  noch  jetzt  Rechtsquelle  ist  und  stets  bleiben  wird.  .Nicht  das 
Gesetz,  sondern  Gesetz  und  Richteramt  schafft  dem  Volke  sein  Recht!'    (S.  48.) 


536  Logik  der  Gesellschaffcswissenechaflen. 

Bethätigung  der  Rechtsanschauungen  an,  wie  sie  in  den  sittlichen 
Vorstellungen  eines  Volkes  ihre  unmittelbare  Quelle  hat.  Das  zweite 
entspricht  der  Scheidung  von  Recht  und  Sitte  in  Folge  der  Auf- 
stellung bestimmter  Rechtssatzungen ,  in  denen  bereits  das  Streben 
nach  theoretischer  Darstellung  der  Rechtsideen  bemerkbar  wird.  Im 
dritten  endlich  werden  die  Rechtssatzungen  Gegenstand  einer  syste- 
matischen wissenschaftlichen  Untersuchung  in  Bezug  auf  die  in  ihnen 
zum  Ausdruck  gelangenden  Rechtsbegriffe.  Das  erste  dieser  Stadien 
ist  demnach  das  der  natürlichen  Rechtsanschauungen,  im 
zweiten  vollzieht  sich  die  Codification,  im  dritten  die  Syste- 
matisirung  des  Rechtes. 

£s  ist  bezeichnend  für  den  stetigen  Fluss  der  Rechtsentwick- 
lung, dass  diese  drei  Stadien  nicht  bloss  auf  einander  gefolgt 
sind,  sondern  dass  sie,  sobald  das  letzte  erreicht  ist,  neben  ein- 
ander bestehen  bleiben.  Nachdem  die  Godification  des  Rechtes 
längst  alle  Gebiete  des  privaten  und  öffentlichen  Lebens  ergriffen, 
fliesst  in  dem  Gewohnheitsrecht  eine  niemals  ganz  versiegende  Quelle 
ursprünglicher  Rechtsanschauungen.  Beiden  tritt  aber  die  wissen- 
schaftliche Systembildung  lenkend  und  beschränkend  gegenüber.  In- 
dem sie  das  Recht  auf  bestimmte  Principien  zurückführt,  deren  An- 
wendung unter  speciellen  Bedingungen  eine  logische  Ai^fgabe  ist, 
die  dem  einzelnen  Fall  überlassen  bleiben  kann,  legt  sie  der  Gesetz- 
gebung heilsame  Schranken  auf;  denn  sie  verhütet  die  willkürliche 
und  zufällige  Gasuistik,  in  welche  diese  verfällt,  so  lange  sie  allein 
durch  die  praktische  Erfahrung  geleitet  wird.  Und  damit  gleich- 
zeitig gelingt  es  dem  wissenschaftlichen  System,  allmählich  die  Ge- 
biete des  blossen  Gewohnheitsrechts,  wenn  nicht  den  positiven  Rechts- 
satzungen, so  doch  den  allgemeinen  Principien,  aus  denen  dieselben 
entsprungen  sind,  unterzuordnen.  So  liegt  die  praktische  Bedeutung 
der  wissenschaftlichen  Rechtsbildungen  hauptsächlich  in  dieser  Ver- 
allgemeinerung der  Rechtsideen,  die  immer  zugleich,  gegenüber  den 
schrankenlosen  Gestaltungen  des  Gewohnheitsrechts  und  der  Gesetze, 
eine  Vereinfachung  ist. 

Hat  sich  nun  auch  die  Entwicklung  durch  jene  drei  Stadien 
für  die  einzelnen  Rechtsgebiete  in  verschiedener  Zeit  und  bei  ein- 
zelnen Völkern  in  abweichender  Weise  vollzogen,  so  ist  doch  für  die 
Ausbildung  der  Wissenschaft  vor  allem  die  Entwicklung  des 
römischen  Rechts  massgebend  geworden.  Abgesehen  von  der  be- 
wundernswerthen  Begabung  für  die  klare  praktische  Auffassung  der 
Rechtsideen  ist  es  hauptsächlich  die,  freilich  wieder  durch  specifische 


Entwicklung  des  Rechts.  537 

Anlage  und  politische  Verhältnisse  bestimmte,  individualistische 
Entwicklung  des  römischen  Rechts,  die  ihm  seine  universelle  Be- 
deutung gegeben  hat.  Das  öffentliche  Recht  blieb  bei  den  Römern 
zu  einem  grossen  Theil  den  Normen  der  Sitte  überlassen,  und,  so- 
weit es  vorhanden  war,  entzog  es  sich  durch  seinen  fragmentarischen 
Charakter  der  systematischen  Bearbeitung.  So  ist  es  gekommen, 
dass  noch  heute  nicht  bloss  das  römische  Recht  den  ausschliesslichen 
Charakter  des  Privatrechts  besitzt,  sondern  dass  dieses  die  Rechts- 
wissenschaft überhaupt  in  weitem  Umfang  beherrscht.  Nichts  ist 
hierfür  bezeichnender,  als  dass  in  einer  nicht  allzu  fernen  Vergangen- 
heit in  den  Augen  mancher  praktischen  Juristen  gerade  die  wichtig- 
sten Gebiete  des  öffentlichen  Rechts,  wie  das  Verfassungs-  und  Ver- 
waltungsrecht, kaum  zur  eigentlichen  Jurisprudenz  gehörten.  In  der 
Sache  ist  diese  aus  der  historischen  Entwicklung  der  Wissenschaft 
begreifliche  Vorstellung  offenbar  nicht  begründet.  Der  Staat  ist  das 
umfassendere  Rechtsgebiet,  das,  je  vielseitiger  und  schwieriger  die 
socialen  Beziehungen  der  Individuen  geworden  sind,  um  so  mächtiger 
mit  seinen  Veranstaltungen  auch  in  die  Sphäre  des  Privatrechts  ein- 
greifen muss.  Aber  dass  eine  Rechtsbildung  von  dem  universellen 
Charakter;  wie  ihn  das  römische  Recht  annahm,  nur  in  der  indivi- 
dualistischen Form  geschehen  konnte,  wie  sie  allein  innerhalb  des 
Privatrechtes  durchführbar  ist,  begreift  sich  leicht.  Verfassung  und 
Verwaltung  der  Staaten  sind  in  so  vielfacher  Weise  von  historischen 
Bedingungen  abhängig,  dass  hier  niemals  auch  nur  annähernd  die 
nämlichen  Verhältnisse  wiederkehren.  Das  Individuum  ändert  sich 
wenig,  und  die  Triebe,  von  denen  sein  Leben  in  der  Gesellschaft 
beherrscht  wird,  das  Streben  Eigenthum  zu  erwerben,  den  Besitz  zu 
behaupten,  für  Verträge  und  andere  freie  Rechtshandlungen  Sicher- 
heit zu  finden,  diese  Neigungen  bleiben  auch  bei  mannigfach  wechseln- 
den Culturverhältnissen  unveränderlich.  Hiermit  hängt  ein  anderer, 
namentlich  für  die  wissenschaftliche  Entwicklung  wichtiger  Einfluss 
der  individualistischen  Beschaffenheit  des  römischen  Rechtes  zu- 
sammen. Für  die  Ausbildung  abstracter  Rechtsbegriffe  sind  die 
allgemein  menschlichen  Verhältnisse,  die  den  Gegenstand  des  Privat- 
rechts  ausmachen,  ungleich  geeigneter  als  die  theils  mehr  von  con- 
creten  Bedingungen  abhängigen,  theils  eine  weit  umfassendere  histo- 
rische Vergleichung  erfordernden  Thatsachen  des  öffentlichen  Rechts. 
Auch  die  Begriffe  der  Person,  des  Eigenthums,  der  Familie  und  die 
mit  diesen  Begriffen  zusammenhängenden  Rechtsverhältnisse  können 
zwar  mit  den  Gulturbedingungen  in  einem  gewissen  Grade  wechseln. 


538  Logik  der  GeseUschaftswissenschaften. 

aber  ihr  allgemeiner  Charakter  bleibt  immer  der  nämliche.  Zugleich 
stehen  die  einzelnen  Rechtsgebiete  mit  dem  Yerhältniss  des  Indivi- 
duums zur  Oesellschaft  in  so  unmittelbarem  Zusammenhang,  die 
Motiye  bestimmter  Rechtsordnungen  entspringen  in  so  zwingender 
Weise  aus  den  für  das  individuelle  Interesse  massgebenden  Motiven, 
dass  sich  die  Ghrundzüge  des  positiven  Rechts  als  nothwendige  logisclie 
Folgen  der  in  den  natürlichen  Bedürfnissen  des  Menschen  und  in 
der  Existenz  geordneter  Yerkehrsverhaltnisse  liegenden  Bedingungen 
ergeben.  Auf  dem  Boden  dieser  individualistischen  Rechtsauffassung 
vollzieht  sich  daher  am  leichtesten  der  üebergang  zu  jener  wissen- 
schaftlichen Systematisirung  der  Rechtsbegriffe,  die  sich  thatsächlich 
im  Anschlüsse  an  das  römische  Privatrecht  ausgebildet  hat 

Ganz  anders  geschah  die  Entwicklung  des  Rechts  bei  den  ger- 
manischen Völkern'*').  Hier  spielt  von  Anfang  an  der  sociale  Ver- 
band eine  grössere  Rolle.  Selbst  über  das  Eigenthum  steht  nicht 
dem  Einzelnen,  sondern  der  Familie  das  nächste  Verf&gungsrecht 
zu;  die  wichtigsten  Rechtsinstitute  lehnen  sich  an  die  historisch  ge- 
gebenen Gliederungen  der  Gesellschaft  an.  Pietät  und  Gemeinsinn 
halten  dem  eigennützigen  Interesse  die  Wage.  Daher  im  deutschen 
Recht  auch  für  privatrechtliche  Handlungen  die  Fülle  poesievoller 
Symbole,  die  im  römischen  bis  auf  wenige  dürftige  üeberreste  ver- 
schwunden sind.  Denn  Pietät  und  Gemeinsinn  können  selbst  den 
Verkehr  des  täglichen  Lebens  verklären;  die  Phantasie  verschwindet 
aber,  wo  die  eigennützige  Berechnung  das  Wort  führt.  Dagegen 
entziehen  sich  freilich  dort  die  concreten  Gestaltungen  der  Rechts- 
ordnung vielfach  dem  Versuch  logischer  Systembildung. 

Dem  Einflüsse ,  den  innerhalb  der  nationalen  Rechtsbildung 
Gesetzgebung  und  Wissenschaft  auf  die  natürliche  Entwicklung  der 
Rechtsanschauungen  gewinnen,  entspricht  durchaus  die  eigenthüm- 
liche  Form  der  Wechselbeziehungen;  in  welche  die  Rechtsbildungen 
verschiedener  Völker  mit  einander  getreten  sind.  Alle  jene  Wir- 
kungen, die  in  Sprache,  Kunst  und  Literatur  einzelne  Gulturvölker 
auf  andere  ausgeübt  haben,  lassen  sich  nicht  entfernt  der  tiefgreifen- 
den Wirkung  des  römischen  Rechts  auf  das  moderne  Recht  ver- 
gleichen. Denn  diese  Wirkung  hat  sich  nicht  auf  dem  stetigen 
Wege  des  natürlichen  geistigen  Verkehrs  und  durch  den  unmerk- 
lichen Eintritt  einzelner  fremder  Vorstellungen  in  das  Rechtsbewusst- 
sein  der  Völker  vollzogen,   sondern   das   römische   Rechtssystem  ist 


*)  Vgl.  W.  Arnold,  Cultur  und  Rechtaleben.     1865,  S.  225  ff. 


Entwicklang  des  Rechts.  539 

durch  die  Wissenschaft,  durch  den  Einfiuss,  welchen  der  das 
fremde  Recht  wegen  seiner  klareren  logischen  Durchbildung  bevor- 
zugende Juristenstand  ausübte,  in  die  moderne  Rechtsentwick- 
lung eingetreten ,  und  sobald  es  Aufnahme  fand ,  hat  es  die  ihm 
gegenüberstehenden  Rechtsbildungen  zunächst  beinahe  völlig  ver- 
drängt, um  dann  erst  in  den  allmählichen  Umwandlungen  die  es 
erfuhr  den  Bedingungen  der  fremden  Gultur  und  Sitte  sich  anzu- 
passen. Dieses  Ereigniss,  eines  der  wunderbarsten  in  der  Geschichte 
des  Geistes,  war  nur  durch  den  Einfluss  möglich,  den  hier  wie  auf 
keinem  andern  Gebiete  Wissenschaft  und  willkürliche  Satzung  aus- 
üben. Wie  die  systematische  Anlage  des  römischen  Rechts  seine 
totale  Aufnahme  begünstigte ,  so  war  es  durch  seinen  abstracten 
Charakter  zu  jener  universellen  Geltung  befähigt,  nach  der  die  kosmo- 
pohtischen  Bestrebungen  des  mittelalterb'chen  Kaiserthums  und  der 
Kirche  verlangten.  Darum  kam  die  Macht  der  Gesetzgebung  dem 
unter  dem  Einfluss  der  Wissenschaft  entstandenen  Rechtssystem  zu 
Hülfe.  Aber  gerade  weil  das  fremde  Recht  nahezu  als  ein  Ganzes 
aufgenommen  worden  war,  musste  nun  jene  Assimilation,  die  bei 
den  stetig  und  allmählich  wirkenden  Cultureinflüssen  anderer  Art 
von  selbst  den  Process  der  Aufnahme  zu  begleiten  pflegi,  hier  in 
einer  Jahrhunderte  dauernden  Entwicklung  nachgeholt  werden*). 
In  dieser  Assimilation  des  fremden  Rechts,  die  unbrauchbare  Be- 
8tandtheile  ausscheidet,  neue  hinzuf&gt,  andere  umformt,  um  sie  den 
specifischen  Bedürfnissen  der  modernen  Gultur  anzupassen,  sind  wir 
noch  heute  begriffen.  Wenn  dieselbe  vollendet  ist,  so  wird  wahr- 
scheinlich das  römische  Recht  als  solches  die  herrschende  Stellung, 
die  es  gegenwärtig  in  der  systematischen  Jurisprudenz  einnimmt, 
verloren  haben,  um  innerhalb  des  historischen  Rechtsstudiums  fortan 
einen  wichtigen  Platz  zu  behaupten. 

Der  universelle  Charakter,  den  das  römische  Recht  theils  durch 
seine  eigene  ursprüngliche  Anlage,  theils  durch  die  angedeuteten 
geschichtlichen  Bedingungen  gewonnen ,  musste  der  Anschauung, 
dass  es  überhaupt  ein  universelles,  für  alle  Menschen  und  Völker 
vermöge  der  ursprünglich  gleichartigen  Beschaffenheit  der  Menschen- 
natur gleichartiges  Recht  gebe ,  fördernd  entgegenkommen ,  wenn 
auch  diese  Anschauung  in  dem  Streben  nach  einer  allgemeingültigen 
philosophischen  Erkenntniss  der  Rechtsideen  ihre  selbständige  Quelle 


*)  R.  Stintzing,   Greschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft,  I,  1880, 
S.  37  ff. 


540  Logik  der  GesellschaftewiBsenschafben. 

hat.  Der  Umstand,  dass  dem  positiven  Recht  thatsächlich  eine  ge- 
wisse üniformität  zukam,  liess  den  Gedanken  an  ideale  Rechtsnormen 
von  ganz  allgemeiner  Anwendbarkeit  mindestens  als  zulässig  er- 
scheinen, wie  sehr  sich  derselbe  auch  vielfach  in  directem  Wider- 
streit gegen  die  Herrschaft  des  römischen  Rechts  Geltung  verschafft; 
hat.  Und  noch  in  anderer  Beziehung  hat  die  thatsächliche  Rechts- 
entwicklung derartigen  philosophischen  Anschauungen,  wie  sie  dann 
nicht  selten  auch  auf  Sprache,  Mythus  und  Sitte  übertragen  wurden, 
eine  Stütze  geliehen.  Die  Codification  des  Rechts  beruht  überall 
auf  willkürlicher  Satzung,  und  in  nicht  wenigen  Fällen  hat  diese 
den  Charakter  eines  Vertrags,  durch  den  der  Kampf  widerstreiten- 
der Interessen  beigelegt  wird.  Schon  das  römische  Zwölftafelgesetz 
zeigt  diesen  Ursprung,  der  sich  bei  jedem  Gesetzgebungsacte  wieder- 
holt, der  nicht  gerade  aus  dem  Willen  eines  absoluten  Machthabers 
hervorgeht.  So  hat  die  Vertragstheorie,  die  bei  der  Erklärung 
von  Staat  und  Gesellschaft  dereinst  eine  so  grosse  Rolle  gespielt, 
ihre  Quelle  in  der  wirklichen  Rechtsentwicklung.  Sie  begeht  nur 
den  grossen  Fehler,  dass  sie  die  Codification  des  Rechtes  mit  der 
Entstehung  der  ursprünglichen  Rechtsnormen  verwechselt;  und  eine 
begreifliche  Folge  dieses  Fehlers  ist  dann  der  andere,  dass  sie  alles 
positive  Recht  als  eine  Summe  willkürlicher  Institutionen  ansieht, 
die  ebenso  beliebig,  wie  sie  entstanden  sind,  auch  wieder  beseitigt 
und  durch  andere  angemessenere  ersetzt  werden  könnten. 

Auf  diese  Weise  verwickelte  sich  die  so  genannte  natur- 
rechtliche Theorie  in  den  Widerspruch,  dass  sie  ein  natür- 
liches Recht  verlangte,  und  dass  sie  sich  gleichwohl  der  Meinung 
hingab,  alles  Recht  sei  künstlich  entstanden,  auch  jenes  natürliche 
Recht  könne  daher  durch  die  Kunst  der  Gesetzgebung  in  das  Leben 
eingeführt  werden.  Die  Vertiefung  in  die  wirklichen  Rechtsquellen, 
wie  sie  die  seit  dem  Beginn  dieses  Jahrhunderts  allmählich  hervor- 
tretende historische  Richtung  der  Jurisprudenz  angebahnt  hat, 
musste  zu  einer  vollständigen  Umkehrung  dieser  Anschauung  führen. 
Indem  man  hier  auf  die  natürliche  Entstehung  des  Rechtes  hin- 
wies, wurde  der  Gedanke  eines  universellen  Rechtes  der  Menschheit 
dem  Reich  jener  philosophischen  Träume  überwiesen ,  in  welches 
schon  längst  die  Idee  einer  Universalsprache  entrückt  war.  Die 
historische  Schule  hat  dann  freilich  ihrerseits  den  Gedanken  der 
natürlichen  Rechtsbildung  einseitig  angewandt,  indem  sie  geneigt 
war,  die  drei  Stadien  der  natürlichen  Rechtsentwicklung,  der  Codi- 
fication und  der  Systematisirung  als  ein  reines  Nacheinander  zu  be- 


Entwicklung  des  Rechts.  541 

trachten*).  So  verfiel  sie  in  den  nämlichen  Fehler  wie  die  nalur- 
rechtliche  Lehre,  dass  sie  die  wirkliche  Entwicklung  nach  einem 
a  priori  construirten  oder  einseitig  abstrahirten  Schema  beurtheilte. 
Dazu  kam,  dass  die  historische  Rechtsschule  zwar  für  die  geschicht- 
liche Entwicklung  des  Rechts,  nicht  aber  für  die  analoge  Ent- 
wicklimg  des  Staates  ein  Verständniss  gewonnen  hatte,  sondern  dass 
sie  fortan  geneigt  blieb,  diesen  als  eine  künstliche  Bildung  zu  be- 
trachten, der  Sprache,  Sitte  und  Recht  als  natürliche  Bildungen 
gegenübergestellt  wurden.  Durch  das  Zusammenwirken  aller  dieser 
Bedingungen  gewann  die  historische  Doctrin  theoretisch  nicht  weniger 
wie  die  naturrechtliche  den  Charakter  eines  philosophischen  Dogmas, 
und  praktisch  unterstützte  auch  sie  die  dauernde  Vorherrschaft  des 
römischen  Rechts**). 

Nun  liegt  es  hier,  wie  überaU,  im  Charakter  philosophischer 
Dogmen,  dass  ihre  Fehler  nicht  bloss  einzelne  Theile,  sondern  so- 
fort das  ganze  Gebäude  eines  Systems  unsicher  machen.  Speciell 
die  Rechtsphilosophie  ist  in  dieser  Beziehung  noch  ungünstiger  ge- 
stellt als  die  Philosophie  der  Geschichte.  Während  die  meisten  Yer- 
irrungen  der  letzteren  durch  die  Bemerkung  zurückzuweisen  waren, 
dass  die  philosophische  Betrachtung  der  Geschichte  kein  anderes 
Object  als  die  Geschichtswissenschaft  selbst  habe,  dass  sie  sich  also 
nur  auf  die  wirklich  geschehenen  Thatsachen,  nicht  auf  die  Zukunft 
oder  auf  eine  der  Erfahrung  unzugängliche  Vergangenheit  beziehen 
könne,  ist  die  Rechtsphilosophie  in  einer  andern  Lage,  weil  die 
Rechtswissenschaft  gleichzeitig  eine  historische  und  eine  systema- 
tische Seite  hat,  wobei  diese  nicht  bloss  die  auf  einer  bestimmten 
geschichtlichen  Entwicklungsstufe  gültigen  Begri£fe  fixirt,  sondern 
dieselben  ausserdem  gewissen  Rechtsbegriffen  von  allgemeingültiger 
Bedeutung  unterzuordnen  sucht.  Dazu  kommt  die  praktische 
Richtung  der  Jurisprudenz,  vermöge  deren  sie  nicht  nur  das  geltende 
Recht  systematisirt  und  analysirt,  sondern  auch,  soweit  es  durch  die 
Entwicklung  der  Rechtsideen  und  durch  neu  eintretende  Cultur- 
bedingungen  gefordert  wird,  umzugestalten  strebt.  Hierdurch  kann 
es  dann  aber  leicht  geschehen,  dass,  wo  philosophische  Anschauungen 
mit  der  Erfahrung  in  Widerspruch  gerathen,  dieser  Widerspruch  sich 
in  eine  Forderung  umwandelt,  die  man  einem  Recht  der  Zukunft 

*)  Savigny,  Vom  Beruf  unserer  Zeit  für  Gesetzgebung  und  Rechtswissen- 
schaft, 2.  Aufl.,  S.  31  flf, 

**)  Vgl.  K.  Bergbohm,  Jurisprudenz  und  Rechtsphilosophie,  I,  1892, 
S.  480  flf. 


542  Logik  der  GesellschaftswiBsenflcbaften. 

entgegenbringt.  So  erneuert  sieb  hier  immer  wieder  das  alte  Plato- 
niscbe  Ideal  von  der  Herrschaft  der  Philosophie.  Dem  g^enüber 
ist,  gemäss  der  Stellung  die  wir  heute  der  Philosophie  einraomen, 
daran  festzuhalten,  dass  zwar  die  Rechtswissenschaft,  gerade  so 
gut  wie  jede  andere  Einzel  Wissenschaft,  eine  philosophische 
Untersuchung  ihrer  Principien  und  Methoden  fordert,  dass  aber  auch 
hier  diese  Untersuchung  eine  ganz  und  gar  theoretische  bleibt,  die 
sich  zugleich  nirgends  auf  ein  bloss  mögliches  Recht,  sondern  ledig- 
lich auf  den  durch  die  Rechtswissenschaft  bearbeiteten  Inhalt  des 
thats'achlich  gegebenen  Rechts  zu  beziehen  hat.  Dass  dieser  Stand- 
punkt die  Kritik  des  gegebenen  Rechts  sowie  die  Untersuchung  seines 
Zusammenhangs  mit  Cultur  und  Sitte  und  mit  den  allgemeinen  sitt- 
lichen Normen  nicht  aus-  sondern  einschliesst,  versteht  sich  von 
selbst. 


b.    Der  Begriff  des  Rechts  und  die  Aufgaben  der  Rechtswissen- 
schaft. 

Das  Recht  im  objectiven  Sinne  oder  die  Rechtsordnung  ist 
überall  ein  Erzeugniss  der  oben  geschilderten  Entwicklungen.  Es 
ist  stets  gegeben  in  der  Form  eines  concreten  positiven  Rechts. 
Es  gibt  daher  ebenso  wenig  ein  Recht  in  abstracto,  wie  es  eine  all- 
gemein menschliche  Sprache  oder  allgemein  menschliche  Sitte  gibt 
Allerdings  aber  zeigt  das  entwickelte  Recht  der  Culturvölker  nach 
Form  wie  Inhalt  weit  grössere  Uebereinstimmungen,  als  solche  jenen 
andern  geistigen  Erzeugnissen  zukommen;  es  steht  in  dieser  Hinsicht 
zwischen  den  letzteren  und  den  noch  allgemeingültigeren  sittlichen 
und  logischen  Normen  mitten  inne.  Diese  Uebereinstimmung  hat 
hier  wie  dort  einen  doppelten  Grund:  theils  ist  sie  eine  noth wendige 
Folge  der  gemeinsamen  geschichtlichen  Entwicklung,  theils  aber  ent- 
springt sie  aus  den  allgemeingültigen  sittlichen  Anlagen  des  Menschen, 
die  in  einem  übereinstimmenden  Rechtsgefühl  und  in  übereinstim- 
menden Vorstellungen  über  das  was  recht  und  gerecht  sei  ihren 
Ausdruck  finden.  Ohne  diese  gleiche  sittliche  Anlage  wäre  schwer- 
lich jene  von  dem  römischen  Recht  ausgehende  einheitliche  Ent- 
wicklung möglich  gewesen  —  gerade  so  wenig  wie  die  Ethik  und 
Logik  der  griechischen  Philosophen  ohne  ein  ähnliches  gemeinsames 
geistiges  Band  heute  noch  unter  uns  nachwirken  könnten.  Die^e 
Gleichförmigkeit  der  Rechtsentwicklung  macht  daher  auch  erst,  trotz 
der  niemals  ganz  aufzuhebenden  Unterschiede  der  einzelnen  positiven 


Begriff  des  Rechte  und  Aufgaben  der  Recbtawisaenscbaft.  543 

Rechtsordnungen,  eine  einheitliche  Begriffsbestimmung  des  Rechts 
und  auf  Grund  derselben  eine  allgemeine  Rechtswissenschaft  möglich. 

Hierbei  hat  sich  nun  die  Begriffsbestimmung  des  Rechts 
vor  allem  vor  dem  Fehler  zu  hüten ^  dass  sie  einzelne,  entweder 
nicht  für  alle  wirklichen  Rechtsformen  gültige  oder  für  das  Recht  als 
solches  nicht  erschöpfende  und  vielleicht  nicht  einmal  entscheidende 
Merkmale  herausgreife.  Sie  muss  vielmehr  den  Inhalt  des  Begriffs 
nach  seinen  wesentlichen  und  allgemeingültigen  Eigen- 
schaften zu  bestimmen  suchen.  Als  solche  werden  aber  am  sichersten 
diejenigen  anzusehen  sein,  die  ihm,  sobald  nur  erst  die  ursprüngliche 
Trennung  von  der  Sitte  eingetreten  ist,  in  allen  seinen  Entwicklungs- 
formen zukommen.  So  betrachtet  ist  das  Recht  die  Summe  der 
Befugnisse  und  Pflichten,  die  ein  in  einer  Gemein- 
schaft geltender  übergeordneter  Wille  den  einzelnen 
Mitgliedern  dieser  Gemeinschaft  und  sich  selber  zu- 
erkennt. Das  Subject  jenes  übergeordneten  Willens  ändert  sich 
nun  aber  allmählich  in  der  Vorstellung  der  Rechtsgenossen;  und 
gerade  dieser  scheinbare  Wechsel  ist  es,  der  leicht  über  Ursprung 
und  Wesen  des  Rechts  ein  ungewisses  Dunkel  verbreitet.  Zuerst  ist 
jenes  Subject,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  die  Gottheit,  dann 
der  weltliche  Richter,  der  nebenbei  Häuptling,  König,  eine 
richterliche  Versammlung  sein  kann.  In  Wahrheit  sind  aber  alle 
diese  verschiedenen  Formen  nur  wechselnde  Verkleidungen  des  näm- 
lichen Willenssubjectes,  nämlich  der  Gemeinschaft  selbst,  deren 
Gesanmitwille  zuerst,  gemäss  den  Gesetzen  des  mythologischen 
Denkens,  vergöttlicht,  dann  vermöge  der  natürlichen  Unter- 
ordnung unter  führende  Personen  auf  einzelne  weltliche  Richter 
übertragen,  und  schliesslich  unter  der  dauernden  Vermittlung 
dieser  Personen  in  Vorschriften  von  unpersönlichem  Cha- 
rakter fizirt  wird.  Dass  diese  Vorschriften  den  Zwang  zu 
Hülfe  nehmen  können,  nicht  müssen;  dass  sie  zum  Theil,  nicht  durch- 
gängig, einen  ethischen  Gehalt  aufweisen;  dass  die  Mitglieder  der 
Rechtsgemeinschaft  zumeist,  aber  gleichfalls  nicht  durchgängig,  sie 
anerkennen  —  alles  das  sind  nebensächliche  Merkmale,  schon 
deshalb  weil  es  nicht  absolut  constante  Merkmale  sind. 

Jede  Gemeinschaft,  die  durch  eine  hinreichende  Uebereinstim- 
mung  der  Vorstellungen,  Strebungen  und  Interessen  befähigt  ist 
einen  Gesammtwillen  zu  erzeugen,  kann  sich  nun  auch  zu  einer 
Kechtsgemeinschaft  entwickeln.  In  diesem  Sinne  bilden  nicht 
^loss  die  Staaten  Rechtsgemeinschaften,  sondern  Ansätze  zu  solchen 


544  Logik  der  ^lesellschafts Wissenschaften. 

sind  schon  in  den  Gemeinden  und  Corporationen  gegeben;  und  in 
Folge  einer  leicht  begreiflichen  Wechselwirkung  wird  die  Rechts- 
bildung innerhalb  solcher  engerer  Verbände  um  so  umfassender,  je 
loser  das  rechtliche  Band  ist,  das  die  Glieder  der  Staatsgemeinschafk 
zusammenhält.  Darum  hatten  die  mittelalterlichen  Corporationen  der 
Zünfte  und  Gilden,  die  einem  völlig  in  der  äusseren  Politik  auf- 
gehenden und  überdies  vielfach  zerrütteten  Staatswesen  angehörten, 
eine  grosse  Bedeutung  auch  als  Rechtsgemeinschaften.  Vor  allem 
aber  machte  sich  dem  Staate  gegenüber  die  Kirche  als  eine  selb- 
ständige Rechtsgemeinschaft  geltend,  da  sie  sich  neben  der  Pflege 
des  Gultus  überall  auch  die  Oberaufsicht  über  diejenigen  weltlichen 
Ordnungen  zuschrieb,  die  zugleich  das  religiöse  und  sittliche  Leben 
berührten,  so  dass  auf  allen  diesen  Gebieten  der  Staat  nur  als  das 
Vollzugsorgan  für  das  von  der  Kirche  für  sich  in  Anspruch  ge- 
nommene Richteramt  galt.  Aber  je  sicherer  die  staatliche  Rechts- 
ordnung sich  ausbildet,  je  mehr  zugleich  jene  Nachwirkungen  des 
religiösen  Ursprungs  aller  Rechtsbildung  verschwinden,  um  so  mehr 
setzt  sich  noth wendig  die  Anschauung,  dass  der  einzige  völlig 
autonome  Rechts wille  der  des  Staates  sei,  als  eine  logische 
und  ethische  Forderung  durch.  Als  eine  logische,  weil  es  ein 
innerer  Widerspruch  ist,  dass  die  letzte  Entscheidung  über  Than 
und  Lassen  des  Einzelnen  oder  der  besonderen  Verbände  bei  einer 
Mehrheit  übergeordneter  Willen  stehe,  die  möglicher  und  sogar 
wahrscheinlicher  Weise  in  vielen  Fällen  einander  entg^engesetzt 
sein  können.  Als  eine  ethische,  weil  der  Kampf  des  Gewissens, 
der  dem  Einzelnen  nicht  erspart  werden  kann,  wo  es  sich  um  die 
Wahl  zwischen  verschiedenen  freien  moralischen  Pflichten  handelt, 
ihm  nicht  auch  noch  zwischen  einander  widerstreitenden  äusseren 
Autoritäten  aufgebürdet  werden  darf.  Kann  es  als  letzte  Rechts- 
quelle nur  einen  Willen  geben,  so  kann,  nachdem  der  grosse  Process 
der  Verweltlichung  des  Rechts  endgültig  eingetreten  ist  und  selbst 
im  Sinne  der  ursprünglichen  Auffassung  des  Christenthums  vom 
Wesen  der  Religion  nothwendig  eintreten  musste,  dieser  eine  Wille 
nur  der  des  Staates  sein,  weil  der  Staat  die  einzige  reale  Gesammt- 
heit  ist,  die  nach  aussen  eine  der  Autonomie  der  individuellen  Per- 
sönlichkeit analoge  Autonomie,  nur  freilich  als  Gesammtheit  eine 
Autonomie  höherer  Stufe  für  sich  in  Anspruch  nimmt.  Wo  irgend 
ein  sonstiger  corporativer  Wille  als  Rechtswille  auftritt,  da  ist  der- 
selbe daher  als  ein  vom  Staate  übertragener,  und  da  ist  in  diesem 
Sinne   die   betrefi^ende  corporative  Gemeinschaft  als  ein  Rechtsorgan 


Begriff  des  Rechts  und  Aufgaben  der  Rechtewissenschaft.  545 

des  Staates  zu  betrachten.  Die  religiösen  Genossenschaften  aber 
haben,  sobald  einmal  das  Recht  auf  allen  den  Gebieten  des  socialen 
Lebens,  die  eine  Rechtsordnung  fordern,  weltlich  geworden  ist,  an 
und  für  sich  überhaupt  nicht  mehr  die  Kraft  einen  rechtlichen 
Gesammtwillen  zu  entwickeln,  —  oder,  wo  sie  es  dennoch  thun,  da 
handelt  es  sich  um  üeberlebnisse  vorübergegangener  Rechtszustände^ 
die  dem  Wesen  des  heutigen  Rechtsbegriffs  widersprechen*).  Auf 
der  andern  Seite  würde  es  freilich  dem  Princip  der  Entwicklung, 
das  die  Vergangenheit  des  Rechts  beherrscht,  widerstreiten,  wollte 
man  annehmen,  dass  auch  für  alle  Zukunft  der  Einzelstaat  das 
oberste  Rechtssubject  bleiben  werde.  Scheint  es  doch,  dass  sich  in  den 
Staatenverbindungen  und  in  dem  Völkerrecht  umfassendere  Rechts- 
gemeinschaften allmählich  vorbereiten,  als  deren  ideales,  freilich  viel- 
leicht nie  ganz  zu  erreichendes  Ziel  sich  eine  allgemeine  Rechts- 
gemeinschafb  der  Völker  betrachten  lässt.  Immerhin  würde  auch 
dann  die  Forderung,  dass  es  für  eine  gegebene  Gemeinschaft  nur 
ein  unbedingt  autonomes  Rechtssubject  geben  könne,  vermöge  der 
einheitlichen  Natur  des  Willens  seine  Geltung  behaupten.  Denn  es 
würde  dann  eben  an  die  Stelle  des  heutigen  Einzelstaats  ein  Mensch- 
heitsstaat getreten  sein,  in  welchem  die  einzelnen  nationalen  Staaten 
nur  noch  relativ  autonome  Glieder  bilden  könnten,  ähnlich  etwa 
wie  heute  die  Glieder  eines  Bundesstaates. 

Durch  die   oben  gegebene  Definition  ist  der  Rechtsbegriff  zu- 
nächst nur  formal  gegenüber  andern  Begriffen   abgegrenzt.     Um 


*)  Mit  dieser  Forderung  steht  es  vollkommen  im  Einklang,  wenn  R.  Sohm 
deine  Darstellung  des  "Kirchenrechts  mit  dem  Satze  eröffnet:  „Das  Eirchenrecht 
steht  mit  dem  Wesen  ^der  Kirche  im  Widerspruch*.  (Kirchenrecht,  I,  1892, 
S.  1.)  Wenn  Sohm  diesen  Satz  aus  der  ursprünglichen  Verfassung  der  christ- 
lichen Gemeinden,  in  welcher  die  Zwecke  des  Stifters  der  christlichen  Religion 
jedenfaUs  am  reinsten  zum  Ausdruck  kamen,  ableitet,  so  ist  es  ofifenbar  nur 
eine  Bestätigung  dieser  Auffassung,  wenn  die  umgekehrt  von  der  Natur  des 
staatlichen  Rechtewillens  ausgehende  Betrachtung  zu  dem  nämlichen  Ergebnisse 
kommt  Natürlich  soll  damit  die  Thatsache,  dass  es  gegenwärtig  noch  ein 
Kirchenrecht  gibt,  nicht  bestritten,  sondern  es  soll  nur  behauptet  werden,  dass 
dasselbe  nicht  bloss,  wie  Sohm  erklärt,  mit  dem  ursprünglichen  Wesen  und 
der  wahren  Aufgabe  der  christlichen  Kirche,  sondern  auch,  dass  es  mit  der 
wahren  Natur  eines  entwickelten  Rechts  im  Widerspruch  steht.  Ist 
das  Eirchenrecht  eine  logische  und  ethische  Abnormität,  so  ist  es  aber  um  so 
mehr  eine  historisch  begreifliche  und  sogar  mit  der  allgemeinen  Entwicklung 
des  Rechts  übereinstimmende  Erscheinung. 

Wandt,  Logik.  H,  8.    8.  Aufl.  35 


i 


546  Logik  der  GesellschaftfiwiBsenschaften. 

die  aus  ihm  sich  ergebendeo  allgemeinen  Probleme  übersehen  zu 
lassen,  muss  er  weiterbin  nach  seinen  wesenÜichsten  Ijibalts- 
merkmalen  bestimmt  werden.  Solcher  lassen  sich  wieder  äussere 
und  innere  unterscheiden,  von  denen  sich  jene  unmittelbar  an  die 
gegebene  formale  Definition  anschliessend  während  diese  geeignet 
sind  die  psychologischen  Motive  zu  beleuchten,  auf  denen  die  Ent- 
stehung des  Rechts  selber  beruht. 

Als  äussere  Elemente  setzt  der  Rechtsbegriff,  wie  aus  jener 
formalen  Begriffsbestimmung  unmittelbar  hervorgeht,  Willens- 
verhältnisse voraus.  Dem  allgemeinen  Subjegt  der  Rechts- 
ordnung, das  in  dem  übergeordneten  Gesammtwillen  besteht,  sind 
die  einzelnen  Rechtssubjecte  gegenübergesteUt,  über  die  jener 
Gesammtwille  seine  Macht  ausübt,  und  die,  als  Einzelpersonen, 
Corporationen,  Gemeinden,  Vereine,  in  ihren  Verhältnissen  zu  einander 
und  zu  dem  ihnen  übergeordneten  Rechts  willen  bewirken,  dass  die 
Rechtsgemeinschaft  ein  organisch  gegliedertes  Ganzes  ist,  und 
dass  demgemäss  auch  das  Recht  selbst  eine  organische  Structur  zeigt. 
Entspricht  das  Recht  darin  ganz  und  gar  den  allgemeinen  geistigen 
Erzeugnissen  der  Gemeinschaften,  wie  der  Sprache,  dem  Mythus, 
der  Sitte,  so  verräth  sich  übrigens  auch  hier  seine  Eigenart  darin, 
dass  dieses  Ganze  überall  nach  klarbewussten,  d.  h.  aus  vor- 
sichtiger Zweckerwägung  hervorgegangenen  Motiven  aufgebaut  ist 
und  daher,  verschieden  von  jenen  mehr  naturgesetzlich  entstandenen 
geistigen  Schöpfungen,  eine  durchgehends  logische  Structur  zeigt. 
Doch  ist  auch  diese  Eigenschaft  nicht  sowohl  eine  ursprüngliche  als 
eine  erworbene,  die  sich  mit  der  Entfernung  des  Rechts  von  seinem 
Ursprung  und  namentlich  mit  dem  wachsenden  Einfluss  der  Wissen- 
schaft auf  die  Rechtssatzung  und  Rechtsprechung  in  steigendem 
Masse  einstellt. 

In  dem  Verhältniss  des  allgemeinen  Rechtswillens  zu  den  ihm 
untergeordneten  individuellen  und  coUectiven  Willenseinheiten  kommt 
nun  eine  Eigenschaft  des  Rechtes  zum  Vorschein,  die  für  seinen 
Inhalt  in  erster  Linie  bedeutsam  ist:  sie  besteht  in  der  engen  Cor- 
relation  der  Befugnisse  und  Pflichten,  die  jede  Rechts- 
ordnung enthält.  Das  Recht,  wie  es  selbst  den  einzelnen  Rechts- 
subjecten  gegenüber  eine  Macht  ist,  ertheilt  auch  diesen  Subjecten 
Machtbefugnisse,  Rechte  im  subjectiven  Sinne.  Solche  sub- 
jective  Rechte  sind  theils  individueller  theils  collectiver  Art,  und 
unter  den  Gemeinschaften,  die  neben  den  individuellen  Rechtspersonen 
subjective  Rechte  geltend  machen,  nimmt  wieder  das  oberste  Subject, 


Begriff  des  Rechts  and  Aufgaben  der  Rechtawissenscbaft.  547 

die  Rechtsgemeinschafb  selbst,  die  erste  Stelle  ein.  Sie  allein  ist 
Sechtssubject  in  doppeltem  Sinne:  erstens  als  Trägerin  alles  Rechts, 
wo  ihr  die  Einzelnen  und  die  Sondergemeinschaften  als  Objecte 
gegenüberstehen;  imd  zweitens  als  ein  in  zahlreichen  Rechtsverhält- 
nissen mit  diesen  letzteren  in  Wechselwirkung  tretendes,  ihnen  ent- 
weder Töllig  coordinirtes  oder  doch  nur  vermöge  besonderer  aus  der 
Werthabstufung  der  einzelnen  subjectiven  Rechte  sich  ergebender 
GrOnde  übergeordnetes  Rechtssubject. 

Jedem  subjectiven  Rechte  stehen  aber  anderseits  Pflichten 
gegenüber,  die  sich  als  zwingende  logische  und  ethische  Folgen  aus 
der  Ausübung  der  Rechte  ergeben.  Sie  zerfallen  in  zwei  Gruppen: 
erstens  in  diejenigen  Pflichten,  die  durch  die  Ausübung  der  Rechte  den 
Nichtberechtigten,  Einzelnen  wie  Gemeinschaften  und  darunter 
insbesondere  auch  der  Rechtsgemeinschaft  selbst,  auferlegt  werden  — 
sie  sind  die  logischen  Folgen  des  subjectiven  Rechts,  die  sich 
aus  der  Erwägung  der  Mittel  zu  seiner  Durchführung  als  nothwendig 
ergeben;  und  zweitens  in  jene  Pflichten,  die  dem  Berechtigten 
auferlegt  werden,  und  um  deren  willen  allein  die  Ausübung  des 
Rechts  zugleich  ein  Interesse  der  Rechtsgemeinschaft  selbst  ist  — 
sie  sind  die  ethischen  Folgen  des  subjectiven  Rechts.  Eben  weil 
sie  ethische  Folgen  sind,  können  sie  aber  in  vielen  Fällen  dem 
moralischen  Gewissensantrieb  der  Verpflichteten  überlassen  werden, 
namentlich  da  wo  eine  directe  Schädigung  der  Rechte  Anderer 
daraus  nicht  hervorzugehen  pflegt.  Unter  diesem  Gesichtspunkte 
scheiden  sich  daher  die  aus  den  subjectiven  Rechten  entspringenden 
Pflichten  in  Zwangspflichten  und  in  freie  oder  moralische 
Pflichten.  Zu  den  Zwangspflichten  gehören  die  Pflichten  der  Nicht- 
berechtigten und  ein  Theil  der  Pflichten  der  Berechtigten.  Die  freien 
Pflichten  werden  durch  den  Rest  dieser  Pflichten  der  Berechtigten 
gebildet.  Die  Grenze  zwischen  beiden  letzteren  Pflichtarten  ist 
keine  ein  für  allemal  festgelegte.  Ob  eine  bisher  freie  Pflicht  zur 
Zwangspflicht  gemacht  werde,  oder  aber  ob  ein  subjectives  Recht, 
dessen  Ausübung  nicht  wohl  anders  als  nach  freier  Pflicht  möglich 
ist,  wie  z.  B.  das  private  Eigenthumsrecht  an  bestimmten  Sach- 
gütem,  sei  es  direct  sei  es  in  Bezug  auf  bestimmte  Formen  der 
Erwerbsthätigkeit,  zu  beschränken  sei,  weil  es  einem  übergeordneten 
Interesse  der  Gesammtheit  widerstreitet,  oder  weil  die  freie  Aus- 
übung unter  veränderten  sittlichen  Anschauungen  nicht  mehr  als 
eine  im  allgemeinen  pflichtmässige  anzusehen  ist,  —  die  Entscheidung 
dieser  Fragen  ist  schliesslich  von  dem  allgemeinen  Rechtswillen  ab- 


548  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

hängig.  Hierbei  verfährt  dieser  nach  der  Maxime,  dass  alle  üe 
freien  Pflichten,  denen  solche  subjectire  Rechte  gegenüberstehen, 
die  zu  einer  unmittelbaren  oder  mittelbaren  Theilnahme  an  dem 
allgemeinen  Rechtswillen  befähigen,  also  die  öffentlichen  Pflichten, 
an  und  fQr  sich  jederzeit  in  Zwangspflichten  umgewandelt  werden 
können,  während  dagegen  bei  denjenigen  Pflichten,  die  sich  aus- 
schliesslich auf  die  persönlichen  Lebensverhältnisse  des  Einzelnen 
beziehen,  ein  zureichendes  Gleichgewicht  zwischen  Recht  und  Pflicht 
immer  nur  dadurch  hergestellt  werden  kann,  dass  das  Recht  selbst 
in  die  Grenzen  eingeschränkt  wird,  wo  es  im  aUgemeinen  noch 
eine  ihm  entsprechende  freie  Pflichterfüllung  erwarten  lässt,  oder 
wo  es  nicht  die  Quelle  einer  subjectiven  Macht  wird,  die  mit 
dem  Gesammtinteresse  unverträglich  ist.  In  allem  dem  bewährt  es 
sich,  dass  nicht  bloss  die  Zwangspflichten,  sondern  dass  auch 
alle  diejenigen  moralischen  Pflichten,  denen  überhaupt 
subjective  Rechte  gegenüberstehen,  zum  Bestand  der 
Rechtsordnung  gehören.  Kein  objectives  Recht  würde  ohne 
sie  bestehen  können.  Dass  sie  freie  Pflichten  sind,  vermindert; 
nicht,  sondern  erhöht  ihren  Werth.  Aber  die  Beschränktheit  der 
menschlichen  Natur  bringt  es  mit  sich,  dass  auch  der  Umfang  der 
Rechte,  denen  solche  freie  Pflichten  gegenüberstehen,  nur  ein  be- 
schränkter sein  kann,  und  dass  es  ftlr  jeden  Menschen  eine  Grenze 
gibt,  über  die  hinaus  ihm  eine  äquivalente  Pflichtleistung  unmögUch 
wird.  Darum  ist,  von  den  primitivsten  Stufen  beginnender  Rechts- 
entwicklung abgesehen,  der  Absolutismus  eine  unmoralische,  und 
der  Anarchismus,  wenn  er,  wie  es  von  seinen  theoretischen  Ver- 
tretern geschieht,  als  eine  realisirbare  Form  friedlichen  Zusammen- 
lebens gedacht  wird,  eine  psychologisch  wie  moralisch  unmögliche 
Ordnung*). 


*)  Beide  bilden  hierbei  insofern  Gegensätze,  als  der  eine  nur  eine  Person, 
den  absoluten  Herrscher,  der  andere  jede  Person  zum  absoluten  Rechtssubject 
macht.  Der  Absolutismus  hat  übrigens  selbst  ein  Gefühl  davon,  dass  das  dem 
Einen  zugestandene  Recht  durch  keine  menschliche  Pflichtleistung  gedeckt 
werden  kann,  daher  er,  wenigstens  conventionell ,  an  der  primitiven  Lehre 
von  dem  unmittelbaren  göttlichen  Ursprung  des  absoluten  Rechts  festzuhalten 
pflegt.  Der  Anarchismus  gesteht  ausdrücklich  ein,  dass  mit  der  Geltendmachung 
schrankenloser  Rechte  fQr  Jeden  eine  Rechtsordnung  Überhaupt  unverträglich 
ist,  und  er  fordert  daher  Ersatz  derselben  durch  beliebige  Conventionelle  Rege- 
lung der  momentanen  Bedürfnisse.  Darin  ist  aber  erstens  vorausgesetzt,  dass 
der  in  einer  Gesammtheit  entstehende  Rechtswille  nichts  sei  als  die  Summe  der 
Einzelwillen,  was  psychologisch  wie  historisch  nicht  zutrifft;  und  zweitens,  dass  was 


Begriff  des  Rechts  und  Aufgaben  der  Rechtswissenschaft.  549 

Dem  Recht  steht  das  unrecht  als  seine  unvermeidliche  Kehr- 
seite gegenüber.  Wie  es  ein  Recht  nur  unter  willensfreien,  aber 
einem  übergeordneten  Willen  unterworfenen  Wesen  geben  kann,  so 
setzt  auch  das  Unrecht  diese  beiden  Bedingungen  voraus,  und  zwar 
die  Willensfreiheit  in  der  Form  eines  durch  klar  bewusste  Motive 
bestimmten  Wollens,  der  Zurechnungsfähigkeit,  Rechte  und 
Pflichten  aber  als  gegeben  in  einer  dem  Einzelwillen  seine  Richtung 
anweisenden  positiven  Rechtsordnung.  Von  diesen  beiden  Bedingungen 
ist  die  zweite  von  Anfang  an  eine  unerlässliche  Rechtsgrundlage, 
wenn  auch  das  Mass  der  Rechte  und  Pflichten  und  namentlich  das 
Verhältniss  zwischen  beiden  mannigfachem  Wechsel  unterworfen  ist. 
Die  erste  di^egen  ist  ganz  und  gar  ein  Erzeugniss  der  allmählichen 
Durchdringung  des  Rechts  mit  humanen  Motiven.  Eine  rohere  Rechts- 
anschauung nimmt  überall  die  äussere  That  zum  Mass  des  richter- 
lichen ürtheils.  Erst  ein  feineres  Rechtsgefühl  bringt  die  inneren 
Motive  mit  in  Rechnung:  es  verlangt  so  zunächst  für  die  schweren 
Formen  des  Unrechts,  die  gegen  den  Bestand  der  Rechtsordnung 
selbst  gerichtet  sind,  die  Zurechnungsfähigkeit  als  eine  zu  dem  ob- 
jectiven  Thatbestand  hinzukommende  subjective  Bedingung.  Viel 
später  erst  vermag  sich  diese  auch  im  Rechtsstreit  der  Einzelnen 
und  in  den  in  ihm  zum  Austrag  kommenden  Schädigungen  der 
subjectiven  Rechte  Geltung  zu  verschaffen*).  Dennoch  muss  sie 
auch  hier  unvermeidlich  sich  Bahn  brechen,  sobald  alles  Un- 
recht als  eine  Verletzung  des  allgemeinen  Rechts- 
willens betrachtet  wird,  so  dass  es  mit  Bezug  auf  dies  letzte  Sub- 


der  Ahsolutismus  für  Einen  annimmt  für  Alle  gelte,  das  heisst,  dass  alle  Menschen 
Götter  seien.  Die  Bemerkung  von  R.  Stammler  (Die  Theorie  des  Anarchis- 
mos,  1894y  S.  42),  das  Rechtssystem  müsse  dem  Conventionalsystem  des  theoreti- 
schen Anarchismus  deshalb  vorgezogen  werden,  weil  das  letztere  auf  die  un- 
mündigen und  Unzurechnungsfähigen  nicht  anwendbar  sei,  beruht  also,  abge- 
sehen davon,  dass  sie  im  Grunde  an  der  Fiction  der  Naturrechtstbeorie  von 
einer  Entstehung  der  socialen  Ordnung  durch  willkürliche  Uebereinkunft  der 
Einzelnen  festhält,  doch  wohl  auf  einer  allzu  optimistischen  Ansicht  von  den 
mündigen  und  zurechnungsfähigen  Mitgliedern  der  menschlichen  Gesellschaft. 

^  In  der  That  ist  die  Controverse  hierüber  noch  in  der  heutigen  Juris- 
prudenz nicht  ganz  geschlossen.  Die  Nothwendigkeit,  beide  Bedingungen,  die 
objective  und  die  subjective,  für  jede  Form  des  Unrechts  festzuhalten,  ist  be- 
sonders von  A.  Merkel  (Kriminalistische  Abhandlungen,  I,  1867,  S.  49)  und 
Bin  ding  (Die  Normen  und  ihre  Uebertretung.  I,  2.  Aufl.,  1890,  S.  237  ff.)  gegen- 
über den  noch  heute  den  Begriff  eines  «Unrechts  ohne  zurechenbare  Schuld" 
vertretenden  Civilrechtslehrem  betont  worden. 


550  Logik  der  GeseUschafUwissemchaiten. 

ject  des  Unrechts  yerschiedene  Formen  desselben  überhaupt  nicht 
geben  kann.  Auch  darin  bildet  das  Unrecht  nur  die  Kehrseite  de^ 
Rechts,  für  das  mehr  und  mehr  in  der  heutigen  Rechtswissenschaft 
der  Grundsatz  zur  Anerkennung  gelangt:  ^Es  gibt  an  und  f&r  sich 
nur  öffentliche  Rechte*.  Das  subjective  Recht  des  Einzelnen  ist 
nur  deshalb  Recht,  weil  es  von  dem  allgemeinen  Rechtswillen  ab 
Recht  anerkannt  und  geschützt  wird**").  Eben  deshalb  ist  nun  aber 
auch  jede  Verletzung  eines  Einzelrechts  Verletzung  des  allgemeinen 
Rechts wiUens,  und  nur  insofern  sie  das  letztere  ist,  kann  sie  die 
Organe  jenes  Rechtswillens  zur  Sühne  der  begangenen  Rechtsver- 
letzung und,  so  weit  es  möglich  ist,  zur  Wiederherstellung  des  ge- 
schädigten Rechtsgutes  in  Anspruch  nehmen. 

Wie  nun  jedem  Recht  eine  Pflicht  oder  eine  Mehrheit  von 
Pflichten  gegenübersteht,  die  sich  zumeist  auf  mehrere  Rechtssubjecte 
vertheilt,  so  ist  auch  das  Unrecht  in  einer  doppelten  Form  möglich : 
in  der  positiven  der  Rechts  Verletzung  und  in  der  negativen  der 
Pflichtversäumniss,  wobei  aber  freilich  diese  beiden  Momente 
eben  wegen  jenes  engen  Zusammenhangs  von  Recht  und  Pflicht  in 
der  Regel  verbunden  sind*'*'),  daher  sich  auch  eine  principielle  Schei- 
dung der  Formen  des  Unrechts  auf  dieses  Verhältniss  nicht  gründen 
lässt.  Denn  obgleich  selbstverständlich  die  schwereren  Formen  die- 
jenigen sind,  die  von  vornherein  in  Rechtsverletzungen  bestehen,  und 
jene  die  leichteren ,  bei  denen  solche  erst  nachtnlglich  aus  einer 
vorangegangenen  Pflichtversäumniss  entspringen,  so  spielt  doch  in 
beiden  Fällen  das  Mass  der  überhaupt  eintretenden  Störung  der 
Rechtsordnung  eine  so  überwiegende  Rolle,  dass  dagegen  das  Ver- 
hältniss  jener  positiven  und  negativen  Momente  verschvrindet.  Dies 
und  die  Schwierigkeit,  überhaupt  feste  Grenzbestimmungen  für  die 
Arten  und  Grade  des  Unrechts  zu  finden,  ist  denn  auch  die  Ursache, 
weshalb  die  Rechtswissenschaft  in  der  Regel  ganz  auf  eine   caasale 


*)  Vortrefflich  ist  dies  an  der  Hand  der  Kritik  der  entgegengesetzten 
Anschauung  und  ihrer  verschiedenen  Formalirungen  von  A.  Merkel  dargelegt 
worden  (Kriminalistische  Abhandlungen,  I,  S.  1  ff.)«  Vgl.  auch  desselben  Vei^ 
fassers  Elemente  der  allgemeinen  Rechtslehre,  in  von  HoltzendorfFs  EncyUop&die 
der  Rechtswissenschaft,  5.  Aufl. ,  femer  A.  Thon,  Rechtsnorm  und  subjectives 
Recht,  1878,  S.  108  ff.,  6.  Jellinek,  System  der  subjectiTen  öffentlichen  Rechte, 
1892,  S.  89  ff.,  Bierling,  Juristische  Principienlehre,  I,  S.  169  ff.,  0.  Gierke, 
Deutsches  Privatrecht,  I,  1895,  S.  251  ff. 

**)  Vgl.  Merkel,  Kriminalistische  Abhandlungen,  I,  S.  76  ff.  und,  theil- 
weise  gegen  Merkels  Auffassung  Über  die  Bedeutung  dieser  Unterschiede, 
Bin  ding.  Normen,  1,  2.  Aufl.,  S.  252  ff. 


Begriff  des  Rechts  und  Aufgaben  der  Rechtswissenschaft.  551 

Eintheilung  der  Formen  desselben  verzichtet,  indem  sie  sich  damit 
begnügt  es  nach  den  eintretenden  Rechtsfolgen  in  das  Civil- 
delict  und  das  Strafdelict  zu  scheiden,  wobei  als  die  Rechts- 
folge des  ersteren  ausschliesslich  die  Wiederherstellung  des  einge- 
tretenen Schadens,  als  die  des  zweiten  neben  ihr  die  Strafe  des 
Thäters  betrachtet  wird**").  Aber  Wirkungen  können  niemals, 
und  am  allerwenigsten  bei  den  verwickelten  Erscheinungen  des 
Rechtslebens,  in  der  principiellen  Untersuchung  der  Erscheinungen 
die  Ursachen  ersetzen:  sie  weisen  in  diesem  Fall  offenbar  auf  einen 
Unterschied  hin,  der  in  dem  entwickelten  Rechtsbewusstsein  be- 
gründet ist;  sie  sagen  aber  nicht,  welches  dieser  Unterschied  sei. 
Wären  Privatrecht  und  öffentliches  Recht  zwei  grundsätzlich  zu 
scheidende  Gebiete,  so  würde  die  Sache  natürlich  keine  Schwierig- 
keit machen:  dann  wäre  das  Privatdelict  als  Verletzung  eines  privaten 
subjectiven  Rechts,  das  Strafdelict  als  eine  solche  des  öffentlichen 
Rechts  vollkommen  zureichend  definirt '*''*').  Aber  wenn  jedes  Recht 
seiner  Natur  nach  öffentliches  Recht  und  demnach  auch  jedes  Un- 
recht eine  Verletzung  des  rechtlichen  Gesammtwillens  ist,  so  lässt 
diese  Hülfe  im  Stich,  und  der  Unterschied  kann  nur  noch  in  der 
Bedeutung  begründet  sein,  die  der  Rechtswille  in  verschiedenen 
Fällen  der  Rechtsverletzung  beilegt,  und  die  allerdings  in  den  Rechts- 
folgen leicht  erkennbar  sich  ausspricht.  Diese  Verschiedenheit  der 
Bedeutung  muss  sich  aber  ergeben,  sobald  man  sich  die  Rechts- 
anschauungen  psychologisch  zu  vergegenwärtigen  sucht,  aus  denen 
jene  Rechtsfolgen  hervorgehen.  Hier  weist  nun  die  des  Privat- 
delicts  augenscheinlich  darauf  hin,  dass  das  Rechtsbewusstsein  die 
hier  vorliegende  Form  des  Unrechts  als  eine  solche  auffasst,  die 
bloss  einen  einzelnen,  im  Hinblick  auf  den  ganzen  Zusammen- 
hang zufälligen  Bestandtheil  der  Rechtsordnung  verletzt,  so  dass 
mit  der  Beseitigung  der  Störung  zugleich  das  begangene  Unrecht 
völlig  gehoben  erscheint.  Bei  dem  öffentlichen  Delict  dagegen 
wird  der  allgemeine  Bestand  der  Rechtsordnung  verneint,  daher 


*)  Vgl.  Bin  ding,  Normen,  I,  S.  260  ff.,   Thon,  Rechtsnormen  und  sub- 
jectives  Recht,  S.  120  ff. 

**)  So  in  der  That  durchgängig  die  ältere  Jurisprudenz,  wobei  dann  in 
der  Regel  das  Privatrecht  als  die  Summe  der  subjectiven  Vermögensrechte  oder 
auch  mit  Brinz  bloss  negativ  als  die  Summe  der  Rechte  definirt  wird,  die 
«nichts  als  Rechte  sind'',  d.  h.  denen  keine  Pflichten  (wobei  selbstverständlich 
T»ir  die  Zwangspflichten  als  solche  anerkannt  werden)  gegenüberstehen.  (Brinz, 
Pandekten,  1.  Aufl.,  I.  S.  48.) 


552  Logik  der  GesellBcbaftswissenscbaflen. 

in  diesem  Fall  eine  eigentliche  Aufhebung  des  begangenen  Unrechts 
unmöglich  ist  und  statt  ihrer  nun  das  Rechtsbewusstsein  einerseüß 
eine  Sühne  verlangt,  die  zur  Grösse  der  Störung  in  einem  ange- 
messenen Verhältnisse  steht,  anderseits  aber  eine  Sicherung  gegen 
die  in  der  Rechtsverletzung  gelegene  -Bedrohung  der  Rechtsordnung 
fordert*).  So  ist  die  Nichterfüllung  einer  vertragsmässig  einge- 
gangenen Verbindlichkeit  ein  Privatdelict:  der  Schuldner  negirt  nicht 
die  allgemeine  Verbindlichkeit  zur  Erfüllung  eingegangener  Zwangs- 
pflichten, noch  weniger  die  Rechtsordnung  überhaupt.  Ein  Mord^ 
ein  Diebstahl  dagegen  sind  Handlungen,  die,  wenn  auch  gegen  ein- 
zelne Personen  und  gegen  einzelnes  Eigenthum  gerichtet,  doch  durch 
ihre  Beschaffenheit  die  Rechtsordnung,  die  den  Schutz  des  Lebens 
und  des  Eigenthums  anerkennt,  verneinen.  Die  Frage  jedoch,  was 
bloss  als  Verletzung  eines  Einzelrechts,  und  was  als  allgemeiner 
Rechtsbruch  anzusehen  sei,  ist  nicht  für  jeden  Fall  unzweideutig  zu 
beantworten.  Denn  theils  können  sich  Privatdelict  und  StrafdeUet 
in  dem  Sinne  combiniren,  dass  eine  That  nach  ihrer  einen  Seite 
nur  als  Verletzung  eines  Einzelrechts,  nach  ihrer  andern  aber  als 
ein  aUgemeiner  Rechtsbruch  erscheint:  dann  ist  natürlich  auch  die 
Beurtheilung  eine  gemischte.  Theils  aber  ist  überhaupt  die  Schei- 
dung dieser  Gebiete  in  hohem  Masse  den  Wandlungen  der  Rechts- 
anschauungen im  Laufe  der  Zeit  unterworfen.  Diese  Wandlungen 
sind  durchgängig  in  dem  Sinne  eingetreten,  dass  sich  der  Begriff 
des  öffentlichen  Delicts  mehr  und  mehr  erweitert  und  einstige 
Formen  des  Privatdelicts  in  sich  aufgenommen  hat.  Zwar  fehU> 
namentlich  unter  dem  Einflüsse  eines  stark  ausgebildeten  Eigenthums- 
schutzes,  auch  die  umgekehrte  Bewegung,  die  Zurückweisung  ein- 
stiger Straf  vergehen  in  das  Gebiet  der  blossen  Privatdelicte ,  nicht 
ganz;  aber  sie  bildet  doch  gegenüber  der  vorherrschenden  Tendenz 
der  Rechtsentwicklung  nur  eine  untergeordnete  Strömung.  In  pri- 
mitiven Zuständen  gilt  überall  die  Verletzung  von  Leben  und  Eigen- 
thum als  eine  Schädigung  des  Einzelnen  oder  der  Sippe,  nicht  als 
öffentliche  Rechtsverletzung.  Und  auch  der  Begriff  der  letzteren 
hat  zuerst  eine  persönliche  Richtung:  in  dem  König,  dem  Häupt- 
ling, dem  Priester  findet  sich  der  ganze  Stamm  verletzt.  Von  diesen 
Ersten  der  Gemeinschaft  geht  dann  allmählich  der  Begriff  des  öffent- 
lichen Unrechts  auf  andere  hervorragende  Glieder  der  Sippen,  end- 


*)  Ueber  den  aus  diesen  Elementen  sich  zusammensetzenden  Begriff  der 
Straf©  vgl.  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  535  ff. 


Begriff  des  Rechts  and  Aufgaben  der  Rechtswissenschaft.  553 

lieh  auf  alle  freien  Mannen  und  zum  Theil  auch  auf  die  Frauen, 
zuletzt  auf  die  Nichtfreien  und  die  Stammesfremden  über.  Der 
Sclave  wird  in  der  Regel  erst  mit  seiner  Befreiimg  zum  wirklichen 
Rechtssubject  und  damit  zum  Gegenstand  des  Rechtsschutzes. 

Von  den  äusseren,  in  dem  Yerhältniss  des  rechtlichen  Ge- 
sammtwillens  zu  den  Einzelwillen  begründeten  Merkmalen  des  Rechts 
unterschieden  wir  oben  (S.  546)  dessen  innere  Merkmale.  Ihrer 
lassen  sich  zwei  unterscheiden:  die  Zweckmässigkeit  der  von 
dem  Elechts willen  gesetzten  Ordnung,  und  die  Gerechtigkeit 
dieser  Ordnung*).  •^"'^*''^'  .; 

In  der  Regel  hat  die  Rechtstheorie  ein  einzelnes  dieser  Merk- 
male bevorzugt,  oder  sie  hat  wohl  auch  das  einzig  wesentliche  Merk- 
mal des  Rechts  in  der  oben  betrachteten  äusseren  Eigenschaft 
des  Rechts  willens ,  in  seiner  Macht,  gesehen.  Stellte  man  dieses 
äussere  Merkmal  in  den  Vordergrund,  so  verband  sich  damit  natur- 
gemäss  ein  Verzicht  auf  jede  logische  wie  ethische  Begründüng  des 
Rechtsbegriffs ,  also  die  principielle  Verneinung  allgemeingültiger 
Rechtsnormen.  Denn  als  die  einzige  Quelle  dieser  Normen  wurde 
ja  das  jeweils  geltende  positive,  als  solches  allein  mit  den  er- 
forderlichen Machtmitteln    ausgerüstete    Recht   betrachtet**).      Bei 


*)  A.  Merkel  (Juristische  Encyklopädie ,  1885,  S.  12  ff.)  unterscheidet 
als  die  wesentlichen  Momente  des  ohjectiven  Rechts  Lehre  und  Macht  und 
gliedert  die  erstere  wieder  in  die  Momente  des  Zwecks  und  der  Gerechtigkeit. 
Diese  Voranstellung  des  Begriffs  der  .Lehre'  scheint  mir  jedoch  nicht  unbedenk- 
lich. Zweckmässigkeit  und  Gerechtigkeit  sind  dem  Rechtswillen  unmittelbar 
immanent:  sie  bilden  schon  Bestandtheile  des  Rechtsgefühls,  bei  dem  es  zu 
einem  lehrhaften  Ausdruck  dessen  was  Recht  sei  noch  gar  nicht  gekommen  ist. 
Die  Lehre  ist  also  hier  meines  £rachtens  ein  Secundäres,  wenn  sie  auch  selbst- 
verständlich der  Zweckmässigkeit  und  Gerechtigkeit  des  Rechts  nothwendig  zu 
ihrem  Ausdruck  verhelfen  muss.  Die  ältere  Theorie  verlegte  den  Schwerpunkt 
des  Rechtsbegriffs,  im  Anschlüsse  an  die  Platonische  und  Aristotelische  Staats- 
ehre, zumeist  in  die  Gerechtigkeit.  Der  ethische  Utilitarismus  und  die  Natur- 
rechtfltheorie  stellten  dann  seit  Hobbes  und  Locke  die  Zweckmässigkeit  in 
den  Vordergrund,  unter  den  neueren  Schriftstellern  hat  vor  allen  Jhering 
wieder  die  Zweckmässigkeit  als  das  entscheidende  Princip  des  Rechts  betont. 
(Der  Zweck  im  Recht.  2  Bde.,  1877—83.)  Ueber  die  Nothwendigkeit  der  Ver- 
einigang  der  beiden  Begriffe  vgl.  auch  L.  Oppenheim,  Grerechtigkeit  und 
Gesetz.    1895. 

**)  Der  hauptsächlichste  Vertreter  dieser  Anschauung  ist,  abgesehen  von 
der  schon  in  der  antiken  Sophistik  sich  regenden  verwandten  Grundstimmung, 
Thomas  Hobbes,  an  den  sich  die  neueren  Vorkämpfer  des  reinen  Autoritäts- 
staats, ein  deMaistre,  Haller  u.  A.,  anschliessen.    Von  etwas  abweichenden 


554  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

dieser  reinen  Autoritätstheorie  kann,  wenn  sie  folgerichtig  duitsh- 
geführt  wird,  von  einer  Begründung  der  RechtsbegrifFe  überhaupt 
nicht  die  Rede  sein.  Dagegen  theilen  sich  die  Zweckmässigkeits- 
und  die  Gerechtigkeitstheorie  derart  in  die  möglicher  Weise  an- 
zunehmenden Motive  der  Rechtsbildung,  dass  die  erstere  diese  Motive 
psychologisch  ganz  und  gar  auf  die  intellectuelle,  die  zweite 
vorwiegend  oder  mindestens  theil weise  auf  die  emotionale  Seite 
verlegt.  Diesem  psychologischen  entspricht  zugleich  ein  ethischer 
unterschied.  Die  Zweckmässigkeitslehre  nimmt  in  der  Regel  den 
Nutzen  und  zwar  im  Sinne  des  wohlverstandenen  Interesses  der  Ein- 
zelnen zur  Grundli^e  ihrer  Deductionen:  dieses  Interesse  der  Ein- 
zelnen ist  ihr  sowohl  ursprüngliches  Motiv  wie  endgültiger  Zweck 
aller  Rechtsbildung.  Die  Gerechtigkeitstheorie  dagegen  geht  zurück 
auf  die  in  den  ursprünglichen  Sympathiegeffihlen  begründeten  Be- 
dingungen des  Zusammenlebens.  Die  Gerechtigkeit  erscheint  ihr  als 
die  angemessene  Ausgleichung  zwischen  dem  eigenen  Interesse  und 
der  Sympathie  mit  dem  Nebenmenschen.  In  den  Rechtsnormen  sieht 
sie  daher  die  Verwirklichung  dieses  ursprünglich  ebenfalls  in  der 
Form  eines  Gefühls  vorhandenen  Strebens  nach  gerechter  Verthei- 
lung  der  Lebensgüter  und  nach  einer  die  Störungen  dieses  Strebens 
ausgleichenden  Ordnung*). 

Aber  das  Recht  ist  ebensowohl  eine  logische  wie  eine  ethi- 
sche Ordnung.  Findet  die  erste  in  der  Zweckmässigkeit,  so  findet 
die  zweite  in  der  Gerechtigkeit  ihren  Ausdruck.  Und  dazu  kommt 
als  ein  unerlässlicher  äusserer  Bestandtheil,  der  dem  logischen  wie 
dem  ethischen  Princip  erst  zur  Verwirklichung  verhilft,  die  Macht, 
durch  die  sich  der  allgemeine  Rechtswille  die  Einzelwillen  unter- 
wirft und  die  Störungen  ausgleicht,  die  aus  dem  Widerstand  gegen 


Grundlagen  aus  v  ertheidigen  das  nämliche  Princip  v.Eirchmann,  Grandbegriffe 
des  Rechts  und  der  Moral,  2.  Aufl.,  1873,  und  Gumplowicz,  Der  Raaaenkampf, 
1888,  S.  218  ff.  Freilich  ist  die  Autoritätstheorie  nirgends  streng  festgehalten 
worden.  Schon  bei  Hobbes  hat  sie  wesentliche  Bestandtheile  der  Zweck- 
raässigkeitstheorie  in  sich  aufgenommen. 

*)  Psychologisch  am  feinsten  hat  diese  (allerdings  von  der  alten  Platonisch- 
Aristotelischen  Form  sehr  abweichende)  moderne  Gerechtigkeitstheorie  der  Be- 
gründer des  neueren  ökonomischen  Liberalismus,  Adam  Smith,  dorchgefiihrt 
(in  seiner  Theorj  of  moral  sentiment,  1759).  Wie  nach  seiner  Anschauung 
das  wirthschaftliche  Leben  von  dem  Egoismus,  so  wird  die  Gerechtigkeit  von 
der  Sympathie  regiert  Neuere  Gestaltungen  der  Gerechtigkeitstheorie  bei 
Herbart  u.  A.  unterscheiden  sich  von  der  Lehre  Smiths  zumeist  nur  in  Neben- 
dingen.   Weiteres  über  die  neueren  Rechtstheorien  vgl.  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  565  ff. 


Begriff  des  Rechts  und  Aufgaben  der  Rechtswissenschaft.  555 

seine  Autorität  entstehen.  Nur  jene  drei  Begriffe  zusammen  er- 
schöpfen also  den  Begriff  des  Rechts  nach  seinen  wesentlichen  inneren 
wie  äusseren  Merkmalen.  Zugleich  bedarf  aber  der  Inhalt  dieser 
Begriffe  gegenüber  der  ihnen  in  den  einseitigen  Theorien  zumeist 
beigelegten  Bedeutung  einer  Erweiterung  und  Berichtigung.  So  weit 
sich  nämlich  auch  diese  Theorien  in  der  Beantwortung  der  Frage 
nach  den  letzten  Motiven  der  Rechtsordnung  von  einander  entfernen 
—  darin  sind  sie  im  allgemeinen  einig,  dass  sie  die  Einzelnen, 
die  die  Träger  fest  abgegrenzter  subjectiver  Rechte  sind,  zugleich 
za  Urhebern  und  Trägem  des  objectiven  Rechts  machen.  In  dieser 
einseitig  individualistischen  Tendenz  tragen  alle  diese  Theorien 
die  Spuren  ebensowohl  der  utilitarischen  Ethik  wie  der  von  der 
Naturrechtstheorie  ins  ungemessene  erweiterten  privatrechtUchen  An- 
schauungen an  sich.  So  schreibt  die  Autoritätstheorie  dem 
Herrscher  ein  rein  individuelles  absolutes  Recht  zu,  das  er  ent- 
weder direct  von  Gott  oder  von  allen  Einzelnen  in  einem  ursprüng- 
lichen Unterwerfungsvertrag  empfangen  haben  soll.  Die  Zweck- 
mässigkeitstheorie  macht  das  Interesse  der  Individuen  zur 
Grundlage  des  Rechts.  Der  Rechtswille  ist  ihr  ein  zur  Aus- 
gleichung des  Streites  der  individuellen  Interessen  und  zur  Sicherung 
Aller  vor  der  Gefährdung  dieser  Interessen  willkürlich  geschaffenes 
Werkzeug.  Die  Gerechtigkeitstheorie  endlich  betrachtet  den 
Grundsatz  des  ,,Suum  cuique^  als  die  oberste  Regel  des  Rechts,  aus 
der  alle  besonderen  Rechtssatzungen  abzuleiten  seien.  Dieses  Suum 
caiqne  aber  versteht  sie  wieder  ausschliesslich  im  individuellen  Sinne : 
es  ist  ihr  theils  ein  Grundsatz  der  ausgleichenden  theils  ein  solcher 
der  vergeltenden  Gerechtigkeit  für  die  Einzelnen.  Der  aus- 
gleichenden, indem  Jeder  so  viel  Rechte  über  die  ihm  durch  Geburt 
und  Erwerb  zufallenden  Sachgüter  und  vertragsmässig  zugesicherten 
Leistungen  beanspruchen  darf,  als  mit  den  ähnlichen  Rechten  Anderer 
vereinbar  ist;  der  vergeltenden,  indem  Jeder  der  die  Rechte  Anderer 
schädigt  zur  Sühne  dieser  Schädigung  durch  Ersatz  und  Strafe  an- 
gehalten wird.  Alle  diese  Anschauungen  machen  endlich,  so  weit 
sie  überhaupt  dem  «Recht  einen  menschlichen  Ursprung  geben ,  die 
Einzelnen  zu  Urhebern  des  Rechts;  sie  betrachten  dieses  als  eine 
willkürliche  Schöpfung,  die  sich  empfiehlt,  weil  sie  zweckmässig 
und  gerecht  ist,  die  aber  doch  an  sich  ebenso  gut  auch  nicht  sein 
könnte. 

Diese   Annahme    einer    willkürlichen    Einsetzung    des    Rechts 
durch  die   Einzelnen  ist  nun  aber  geschichtlich  ebenso  falsch  wie 


556  Logik  der  Gesellscbaftswissenschaften. 

psychologisch  unmöglich  —  so  unmöglich  wie  die  Entstehung  der 
Sprache  durch  wiUkürliche  Uebereinkunft.  Der  allgemeine  Rechts- 
wille ist  nicht  durch  Vertrag  entstanden,  weil  er  allen  Vertragen 
vorausgehen  muss.  Er  ist  nicht  durch  die  Willkür  der  Einzelnen 
hervorgebracht,  weil  er  ein  natürliches  Erzeugniss  der  Gemeinschaft 
ist,  auf  das  erst,  wenn  es  ezistirt,  der  Einzelwille  einen  Einfluss 
gewinnen  kann.  Ist  das  Recht,  wie  seine  Entwicklungsgeschichk 
lehrt,  ein  natürliches  Differenzirungsproduct  der  Sitte,  so  muss  eb 
auch,  wie  diese  selbst,  in  dem  ursprünglichen  Gesammtwillen  be- 
gründet sein,  der  freilich  unmittelbar  aus  der  übereinstimmenden 
Willensrichtung  der  Einzelnen  resultirt,  der  aber  eben  deshalb,  weil 
eine  gemeinsame  Willensrichtung  von  Anfang  an  da  ist,  nicht  erst 
durch  Abstimmung  oder  Anerkennung  gefunden  und  festgestellt  zu 
werden  braucht.  Mag  die  naive  Anschauung  hier,  wie  in  allen  andern 
ähnlichen  Fällen,  den  inneren  Vorgang  nach  aussen  verlegen,  indem 
sie  ihn  auf  einen  Gott  oder  einen  ersten  Gesetzgeber  und  Richter 
zurückführt  —  in  allen  diesen  Vorstellungen  verkörpert  sich  nur 
der  eigene  Gesammtwille,  und  die  Vertrags-  und  Erfindungstheorien 
sind,  in  diesem  Lichte  betrachtet,  nichts  anderes  als  späte  Raüonali- 
sirungsversuche  der  nämlichen  mythologischen  Denkweise. 

Ist  der  Rechtswille  nie  als  eine  Schöpfung  ursprünglich  ver- 
einzelter Individuen  zu  begreifen,  und  kann  demnach  das  Recht  als 
Macht  nur  dadurch  sich  rechtfertigen,  dass  es,  wenngleich  nicht 
ausserhalb,  sondern  in  der  Gemeinschaft  entstanden,  doch  von  An- 
fang an  über  den  Einzelnen  steht,  so  gewinnen  nun  aber  noth wendig 
auch  die  beiden  inneren  Merkmale  des  Rechts,  die  Zweckmässig- 
keit und  die  Gerechtigkeit,  eine  andere  als  jene  individuelle  Be- 
deutimg, wie  die  Naturrechtstheorie  und  die  das  Recht  wesentlich 
unter  dem  Gesichtspunkt  der  subjectiven  Einzelrechte  betrachtende 
Richtung  der  Jurisprudenz  sie  statuiren.  Zweckmässigkeit  wie  Ge- 
rechtigkeit sind  nicht  die  ursprünglichen  Ursachen,  sondern  die 
Wirkungen  des  Rechts  willens ,  —  eben  darum  durchdringen  sie 
keineswegs  von  Anfang  an  alle  Rechtsbildungen,  sondern  bilden 
namentlich  in  ihren  vollkommeneren  Gestaltungen  nur  die  späten 
Blüthen  einer  langen  Entwicklung.  Ursache  des  Rechts  ist  zunächst 
die  Existenz  eines  realen  Gesammtwillens  und  weiterhin  einer  Ge- 
meinschaft, die  in  Folge  übereinstimmender  Anschauungen,  Gefühle 
und  Triebe  einen  solchen  Gesammtwillen  erzeugen  kann.  Der  Ge- 
sammtwille aber  hat  von  Anfang  an  eine  autoritative  Macht,  welcher 
der    natürliche    Gehorsam    der    Genossen    gegenübersteht.     Er  will» 


Begriff  des  Rechts  und  Aufgaben  der  Rechtswissenschaft.  557 

wenn  auch  mannigfach  irrend  und  durch  die  Verkörperung  des 
Recbtswillens  in  einzelnen  Individuen  Sonderinteressen  dienstbar  ge- 
macht, was  für  die  Gemeinschaft  zweckmässig  und  gerecht  ist. 
In  solchem  Sinne  genommen  haben  beide  Begriffe  eine  doppelte 
Richtung.  Das  Zweckmässige  ist  zunächst  das  für  die  Gesammtheit 
Förderliche:  hier  ist  der  Einzelne  lediglich  Werkzeug  des  Ganzen, 
seine  eigenen  Interessen  kommen  überhaupt  nicht  in  Frage.  Da- 
neben bildet  sich  aber  immer  entschiedener  ein  Lebensgebiet  aus, 
das  der  Einzelne  für  sich  hat,  in  dem  er  seine  subjectiven  Zwecke 
verfolgt,  die  theilweise  mit  den  ähnlichen  Interessen  Anderer  sich 
kreuzen.  So  treten  die  individuellen  Zwecke  mit  den  Gesammt- 
zwecken  in  Wettstreit,  und  die  wesentlichste  Entwicklung  des  Rechts 
nach  der  Seite  der  Zweckmässigkeit  besteht  daher  darin,  dass  Rechts- 
organisationen gebildet  werden,  die  ein  friedliches  und  wechselseitig 
förderndes  Zusammenbestehen  collectiver  und  individueller 
Zweckthätigkeit  möglich  machen.  Diese  Zweckmässigkeit  des 
Rechts  ist  aber  nicht  Ursprung  sondern  Product  seiner  Entwick- 
lung. Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  Gerechtigkeit.  Auch  sie 
schhesst  von  Anfang  an  zwei  Bestandtheile  ein.  Der  eine  besteht 
in  der  gerechten  Abwägung  der  Pflichten  gegen  die  Gemeinschaft 
und  der  Rechte,  die  dem  Einzelnen  nach  Massgabe  dieser  Pflichten 
zugetheilt  werden.  Diese  coUective  Form  der  Gerechtigkeit,  die  mit 
der  grössten  individuellen  Ungleichheit  der  Rechte  zusammenbestehen 
kann,  weil  sie  das  subjective  Recht  des  Einzelnen  durchaus  nicht  an 
dem  Recht  des  Andern  sondern  nur  an  der  zugleich  auferlegten 
Pflicht  misst,  überwiegt  ganz  und  gar  in  den  Anfängen  der  Rechts- 
entwicklung; sie  tritt  aber  auch  später  thatsächlich  überall  da  in 
den  Vordergrund,  wo  das  Geroeinschaftsinteresse  starke  Ansprüche 
erhebt,  hinter  denen  die  individuellen  Zwecke  zurückstehen  müssen. 
Der  Gerechtigkeitsbegriff  des  Platonischen  Staats  ist  völlig  von  dieser 
Art:  er  geht  vielleicht  um  so  energischer  nach  dieser  Richtung,  weil 
der  Philosoph  in  seiner  eigenen  Zeit  diese ,  wie  er  meinte ,  wahre 
Form  der  Gerechtigkeit  nicht  mehr  vorfand.  Denn  in  der  That  ist 
es  unvermeidlich ,  dass  dieselbe  allmählich  mit  einer  zweiten ,  der 
individuellen  Form  des  Begriffs  in  Streit  geräth.  Sie  besteht 
darin,  dass  die  Befugnisse  wie  Pflichten  gleich  unter  die  Einzelnen 
getheilt  werden.  Da  nun  aber  der  Streit  der  Interessen,  der  überall 
sich  regt,  wo  der  Eine  dem  Andern  in  der  Erstrebung  gleicher 
Zwecke  gegenübertritt,  naturgemäss  in  allererster  Linie  ein  Streit 
um  das  subjective  Recht,   kaum  gemals   oder  doch  nur  unter  aus- 


558  Logik  der  GesellschaftswiBsenBcbaften. 

nahmsweisen  Yerhältnisseii  ein  solcher  um  die  Pflicht  ist,  so  wird 
in  diesem  Streit  der  Interessen  das  Recht  mehr  und  mehr  zu  einem 
Hülfsmittel,  welches  die  Rechte  der  Einzelnen  gerecht  gegen  ein- 
ander ausgleicht ;  und  indem ,  mit  yöUiger  Vernachlässigung  der 
gegenüberstehenden  Pflichten,  nur  das  subjective  Recht  als  beliebig 
zu  gebrauchendes  Machtmittel  des  Einzelnen  angesehen  wird,  gilt 
nun  Yon  diesem  individuellen  Standpunkte  aus  das  .gleiche  Recht 
für  Alle*  als  die  wahre  Maxime  der  Gerechtigkeit.  Ist  das  Recht 
weder  eine  willkürliche  Schöpfung  der  Einzelnen  noch  auch  aus- 
schliesslich um  der  Einzelnen  willen  da,  so  muss  aber  nothwendig 
in  den  Begriff  der  Gerechtigkeit  jedes  dieser  Elemente  aufgenommen, 
und  beide  müssen  in  der  Rechtsordnung  in  dem  Sinne  mit  einander 
in  Uebereinstimmung  gebracht  werden,  dass  im  allgemeinen  das  Recht 
der  Gesammtheit,  weil  diese  das  Subject  des  RechtswiUens  selbst 
und  zugleich  Urheberin  aller  Einzelrechte  ist,  dem  subjectiven  Recht 
der  Einzelnen  vorgeht,  dass  dagegen  die  Ausgleichung  zwischen  den 
auf  Grund  subjectiver  Einzelrechte  erhobenen  Ansprüchen,  so  weit 
nicht  jenes  Gemeinschaftsinteresse  in  Frage  kommt,  unter  der  Vor- 
aussetzung der  Rechtsgleichheit  der  Einzelnen  zu  ordnen  isi  Auf 
diese  Weise  nimmt  der  Grundsatz  des  ,Suum  cuique''  eine  doppelte 
Bedeutung  an.  Er  sagt  erstens:  „ Jedem  das  Seine  nach  dem  Mass 
seiner  Pflichten!*  Und  er  sagt  zweitens:  „Jedem  das  Seine  nach 
dem  Mass  der  gleichen  Rechte  Anderer!*  Dass  diese  beiden  Grund- 
sätze niemals  vollkommen  zusammentreffen  können,  und  dass  daher 
die  Rechtsordnung  zwischen  den  aus  beiden  sich  ergebenden  Forde- 
rungen überall  den  richtigen  Ausgleich  zu  finden  bemüht  sein  muss, 
ist  eine  nothwendige  Folge  menschlicher  UnvoUkommenheit.  Ab- 
solute Gleichheit  der  Rechte  würde  nur  zu  verwirklichen  sein  in 
einer  Gemeinschaft,  in  der  Jeder  im  Stande  wäre  auch  das  gleiche 
Mass  der  Pflicht  auf  sich  zu  nehmen.  Darum  kann  thatsächlich  die 
Forderung  der  Rechtsgleichheit  imter  den  wirklichen  Bedingungen 
des  menschlichen  Lebens  immer  nur  die  Bedeutung  eines  gleichen 
Rechtsschutzes  für  Alle  haben.  Aber  dabei  gilt  oft  noch  allzu 
sehr  dieser  gleiche  Rechtsschutz  an  und  für  sich  als  der  Zweck  des 
Rechts.  Das  würde  nur  dann  einen  Sinn  haben,  wenn  das  Recht 
eine  von  den  Einzelnen  ausschliesslich  zur  Verfolgung  ihrer  sub- 
jectiven Interessen  eingesetzte  Institution  wäre.  Wie  liesse  sich 
jedoch  auf  Grund  einer  solchen  Auffassung  die  Macht  begründen, 
die  das  Recht  thatsächlich  über  Leben  und  Eigenthum  ausübt? 
Diese  Macht  ist  nur  dadurch   möglich,    dass   es  nicht  bloss  Rechte 


Begriff  des  Rechts  und  Aufgaben  der  Rechtswissenschaft.  559 

schützt  sondern  auch  Pflichten  auferlegt,  und  dass  es  daher  die  von 
ihm  geübte  Gerechtigkeit  vor  allem  im  Sinne  der  richtigen  Ab* 
wägung  des  Verhältnisses  der  Rechte  zu  den  Pflichten  versteht, 
gleichgültig  ob  diese  Pflichten  Zwangspflichten  sind,  oder  ob  sie,  wie 
gerade  die  werthvolleren ,  im  Interesse  der  zu  erreichenden  Zwecke 
selbst  der  freien  Pflichtleistung  überlassen  bleiben.  Unter  allen  um- 
ständen kann  eine  solche  Macht  nicht  der  Einzelne  über  den  Ein- 
zehen  und  nicht  die  Majorität  über  die  Minorität,  sondern  nur  ein 
seinem  ursprünglichen  Wesen  nach  übergeordneter  Wille,  wie  ein 
solcher  der  Gesammtwille  ist,  über  einen  untergeordneten  Willen 
ausüben*). 

Es  ist  die  Aufgabe  der  Rechtswissenschaft,  die  Begriffe 
der  Zweckmässigkeit  und  der  Gerechtigkeit  in  den  doppelten  Be- 
deutungen, in  denen  sie  in  der  Rechtsordnung  zur  thatsächlichen 
Anwendung  kommen,  innerhalb  der  verschiedenen  Rechtsinstitutionen 
in  ihrem  wechselseitigen  Verhältnisse  und  in  ihren  durch  die  socialen 
Zustände  gegebenen  Bedingungen  zu  verfolgen.  Diese  Aufgabe  ist 
in  ihrer  Durchführung  wieder  eine  doppelte:  eine  theoretische  und 
eine  praktische.  Die  theoretische  Aufgabe  besteht  in  der  an  der 
Hand  jener  Begriffe  der  Zweckmässigkeit  und  Gerechtigkeit  und  auf 
Grund  der  gegebenen  socialen  Organisationsbedingungen  ausgeführten 
systematischen  Interpretation  der  positiven  Rechtsordnungen.  Als 
praktische  Aufgabe  schliesst  sich  daran  die  Anwendung  der  in 
diesen  Ordnungen  gegebenen  Rechtssätze  auf  die  einzelnen  Erschei- 
nungen des  wirklichen  Rechtslebens.  Wegen  des  üebereinander- 
greifens  verschiedener  Rechtssätze  schliesst  diese  Anwendung  selbst 
wieder  ein  theoretisches  Problem  ein:  das  der  angemessenen  Sub- 
sumtion unter  die  für  den  concreten  Fall  geltenden  Rechts- 
sätze, —  eine  Durchdringung  von  Theorie  und  Praxis,  die  zwar 
auch  in  andern  Gebieten  nicht  fehlt,  in  der  Rechtswissenschaft  aber 
wegen  der  Schvrierigkeiten,  denen  jene  Subsumtion  nicht  selten  be- 
gegnet, besonders  augenfällig  hervortritt. 

Die  systematische  Interpretation  der  positiven  Rechts- 
ordnungen, welche  demnach  die  Grundlage  für  alle  weiteren  theo- 
retischen wie  praktischen  Methoden  der  Jurisprudenz  bildet,  ist  nun 
theils  ein  logisches  theils  ein  psychologisches  Geschäft,  und  sie 
setzt  überdies  die  sorgfältige  Beachtung  sowohl  der  ethischen  wie 


*)  Vgl.  hierzu  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  447  ff.,  565  ff. 


560  Logik  der  Gesellflchafts Wissenschaften. 

der  thatsächlicheii  historischen  und  socialen  Bedingungen  der  in 
Frage  stehenden  Rechtsordnung  voraus.  Der  Jurisprudenz  der  Ver- 
gangenheit wird  man,  bei  aller  Anerkennung  ihrer  Verdienste  um 
die  Systematisirung  und  die  logische  Interpretation  des  Rechts,  den 
Vorwurf  nicht  ganz  ersparen  können,  dass  sie,  unter  dem  vor- 
waltenden Einfluss  des  Privatreclits  und  der  Ideen  der  Naturrechts- 
theorie, über  der  logischen  die  übrigen  Aufgaben  einigermassen 
verabsäumt  hat.  Es  ist  dadurch  ein  einseitig  dialektischer  und 
formalistischer  Betrieb  der  Jurisprudenz  entstanden,  bei  dem  nicbt 
nur  die  psychologische  Würdigung  der  Motive  der  Rechtshandlungen 
und  die  ethische  der  Zwecke  zu  kurz  kamen,  sondern  der  auch  der 
zureichenden  Vertiefung  in  die  realen  Bedingungen  des  gesellschafir 
liehen  Lebens  nicht  selten  entbehrte.  Der  nämliche  Apparat  formaler 
Begriffe  und  logischer  Deductionen  sollte  geeignet  sein,  ebensowohl 
in  dem  Streit  der  Parteien  über  Vermögensbefugnisse  wie  über  die 
aus  einem  verwickelten  Gewebe  psychologischer  Beweggründe  ent- 
springenden Verletzungen  der  Rechtsordnung  wie  endlich  über  die 
mannigfaltigsten  Fragen  wirthschaftlicher  und  politischer  Art,  die  sich 
in  den  verschiedensten  Gebieten  der  Verwaltung  und  Gesetzgebung 
erheben,  zu  entscheiden.  Da  die  einzige  Rettung  vor  der  Fülle  der 
so  von  den  einzelnen  Lebensgebieten  aus  an  den  Juristen  erhobenen 
Anforderungen  die  Zurückziehung  auf  die  von  dem  Inhalt  der  Probleme 
möglichst  abstrahirende  formale  Seite  derselben  war,  so  konnte  die 
Steigerung  der  Forderungen,  die  vor  allem  die  modernen  socialen 
Verhältnisse  mit  sich  führten,  zunächst  nur  dahin  wirken  diesen  ein- 
seitig logisch-formalistischen  Geist  der  Jurisprudenz  zu  verschärfen. 
Aber  wenn  nicht  alle  Anzeichen  trügen,  so  hat  für  diesen  Zustand 
die  Stunde  geschlagen.  Wenn  sie  erst  wirklich  gekommen  ist,  dann 
dürfte  es  sich  ereignen,  dass  die  Rechtswissenschaft  nicht  mehr, 
wie  es  heute  noch  namentlich  bei  denen  geschieht,  die  sich  ihr 
zuwenden  wollen,  als  die  leichteste,  sondern  dass  sie  als  eine  der 
schwersten  Wissenschaften  gilt,  weil  sie  in  Wahrheit  vielleicht  die 
umfassendsten  realen  Kenntnisse  voraussetzt. 

Der  Lösung  dieser  Aufgaben  tritt  nun  die  Rechtswissenschaft 
zunächst  vermittelst  einer  systematischen  Gliederung  der  ein- 
zelnen Rechtsgebiete  näher.  Dieses  System  gründet  sich  gegen- 
wärtig noch  auf  zwei  Haupteintheilungsgründe:  auf  eine  Eintheilang 
nach  den  Rechtssubjecten,  —  hieraus  entspringt  vor  allem  die 
Eintheilung  in  Privatrecht  und  öffentliches  Recht;  und  auf  eine  Ein- 
theilung  nach    den   einzelnen  socialen  Erscheinungsgebieten,   denen 


CivilisÜBche  und  publicistische  Methode.  561 

bestimmte  Rechtsinstitutionen  entsprechen,  also  nach  den  Rechts- 
objecten.  Nach  diesen  letzteren  unterscheidet  man  Vermögens- 
recht, Familienrecht,  Corporationsrecht,  Handelsrecht,  Gewerberecht, 
Verkehrsrecht,  Strafrecht,  Processrecht,  V erwaltungsrecht ,  Staats- 
recht, Völkerrecht  u.  a.  Es  ist  wohl  vorauszusehen,  dass  das  zweite 
Eintheilungsprincip  das  erste  allmählich  y erdrängen  wird,  da  es 
absolut  in  sich  abgeschlossene  Privatrechte,  solche  die  das  öffent- 
liche Recht  nicht  berühren,  überhaupt  nicht  gibt  und  vermöge  der 
öffentlichen  Natur  alles  Rechts  nicht  geben  kann.  So  ist  insbeson- 
dere auch  der  Civilprocess  gleichzeitig  eine  Institution  des  öffent- 
lichen Rechts  und  eine  unerlässliche  Bedingung  für  die  Durchsetzung 
privatrechtlicher  Ansprüche.  Nur  jene  Gliederung  der  gesammten 
Rechtsordnung  nach  den  einzelnen  Objecten  seiner  Anwendung  ver- 
mag aber  auch  den  fortwährend  sich  verändernden  Anfordenmgen 
gerecht  zu  werden,  die  das  Leben  an  die  Wissenschaft  stellt,  imd 
in  Folge  deren  zu  den  vorhandenen  Rechtsgebieten  fortan  neue  hin- 
zutreten können. 

Wenn  gleich  die  Scheidung  in  Privatrecht  und  öffentliches 
Recht  der  Erkenntniss,  dass  alles  Recht  seiner  eigensten  Natur  nach 
öffentliches  Recht  ist,  auf  die  Dauer  nicht  standhalten  kann,  so  wird 
jedoch  die  Thatsache,  dass  das  Recht  auf  allen  Gebieten  berufen 
ist,  das  Gesammtinteresse  mit  den  Interessen  der  Einzelnen 
in  üebereinstimmung  zu  bringen,  bestehen  bleiben.  Den  zwei 
Interessen,  die  sich  hier  bei  der  Prüfung  der  Zweckmässigkeit 
wie  der  Gerechtigkeit  der  Rechtsbestimmungen  durchkreuzen,  ent- 
sprechen nun  die  zwei  Hauptmethoden  der  juristischen  Unter- 
suchung: die  civilistische  und  die  publicistische.  An  sie 
schliessen  sich  endlich  die  eigenthümlichen  Anwendungen  an,  welche 
die  zwei  wichtigsten  Ghrundformen  des  systematischen  Denkens,  die 
Definition  und  die  Deduction,  im  Gebiet  der  Rechtsbegriffe  ge- 
fanden haben. 


c  Die  civilistische  und  die  publicistische  Methode. 

Die  civilistische  Methode  hat,  wie  ihr  Name  andeutet,  ihren 
Ursprung  im  Civilrecht.  Ihr  Wesen  besteht  darin,  dass  sie  nur 
die  civikechtlichen  Verhältnisse  bei  der  Untersuchung  der  Rechts- 
ordnungen in  Rücksicht  zieht,  und  dass  sie  daher,  wo  sie  überhaupt 
auf  öffentlich  rechtliche  Verhältnisse  eingeht,  die  bei  diesen  sich 
ergebenden  Probleme  entweder  mittelst  einfacher  TJebertragung  der 

Wandt,  Logik.  U,  S.    S.  Aufl.  86 


562  Logik  der  GesellBchaftswissenschaften. 

civilrechtlichen    Begriffe    auf   sie   oder   mindestens   nach  einer   der 
civilrechtlichen  Betrachtung  analogen  Methode  zu  lösen  sucht. 

Indem  nun  die  wesentliche  Aufgabe  des  Civilrechts  nur  in  der 
Ordnung  der  Rechtsverhältnisse  der  Einzelnen  besteht,  während 
die  diesen  Rechten  gegenüberstehenden  Pflichten,  weil  sie  theils 
öffentlich  rechtlicher  theils  moralischer  Natur  sind,  ausser  Betracht 
bleiben,  so  kennt  die  civilrechtliche Methode  nur  subjectiye  Rechte. 
Beschränkungen  dieser  Rechte  aber  nur  insoweit,  als  dem  Recht  des 
Einzelnen  gleich  berechtigte  Ansprüche  Anderer  oder  gewisse  in  der 
positiven  Rechtsordnung  gegebene  Schranken  gegenüberstehen.  Hier- 
bei bringt  es  dann  die  der  civilrechtlichen  Methode  eigene  ein- 
seitige Berücksichtigung  der  subjectiven  Rechte  mit  sich,  dass  sich 
derselben  leicht  zugleich  die  Tendenz  bemächtigt,  jene  Schranken 
der  Rechtsordnung  überhaupt  nur  da  als  logisch  begründet  anzu- 
sehen, wo  sie  auf  der  Geltendmachung  der  subjectiven  Rechte 
Anderer  beruhen.  Ihre  geschichtliche  Quelle  hat  diese  Auffassung 
in  dem  mächtigen  individuellen  Freiheitsbewusstsein,  das  dem  römi- 
schen Volksgeiste  eigen  war,  und  das  dem  römischen  Recht,  mit 
seiner  schrankenlosen  Durchführung  der  vermögensrechtlichen  Be- 
fugnisse und  der  väterlichen  Gewalt  sowie  mit  seiner  freilich  auf  die 
Dauer  nicht  durchführbaren  Auffassung  des  Richteramtes  im  Civil- 
process  als  eines  die  Anrufung  durch  beide  Parteien  voraussetzen- 
den Schiedsrichterthums,  sein  eigenthümliches  Gepräge  verlieh.  Ihre 
Festigung  empfing  aber  diese  Auffassung  durch  die  Naturrechts- 
theorie, die,  vielfach  unter  Missachtung  der  im  römischen  Recht 
vorhandenen  Correcturen  dieses  streng  individualistischen  Rechts- 
gedankens, denselben  als  die  logisch  consequente  und  in  der  Wirk- 
lichkeit zu  erstrebende  Folgerung  aus  dem  Begriff  einer  natur- 
gemässen  Rechtsordnung  betrachtete.  So  gewann  die  civilistische 
Methode  nicht  nur  einen  ähnlichen  abstracten  Charakter  vne  die 
Methode  der  abstracten  Wirthschaftstheorie,  sondern  es  waren  auch 
die  Voraussetzungen  dieser  Methoden  im  wesentlichen  von  überein- 
stimmender Art,  indem  beide  ausschliesslich  das  individuelle  In- 
teresse zur  Grundlage  ihrer  Deductionen   machten'*').     Nur  findet 


*)  Sehr  augenfällig  tritt  diese  Verwandtschaft  in  v.  Jherings  , Zweck 
im  Recht"  hervor.  (2  Bde.,  1877—83.)  Obwohl  Jhering,  wie  dies  namentlich 
auch  sein  Hauptwerk,  der  , Geist  des  römischen  Rechts* ,  zeigt,  keinerwegs  ein 
einseitiger  Vertreter  der  civilistischen  Methode  ist,  so  hat  er  doch  in  den  vor- 
liegenden Bänden  des  , Zwecks  im  Recht*'  (das  Werk  ist  leider  nicht  au  Ende 
gediehen)  möglichst  strenge  den  Versuch  einer  Ableitung  der  wichtigsten  socialen 


CivilisÜBche  und  publicistische  Methode.  563 

bei  der  juristischen  Methode  in  Folge  einer  nothwendigen  Rück- 
wirkung ihres  Gegenstandes  neben  der  von  dem  individuellen  Interesse 
getragenen  Zweckmässigkeit  auch  die  Gerechtigkeit  ihre  Stelle, 
indem  jene  richtige  Vertheilung  der  Güter,  welche  die  Wirthschafts- 
theorie  als  Ergebniss  der  Selbstregulirung  der  einzelnen  indivi- 
duellen Interessen  eintreten  lässt,  hier  schon  als  die  Aufgabe  der 
positiven  Rechtsordnung  betrachtet  wird.  Aber  die  Begriffe  der 
Zweckmässigkeit  wie  der  Gerechtigkeit  finden  dabei  nur  in  jenem 
einseitig  subjectiven  Sinne  Verwendung,  in  welchem  die  erstere 
mit  dem  individuellen  Interesse  zusammenfällt,  die  zweite  ausschliess- 
lich in  der  gleichen  Berechtigung  der  subjectiven  Ansprüche  der 
Einzelnen  besteht.  Dem  Erwerb  subjectiver  Vermögens-  und  Ver- 
tragsrechte sind  dabei,  soweit  er  sich  innerhalb  der  bestehenden 
Rechtsordnung  bewegt,  keine  Schranken  gesetzt;  und  die  Rechts- 
ordnung selbst  ist  im  Interesse  der  möglichst  freien  Gestaltung  der 
Einzelrechte  geneigt,  jene  Schranken  so  weit  wie  möglich  zu  ziehen 
nnd  so  auch  für  das  Gebiet  des  Rechts  der  Verwirklichung  des 
Princips  der  Selbstregulirung  der  individuellen  Interessen  thunlichst 
nahe  zu  kommen.  Ganz  freilich  vermag  das  keine  Rechtsordnung. 
Auch  das  römische  Recht  hat  dies  keineswegs  gethan.  Aber  der 
civilistischen  Methode  an  sich  sind  doch  Beschränkungen  fremd. 
Wo  sie  existieren,  da  rühren  sie  von  publicistischen  Gesichts- 
punkten her.  Jene  kennt  die  Gerechtigkeit  nur  in  dem  subjectiven 
Sinne,  in  welchem  ihre  strengste  formelle  Durchführung  mit  der 
grössten  materiellen  Rechtsungleichheit  zusammenbestehen  kann.  Denn 
neben  den  aus  der  Existenz  und  der  Collision  der  subjectiven  Rechte 
sich  ergebenden  logischen  Folgerungen  kennt  jene  Methode  an  sich 
keine  beschränkenden  Bedingungen. 

Die  publicistische  Methode  bedient  sich  da,  wo  sie  rein 
zur  Anwendung  kommt,  gerade  derjenigen  Seiten  des  Zweckmässig- 
keits-  und  des  Gerechtigkeitsbegriffs,  die  bei  der  civilistischen  ausser 
Betracht  bleiben.  Als  Zweck  einer  Rechtsordnung  gilt  ihr  das 
Gesammtinteresse ;  gerecht  ist  ihr  diejenige  Vertheilung  der  Rechte, 
die  den  zu  leistenden  Pflichten  entspricht,  insbesondere  also  diejenige, 


Verkehnformen  auf  Grundlage  des  nämlichen  Princips  der  subjectiven  Zweck- 
mässigkeit gemacht,  welches  auch  in  der  civilistischen  Methode  massgebend  ist. 
Hierbei  ist  es  nun  augenfällig,  dass  Jhering  in  durchaus  selbständiger^ Weise 
dazu  kommt,  das  Prihcip  der  .Selbstregulirung  der  egoistischen  Interessen" 
den  wirthschaftlichen  Erscheinungen  ebenso  wie  den  Rechtsformen  zu  Grunde 
«1  legen. 


564  Logik  der  Gresellschaftswissenschaften. 

bei  der  die  jedem  Einzelrecht  entsprechende  Pflichterfüllung  mög- 
lichst vollkommen  gesichert  ist.  Das  subjective  Elecht  kommt  darum 
hier  nicht  als  ein  für  sich  bestehender  Begriff,  sondern  nur  in 
seinem  Zusammenhang  mit'  der  ihm  gegenüberstehenden  Pflicht 
zum  Ausdruck,  und  bei  der  Erwägung  dieses  Gleichgewichts  zwi- 
schen Rechten  und  Pflichten  sind  ebensowohl  die  im  Gtesammt- 
interesse  zu  fordernden  Zwangspflichten  wie  die  imter  den  gegebe- 
nen socialen  Culturbedingungen  durchschnittlich  vorauszusetzenden 
freien  Pflichtleistungen  in  Betracht  zu  ziehen.  Die  Begründung  der 
Rechtsinstitutionen  und  die  Entscheidung  der  einzelnen  Rechtsfalle 
ist  daher  bei  der  publicistischen  Methode  nie  eine  bloss  logische 
Thätigkeiit,  sondern  sie  steht  zunächst  unter  ethischen  Voraus- 
setzungen, wie  denn  der  Begriff  des  Gemeinschaftsinteresses  und 
der  von  ihm  abhängigen  subjectiven  Pflicht  selbst  schon  eihische 
Begriffe  sind. 

Die  Anwendung  der  publicistischen  Methode  ist  natürlich  vor 
allem  in  den  Rechtsgebieten  gefordert,  in  denen  von  vornherein  das 
Einzelinteresse  nur  eine  secundäre,  das  Gesammtinteresse  die  ent- 
scheidende Bedeutung  hat,  wie  Verfassung,  Verwaltung,  Polizei, 
Strafrechtspflege.  Von  da  aus  greift  sie  aber  auch  in  die  privat- 
rechtlichen Verhältnisse  ein,  indem  sie  hier  den  Ergebnissen  der 
civilistischen  Logik  dadurch  regulirend  und  berichtigend  gegenüber- 
tritt, dass  sie  ethische  und  politische  Forderungen  einführt,  die 
theils  schon  in  die  Voraussetzungen  aufzunehmen  theils  bei  den  Er* 
gebnissen  zu  berücksichtigen  sind.  Da  nun  das  Privatrecht  seine 
logische  Ausbildung  empfangen  hat,  lange  bevor  an  eine  wissen- 
schaftliche Behandlung  des  öffentlichen  Rechts  gedacht  wurde,  so  ist 
in  Wirklichkeit  die  publicistische  Methode  nicht,  wie  es  logisch 
nothwendig  scheint,  ursprünglich  von  jenen  Gebieten  des  öffentlichen 
Rechts  ausgegangen,  sondern  ihre  Anfönge  sind  umgekehrt  inner- 
halb des  Privatrechts  entstanden,  wo  sie  sich  eben  in  jener  Form 
regulirender  und  berichtigender  Maximen  gegenüber  dem  streng 
logischen  Verfahren  der  civilistischen  Methode  geltend  machten. 
Gerade  die  Römer  haben  die  Logik  der  civilistischen  Methode  bereits 
in  bewundemswerther  Weise  durch  derartige  Maximen  zu  mildem 
gewusst.  Wenn  das  römische  Recht  die  Grundsätze  festhält,  dass 
Niemand  über  seine  Kraft  verpflichtet  werden  könne,  dass  Freiheiten 
stets  im  weitesten,  eingegangene  Verpflichtungen  im  engsten  Sinn 
zu  verstehen  seien;  dass  das  Gute  in  Jedem  als  selbstverständlich, 
das  Schlechte  aber   niemals    vorauszusetzen   sei,    sondern   bewiesen 


Civilistische  und  publicisÜBche  Methode.  565 

werden  müsse;  wenn  es  der  «bona  fides*,  dem  ehrlichen  Glauben 
und  der  muthmasslichen  Absicht,  in  Verkehrs-  und  Besitzfragen 
eine  weitgehende  Berücksichtigung  gegenüber  dem  «strictum  jus' 
einräumt:  so  sind  dies  und  ähnliches  Bestandtheile  der  Rechts- 
ordnung, die  mit  der  Logik  der  Begriffe  nichts  zu  thun  haben.  Sie 
beruhen  ganz  und  gar  auf  ethischen  Motiven,  aber  auch  hier  wieder 
nicht  etwa  oder  doch  wenigstens  nicht  in  erster  Linie  auf  dem 
Streben,  die  Strenge  des  Rechts  gegenüber  dem  Einzelnen  zu 
mildem,  sondern  auf  der  Erwägung,  dass  das  Gesammtinteresse 
diese  ethischen  Rücksichten  fordert.  In  dem  Wechselverhältniss  der 
beiden  für  diese  ethische  Seite  des  Rechts  überaus  bedeutsamen 
Begriffe  der  ^aequitas'  und  der  «utilitas**  finden  jene  Motive 
ihren  treffenden  Ausdruck.  Die  «aequitas*  gebietet,  vor  jeder 
Anwendung  eines  Rechtssatzes  die  besondere,  nicht  in  bestimmten 
Rechtsverhältnissen  zum  Ausdruck  kommende  Sachlage  mit  zu  be- 
achten. Die  aequitas  steht  aber  im  Dienste  der  „utilitas**,  und 
diese  ist  nicht  der  individuelle  Nutzen,  sondern  das  allgemeine 
Interesse,  das  überall  neben  der  Anerkennung  der  subjectiven  Rechte 
Befriedigung  heischt. 

Lnmerhin  hat  diese  Entwicklung  der  publicistischen  Methode 
mitten  aus  den  Anwendungen  der  civilistischen  Praxis  heraus  es  mit 
sich  gebracht,  dass  eine  planmässige  logische  Ausbildung  der  Prin- 
cipien  hier  nicht  zu  Stande  kam,  sondern  dass  die  ethische  Cor- 
rector  des  privatrechtlichen  Standpunktes  dem  Takt  des  Richters 
nnd  Gesetzgebers  überlassen  blieb.  Dies  mochte,  namentlich  nach- 
dem sich  jene  Ermässigungen  des  strengen  Rechts  zu  festen  Grund- 
sätzen verdichtet  hatten,  so  lange  verhältnissmässig  unschädlich 
bleiben,  als  es  sich  bloss  um  civilrechtliche  Verhältnisse  handelte. 
Anders  stand  die  Sache  von  dem  Augenblick  an,  wo  das  öffent- 
liche Recht  eine  selbständige  juristische  Behandlung  forderte.  Da 
musste  noth wendig  der  Mangel,  dass  die  Jurisprudenz  überhaupt 
nur  die  eine  civilistische  Methode  logisch  ausgebildet  hatte,  em- 
pfindlich fühlbar  werden.  Die  Folge,  unter  der  die  Bearbeitung 
dieses  Gebiets  noch  heute  leidet,  war,  dass  man,  statt  sofort  eine 
den  neuen  Objecten  adäquate  Methode  auszubilden,  vielmehr  die 
gelaufige  und  an  den  allgemeinen  privatrechtlichen  Begriffen  erprobte 
civilistische  Methode  auf  das  öffentliche  Recht  übertrug.  Da  aber 
eine  solche  üebertragung  nicht  ohne  weiteres  anging,  sondern  die 
neuen  und  eigenthümlichen  Rechtsverhältnisse  selbstverständlich  neue 
Begriffe  forderten,  so  griff  man   zu   zwei   Hülfsmethoden,    die 


I 


566  Logik  der  GesellachaftswissenschafteD. 

speciell  dieser  üebertragung  dienten.  Die  erste  und  ältere  dieser 
Methoden  ist  die  der  juristischen  Fictionen,  die  zweite  und 
jüngere  die  der  civilistischen  Analogien. 

Die  Methode  der  juristischen  Fictionen  ist  ursprüng- 
lich von  einem  beschränkten  Anwendungsgebiet  ausgegangen.  Sie 
diente  der  üebertragung  der  für  ein  bestimmtes  Rechtsverhältniss 
gültigen  Regehl  auf  ein  neues  ähnliches  Rechtsverhältniss,  für  das 
nun  durch  die  Anwendung  des  nämlichen  Begriffs  in  der  Form  der 
„Fiction^  die  wiederholte  Anführung  jener  Regeln  erspart  wurde. 
So  wenn  das  Gesetz  vorschreibt,  Thatsachen,  die  im  Process  nicht 
ausdrücklich  bestritten  werden,  seien  als  zugestanden  anzusehen, 
oder  Parteien,  die  auf  ergangene  Ladung  vor  Gericht  nicht  erscheinen, 
seien  als  anwesend  zu  betrachten,  u.  dergl.'*').  Der  ürspnmg  der 
Fiction  ist  in  diesen  Fällen,  wo  sich  die  üebertragung  in  einem 
und  demselben  Rechtsgebiete  bewegt,  augenscheinlich  nur  der  einer 
Vereinfachung  der  Subsumtion.  Wenn  zu  einem  bestimmten 
durch  feste  Normen  geregelten  Rechtsfall  ein  neuer  hinzutritt,  auf 
den  man  die  nämlichen  Normen  anwenden  will,  so  würde  es  streng 
genommen  logisch  noth wendig  sein,  erst  einen  Generalbegriff  zu 
bilden,  der  beide  Falle  unter  sich  fasst,  und  dann  auf  diesen  die 
nun  verallgemeinerten  Normen  anzuwenden.  Statt  dieses  umsl^d- 
licheren  Verfahrens  wählt  man  nun  das  einfachere  der  Subsumtion 
unter  den  bereits  normirten  Fall,  was  einfach  dadurch  ge- 
schieht, dass  fictiv  der  zweite  dem  ersten  Fall  identisch  gesetzt  wird. 
In  diesem  Sinne  ist  also  die  Fiction  nichts  anderes  als  die  an  Stelle 
der  Subsumtion  mehrerer  Arten  unter  eine  gemeinsame  Gattung 
ausgeführte  Subsumtion  einer  Art  unter  eine  andere  ihr  coordinirte, 
was  natürlich  nur  unter  der  hinzugefügten  Erklärung  geschehen 
kann,  diese  Subsumtion  sei  im  theoretischen  Sinne  keine  w^kliche 
sondern  eine  „fingirte*",  d.  h.  sie  sei  nur  mit  Rücksicht  auf  die  in 
Rede  stehenden  praktischen  Rechtsverhältnisse,  nicht  aber  an  sich 
als  eine  zutreffende  anzusehen. 

Nun  ist  bei  jenen  privatrechtlichen  Fictionen,   bei   denen  sich 


*)  Auf  diesen  historischen  Ursprung  der  Fictionen  hat  schon  Saviguy 
hingewiesen,  ihre  praktische  Bedeutung  hat  vornehmlich  Jhering  (Geist  des 
römischen  Rechts,  2.  Aufl.,  III,  1 ,  S.  293  ff),  beleuchtet.  Wie  sehr  aber  diesen 
praktischen  Vortheilen  vielfach  eine  theoretische  Trübung  des  wirklichen  Sach- 
verhalts schon  auf  dem  engeren  Gebiet  ihrer  ursprünglichen  Anwendung  gegen- 
übersteht, hat  0.  B  ü  1 0  w  (Archiv  für  die  civilistische  Praxis,  Bd.  62,  1879)  an 
den  civilprocessualischen  Fictionen  einleuchtend  dargethan. 


Civilistische  und  publicisÜBChe  Methode.  567 

die  Subsumtion  zwischen  Begriffen  desselben  Rechtsgebiets  bewegt, 
die  Qefahr,  dasa  der  fingirte  Begriff  für  Wirklichkeit  gehalten 
werde,  vielleicht  weniger  gross  als  die  andere,  dass  sich  hinter  jener 
Uebertragung  wirkliche  Veränderungen  der  Rechtsbegriffe 
verbergen,  die  klar  zum  Vorschein  kommen  müssten,  wenn  man 
nicht  den  neuen  Fall  unter  einen  andern  ihm  in  Wahrheit  coordi- 
nirten  subsumirte,  sondern  wenn  man,  was  logisch  eigentlich  ge- 
fordert ist,  zu  beiden  FäUen  die  wirklich  übergeordnete  Rechts- 
regel aufsuchte.  Geschieht  dies,  so  entsteht  natürlich  immer  eine 
neue  Rechtsregel,  die  sich  von  der  früheren,  die  für  den  ursprüng- 
lichen Fall  allein  galt,  mehr  oder  weniger  weit  entfernen  kann. 
So  hat  die  nach  altrömischem  Vorbild  zum  Theil  bis  in  die  neuesten 
Gesetzgebungen  sich  erstreckende  Voraussetzung,  dass  jeder  Rechts- 
streit ein  zweiseitiger  sein  müsse,  und  dass  daher,  wo  sich  die 
eine  der  Parteien  nicht  in  den  Streit  einlässt,  eine  Fiction  der  Ein- 
lassung nöthig  sei,  eine  gewisse  Mitschuld  an  der  mit  der  öffentlich 
rechthchen  Bedeutung  des  Richteramtes  unvereinbaren  Stellung,  die 
noch  heute  in  weiten  juristischen  Kreisen  der  Rechtskraft  des  ürtheils 
gegenüber  den  streitenden  Parteien  eingeräumt  wird.  Denn  wenn 
es  die  Gesetzgebung  den  Parteien  freistellt,  auf  die  Rechtskraft  des 
ürtheils  zu  verzichten,  und  dem  Gericht  vorschreibt,  die  ürtheils- 
wirkung  nur  dann  zu  berücksichtigen,  wenn  sie  von  Seiten  der  Par- 
teien geltend  gemacht  wird,  so  verräth  das  nicht  nur  „ein  erstaun- 
lich geringes  Mass  von  Achtung  vor  der  Bedeutung  und  Würde  der 
staatlichen  Rechtsschutzthätigkeit^,'*')  sondern  man  kann  sich  auch 
des  Eindrucks  nicht  erwehren,  dass  in  solchen  Bestimmungen  immer 
noch  die  alte  Auffassung  des  Richteramtes  als  eines  „  Schiedsrichter- 
amtes"  nachwirkt.  Der  ungeheure  Wandel  der  Rechtsanschauungen, 
der  darin  liegt,  dass  das  öffentliche  Richteramt  unter  allen  Umständen 
den  Rechtsstreit  zum  Austrag  bringen  muss,   auch  wenn  nur  eine 


*)  Bülow,  Absolute  Rechtskraft  des  Ürtheils,  Archiv  für  civilistische 
Praxis,  Bd.  83,  1,  1894,  S.  15.  Die  Kritik  des  Verfassers  richtet  sich  besonders 
gegen  die  ganz  im  oben  angedeuteten  Sinne  gehaltenen  Bestimmungen  im  Ent- 
wurf des  Civilgesetzbuches  fQr  daa  deutsche  Reich  (§  191).  Die  Frage,  ob  auf 
die  Partei  ein  Zwang  sich  in  den  Streit  einzulassen  ausgeübt  werden  dürfe, 
die  gegenwärtig  noch  unter  den  Juristen  controvers  ist,  hat  natürlich  mit  der 
Anwendung  der  Fiction  als  solcher,  sowie  mit  den  Folgen,  die  dieselbe  auf  die 
juristische  Auffassung  ausübt,  in  diesem  Fall  nichts  zu  thun.  Auch  wer  jenen 
Zwang  annimmt  gesteht  zu,  dass  derselbe  nach  heutigem  Recht  nur  vom 
Staate,  nicht  von  der  Gegenpartei  ausgeübt  werden  kOnne. 


568  Log^k  der  GesellschaftewisseBachaften. 

der  Parteien  seine  Entscheidung  anruft,  wird  hier  durch  jene  Fiction, 
dass  eine  zweiseitige  Einlassung  unter  allen  Umständen  anzunehmen 
sei,  verhüllt,  während  doch  die  praktische  Bedeutung  der-  Fiction 
nur  darin  liegt,  dass  der  Partei  die  Gelegenheit  zur  Einlassung  um 
der  Wahrung  ihrer  Rechte  willen  ermöglicht  werde. 

Ungleich  bedenklicher  noch  ist  aber  schon  in  logischer  Be- 
ziehung die  Methode  der  Fictionen,  wenn  sie  nicht  die  Uebertragong 
der  für  einen  bestimmten  Fall  geltenden  Bestimmungen  auf  einen 
neuen  Fall  desselben  Rechtsgebietes  yermitteln,  sondern  zwischen 
verschiedenen  Rechtsgebieten   eine  Verbindung    herstellen  soll. 
Hier  handelt  es  sich  nicht  mehr  um  die  Subsumtion  einer  Axt  unter 
eine  ihr  in  Wirklichkeit  gleichgeordnete,  sondern  unter  eine  andere, 
Ton  ihr  specifisch  verschiedene.    In  gewissem  Betracht  gehört  hier- 
her schon  der  geläufige  Begriff  der  , juristischen  Person*.     Wenn 
Gorporationen,   Vereinen,    Stiftungen    in   yermögensrechtlicher   Be- 
ziehung die  Rechte  einer  Person  yerliehen  werden,  so  wird   durch 
diesen  Ausdruck  ausgesprochen,   sie  sollten  in  den  genannten  Be- 
ziehungen den  wirklichen  Personen  gleichzuachten   sein.     Da   aber 
jede  dieser  „juristischen  Personen'  neben  dieser  vermögensrechilicheii 
Analogie  noch  ihre  öffentlich  rechtliche  Bedeutung  hat,   in  der  sie 
sich  sowohl  von  den  Einzelpersonen  wie  von  andern  Arten  juristischer 
Personen  wesentlich  unterscheiden  kann,  so  ist  hier  von  yomherein 
eine  strenge  Begrenzung   des  Begriffs  auf  die  subjectiven  Rechte, 
welche  die  Uebertragung  veranlassten,   geboten;   und  auch  dann  ist 
selbstverständlich  die  Uebertragung  nur  insoweit  statthaft,   als  jene 
öffentlich  rechtlichen  Eigenschaften  nicht  auf  die  yermögensrecht- 
lichen  Befugnisse  zurückwirken,   wie   das  in  der  That    bei   vielen 
juristischen  Personen,  namentlich  z.  B.  bei  den  Stiftungen,  in  aus- 
gedehntem Masse  stattfindet.     Indem  das  Attribut  .juristisch»    eine 
falsche  Vermengung  mit  dem  Begriffe  der  vnrklichen  Person  yerhüten 
soll,  ist  es  nun  aber  um  so  mehr  geeignet,  nach  der  entgegengesetzten 
Richtung  durch  die  Subsumtion  von  Rechtssubjecten  sehr  verschie- 
dener Art  unter  einen  und  denselben  Begriff  Bedenken  zu  erwecken. 
Stellt  man  sich  unter  einer  „juristischen''  Person  ohne  weiteres  ein 
Rechtssubject  vor,   das   der  Eigenschaften  einer   wirklichen  Person 
entbehrt,   so  verfahrt  z.  B.  die  Anwendung  dieses  Begriffs  auf  den 
Staat  zu  einer  Verkennung  der  realen  Bedeutung  desselben;   denn 
die  Subsumtion  des  Staates  mit  Stiftungen  und  Gesellschaften  von  ver- 
mögensrechtlichen Befugnissen   unter   einen  Begriff  lässt  zweifellos 
sehr  wichtige  Unterschiede  zwischen   diesen   gesellschaftlichen   Bil- 


Civilistiache  und  publidstische  Methode.  5(59 

dangen  sogar  in  den  für  die  Subsumtion  massgebenden  Merkmalen 
ganz  ausser  Betracht'*'). 

Noch  ganz  anders  verhält  es  sich  aber  mit  jenen  Uebertragungen 
von  einem  Bechtsgebiet  auf  ein  anderes,  deren  Zweck  überhaupt 
nicht  in  der  Subsumtion  verschiedener,  irgendwie  verwandter  That- 
sachen  unter  gleiche  Bechtsregeln  besteht,  und  die  demnach  keine 
praktische,  sondern  die  rein  theoretische  Tendenz  haben, 
Rechtsbildungen  von  minder  bekannter  durch  solche  von  bekannterer 
Beschaffenheit  zu  erklären  oder,  wie  Jhering  sich  ausdrückt,  nur 
, eine  Erleichterung  der  juristischen  Vorstellung^  zu  bewirken.  Manche 
Juristen  sehen  gerade  in  diesen  allein  dem  theoretischen  Erkennen 
dienenden  Fictionen  die  werthvolleren  und  gegenüber  jenen  auf  der 
thatsächlichen  historischen  üebertragung  der  Rechtssätze  beruhenden, 
die  nachdem  der  üebertragungsvorgang  vorüber  ist  auch  verschwin- 
den können,  die  bleibenden**).  Diese  Werthschätzung  begegnet 
jedoch  zwei  Bedenken,  einem  äusseren  und  einem  inneren.  Erstens 
bleibt  die  Subsumtion  eines  Begriffs  unter  einen  andern,  der  ihm 
in  Wirklichkeit  gar  nicht  übergeordnet,  sondern  entweder  neben- 
geordnet ist  oder  überhaupt  einer  andern  Gattung  angehört,  immer 
ein  theoretisch  fehlerhaftes  Verfahren,  das,  wo  nicht  etwa,  wie  bei 
den  durch  natürliche  geschichtliche  Entwicklung  entstandenen  Fic- 
tionen, praktische  Vortheile  gewonnen  werden,  in  rein  theoretischem 

*)  Damm  bekämpft;  0.  Gierke  gerade  unter  dem  Gesichtspunkt,  dass 
der  Staat  und  andere  Verbände  als  reale  Gresammtpersonen  aufzufassen  seien, 
die  Anwendung  des  Begriffs  der  «juristiseben  Person".  (Schmollers  Jahrbuch 
ftr  Gesetzgebung,  Verwaltung  etc.  N.  F.  VII,  1888,  S.  1127.  Deutsches  Privat- 
recht,  I,  S.  463  ff.) 

**)  So  z.  B.  Bierling,  Zur  Entik  der  juristischen  Grundbegriffe,  II, 
S.  86  ff.,  Juristische  Principienlehre,  I,  S.  220  ff.  Wenn  dieser  Autor  übrigens 
die  juristischen  Fictionen  mit  den  Voraussetzungen  der  reinen  Mechanik  und 
andern  .fictiven  Voraussetzungen  **  der  exacten  Naturwissenschaften  in  Parallele 
bringt,  so  muss  ich  die  Berechtigung  dieser  Vergleichung  bestreiten.  Der  Be- 
griff des  absolut  starren  Körpers  in  der  Mechanik  z.  B.  ist  dadurch  entstanden, 
dasB  man  gewisse  Eigenschaften  der  wirklichen  Körper,  geometrische  Aus- 
dehnung und  Masse,  allein  berücksichtigt  imd  von  allen  andern  Eigenschafben 
abstrahirt.  Von  einer  Subsumtion  unter  einen  coordinirten  Begriff  des  näm- 
lichen oder  eines  andern  Gebiets,  wie  eine  solche  das  Wesen  jeder  juristischen 
Fiction  ausmacht,  ist  hier  nirgends  die  Rede,  während  umgekehrt  bei  der  Fiction 
jene  isolirende  Form  der  Abstraction,  auf  denen  alle  abstracten  Hypothesen- 
bildungen der  Physik  beruhen,  ganz  fehlt.  Die  physikalischen  Hypothesen  und 
die  juristischen  Fictionen  haben  also  logisch  nur  das  negative  Merkmal  gemein, 
dass  sie  der  Wirklichkeit  nicht  entsprechen.  In  diesem  negativen  Merkmal 
treffen  sie  aber  auch  mit  jeder  beliebigen  Einbildung  oder  Erdichtung  zusammen. 


570  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

Interesse  niemals  gerechtfertigt  sein  kann.  Zweitens  steht  dem 
didaktischen  Zweck  der  Anknüpfung  eines  unbekannteren  BegrifEs 
an  einen  bekannteren  der  Nachtheil  gegenüber,  dass  diese  An- 
knüpfung gerade  deshalb,  weil  sie  bei  der  Fiction  auf  dem  Wege 
einer  falschen  Subsumtion  geschieht,  zu  einer  üebertragung  yon 
Merkmalen  herausfordert,  die  in  Wirklichkeit  gar  nicht  überein- 
stinunen.  Vor  allem  wird  das  dann  der  Fall  sein,  wenn,  was  ja 
nahe  liegt,  die  Erläuterung  des  unbekannteren  BegrifEs  darin  ge- 
sehen wird,  dass  man  eben  den  Eigenschaften,  die  un- 
bekannt sind,  die  Eigenschaften  des  bekannten  Be- 
griffs substituirt. 

Nirgends  haben  sich  diese  Nachtheile  augenfälliger  offenbart 
als  bei  derjenigen  Fiction,  die  eine  Hauptgrundlage  der  Naturrechts- 
theorie gebildet  hat,  bei  der  Fiction  des  Staatsvertrags.  Es 
ist  zwar  richtig,  dass  viele  Rechtsphilosophen  den  Staatsyertrag  gar 
nicht  für  eine  Fiction,  sondern  für  Wirklichkeit  gehalten  haben. 
Aber  gewiss  ist,  dass  diese  Lehre  überhaupt  ohne  die  geläufige 
Handhabung  der  Methode  der  juristischen  Fictionen  niemals  hätte 
entstehen  können.  Auch  nahmen  schon  die  Begründer  derselben  an. 
der  Vertrag  könne  ebensowohl  ein  ausdrücklicher  wie  ein  still- 
schweigender sein*).  Ein  stillschweigend  geschlossener  Vertrag  ist 
aber  eben  nichts  anderes  als  die  Fiction  eines  Vertrages,  und  so  lehren 
denn  auch  die  tiefer  denkenden  unter  den  späteren  Naturrechtsphilo- 
sophen, Allen  voran  Hu me  und  Kant,  dass  der  Staatsvertrag  nicht 
bloss  zuweilen  sondern  durchgängig  als  eine  Fiction  zu  betrachten 
sei.  Welchen  theoretischen  Zweck  kann  aber  diese  Fiction  haben? 
Offenbar  keinen  andern  als  den,  die  im  allgemeinen  unbekannte 
Entstehung  das  Staates  aus  der  bekannten  Entstehung  privatrecht- 
licher Verbindungen  zwischen  Personen  begreifHch  zu  machen. 
Diesen  Zweck  verfehlt  aber  die  Fiction  vollständig.  Daraus  dass 
privatrechtliche  Oenossenschaften  durch  vertragsmässige  üeberein- 
kunft  ihrer  Mitglieder  zu  entstehen  pflegen,  folgt  nicht  im  mindesten, 
dass  der  Staat  auf  diesem  Wege  entstanden  sei.  Das  wird  auch 
gerade  von  denen  offen  zugestanden,  die  den  Staatsvertrag  für  eine 
Fiction  erklären.  In  Wahrheit  tritt  daher  an  die  Stelle  dieses  theo- 
retischen Zwecks,  den  die  Fiction  nicht  erfüllt,  wieder  ein  prak- 
tischer,  und   zwar  ein  solcher,   gegen   den   alle  aus  der  Rechts- 


*)  So  vor  Allen  Altliusius.    Vgl.  0.  Gierke,  Johannes  Althusius  und 
die  Entwicklung  der  naturrechtlicfaen  Staatstheorien.   1880.   S.  21. 


CivilistiBche  und  publiciatische  Methode.  571 

praxis  auf  natürlichem  Wege  heryorgegangenen  civilrechtlicheu  Fic- 
tionen  von  verschwindender  Bedeutung  sind.  Das  Verhältniss 
des  Staates  zu  den  Staatsbürgern  soll  so  aufgefasst  werden,  als 
wenn  es  auf  einem  Vertrag  beruhte.  Daraus  lässt  sich 
mancherlei  folgern.  Fichte  z.  B.  in  der  Sturm-  und  Drangperiode 
seines  Philosophirens  folgerte,  dass  es  jedem  Staatsbürger  jederzeit 
freistehen  müsse  vom  Staatsvertrag  zurückzutreten.  Hobbes  fol- 
gerte das  unumschränkte  und  unverletzbare  Recht  der  Herrscher- 
gewalt, Locke  das  Recht  der  Revolution,  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Man 
sieht,  je  weniger  diese  Fiction  dazu  beiträgt,  das  wirkliche  Wesen 
des  Staates  theoretisch  zu  erleuchten,  eine  um  so  schärfere  Waffe 
wird  sie  zur  Verfechtung  bestimmter  politischer  Anschauungen,  die 
dann  freilich  wieder  nach  verschiedenen  Richtungen  gehen  können, 
in  diesem  Fall  aber  doch  darin  übereinstimmen,  dass  sie  dem  stark 
ausgeprägten  Individualismus  und  Utilitarismus  des  17.  und  18.  Jahr- 
hundert ein  Mittel  zur  Entwicklung  einer  ihm  adäquaten  Staatstheorie 
in  die  Hand  gaben.  Je  mehr  sich  aber  auf  diese  Weise  die  Fiction 
in  ein  philosophisches  Hülfsmittel  verwandelt,  um  so  mehr 
verliert  sie  ihre  Bedeutung  als  juristische  Methode.  Als  solche  ist 
sie  daher  in  Wahrheit  heute  nur  noch  für  jene  praktischen  Fälle 
der  üebertragung  von  Rechtsregeln  innerhalb  eines  und  desselben 
Gebietes  anzuerkennen,  und  auch  hier  nur  unter  der  beschränkenden 
Bedingung,  dass  sie  als  ein  Verfahren  vereinfachter  logischer 
Subsumtion  betrachtet  werde,  von  der  aber  niemals  ein  theo- 
retischer Gebrauch  gemacht  werden  darf,  weil  sie  in  Wirklichkeit 
stets  eine  falsche  Subsumtion  ist. 

In  dieser  Beziehung  ist  nun  die  Methode  der  civilisti- 
schen Analogien  wesentlich  einwurfsfreier.  Sie  erkennt  von 
Tomherein  den  verschiedenen  Gattungscharakter  der  Begriffe  und 
die  daraus  entspringende  Unzulässigkeit  einer  eigentlichen  Sub- 
sumtion an,  und  sie  beschränkt  sich  daher  darauf,  die  schwierigeren 
und  verwickeiteren  Begriffe  des  publicistischen  Gebiets  durch  die  in 
juristischer  Beziehung  einfacheren  des  civilistischen  zu  erläutern.  Es 
ist  besonders  das  eigentliche  Staatsrecht,  das  sich  solcher  Analogien 
zu  bedienen  pflegt,  und  in  dieser  Verwendung  sind  wir  denselben 
bereits  bei  den  staatswissenschaftlichen  Methoden  begegnet.  (Vgl. 
oben  S.  490  f.)  Was  dort  als  „juristische  Methode**  bezeichnet  wurde, 
ist  in  Wirklichkeit  nichts  anderes  als  die  Methode  der  civilistischen 
Analogien,  da  eine  andere  Anwendung  juristischer  Gesichtspunkte,  eine 
solche  etwa  die  vom  öffentlichen  Recht  ausgeht  im  Gebiet  der  Staats- 


572  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

Wissenschaft  wohl  kaum  von  der  sociologischen  Methode  (S.  494  ff.)  zu 
trennen  ist.  Auf  die  Vorzüge  wie  die  Schwächen  der  civilistischen 
Methode  ist  dort  bereits  hingewiesen  worden.  Gleich  der  Methode  der 
Fictionen,  aus  der  sie  unverkennbar  hervorging,  beansprucht  sie  mehr 
einen  didaktischen  als  einen  theoretisch  erklärenden  WertL  Jener 
älteren  Methode  gegenüber  hat  sie  aber  den  Vorzug,  dass  sie  nicht 
bloss  die  falsche  Subsumtion  vermeidet,  sondern  dass  sie  auch  im 
allgemeinen  die  Analogie  auf  die  wirklich  übereinstimmenden  Merk- 
male und  die  mit  solchen  zusammenhängenden  Eigenschaften  be- 
schränkt, und  nur  wenig  von  dem  in  diesem  Fall,  wo  es  sich  um 
Begriffe  verschiedener  Oebiete  handelt,  bedenklichen  Princip  des 
Analogieschlusses  Gebrauch  macht,  aus  der  üebereinstimmung  be- 
stimmter Merkmale  auf  eine  ähnliche  Üebereinstimmung  anderer  Merk- 
male zu  schliessen,  die  nur  an  dem  einen  der  vei^lichenen  Begriffe 
direct  nachzuweisen  sind.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  346.)  Wenn  man  z.  B. 
die  Organisation  der  Staatsverwaltung  durch  die  einer  privatrecht- 
lichen Genossenschaft  erläutert,  so  ist  es  nicht  nöthig  auf  andere 
Eigenschaften  einzugehen  als  auf  diejenigen,  die  in  dem  beiden  Or- 
ganisationen gemeinsamen  Moment,  dass  sie  sociale  Bildungen  sind, 
begründet  sind.  So  hat  denn  überhaupt  diese  Methode  in  der  all- 
gemeinen Üebereinstimmung  der  socialen  Triebe  des  Menschen,  die 
nothwendig  auch  eine  gewisse  üebereinstimmung  der  aus  diesen  Trieben 
entspringenden  gesellschaftlichen  Formen  erzeugen  muss,  ihre  berech- 
tigte Grundlage.  Dem  steht  aber  gegenüber,  dass  auch  sie  leicht  daza 
verführt,  darüber  die  wesentlichen  Unterschiede  zu  übersehen.  Denn 
die  Methode  ist  ja  an  sich  darauf  angelegt,  nur  die  Beziehungen 
der  Üebereinstimmung  hervorzuheben,  so  dass  gerade  das  was  für  die 
publicistische  Untersuchung  das  wichtigste  ist,  nämlich  die  charak- 
teristischen Merkmale  der  Gebilde  des  öffentlichen  Elechts,  unbeachtet 
zur  Seite  liegen  bleibt,  wenn  nicht,  was  schlimmer  ist,  da  wo  die 
Hülfe  der  Analogie  versagt  die  Methode  der  Fictionen  ergänzend 
eingreift,  eine  Gefahr  die  um  so  näher  liegt,  als  die  Tendenz,  die 
öffentliche  Rechtsordnung  mittelst  civilistischer  Begriffe  juristisch  zu 
construiren,  beiden  Methoden  gemeinsam  ist. 

So  ist  es  denn  eine  unerlässliche  Aufgabe  der  Jurisprudenz, 
dass  sie  die  publicistische  Methode  so  viel  wie  möglich  selbständig 
und  unter  Verzicht  auf  derartige  Hülfen  des  Civilrechts  ausbildet. 
Ihren  von  dem  letzteren  verschiedenen  Charakter  muss  aber  diese 
Methode  nothwendig  dadurch  gewinnen,  dass  bei  ihr  das  Gemein- 
interesse  die  Grundlage   aller  Deductionen  bildet.     In  Wahrheit 


Civilistische  und  publiciaÜBche  Methode.  573 

ist  daher  dies  auch  das  Verfahren,  dessen  sich  namentlich  das  Yer- 
fassungsrecht  und,  nach  unten  und  oben  an  dasselbe  sich  anschlies- 
send, das  Yerwaltungs*  und  das  Völkerrecht  thatsächlich  bedienen« 
Wenn  es  diese  publicistische  Methode  noch  nicht  zu  einer  ähnlichen 
festen  Logik  der  Begriffe  gebracht  hat  wie  das  Givilrecht  und  es 
auch  schwerlich  jemals  ganz  dazu  bringen  wird,  so  liegt  der  ver- 
ständliche Ghrund  davon  in  dem  ungleich  verwickeiteren  und  in  weit 
höherem  Masse  dem  Fluss  geschichtlicher  Bedingungen  unterworfenen 
Begriff  des  Gemeininteresses,  im  Unterschiede  von  dem  überall 
auf  die  nämlichen  Grundtriebe  der  Selbsterhaltung  und  eigenen  För- 
derung zurückführenden  individuellen  Nutzen.  Verwickelter  ist  aber 
jener  Begriff  des  Gemeininteresses  nicht  bloss  deshalb,  weil  er  stets 
eine  Fülle  in  einem  gegebenen  Moment  zusammenwirkender  Factoren 
umfasst,  sondern  auch  vor  allem  weil  er  in  ungleich  weiterem  Um- 
fang der  Zukunft  zugewandt  ist.  Da  femer  die  Interessen  der 
Gesammtheit  und  die  der  Einzelnen  überall  in  einander  eingreifen, 
wobei  theils  jene  eine  Beschränkung  dieser,  theils  aber  auch  diese 
eine  Beschränkung  jener  erheischen,  so  ist  damit  von  selbst  ein 
fortwährendes  Zusammenwirken  der  publicistischen  und  der  civi- 
listischen Betrachtungsweise  geboten.  So  wird  in  allen  den  Gebie- 
ten, wo  das  Einzelinteresse  im  Vordergrund  steht,  zunächst  die 
civilistische  Methode  zur  Anwendung  kommen,  worauf  dann  ihre 
Ergebnisse  nach  publicistischen  Gesichtspunkten  geprüft  und,  wo  es 
erforderlich  scheint,  berichtigt  werden.  Das  ist  in  der  That  die  Art 
und  Weise,  in  der  schon  das  römische  Recht  von  den  Begriffen  der 
j,aequitas"  und  der  „utilitas*  Gebrauch  machte.  Wo  es  sich  da- 
gegen in  erster  Linie  um  das  Gesammtinteresse  handelt,  da  hat  die 
publicistische  Methode  voranzugehen.  Sie  leitet  aus  jenem  Gesammt- 
interesse, wie  es  in  Folge  der  gegebenen  socialen  und  politischen 
Bedingungen  sich  ergibt,  die  zu  treffenden  Einrichtungen  oder  Mass- 
regeln ab;  und  hierauf  sind  diese  dann  nachträglich  in  Bezug  auf 
ihre  Vereinbarkeit  mit  berechtigten  individuellen  Interessen  an  der 
Hand  der  civilistischen  Methode  zu  prüfen.  So  geht  in  jedem  der 
Hauptgebiete  zunächst  diejenige  Methode  voran,  die  dem  allgemei- 
nen Charakter  des  Gebietes  entspricht,  während  die  andere  zur 
nachträglichen  Prüfung  und  Berichtigung  der  Ergebnisse  herbei- 
gezogen wird. 

Sind  die  Methoden  der  Rechtswissenschaft  in  ihrer  Durchfüh- 
rung logisch,  in  ihren  Voraussetzungen,  namentlich  überall  da  wo 
das  allgemeine  Interesse  ins  Spiel  kommt,   zu   einem  wesentlichen 


574  Logik  der  G^ellschaftswiBsenschafteii. 

Theile  ethisch,  so  ruhen  nun  aber  beide  Bestandtheile  auf 
psychologischen  Motiven,  die  überdies,  als  die  allgemeinsten 
Bedingungen  menschlicher  Handlungen,  bei  der  Beurtheilung  der 
Einzelinteressen  wie  der  Oesammtzwecke  und  bei  der  Abwägung 
dessen  was  in  der  Sphäre  des  Rechtslebens  geschehen  ist  und  ge- 
schehen soll  eine  hervorragende  Bedeutung  besitzen.  In  diesem 
Sinne  ruht  die  Rechtswissenschaft  mit  allen  ihren  Methoden  theils 
direct  theils  indirect  auf  der  Psychologie:  direct  insofern  die  Rechts- 
handlungen wie  alle  andern  menschlichen  Handlungen  auf  psychische 
Motive,  sei  es  auf  solche  der  Gemeinschaft  sei  es  auf  solche  der 
Einzelnen  zurückführen;  indirect  insofern  die  Rechtsbegriffe  einen 
logischen  Zusammenhang  bilden  und  ethische  Zwecke  verwirklichen, 
die  beide  selbst  wieder  eine  psychologische  Grundlage  haben.  Ins- 
besondere ist,  da  das  Rechtsleben  vornehmlich  in  Willenshandlungen 
und  Willensmotiven  seinen  Ausdruck  findet,  die  Psychologie  des 
Willens  eine  wichtige  Voraussetzung  sowohl  der  theoretischen 
Elechtswissenschaft  wie  ihrer  praktischen  Anwendungen.  Freilich 
aber,  so  wenig  der  Wille  ein  für  sich  vorkommendes  psychisches 
Phänomen  ist,  ebenso  wenig  lässt  sich  schliesslich  eine  solche  an- 
gewandte Willenspsychologie  aus  dem  Zusammenhang  mit  der  übrigen 
Psychologie  lösen*). 

*)  Dass  dieses  psychologische  Fundament  mehr  und  mehr  in  der  neueren 
Rechtswissenschaft  zur  Anerkennung  gelangt,  ist  sicherlich,  gegenüber  dem  ein- 
seitig logischen  Betrieb  der  älteren  Jurisprudenz,  ein  erfreuliches  Zeichen  theo- 
retischer Vertiefung,  welches  nicht  verfehlen  wird,  auch  für  die  Praxis  mit  der 
Zeit  Früchte  zu  tragen.  Unter  den  Versuchen,  die  von  juristischer  Seite  ge- 
macht worden  sind,  Rechtsprobleme  auf  Grund  einer  selbständigen  Bearbeitung 
der  Psychologie  des  Willens  zu  lösen ,  seien  hier  genannt :  B  i  n  d  i  n  g ,  Die 
Normen,  II,  1877  (Schuld  und  Vorsatz),  und  Zitelmann,  Irrthum  und  Rechts- 
geschäft, eine  psychologisch-historische  Untersuchung,  1879.  Neben  der  Psycho- 
logie hat  in  neuerer  Zeit,  besonders  unter  dem  Einflüsse  Lombrosos  und  seiner 
Schule,  die  so  genannte  Criminalanthropologie  die  Aufmerksamkeit  der 
Juristen  auf  sich  gelenkt  und  sogar  mehr  oder  minder  bedingte  Anhänger  unter 
ihnen  gewonnen.  Dass  es  in  gewissem  Sinne  «geborene*  Verbrechematuren 
gibt,  d.  h.  solche  bei  denen  die  Anlage  eine  so  dominirende  Rolle  spielt,  dass 
nur  die  günstigsten  äusseren  Lebensbedingungen  diese  ursprüngliche  Anlage  zu 
compensiren  vermögen,  ist  gewiss  zuzugeben,  ebenso  dass  Vererbung  bei  den 
moralischen  nicht  minder  wie  bei  den  physischen  Anlagen  eine  Rolle  spielt; 
und  wenn  Lombroso  dagegen  kämpft,  dass  unsere  Strafrechtspflege  noch  immer 
auf  diese  verschiedenen  Bedingungen  des  Verbrechens  gar  keine  Rücksicht  nimmt, 
ebenso  wenig  wie  auf  die  während  der  Strafzeit  zu  beobachtenden  Wirkungen 
der  Strafe,  dass  sie  überhaupt  viel  zu  äusserlich  und  schematisch  verfährt,  so 
wird   der  Unbefangene   dem   nur   in    allen   wesentlichen  Punkten   beistimmen 


CiviÜBtiscbe  und  publicistiBche  Methode.  575 

Es  ist  hier  sieht  der  Ort  auf  dieses  Gebiet  angewandter  Psy- 
chologie näher  einzugehen.  Nur  auf  die  Hauptformen  der  Anwen- 
dung psychologischer  Principien  und  auf  die  Hauptvorurtheile,  die 
in  der  heutigen  Jurisprudenz  vielfach  störend  der  psychologischen 
Beurtheilung  in  den  Weg  treten,  mag  hier  noch  hingewiesen  werden. 
Die  Anwendung  der  Psychologie  ist  zunächst  eine  doppelte: 
eine  theoretische  und  praktische.  Die  theoretische  spaltet  sich  wieder 
in  zwei  Richtungen.  Erstens  gehen  in  alle  Rechtsbegriffe,  da 
sie  sich  auf  menschliche  Lebensverhältnisse  und  menschliche  Hand- 
lungen beziehen,  noth wendig  psychische  Elemente  ein.  Diese  Ele- 
mente, wie  sie  theils  als  Willenselemente,  theils  aber  auch  als 
sonstige  Bewusstseinsvorgänge  in  den  Begriffen  des  Besitzes,  des 
Eigenthums,  des  Rechtsgeschäfts,  des  Irrthums,  des  Unrechts  und 
der  Rechtsverletzung,  des  Dolus  und  der  Culpa,  der  Strafe  u.  s.  w. 
enthalten  sind,  deutlich  auszusondern  und  in  ihrer  Beziehung  zu 
dem  logischen  Zusammenhang  der  Begriffe  zu  bestimmen,  ist  eine 
nächste  wichtige  Aufgabe  juristischer  Untersuchung.  Eine  zweite 
bezieht  sich  nicht  auf  die  Begriffe,  sondern  auf  die  Rechtssätze, 
wie  sie  in  Gesetzen  und  in  Normen  des  Gewohnheitsrechts  nieder- 
gelegt sind.  Solche  Rechtssätze  können  niemals  derart  gegeben 
sem,  dass  sie  die  Anwendung  auf  jeden  einzelnen  Fall  unzweideutig 
sichern.  In  zweifelhaften  Fällen  ist  es  daher  die  Aufgabe,  den 
Willen  des  Gesetzgebers  festzustellen,  und  zwar  kann  dies  wieder 
in  einer  ein  fUr  allemal  zu  gebenden  Interpretation  der  Rechtsregel 
oder  aber  in  dem  Fall  der  Einzelanwendung  selbst  geschehen.  Die 
praktische  Anwendung  psychologischer  Gesichtspunkte  endlich 
bezieht  sich  auf  die  Motive  der  einzelnen  Handlungen,  die  in  das 
Rechtsgebiet  gehören.  Der  Wille  beim  Abschluss  eines  Rechts- 
geschäfts, die  Möglichkeit  eines  absichtlichen  oder  eines  unabsicht- 
lichen Rechtsfehlers,  die  Willensmotive,  aus  denen  Rechtsverletzungen 


können.  Anderseits  ist  es  aber  ebenso  gewiss,  dass  Lombroso  selbst  in  einen 
vielleicht  noch  schlimmeren  Schematismus  der  entgegengesetzten  Art  verfällt, 
wenn  er,  namentlich  in  seiner  ersten  Arbeit  (L*Huomo  delinquente,  deutsch  von 
M.  0.  Fraenkel,  1887,  in  neuerer  Zeit  hat  er  seine  Ansichten  in  dieser  Beziehung 
etwas  erm&saigt),  die  Verbrecher  zu  einer  besonderen  Menschenspecies  macht, 
die  an  bestimmten ,  den  atavistischen  Ursprung  verrathenden  physischen  Merk- 
malen zu  erkennen  sei  —  Annahmen,  die  an  die  phantastischen  Ausschreitungen 
der  vormaligen  Phrenologie  erinnern.  Kritisch  besonnene  Behandlungen  dieser 
Frage  findet  man  in  den  Werken  von  A.  Baer,  Der  Verbrecher  in  anthropo- 
logiacher  Beziehung,  1893,  und  H.  Ellis,  Verbrecher  und  Verbrechen,  deutsch 
von  H.  Kurella,  1894. 


576  Logik  der  Gesellachaftswissenschafben. 

• 
entspringen,    die    Beurtheilung   der   Freiheit   und   Zurechnung  des 

Einzekien  —  alles  das  sind  Fragen,  die  zwar  zunächst  der  prak- 
tischen Psychologie  zufallen  und,  ¥rie  diese  überhaupt,  praktische 
Menschenkenntniss  voraussetzen,  aber  doch  ohne  gründliche  Vertie- 
fung in  die  theoretischen  Probleme  der  Psychologie  selbstrerstand- 
lich  nur  dilettantisch  und  mangelhaft  beantwortet  werden  können. 

Dies  führt  uns  auf  die  Vorurtheile,  die,  theils  aus  der  vul- 
gären Psychologie  des  praktischen  Lebens  theils  aus  gewissen  meta- 
physischen Lehren  hervorgegangen,  noch  in  der  heutigen  Jurisprudenz 
weit  verbreitet  sind.  Ihrer  gibt  es  hauptsächlich  zwei  von  all- 
gemeinerer Bedeutung.  Das  eine  besteht  in  der  Meinung,  dass  die 
indeterministische  Willenslehre  ein  unerlässliches  Erfordemiss 
für  die  Ableitung  der  Begriffe  der  Freiheit  des  Handelns,  der  Ver- 
antwortlichkeit und  der  Strafe  sei.  Dies  Vorurtheil  ist  deshalb 
schädlich,  weil  das  Gegentheil  zutrifft,  weil  in  Wahrheit  ein 
psychologisches  Verständniss  jener  Begriffe  und  eine  Motivirung  der 
concreten  Handlungen  nur  auf  dem  Boden  des  psychologischen  Deter- 
minismus zu  gewinnen  ist  —  freilich  eines  psychologischen  Deter- 
minismus, der  über  die  grobe  Verwechselung  der  psychischen  mit 
der  mechanischen  Gausalität  hinaus  ist'^).  Das  zweite  Vorurtheil, 
das  ebenfalls  in  der  Rechtsvrissenschaft  noch  vielfach  vorkommt,  ist 
die  Annahme  der  Existenz  eines  unbewussten  Willens.  Die 
Annahme  unbewusster  psychischer  Vorgänge  ist  überhaupt  eine  Fic- 
tion,  mit  der  sich  nie  und  nirgends  irgend  etwas  psychologisch  er- 
klären lässt.  Das  ünbewusste  ist  der  Natur  der  Sache  nach  ein 
metaphysischer  Abgrund,  der  sich  nach  Belieben  mit  den  Gespenstern 
der  eigenen  Einbildungskraft  bevölkern  lässt.  Aus  demselben  Grunde, 
aus  dem  man  mittelst  unbewusster  psychischer  Vorgänge  in  der 
Psychologie  nichts  erklären  kann,  kann  mau  aber  auch  in  allen 
Gebieten  angewandter  Psychologie  mit  Hülfe  solcher  Vorgänge  nichts 
motiviren.  Für  ein  unbewusstes  Wollen  kann  man  ebenso  wenig 
einen  Menschen  verantwortlich  machen,  wie  man  für  die  That  des 
Individuums  A  ein  anderes  Individuum  B  verantwortlich  machen  kann, 
das  von  jener  That  und  ihren  Motiven  nichts  weiss.  Wie  man  die 
psychischen  Vorgänge  nicht  zur  einen  Hälfte  psychologisch  und 
zur  andern  metaphysisch  erklären  darf,  gerade  so  wenig  darf  man 
daher  über  den  Unterschied  von  Dolus  und  Culpa  dadurch  Rechen- 
schaft geben,  dass  man  den  ersten  zu  einer  Handlung  des  Bewusst- 


0  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  462  ff. 


Rechtsnormen  und  Rechtsdefinitionen.  577 

fieins,  die  zweite  zu  einem  unbewussten  Vorgang  macht:  denn  das 
blasse  nichts  anderes  als  dort  ein  psychologisches,  hier  ein  meta* 
physisches  Motiv  annehmen.  Die  Metaphysik  gehört  in  Wahrheit 
so  wenig  in  die  Jurisprudenz,  wie  sie  in  die  empirische  Psychologie 
gehört.  Glücklicher  Weise  reicht  man  aber  auch  für  alle  jene  Zwecke, 
für  die  man  sich  des  «unbewussten''  Willens  benöthigt  glaubte,  mit 
dem  bewussten  oder  wirklichen  Wollen  aus,  sobald  man  nur  zugleich 
die  Entwicklung  des  Willens  in  Betracht  zieht*). 


d.   Rechtsnormen  und  Rechtsdefinitionen. 

Die  wissenschaftliche  Bearbeitung  des  Rechts  geht  von  der- 
jenigen Gestaltung  aus,  welche  die  Rechtsanschauungen  in  Gesetz- 
gebung und  Gewohnheitsrecht  gefunden  haben.  Der  Inhalt  beider 
besteht  in  Sätzen,  die  fQr  das  gesellschaftliche  Handeln  der  Mit- 
glieder einer  Rechtsgemeinschaft  bestimmte  Regeln  entweder  ausdrück- 
lich feststellen  oder  als  gültig  voraussetzen.  Diese  Regeln  sind  die 
Rechtsnormen.  Sie  bilden  die  unmittelbaren  Grundlagen  des 
Rechts  und  daher  auch  die  Ausgangspunkte  für  dessen  wissenschaft- 
liche Bearbeitung.  Ihrer  logischen  Bedeutung  nach  sind  sie  den 
Axiomen  der  theoretischen  Wissenschaften  vergleichbar.  Denn  sie 
lassen  wie  diese  keine  Begründung  durch  andere  Sätze  zu,  sondern 
entspringen  unmittelbar  aus  der  von  dem  Rechtsgefühl  geleiteten 
Rechtsanschauung;  auch  besitzen  sie  eine  ähnliche  Allgemeinheit,  da 
sie  alle  einzelnen  Rechtsanwendungen,  aus  denen  sie  durch  ver- 
allgemeinernde   Abstraction   hervorgegangen    sind,    nun   umgekehrt 


*)  Ich  möchte  in  der  That  glauben,  dass  der  Gebrauch,  den  Binding 
(Nonnen,  U,  S.  107  ff.)  in  seiner  Lehre  von  Dolus  und  Culpa  von  dem  Gegensatz  des 
bewussten  und  des  unbewussten  Willens  macht,  vollständig  durch  den  Gregensatz 
^es  einfachen,  eindeutig  bestimmten  oder  triebartigen  Willensactes  und  des  Wahl- 
actes  ersetzt  werden  kann,  ja  dass  vielleicht  dem  Verfasser  dunkel  dieser  Untere 
schied  vorschwebte,  dem  er  dann,  durch  den  Einfluss  der  Schopenhauer*schen 
und  Hartmann*schen  Metaphysik  veranlasst,  de^^egensatz  von  „bewusst*  und 
sunbewusst'  substituirte.    Da  das  Bewusstsein/  ^^^^anderes  ist  als  die  Wirk- 
lichkeit der  psychischen  Vorgänge  selber,  ny  ^^esen  vorhandenes,  so 
folgt  daraus  schon,  dass  der  Begriff  »unbew  -ler  Vorgänge*  psycho- 
logisch ein  Unding  ist.    Vgl,  hierzu  mein                          iber  die  Menschen-  und 
Thierseele,  2.  Aufl.,  S.  252  ff.,  Ethik,                           J  ff.    Auch  Zitelmann 
fQhrt  den  Begriff  des  unbewussten  Y                         -.  0.  S.  79).     Es  ist  aber 
bezeichnend,  dass  er  ihn  nur  als  ei^'                          Möglichkeit  hinstellt,  ohn 
für  jaristische  Zwecke  von  ihm  G/                            n. 

Wnndt,  Logik.  H,  2.    2.  Aufl.     /  37 


580  Logik  der  Gesellflchaftswiasenschaften. 

die  meisten  der  spät,  entwickelten  Principien  des  Yerfassimgs-  und 
Yerwaltungsrechts  höchstens  hinsichtlich  ihrer  praktischen  Zweck- 
mässigkeit, kaum  aber  in  Bezug  auf  den  Inhalt  der  in  ihnen  zum 
Ausdruck  kommenden  Rechtsanschauungen  Gbgenstiinde  des  Streites 
sein  können. 

In  der  Aufsuchung  der  Rechtsnormen  schlägt  die  wissenschaft- 
liche Untersuchung  einen  eigenthümlichen  Weg  ein,  der  von  der  That- 
sache  bestimmt  ist,  dass  die  Grund-  wie  die  HOlfsnormen  des  Rechts 
auf  gewissen  mit  mehr  oder  minder  klarem  Bewusstsein  befolgten 
Rechtsauschauungen  beruhen.  Diese  sind,  wie  aUe  Anschauungen, 
nicht  in  der  Form  logischer  Allgemeinbegriffe,  sondern  in  den  Vor- 
stellungen einzelner  rechtlicher  Verhältnisse  gegeben,  die  freilich 
frühe  schon  nach  Beziehungen  der  Aehnlichkeit  geordnet,  unter  ge- 
meinsame Bezeichnungen  gebracht  und  in  dieser  verallgemeinerten 
Form  von  der  Gesetzgebung  geregelt  werden.  Aber  der  natürlichen 
Begriffsbildung,  die  hier  wirksam  ist,  fehlt  es,  so  sicher  sie  aach 
durch  einen  glücklichen  Instinct  die  verschiedenen  Rechtsgebiete  und 
Rechtsfälle  im  ganzen  zu  ordnen  weiss,  durchaus  an  einer  tieferen 
Einsicht  in  die  Entstehung  und  den  Inhalt  der  Rechtsbegriffe. 
Dennoch  ist  eine  solche  nothwendig,  wenn  eine  erschöpfende  Er- 
kenntniss  jener  Grundnormen,  in  denen  der  ethische  Gehalt  der 
Rechtsordnung  seinen  Ausdruck  findet,  gewonnen  werden  soll.  Zur 
Erreichung  dieses  Zieles  bedarf  es  einer  Analyse  der  Rechts- 
begriffe, die  theils  in  den  bruchstückweise  vorliegenden  Grund- 
normen, theils  in  den  in  Gesetzen  und  gewohnheitsrechtlichen 
Satzungen  gegebenen  Hülfsnormen  vorausgesetzt  werden.  Die  Resul- 
tate dieser  Analyse  bestehen  in  den  Rechtsdefinitionen.  Ist 
die  Analyse  eine  erschöpfende,  so  müssen  die  Definitionen  in  ihrem 
Zusammenhang  so  vollständig  die  Grundnormen  einschliessen,  dass  eine 
ausdrückliche  Formulirung  dieser  gar  nicht  mehr  erforderlich  ist.  Die 
Definitionen  enthalten  aber  zudem  weit  mehr,  als  die  Normen  selbst 
enthalten  können,  da  vorzugsweise  die  Form  der  Definition  es  mög- 
lich macht,  den  Charakter  der  Thatsachen,  die  Objecte  der  Rechts- 
normen sind,  genau  anzugeben  und  sie  von  andern  Thatsachen  zu 
unterscheiden.  Für  die  wissenschaftliche  Bearbeitung  kommt  hienu 
noch  ein  weiterer  Vorzug.  Obzwar  die  Norm  vermöge  ihrer  impera- 
tiven Beschaffenheit  die  kürzere  und  eindrucksvollere  Form  ist,  so  ent- 
zieht sie  sich  doch  durch  eben  diese  Eigenschaft  der  Einreihung  in 
einen  systematischen  Zusammenhang,  während  sich  eine  solche  aus 
der  Analyse  der  Begriffe,   die  in   den  Definitionen  ihren  Abschluss 


Rechtsnormen  und  Rechtsdefinitdonen.  581 

findet,  von  selbst  ergibt.  Die  Theorie  wie  die  von  wissenschaftUchen 
Gesichtspunkten  geleitete  Praxis  des  Rechts  kann,  wo  es  sich  um 
den  Inhalt  der  Grundnormen  handelt,  der  Befehlsform  entbehren; 
diese  bleibt  nur  noch  für  jene  Hülfsnormen  erforderlich,  die  für  den 
Vollzug  des  Rechts  bestimmte  Regeln  aufstellen,  die  als  willkürliche 
Satzungen,  die  mit  concreten  Gulturbedingungen  zusammenhängen, 
eine  andere  Form  überhaupt  nicht  gestatten.  Je  wünschenswerther 
es  dagegen  ist,  dass  die  auf  diese  Aussentheile  der  Rechtsordnung 
herQberwirkenden  inneren  Rechtsnormen  selbst  für  jede  einzelne  An- 
wendung mit  voller  Klarheit  gegeben  seien,  um  so  unerlässlicher 
wird  es,  dass  bei  ihnen  die  ethische  Form  des  Imperativs  durch 
die  logische  der  Definition  ersetzt  werde.  So  wird  mit  innerer 
Nothwenigkeit  die  Definition  zur  logischen  Grundform  der  Rechts- 
wissenschaft. Aus  ihr  geht  auf  der  einen  Seite  die  Classification 
der  Rechtsbegriffe  hervor,  indem  die  in  den  einzelnen  Definitionen 
behandelten  Begriffe  in  mannigfache  Verhältnisse  der  Ueber-  und 
Unterordnung  und  der  Coordination  treten;  auf  der  andern  Seite 
entspringt  aus  ihr  die  Rechtsdeduction,  die  überall  theils  Rechts- 
definitionen theils  einzelne  Thatsachen,  die  einem  concreten,  dem 
juristischen  Urtheil  unterworfenen  Fall  angehören,  als  ihre  Prämissen 
verwerthet. 

Indem  die  Jurisprudenz  diese  systematischen  Formen  keines- 
wegs bloss  zur  Ordnung  gegebener  Begriffe  und  Resultate  benützt, 
sondern  sich  ihrer  neben  der  Analyse  und  der  synthetischen  Ver- 
knüpfung der  Begriffe  fortwährend  in  der  Untersuchung  selber  be- 
dient, ist  sie  eine  in  eminentem  Sinne  systematische  Wissenschaft. 
Durch  diesen  streng  logischen  Charakter  ist  sie  in  einer  gewissen 
Hinsicht  der  Mathematik  vergleichbar.  Aber  während  in  dieser  die 
Methoden  der  Untersuchung  ihre  vollkommenste  Ausbildung  ge- 
funden haben,  die  dann  erst  auf  die  exacte  Gestaltung  auch  der 
systematischen  Formen  zurückwirkte,  liegt  der  Schwerpunkt  der 
juristischen  Forschung  durchaus  in  diesen  Formen  selbst,  wogegen 
es  selbständige,  von  der  fortwährenden  Handhabung  von  Definitionen 
und  Beweisen  unabhängige  Untersuchungsmethoden  in  ihr  nicht  gibt. 
Dem  entspricht  ein  charakteristischer  Unterschied  in  der  Anwendung 
der  elementaren  logischen  Formen.  Während  die  Mathematik  fast 
nur  mit  Identitätsurtheilen  und  Begriffssubstitutionen  operirt,  ist  die 
juristische  Deduction  durchaus  beherrscht  von  dem  Subsumtions- 
schlusse.  Die  concreto  Erfahrung  fordert  zu  ihrer  Beurtheilung 
die  Unterordnung   unter   bestimmte    Rechtsdefinitionen,    und   nicht 


582  Logik  der  Gesellschaftewissenschaften. 

minder  wird  die  theoretische  Verbindung  dieser  Definitionen  aus- 
schliesslich geleitet  von  dem  Princip  der  Ueber-  und  Unterordnung. 
Der  Grund  dieser  Gegensätze  liegt  schliesslich  in  der  Natur  der  Be- 
griffe, die  den  Inhalt  beider  Wissenschaften  bilden.  Die  mathe- 
matischen Begriffe  ergeben  sich  aus  den  abstracten  Verhältnissen 
der  Anschauungsformen,  und  sie  führen  stets  auf  Elemente  von  ein- 
fachster anschaulicher  Form  zurück.  Die  Jurisprudenz  entnimmt 
ihre  Begriffe  den  verwickeltsten  Verhältnissen  des  menschlichen  Ver- 
kehrs und  des  willkürlichen  Handelns.  So  ist  die  Mathemiatik  nach 
der  Natur  ihrer  Probleme  die  einfachste,  die  Jurisprudenz  die  com- 
plicirteste  aller  Wissenschaften.  Aber  dieser  Gontrast  erstreckt  sich 
nun  vor  allem  auch  auf  die  qualitativen  Eigenschaften  der  Begriffe. 
In  der  Mathematik  waltet  die  isolirende,  in  der  Jurisprudenz  die 
generalisirende  Abstraction  vor;  jene  bezieht  sich  auf  subjective 
Anschauungsfunctionen,  diese  auf  objective  Verhältnisse  der  Erschei- 
nungen. In  den  mathematischen  Begriffen  bleiben  vermöge  der 
Uniformität  unserer  Anschauungsformen  stets  die  anschaulichen  Ele- 
mente erhalten,  und  das  Resultat  der  verwickeltsten  Speculation 
lässt  sich  darum  meist  in  eine  anschauliche  Form  zurückübersetzen. 
Die  Rechtsbegriffe  bewahren  vermöge  der  unendlichen  Vielgestaltig* 
keit,  die  die  Erscheinungen  der  menschlichen  Gesellschaft  darbieten, 
immer  ihre  abstracte  Natur,  und  sie  lassen  daher  keine  andere  Ver- 
bindung mit  der  concreten  Erfahrung  zu  als  die  Subsumtion  der 
letzteren,  wobei  man  sich  aber  fortan  bewusst  bleibt,  dass  niemals 
der  Begriff  durch  die  Subsumtion  erschöpft  werden  kann,  ja  dass  es 
nicht  einmal  eine  Anschauung  gibt,  die  als  irgend  zureichende  logische 
Stellvertreterin  des  Begriffs  gelten  könnte.  Darum  ist  in  dem  mathe- 
matischen Denken  die  abstracte  Form  der  algebraischen  Symbolik 
etwas  Secundäres ;  sie  gehört  den  äusseren  Hülfsmitteln  desselben  an 
und  dient  der  Verallgemeinerung  der  Untersuchungen,  deren  wirk- 
licher Inhalt  von  durchaus  anschaulicher  Art  bleibt.  In  dem  juristi- 
schen Denken  ist  die  abstracte  Form  das  Primäre;  jene  Rechts- 
anschauung, aus  welcher  dereinst  die  Rechtsbegriffe  entsprungen  sind, 
gehört  dem  vorwissenschaftlichen  Denken  an,  dem  gegenüber  die 
Arbeit  der  Wissenschaft  darin  besteht,  ein  System  von  Begriffen 
aufzustellen,  die  allgemein  genug  sind,  dass  sich  das  ganze  Rechts- 
leben in  sie  einordnen  lässt.  Das  mathematische  Denken  ist  daher 
anschaulich  in  abstracten  Formen,  das  juristische  könnte  man  abstract 
in  anschaulichen  Formen  nennen;  denn  der  anschaulichen  Bedeutung, 
die   das   gewöhnliche  Denken  den   die  Rechtsbegriffe  bezeichnenden 


Rochtsnormen  und  RechUdefinitionen.  583 

Worten  beilegt,  wird  hier  überall  eine  abstracte  substituirt,  die  nicht 
mehr  in  einer  anschaulichen  Thatsache,  sondern  in  einer  bestimmten, 
durch  eine  Definition  festzustellenden  Begriffsverbindung  ihren  Aus- 
druck findet. 

Die  Rechtsdefinition  ist  nun  nicht  bloss  die  (Grundlage, 
auf  welche  die  andern  systematischen  Rechtsformen  zurückfuhren, 
sondern  sie  ist  auch  theoretisch  wie  praktisch  die  wichtigste  unter 
diesen  Formen.  Indem  sie  aus  den  praktisch  gültigen  Rechts- 
anschauungen, sowie  aus  den  vielfach  nur  in  Oestalt  secundärer  Hülfs- 
normen  vorliegenden  Acten  der  Gesetzgebung  als  das  nächste  Resultat 
wissenschaftlicher  Bearbeitung  hervorgeht,  vollzieht  sich  ein  Vor- 
gang, den  man  als  „Präcipitation  der  Rechtss'ätze  zu  Rechtsbegriffen " 
bezeichnet  hat"**).  Dieser  Ausdruck  deutet  in  der  That  ziemlich  treffend 
die  eigenthümliche  Art  der  Abstraction  an,  um  die  es  sich  hier 
handelt.  Kein  einziger  der  Rechtssätze,  die  bei  einer  Definition  zu- 
sammenwirkten, ist  als  solcher  in  dieser  enthalten,  und  doch  lassen 
sie  sich  nicht  nur  sämmtUch  aus  ihr  wiedergewinnen,  sondern  neben 
ihnen  ergeben  sich  fast  immer  noch  zahlreiche  andere  Rechtssätze, 
die  bei  der  von  zufälligen  Erfahrungen  geleiteten  praktischen  Formu- 
lirung  der  Gesetze  leicht  übersehen  werden.  In  der  Definition  voll- 
zieht sich  also  eine  Verdichtung  der  Rechtsbegriffe,  die 
gleichzeitig  deren  Anwendbarkeit  nicht  verengt  sondern  erweitert, 
und  die  Anwendung  auf  den  einzelnen  Fall  nicht  erschwert  sondern 
erleichtert.  Dieser  Erfolg  wird  aber  dadurch  ermöglicht,  dass, 
während  die  einzelnen  Rechtserfahrungen  in  nebensächlichen  Um- 
ständen mannigfach  variiren,  doch  die  wesentlichen  Begriffselemente 
eine  ausserordentlich  grosse  Gonstanz  darbieten.  Zum  Vollzug  jener 
Generalisationen,  aus  denen  die  Rechtsdefinitionen  hervorgehen,  be- 
darf es  daher  keineswegs  einer  grossen  Zahl  von  Erfahrungen,  sondern 
wenige  deutlich  ausgeprägte  Fälle,  nöthigenfalls  ein  einziger,  können 
genügen,  um  den  Rechtsbegriff;  der  in  ihnen  verborgen  liegt,  in 
seiner  vollen  Schärfe  und  Allgemeinheit  auszusprechen.  In  dieser 
Beziehung  sind  die  Generalisationen  der  Jurisprudenz  wiederum  den 
verallgemeinernden  Abstractionen  der  Mathematik  vergleichbar,  so 
unendlich  verschiedenartig  auch  bei  beiden  der  Inhalt  der  concreten 
Erfahrung  ist.  Aber  was  hier  die  grosse  Einfachheit  der  mathe- 
matischen Anschauungsobjecte  ermöglicht,  das  vollzieht  sich  dort 
gerade  unter  der  Mitwirkung  der  unendlichen  Complication  der  That- 


*)  Jhering,  Geist  des  römischen  Rechts»  2.  Aufl.,  I,  S.  87. 


584  Logik  der  GesellschaftswisseiiBcbaften. 

Sachen,  die  um  so  mehr  dazu  nöÜiigt,  zunächst  durch  eine  tief  e> 
dringende  Analyse  und  eine  daran  geknüpfte  isolirende  Abstracto 
alle  Bestandtheile  auszusondern,  die  f&r  den  Inhalt  der  Rechtsordimg 
gleichgültig  sind.  Dass  sich  diese  Abstraction  nicht  mit  einem 
Schlage  vollzogen  hat,  lehrt  die  auf  niedrigeren  Entwicklungsstufen 
der  Rechtsanschauung  so  verbreitete  Trübung  der  Rechtsbegpriffe  durch 
zufällige  Einflüsse  der  Sitte,  eine  Trübung  von  der  auch  die  spätere 
Entwicklung  nicht  ganz  frei  bleibt. 

Die  einzigen  Führer  durch  solche  Verirrungen  sind  schliesslich 
die  sittlichen  Normen,  die,  weil  sie  alle  Einflüsse  zufalliger  Lebens- 
gewohnheiten überdauern,  immer  mehr  in  den  bleibenden  Rechts- 
normen zur  Herrschaft  gelangen  müssen.  Das  Yerhältniss  der  sitt- 
lichen Normen  zu  den  Rechtsnormen  ist  aber  weder  ein  solches  der 
Identität  noch  der  einfachen  Ueberordnung.  Die  Rechtsordnung 
umfasst  das  ganze  geseUschaftUche  Leben  der  Menschen,  und  in 
diesem  sind,  vrie  in  dem  Einzelleben,  die  sittlichen  Zwecke  die  höchsten, 
doch  nicht  die  einzigen.  Ihr  domiuirender  Charakter  kommt  nur 
darin  zur  Geltung,  dass  zwar  die  sonstigen  Rechtszwecke  mannig&cb 
mit  einander  in  einen  Gonflict  gerathen  können,  der  durch  eine  Aus- 
gleichung, die  sich  mit  partiellen  Erfolgen  begnügt,  vermieden  werden 
muss,  dass  aber  mit  den  sittlichen  Zwecken  ein  solcher  Gonflict  un- 
möglich oder  nur  so  lange  möglich  ist,  als  die  Rechtsordnung  selbst 
an  schweren  Mängeln  leidet.  Den  sittlichen  Zwecken  müssen  alle 
andern  sich  beugen.  Darum  behält  auch  in  den  Gebieten  des  Rechts^ 
die  sich  auf  das  sittlich  Gleichgültige  beziehen,  das  Ethische  immer- 
hin in  prohibitiver  Form  seine  normative  Bedeutung,  indem  es  von 
vornherein  Rechtssatzungen  ausschliesst,  die  direct  oder  in  ihren 
Folgen  einen  unsittlichen  Inhalt  bergen.  Die  positiven  Normen,  die 
in  diesen  Fällen  den  Inhalt  der  einzelnen  Rechtssätze  bestimmen, 
bleiben  die  speciellen  Zwecke  der  einzelnen  Rechtsinstitute,  die 
naturgemäss  wieder  alle  Richtungen  des  Lebens  umfassen  können. 
Die  Bestimmungen  dieser  Zwecke  und  die  Ableitung  der  aus  ihnen 
sich  ergebenden  Rechtsbegriffe  ist  aber  eine  rein  logische  Aufgabe^ 
die  eine  Abstraction  aus  den  gegebenen  Rechtsverhältnissen  voraus- 
setzt. Auf  diese  Weise  gründen  sich  die  Rechtsdefinitionen  schliess- 
lich auf  eine  doppelte  Subsumtion,  auf  eine  solche  unter  die 
ethischen  Normen  und  auf  eine  andere  unter  die  logischen 
Gesichtspunkte,  die  sich  aus  der  Erwägung  der  speciellen  Rechts- 
zwecke ergeben.  Naturgemäss  tritt  in  der  Fassung  der  Rechts- 
definitionen die  letztere.  Subsumtion  in  den  Vordergrund,  während 


r 


e» 


Rechtsdeductioo  und  juriBtischer  Thatsachenbeweis.  585 

die  erstere  meistens  nur  stillschweigend  vorausgesetzt  ist,  darum 
aber  nicht  weniger  auf  den  Inhalt  der  Sätze  ihren  Einfluss  ausübt. 
Diese  logische  Einseitigkeit  der  Rechtsdefinitionen  ist  es  übrigens, 
die  leicht  die  Aufmerksamkeit  vorwiegend  den  speciellen  Zwecken 
der  Rechtsordnung  zuwendet  und  auf  diese  Weise,  namentlich  wenn 
die  privatrechtlichen  Begriffe  in  den  Vordergrund  gerückt  werden, 
das  Recht  ausschliesslich  unter  den  Gesichtspunkt  des  individuellen 
Nutzens  stellt.  Auch  liegt  hierin  der  Qrund  für  die  früher  her- 
vorgehobene unvollkommene  Ausbildung  einer  selbständigen  publi- 
cistischen  Methode  und  für  die  verbreitete  Neigung,  diesem  Mangel 
durch  die  einfache  üebertragung  civilistischer  Anschauungen  mit 
Hülfe  von  Fictionen  und  Analogien  abzuhelfen  (S.  565). 

Auf  den  Recht>sdefinitionen  erhebt  sich  die  Classification 
der  Rechtsbegriffe.  Auch  sie  ist  zunächst  eine  rein  theore- 
tische Aufgabe,  die  aber  gleichwohl  auf  die  praktische  Rechtsübung 
und  namentlich  auf  die  Weiterentwicklung  des  Rechts  nicht  ohne 
Einfluss  bleibt.  Indem  die  systematische  Verbindung  der  Rechts- 
begriffe den  einzelnen  Rechtsinstituten  die  nach  den  logischen  Folgen 
ihrer  Zwecke  zukommende  Stellung  anweist,  gibt  sie  zugleich  Rechen- 
schaft über  das  Verhältniss  dieser  Zwecke  selbst  zu  den  sonstigen 
Ghrundlagen  der  Rechtsordnung  und  sichert  für  die  Rechtsanwendung 
die  richtige  Subsumtion  des  einzelnen  Falls  unter  die  allgemeine 
Regel.  Die  logische  Ausbildung  der  Classification  ist  in  hohem  Grade 
dadurch  gefördert  worden,  dass  die  wissenschaftliche  Entwicklung 
des  Rechts  von  den  privatrechtlichen  Begriffen  und  zugleich  von 
einer  verhaltnissmässig  einfachen  Form  des  gesellschaftlichen  Lebens 
ausging.  Die  Gestaltungen  des  römischen  Rechts  ordnen  sich  fast 
von  selbst  unter  systematische  Gesichtspunkte.  Die  mannigfaltigeren 
Formen  des  Rechtslebens,  die  an  die  Schöpfungen  der  modernen 
Cultur  sich  anlehnen,  bieten  in  dieser  Beziehung  weit  grössere 
Schwierigkeiten,  die  nur  mit  Hülfe  der  an  den  einfacheren  Rechts- 
formen  gewonnenen  Vorbereitung  zu  überwinden  sind. 

e.  DieRechtsdeduction  und  der  juristische  Thatsachenbeweis. 

Auf  die  Definitionen  der  Rechtsbegriffe  und  ihren  systematischen 
Zusammenhang  gründet  sich  die  Rechtsdeduction.  Sie  hat  zwei 
Hauptformen,  deren  erste  und  wichtigste  in  der  Unterordnung 
gegebener  einzelner  Thatsachen  unter  die  durch  Defini- 
tionen festgestellten  Rechtsbegriffe    besteht.     Da    das  Ver- 


586  Logik  der  GesellschaftswiBsenschaften. 

hältniss  der  concreten  Erfahrung  zu  den  einzelnen  Rechtsbegriffen 
nicht  selten  ein  schwankendes  ist,  indem  bald  Zweifel  entstehen 
können,  welcher  unter  einer  gewissen  Anzahl  verwandter  Begriffe 
im  gegebenen  Fall  anzuwenden  sei,  bald  aber  die  einzelne  Thatsache 
unter  mehrere  Begriffe  fallt,  deren  Merkmale  sie  in  sich  vereinigt, 
so  leistet  hierbei  zugleich  die  Classification  der  Begriffe  wichtige 
Dienste.  Gemäss  der  schon  die  juristischen  Definitionen  beherrschen- 
den Form  der  Subsumtion  beruht  die  Rechtsdeduction  stets  auf 
Subsumtionsschlüssen,  und  speciell  im  vorliegenden  Falle  ist  es  die 
classificirende  Form  des  Schlusses,  die  vorzugsweise  benutzt 
wird.  (Vgl.  Bd.  I,  S.  331.)  Die  Thatsache  aber,  dass  jede  Rechts- 
deduction nicht  bloss  eine  üebertragung  fertiger  Ergebnisse  in  ein 
systematisches  Schema,  sondern  selbst  eine  Form  der  Untersuchung 
ist,  verräth  sich  in  der  Benützung  logischer  Hülfsoperationen,  die 
hier  eine  analoge  Rolle  spielen  wie  etwa  die  geometrischen  Gon- 
structionen  in  dem  Euklidischen  Beweisverfahren.  Diese  Hülfs- 
operationen sind  Begriffsanalysen,  die  sich  an  die  feststehen- 
den Definitionen  anschliessen  und  zugleich  auf  die  speciellen  Um- 
stände des  zu  beurtheilenden  Falls  Rücksicht  nehmen.  Demnach  ist 
die  juristische  Begriffsanalyse  im  allgemeinen  vergleichender 
Art:  sie  besteht  in  parallel  laufenden  Zergliederungen  der  in  An- 
wendung kommenden  Rechtsbegriffe  und  der  zu  beurtheilenden  That- 
sachen,  und  sie  ist,  insoweit  sie  sich  auf  die  letzteren  bezieht 
meistens  zunächst  eine  psychologische  und  dann  erst  eine 
logische,  da  nur  auf  Gh*und  der  psychologischen  Erkenntniss  einer 
Willenshandlung  der  für  die  Deduction  in  Betracht  kommende 
logische  Charakter  derselben  bestimmt  werden  kann.  (Vgl.  oben 
S.  575.) 

Die  zweite  Form  der  Rechtsdeduction  ist  die  Anwendung 
allgemeiner  Rechtsbegriffe  auf  die  Interpretation  spe- 
cieller  Rechtsregeln.  In  diesem  Falle  handelt  es  sich  zunächst 
um  lediglich  wissenschaftliche  Fragen,  die  aber  nicht  selten  aus 
Anlass  einzelner  Erfahrungen  aufgeworfen  werden  und  darum  auch 
wieder  auf  die  Beurtheilung  specieller  Thatsachen  Einfluss  gewinnen. 
Jede  Rechtsdeduction  solcher  Art  geht  von  der  Voraussetzung  aus, 
dass  eine  gegebene  Rechtsordnung  ein  in  sich  widerspruchsloses 
System  sein  müsse,  und  dass  daher,  wo  ein  Widerspruch  sich  zu 
ergeben  scheint,  dieser  wo  möglich  durch  die  Interpretation  zu  be- 
seitigen sei.  Die  Interpretation  geschieht  nun  aber  auf  dem  Wege 
der  Deduction  aus  Rechtsdefinitionen,  wobei  man  sich  des  Postulates 


Rechtsdeduction  und  juristischer  Thatsachenbeweis.  587 

bedient,  dass,  wenn  zwischen  verschiedenen  Rechtsdefinitionen  ein 
Widerspruch  vorliegt,  der  allgemeineren  der  Vorzug  einzuräumen 
ist.  Bei  coordinirten  Definitionen  entscheidet  daher  der  Umstand, 
welche  von  ihnen  mit  allgemeineren  Rechtsbegriffen  übereinstimmt. 
Meistens  treten  übrigens  solche  Gonflicte  nicht  zwischen  den  Rechts- 
definitionen selbst,  sondern  zwischen  Recht ss'ätzen  hervor,  welche 
die  Probe  einer  genauen  begrifflichen  Zergliederung  noch  nicht  be- 
standen haben ;  und  der  scheinbare  Widerspruch  entspringt  aus  einer 
Vieldeutigkeit  des  Ausdrucks,  welche  durch  die  von  allgemeineren 
Rechtsbestimmungen  ausgehende  Interpretation  beseitigt  wird.  Die 
Interpretation  selbst  beruht  wieder  auf  Subsumtionsschlüssen ,  in 
die  Begriffsanalysen  als  Hülfsoperationen  eintreten.  Als  specielle 
Form  überwiegt  hier  der  exemplificirende  Subsumtionsschluss. 
(Bd.  I,  S.  334.) 

Eine  Art  Zwischenform  zwischen  dieser  und  der  vorigen  Art 
der  Rechtsdeduction  bildet  die  Prüfung  von  Rechtsentschei- 
dungen, wie  sie  z.  B.  von  der  höheren  Rechtsinstanz  an  den  Ur- 
theilen  des  ersten  Richters  geübt  wird.  Insofern  es  sich  darum 
handelt,  einen  Rechtssatz  von  concreter  Beschaffenheit  an  den  all- 
gemeinen Rechtsbegriffen  zu  prüfen,  gehört  das  Verfahren  der  zweiten 
Form  an ;  sobald  aber  dabei  ausserdem  eine  Prüfung  der  Thatsachen 
selbst  stattfindet,   kommt  zugleich   die  erste  Form  zur  Anwendung. 

Ganz  zu  scheiden  von  der  Rechtsdeduction  ist  der  juristische 
Thatsachenbeweis.  Er  dient  dazu,  jene  Thatsachen,  welche  die 
erste  Form  der  Deduction  allgemeinen  Regeln  subsumiren  soll, 
sicherzustellen  und  auf  diese  Weise  den  Stoff  für  die  speciellen 
R«chtsdeductionen  herbeizuschaffen.  Demgemäss  besitzt  dieses  Ver- 
fahren durchaus  den  Charakter  eines  Inductionsbeweises  (Bd.  II, 
1,  S.  75),  und  specifisch  juristische  Principien  kommen  bei  ihm  gar 
nicht  zur  Geltung,  da  mit  der  Feststellung  des  Thatbestandes  erst 
die  Anwendung  der  Rechtsbegriffe  auf  denselben  beginnen  kann. 
Der  Charakter  menschlicher  Handlungen  bringt  es  nun  mit  sich, 
dass  eine  derartige  Induction  unter  Umstanden  höchst  einfach  und 
überzeugend,  manchmal  aber  auch  ausserordentlich  schwierig  und 
unsicher  sein  kann.  Ersteres  ist  der  Fall,  wenn  die  Thatsache  selbst 
durch  eine  grössere  Zahl  zuverlässiger  Beobachter  festgestellt  ist, 
letzteres  dann,  wenn  sie  nur  auf  Grund  mehrdeutiger  Indicien  vermuthet 
wird.  Das  aus  praktischen  Gründen  begreifliche  Streben,  der  hieraus 
entspringenden  Unsicherheit  zu  steuern,  hatte  im  Verein  mit  über- 
triebenen Vorstellungen  von   der  rechtsbildenden  Ejraft  der  Gesetz- 


I 


588  Logik  der  GeseUschaitowissenschaften. 

gebung  im  älteren  deutschen  Recht  zur  willkürlichen  Feststellung 
gewisser  Merkmale  geführt,  deren  Vorhandensein  für  die  richterliche 
Annahme  oder  Verwerfung  der  Thatsachen  entscheidend  sein  sollte. 
Diese  formale« Beweistheorie  ist  eine  merkwürdig  unlogische  Ab- 
normität innerhalb  der  sonst  so  logischen  Jurisprudenz.  Sie  wider- 
spricht so  offenkundig  allen  Regeln  der  Induction,  dass  sie  nur  eine 
schwache  Stütze  in  der  Fiction  findet,  der  Gesetzgeber  müsse,  um 
jeder  Rechtsunsicherheit  vorzubeugen,  nöthigenfalls  von  Rechts  w^en 
feststellen,  was  als  Thatsache  zu  betrachten  sei.  Die  neuere  Rechts- 
übung ist  daher  im  Anschlüsse  an  die  römische  Auffassung  überall 
zu  einer  materialen  Beweistheorie  übergegangen.  Sie  stellt  den 
Grundsatz  auf,  dass  jeder  einzelne  Fall  aus  sich  selbst  zu  beurtheilen 
sei.  Für  die  Entscheidung  der  Frage,  von  wem  der  Beweis  zu 
führen,  ob  von  den  Organen  der  Rechtspflege  selbst  oder  den  recht- 
suchenden Personen,  und  wie  unter  den  letzteren  die  Beweislast  zu 
vertheilen  sei,  werden  hierbei  Grundsätze  der  socialen  Ethik  und 
Gesichtspunkte  praktischer  Zweckmässigkeit  massgebend,  die  sich 
einer  allgemeineren  logischen  Betrachtung  entziehen. 

Beachtenswerth  für  die  letztere  ist  nur  die  Thatsache,  dass 
die  erste  der  obigen  Fragen  zugleich  als  logisches  Kriterium  ge- 
dient hat,  nach  welchem  die  Gebiete  des  öffentlichen  Rechts 
und  des  Privatrechts  sich  scheiden.  Gerade  darum  aber  mag 
es  zweifelhaft  sein,  ob  diese  Gebiete  für  alle  Zeit  in  derjenigen  Form 
einander  gegenüberstehen  werden,  die  sich  wesentlich  im  Anschlüsse 
an  die  römische  Rechtsentwicklung  ausgebildet  hat.  Wenn  das  Ge- 
bot des  öffentlichen  Wohles  das  Verbrechen  des  Einzelnen  der  Privat- 
klage des  Beschädigten  enthebt,  um  die  Last  des  vollen  Beweis- 
verfahrens  den  Organen  des  Staats  zuzuweisen,  so  ist  es  augen- 
scheinlich, dass  das  nämliche  Gebot  zahlreiche  sociale  Einrichtungen, 
die  ursprünglich  als  Unternehmungen  Einzelner  entstanden  sind, 
allmählich  der  individuellen  Willkür  entziehen  kann.  Die  Aus- 
dehnung, die  dieser  Entwicklung  in  der  Zukunft  noch  bevorstehen 
mag,  ist  unabsehbar.  Sie  wird  voraussichtlich  in  erster  Linie  von 
den  fortan  dem  Wandel  unterworfenen  socialen  Zuständen  und  von 
der  mit  zunehmender  Gultur  wachsenden  Ausgleichung  der  persön- 
lichen Interessen  und  Bedürfhisse  abhängen  —  Bedingungen,  die  fOr 
die  sich  gleich  bleibende  Aufgabe  des  Rechts,  zwischen  dem  6e- 
sammtinteresse  und  den  individuellen  Lebenszwecken  ein  befriedigen- 
des Gleichgewicht  herzustellen,  immer  wieder  veränderte  Lösungen 
erfordern. 


Gesellschaft  und  Gemeinschaft.  589 


4.    Die  Frincipien  der  Sociologie. 

a.    Gesellschaft  und   Gemeinschaft. 

Der  Begriff  der  Gesellschaft  hat  im  Laufe  der  Zeit  drei 
wesentlich  verschiedene  Bedeutungen  angenommen,  die  theils  auf 
Grund  allgemeiner  wissenschaftlicher  Anschauungen  theils  unter  dem 
Einflüsse  specifisch  juristischer  Begriffe  zur  Ausbildung  gelangt  sind. 
Nach  der  ersten  und  ursprünglichsten  dieser  Bedeutungen  bezeichnet 
die  Gesellschaft  jede  freie  Vereinigung  Einzelner,  wie  sie  von  selbst 
aus  dem  Zusammenleben  der  Menschen  und  aus  dem  Bedürfniss  des 
Verkehrs  hervorgeht.  Die  Gesellschaft  in  diesem  Sinne  steht  als 
die  loseste  aller  menschlichen  Verbindungen  den  verschiedenen  Formen 
der  Gemeinschaft  gegenüber,  die,  namentlich  in  der  Form  der 
Familien-,  Stammes-  und  Staatsgemeinschaft,  eine  zu  dauernden 
Zwecken  entstandene  Einheit,  nicht,  wie  die  Gesellschaft,  eine  zur 
Befriedigung  vorübergehender  Bedürfnisse  gebildete  und  darum  jeden 
Augenblick  von  den  Einzelnen  selbst  wieder  zu  lösende  Vereinigung 
darstellt.  Das  entscheidende  Merkmal,  an  dem  sich  diese  Begriffe 
innerhalb  des  sie  umfassenden  Allgemeinbegriffs  des  Zusammen- 
lebens zu  Gegensätzen  entwickelt  haben,  besteht  denmach  darin, 
dass  in  der  Gesellschaft  der  Wille  des  Einzelnen  frei  bleibt,  während 
er  sich  in  der  Gemeinschaft  einer  umfassenderen  Willenseinheit  unter- 
ordnet. In  die  ursprünglichen  Gemeinschaftsformen  wird  der  Ein- 
zelne hineingeboren,  und  wie  die  Verbindung  ohne  seine  Zustimmung 
entstanden  ist,  so  vermag  er  sich  auch  nicht  nach  bloss  eigener 
Willkür  aus  ihr  zu  lösen.  Dieser  dauernderen  von  dem  Einzel- 
willen unabhängigeren  Natur  der  Gemeinschaft  entspricht  zugleich 
ihr  allgemeinerer  Zweck.  Wie  dieser  bei  der  Gesellschaft  ein 
individueller,  so  ist  er  bei  der  Gemeinschaft  ein  allen  Mitgliedern 
derselben  gemeinsamer  Lebenszweck;  daher  auch  filr  das  Zweck- 
gebiet einer  jeden  Gemeinschaft  vor  allem  die  Theilung  der  Zwecke 
massgebend  ist,  die  sich  zwischen  den  verschiedenen  neben  einander 
bestehenden  Gemeinschaften  ausgebildet  hat.  Diese  sind  stets  über 
und  neben  einander  geordnet  Bestandtheile  eines  zusammengehörigen 
Gemeinschaftsganzen,  wobei  sie  in  die  gemeinsamen  Lebenszwecke 
dieses  Ghmzen  sich  theilen.  In  diesem  Sinne  ist  daher  jede  Ge- 
meinschaft   eine  organische,    von   bestimmten   Zwecken   regierte 


590  Logik  der  Gesellschaftswissenflchaften. 

Einheit,  und  die  Verbindung  einer  Anzahl  solcher  Einheiten  zu 
einem  grösseren  Gemeinscbaftsganzen  bildet  abermals  eine  ähnliche 
Einheit  von  zusammengesetzterem  Charakter.  Im  Gegensätze  dazu 
bleibt  die  GeseUschaft  immer  nur  eine  Vielheit  von  Individuen:  sie 
ist  keine  organische  Einheit,  sondern  ein  Aggregat. 

Das  menschliche  Zusammenleben  hat  nun  aber  im  Laufe  seiner 
Entwicklung  allmählich  Formen  der  Verbindung  hervorgebracht,  die 
sich  nach  ihrer  allgemeinen  Bedeutung  zwischen  jene  ursprünglichen 
Begriffe  der  Gesellschaft  und  der  Gemeinschaft  als  Zwischenformen 
einschieben.    Sie  sind  im  allgemeinen  dadurch  entstanden,  dass  sich 
innerhalb  der  Gesellschaft  besondere  Vereinigungen  zum  Behuf  der 
Verfolgimg   neuer,    durch    die    fortschreitende    Cultur   entwickelter 
Lebenszwecke  bildeten,  die  durch  die  Unterwerfung  der  Einzelwillen 
unter  den  gemeinsamen  Zweck  und  durch  die  Organisation,  die  die 
Verfolgung   dieses  Zwecks    erzeugte,    das   Wesen    wahrer  Gemein- 
schaften  annehmen  mussten.     Jenen  ursprünglichen  Gemeinschafts- 
formen der  Familie,   des  Stammes,   des  Staates  gegenüber  sind  sie 
in  gewissem  Sinne  künstliche  Gemeinschaften,  die  aus  der  selbst 
nicht  organisirten,  aber  in  hohem  Masse  organisationsfähigen  Gesell- 
schaft heraus  entstanden  sind  und  fortan  von  neuem  entstehen,  frei- 
lich aber  auch  gelegentlich  sich  wieder  in  die  Gesellschaft  aus  der 
sie  hervorgingen  auflösen  können.    Es  ist  ohne  weiteres  ersichtlich, 
dass  diese  Processe  der  Gemeinschaftsbildung  aus  der  Gesellschaft  und 
ihrer  Wiederauflösung  in  die  Gesellschaft  mannigfach  auch  auf  die 
ursprünglichen  Gemeinschaftsformen  zurückwirken.  So  hat  der  Stamm 
in  der  Gulturgesellschaft  sich  aufgelöst,   um  durch   den  Staat  und 
die  sich  ihm  unterordnenden  engeren  Gemeinschaftsbildungen  ersetzt 
zu  werden.     So  ist  ferner  die  Familie  bei  der  monogamischen  Ehe 
eine  fortwährend  aus  der  Gesellschaft  sich  neubildende  Gemeinschaft 
geworden,  die  das  individuelle  Leben  des  ihren  Mittelpunkt  bilden- 
den Eltempaars  nur  in  schwachen  gesellschaftlichen  Nachwirkungen 
überdauert.     So  ist  endlich  für  den  Staat  neben  seinem  natürlichen 
Hervorwachsen  aus  der  Stammesgemeinschaft  die  Neubildimg   aus 
gesellschaftlichen   Umwälzungen    und   Kämpfen    die    wahrscheinlich 
häufigere  Entstehungsform ;  und  dieser  Neubildung  stehen  als  noth- 
wendige   Begleiterscheinungen    die  Auflösung    vorhandener   Staats- 
gemeinschaften oder    ihr    durch    irgend  welche   Umbildungen    und 
Katastrophen  vermittelter  Uebergang   in  neue  politische  Einheiten 
gegenüber.      In    noch  weit   mannigfaltigerer  Weise   ergreifen  aber 
natürlich  diese  Umwandlungen,  Auflösungen   und  Neubildungen  die 


Qesellschaft  und  Gemeinschaft.  591 

zwischen  die  Gesellschaft  und  die  ursprünglichen  Oemeinscbaffcs- 
formen  sich  einschiebenden  Verbindungen,  die  selbst  schon  die 
mannigfachsten  Uebergänge  zwischen  Gesellschaft  und  Gemeinschaft 
baden,  indem  sie  bald  zu  festen  Lebensyerbänden  werden  können, 
bei  denen  der  ursprüngliche  Zweck  eine  Fülle  weiterer  demselben 
an  sich  fremder  Lebenszwecke  assimilirt,  bald  aber  verhältniss- 
mässig  lose  und  vorübergehende  Sonderyerbindungen  darstellen,  die, 
durch  gewisse  beschränktere  Zwecke  zusammengehalten,  von  der 
unablässig  fluctuirenden  Gesammtmasse  der  Gesellschaft  sich  aus- 
sondern. 

In  Anbetracht  dieser  unendlich  verschiedenen  Abstufungen 
zwischen  Gemeinschaft  und  Gesellschaft  hat  denn  auch  das  Recht 
und  die  der  Rechtsbildung  folgende  juristische  Begriffsbildung  das  Be- 
dürfniss  empfunden,  wenigstens  die  hauptsächlichsten  dieser  Ueber- 
gangsformen  auseinanderzuhalten.  So  betrachtet  man  als  „Gesell- 
schaft* (Societas)  im  engeren  juristischen  Sinne  die  freie,  durch 
Vertrag  oder  ausdrückliche  Willenserklärung  erfolgende  Verbindung 
Einzelner  zu  bestimmten  individuellen  oder  allgemeinen  Zwecken. 
Zur  9 Genossenschaft*  wird  eine  solche  Vereinigung  dann,  wenn 
deren  Mitglieder  gemeinschaftliche  Verpflichtungen  eingehen,  durch 
die  sie  den  Charakter  einheitlicher  Rechtssubjecte  gewinnen.  Da 
der  gewöhnliche  Anlass  zum  Eingehen  solcher  Verpflichtungen  in 
wirthschaftlichen  Erwerbszwecken  besteht,  so  hat  sich  der  an  sich 
einer  weiteren  Ausdehnung  fähige  Begriff  der  Genossenschaft  in  der 
neueren  Zeit,  die  die  Neubildung  solcher  Verbindungen  aus  dem 
Schosse  der  Gesellschaft  heraus  begünstigte,  wesentlich  auf  Erwerbs- 
und Wirthschafbsgenossenschafben  eingeschränkt.  Weil  hierbei  die 
gemeinsame  Verpflichtung  eines  öffentlichen  Schutzes  bedarf,  welcher 
der  Pflicht  gewisse  Rechte  gegenüberstellt,  so  hat  die  Genossen- 
schaft, im  Unterschiede  von  der  bloss  den  allgemeinen  Vertrags- 
pflichten unterstehenden  engeren  Gesellschaft  oder  Societas,  bereits 
den  Charakter  einer  auf  einer  besonderen  öffentlichen  Anerkennung 
beruhenden  Rechtsgemeinschaft '^).    Ihre  Existenz  beruht  auf  der  ihr 


*)  Ob  diese  Anerkennung  in  jedem  einzelnen  Fall  oder  für  bestimmte 
Verbandsformen  ein  für  aUemal  geschieht,  kommt  für  den  allgemeinen  Cha- 
rakter dieser  socialen  Zwischenbildungen  nicht  in  Betracht  und  wird  gegen- 
wärtig noch  Ton  der  Gesetzgebung  verschiedener  Länder,  je  nachdem  diese 
vorwiegend  imter  dem  individualistischen  Einfluss  des  römischen  oder  unter 
dem  collectiTistiBchen  des  deutschen  Rechts  steht,  Terschieden  geordnet.  Vgl. 
Oierke,  Deutsches  Priyatrecht,  I,  S.  468. 


592  Lo^k  der  (lesellschaftswiBseiischaften. 

durch  diese  Anerkennung  yerliehenen  Fähigkeit  ihre  Hechte  ebenso- 
wohl den  eigenen  Genossen  wie  andern  Rechtssubjecten  gegenüber 
zu  wahren.  Sie  ist  daher  in  Bezug  auf  die  von  ihr  yerfolgten 
wirthschaftlichen  Gemeinschaftszwecke  ein  der  individuellen  Persön- 
lichkeit analoges  Rechtssubject.  Die  Genossenschaft  wird  endlich 
zur  „Körperschaft"  (Corporation),  wenn  die  gemeinsam  erstrebten 
Zwecke  eine  Verbindung  der  Genossen  zu  einem  organischen  Ganzen 
herbeifahren,  das  die  Fähigkeit  der  selbstthätigen  inneren  Entwick- 
lung besitzt,  eine  Fähigkeit  die  sich  namentlich  in  der  selbständigen 
Veränderung  und  Erweiterung  der  Gemeinschaftszwecke  ausspricht 
Bei  der  Genossenschaft  ruht  daher  der  Schwerpunkt  der  Bedeutung 
des  Begriffs  auf  dem  gesellschaftlichen  Ursprung,  bei  der  Körper- 
schaft auf  der  einheitlichen  Natur  der  Vereinigung.  Dem  entspricht 
es,  dass  die  Gorporationen  des  ehemaligen  deutschen  Rechts  zum 
Theil  in  weitem  Umfang  selbst  zu  einer  actiyen  Rechtsbildimg  be- 
fähigt waren.  In  dem  Masse  als  unter  der  wachsenden  Uebermacht 
der  mächtigsten  aller  Gemeinschaften,  des  Staates,  diese  Selbstän- 
digkeit der  engeren  Gemeinschaften  hinfallig  wird,  verwischen  sich 
natürlich  diese  Unterschiede,  die  daher  überhaupt  ebensowohl  eine 
geschichtliche  wie  eine  systematische  Bedeutung  besitzen,  insofern 
sie  Gemeinschaftsformen  bezeichnen,  die  unter  wechselnden  zeitlichen 
Bedingungen  für  einander  eintreten.  Zuerst  lösen  sich  die  Gorpo- 
rationen in  der  Gesellschaft  auf,  damit  dann  später  unter  dem  Drang 
der  Lebensbedingungen  und  des  gegenseitigen  Schutzbedürfhisses  aus 
dieser  wieder  Genossenschaften  heryorgehen.  Und  in  andern  Fällen, 
wo  die  Corporation  dereinst  allgemeine  Zwecke  verfolgte,  tritt  sie 
ihre  Rechte  ganz  oder  doch  mit  so  geringen  Resten  ehemaliger 
Selbständigkeit  an  den  Staat  ab,  dass  der  Begriff  der  Körperschaft 
zu  einer  Spielart  des  Gesellschaftsbegrififs  in  seiner  losesten  Form 
wird,  indem  er  die  Vereinigung  derjenigen  bezeichnet,  denen  von 
irgend  einer  umfassenderen  Gemeinschaft,  Staat  oder  Gemeinde,  ein 
bestimmter  Pflichtenkreis  zugewiesen  ist,  dessen  Erfüllung  eine  ge- 
wisse Gemeinschaft  des  Lebens  Toraussetzt.  In  diesem  Sinne  be- 
zeichnet man  etwa  die  Lehrerschaft  einer  Hochschule,  den  hohen 
Adel  eines  Landes  und  andere  ähnliche  Berufs-  und  Standesverbände 
als  n  Gorporationen'.  Natürlich  ist  hierüberall  von  dem  juristischen 
Corporationsbegriff  nicht  mehr  die  Rede;  aber  eine  Art  geschicht- 
licher Nachwirkung  des  letzteren  ist  doch  in  vielen  Fällen  noch 
insofern  vorhanden,  als  derartige  gesellschaftliche  Verbindungen  nicht 
selten  aus  einstigen  wahren  Corporationen  hervorgegangen  sind  und 


Gesellschaft  undGremeinschafb.  593 

daher  auch  in  Anschauungen   und  Sitten  Reste  solcher  untergegan- 
gener Formen  bewahrt  haben. 

Die  Folie  der  Begriffe,  die  so  durch  die  Bildung  dieser  zwischen 
der  Gesellschaft  in  ihrer  ursprünglichsten  Bedeutung  und  den  wesent- 
lichsten Gemeinschaftsbegriffen  sich  einschiebenden  Uebergangsglie- 
der  entstanden  ist,  hat  nun  endlich,  als  den  Schlussstein  dieser 
Entwicklung,  einen  Allgemeinbegriff  erforderlich  gemacht,  der  alle 
jene  speciellen  Formen  menschlicher  Verbindung  wieder  umfasst.  Die 
Entstehung  dieses  Begriffs  ist  eine  noth wendige  Folge  davon,  dass 
eben  die  Verbindung  Einzelner  das  bei  allen  Formen  der  Gesell- 
schaft und  der  Gemeinschaft  überall  wiederkehrende  Merkmal  ist. 
Ein  solch  gemeinsames  Merkmal  rechtfertigt  an  und  für  sich  einen 
Classenbegriff,  dem  die  besonderen  Formen  je  nach  den  weiter  hin- 
zutretenden Merkmalen  systematisch  untergeordnet  werden  können. 
Zur  Bezeichnung  dieses  allgemeinsten  Begriffs  eignet  sich  aber 
in  Ermangelung  eines  besonderen  Namens,  unter  allen  yorhandenen 
Formen  nur  diejenige,  die  der  losesten  Verbindung  entspricht,  also 
wiederum  die  , Gesellschaft''.  Denn  jede  aus  irgend  welchen  Ghrün- 
den  engere  Gemeinschaftsform  hat  an  und  für  sich  auch  alle  die 
Eigenschaften,  die  einem  loseren  Verbände  zukommen.  Höchstens 
könnte  dieser  Uebertragung  das  Bedenken  entgegengestellt  werden, 
dass  der  ursprüngliche  Begriff  der  Gesellschaft  immerhin  einen  un- 
mittelbaren persönlichen  Verkehr  der  Individuen  voraussetze,  wie  er 
bei  gewissen  Gemeinschaftsformen,  z.  B.  beim  Staate,  durchaus  nicht 
mehr  stattfindet.  Aber  gerade  in  dieser  Beziehung  hat  der  wachsende 
Umfang  des  menschlichen  Verkehrs  jene  Bedingung  allmählich  in 
den  Hintergrund  treten  lassen,  so  dass  auch  f&r  die  Gesellschaft  in 
ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  der  directe  persönliche  Verkehr  zwi- 
schen aUen  Mitgliedern  der  nämlichen  Gesellschaft  nicht  mehr  vor- 
ausgesetzt wird.  Damit  ist  aber  ohne  weiteres  jene  letzte  wissen- 
schaftliche Erweiterung  des  Begriffs  nahegelegt,  nach  der  die  Ge- 
sellschaft als  der  allgemeine  Zusammenhang  betrachtet  wird,  der 
alle  besonderen  Verbände,  die  wir  theils  als  speciellere  Gesell- 
schaftsformen theils  als  Arten  der  Gemeinschaft  betrachten,  in  sich 
schUesst.  Hierbei  nimmt  nun  dieser  letzte  und  weiteste  Gesellschafts- 
begriff gleichzeitig  eine  formale  und  eine  reale  Bedeutung  an. 
Formal  ist  die  , Gesellschaft*'  der  Allgemeinbegriff,  dem  alle  jene 
specielleren  Begriffe  als  seine  Arten  unterzuordnen  sind.  Real  aber 
bezeichnet  sie  die  Gesammtheit  der  Individuen,  die  eine  durch  be- 
stinunte  zeitliche  und  räumliche   Begrenzungen  näher  definirte,  in 

Wnndt,  Logik,  n,  s.    s.  Anfl.  38 


594  Logik  der  GesellschaftswisseiiBchaften. 

einzelne  Gesellschaften  und  Oemeinschaften  gegliederte  Verbindung 
bilden.  Die  zeitlichen  und  räumlichen  Grenzen ,  innerhalb  deren 
jener  umfassendste  GesellschaftsbegrifiP  anzuwenden  ist,  können  hier- 
nach fast  beliebig  weit  oder  eng  gezogen  werden.  In  zeitlicher 
Beziehung  gilt  nur  die  Bedingung,  dass  zwar  jeder  geschichtlich 
gegebene  Zeitpunkt  gewählt  werden  kann,  um  irgend  eine  in 
diesem  Zeitpunkt  vorhandene  Verbindung  von  Menschen  als  eine 
Gesellschaft  zu  betrachten,  dass  aber  doch  ein  relativ  beharrender 
Zustand  dazu  unerlässlich  ist.  Die  Vereinigungen  der  Menschen  in 
verschiedenen  Perioden  der  Geschichte  bilden  nicht  eine  Gesell- 
schaft, sondern  verschiedene  Gesellschaften,  mögen  diese  auch  durch 
eine  stetige  Entwicklung  mit  einander  verbunden  sein.  In  räum- 
licher Beziehung  findet  der  Begriff  nach  oben  hin  erst  in  dem  Be- 
griff der  gesanmiten  gleichzeitig  lebenden  Menschheit,  insofern  die 
Glieder  derselben  überhaupt  nur  in  irgend  welchen  Verkehrs-  und 
Gulturbeziehungen  zu  einander  stehen,  seine  Grenzen.  Dieser  räum- 
lich umfassendste  Gesellschaftsbegriff  ist  aber  das  Product  einer  ge- 
schichtlichen Entwicklung,  im  Laufe  deren  er  sich  fortwährend  er- 
weitert hat,  so  dass  erst  seit  wenig  mehr  als  einem  Jahrhundert 
die  Begriffe  der  ,, Menschheit"  und  der  „menschlichen  G^eUschaft* 
nahezu  identisch  geworden  sind.  Diese  letzte  Erweiterung  greift  nun 
freilich  den  Thatsachen  vor,  indem  sie  die  Theile  der  Menschheit, 
die  gegenwärtig  noch  dem  allgemeinen  Gulturverkehr  entzogen  sind, 
diesem  einstweilen  schon  zurechnet.  Darin  verräth  sich  deutlich  der 
Zusammenhang  dieses  letzten  Gesellschaftsbegriffs  mit  ethischen  For- 
derungen, wie  denn  ja  auch  dieser  Begriff,  durch  das  christliche 
Humanitätsideal  auf  religiösem  Boden  vorbereitet,  in  dem  verwelt- 
lichten Humanitätsbegriff  des  Aufklärungszeitalters  seine  nächste 
Quelle  hat.  Als  untere  räumliche  Grenze  dieses  allgemeinen  Gesell- 
schaftsbegriffs ergibt  sich  aber  die  Bedingung,  dass  derselbe  stets 
einer  Vielheit  zusammenlebender  Menschen  entsprechen  muss,  die 
noch  in  einzelne  Gesellschaftsgruppen  oder  Gemeinschaften  zerfallt. 
Die  sämmtlichen  räumlich  zusammenlebenden,  aus  mehreren  Einzel- 
familien bestehenden  Inwohner  eines  Dorfes  oder  Gehöftes  bilden 
also  die  engsten  Grenzen  für  diesen  allgemeinen  Gesellschaftsbegriff. 
Die  Bewohner  eines  einzelnen  Hauses  innerhalb  eines  grösseren  Be- 
völkerungscomplexes  entsprechen  ihm  dagegen  deshalb  ziicht  mehr, 
weil  ihre  örtliche  Verbindung  keine  die  Gesammtheit  der  Lebens- 
verhältnisse bestimmende  Begrenzung  gegenüber  ihrer  nächsten  Um- 
gebung bedingt.    Für  die  Einzelfamilie  endlich  wird,  auch  wenn  sie 


Gesellschaft  und  Gemeinschaft.  595 

etwa  als  einzige  Bewohnerschaft  eines  Ortes  dem  Merkmal  der  räum- 
lichen Sonderang  zureichend  entsprechen  sollte,  der  BegrifiP  deshalb 
hinfallig,  weil  er  hier  unmittelbar  in  einen  der  speciellen  Gesell- 
schaftsbegriffe, nämlich  in  den  der  Familiengemeinschaft,  übergeht. 
Neben  diesen  allgemeinen  Bedingungen  pflegen  die  einzelnen 
Socialwissenschaffcen  noch  besondere  Anforderungen  zu  stellen,  die 
erfbllt  sein  müssen,  wenn  sie  einer  räumlich  und  zeitlich  begrenzten 
Gresammtheit  den  allgemeinen  Charakter  der  Gesellschaft  zuerkennen 
sollen.  So  verlangt  die  Rechtswissenschaft  irgend  welche,  wenn  auch 
nnr  durch  die  Gewohnheit  begründete,  gemeinsame  Rechtsnormen ; 
die  Wirthschaftelehre  verlangt  mindestens  die  Anfänge  eines  auf 
Arbeitstheilung  und  Tausch  begründeten  wirthschaftlichen  Verkehrs. 
Aber  wenn  man  auch  zweifellos  von  einer  Rechts-  oder  einer 
Wirthschaftsge Seilschaft  erst  dann  reden  kann,  wenn  diese 
Bedingungen  erfüllt  sind,  so  würde  es  doch  ebenso  wenig  berechtigt 
sein,  für  den  allgemeinen  Begriff  der  Gesellschaft  diese  Merkmale 
zu  fordern,  als  wenn  man  noch  andere,  die  den  höher  entwickelten 
Stufen  der  Gesellschaft  eigenthümlich  sind,  wie  z.  B.  gemeinsame 
Literatur  und  Kunst,  als  Merkmale  der  Gesellschaft  überhaupt  be- 
trachten wollte.  An  sich  wird  vielmehr  jener  allgemeinste  Begriff 
der  Gesellschaft  überall  dort  als  verwirklicht  anzusehen  sein ,  wo 
irgend  welche  allgemein  menschliche  Eigenschaften  eine  Verbindung 
zwischen  einer  Vielheit  Zusammenlebender  herstellen;  und  principiell 
wird  daher  eine  Verbindung,  die  bloss  durch  Sprache,  Sitte  und 
gemeinsame  Vorstellungen  vermittelt  ist,  ebenso  gut  als  eine  Gesell- 
schaft zu  gelten  haben  wie  eine  solche,  die  auf  gemeinsamer  Rechts- 
bildung oder  auf  wirthschaftlichem  Verkehr  beruht.  Praktisch  aber 
ist  die  Subsumtion  von  Verbindungen  ersterer  Art  um  so  noth- 
wendiger,  als  sie  jedenfalls  die  ursprünglichen  Formen  der  Gesell- 
schaft sind,  aus  denen  sich  Rechts-,  Wirthschafts-  und  andere  Cultur- 
geseUschaften  allmählich  entwickelt  haben. 

Jede  Art  der  Gesellschaft,  von  der  losesten,  zu  einem  be- 
stimmten einzelnen  Zweck  entstandenen  Association  an  bis  zu  dem 
&Ue  wichtigeren  Lebensgebiete  umfassenden  Stammes-  und  Staats- 
verband, vereinigt  in  sich  die  logischen  Momente  der  Einheit  und 
des  Zusammenhangs.  Von  ihnen  ist  die  Einheit,  ebenso  wie  die 
sämmtUchen  durch  die  Wiederholung  der  Einheit  gebildeten  Zahl- 
begriffe, ein  formaler,  der  Zusammenhang  aber  ein  realer  Be- 
griff. Denn  jener  bezieht  sich  nur  auf  die  logische  Verbindung  eines 


596  Logik  der  GesellBchaftswissenschafbetL 

Ganzen  ohne  Kücksicht  auf  die  Existenz  irgend  welcher  Inhalts- 
merkmale,  durch  die  eine  solche  Verbindung  zu  Stande  kommt 
Dieser  dagegen  entspringt  unmittelbar  aus  den  Beziehungen,  die  die 
Bestandtheile  eines  Ganzen  yermöge  ihrer  inneren  Eigenschaften  dar- 
bieten. Darum  erstreckt  sich  der  EinheitsbegrifiP  ebensowohl  auf 
das  inhaltlich  Einfache,  auf  das  der  Begriff  des  Zusammenhangs  gar 
nicht  anwendbar  ist,  wie  auf  das  beliebig  Zusammengesetzte.  Nur 
im  ersteren  Fall,  in  der  Anwendung  des  Einheitsbegriffs  auf  das 
Einfache,  kann  man  die  formale  zugleich  eine  reale  Einheit  nennen, 
weil  sie  allein  hier  nicht  bloss  die  einheitliche  logische  Auffassung, 
sondern  auch  f&r  das  aufzufassende  Object  selbst  die  Abwesenheit 
jener  realen  Beziehungen  der  Theile  anzeigt,  die  an  sich  nur  bei 
einer  zusammengesetzten  Einheit  möglich  sind.  In  diesem  Sinne  ist 
schon  die  individuelle  Seele  keine  reale,  sondern  nur  eine  formale 
Einheit.  Sie  ist  aber  zugleich  ein  realer  Zusammenhang  und  würde 
natürlich  ohne  ein  solcher  zu  sein  gar  keine  formale  Einheit  sein 
können.     (Vgl.  oben  Cap.  11,  S.  247.) 

In  der  Anwendung  auf  die  Gesellschaftsbegriffe  hat  nun  der 
Individualismus  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  einseitig  die  formale 
Natur  dieser  Einheitsbegriffe  betont,  womit  dann  die  meist  ebenso 
energische  Hervorhebung  der  realen  Natur  des  Individuums  zu- 
sammenhing, indem  man  dieses  insbesondere  nach  seiner  hier  allein 
in  Betracht  kommenden  psychischen  Seite  nicht  als  einen  realen  Zu- 
aammenhang,  sondern  als  eine  reale  Einheit  oder  als  eine  einfache 
Substanz  ansah.  Diese  Anschauung  war  getragen  einerseits  von 
einer  wesentlich  verschiedenen  praktischen  Werthschätzung  der 
individuellen  und  der  gesellschaftlichen  Einheiten  und  anderseits  von 
entsprechenden  Vorstellungen  über  die  Entstehung  beider.  In 
ersterer  Beziehung  galt  die  individuelle  Persönlichkeit  als  der  ein- 
zige reale  Zweck  des  menschlichen  Daseins,  die  Gesellschaft  in  ihren 
mannigfaltigen  Gestaltungen  aber  nur  als  ein  Mittel  zur  Erreichung 
individueller  Zwecke.  In  letzterer  Beziehung  wurde  die  Bildung 
jeder  Art  socialer  Vereinigungen  als  ein  willkürlich  und  absichtlich 
von  den  Einzelnen  im  Hinblick  auf  die  zweckmässigste  Erreichung 
jener  Zwecke  ins  Werk  gesetzter  Vorgang  betrachtet.  Hingen  auf 
diese  Weise  individualistische  und  rationalistische  Denkweise  auf  das 
engste  zusammen ,  so  verband  sich  aber  mit  beiden  ebenso  noth- 
wendig  eine  unhistorische  Betrachtung  des  menschlichen  Gesell- 
schaftslebens, indem  naturgem'äss  eine  erhebliche  Veränderung  jener 
individuellen  Daseinszwecke  nicht  zugegeben  werden  konnte  und  da- 


Organisation  der  Geaellsohaft.  597 

her  auch  die  zur  Erreichung  derselben  zweckmässigste  Form  gesell- 
schaftlicher Verbindung  als  eine  allgemeingültige  angesehen  wurde. 
Eine  weitere  Folge  war  es,  dass  man  sich  über  die  unendlich  mannig- 
faltigen Gestaltungen  des  gesellschaftlichen  Lebens  und  der  socialen 
Verbände  nur  ganz  unzureichend  Rechenschaft  gab.  Vom  Stand- 
punkte einer  Auffassung  aus,  für  die  überhaupt  nur  die  Individuen 
RealitiLt  hatten,  musste  nothwendig  der  nämliche  Begriff  der  „  Gesell- 
schaft'' auf  alle  möglichen  Formen  angeblich  willkürlicher  Ver- 
einigung der  Einzelnen  gleichmässig  anwendbar  sein. 

Diese  Anschauung ,  die  in  den  Doctrinen  von  der  einfachen 
individuellen  Seelensubstanz,  vom  Gesellschaftsvertrag,  von  dem  allem 
positiven  Recht  vorausgehenden  und  daher  überall  wiederherzustellen- 
den Naturrecht,  endlich  auch  in  der  Forderuog  des  absolut  freien 
Arbeitsvertrags  und  der  unbeschränkten  Selbstregulirung  der  indivi- 
duellen Interessen  durch  unbeschränkte  Goncurrenz  oder  gelegentlich 
sogar  in  der  Forderung  einer  an  die  Stelle  der  Staatsorganisation 
tretenden  bloss  conventionellen  Organisation  von  Fall  zu  Fall  und 
in  andern  ähnlichen  Lehren  ihren  Ausdruck  fand,  ist  zuerst  in  ihren 
geschichtlichen,  dann  in  ihren  socialwissenschaftlichen  und  endlich 
auch  in  ihren  psychologischen  Voraussetzungen  als  irrthümlich  er- 
kannt worden.  Geschichtlich  ist  die  Lehre  vom  Gesellschafts- 
vertrag eine  der  unhaltbarsten  Fictionen,  die  es  jemals  gegeben  hat. 
Denn  Geschichte  und  Völkerkunde  vereinigen  sich,  um  darzuthun, 
dass  der  primitive  Stammesverband  eine  feste  sociale  Einheitsform 
ist,  in  die  der  Einzelne  hineingeboren  wird,  und  die  seiner  indivi- 
duellen Freiheit  nur  einen  geringen  Spielraum  lässt.  Die  Geschichte 
lehrt  weiterhin,  dass  erst  mit  der  Bildung  umfassenderer  Verbin- 
dungen zugleich  losere  und  mannigfaltigere  Gesellschaftsformen  auf- 
treten, in  deren  Bildung  wie  Untergang  aber  fortan  die  natürlichen 
socialen  Triebe  eine  wesentliche  und  insbesondere  bei  den  bestän- 
digsten der  socialen  Verbände,  der  Familie  und  der  Volksgemein- 
schaft, eine  entscheidende  Rolle  spielen.  Die  Socialwissenschaft 
lässt  femer  erkennen,  dass  der  allgemeine  Begriff  der  Gesellschaft 
die  verschiedensten  Formen  menschlicher  Vereinigung  umfasst,  so 
dass  auch  jene  Gegensatzbegriffe  der  Gesellschaft  im  engeren  Sinne 
und  der  Gemeinschaft,  durch  die  oben  die  wesentlichsten  der  hier 
vorkommenden  Unterschiede  angedeutet  wurden,  nur  die  Grenzpunkte 
abgeben,  zwischen  denen  die  mannigfachsten  Uebergänge  vorkommen 
—  Uebergänge  unter  denen  die  der  „  Vertragsgesellschaft " ,  wiBlche 
die  individualistische  Gesellschaftstheorie  zum  allgemeinen  Typus  ge- 


I 
I 


598  Logik  der  GresellschaftswissenBcliaften. 

wählt  hat,  eine  verhältnissmässig  spät  entwickelte  Form  ist.  Vermag 
nun  auch  diese  Form  auf  die  Entstehung  der  einer  ursprünglicheren 
Bildungsweise  folgenden  Verbindungen  zurückzuwirken,  so  kann  sie 
doch  niemals  denselben  ihr  ursprüngliches  Wesen  ganz  rauben.  Viel- 
mehr wirkt  die  in  den  Grundeigenschaften  unverändert  bleibende 
sociale  Natur  des  Menschen  darin  stets  auch  unter  yerwickelteren 
und  der  Reflexion  einen  weiteren  Spielraum  gönnenden  socialen  Ver- 
hältnissen nach,  dass  Gesellschaftsformen,  die  zunächst  als  Vertrags- 
verbände  entstanden  sind,  in  natürliche,  durch  Gemeinschaftsgefühle 
und  -triebe  zusammengehaltene  Verbände  übergehen,  und  dass  solche 
Triebe,  yermöge  ihres  natürlichen  Einflusses  auf  das  reflexionsmässige 
und  willkürliche  Handeln,  sogar  bei  der  anfänglichen  Entstehung 
sonst  planmässiger  Verbindungen  eine  mitwirkende  Rolle  spielen 
können.  Das  augenfälligste  Beispiel  dieser  Art  ist  die  Ehe,  die 
durch  Sitte  und  Recht  die  Form  einer  Vertragsyerbindung  ange- 
nommen hat,  bei  der  aber  doch  diese  Form  einen  Inhalt  birgt,  der 
auch  in  seiner  socialen  Bedeutung  durch  den  eingegangenen  Vertrag 
nicht  entfernt  erschöpft  wird.  Das  nämliche  gilt  aber  in  gewissem 
Grade  für  Vertragsverbindungen  jeder  Art,  und  das  um  so  mehr,  je 
mehr  geistige  Interessen  und  Mannigfaltigkeit  der  Zwecke  ins  Spiel 
kommen. 

Das  letzte  und  entscheidende  Zeugniss  legt  endlich  die  Psycho- 
logie ab.  Nachdem  sich  in  ihr  die  Erkenntniss  Bahn  gebrochen 
hat,  dass  das  Wesen  der  Seele  in  der  unmittelbaren  Wirklichkeit 
der  seelischen  Erlebnisse  selbst  bestehe,  gilt  yor  allem  für  die  Be- 
urtheilung  des  Verhältnisses  des  Einzelnen  zur  Gemeinschaft  der 
Grundsatz:  „so  yiel  Actualität  so  yiel  Realität!''  Wie  schon 
das  geistige  Wesen  des  Einzelnen  formal  eine  Einheit,  real  aber  ein 
Zusammenhang  geistiger  Erlebnisse  ist,  so  auch  das  der  Gemein- 
schaft. Nur  ist  sie  ein  Zusammenhang  höherer  Ordnung,  indem  sich 
in  ihr  nicht  indiyiduelle  Erlebnisse,  sondern  Indiyiduen  mit  bestimmten 
ihnen  gemeinsamen  und  zugleich  in  Wechselwirkung  stehenden  psychi- 
schen Inhalten  zu  complexeren  Einheiten  verbinden.  Sprache,  Re- 
ligion und  Sitte  sind  die  drei  Lebensgebiete ,  in  denen  sich  diese 
Gemeinschaft  des  psychischen  Lebens  zugleich  mit  der  schöpferischen 
Synthese  höherer  Stufe,  die  aus  ihr  entspringt,  am  unmittelbarsten 
bethätigt.  Aber  nach  den  gleichen  psychologischen  Gesetzen  yoU- 
ziehen  sich  auch  in  den  Gebieten  des  sonstigen  socialen  Lebens  die 
Beziehungen  und  die  Verbindungen  der  Einzelnen.  Je  mehr  dabei 
beschränkte  und  zugleich  klar  bewusste  Zwecke  in  den  Vordergrund 


Gesellschaft  und  Gremeinschaft.  599 

treten,  um  so  stärker  greift  willkürliche  Absicht  in  die  socialen  Bil- 
dungen ein  und  ist  an  der  Entstehung  wie  am  Untergang  derselben 
betheiligt.  Aber  in  den  wesentlichsten  Zügen  ist  hierbei  der  Vor- 
gang doch  kein  anderer  als  bei  der  Sprache  und  Sitte,  wo  ebenfalls 
mit  steigender  Cultur  individuelle  geistige  Kräfte,  z.  B.  bei  der 
Sprache  einzelne  hervorragende  Schriftsteller ,  einen  zunehmenden 
Einfluss  gewinnen,  wo  nun  aber  diese  individuellen  Wirkungen  durch 
die  Assimilation  die  sie  erfahren  zu  einem  collectiven  Besitz  werden, 
der  in  seinen  weiteren  Gefühls-  und  Yorstellungswirkungen  zugleich 
neue  Entwicklungen  anregt.  Diese  Wechselwirkungen  zwischen  dem 
Einzelnen  und  der  Gemeinschaft  entsprechen  durchaus  dem  fort« 
währenden  Uebergang  planmässiger  WUlkürhandlungen  in  einfache 
triebartige  Willensacte,  wie  sie  schon  das  individuelle  Seelenleben 
darbietet«  In  der  Gesellschaft  und  Gemeinschaft  gestalten  sich  solche 
üebergänge  nur  dadurch  eigenthümlich ,  dass  sich  nicht  bloss  in 
jedem  Glied  eines  Ganzen  ursprünglich  planmässig  gewollte  all- 
mählich in  triebmässig  gewollte  Zwecke  umwandeln,  sondern  dass 
auch  einzelne  führende  Personen  zumeist  den  Trieben  der  Massen 
ihre  Impulse  geben,  worauf  dann  in  beiden  Fällen  erst  durch  diese 
intensiv  oder  extensiv  geschehende  Umwandlung  des  reflexions-  in 
ein  instinktmässiges  Wollen  die  Sicherheit  und  die  Stärke  der  Wir- 
kungen des  gemeinsamen  Handelns  verbürgt  wird.  In  allen  diesen, 
in  bekannten  geschichtlichen  und  socialen  Erscheinungen  zu  Tage 
tretenden  abwechselnden  Evolutionen  socialer  Triebe  zu  willkürlichen 
Qesellschaftsacten ,  und  in  den  an  sie  sich  anschliessenden  Involu- 
tionen willkürlicher  Handlungen  Einzelner  zu  socialen  Trieben,  die 
wiederum  den  Individuen  sich  mittheilen  und  in  ihnen  neue  auf  die 
Gemeinschaft  einwirkende  Impulse  anregen  können ,  spiegeln  sich 
allgemeine  Gesetze  der  Willensentwicklung  —  Gesetze  deren  Ver- 
standniss  daher  für  die  Auffassung  der  socialen  Erscheinungen  von 
grundlegender  Bedeutung  ist*). 


*)  In  seinem  gedankenreichen  Buche  «Gemeinschaft  und  Gesellschaft* 
(1887)  hat  Ferd.  Tönnies  eine  Theorie  der  Gresellschaftsentwicklnng  auf* 
gestellt,  in  der  er  anerkennt,  dass  alle  socialen  Bildungen  mit  einer  ursprüng- 
lichen Gemeinschaft  heginnen,  die  nicht  willkürlich  geschaffen  sei,  sondern 
durch  die  natürlichen  Triebe  ihrer  Mitglieder  zusammengehalten  werde.  Indem 
aber  mit  wachsender  Cultur  diese  ursprüngliche  Gebundenheit  sich  löse,  sollen 
in  jener  (Gemeinschaft  mehr  und  mehr  willkürliche  Vereinigungen  der  Einzelnen 
entstehen,  bis  endlich  die  Gemeinschaft  selbst  durch  eine  solche  auf  willkür- 
licher üebereinknnft  beruhende  und  darum  fQr  verschiedene  Zwecke  wieder  in 


QQQ  Logik  der  GesellBchaftswissenschaften. 

Ihre  Bestätigung  findet  diese  Auffassung  yon  der  realen,  aber 
naturgemäss  je  nach  Werth  und  Umfang  der  Zweoke  sehr  verschie- 
denen realen  Bedeutung  der  GeseUschafts-  und  Gemeinschaftsformell 
praktisch  durch  die  Maximen,  die  auf  den  einzelnen  Gebieten  des 
socialen  Lebens  als  massgebend  anerkannt  werden.  Der  leitende. 
Grundsatz,  der  sich  hier  mit  zwingender  Nothwendigkeit  Gbltung 
erringt,  ist  überall  der,  dass  die  Gesammtheit  nicht  lediglich  um 
der  Zwecke  des  Einzelnen  willen  besteht,  sondern  dass  namentUch 
diejenigen  Gemeinschaften,  die  dem  Einzelnen  gegenüber  eine  die 
yerschiedensten  Lebensgebiete  umfassende  Autonomie  in  Anspruch 
nehmen,  ausserdem  allgemeine,  den  Einzelnen  mit  der  geschicht- 
lichen Gemeinschaft  der  Menschheit  in  Verbindung  setzende  Zwecke 


Terschiedener  Weise  und  Qruppirung  eintretende  G^ellschafb  ersetzt  werde. 
So  soll  der  Weg  von  der  Gemeinschaft  zur  Gesellschaft  oder  vielmehr  zu  einem 
System  mannigfach  interferirender  und  wechselnder  Gesellschaften  der  thatsäch- 
liehe  Weg  der  socialen  Entwicklung  sein,  und  der  Socialvertrag  des  Natorrechts 
soll  zwar  nicht  den  Anfang  dieser  Entwicklung  bilden,  wie  fölschlich  Toraus* 
gesetzt  wurde,  wohl  aber  das  letzte  Ziel,  auf  das  dieselbe  hinaasfiihre.  Tönnies 
bringt  zugleich  dieses  Entwicklungsschema  mit  einer  Willensunterscheidang  in 
Verbindung,  die  der  der  heutigen  Psychologie  geläufigeren  in  einfsichea  oder 
triebartiges  und  zusammengesetztes  Wollen  oder  Wahl  entsprechen  dürfte.  Die 
ursprüngliche  Gemeinschaft  soll  durch  einen  , Wesenwillen'  zusammengehalten 
werden;  dieser  soll  aber  mit  der  Ausbildung  der  Gesellschaft  mehr  und  mehr 
der  «Willkür*  weichen  und  zuletzt  in  den  nach  individuellen  Bedürfnissen  ge 
schlossenen  Sodalverträgen  ganz  durch  diese  ersetzt  werden.  Diese  Theorie 
begeht  meines  Erachtens  den  Fehler,  dass  sie  von  den  drei  oben  angeführten 
Zeugpiissen  nur  das  erste,  das  historische,  berücksichtigt,  bei  dem  socialen  aber 
eine  einseitige  Abstraction  an  die  Stelle  der  Wirklichkeit  treten  lässt,  und  end- 
lich die  psychologischen  Entwicklungsformen  von  Trieb  und  Willkür  zu  dialekti- 
schen Gegensätzen  macht.  Es  ist  zweifellos  richtig,  dass  die  uniforme,  nicht 
darch  Willkür  sondern  durch  sociale  Triebe  zusammengehaltene  Gemeinschaft 
der  geschichtliche  Anfang  aller  socialen  Bildungen  ist.  Es  ist  ebenfalls  richtig, 
dass  dieser  Anfangszustand  durch  die  Bildung  mannigfacher  Gemeinschafts-  und 
GeseUschaftsformen,  bei  deren  Entstehung  nicht  mehr  bloss  Triebe  sondern  in 
wachsendem  Mass  Willkür  und  klar  bewusste  sociale  Zwecke  eingewirkt  haben, 
abgelöst  worden  ist.  Aber  es  ist  nicht  richtig,  dass  diese  Differenzirung  die 
ursprünglichen  socialen  Triebe  und  die  ursprünglichen  Formen  des  Gesammt- 
wiUens  zerstört  hat,  oder  dass  sich  irgend  eine  historische  oder  psychologische 
Wahrscheinlichkeit  dafür  beibringen  lässt,  dies  werde  dereinst  eintreten.  Gerade 
jene  wichtigen  psychologischen  Vorgänge  der  Involution  der  Wahlhandlangen 
in  Triebe,  die  schon  im  individuellen  Seelenleben  eine  überaus  wichtige  Rolle 
spielen  und  dann,  wie  vor  allem  die  Entwicklung  von  Sprache  und  Sitte  lehrt. 
im  Gemeinschaftsleben  eine  wo  möglich  noch  erhöhte  Bedeutung  gewinnen,  hat 
Tönnies  bei  seiner  Construction  übersehen. 


Gesellschaft  und  Qemeinschaft.  601 

verfolgen.  So  ist  ebensowohl  der  Einzelne  ein  Werkzeug  zur  Voll- 
bringung der  Gemeinschaftszwecke,  wie  die  Gemeinschaft  fQr  den 
Einzelnen  ein  Httlfsmittel  zur  Erreichung  seiner  individuellen  Lebens- 
zwecke ist.  Eine  solche  Wechselbeziehung  ist  nur  möglich,  wenn 
die  Gemeinschaft  nicht  bloss  eine  formale  Einheit,  sondern,  wie  die 
einzelne  Persönlichkeit  selbst,  zugleich  ein  reales  Ganzes  von 
selbstöndigem  Werthe  ist.  Zugleich  hängt  aber  allerdings  der  Grad 
und  der  Werth  dieser  Realität  von  der  Beschaffenheit  und  dem 
ümfiEmg  der  Gemeinschaftszwecke  ab,  nach  denen  auch  das  Wechsel- 
verhältniss  individueller  und  gemeinsamer  Zwecke  selbst  sich  be- 
stimmt. Je  beschränkter  diese,  um  so  mehr  tritt  die  Gesellschaft 
ganz  in  den  Dienst  der  Einzelnen  die  sie  zusammensetzen,  je  um- 
fassender und  dauernder,  um  so  mehr  wird  die  individuelle  Persön- 
lichkeit zum  Organ  der  selbständigen  Zwecke  des  Gbnzen.  In  dieser 
Hinsicht  bilden  daher  die  socialen  Verbände  von  den  zu  einzelnen 
äasserlichen  und  eventuell  vorübergehenden  Zwecken  gebildeten 
Associationen  an  bis  zu  den  über  die  wichtigsten  Lebensgebiete  sich 
erstreckenden  Volks-  und  Staatsgemeinschaften  eine  continuirliche 
Beihe  von  Entwicklungen,  deren  Bedeutung  auf  jeder  ihrer  Stufen 
keineswegs  ein-  für  allemal  fest  bestimmt  ist,  sondern  von  den  Be- 
dingungen der  geschichtlichen  Entwicklung  und  von  der  von  dieser 
getragenen  praktischen  Lebensanschauung  abhängt.  Nach  diesen 
geschichtlichen  Bedingungen  scheinen  Perioden  eines  vorwiegenden 
Collectivismus  und  solche  eines  jenen  verdrängenden  Individualismus 
in  der  theoretischen  Lebensanschauung  wie  in  ihrer  praktischen  Be- 
thätignng  zu  wechseln,  ohne  dass  aber  wohl  jemals  anders  als  in 
der  abstract  logischen  Theorie  die  eine  dieser  Gesinnungen  ohne 
jeden  Zusatz  der  andern  möglich  wäre.  So  ist  denn  auch  unsere 
heutige  Rechts-  und  Staatsordnung  jedenfalls  thatsächlich  durchaus 
auf  den  Gedanken  der  selbständigen  Realität  der  Gemeinschaft  ge- 
gründet, und  dieser  verschafft  namentlich  da  sich  Geltung,  wo  in- 
dividuelle und  collective  Zwecke  einander  widerstreiten.  Das  klarere 
Bewusstsein  dieses  Verhältnisses,  das  insbesondere  auf  volkswirth- 
schaftlichem  Gebiet  den  Individualismus  immer  mehr  als  eine  in 
ihrer  einseitigen  Durchführung  unter  heutigen  Culturverhältnissen 
unmögliche  und  fortan  unmöglicher  werdende  Lebensanschauung 
erkennen  lässt,  gestattet  wohl  die  Vermuthung,  dass  auch  in  der 
Zukunft  eine  noch  weitere  Ausbreitung  dieser  Anschauung  und 
namentlich  eine  tiefergreifende  Rückwirkung  derselben  auf  die  Wirk- 
lichkeit des  socialen  Lebens  bevorsteht.    Das  wachsende  Persönlich- 


*602  Logik  der  Gesellschaflswisaeiuchafteo. 

keitsbewusstsein  der  Individuen  aller  Lebenskreise  steht  damit  keines- 
wegs im  Widersprach.  Vielmehr  geht  gerade  der  extensiT  aufs 
äusserste  gesteigerte  Individualismus  mit  innerer  Nothwendigkeit  in 
einen  intensiven  Gollectivismus  über,  weil  dieser  allein  dem  Bedürf- 
niss  nach  freiester  Bethätigung  der  Ejräfbe  der  Einzelnen  genügen 
kann.  Diese  Wechselwirkung  kann  momentan  verkannt  werden 
—  so  erklären  sich  die  absolut  staatsfeindlichen  Bestrebungen,  die 
gerade  unserer  Zeit  strafferer  Zusammenfassung  aller  socialen  Kräfte 
gelegentlich  eigen  sind  —  auf  die  Dauer  muss  sie  aber  nothwendig 
durch  alle  Widerstände  hindurch  siegreich  sich  Bahn  brechen*). 


b.   Die  Organisation  der  Gesellschaft. 

Alle  socialen  Verbindungen,  der  Staat  sowohl  wie  die  ihm 
vorausgehenden,  in  ihm  enthaltenen  und  über  ihn  hinausreichenden 
Gesellschaftsformen,  fallen  insofern  unter  den  allgemeinen  Begriff 
der  Organisation,  als  bei  ihnen  stets  die  Individuen  zu  Gesammt- 
heiten  verbunden  sind,  in  denen  für  sie  nicht  bloss  gewisse  gemein- 
same Regeln  gelten,  sondern  deren  jede  auch  ein  gegliedertes 
Ganze  darstellt,  indem  der  Einfluss  der  Einzelnen  auf  die  Fest- 
stellung der  gemeinsamen  Normen  sowie  die  Betheiligung  an  den 
gemeinsamen  Zwecken  nach  Art  und  Umfang  verschiedene  sind. 
Dieser  Unterschied  charakterisirt  überall  die  organisirte  Gesell- 
schaft gegenüber  der  blossen  Menge,  in  der  Jeder  dem  Andern 
gleichwerthig  ist  oder  wenigstens  als  gleichwerthig  angesehen  wird. 
Im  übrigen  kann  aber  natürlich  die  Organisation   wieder  eine  sehr 


*)  Vgl.  zu  obigem  die  psychologische  Erörterung  des  Begriffs  der  geistigen 
Gemeinschaft  in  Cap.  I,  S.  291  ff.  und  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  447  ff.  In  der  heutigen 
Rechts-  und  Staatswissenschafb  hat,  nachdem  B eseler  und  einige  andere  Ver- 
treter der  deutschen  Rechtswissenschaft  in  einzelnen  Punkten  vorangegangen,  be- 
sonders 0.  Gierke  in  seinen  historischen  und  systematischen  Werken  über  das 
Genossenschaftswesen  die  Bedeutung  der  Gemeinschaften  als  realer  der  Einzel- 
person analoger  Gesammtwesen  zur  Geltung  gebracht.  Vgl.  Gierke,  Die  Ge- 
nossenschaftstheorie und  die  deutsche  Rechtsprechung,  1887,  besonders  S.  121  ff., 
603  ff.,  Deutsches  Privatrecht,  I,  S.  456  ff.  Verwandte  Gedanken  vertritt,  mehr 
nach  der  politischen  und  wirthschaftlichen  Seite  gewandt,  0.  Klöppel  in  seinem 
viele  treffende  Ausführungen  enthaltenden  Buche  »Staat  und  Gesellschaft ',  1887. 
Auch  die  früher  (S.  485  ff.)  berührte  organische  Auffassung  von  Staat  und 
Volkswirthschafb  steht  in  naher  Beziehung  zu  diesen  Anschauungen,  üeber  die 
mit  den  obigen  Fragen  nahe  zusammenhängenden  Begriffe  der  Gesammtperson 
und  der  Rechtsperson  vgl.  unten  S.  611  ff. 


Organisation  der  GeBellschaft.  603 

verschiedenartige  sein,  und  sie  kann  die  verschiedensten  Grade  der 
Ausbildung  besitzen,  von  der  nomadisirenden  Horde  an,  die  sich 
von  der  „Menge*  nur  dadurch  unterscheidet,  dass  sie  der  Führung 
eines  Häuptlings  oder  zeitweise  auch  bloss  dem  überwiegenden 
Einfiuss  einiger  hervorragenden  Mitglieder  unterworfen  ist,  bis  hin- 
auf zu  dem  ausgebildeten  Verfassungsstaat,  der  in  einer  sehr  ver- 
wickelten Weise  in  verschiedene  theils  neben  einander  geordnete 
theils  über  einander  greifende  sociale  Gruppen  gegliedert  ist,  die 
sammtlich  selbst  wieder  in  sich  organisirt  und  sowohl  mit  einander 
wie  mit  der  sie  umfassenden  politischen  Gesammtheit  organisch  ver- 
bunden sind. 

Alle  diese  Bildungen,  die  als  letzte  Einheiten  selbständige 
menschliche  Individuen  enthalten,  können  wir  mit  Rücksicht  auf  diese 
ihre  Zusammensetzung  aus  lebenden  Persönlichkeiten  als  Personal- 
organisationen bezeichnen.  Da  sie  aus  Einheiten  bestehen,  die 
nicht  nur  selbst  lebendig  sind  sondern  sich  auch  zu  einem  Ganzen  ver- 
binden, das  seinerseits  wieder  Lebenseigenschafben  besitzt  und  zwischen 
dessen  Gliedern  eine  dem  individuellen  Organismus  entsprechende 
Functionstheilung  stattfindet,  so  hat  eine  solche  Personalorgamsation 
im  allgemeinen  den  Charakter  eines  zusammengesetzten  Organis- 
mus, der  sich  von  dem  individuellen  eben  nur  dadurch  unterscheidet, 
dass  seine  Einheiten  imd  Glieder  nicht  bloss  lebende  Einheiten  und 
lebende  Organe,  sondern  selbst  schon  Organismen  sind  —  eine 
Eigenschaft  die  allerdings  sehr  wichtige  Unterschiede  gegenüber 
dem  individuellen  Organismus  begründet,  aber  doch  nicht  daran 
hindern  kann  den  Begriff  des  Organismus  überhaupt  anzuwenden'*'). 
Insbesondere  entsprechen  diese  zusammengesetzten  Bildungen  auch 
darin  dem  individuellen  Organismus,  dass  sie  ursprünglich  stets  und 
in  vielen  Fällen  auch  noch  in  ihren  späteren  Ent¥ncklungsformen 
Producte  einer  Selbstorganisation  sind,  vermöge  deren  sich  ent- 
weder eine  Gesammtheit  zusammenlebender  Individuen  oder  aus  einer 
grösseren  Gemeinschaft  irgend  eine  beschränktere  durch  bestimmte 
Lebenszwecke  zusammengeführte  Anzahl  solcher  zu  einer  neuen 
Einheit  verbindet,  die  in  irgend  einer  Weise  jene  Merkmale  organi- 
scher Gliederung  erkennen  lässt.  Aber  auch  da  wo  eine  derartige 
sociale  Verbindung  nicht  unmittelbar  Product  einer  Selbstorganisation 
sein  sollte  —  wie  z.  B.   wenn   der  Staat  für  einzelne  in  ihm  ent- 


*)  Vgl.  hierzu  und   zu   dem   folgenden  mein  System   der  Philosophie, 
Abschn.  VI,  S.  596  ff. 


^ 


604  Logik  der  GeseUschaftswiBseiischafteii. 

haltene  sociale  Gruppen,  Corporationen  oder  Gemeinden,  eine  gewisse 
Organisation  feststellt,  oder  wenn  ein  fremder  Staat  einem  be- 
stimmten Yolksthum  willkürlich  eine  politische  Verfassung  auf- 
zwingt —  selbst  in  solchen,  in  besonderen  geschichtlichen  Be- 
dingungen begründeten  Fällen  einer  anscheinend  ganz  und  gar  künst- 
lich von  aussen  her  durchgeführten  Organisation  wird  diese  nur 
dadurch  möglich  und  lebensfähig,  dass  sociale  Bedürfnisse  und 
ihnen  entsprechende  Triebe  vorhanden  sind,  denen  die  ent- 
stehende Organisation  irgendwie  adäquat  ist.  Dies  gibt  sich  im  all- 
gemeinen daran  zu  erkennen,  dass,  wenn  auch  jener  äussere  direct 
die  Organisation  bedingende  Einfluss  nicht  vorhanden  gewesen  wäre, 
doch  von  selbst  in  Folge  der  nämlichen  socialen  Triebe,  die  der 
Wirkung  der  äusseren  geschichtlichen  Kräfte  zu  Hülfe  kamen,  irgend 
eine  Art  gesellschaftlicher  Ordnung,  die  dem  gleichen  Bedür&isse 
genügte,  hätte  entstehen  müssen,  wenn  dieselbe  wahrscheinlich  auch 
eine  wesentlich  andere  Form  angenonunen  hätte.  Obgleich  also  die 
Bedingungen  der  Selbstorganisation  bei  den  socialen  Bildungen  sehr 
viel  variabler  sind  als  bei  den  individuellen  Organismen,  entsprechend 
den  Einflüssen  denen  jene  namentlich  in  Folge  wandelbarer  histo- 
rischer Bedingungen  unterworfen  sind,  so  Uegt  darin  doch  immer 
nur  ein  grad weiser,  kein  qualitativer  Unterschied,  da  auch  dort 
äussere  Einflüsse  eine  bald  deutlich  nachweisbare,  bald  in  dem  Zu- 
sammenfluss  ursprünglicher  Entwicklungsbedingungen  schwer  zu  er- 
messende Wirkung  ausüben.  Für  alle  Organisationen,  mögen  sie 
nun  individuelle  oder  sociale  sein,  gilt  also  der  Satz,  dass  sie  theils 
Producte  ursprünglicher,  in  den  Einheiten  aus  denen  sie  bestehen 
gelegener  Anlagen  sind,  theils  durch  äussere  natürliche  und  ge- 
schichtliche Einflüsse  in  den  besonderen  Formen  ihrer  Entstehung 
bestimmt  werden.  Dass  diese  äusseren  Einflüsse  bei  den  durch  freie 
Verbindung  individuell  selbständiger  Organismen  entstehenden  Or- 
ganisationen sehr  viel  mächtiger  sind  als  bei  den  individuellen  Or- 
ganismen, aus  denen  sie  sich  zusammensetzen,  ist  aber  leicht  be- 
greiflich. Denn  bei  dem  Einzelorganismus  gestattet  der  physische 
Zusammenhang  der  Elemente  den  äusseren  Einwirkungen  nur  einen 
relativ  geringen  Spielraum,  innerhalb  dessen  sie  wirken  können, 
ohne  den  organischen  Zusanunenhang  überhaupt  aufzuheben.  Der 
Gesammtorganismus  dagegen  kann  bei  der  freien  Beweglichkeit  und 
der  relativ  grossen  Selbständigkeit  seiner  Einheiten,  der  individuellen 
Organismen,  innerhalb  einer  weit  grösseren  Breite  äusserer  Ver- 
änderungen   den   socialen  Bedürfnissen  genügen    und    dabei  immer 


Organisation  der  Gesellfichaft.  (>05 

noch   den  Charakter  einer  zusammengesetzten   organischen  Einheit 
bewahren. 

Diese  Beweglichkeit  und  Selbständigkeit  der  Theile  und  Glieder 
innerhalb  einer  durch  die.  Verbindung  von  Individuen  entstehenden 
Selbstorganisation  bringt  es  nun  aber  auch  mit  sich,  dass  jene  Eigen- 
schaft eines  aus  lebenden  Einheiten  bestehenden  zusammengesetzten 
Ganzen,  das  für  den  Begriff  des  Organismus  erforderlich  ist,  in 
sehr  verschiedenem  Grade  ausgebildet  sein  kann.  Der  üebergang 
von  der  blossen  Organisation  zum  Organismus  würde  daher  als  ein 
völlig  fliessender  erscheinen,  wenn  es  nicht  neben  jenen  Eigen- 
schaften der  Selbstorganisation  und  der  Verbindung  lebender  Ele- 
mente zu  einer  Einheit  noch  weitere  Merkmale  gäbe,  die  für  die 
Art  dieser  Verbindung  charakteristisch  sind,  und  deren  Vorhanden- 
sein oder  Mangel  darüber  entscheidet,  ob  wir  im  gegebenen  Fall 
einer  socialen  Vereinigung  bloss  die  Bedeutung  einer  Organisation 
oder  die  eines  Organismus  im  engeren  Sinne  des  Wortes  zuerkennen 
werden.  In  der  That  gibt  es  zwei  solche  Merkmale:  ein  äusseres 
und  ein  inneres.  Das  erste  lässt  sich  aus  der  für  das  sociale  Leben 
durchaus  bezeichnenden  und  es  von  dem  individuellen  organischen 
Leben  wesentlich  unterscheidenden  Thatsache  des  üebereinander- 
greifens  vieler  Organisationen  innerhalb  der  nämlichen  socialen 
Oesammtheit  entnehmen.  Keine  Zelle,  kein  physiologisches  Organ 
kann  gleichzeitig  verschiedenen  individuellen  Organismen  angehören. 
Aber  in  der  Gesellschaft  ist  der  Einzelne  um  so  mehr,  je  voll- 
kommener organisirt  sie  ist,  stets  Mitglied  vieler  socialer  Verbände. 
Familie,  Gemeinde,  Staat,  daneben  in  mehr  wechselnder  Weise  Be- 
rufs- und  Wirthschaftsgenossenschaften,  Vereine  und  Corporationen, 
die  den  verschiedensten  Zwecken  dienen  mögen,  bilden  um  ihn  ein 
vielverschlungenes  Netz  von  Verbindimgen.  Nun  erscheint  es  voll- 
kommen begreiflich  und  den  thatsäcUichen  Verhältnissen  angemessen, 
dass  der  Einzelne  gleichzeitig  an  verschiedenen  Organisationen  theil- 
nimmt.  Es  ist  aber  offenbar  mit  denä  Begriff  des  Organismus  als 
einer  Einheit,  deren  Glieder  sich  in  sämmtlichen  dem  Ganzen  eigen- 
thümlichen  Lebenszwecken  diesem  Ganzen  unterordnen,  nicht  mehr 
vereinbar,  dass  der  Einzelne  gleichzeitig  zu  mehreren  socialen  Or- 
ganismen der  gleichen  Art  als  Glied  oder  organischer  Bestandtheil 
gehöre.  Wenn  die  Unterscheidung  von  Organisation  und  Organis- 
mus überhaupt  eine  Bedeutung  haben  soll,  so  wird  es  vielmehr 
zweckmässig  sein,  das  entscheidende  Kriterium  eben  darin  zu  sehen, 
dass  die  Organisation  als  solche  die  Individuen  im  allgemeinen  nicht 


606  Logik  der  GesellBchaftswissexischalten. 

in  ihrer  freien  Selbstbestimmung  gegenüber  andern  gesellschaftlichen 
Vereinigungen  beschränkt,  so  dass  die  Fähigkeit  des  Einzelnen  Ter- 
schiedenen  Organisationen  gleicher  Art  gleichzeitig  anzugehören  nur 
insofern  eine  begrenzte  ist,  als  etwa  die  von  yerschiedenen  Ver- 
bänden verfolgten  Zwecke  mit  einander  unverträglich  sind.  Auch 
dann  pflegt  aber  die  Auswahl  unter  den  Organisationen,  denen  er 
angehören  will,  der  freien  Selbstbestimmung  des  Einzelnen  über- 
lassen zu  bleiben.  So  kann  Jemand  z.  B.  Mitglied  verschiedener 
gemeinnütziger  und  politischer  Vereine,  Erwerbs-,  Bildungs-  und, 
insofern  er  in  seiner  Thätigkeit  verschiedene  Berufe  vereinigt,  sogar 
mehrerer  Berufsverbände  sein,  ohne  dass  dadurch  an  sich  seine 
Theilnahme  an  jeder  einzelnen  dieser  Verbindungen  beeinträchtigt 
wird.  Dagegen  können  die  Glieder  eines  Organismus  niemals  gleich- 
zeitig andern  Organismen  gleicher  Art  angehören.  In  diesem  Sinne 
sind  der  Staat,  die  Gemeinde,  die  Familie  Verbände,  die  den  Ein- 
zelnen ganz  für  sich  fordern;  und  eine  ähnlich  ausschliessende  Ein- 
heit pflegen  diejenigen  Berufskörperschaften  zu  bilden,  in  denen  die 
Gleichheit  des  Berufs  auch  eine  Uebereinstimmung  sonstiger  Lebens- 
normen herbeigeführt  hat,  wie  das  z.  B.  bei  den  Zünften  und  Gilden 
des  Mittelalters  in  hohem  Masse  der  Fall  war. 

Dies  fbhrt  uns  auf  das  zweite  oder  innere  Merkmal,  das  den 
socialen  Organismus  von  der  blossen  Organisation  unterscheidet:  es 
besteht  in  der  Vielheit  der  Zwecke  und  in  der  mit  dieser  eng 
verbundenen  Fähigkeit  neuer  Zwecksetzungen.  Die  Or- 
ganisation als  solche  bewegt  sich  innerhalb  des  festbegrenzten  Zweck- 
gebiets, das  ihre  Entstehung  veranlasst  hat.  Damit  hängt  die  Frei- 
heit zusammen,  die  sich  der  Einzelne  der  Gemeinschaft  gegenüber 
wahrt:  er  kann  im  allgemeinen  oder  mindestens  unter  Erfüllung  der 
Verpflichtungen,  die  er  für  diesen  Fall  freiwillig  übernommen,  aus 
der  Verbindung  ausscheiden,  sobald  er  durch  diese  sein  Bedürfhiss 
nicht  mehr  befriedigt  findet.  Das  ist  anders  bei  dem  socialen  Or- 
ganismus: er  verfolgt  von  vornherein  eine  Vielheit  von  Zwecken, 
und  er  ist  in  der  Erweiterung  oder  Verengerung  seines  Zweck- 
gebiets so  weit  unbeschränkt,  als  er  selbst  nicht  wieder  Glied  eines 
umfassenderen  Organismus  ist.  Dem  entsprechend  vermag  sich  auch 
der  Einzelne  aus  der  Verbindung  im  allgemeinen  nicht  ohne  weiteres 
in  Folge  eines  individuellen  Willensentschlusses  zu  lösen,  sondern 
jede  solche  Ausscheidung  setzt  eine  Handlung  eines  Gesammtwillens 
voraus ,  der  durch  die  geordnete  Verbindung  der  Glieder  und  Ein- 
heiten des  socialen  Organismus  zu  Stande  kommt.    So  scheiden  sich 


Organisation  der  GeaellBchaft.  607 

Staat,  Familie,  Gemeinde  zwar  in  ihren  Zweckgebieten  von  einander 
wie  von  den  individuellen  Lebenszwecken ;  aber  keine  dieser  Gemein- 
schaften ist  ein-  für  allemal  auf  ein  fest  bestimmtes  Zweckgebiet 
eingeschränkt,  sondern  jede  hat  innerhalb  der  ihr  durch  den  Zu- 
sammenhang mit  dem  Ganzen  des  socialen  Lebens  angewiesenen 
Grenzen  ein  selbständiges  Leben,  das  sich  in  den  mannigfachsten, 
immer  nur  durch  die  Wirkungssphären  anderer  gleich  selbstöndiger 
Organismen  begrenzten  Formen  bethätigen  kann. 

Es  liegt  nun  aber  in  der  Natur  dieser  Merkmale,  dass  die 
Grenze  zwischen  der  Organisation  und  dem  eigentlichen  Organismus 
eine  fliessende  ist,  und  dass  es  ebensowohl  blosse  Organisationen 
gibt,  die  sich  den  Organismen  in  ihrem  Verhalten  nähern,  wie  um- 
gekehrt Organismen,  die  zwar  in  Folge  bestimmter  Eigenschaften 
▼on  uns  zu  diesen  gezählt  werden,  die  aber  doch  in  andern  Be- 
ziehungen ganz  und  gar  die  losere  Beschaffenheit  der  Organisationen 
bewahren.  Namentlich  kann  es  vorkommen,  dass  in  Folge  geschicht- 
licher Wandlungen  sociale  Bildungen,  die  zu  einer  bestimmten  Zeit 
durchaus  den  Anspruch  auf  den  Namen  wahrer  socialer  Organismen 
erheben  können,  allmählich  in  blosse  Organisationen  sich  auflösen; 
und  natürlich  wird  auch  das  umgekehrte  möglich  sein,  obgleich  es 
wohl  in  den  unserer  genaueren  Eenntniss  zugänglichen  Perioden 
socialer  Entwicklung  seltener  vorgekommen  ist.  So  waren  die  Zünfte 
und  Gilden  des  Mittelalters  zweifellos  Organismen,  heute  bilden  die 
entsprechenden  Berufe  zum  Theil  nicht  einmal  mehr  Organisationen, 
sondern  haben  sich  vollständig  in  ihre  individuellen  Einheiten  auf- 
gelöst. Ebenso  zeigen  unsere  städtischen  Gemeinwesen  gegenüber 
firüheren  Zuständen  nur  noch  theilweise  ein  festeres  organisches 
GtefOge,  in  mancher  Beziehung  bilden  sie  nur  eine  verhältnissmässig 
lose  Organisation  der  zufällig  denselben  Ort  bewohnenden  Staats-. 
büiger.  Die  Familie  endUch  hat  zwar  ihre  Bedeutung  als  relativ 
fest  gefügtes  und  eine  grosse  Zahl  von  Lebenszwecken  in  sich  ver- 
einendes Ghed  in  der  Gesammtorganisation  der  Gesellschaft  nicht 
Terloren,  aber  durch  ihre  Zurückziehung  auf  die  Einzelfamilie  ist 
sie  doch  zu  einer  so  vergänglichen  Verbindung  geworden,  dass  sie 
nach  ihrer  socialen  Bedeutung  nur  noch  als  ein  wichtiges  Organ  in 
dem  Organismus  des  Staates,  nicht  aber  selbst  mehr  als  ein  Organis- 
mus im  eigentlichen  Sinne  erscheint.  So  bleibt  in  der  gegenwärtigen 
Lage  der  europäischen  Culturvölker  der  Begriff  des  socialen  Organis- 
mus in  uneingeschränkter  Bedeutung  nur  noch  für  den  Staat  selbst 
bestehen.    Anderseits  ist  es  aber  eine  geschichtliche  Thatsache,  dass 


608  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

zu  Zeiten  dieser  organische  Charakter  des  Staates  zurückgetreten 
oder  ganz  verschwunden  war.  Das  gilt  nicht  bloss  Yon  Zeiten  yöUi- 
ger  Umwälzungen,  die  entweder  die  vorhandene  politische  Organi* 
sation  auflösten,  um  eine  neue  an  deren  Stelle  zu  setzen,  oder  die 
zu  völlig  neuen  nationalen  und  politischen  Gruppirungen  f&hrten, 
sondern  insbesondere  auch  von  Perioden  politischer  Schwäche,  in 
denen  sich  dann  gerade  solche  Corporationen ,  die  sonst  bloss  den 
Charakter  loserer  Organisationen  haben,  wie  die  Berufs-  und  Standes- 
verbände, zu  Organismen  mit  grosser  Selbständigkeit  und  innerer 
wie  äusserer  Autonomie  ausbildeten.  Wie  in  dieser  Beziehung  die 
Selbstorganisation  engerer  Lebenskreise  stellvertretend  fQr  eine  hin- 
fällig werdende  staatliche  Gesammtorganisation  eintreten  kann,  dies 
lehrt  namentlich  die  Entwicklungsgeschichte  des  Genossenschafts- 
wesens der  deutschen  Vorzeit,  die  überhaupt  für  den  Process  der 
socialen  *  Selbstorganisation  und  für  die  Tendenz  der  auf  solche 
Weise  entstandenen  socialen  Bildungen  bei  dem  Mangel  äusserer, 
namentlich  politischer  Hemmungen  sich  zu  wahren  Organismen  zu 
festigen,  augenfällige  Belege  darbietet*). 

Jene  Bedürfnisse  und  Triebe,  welche  die  Individuen  einer  Ger 
meinschaft  dazu  führen,  sich  in  mannigfachen,  bald  engere  bald 
umfassendere  Zwecke  verfolgenden  Verbänden  an  einander  an- 
schliessend, Selbstorganisationen  hervorzubringen,  die  in  der  ver- 
schiedensten Weise  über  einander  greifen,  führen  nun  aber  mit  der- 
selben inneren  Nothwendigkeit  zu  einer  zweiten  Reihe  wichtiger 
Erscheinungen,  auf  die  wir,  da  sie  nicht  nur  auf  die  nämliche 
Eigenschaft  der  Selbstorganisation  gegründet  sind,  sondern  auch  in 
dem  Zusammenhang  ihrer  Bestandtheile  einen  ähnlich  zweckmässig 
gegliederten  Aufbau  zeigen,  in  einem  weiteren  Sinne  ebenfalls  den 
Begriff  des  Organischen  anwenden  können.  Da  die  Einheiten,  aas 
denen  diese  Organisationen  bestehen,  nicht  Personen  sondern  irgend 
welche  materielle  oder  geistige  Objecto  sind,  so  können  dieselben 
im  Unterschiede  von  den  Personalorganisationen  als  Realorgani- 
sationen bezeichnet  werden.  Dieser  unterschied  geht  durehaus 
dem  früher  (S.  458)  bei  den  statistischen  Methoden  erwähnten 
Unterschied  der  Personal-  und  Realstetistik  parallel;  und  zugleich 
entspricht  dies  den  überhaupt  zwischen  Bevölkerungslehre  und  Staats- 

*)  Diesen  Organisationstrieb  im  deutschen  Genossenschaftswesen  weist 
eingehend  nach  0.  Gierke  in  seinem  Deutschen  Genossenschaftsrecht,  3  Bde. 
Vgl.  auch  desselben  Verfassers  oben  (S.  602)  erwähntes  Werk:  Die  Genossen- 
schaftstheorie und  die  deutsche  Rechtsprechung,  1887. 


Organisation  der  Gesellschaft.  609 

Wissenschaft  stattfindenden  Beziehungen:  die  Personalstatistik  ist 
nämlich  ein  Hülfsmittel,  das  überall  bei  der  Untersuchung  der  im 
Staate  vorhandenen  persönlichen  Selbstorganisationen  zu  Rathe  ge- 
zogen wird,  während  die  Realstatistik  ebenso  der  Erforschung 
der  in  ihm  vorhandenen  realen  Organisationen  zu  gute  kommt. 
Liegt  dabei  auch  das  eigentlich  staatswissenschaftliche  Problem,  die 
Organisationsfrage,  ausserhalb  der  statistischen  Methode,  so  sind 
doch  die  durch  diese  ermittelten  numerischen  Werthe  fOr  das  Macht- 
verhältniss  der  einzelnen  Organisationen  von  grosser  Bedeutung. 
In  dieser  wie  in  jeder  andern  Beziehung  ist  aber  für  das  Yerh'ält- 
niss  der  Personal-  zu  den  Realorganisationen  in  erster  Linie  mass- 
gebend, dass  die  letzteren,  da  sie  aus  unpersönlichen  Objecten  zu- 
sammengesetzt sind,  niemals  Organismen  sondern  immer  nur  Organi- 
sationen von  verschiedener  Festigkeit  sein  können.  Ebenso  kann  bei 
ihnen  von  einer  Selbstorganisation  im  eigentlichen  Sinne  nicht 
die  Rede  sein.  Denn  die  Organisation  materieller  oder  geistiger  Objecte 
von  unpersönlicher  Natur  kann  niemak  durch  Kräfte  erfolgen,  die 
in  den  Objecten  selbst  gelegen  sind.  Vielmehr  ist  sie  stets  eine 
indirect  entstandene:  sie  ist  den  Objecten  erst  durch  die  Personen 
mitgetheilt,  für  die  jene  Objecte  theils  an  sich  selbst  theils  durch 
die  Art  ihrer  Verbindung  eine  mit  ihren  eigenen  individuellen  oder 
gemeinsamen  Zwecken  zusammenhängende  Zweckbedeutung  gewinnen. 
So  ist  diese  ganze  Scheidung  von  Personal-  und  Realorganisationen 
schliesslich  nur  ein  Ausdruck  der  Thatsache,  dass  der  Mensch  nicht 
nur  seinen  Mitmenschen  gegenüber  ein  in  eminentem  Masse  zur 
coUectiven  Organisation  angelegtes  Wesen  ist;  sondern  dass  er  diese 
seine  organisirende  Macht  auch  allen  den  Objecten,  mit  denen  er  in 
irgend  eine  Zweckbeziehung  tritt,  den  Gegenständen  der  äussern 
Natur,  die  er  zu  seinen  Zwecken  verwerthet,  nicht  weniger  ak 
seinen  eigenen  geistigen  und  physischen  Leistungen,  mittheilt.  Aber 
diese  organisirende  Kraft  bethätigt  der  Mensch  doch  vor  allem  da, 
wo  seine  Verwerthung  äusserer  Naturgüter  oder  seine  eigene  zweck- 
thätige  Leistung  an  die  gemeinsame  Thätigkeit  mit  seinesgleichen 
gebunden  ist,  und  wo  nun  auf  diese  Weise  die  reale  Organisation 
zugleich  das  Product  einer  entweder  schon  bestehenden  oder  gleich- 
zeitig sich  ausbildenden  Organisation  einer  Vielheit  menschlicher 
Persönlichkeiten  ist.  So  ist  vor  allen  andern  schon  die  Sprache 
eine  reale  Schöpfung,  die  durchaus  den  Charakter  eines  organischen 
Ganzen  hat;  ihre  Erzeugung  lässt  sich  aber,  wie  man  auch  über 
die    psychologischen   Bedingungen   ihres   Ursprungs    denken    möge, 

Wundt,  Logik,  ü,  2.    2.  Aufl.  39 


610  Logik  der  Gesellscbaftswissenschafben. 

jedenfalls  nicht  anders  begreifen  als  unter  der  Annahme,  dass  sie 
einerseits  einen  organischen  Zusammenhang  der  redenden  Gemein- 
schaft voraussetzt,  und  dass  sie  anderseits  auf  diesen  Zusammenhang 
wieder  zurückwirkt,  indem  sie  allen  jenen  Vorgängen  der  Selbst- 
organisation, die  in  der  Gesellschaft  wirksam  sein  mögen,  als  unent- 
behrliches Hülfsmittel  dient.  Aehnlich  der  Sprache  yerhalten  sich 
die  mythologischen  Anschauungen  und  die  Normen  der  Sitte.  Jedes 
dieser  Gebiete  bildet  ein  Gkinzes,  dessen  Theile  in  den  correlativen 
Beziehungen  stehen,  die  überall  die  Merkmale  des  .Organischen' 
ausmachen.  Sie  sind  sämmtlicfa  Realorganisationen  psychophysischer 
Art,  denn  psychische  und  physische  Leistungen  setzen  sich  bei  ihnen 
zu  einem  wohlgegliederten  Ganzen  zusammen,  das  bestimmten  Zwecken 
angepasst  und  mit  der  Fähigkeit  ausgerüstet  ist,  sich  jederzeit  selbst 
den  Veränderungen  der  objectiven  Bedingungen  gemäss  zu  yerändem. 
Mit  dem  Merkmal  der  organischen  Gliederung  kommen  daher  auch 
die  andern  Merkmale  der  organischen  Entwicklung,  die  Selbst- 
regulirung  und  die  Selbstanpassung,  allen  diesen  Schöpfungen  zu. 
Das  ist  aber  augenscheinlich  nur  dadurch  möglich,  dass  die  Eigen- 
schaft der  Selbstorganisation  menschlicher  Gemeinschaften  auch  auf 
die  realen  Erzeugnisse  derselben  einwirkt,  so  dass  diese  ebenfalls 
an  jener  Eigenschaft  theilzunehmen  scheinen.  In  Wirklichkeit  ist 
das  natürlich  nicht  der  Fall,  sondern  diese  Erscheinung  ist  hier  nur 
eine  naturgemässe  Folge  des  Gesetzes,  dass  der  einzelne  Mensch 
so  gut  wie  jeder  menschliche  Verband  seine  eigenen  Fähigkeiten 
in  seinen  Leistungen  zum  Ausdruck  bringt.  Darum  ist  nun  aber 
auch  der  Begriff  des  , Organismus*^  für  jedes  in  sich  zusammen- 
hängende und  entwicklungsfähige  System  gemeinsamer  Leistungen 
zwar  ein  vollkommen  adäquates  Bild,  aber  er  ist  in  diesem  Falle 
doch  nicht  mehr  als  ein  Bild,  während  er  bei  den  persönlichen  Ver- 
bänden, die  den  oben  erwähnten  Bedingungen  der  äusseren  Einheit 
und  der  inneren  Freiheit  der  Zwecksetzung  genügen,  nicht  bloss 
ein  Bild  ist  sondern  der  Sache  selber  entspricht.  Wenn  gleichwohl 
auch  die  persönlichen  Organisationen  nur  zu  einem  kleinen  Theil 
wirkliche  Organismen  sind,  so  beruht  dies  vor  allem  auf  der  steten 
Veränderlichkeit  der  socialen  Gebilde,  vermöge  deren  der  orga- 
nische Charakter  derselben  gleichfalls  eine  fliessende  Beschaffenheit 
hat.  Dies  aber  ist  wieder  eine  nothwendige  Folge  ihrer  Zusammen- 
setzung aus  lebenden  Persönlichkeiten  als  letzten  Einheiten  —  einer 
Eigenschaft  der  socialen  Organismen,  die,  für  den  Begriff  der- 
selben von  der  grössten  Bedeutung,  von  vornherein  alle  zu  weit  ge- 


Organisation  der  Gesellschaft.  611 

triebenen  Analogien  mit  dem  physischen  Organismus  verbietet,  trotz- 
dem aber  das  Wesen  des  Organismus  nicht  aufheben  kann. 

Sprache  und  Sitte  gehören  als  die  ursprünglichsten  Real- 
organisationen nicht  in  das  Oebiet  der  einzelnen  Gesellschaftswissen- 
schaften, sondern  sie  sind  die  Hauptbestandtheile  der  allgemeinen 
psychologischen  Orundlage  derselben,  der  Völkerpsychologie.  Aber 
indem  die  Gemeinschaft  der  Sprache,  der  religiösen  und  sittlichen 
Anschauungen  ein  gemeinsames  Leben  überhaupt  erst  möglich  macht, 
bringt  sie  mit  diesem  jene  weiteren  Realorganisationen  hervor,  die, 
wie  die  Volks wirthschaft,  das  Recht,  die  Verwaltung,  für  die  be- 
sondere Gestaltung  des  gesellschaftlichen  Lebens  bestimmend  werden 
und  in  dieser  Beziehung  namentlich  auch  auf  die  persönlichen  Ver- 
bände in  Familie,  Gemeinde,  Staat  u.  s.  w.  zurückwirken.  In  dem 
gesammten  Zusammenhang  socialer  Erscheinungen  übertreffen  wohl 
jene  realen  Erzeugnisse  an  Mannigfaltigkeit  und  umfang  das  System 
der  persönlichen  Organisationen.  An  principieller  Bedeutung  be- 
haupten gleichwohl  die  letzteren  den  Vorrang,  da  die  Verbindung 
menschlicher  Lidividuen  selbstverständlich  die  Grundbedingung  aller 
sonstigen  socialen  Schöpfungen  ist. 

Diese  ursprünglichere  Bedeutung  findet  ihren  Ausdruck  in 
der  wichtigen  Thatsache,  dass  die  Personalorganisationen  der  Ge- 
sellschaft zu  einer  Erweiterung  des  Begriffs  der  Person  heraus- 
fordern, welche  Erweiterung  in  ihrer  Ausbildung  zugleich  der  Fort- 
entwicklung des  Begriffs  der  socialen  Organisation  zu  dem  des 
socialen  Organismus  parallel  geht.  Aber  während  sich  der  Begriff 
des  Organismus  auf  die  Wechselbeziehungen  der  Bestandtheile  des 
Gkmzen,  also  bei  dem  socialen  Organismus  auf  die  der  einzelnen 
Individuen  und  der  aus  untergeordneten  Verbänden  von  Individuen 
bestehenden  Organe  dieses  Ganzen  bezieht,  geht  der  Begriff  der 
Person  auf  die  einheitlichen  psychischen  Eigenschaften  des 
Selbstbevnisstseins  imd  des  an  eine  besonnene  Erwägung  von  Motiven 
und  Zwecken  geknüpften  WoUens  zurück.  Wie  diese  Eigenschaften 
die  Merkmale  der  freien,  ihre  Handlungen  mit  Ueberlegung  und 
Absicht  vornehmenden  individuellen  Persönlichkeit  sind,  so  wird 
auch  umgekehrt  überall  da,  wo  jene  uns  in  wesentlich  ähnlicher 
Form  an  einem  socialen  Ganzen  entgegentreten,  dieses  Ganze  als 
eine  Person  oder,  zum  Behuf  der  Unterscheidung  von  der  indivi- 
duellen Persönlichkeit  oder  der  Person  im  gewöhnlichen  Sinne,  als 
eine  Gesammtperson  bezeichnet  werden  können.  Natürlich 
differiren  diese  beiden   Gestaltungen    des   Persönlichkeitsbegriffs    in 


612  Logik  der  GeeellsdiaftfwisseiiBchafteii. 

wichtigen  Merkmalen.  Die  besondere  Eigenschaft  der  coUectiven 
Persönlichkeit,  dass  sie  aus  einer  Vielheit  von  Individuen  besteht, 
deren  jedes  wieder  eines  selbstbewussten  Wollens  und  Handelns  fähig 
ist,  begründet  eine  Reihe  weiterer,  fOr  die  Entstehung  der  das  ge- 
meinsame Leben  bildenden  Vorstellungen  und  der  Acte  des  Ge- 
sammtwillens  wesentlicher  Eigenthümlichkeiten.  Aber  da  hierbei 
jene  allgemeinen  Merkmale  des  PersönlichkeitsbegrifFs  unberOhri 
bleiben,  so  kann  dies  auch  nicht  hindern,  denselben  auf  die  Gb- 
sammtperson  genau  in  demselben  Sinne  wie  auf  die  Einzelperson 
anzuwenden,  in  dem  Sinne  also,  dass  jene  als  eine  reale,  nicht  als 
eine  bloss  bildlich  oder  vermittelst  einer  „juristischen  Fiction*  so- 
genannte Person  betrachtet  wird. 

Wie  nun  der  Begriff  der  socialen  Organisation  uns  inner- 
halb der  Gesellschaft  auf  den  mannigfaltigsten  Stufen  der  Aus- 
bildung entgegentritt,  so  der  eng  an  ihn  gebundene  Begriff  der 
collectiven  Persönlichkeit.  Auch  in  dieser  Beziehung  bietet  dieselbe 
Analogien  wie  bedeutsame  Unterschiede  dar  gegenüber  der  Einzel- 
person. An  einer  Entwicklung  der  Persönlichkeit,  die  verschiedene 
Stufen  mit  successiver  Ausbildung  der  wesentlichen  Merkmale  unter- 
scheiden lässt,  fehlt  es  hier  so  wenig  wie  dort.  Doch  während  sich 
diese  Entwicklung  bei  der  Einzelperson  wesentlich  nur  auf  die 
rechtliche  Handlungsfähigkeit  bezieht,  die  in  diesem  Fall 
nur  der  ausgebildeten  Person  zukommt,  der  unentwickelten ^  dem 
Kinde,  dem  Unzurechnungsfähigen,  mangelt,  besteht  sie  bei  den 
gesellschaftlichen  Personen  in  dem  zunehmenden  Umfang  der  Willens- 
thätigkeit.  Handlungsfähigkeit  besitzt  nothwendig  jede  collective 
Person,  da  sie  aus  Einzelpersonen  zusammengesetzt  ist,  die  entweder 
sämmtlich,  oder  von  denen  wenigstens  viele  im  rechtlichen  Sinne 
handlungsfähig  sind.  Ohne  Uebertragung  dieser  Eigenschaft  von 
den  Mitgliedern  auf  das  Ghinze  kann  es  daher  immer  nur  zu  zu- 
fälligen und  vorübergehenden  gesellschaftlichen  Verbindungen  kom- 
men. Dagegen  kann  die  Willenssphäre  der  collectiven  Personen  eine 
mehr  oder  minder  umfassende  sein.  Bei  der  unvollkommensten  Aus- 
bildung dieser  erstreckt  sich  der  Oesammtwille  nur  auf  einen  fest 
bestimmten  Zweck.  In  Bezug  auf  ihn  sind  die  Einzelwillen  geeint 
und  gebunden,  in  allen  andern  Beziehungen  verhalten  sich  die  In- 
dividuen wie  eine  unverbundene  Menge.  Selbstverständlich  erstreckt 
sich  dann  auch  die  Handlungsfähigkeit  nur  auf  jenen  Zweck.  Für 
ihn  verschafft  sich  der  Oesammtwille  innerhalb  der  bestehenden 
Rechtsordnung  Anerkennung;   und   mit  Bezug  auf  ihn  wird  so  die 


OrgazuBation  der  Gesellschaft.  613 

Verbindung  zu  einem  Bechtssubject.  Es  scheint  aber  kaum  ange- 
messen, collectiye  Einheiten  auf  dieser  Stufe  der  Ausbildung  Oe- 
sammtpersonen  zu  nennen.  Fehlt  ihnen  doch  ein  wesentliches 
Merkmal  der  freien  Persönlichkeit :  die  selbstthätige  Wahl  der  Zwecke, 
eine  Wahl  die  hier  mindestens  durch  die  Begrenzung  auf  ein  fest 
gegebenes  Zweckgebiet  im  höchsten  Masse  eingeschränkt  ist.  Wohl 
aber  wird  man  die  coUective  Persönlichkeit  auf  dieser  Stufe  als  eine 
Rechtsperson  bezeichnen  können,  insofern  die  rechtliche  Hand- 
lungsflLhigkeit  innerhalb  eines  bestimmten  Zweckgebiets  ihr  äusseres 
Merkmal  ist. 

Von  diesem  Fall  unterscheidet  sich  noch  nicht  wesentlich  der 
andere,  wo  die  Gemeinschaft  eine  Mehrheit  von  Zwecken  ver- 
folgt. So  lange  überhaupt  die  Willenssphäre  eine  von  vornherein 
fest  begrenzte  ist,  kann  doch  immer  nur  von  einer  höheren  Ent- 
wicklungsstufe der  Rechtsperson  die  Rede  sein.  Dies  ist  wesentlich 
anders,  wenn  der  Qesammtwille  einer  Gemeinschaft  in  dem  Sinne 
autonom  wird,  dass  er  neue  Zwecke  den  vorhandenen  hinzufügen 
kann,  so  dass  nunmehr  seine  Fähigkeit  der  Selbstbestimmung  voll- 
kommen der  des  individuellen  Willens  auf  seinem  Gebiet  entspricht. 
Eine  Einheit  dieser  Art  ist  nicht  mehr  bloss  Rechtsperson,  sondern 
im  vollen  Sinne  des  Wortes  Gesammtperson.  Sie  trägt  aUe 
Merkmale  der  Persönlichkeit  an  sich,  nur  mit  den  besonderen  Modi- 
ficationen,  die  durch  die  Unterschiede  des  Gesammtwillens  vom  indi- 
viduellen Willen  nothwendig  bedingt  werden.  Es  springt  aber  ohne 
weiteres  in  die  Augen,  dass  der  in  diesem  Sinne  bestimmte  Begriff 
der  Gesammtperson  durchaus  mit  dem  des  socialen  Organismus  in 
der  engeren,  ihn  von  der  blossen  Organisation  unterscheidenden 
Bedeutung  zusammenfallt.  Die  blossen  Rechtspersonen  entstehen 
überall  aus  Selbstorganisationen,  die  höchstens  als  partielle  oder 
unter  Umständen  als  werdende  Organismen  betrachtet  werden  können. 
Die  Gesammtpersonen  sind  aber  wirkliche  sociale  Organismen,  die 
selbst  wieder  aus  mannigfaltigen  Real-  und  Personalorganisationen 
bestehen  können'*'). 


*)  üeber  die  allgemeine  Bedeutong  und  die  psychologischen  Grundlagen 
des  Begriffs  der  Oesammtpersöniichkeit  vgl.  Ethik,  2.  Aufl.,  S.  665  ff.  und  System 
der  Philosophie,  S.  604  ff.  0.  Gierke,  der  gegenwärtig  in  der  Rechtswissen- 
schaft der  Hanptrertreter  der  Realität  der  coUectiven  Persönlichkeiten  ist, 
nennt  auch  die  oben  als  .Rechtspersonen'  bezeichneten  nnyollkommeneren 
Formen  .Gresammtpersonen".  (Gierke,  Die  Qenossenschaftstheorie  und  die 
deutsche  Rechtsprechung,  1887,  S.  5  ff.,  Deutsches  Privatrecht,  I,  S.  469  ff.)   Mag 


614  Log^k  der  Gesellschaftswiasenfichafben. 


c.   Die  socialen  Gesetze. 

Die  Oesellschaft  ist  in  allen  ihren  Erscheinungen  geschichtlich 
bedingt.  Jeder  Zustand  ist  das  Ergebniss  yorausgegangener  Zu- 
stände und  Vorgänge,  und  er  besteht  selbst  historisch  betrachtet 
aus  einer  Fülle  von  Bedingungen,  aus  denen  nachfolgende  Entwick- 
lungen hervorgehen.  Demnach  kann  auch  an  eine  principielle  Schei- 
dung zwischen  socialen  und  historischen  Gesetzen  nicht  gedacht  werden. 
Das  einzige  relative  Merkmal,  nach  welchem  in  Anbetracht  der  aus- 
einandergehenden Zwecke  von  Geschichte  und  Sociologie  eine  solche 
Unterscheidung  möglich  ist,   kann  nur  darin  liegen,   dass  man  von 


dies  nun  auch  fttr  die  praktischen  Fragen  unerheblich  sein,  da  juristisch  die 
Gesammtpersonen  überall  nur  als  Rechtspersonen  in  Betracht  kommen,  so  dürfte 
es  doch  sowobl  im  Interesse  der  Abstufung  der  BegrifiFe,  wie  in  dem  der  Her- 
vorhebung der  psychologischen  und  ethischen  unterschiede  der  verschiedenen 
Entwicklungsstufen  liegen,  wenn  man,  in  ähnlichem  Sinne  wie  oben  die  par- 
tielle Organisation  von  dem  eigentlichen  Gesammtorganismns,  so  hier  die  bloss 
partielle  Persönlichkeit  oder  Rechtsperson  von  der  Gresammtperson  unter^eidet 
Auch  dürfte  der  Ausdruck  «Rechtsperson*  hinreichend  vor  der  bei  der  Juristi- 
schen Person"  leicht  obwaltenden  Nebenvorstellung  schützen,  als  wenn  solche 
coUective  Organisationen  nicht  durch  ihren  eigenen  Willen,  sondern  gewisser- 
massen  erst  durch  den  Willen  der  Juristen,  also  auf  dem  Wege  der  .juristischen 
Fiction'^  in  Objecto  von  persönlicher  Bedeutung  verwandelt  würden.  In  seinem 
neuesten  Werke  (Deutsches  Privatrecht,  I,  1895,  S.  469  ff.)  bedient  sich  Gier ke 
des  Ausdrucks  .Yerbandsperson".  Dieser  würde  wohl  als  eine  zweckmässige  Be- 
zeichnung namentlich  dann  gebraucht  werden  können,  wenn  man  ihn  bloss  für 
die  corporativen  Rechtspersonen  von  beschränkter  Handlungssphäre  zur  Unter- 
scheidung von  den  eigentlichen,  autonomen  Gresammtpersonen  anwendete.  Dies 
geschieht  freilich  von  Gierke  nicht,  der  einerseits  auch  den  Staat  als  eine 
.Yerbandsperson'  bezeichnet  (S.  475  ff.)»  anderseits  von  den  Stiftungen  be- 
merkt: «ihre  Rechte  seien  die  einer  Verbandsperson*  (S.  655),  was  immerhin 
wieder  etwas  an  den  Kunstgriff  der  .juristischen  Fiction"  erinnert.  Der  Aus- 
druck  .Rechtsperson*  vermeidet  diese  logischen  und  terminologischen  Schwierig- 
keiten. Die  Rechtsperson  ist  der  allgemeine  Begriff,  der  ebensowohl  die  reale 
Gesammtperson,  den  Staat,  wie  einzelne  corporative  Verbände,  wie  endlich  die 
Stiftungen  unter  sich  begreift.  Auch  die  Stiftungen  besitzen  übrigens  die  Eigen- 
schaften realer  Rechtspersonen  nicht  als  sachliche  Objecto,  so  genannte  .Zweck- 
vermögen", sondern  dadurch,  dass  in  ihnen  einerseits  der  Wille  einer  wirklichen 
Person,  des  Stifters,  unter  Vermittelung  des  staatlichen  Gesanmitwillens  fort- 
wirkt, und  dass  anderseits  bestimmte  Einzelpersonen  mit  ihrer  Rechtsvertretung 
beauftragt  sind.  Die  Handlungsfähigkeit  ist  also  auch  hier  eine  persönliche; 
sie  ist  nur  eine  noch  strenger  gebundene  als  bei  den  corporativen  Rechts- 
personen. 


Sociale  Gesetze.  615 

historischen  Gesetzen  im  engeren  Sinne  reden  wird,   wenn  vorzugs- 
weise die  causale  Verbindung  der  Vorgänge  in  ihrer  Aufeinander- 
folge,  also  eine  Aufstellung  von  Gesetzen  im  Interesse  einer  Inter- 
pretation der  Geschichte  in  Frage  steht,   während  man  dem  gegen- 
über als  sociale  Gesetze   solche  bezeichnen  wird,   die   entweder  die 
gesetzmässige  Aufeinanderfolge  bestimmter  Zustände  der  Gesellschaft 
oder  aber  die  ursächlichen  Beziehungen  der  einzelnen  Bestandtheile 
eines   gegebenen   Zustandes    zu   einander   ausdrücken.     In   der   hier 
unterschiedenen  doppelten  Möglichkeit  liegt   aber  auch  bereits  aus- 
gesprochen,  dass   die  nach  solchen  Gesichtspunkten  aufzustellenden 
socialen  Gesetze,  ganz  wie  es  der  hervorgehobene  enge  Zusammen- 
hang mit  den  historischen  Gesetzen  erwarten  lässt,  in  die  nämlichen 
zwei  Classen  zerfallen  vrie  diese:   in  Entwicklungsgesetze  und  Be- 
ziehungsgesetze.    (Vgl.  oben  S.  396,  407  ff.)    Unter   ihnen    bilden 
die  socialen  Entwicklungsgesetze  der  Natur  der  Sache  nach 
nur  eine  Abtheilung  der  historischen  Entwicklungsgesetze,   und  als 
solche  sind    sie  bereits  oben   erörtert   worden.     Alle   jene   Gesetze 
geschichtlicher   Entwicklung   nämlich,    die   eine   regelmässige   oder 
vermöge  der  Verkettung  der  Bedingungen  eine  als  nothwendig  an- 
gesehene   Aufeinanderfolge    bestimmter    Zustände    feststellen ,    sind 
natürb'ch  zugleich  sociale  Gesetze,   sobald   wir  diesen  auch  solche 
allgemeine  Formulirungen  zurechnen,   die  über  die  ursächliche  Ent- 
stehung gegebener  socialer  Zustände  Rechenschaft  zu  geben  suchen. 
In  diesem  Sinne   sind   also  namentlich   die   früher  hinsichtlich  ihrer 
empirischen  wie  causalen  Bedeutung  besprochenen  Gesetze  der  Auf- 
einanderfolge   der  Verkehrs-,    der  Wirthschafts- ,    der  Verfassungs- 
formen (S.  393  f.)   sociale   Entwicklungsgesetze.     Wir   haben   aber 
gesehen,   dass  unter  den  mannigfachen  Fortschritts-  und  Entwick- 
lungsgesetzen, welche  die  Geschichtsforschung  aufgestellt  hat,  gerade 
diese,   die  sich    auf  bestimmte  gesellschaftliche  Lebensformen  be- 
ziehen, und  die  eben  in  diesem  Sinne  zugleich  sociale  Gesetze  sind, 
verhältnissmässig  den  grössten  Werth  haben,  weil  sie  der  Aufgabe, 
die  Mannigfaltigkeit  der  Erfahrungen  in  ein  angemessenes  logisches 
Schema  zu  ordnen,   das   die  ursächlichen  Bedingungen  der  Aufein- 
anderfolge erkennen  lässt,  am  meisten  entsprechen,  und  dass  sie  in 
dieser  Beziehung  namentlich   den  universalhistorischen  Fortschritts- 
gesetzen, bei   denen  speculative  Voraussetzungen  und  Forderungen 
eine  überwiegende  Rolle  spielen,  weit  überlegen  sind.     Dieser  Vor- 
zug  hat    zwei    Gründe:    erstens    entspringt    er    daraus,    dass    die 
dauernderen  Zustände  vor  den  singulären  geschichtlichen  Vorgängen 


QIQ  Logik  der  GesellBchaftswiwenschaften. 

überhaupt  eine  grössere  Regelnlässigkeit  der  Erscheinangen  und 
demzufolge  auch  eine  grössere  Durchsichtigkeit  der  ursächlichen 
Verknüpfungen  voraushaben;  und  zweitens  ergibt  er  sich  aus  der 
Selbstbeschränkung,  die  sich  die  socialgeschichtlichen  gegenüber  den 
uniyersalhistorischen  Gesetzesformulirungen  auferlegen.  Einerseits  be- 
ziehen sie  sich  nämlich  bloss  auf  Theilphänomene  der  socialen  Zu- 
stände, und  darunter  namentlich  wieder  auf  solche,  die  mehr  von 
collectiven  als  von  individuellen  Einflüssen  abhängen;  anderseits 
haben  sie  ausschliesslich  den  empirisch  gegebenen  Verlauf  der  Ge- 
schichte, nicht  aber,  wie  die  geschichtsphilosophischen  Entwicklungs- 
gesetze, ausserdem  noch  oder  gar  vorzugsweise  die  transcendenten 
Ziele  derselben  im  Auge. 

Von  wesentlich  selbständigerer  Bedeutung  sind  die  socialen 
Beziehungsgesetze.  Zwar  sind  auch  sie  nur  in  den  drei  Formen 
möglich,  in  denen  überhaupt  geschichtlich  gewordene  Erscheinungen 
und  Zustände  in  ihren  einzelnen  Bestandtheilen  ursächlich  verbunden 
sein  können,  und  in  denen  sie  zugleich  auf  die  allgemeinen  Prin- 
cipien  der  psychologischen  Verknüpfung  geistiger  Vorgänge  zurück- 
führen, nämlich  als  Gesetze  der  Resultanten,  Relationen  und 
Contraste  (S.  408).  Aber  während  diese  (besetze  in  der  Geschichte, 
vermöge  der  allgemeinen  Natur  der  geschichtlichen  Objecte,  auf  ein- 
ander folgende  Erscheinungen  in  wechselseitige  Beziehung  setzen, 
erstrecken  sie  sich  in  der  Sociologie  zunächst  auf  das  Gleichzeitige, 
also  auf  die  Factoren  eines  gegebenen  Zustandes.  Daraus  ergibt 
sich,  dass,  obgleich  in  beiden  Fällen  die  Gesetze  übereinstimmen- 
den Formen  und  demnach  auch  übereinstimmenden  Ehincipien  psychi- 
scher Causalität  folgen,  doch  im  einzelnen  Fall  das  sociale  von 
dem  historischen  Gesetz  an  dem  Kriterium  der  Gleichzeitigkeit 
der  ursächlich  verbundenen  Factoren  zu  unterscheiden  ist.  Aller- 
dings führt  aber  auch  diese  Unterscheidung  wieder  dadurch  eine 
gewisse  Einschränkung  mit  sich,  dass  nicht  selten  eine  historische 
in  eine  sociale  Resultante  übergeht,  oder  dass  Relationen  und  Con- 
traste, die  sich  zunächst  in  geschichtlicher  Aufeinanderfolge  geltend 
machen,  dann  auch  noch  neben  einander  innerhalb  eines  gegebenen 
socialen  Zustandes  bestehen  bleiben.  Immerhin  werden  jedoch  in 
solchen  Fällen  ein  historisches  und  ein  sociales  Verhältniss  zu  unter- 
scheiden sein,  deren  Elemente  zwar  inhaltlich  übereinstimmen,  aber 
mittelst  der  verschiedenen  zeitlichen  Form  der  Verknüpfung  zu  son- 
dern sind.  Ein  zweiter  Unterschied,  der  sich  ohne  weiteres  aus  dem 
Zeitverhältniss  der  Factoren  ergibt,  besteht  sodann  darin,   dass  bei 


Sociale  Gesetze.  617 

den  streng  historischen  Gesetzen  immer  nur  eine  einseitige  causale 
Verknüpfung  möglich  ist,  in  welcher,  der  Zeitform  der  Begeben- 
heiten entsprechend ,  die  Ursachen  den  Wirkungen  vorausgehen, 
während  sich  namentlich  die  socialen  Relationen  und  Contraste  sehr 
häufig  zu  Wechselwirkungen  gestalten,  eine  Eigenschaft  durch 
die  der  Oesammteffect  der  Ursachen  wesentlich  gesteigert  wer- 
den kann. 

Nachdem  der  allgemeine  Charakter  der  Beziehungsgesetze  histo- 
rischer und  socialer  Erscheinungen,  ebenso  wie  ihr  Zusammenhang 
mit  den  psychologischen  Principien  der  schöpferischen  Synthese,  der 
beziehenden  Analyse  und  der  Contrastverstärkung  bereits  im  vorigen 
Capitel  (S.  408  ff.)  eingehend  erörtert  worden  ist,  vnrd  es  an  dieser 
Stelle  genügen,  für  jedes  dieser  G^etze  auf  ein  charakteristisches 
Beispiel  hinzuweisen.  Ich  entnehme  diese  Beispiele  der  Bevölke- 
rungs-  und  Wirthschaftslehre ,  weil  hier  derartige  Oesetzesformuü- 
rungen  bis  jetzt  die  grösste  Bedeutung  gewonnen  haben.  In  andern 
Gebieten,  wie  z.  B.  in  denen  der  Literatur  und  Kunst,  können 
übrigens,  wie  namentlich  manche  der  für  das  Princip  der  Contraste 
angeführten  Beispiele  (S.  413  f.)  lehren,  ohne  weiteres  die  Beziehungen 
der  Aufeinanderfolge  auch  in  solche  der  Gleichzeitigkeit  übergehen. 

Nach  dem  Gesetz  der  socialen  Resultanten  ist  ein  ge- 
gebener Zustand  im  allgemeinen  stets  auf  gleichzeitig'  vorhandene 
Componenten  zurückzuführen,  die  sich  in  ihm  zu  einer  einheitlichen 
Gesammtwirkung  verbinden.  Ein  Beispiel  eines  solchen  Gesetzes  ist 
das  so  genannte  Malthus'sche  Bevölkerungsgesetz.  Es  sagt 
aus,  die  Grösse  einer  Bevölkerung  sei,  sobald  eine  vollständige  Be- 
siedelung  des  Bodens  eingetreten  ist,  eine  Resultante  aus  deren  Yer- 
mehrungstrieb  und  aus  den  diesem  Triebe  entgegenwirkenden  Hem- 
mungen ,  derart  dass  die  Bevölkerungszahl  stets  die  Grenze  der 
Erhaltungsmöglichkeit  zu  erreichen  strebt  und  sobald  diese  erreicht 
ist  constant  bleibt'*').  Malthus  hat  dieses  Gesetz  nicht  ganz,  aber 
doch  vorzugsweise  durch  Speculation  gefunden.  Die  Anregung  zu 
dessen  Aufstellung  gab  nämlich  zunächst  die  aus  den  statistischen 
Ergebnissen  über  die  Bevölkerungszunahme  geschöpfte  Besorgniss 
einer  üebervölkerung  der  europäischen  Culturländer.   Um  diese  Frage 


*)  Vgl.  über  die  Formulirang  dieses  Gesetzes  bei  Malthus,  sowie  über 
die  Schicksale  desselben  in  der  späteren  Nationalökonomie  H.  Soetbeer,  Die 
Steüung  der  Socialisten  zur  Malthns^schen  Bevölkerungslehre,  1886.  F.  Fetter, 
Yenuch  einer  BevGlkerungslehre,  ausgehend  von  einer  Kritik  des  Malthus^schen 
BeTÖlkemngsprincips,  1894. 


618  Logik  der  GeseÜBchafts Wissenschaften. 

zu  prüfen,  analysirie  Malthus  logisch  die  positiven  und  negativen 
Bedingungen  der  BeTölkerungszunahme.  Er  fand  sie  gegeben:  1)  in 
dem  Fortpflanzungstrieb,  2)  in  der  durch  die  Bewirthscbaftung  des 
Bodens  gewährten  Emährungsmöglicbkeit,  und  3)  in  den  theils  durch 
moralische  Selbstbeschr'änkung  theils  durch  Laster  und  Elend  ent- 
stehenden Hemmungen  der  Fortpflanzung.  Aus  diesen  drei  (Kom- 
ponenten muss  in  der  That,  wenn  man  von  Auswanderung,  Einfuhr, 
kurz  von  allen  äusseren  Einflüssen  absieht,  nothwendig  die  Bevolke- 
rungsgrösse  resultiren,  da  einerseits  nur  so  viele  Menschen  leben 
können,  als  der  Boden  zu  ernähren  vermag,  und  da  anderseits  die 
moralische  und  physische  Lage  der  Bevölkerung  fortwährend  auf 
ihre  Zunahme  theils  vorbauend  theils  nachträglich  regulirend,  durch 
Abkürzung  der  Lebenszeit,  einwirkt.  Die  Bedeutung  der  Aufstel- 
lung des  Gesetzes  bestand  nun  darin,  dass  es  diese  unter  dem  Be- 
griffe der  „Hemmungen*  zusammengefassten  Einflüsse  als  ein  Mittel 
der  Selbstregulirung  betrachten  lehrte,  durch  das  jederzeit  eine  that- 
sächliche  üebervölkerung  unmöglich  gemacht  werde,  da,  sobald  die 
Bevölkerung  die  Grenze  der  Emährungsmöglichkeit  erreicht  habe, 
eben  durch  jene  Hemmungen,  günstigen  Falls  durch  die  vorbauenden 
moralischen,  jedenfalls  aber,  falls  sie  nicht  zureichen,  durch  die  re- 
pressiven von  Mangel  und  Laster,  Gleichgewicht  eintreten  müsse. 
Damit  es  überhaupt  zu  einer  solchen  Selbstregulirung  komme,  dazu 
ist  jedoch  erforderlich,  dass  die  beiden  primären  Bedingungen  der 
Bevölkerungszunahme,  die  Fortpflanzung  der  menschlichen  Gattung 
und  das  Wachsthum  der  Unterhaltsmittel  durch  die  Cultur  des  Bodens, 
im  allgemeinen  nicht  gleichen  Schritt  mit  einander  halten  köimen, 
sondern  dass  die  erstere  eine  stärkere  Wachsthumstendenz  hat  als 
die  zweite.  Malthus  suchte  das  nachzuweisen,  indem  er  jede  dieser 
Componenten  für  sich  allein  in  Betracht  zog.  Dann  ist  es  zweifel- 
los, dass,  wenn  die  moralischen  und  physischen  Eigenschaften  der 
Bevölkerung  constant  angenommen  werden,  und  wenn  man  von  der 
Ernährungsmöglichkeit  völlig  abstrahirt  d.  h.  sie  als  unbegrenzt 
voraussetzt ,  die  Bevölkerung  in  einer  geometrischen  Progression 
wachsen  müsste:  hätte  sie  sich  z.  B.  in  25  Jahren  verdoppelt*),  so 


*)  Malthus  hat  in  der  That,  auf  Beobachtungen  Über  die  Bevölkerungs* 
zunähme  in  den  neu  colonisirten  amerikanischen  Gebieten  gestützt»  angenommen« 
dass  sich  eine  Bevölkerung  mit  unbeschränkter  Fortpflanzongsföhigkeit  in  25  Jahren 
verdopple.  Die  Einwände  gegen  diese  wahrscheinlich  irrige  und  möglicher  Weise 
fQr  verschiedene  Rassen  durchaus  nicht  identische  Zahl  berühren  aber  natürlich 
das  Malthus'sche  Gesetz  als  solches  gar  nicht. 


Sociale  Gesetze.  619 

würde  sie  sich  in  50  vemerf achen ,  in  75  verachtfachen  u.  s.  w. 
Wollte  man  nun  etwa  ebenso  die  mögliche  Steigerung  der  Ernäh- 
rnngsmöglichkeit  bestimmen,  so  müsste  man  dem  entsprechend  einen 
Boden  voraussetzen,  zu  dessen  Bearbeitung  fortwährend  beliebig  viele 
Arbeitskräfte  zum  Behuf  der  Steigerung  seines  Ertrags  zur  Ver- 
fQgung  stünden.  Dann  würde  aber  immer  noch  diese  Steigerung 
von  der  Möglichkeit  dem  Boden  die  ihm  entzogenen  Stoffe  wieder- 
zuersetzen  abhängig  sein.  Malthus  nahm  an,  dass  eine  solche  Steige- 
rung der  Ertragsfähigkeit  allerhöchsten  Falls  in  der  Form  einer 
arithmetischen  Progression  möglich  sei  —  eine  Annahme  die  natür- 
lich durchaus  willkürlich  ist,  wie  denn  überhaupt  fttr  diese  Steige- 
rung ein  irgend  regelmässiges  Gesetz  gar  nicht  existiren  kann,  weil 
sie  zumeist  von  Erfindungen  der  landwirthschaftlichen  Technik,  der 
Chemie  u.  s.  w.  abhängt,  die  in  einzelnen  Momenten  eine  plötzliche 
Veränderung  bedingen  können,  während  dann  wieder  die  Verhält- 
nisse während  längerer  Zeit  stabil  bleiben.  Aber  offenbar  hängt 
der  wesentliche  Inhalt  des  Malthus'schen  Gesetzes  nur  davon  ab, 
dass  die  Voraussetzung,  die  Tendenz  zur  Bevölkerungszunahme  über- 
treffe ,  sobald  eine  gewisse  Grenze  erreicht  ist ,  die  Tendenz  zur 
Steigerung  des  Bodenertrags,  im  allgemeinen  richtig  ist.  Die  Frage, 
ob  irgendwo  in  einem  gegebenen  Fall  diese  Grenze  ganz  oder  nahe- 
zu erreicht  sei,  oder  ob  durch  eine  wichtige  Entdeckung  irgend 
einmal  eine  weitere  Hinausschiebung  derselben  erfolge,  ebenso  ob 
dazwischen  tretende  historische  Ereignisse  oder  grosse  sociale  Re- 
volutionen Veränderungen  hervorbringen,  ist  hier  ganz  irrelevant, 
und  die  meisten  der  in  diesem  Sinne  gegen  das  Malthus'sche  Gesetz 
erhobenen  Einwände  übersehen  durchaus  den  Charakter  desselben 
als  eines  , Maximalgesetzes*,  das  eben  wegen  der  ungeheuer  wandel- 
baren Bedingungen  seines  Zusammenwirkens  mit  andern  socialen 
Gesetzen  nur  fttr  die  allgemeine  Richtung  der  Bevölkerungsbewegung 
massgebend  sein  kann*).    In  dieser  Beziehung  verhält  es  sich  eben 

*)  Manche  jener  Einwände  beruhen  übrigens  auf  offenbaren  Missverständ- 
nissen  und  operiren  nebenbei  selbst  mit  den  Voraussetzungen  des  Malthus'schen 
Gesetzes.  Der  Versuch,  ein  specielles  Populationsgesetz  für  eine  bestimmte 
ökonomische  Lage  der  Bevölkerung  aufzustellen,  wie  ihn  Marx  gemacht  hat 
(Capital,  I,  4.  Aufl.,  S.  598),  schUesst  an  und  fQr  sich  nicht  das  Malthus*sche 
Gesetz  aus,  da  er  sich  nur  auf  die  besondere  Vertheilung  der  Bevölkerungs- 
zunahme Über  die  verschiedenen  Glassen  der  Bevölkerung  bezieht.  Eine  un- 
gerechtfertigte Anwendung  machte  dagegen  Las s alle  in  seinem  „Lohngesetz* 
von  dem  Malthus*schen  Gesetze,  indem  er  die  Annahme  einer  begrenzten  Ver- 
mehrungsfähigkeit der  Subsistenzmittel  von  dem  Boden  auf  den  Arbeitslohn 


620  Logik  der  GesellschaftswiBsenschaften. 

mit  den  socialen  nicht  anders  als  mit  den  historischen  Beziehungs- 
gesetzen:  sie  entspringen  Abstractionen,  die  überall  nur  eine  be- 
stimmte  Seite  der  Erscheinungen  ins  Auge  fassen,  neben  der  andere 
Seiten  und  Vorgänge,  die  aus  sonstigen  Bedingungen  herrorgehen, 
nicht  fehlen.  Wenn  solche  bei  dem  richtig  yerstandenen  Malthus- 
schen  Gesetze  sogar  verhältnissmässig  wenig  in  Betracht  kommen, 
so  hat  dies  seinen  Grund  in  der  sehr  allgemeinen  Fassung  desselben, 
die  es  namentlich  gestattet,  unter  jenen  Elementen  der  Selbstregu- 
lirung,  die  es  als  hemmende  Factoren  betrachtet,  die  yerschiedensten 
Einflüsse ,  und  darunter  auch  manche  zu  yerstehen ,  die  in  ihrem 
Effect  mit  den  „ moralischen '^  Hemmungen  zusammentreffen,  ohne 
als  solche  irgendwie  zum  Bewusstsein  zu  kommen:  so  z.  B.  die  von 
der  Sitte  ausgehende  Regelung  der  Yerheirathung  oder  die  ver- 
mindernde Wirkung,  die  angestrengte  physische  und  geistige  Arbeit 
auf  den  Fortpflanzungstrieb  ausübt. 

Das  Gesetz  der  socialen  Relationen  bezieht  sich  auf 
die  Erfahrung,  dass  jede  wichtigere  sociale  Erscheinung  mit  andern 
gleichzeitigen  Erscheinungen  des  gesellschaftlichen  Lebens  in  einer 
Wechselbeziehung  steht,  vermöge  deren  sie  mit  diesen  zusanunen 
ein  Ganzes  bildet,  in  welchem  sich  der  Gesammtcharakter  des  all- 
gemeinen socialen  Zustandes  mehr  oder  minder  deutlich  ausprägt. 
Als  ein  Beispiel  solcher  socialer  Relationen  mag  das  von  E.  Marx  auf- 
gestellte Gesetz  des  Mehrwerthes  dienen*).  Dieses  Gesetz 
sagt  aus,  dass  die  geldcapitalistische  Waarenproduction  die  Tendenz 
hat  einen  Mehrwerth  an  Geld  zu  erzeugen ,  welcher  nur  dadurch 
entstehen  kann,  dass  die  Arbeit  der  die  Waare  erzeugenden  Arbeiter 
während  einer  längeren  Zeit  in  Anspruch  genommen  wird,  als  der 
zu  ihrer  Lebenserhaltung  erforderlichen  und  in  ihrem  Arbeitslohn 
repräsentirten  Arbeitszeit  entspricht,   so  dass  demnach  der  ,Mehr- 


übertrog  und  demgemäss  annahm,  der  Lohn  and  die  Vermehrong  durch  Fort^ 
Pflanzung  hielten  sich  stets  derart  das  Gleichgewicht,  dass  der  Lohn  gerade  för 
die  Fristung  der  Existenz  genüge.  In  der  neueren  socialistischen  Literatur 
pflegt  man  dem  Malthus'schen  Qesetz  im  allgemeinen  die  sehr  optimisÜBche 
Vorstellung  einer  unbegrenzten  Zunahme  der  ExistensmOglichkeit  durch  die 
Fortschritte  der  Wissenschaft  und  Technik  entgegenzuhalten,  eine  Annahme  die, 
wie  so  manche  andere  ähnlicher  Art,  zu  den  utopischen  Zukunftsträumen  gehört, 
die  in  der  wirklichen  Socialwissenschaft  ebenso  wenig  eine  Stütze  finden  wie 
die  auf  das  zukünftige  Ziel  der  Geschichte  gerichteten  Speculationen  der  früheren 
Qeschichtsphilosophie  in  der  wirklichen  Geschichte. 

♦)  K.  Marx,  Das  Capital,  4.  Aufl.,  I,  1890,  S.  109,  276  ff..   IV,  1894, 
S.  15  ff. 


Sociale  Gesetze.  621 

werth*,  den  das  Capital  erzielt,  in  nichts  anderem  als  in  dem  Er- 
trag eben  dieser  überschüssigen  Arbeitszeit  besteht.  Dieses  Gesetz 
hat  den  Charakter  eines  Relationsgesetzes:  es  stellt  die  Capitalver- 
mehrung  und  die  Steigerung  der  Arbeitszeit  über  das  zur  Selbst- 
erhaltung des  Arbeiters  erforderliche  Mass  als  zwei  correlative  Vor- 
gänge dar,  von  denen  zwar  der  eine,  nämlich  der  Capitalzuwachs, 
insofern  er  als  bereits  eingetreten  angesehen  wird,  die  Wirkung  des 
andern,  der  gesteigerten  Arbeitszeit,  ist,  wo  aber  auch,  wenn  man 
die  causale  Beziehung  der  zu  Grunde  liegenden  Tendenzen  ins  Auge 
fasst,  umgekehrt  die  Gapitalyermehrung,  da  sie  der  zu  erreichende 
Zweck  ist,  als  der  verursachende  Trieb  betrachtet  werden  muss,  der 
die  Zunahme  der  Arbeitszeit  erstrebt.  Da  sich  nun  dieser  Process, 
so  lange  nicht  äussere  zufällige  Hemmungen  eintreten ,  ins  unbe- 
grenzte fortsetzt,  so  werden  jene  Factoren  fortan  in  solcher  Wechsel- 
wirkung mit  einander  stehen,  dass  der  eine  Vorgang  den  andern 
und  dieser  wieder  den  ersten  steigert.  Marx  hat  dieses  Gesetz 
durch  eine  beziehende  Analyse  dargethan,  welche  deutlich  die  schon 
bei  der  historischen  Form  des  gleichen  Gesetzes  hervorgehobene 
psychologische  Wurzel  desselben  erkennen  lässt  (S.  412).  Indem  er 
ausgeht  von  dem  Begriff  des  ursprünglichen  Tauschhandels,  bei  dem 
Waare  und  Waare  stets  einander  äquivalent  bleiben  {W —  TT),  er- 
gibt sich  als  nächste  Stufe  der  Waarentausch  unter  Vermittelung  des 
Geldes,  wo  nicht  Waare  für  Waare,  sondern  Waare  für  Geld  und 
dann  wieder  Geld  fOr  Waare  getauscht  wird  (nach  dem  Schema 
W  —  G  —  TT),  in  welchem  Falle  abermals  die  Bedingung  erfüllt  ist, 
dass  die  einzelnen  Glieder  des  Processes  einander  äquivalent  sind. 
Sobald  nun  aber  das  Geld  nicht  mehr  als  blosses  Tauschmittel,  son- 
dern zugleich  ab  Hülfsmittel  zur  Erzeugung  von  Waare  benützt 
wird,  so  nimmt  es  die  Form  des  Capitals  an,  und  der  vorige  Pro- 
cess tritt  jetzt  in  der  veränderten  Form  auf,  dass  nicht  für  Waare 
Geld  und  für  Geld  wiederum  Waare,  sondern  dass  für  Geld  Waare 
und  für  diese  abermals  Geld  eingetauscht  ¥rird  {G  —  W  —  G). 
Hierbei  ist  dann  stets  die  als  mittleres  Glied  des  Processes  auf- 
tretende Waare  die  menschliche  Arbeitskraft  bez.  die  in  irgend  einer 
Waarenform  verdichtete  menschliche  Arbeitskraft.  Nun  würde  aber 
jeder  Antrieb  zur  Einleitung  eines  derartigen  Tauschprocesses  fehlen, 
wenn  bei  demselben  ebenso  wie  bei  dem  ursprünglichen  Tausch  alle 
einzelnen  Glieder  einander  äquivalent  blieben.  Das  einzige  Motiv  zu 
einem  Geldaufwand,  der  die  Herstellung  einer  Waare  bezweckt,  die 
selbst  wieder  in  Geld  umgetauscht  werden  soll,  kann  vielmehr  nur 


622  Logik  der  GesellBchaftawissenschaften. 

darin  liegen,  dass  Aussieht  vorhanden  ist,  durch  die  Waare  mehr 
Geld  zu  gewinnen,  als  zu  ihrer  Herstellung  gebraucht  wurde.  Die 
Formel  des  capitalistischen  Productionsprocesses  lautet  daher: 
e_  TT— G',  wo  G'=G  +  8G  ist,  8 C?  also  den  durch  die  Waare  TT 
oder  yielmehr  durch  die  in  ihr  verdichtete  Arbeitszeit  gewonnenen 
Mehrwerth  bezeichnet. 

Dass  auch  dieses  Gesetz,  wie  alle  socialen  und  historischen 
Beziehungsgesetze,  auf  einer  Abstraction  beruht,  dass  es  sich  also 
nur  auf  gewisse  Erscheinungen  der  capitalistischen  Production  be- 
zieht, ist  ohne  weiteres  einleuchtend.  Erstens  berücksichtigt  es,  was 
hier  unerheblicher  ist,  das  Capital  nur  in  der  Form  des  Geldcapitals, 
nicht  als  Capital  an  Productionsmitteln ;  zweitens  aber  abstrahirt  es 
davon,  dass  in  sehr  vielen  Fällen  der  das  Geldcapital  beigebende 
Producent  selbst  mit  seiner  Arbeit  wesentlich  in  den  Productions- 
process  eingreift  und  durch  diese  Arbeit  unter  Umstanden,  wie  z.  B. 
bei  gewissen  ein  hohes  Mass  von  Erfindungskraft  voraussetzenden 
technischen  Unternehmungen,  die  Erzielung  von  Mehrwerth en  erst 
möglich  macht,  worauf  dann  diese  wieder  bei  günstiger  Organisation 
der  Arbeit  nicht  ihm  allein,  sondern  zu  einem  mehr  oder  weniger 
erheblichen  Theil  auch  den  Arbeitern  zu  gute  kommen  können.  Das 
Gesetz  in  der  von  Marx  aufgestellten,  Capital  und  Arbeit  absolut 
von  einander  trennenden  Form  ist  also  auch  innerhalb  der  heutigen 
Productionsweise  nicht  von  allgemeingültiger  Bedeutung.  Dass  es 
aber  als  ein  Gesetz  neben  andern  gilt,  und  dass  es  sogar  in  zahl- 
reichen einzelnen  Fällen  im  wesentlichen  unvermischt  zur  Geltung 
kommt,  daran  lässt  sich  allerdings  nicht  zweifeln.  In  dieser  Be- 
ziehung gleicht  es  vollständig  dem  Malthus'schen  Gesetz;  nur  dass 
hier  und  dort  die  Abstraction  einen  verschiedenen  Weg  nimmt.  Das 
Bevölkerungsgesetz  ist,  unter  der  bei  ihm  stets  festzuhaltenden  Vor- 
aussetzung einer  vollständigen  Bodenbesiedelung,  ein  allgemeines, 
aber  in  Folge  der  Concurrenz  mit  andern  Gesetzen  und  mit  singu- 
lären  historischen  Ereignissen  in  der  Regel  nur  annähernd,  d.  h.  in 
der  Form  einer  Grenzbestimmung  gültig.  Das  Gesetz  von  Marx 
ist  für  zahlreiche  Productionsbetriebe  unbedingt,  ffir  andere  in  be- 
dingter oder  partieller  Weise  und  endlich  für  noch  andere  überhaupt 
gar  nicht  oder  wenigstens  nicht  in  dem  von^arx  damit  verbundenen 
Sinne  einer  absoluten  Trennung  von  Capital  und  Arbeit  gültig. 
Daraus  ergeben  sich  vor  allem  wichtige  praktische  Unterschiede. 
Das  Malthus'sche  Gesetz  kann  vernünftigerweise  nur  insofern  zu 
praktischen  Nutzanwendungen  Anlass  geben,   als  man  entweder  der 


Sociale  Gesetze.  623 

unvermeidlichen  Selbstregulirung  der  Bevölkerungszahl  durch  äussere 
Mittel,  z.  B.  durch  Begünstigung  einer  zv^eckmässig  geleiteten  Aus- 
wanderung namentlich  auf  dem  Wege  der  Colonisation  unbebauter 
Gebiete  oder  durch  Eröffnung  von  Emährungsquellen ,  die  von  dem 
bewohnten  Boden  unabhängig  sind,  auf  dem  Wege  der  Industrie 
und  des  Handels,  zuvorkommt,  oder  dass  man,  wo  diese  Hülfsmittel 
versagen,  wie  das  bei  zunehmender  Verbreitung  des  Menschen  über 
die  Erde  und  wachsendem  Industrialismus  aUer  Nationen  nothwendig 
allmählich  eintreten  muss,  nun  unter  jenen  Mitteln  der  Selbstregu- 
lirung den  freien  und  moralischen  die  Vorherrschaft  über  die  ge- 
zwungenen und  unmoralischen  zu  verschaffen  sucht.  Anders  bei  dem 
Marx'schen  Gesetze.  Hier  kann  die  einzige  praktische  Nutzanwendung 
nur  darin  liegen,  dass  man  es  als  eine  Aufgabe  der  Staats wirthschaft- 
lichen  Entwicklung  betrachtet,  diejenigen  Productionen ,  auf  die  das 
Princip  der  Erzeugung  von  Mehrwerth  mittelst  fremder  Arbeit  in 
unvennischter  Form  Anwendung  findet,  zu  beseitigen,  also  aus  der 
individualistischen  entweder  in  eine  corporative  oder  in  eine  staatlich 
geleitete  Productionsform  überzuführen.  Auch  dann  wird  freilich, 
so  lange  überhaupt  der  privatwirthschaftlichen  Freiheit  der  für  die 
freie  Entwicklung  der  individuellen  Persönlichkeit  unerlässliche  Spiel- 
raum bleiben  soll,  das  Gesetz  der  Mehrwerthe  seine  Geltung  be- 
halten, wenngleich  vielleicht  nirgends  mehr  ausschliesslich,  aber  doch 
in  der  Goncurrenz  mit  andern,  zum  Theil  entgegengesetzt  wirkenden 
Bedingungen.  Der  letzte  Grund  dieser  partiellen  Geltung  ist  jedoch 
hier,  ebenso  wie  bei  bem  Malthus'schen  Gesetze,  die  so  oft  über- 
sehene Thatsache,  dass  alle  diese  fundamentalen  Wirthschaftsgesetze 
in  den  allgemeingültigen  psychischen  Eigenschaften  der  menschlichen 
Natur  ihre  Quellen  haben,  was  eben  darin  zum  Ausdruck  kommt, 
dass  sie  lediglich  Anwendungen  allgemeinster  psychologischer  Prin- 
cipien  sind.  Wie  die  sänuntlichen  in  das  Malthus'sche  Gesetz 
eingehenden  Factoren,  der  Fortpflanzungstrieb,  der  Nahrungstrieb 
und  die  Selbstregulirungen  zwischen  diesen  beiden  Grundtrieben  des 
Menschen,  nur  dadurch  wirksam  werden  können,  dass  sie  als  psychische 
Motive  das  menschliche  Handeln  bestimmen,  so  sind  bei  dem  Marx- 
schen  Gesetze  der  Trieb  nach  eigener  Förderung  in  der  ökonomischen 
Form  des  Strebens  nach  Gewinn  sowie  auf  der  andern  Seite  das  in 
mancherlei  Lust-  wie  ünlustgefühlen  sich  kundgebende  zwingende 
Bedürfhiss  das  eigene  Leben  zu  erhalten  schliesslich  die  wirklichen, 
freilich  mit  mancherlei  äusseren  Bedingungen  innig  verwobenen  Ele- 
mente des  Geschehens.   Je  unveräusserlicher  die  psychischen  Eigen- 


624  Logik  der  GeseUschaftowiasenschaften. 

Schäften  sind,  die  hier  in  Frage  kommen,  um  so  weniger  wird  aber 
an  eine  absolute  Aufhebung  der  Gesetze,  in  denen  sich  jene  Eigen- 
schaften äussern,  jemab  gedacht  werden  können. 

Dem  Gesetz  der  socialen  Gontraste  lassen  sich  alle 
diejenigen  Vorgänge  des  socialen  Lebens  unterordnen,  bei  denen 
bestimmte  Erscheinungen  durch  ihren  Gegensatz  zu  andern  Toran- 
gegangenen  oder  gleichzeitigen  Erscheinungen  gesteigert  werden. 
Wie  bei  den  historischen  Gontrasten,  denen  diese  Erscheinungen  voll- 
ständig entsprechen  (S.  413  ff.),  so  pflegen  auch  hier  zwar  die  Anlasse 
zur  Entwicklung  der  Gegensätze  äussere  zu  sein;  die  wirkliche  Er- 
klärung der  Gegensätze  selbst  führt  aber  auf  die  allgemeinsten  Eigen- 
schaften des  GefiLhlslebens  zurück.  Zugleich  ist  in  diesem  Fall  die 
Beziehung  zu  den  analogen  historischen  Erscheinungen  noch  eine 
engere  als  bei  den  beiden  Torangegangenen  Gesetzen,  weil  auch  die 
socialen  Gontraste  insofern  eine  geschichtUche  Form  annehmen,  als 
gegensätzliche  GefQhle,  wie  in  dem  einzelnen  Bewusstsein,  so  nicht 
minder  in  einer  Gemeinschaft  vieler  Individuen  nicht  gleichzeitig 
sondern  successiv  aufzutreten  pflegen.  Das  ist  aber  in  jener  Einheit 
der  Geftthlslage  begründet,  die  es  unmöglich  macht  gleichzeitig  ent- 
gegengesetztes zu  wollen,  eine  Einheit  die  vermöge  der  überein- 
stimmenden Lebensbedingungen  in  gevrissem  Grade  immer  auch 
für  die  sociale  Gemeinschaft  gültig  ist.  Nichts  desto  weniger  wird 
man  nun  solche  Gontrasterscheinungen,  deren  wesentliche  Bedeutung 
ganz  und  gar  auf  socialem  Gh)biete,  nicht  oder  doch  nur  in  weit 
zurücktretendem  Masse  auf  historischem  lieget,  eben  darum  dem 
socialen  Gontrastgesetze  zuzählen  können.  An  sich  sind  eben  auch 
hier  die  Gesetze  social  und  historisch  zugleich,  aber  das  Schwer- 
gewicht fallt  in  diesem  Fall  auf  die  sociale  Seite. 

Ein  charakteristisches  Gontrastgesetz  in  diesem  Sinne  ist  das 
Gesetz  der  ökonomischen  Krisen.  Der  Ausdruck  «Krisen*, 
der  bekanntlich  den  so  genannten  Krankheitskrisen  der  Medidn  ent- 
nommen wird,  ist,  angewandt  theils  auf  allgemeine  ökonomische 
theils  auf  specielle  Börsen-,  Handels-,  Productions  und  andere  Krisen, 
deshalb  vor  allem  ein  unzutreffendes  Bild,  weil  die  Krankheitskrisis 
ein  einmaliger,  die  ökonomische  ICrise  dagegen  in  allen  Fällen  ein 
periodisch  wiederkehrender  Process  ist.  Das  erhellt  aus  der  folgenden 
Gharakteristik  ihrer  einzelnen  Stadien,  wie  sie  ziemlich  überein- 
stimmend von  Nationalökonomen  der  verschiedensten  Richtung  ge- 
geben wird:  „Ruhezustand,  Geschäftszunahme,  wachsendes  Vertrauen, 
günstiger  Erfolg,   Aufregung,   Ueberstürzung,  Druck,   Stockungen, 


Sociale  Gesetze.  625 

l^oili,  Wiedereintritt  des  Ruhezustandes*'*').  Mit  dem  seinem  Anfang 
gleichenden  Endstadium  pflegt  dann  der  Process  nach  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  von  neuem  zu  beginnen.  Dabei  ist  freilich  die  Perio- 
dicitöt  keine  regelmässige.  Aber  bei  den  allgemeinen  Krisen  zeigt 
sich  doch  darin  eine  einigermassen  regelmässige  Tendenz  der  Ver*  • 
änderung,  dass  sich  die  Dauer  der  Krisen  seit  dem  vorigen  Jahr- 
hundert fortschreitend  verlängert  hat'*''*').  Man  pflegt  die  Krisen  als 
noth wendige  Uebel  des  Wirthschaftslebens,  mindestens  bei  den  heutigen 
Grundsätzen  desselben,  und  vor  allem  als  nothwendige  Folgen  einer 
wenn  auch  nur  partiellen  Herrschaft  der  Grundsätze  des  ökonomischen 
Liberalismus  anzusehen.  Als  nächste  Ursachen  derselben  betrachtet 
man  aber  die  mangelnde  Voraussicht  und  Umsicht,  wobei  die  erstere 
um  so  schwieriger  werde,  je  mehr  allmählich  die  Volkswirthschaft 
einer  Weltwirthschaft  Platz  mache*'*''*').  Aber  so  zweifellos  diese  Ur- 
sachen mitwirken,  so  würden  sie  allein  doch  den  vorhin  geschilderten 
Verlauf  nicht  erklären.  Denn  dieser  lässt  deutlich  erkennen,  dass 
in  der  Aufeinanderfolge  der  Erscheinungen  Gefühle  und  Affecte  eine 
Hauptrolle  spielen.  Der  Erregung  folgt,  wie  überall  im  Gefühlsleben, 
auch  hier  Depression,  eine  Depression  die  um  so  tiefer  geht,  je  höher 
vorher  die  Leidenschaft  gesteigert  war.  Und  diese  Gefühlsmomente 
verstärken  nicht  etwa  bloss  die  Erscheinungen,  sondern  es  ist  leicht 
zu  sehen,  dass  sie,  natürlich  in  enger  Verbindung  mit  den  ent- 
sprechenden intellectuellen  Processen,  an  ihrer  Entstehung  wesentlich 
mitwirken.  Ohne  «den  Trieb  nach  Gewinn,  der  zuerst  zur  Leiden- 
schaft wird,  un^dann,  sobald  sich  die  Symptome  des  Misserfolgs 
einstellen,  plötzlich  in  Furcht  umzuschlagen,  würde  jener  intellectuelle 
Mangel  an  Voraussicht  gar  nicht  zur  Geltung  kommen.  Das  Krisen- 
gesetz ist  also  augenscheinlich  ein  Gontrastgesetz,  und  es  gilt  in  dem 
nämlichen  Sinne  wie  alle  diese  socialen  Beziehungsgesetze,  unter  dem 
Vorbehalt  nämlich,  dass  noch  weitere  Bedingungen  in  die  Erscheinungen 
eingreifen,  die  andern  Principien,  namentUch  dem  der  Resultanten 
und  der  Relationen,  zu  subsumiren  sind.  Wie  diese  Gesetze,  so  ist  aber 
auch  das  Gontrastgesetz  in  seiner  Anwendung  auf  das  sociale  Gebiet 
nichts  anderes  als  eine  besondere  Anwendung  des  entsprechenden  all- 


*)  Vgl.  H.  Herkner,  Art.  Krisen  im  Handwörterbuch  der  Staatswissen- 
schaften, IV,  S.  891. 

**)  L.   Brentano,    Ueber  die  Ursachen   der  heutigen   socialen   Noth. 
1889,  S.  19. 

***)  Vgl.  z.  6.  Schäffle,  Bau  und  Leben  des  socialen  Köipers,  UI,  S.  431  fL 

Brentano  a.  a.  0. 

Wandt,  Logik.  II,  2.    s.  Aufl.  40 


626  Logik  der  Gesellschaftswissenschaften. 

gemeineren  psychologischen  Princips.  In  der  Concurrenz  dieser  Prin- 
cipien  macht  das  Gontrastgesetz  namentlich  dann  seine  Wirkungen 
geltend,  dass  es  die  aus  den  andern  Gesetzen  abgeleiteten  Ergebnisse 
und  Voraussagen  abändert  oder  völlig  in  ihr  Gegentheil  umwandelt. 
Besonders  sind  es  politische  Constellationen,  die  dem  Walten  des 
Contrastes  durch  die  wechselnde  Erregung  von  Furcht  und  Ho&ung 
günstig  sind,  und  wo  jener  sich  freilich  zugleich  nicht  bloss  wegen 
der  singulären  Natur  der  geschichtlichen  Ereignisse  sondern  auch 
wegen  der  nie  zu  übersehenden  Steigerung  der  Gefilhlswirkungen 
jeder  Vorausberechnung  zu  entziehen  pflegt.  Darum  spiegeln  sich 
z.  B.  in  den  Börsencursen  nur  mittelbar  die  Veränderungen  der 
ökonomischen  und  poUtiscben  Lage.  Unmittelbar  aber  haben  die- 
selben die  Bedeutung  eines  Geftthlsbarometers,  auf  dessen  Schwan- 
kungen das  Gontrastgesetz,  gemäss  den  allgemeinen  Bedingungen 
des  Gefühlswechsels,  einen  entscheidenden  Einfluss  ausübt. 

Sind  in  allen  diesen  Beziehungen,  in  ihren  Formen  wie  in  ihren 
letzten  Bedingungen,  die  socialen  und  die  historischen  Gesetze  durch- 
aus einander  verwandt  und  nicht  selten  sogar  im  einzelnen  Fall  nicht 
von  einander  zu  trennen,  so  kommt  nun  aber  dazu  auf  soci^em 
Gebiet  noch  eine  Glasse  weiterer  Gesetze,  denen  in  der  GFeschichts- 
wissenschaft  nichts  analoges  gegenübersteht.  Dies  sind  solche  Gesetze, 
die  nicht  bloss,  oder  die  sogar  nur  in  untergeordneter  Weise  ein  Sein, 
sondern  die  zugleich  und  in  erster  Linie  ein  Sollen  ausdrücken, 
Gesetze  die  wir  wegen  dieses  ihres  befehlenden  Gharakters  als  Normen 
oder  auch  als  Normgesetze  bezeichnen. 

d.   Die  socialen  Normen. 

Frühe  schon  hat  die  ^^Norm"  gegenüber  dem  „Gesetz*  die 
Bedeutung  einer  bindenderen  und  daher  höherstehenden  Regel  an- 
genommen. Bezeichnet  das  Gesetz,  die  Lex,  ursprünglich  die  ein- 
zelne Vorschrift,  die  innerhalb  der  bürgerlichen  Rechtsordnung  Geltung 
hat,  so  ist  die  Norm  die  ungeschriebene,  aber  in  dem  allgemeinen 
Rechtsbewusstsein  begründete  Regel,  die  zugleich  die  Quelle  des 
Gesetzes  isf*").   Nachdem  nun  vollends  der  Begriff  des  Gesetzes  durch 


*)  »Nonü"  und  , Gesetz*  sind,  das  erste  durch  unmittelbare  Aufiiahme, 

das  zweite  durch  freie  üebersetzung  in  die  Sprache  der  deutschen  Wissenschaft 

an  die  Stelle  der  römischen  Begriffe  Norma  und  Lex  getreten.    Die  Stellung 

.beider  Begriffe  im  Lateinischen  bezeichnet  deutlich  der  Ciceronische  Satz:  .Natura 

norma  legis  est*  —  ein  Satz,  in  dem  bereits  der  Grundgedanke  des  Naturrechta 


Sociale  Nonnen.  627 

seine  früher  (S.  130)  geschilderte  allmähliche  Ausbreitung  über  die 
theoretischen  Wissenschaftsgebiete  jene  Verallgemeinerung  erfahren 
hatte,  durch  die  ihm  die  einstige  Bedeutung  einer  Regel  für  das 
menschliche  Handeln  genommen  war,  trat  überall  da,  wo  jener  einstige 
Begri£F  des  Gesetzes  als  einer  Willensv^orschrift  gegenüber  dem  neu 
Ton  der  Naturwissenschaft  ausgebildeten  eines  regelmässigen  Ver- 
hältnisses von  Erscheinungen  deutlich  zum  Ausdruck  gebracht  werden 
soUte,  der  Begriff  der  Norm  ergänzend  in  die  entstandene  Lücke 
ein.  Norm  in  diesem  im  wesentlichen  erst  durch  die  Bedeutungs- 
differenzirung  gegenüber  dem  Gesetze  entstandenen  Sinn  ist  demnach 
jede  Regel,  die  sich  an  das  innere  oder  äussere  Handeln,  das  Denken 
oder  Thun  des  Menschen  wendet,  indem  sie  sagt,  was  dieses  Handeln 
erstreben  oder  vermeiden  soll.  Normen  in  dieser  allgemeinsten  Be- 
deutung gibt  es  daher  in  allen  den  Wissenschafken,  die  neben  der  theo- 
retischen zugleich  eine  praktische  Seite  haben,  wenn  man  es  auch 
meistens  vorzieht  den  Ausdruck  auf  die  fundamentaleren  Willens- 
gebote zu  beschränken,  und  daher  zwar  von  logischen,  ethischen, 
rechtlichen  Normen,  dagegen  von  grammatischen,  technischen  Regeln 
und  bei  den  veränderlicheren  Rechtsnormen  von  Gesetzen  und  Ver- 
ordnimgen  zu  reden.  Immerhin  haben  auch  solche  relativ  unter- 
geordnete Vorschriften  den  allgemeinen  Charakter  von  Normen.  Ihr 
Unterschied  von  den  wichtigeren  Normen  liegt  überall  nur  darin, 
dass  sie  blosse  Hülfs normen  sind,  die  der  besonderen  Anwendung 
gewisser  Grundnormen  und  ihrer  Verbindung  mit  den  Bedürfnissen 
des  praktischen  Lebens  dienen,  eine  Vermittlerrolle  die  ihnen  dann 
zugleich  im  allgemeinen  wandelbarere  Eigenschaften  verleiht,  als  sie 
den  Grundnormen  zukommen'*'). 

Geschichte  und  Sociologie  bieten  nun  darin  ein  wesentlich  ver- 
schiedenes Verhalten   dar,   dass  der  Geschichte  als  solcher  der  Be- 


anklingt, nnr  dass  freilich  der  Begriff  der  «Natur"  bei  den  römischen  Juristen 
eine  etwas  andere  Bedeutung  hatte,  als  bei  den  Vertretern  der  späteren  Natur- 
rechtstheorie. Darin,  dass  in  erster  Linie  Rechtsbegriffe  durch  Verallgemeine- 
rung und  üebertragung  die  philosophische  Terminologie  bestimmt  haben,  wirken 
Oberhaupt  noch  heute  Recht  und  Philosophie  der  Römer  bei  uns  nach.  So  ist 
in  der  üebertragung  der  Begriffe  »Urtheil*  (Judicium),  »Schluss*  (conclusio), 
»Erkenntniss''  (cognitio)  u.  a.  vom  Gebiet  des  Rechts  auf  das  der  Philosophie 
die  deutsche  Wissenschaft,  hauptsächlich  seit  Leibniz,  dem  römischen  Beispiel 
gefolgt.  Die  secundäre  Differenzirung  des  Begriffs  «Erkenntniss*  in  die  Er- 
kenntniss  im  philosophischen  und  das  Erkenntniss  im  rechtlichen  Sinne  ist  sogar 
erst  ein  Product  des  letzten  Jahrhunderts. 

♦)  Vgl.  oben  S.  578  und  Ethik  2.  Aufl.,  S.  1  ff.,  S.  539  ff. 


628  Logik  der  GesellBchaftswissenschafben. 

griff  der  Norm  völlig  fremd  bleibt,  während  die  Sociologie  nicht 
bloss  Gesetze  des  Seins  aufzufinden  sondern  auch  praktische  Normen 
zu  entwickeln  sucht,  nach  denen  der  Wille  der  Einzelnen  oder  der 
Gemeinschaften  sich  richten  oder  in  den  Verlauf  der  Erscheinungen 
eingreifen  soll,  mögen  nun  solche  Normen  die  Bedeutung  von  Grund- 
normen oder  von  blossen  Hülfsnormen  besitzen.  Auf  diese  Weise 
ruht  nicht  nur  die  ganze  Jurisprudenz  auf  der  Existenz  der  Rechts- 
normen, sondern  auch  die  Staatswissenschaffc,  die  Bevölkerungslehre, 
die  Volkswirthschaft  haben  in  der  Staatskunst,  der  Bevölkerungs- 
und Wirthschaftspolitik  praktische  Zweige  entwickelt,  in  denen  es 
sich  schliesslich  inuner  darum  handelt  aus  der  eingehenden  Kenntniss 
des  socialen  Lebens  Normen  für  die  zweckmässigste  Lenkung  der 
öffentlichen  Angelegenheiten  zu  gewinnen.  Weshalb  sich  die  histori- 
schen Gebiete  dem  gegenüber  auf  ein  rein  theoretisches  Verhalten 
beschränken  müssen,  ist  einleuchtend.  Das  menschliche  Handeln 
gehört  direct  niu:  der  Gegenwart  an,  erst  indirect,  durch  die  zu  er- 
wartenden Folgen,  der  Zukunft;  die  Vei^angenheit  aber  bleibt  inuner 
nur  ein  Object  theoretisch  reflectirender  Betrachtung.  Uebrigens 
hören  die  Normen  dadurch  dass  sie  Willensvorschriften  sind  keines- 
wegs auf  zugleich  Gesetze  im  theoretischen  Sinne  zu  sein.  Sie  können 
nur  ein  Sollen  ausdrücken,  wenn  sie  zugleich  ein  Sein  bedeuten.  In 
doppelter  Weise  offenbart  sich  dieser  theoretische  Gesetzescharakter  der 
Normen.  Erstens  müssen  sie  aus  den  thatsächlichen  Willensvorgängen 
abstrahirt  werden:  so  können  wir  die  logischen  Normen  nur  aus  dem 
wirklichen  logischen  Denken,  die  sittlichen  nur  aus  den  thatsäch- 
lichen Erscheinungen  des  sittlichen  Lebens  gewinnen.  Zweitens  muss 
die  Vergleichung  der  wirklichen  Erscheinungen  eines  Gebiets  mit 
den  entsprechenden  Normen  überall  die  Grundlage  einer  WerÜi- 
beurtheilung  bilden.  Dass  hierbei  die  Normgesetze  ihrer  Natur  nach 
immer  nur  Regeln  sein  können,  die  in  vielen,  nicht  in  allen  Fällen 
zutreffen,  begründet  keine  Ausnahmestellung  gegenüber  den  rein 
theoretischen  Gesetzen,  für  die  ebenfalls  stets  die  Bedingung  gilt, 
dass  sie  nur  zutreffen,  sofern  sie  nicht  durch  das  Dazwischentreten 
anderer  Gesetze  oder  auch  irgend  welcher  singulärer  Ereignisse,  die 
causal  bestimmt  sind,  aufgehoben  werden.  (Vgl.  Gap.  I,  S.  140  ff.) 
Nicht  alle  die  oben  erwähnten  Gebiete,  in  denen  Normgesetze 
von  praktischer  Bedeutung  auftreten,  können  nun  aber  auf  die  Ent- 
wicklung selbständiger  socialer  Grundnormen  Anspruch  erheben. 
Vielmehr  besitzen  die  Normen  überall,  wo  sie  nicht  ursprüngliche 
Bestandtheile  der  Wissenschaft  selbst  sind,    sondern  erst  auf  Grund 


Sociale  Normen.  629 

der  theoretischen  Untersuchung  der  Erscheinungen  als  Maximen  für 
die  praktische  Einwirkung  auf  diese  entstehen,  bloss  den  Charakter 
Ton  Hülfsregeln,  die  ein  Zusammenleben  nach  Massgabe  der  all- 
gemeinen menschlichen  Eigenschaften  und  der  allgemeinen  sittlichen 
und  rechtlichen  Pnncipien  möglich  machen  sollen.  Darum  gibt  es 
keine  allgemeingültigen  Normen  der  Politik,  der  praktischen  Be- 
Tölkerungslehre  und  Volkswirthschaffc,  sondern  es  gibt  nur  praktische 
Regeln,  die  sich  in  diesen  Gebieten  durchaus  nach  den  jeweils  be- 
stehenden Zustanden  richten  und  daher  ausserordentlich  abweichen- 
der Art  sein  können,  die  aber  unter  allen  umständen  den  wirklichen 
socialen  Grundnormen  gegenüber  die  Bedeutung  von  Hülfsregeln 
haben,  die  innerhalb  der  gegebenen  socialen  Zustände  jenen  Normen 
so  yiel  als  mögUch  zur  Durchführung  verhelfen  sollen.  Nach  Aus- 
scheidung dieser  blossen  Hülfsregeln  bleiben  allein  drei  Classen 
socialer  Normen  übrig,  die  Grundnormen  und,  soweit  die  allgemeinen 
Bedingungen  der  Entwicklung  dies  zulassen,  zugleich  allgemeingültig 
sind.  Dies  sind  die  Normen  der  Sitte,  der  Sittlichkeit  und 
des  Rechts.  Sie  stehen  wieder  zu  einander  in  dem  Verhältniss 
einer  Entwicklungsfolge,  indem  die  Normen  der  Sitte  die  ursprüng- 
lichsten sind,  aus  denen  sich  durch  eine  allmähliche  Differenzirung 
unter  dem  gleichzeitigen  Einfluss  der  fortschreitenden  Entwicklung 
der  sittlichen  Gefühle  und  praktischer  Bedürfnisse  die  sittlichen  und 
die  rechtlichen  Normen  abgezweigt  haben.  Bei  diesem  Process  hat 
die  Sitte  die  relativ  gleichgültigeren  und  darum  wechselnderen  Normen 
des  socialen  Lebens  für  sich  behalten,  während  die  wichtigeren  auf 
Sittlichkeit  und  Recht  übergingen.  Hierbei  ergänzen  sich  dann  diese 
beiden  Gebiete  wieder  in  dem  Sinne,  dass  nicht  nur  das  Recht  direct 
wie  indirect  das  sittliche  Leben  sichert,  sondern  dass  es  auch  überall 
sittliche  Pflichten  als  eine  Ergänzung  der  Rechtspflichten  voraussetzt. 
(Vgl.  oben  S.  547.)  Dieser  enge  Zusammenhang  der  socialen  Normen 
unter  einander  sowie  die  Nothwendigkeit,  bei  der  Untersuchung  ihrer 
Entstehung  und  Entwicklung  die  Psychologie,  insbesondere  auch  die 
Völkerpsychologie  zu  Hülfe  zu  nehmen,  hat  dieselben  zu  Objecten 
einer  allgemeinen  oder  philosophischen  Wissenschaft  gemacht,  der 
Ethik.  Ihre  wahre  Grundlage  ist  weder  die  Metaphysik,  auf  die 
sich  die  rationaHstisch-speculative  Ethik  der  philosophischen  Schulen 
zu  stützen  pflegte,  noch  die  Individualpsychologie,  die  zumeist  der 
Empirismus  als  solche  betrachtete,  sondern  die  Ethologie,  als  Natur- 
geschichte und  Geschichte  der  Sitte,  und  die  Rechtswissenschaft.  Die 
Psychologie  aber,  die  Individual-  wie  Völkerpsychologie,  ist  das  un- 


630  Logik  der  GesellBchaftswissenschaften. 

entbehrliche  Werkzeug  ihrer  Untersuchungen.  Die  Principien  dieser 
ethischen  Wissenschaft  zu  entwickeln,  muss  ihr  selbst  überlassen 
bleiben.  Nur  auf  das  Verhältniss  der  drei  Normengebiete  und  auf 
das  übereinstimmende  allgemeine  Zweckprincip,  das  in  ihnen  zum 
Ausdruck  kommt,  sei  hier  hingewiesen. 

Die  Sitte  sagt  uns  was  sich  geziemt,  das  Recht  was  ge- 
recht ist,  die  Sittlichkeit  was  gut  ist.  Wie  das  Geziemende, 
das  Gerechte  und  das  Ghite  nicht  auseinanderfallen,  sondern  über 
einander  greifen  und  sich  voraussetzen,  so  stützen  und  tragen  sich 
auch  die  Normen  dieser  drei  Gebiete  wechselseitig.  Und  diese  dreier- 
lei Normen  weisen  auf  eine  ihnen  allen  gemeinsame  Voraussetzung 
hin.  Sie  besteht  darin,  dass  weder  der  Einzelne  bloss  um  der  Ge- 
meinschaft willen  noch  auch  die  Gemeinschaft  bloss  um  des  Einzelnen 
willen  sei.  Andeutend  sagt  dies  die  Sitte,  indem  sie  das  Gebot  der 
Achtung  gegen  den  Nächsten  mit  dem  der  Wahrung  der  eigenen 
Würde  verbindet.  Energisch  kommt  die  nämliche  Verbindung  in 
dem  Rechte  zum  Ausdruck,  das  Befugnisse  wie  Pflichten  der  Ein- 
zelnen sorgsam  gegen  einander  abwägt,  im  entscheidenden  Fall  aber 
stets  dem  Recht  der  Gesammtheit  und  der  Pflicht  gegen  sie  den 
Vorrang  über  individuelle  Interessen  einräumt.  Am  unzweideutig- 
sten endlich  bezeugen  dies  Bedingtsein  aller  von  dem  Einzehien 
zu  erstrebenden  Güter  durch  die  aUgemeinmenschlichen  Zwecke 
die  sittlichen  Gebote,  da  die  sittliche  Norm  überall  die  freiwillige 
Hingabe  des  Einzelinteresses  an  die  gemeinsamen  geistigen  Zwecke 
der  Menschheit  zum  Mass  des  Werthes  der  Handlungen  nimmt.  So 
führt  die  Betrachtung  der  socialen  Normen  auf  ihrem  Gebiet  zu 
einem  ähnlichen  Ergebnisse,  wie  die  Frage  nach  den  der  Ge- 
schichte immanenten  Zwecken*);  nur  dass  an  die  Stelle  des  dort 
sich  darbietenden  Verhältnisses  der  Gegenwart  zur  Zukunft  hier 
das  des  Einzelnen  zur  Gemeinschaft  tritt.  Wie  in  der  Geschichte 
jedes  Zeitalter  sein  eigenes  Leben  lebt,  das  seinen  Werth  in  sich 
selbst  trägt,  durch  diesen  aber  zugleich  Mittel  für  die  Zwecke 
nach  ihm  kommender  Generationen  und  so  für  das  Ganze  menschlicher 
Entwicklung  wird,  —  so  hat  auch  in  der  Gesellschaft  der  Einzelne 
seinen  Werth  für  sich  selbst ;  aber  dieser  eigene  Werth  ist  zugleich 
eng  geknüpft  an  die  Verbindung  mit  der  Gemeinschaft,  deren  Zwecken 
der  Einzelne  mit  seinem  Streben  angehört. 


0  Vgl.  oben  Cap.  in,  S.  427  ff. 


Methodologische  Richtangen  der  Philosophie.  631 


Fünftes  Capitel. 
Die  Methoden  der  Philosophie. 

1.    Die  methodologischen  Bichtiuigen  der  Philosophie. 

Das  Verhältniss  der  Phflosophie  zu  den  Einzelwissenschaften 
bringt  es  mit  sich,  dass  die  Methodenlehre  als  eine  allgemeine  oder 
philosophische  Disciplin  zwar  die  Methoden  aUer  andern  Wissen- 
schaften sowie  die  principiellen  Voraussetzungen,  auf  denen  sie  ruhen, 
zu  untersuchen  hat,  dass  aber  die  Principien  und  Methoden  der  Philo- 
sophie selbst  nicht  in  ähnlicher  Weise  von  ihr  behandelt  werden 
können.  Denn  es  ist  die  Eigenschaft  der  Einzelwissenschaften,  dass 
sie  bestimmte  Principien  und  Methoden  meist  mit  grosser  Sicherheit 
anwenden,  dass  sie  jedoch,  mit  den  praktischen  Erfolgen  solcher 
Anwendung  zufrieden,  über  den  Ursprung  und  Zusammenhang  und 
über  den  logischen  Charakter  derselben  keine  Rechenschaft  geben. 
Und  das  mit  Recht,  weil  eine  derartige  Untersuchung  eine  erkenntniss- 
theoretische Grundlegung  und  eine  vergleichende  Prüfung  der  ver- 
schiedenen Wissenschaftsgebiete  fordert,  wodurch  sie  sich  sofort  als 
eine  philosophische  Aufgabe  zu  erkennen  gibt.  Dies  verhält  sich 
anders  mit  der  Philosophie,  die,  weil  sie  selbst  eine  principielle  Wissen- 
schaft ist,  von  vornherein  mit  klarem  kritischem  Bewusstsein  über 
ihre  Voraussetzungen  und  Verfahrungsweisen  Rechenschaft  geben 
muss.  Die  Principien  und  Methoden  der  Philosophie  bilden  also 
samt  ihrer  Begründung  den  eigensten  Inhalt  der  Philosophie  selbst, 
nicht  einer  besonderen,  über  sie  reflectirenden  Disciplin. 

Nur  in  einer  Beziehung  kann  auch  eine  allgemeine  Logik  der 
Wissenschaften  von  einer  kurzen  Betrachtung  der  philosophischen 
Methoden  nicht  Umgang  nehmen:  insofern  nämlich,  als  die  Frage, 
ob  es  speci fische,  von  den  sonstigen  wissenschaftlichen  Ver- 
fahrungsweisen grundsätzlich  abweichende  Methoden  der  Philosophie 
gebe,  von  allgemein  logischer  Bedeutung  ist.  Diese  Frage  kann 
nun  bejaht  oder  verneint  werden,  und  danach,  ob  dies  geschieht 
oder  nicht  geschieht,  und  in  welchem  Sinne  es  geschieht,  trennen 
sich  die  hauptsächlichsten  in  der  Geschichte  auftretenden  philoso- 
phischen Richtungen.    Bejaht  man  die  Frage,  so  kann  entweder  die 


632  Methoden  der  Philosophie- 

Aufgabe  der  Philosophie  darin  erblickt  werden,  dass  sie  die  in  den 
Erfahmngs Wissenschaften  geübte  empirische  Methode  aufzonehmen 
und  wo  möglich  mit  grösserer  logischer  Strenge  als  es  in  jenen  ge- 
schieht auf  die  allgemeinen  Objecte  des  Wissens  anzuwenden  habe. 
Oder  es  kann  der  Philosophie  'eine  eigenthümliche,  in  ihrem  all- 
gemeinen Charakter  begründete  rein  rationale  Methode  der  Ent- 
wicklung und  Verknüpfung  der  Begriffe  zugeschrieben  werden,  die 
dialektische  Methode,  die  dann  wieder  in  verschiedenen  Formen 
möglich  ist.  Wird  endlich  jene  Frage  verneint,  so  lieg^  darin 
von  selbst,  dass  die  in  der  vorangegangenen  Untersuchung  er- 
örterten allgemeinen  Methoden  der  Wissenschafken  auch  die  Metho- 
den der  Philosophie  sind.  Zugleich  bringt  es  aber  der  Charakter 
der  philosophischen  Aufgaben  als  allgemeiner  Erkenntnissprobleme 
mit  sich,  dass  es  vorzugsweise  die  in  den  Geisteswissenschaften  ge- 
übten Methoden  der  psychologischen  Analyse  und  Abstraction,  der 
Interpretation  und  Kritik  sind,  von  denen  die  Philosophie  Gebrauch 
machen  muss.  Obgleich  die  Philosophie  als  allgemeine  Wissen- 
schaft gleicher  Weise  zu  Mathematik  und  Naturforschung  wie  zu 
den  Geisteswissenschaften  Beziehungen  darbietet,  so  werden  daher 
auch  von  diesem  Standpunkte  aus  ihre  Methoden  zweckmässig  im 
Anschlüsse  an  die  Logik  der  Geisteswissenschaften  zu  besprechen 
sein  *). 


*)  Aus  andern,  aber  theilweise  damit  nahe  zusammenhängenden  Gründen 
kann  der  Theologie  in  methodologischer  Beziehung  keine  besondere  Stellung 
in  dem  System  der  Wissenschaften  angewiesen  werden.  Zu  ihrer  einen  H&lfte^ 
als  Interpretation  und  Kritik  der  christlichen  Ueberlieferungen  und  als  Ge- 
schichte der  Kirche  imd  ihrer  Lehre,  gehört  die  wissenschaftliche  Theologie 
ganz  und  gar  zu  den  philologisch-historischen  Disciplinen,  und  zwar  in  den 
exegetischen  Theilen  zur  Philologie,  in  den  historischen  zur  Geschichte.  Zu 
ihrer  andern  Hälfte  aber,  als  so  genannte  systematische  Theologie,  sucht  sie, 
insofern  sie  Überhaupt  den  Anspruch  erhebt  Wissenschaft*  zu  sein,  die  Religion 
mit  den  allgemeinen  wissenschaftlichen  Anschauungen,  also  in  erster  Reihe  mit 
der  Philosophie,  in  der  diese  allgemeinen  Anschauungen  ihren  nächsten 
Ausdruck  finden,  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Insbesondere  sind  es  Erkenntniss- 
theorie, Metaphysik,  Ethik  und  Religionsphilosophie,  mit  denen  sich  auf  diese 
Weise  die  systematischen  Theile  der  Theologie,  Dogmatik  imd  theologische 
Ethik,  auseinanderzusetzen  haben.  Demgemäss  sind  denn  auch  auf  diesen  Ge- 
bieten die  theologischen  durchaus  mit  den  im  Folgenden  zu  schildernden  philo- 
sophischen  Methoden  identisch.  Aus  diesem  ganzen  Verhältniss  ergabt  sich 
zugleich,  dass  die  Theologie  zwar,  insofern  sie  concreto  geschichtliche  Erschei- 
nungen und  einen  bestimmten  Thatbestand  religiöser  Anschauungen  zu  ihren 
Objecten  hat,   gegenüber  der  Philosophie  eine  Einzel  Wissenschaft  ist,   dass  sie 


Empirische  Methode.  633 


2.    Die  empirische  Methode. 

Von  dem  Grundsatze  ausgehend,  dass  alle  Erkenntniss  aus  der 
Erfahrung  entspringe,  betrachten  die  Vertreter  der  empirischen  Me- 
thode die  Feststellung  der  Thatsachen  der  Erfahrung  als  eine  Auf- 
gabe, die  der  Philosophie  mit  allen  andern  Wissenschaften  gemein- 
sam sei.  Da  sich  nun  aber  mit  dieser  Aufgabe  die  speciellen  Wissen- 
schaften schon  für  den  ganzen  Umfang  des  menschlichen  Wissens 
beschäftigen,  so  besteht  auf  diesem  Standpunkte  nur  noch  darin  ein 
eigenthümliches  Problem  der  Philosophie,  dass  sie  jenen  methodo- 
logischen Qrundsatz  aus  der  thatsächlichen  Entwicklung  der  Er- 
kenntniss nachzuweisen  sucht.  Folgerichtig  wird  daher  die  Philo- 
sophie im  wesentlichen  auf  Erkenntnisslehre  zurückgeführt,  der 
man  dann  meist  noch  die  Moraltheorie  als  ihre  praktische  An- 
wendung anfügt.  Der  Werth  dieser  Erkenntnisslehre  wird  aber  darin 
gesehen,  dass  sie  tbeils  die  ünzulässigkeit  anderer  philosophischer 
Richtungen  aufzeige,  theils  die  in  den  Einzelwissenschaften  zur  Gel- 
tung kommenden  Bestrebungen  nach  üeberschreitung  der  Erfahrung 
zurückweise.  Hier  berührt  sich  die  empirische  mit  der  in  allen 
Wissenschaften  geübten  kritischen  Methode.  Sie  fällt  mit  dieser 
zusammen,  so  lange  sie  sich  nur  bemüht,  die  Bestandtheile  des 
Wissens  zu  sondern;  sie  erhält  aber  ihre  Bedeutung  als  philoso- 
phische Methode  in  dem  Augenblick,  wo  sie  aus  den  empirischen 
Elementen  allein  Inhalt  und  Form  der  Erkenntniss  zu  gewinnen 
strebt.  Da  dieser  Schritt  mit  Schwierigkeiten  verbunden  ist,  indem 
er  an  den  Methoden  und  Principien  der  Erfahrungswissenschaften 
selbst  einem  fortwährenden  Widerstände  begegnet,  so  ist  es  begreif- 
lich, dass  die  Entwicklung  der  empirischen  Methode  zwar  bis  in  die 
Anfange  der  Philosophie  zurückgeht,  dass  sie  aber  eine  strengere 
Ausbildung  spät  erst  erreicht  hat.  Anderseits  ist  sie  seit  Hume, 
dessen  Untersuchungen  des  Substanz-  und  Causalbegriffs  noch  immer 


aber  doch  in  viel  höherem  Masse  als  andere  Einzelwissenschaften  ihrerseits  auf 
die  Hülfe  der  Philosophie  angewiesen  ist.  üebrigens  ist  auch  das  kein  gmnd- 
sätzlicher  unterschied,  denn  ähnliche  Wechselwirkungen  bestehen  naturgemäss 
aUer  Orten.  Auch  Psychologie,  Geschichte  und  Sodalwissenschaften  führen  ja, 
wie  wir  sahen,  auf  philosophische  Fragen  zurück,  deren  Beantwortung  wiederum 
f&r  die  Lösung  der  einzelnen  Probleme  von  prindpieller  Bedeutung  wird. 


634  Methoden  der  Philosophie. 

als  unübertroffene  Beispiele  derselben  dastehen,  nicht  wesentlich  ge- 
fördert worden. 

An  diesen  Beispielen  erkennt  man  zugleich,  dass  die  empirische 
Methode  in  einer  Verbindung  von  Analyse  und  Abstraction  besteht, 
wobei  die  letztere  in  der  Elimination  derjenigen  Begriffselemente 
sich  bethätigt,  die  nicht  empirischen  Ursprungs  sind.  Hierin  zeigt 
sich  nun  aber  sofort  die  Unzulänglichkeit  derselben.  Die  Qesetze 
des  Denkens,  nach  denen  die  Erfahrungselemente  verbunden  und 
geordnet  werden,  bleiben  hier  völlig  dahingestellt,  und  da  eine  ab- 
solute Abstraction  von  diesen  Bedingungen  nicht  gelingt,  so  tritt 
an  die  Stelle  einer  sorgfaltigen  Untersuchung  derselben  zumeist  die 
Einführung  roher  psychologischer  Hülfsbegriffe,  wie  der  Gewohnheit, 
der  regelmässigen  GoSxistenz  und  Aufeinanderfolge  der  Vorstellungen. 
Hinter  allen  diesen  Hülfsbegriffen  verhüllt  sich  die  Idee  einer  be- 
stimmten Regelmässigkeit  der  Erfahrung,  deren  Erkenntniss, 
welche  Bedeutung  man  ihr  auch  beilegen,  ob  man  sie  als  eine 
nothwendige  oder  zufällige  ansehen  mag,  nur  im  Denken  entspringen 
kann.  Wie  und  unter  welchen  Bedingungen  sie  hier  entspringt, 
darüber  gibt  aber  die  empirische  Methode  als  solche  gar  keine  Rechen- 
schaft. Die  Aufgabe,  die  sie  sich  stellt,  alle  Erfahrungsbegriffe  in 
ihre  letzten  Bestandtheile  zu  zerlegen,  vermag  sie  abo  selbst  nie- 
mals vollständig  zu  lösen. 


3.    Die  dialektischen  Methoden. 

a.   Die  antithetische  Methode. 

Wer  sich  die  Entwicklung  der  älteren  Speculation  von  den 
Eleaten  bis  auf  Plato  vergegenwärtigt,  kann  sich  dem  Eindrucke 
nicht  entziehen,  dass  die  kunstmässige  Uebung  des  Denkens,  wie 
sie  hier  zum  ersten  Mal  entstand^  auf  ihre  Entdecker  eine  Art  be- 
rauschender Wirkung  ausgeübt  habe.  Um  so  unwiderstehlicher  aber 
erschien  die  Macht,  die  man  den  logischen  Hülfsmitteln  zutraute,  je 
mehr  ihr  die  Forderungen  des  Erkennens  und  Glaubens  zu  Hülfe 
kamen.  Diesen  Quellen  verdankt  der  Piatonismus  seinen  Einfluss 
auf  künftige  Zeiten.  Zum  ersten  Male  hat  er  das  zuvor  schlum- 
mernde Princip  der  dialektischen  Methode  mit  Bewusstsein  verkündet. 
Dieses   Princip  lautet,    dass   die  Wahrheit  nur  im  begriff- 


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636  Methoden  der  Philosophie. 

luDgen  und  Beweisführungen  dieses  Zeugniss  zu  verstärken,  erhebt 
sich  allmählich  die  Forderung,  in  der  Constitution  der  Begriffe  Merk- 
male aufzufinden,  die  denselben  die  Denknothwendigkeit  sichern, 
damit  aber  zugleich  ihre  Entstehung  im  Denken  über  allen  Zweifel 
erheben  sollen.  Es  ist  naturgemäss,  dass  man  hierbei  auf  gewisse 
für  die  Erkenntniss-  und  Qlaubensbedürfnisse  besonders  werÜiTolle 
Begriffe  den  Hauptwerth  legt,  um  so  mehr  da  sie  meist  die  Grenzen 
der  Erfahrung  zu  überschreiten  und  also  hierdurch  schon  ihren 
überempirischen  Ursprung  zu  beweisen  scheinen.  In  Descartes' 
Meditationen  hat  dieses  Streben  nicht  den  ersten,  aber  doch  einen 
vorzugsweise  charakteristischen  Ausdruck  gefunden.  Das  Interesse 
an  den  transcendenten  Fragen  brachte  es  mit  sich,  dass  hier  die 
speculative  Theologie  der  Philosophie  den  Weg  bereitete.  Der  onto- 
logische  Gottesbeweis  des  Anseimus  von  Ganterbury  wird  durch 
Descartes  nur  unwesentlich  modificirt  und  dann  von  Spinoza  in 
eine  abstractere  philosophische  Form  gebracht.  So  entsteht  jene 
classische  Entwicklung  des  Substanzbegriffes,  welche  die  Doppel- 
eigenschaft der  Definition  und  der  Deduction  in  sich  vereinigt.  Diese 
Verbindung  ist  ein  nothwendiges  Ergebniss  des  Princips  der  onto- 
logischen  Methode,  nach  welchem  das  Kriterium  der  Wahrheit 
eines  Begriffs  in  den  logischen  Eigenschaften  besteht, 
die  ihm  die  Existenz  sichern.  Die  Substanz  ist  die  Causa sui; 
als  solche  ist  sie  ein  Begriff,  der  sich  selbst  trägt,  den  man  nur 
richtig  zu  definiren  braucht,  um  seine  Noth wendigkeit  einzusehen, 
und  dessen  Aufhebung  darum  sofort  einen  Widerspruch  im  Denken 
erzeugen  muss.  Es  ist  klar,  dass  auf  diese  Weise  der  Schwerpunkt 
der  Methode  ganz  und  gar  in  die  Definition  fallt;  aber  es  ist  zu- 
gleich bemerkenswerth,  wie  daneben  das  antithetische  Verfahren  der 
älteren  Dialektik  als  Hülfsmethode  Verwendung  findet,  indem  es  in 
zahlreichen  apagogischen  Beweisen  die  zwingende  Gewalt  der  ur- 
sprünglichen Definition  anschaulich  zu  machen  sucht,  ohne  ihr  begriff- 
lich etwas  neues  hinzuzufügen. 

Wie  die  antithetische  Methode  den  Apriorismus  der  alten,  so 
beherrscht  die  ontologische  den  Rationalismus  der  neueren  Philosophie. 
Die  zwei  hauptsächlichsten  Anwendungen,  welche  diese  Methode 
gefunden,  entsprechen  den  zwei  Hauptformen  des  Substanzbegriffs 
der  rationalistischen  Metaphysik,  der  absolut  unendlichen  und  der 
absolut  einfachen  Substanz.  Aehnlich  wie  Spinoza  aus  der  Definition 
der  Causa  sui  die  erste,  so  sucht  Leibniz  in  einer  verwandten, 
freilich  viel  unvollkommeneren  Weise  aus  dem  Begriff  des  Zusammen- 


OntologiBche  Methode.  637 

gesetzten    die  zweite   zu  gewinnen.     Denn    seine  Begründung    der 
Annahme   einfacher  Substanzen  beruht  allein  auf  dem  Argumente, 
dass  die  Existenz  des  Zusammengesetzten  nothwendig  die  des  Ein- 
fachen fordere.     Unvollkommen   ist   dieses    ontologische  Verfahren, 
weil  das  Zusammengesetzte  nicht  aus  einer  begrifflichen  Nothwendig- 
keit  abgeleitet,   sondern  empirisch  vorausgesetzt  wird.     Auch  hierin 
verräth  sich  Leibniz'  vermittelnder  Standpunkt.      Erst  Herbart 
hat    die    strengere    ontologische  Deduction    nachgeholt,    indem    er 
zu  zeigen  suchte,   dass  der  Begriff  des  Seins  nur  als   einfache 
Position  gedacht  werden  könne.     Seine  Methode  der  Beziehungen, 
die,  Analyse  und  Abstraction  verbindend,  zur  Reduction  der  wider- 
spruchsvollen Erfahrungsbegriffe  auf  ihre  letzten  widerspruchsfreien 
Elemente   dienen  soll,   ist  ein  hierbei  zur  Anwendung  kommendes 
Hülfsverfahren.    Da  dasselbe  rein  begrifflichen  Operationen  unmittel- 
bar eine  reale  Bedeutung  beilegt,   so  steht  es  unter   der  nämlichen 
Voraussetzung  wie  die  Methode  Spinozas  und  unterliegt  dem  näm- 
lichen Einwand   wie  diese,   dem  Einwände  den  Kant  schlagend  in 
den  Satz  zusammenfasste,  dass  die  unbedingte  Nothwendigkeit  eines 
ürtheils  immer  nur  eine  bedingte  Nothwendigkeit  der  Sache  beweist, 
auf  die   sich  das  ürtheil  bezieht.     Die  ontologischen  Beweise  sind 
triftig,   sofern  es  Objecte    gibt,   die  den  postulirten  Begriffen   ent- 
sprechen.    Wird  auf  diese  Weise  den  Resultaten  der  ontologischen 
Methode  ein  bloss  hypothetischer  Werth  zugesprochen,  so  wird 
denselben  damit  freilich  in   den  Augen  ihrer  Vertreter  die   Spitze 
abgebrochen,   aber  objectiv  betrachtet  wird  ihnen   doch  keineswegs 
jede  Bedeutung  geraubt.     Die  Substanzbegriffe  eines  Spinoza  und 
Leibniz  behalten  einen  hypothetischen  Werth.    Wenn  sie  auf 
die  Dauer  dem  philosophischen  Bedürfnisse  nicht  genügt  haben,   so 
geschah   dies    nicht  deshalb,   weil  ihnen  die  reale  Nothwendigkeit 
fehlte,  die  ihnen  ihre  Urheber  zuschrieben,  sondern  weil  sie  in  Wider- 
sprüche verwickelten,  sobald  es  sich  darum  handelte  eine  Ueberein- 
Stimmung  mit  den  sonstigen  Postulaten  der  Erkenntniss  herzustellen. 
Von   diesem  Gesichtspunkte  aus  wird  aber  auch  jene  unhistorische 
Ansicht  hinfällig,  die  in  der  ontologischen  Methode  schlechterdings 
nichts  als   eine  Verirrung  der  Philosophie   erblickt.     Man  übersieht 
dabei  nicht  bloss  die  Bedeutung,  welche  die  Hypothesenbildung,  die 
überall  zimächst  aus  der  Objectivirung  bestimmter  Forderungen  des 
Denkens  hervorgeht,  für  die  Wissenschaft  überhaupt  hat,  sondern  es 
bleibt  insbesondere  auch  der  grosse  und  nicht  selten  fruchtbare  Ein- 
fluss,   den  die   rationalistische  Denkweise   ebenso   sehr  wie  die   ihr 


638  Methoden  der  Philosophie. 

entgegengesetzte  empiristische  auf  die  Entwicklung  der  Einzelwissen- 
Schäften  ausübte,  ein  vollkommenes  Räthsel. 


c.   Die  Methode  der  immanenten  Begrif  fsentwicklang. 

Da  die  ontologische  Methode  den  kritischen  Einwürfen,  die 
namentlich  mit  Rücksicht  auf  die  transcendente  Natur  ihrer  Begriffe 
erhoben  wurden,  nicht  Stand  halten  konnte,  so  war  der  Versuch 
gerechtfertigt,  für  das  dialektische  Verfahren  neue  Wege  aufzufinden, 
die  nun  im  wesentlichen  in  einer  Vereinigung  der  antithetischen  Me- 
thode Pia  tos  mit  der  ontologischen  des  neueren  Rationalismus  be- 
standen. Abgesehen  von  einigen  weiteren  nicht  zu  allgemeinerer 
Qeltung  gekommenen  Versuchen  ähnlicher  Richtung  gehört  hierher 
besonders  die  mit  Fichte  beginnende  tmd  in  Hegel  endende  Ent- 
wicklung der  neueren  Speculation.  Kein  Anderer  aber  als  Kant 
ist  es,  der  zuerst  wieder  auf  die  antithetische  Methode  der 
Alten  zurückging,  um  sie  durch  eine  Synthesis  der  Begriffe  zu  er- 
gänzen. An  einem  Philosophen,  der  so  mannigfache  Seiten  der 
Betrachtung  darbietet  wie  Kant,  ist  jede  Zeit  geneigt,  das  ihrer 
eigenen  Denkweise  am  nächsten  liegende  zu  beachten.  Die  anti- 
philosophische Richtung  der  soeben  vergangenen  Zeit  hat  in  Kant 
vorzugsweise  den  Kritiker  gesehen  und  dabei  weder  beachtet,  dass 
Kritik  immer  nur  der  Anfang,  nie  das  Ende  der  Wissenschaft  sein 
kann,  noch  dass  Kant  selbst  seine  kritischen  Untersuchungen  nur 
als  Vorläufer  eines  »doctrinalen*^  Systems  betrachtet  wissen  wollte. 
Und  wie  sehr  man  auch  zugeben  mag,  dass  die  Ausführung  dieses 
Systems  durch  das  hohe  Alter  des  Philosophen  verkümmert  worden 
sei,  über  die  allgemeine  Richtung  desselben  kann  nach  dem  Inhalt 
der  Schriften  über  die  Metaphysik  der  Natur  und  der  Sitten  und 
nach  den  in  den  kritischen  Werken  gegebenen  Vorbereitungen  kein 
Zweifel  obwalten.  Schon  die  Kritik  Kants  ist  eine  ebenso  einseitig 
rationalistische,  wie  diejenige  Humes  eine  empiristische  gewesen 
war.  Wie  dieser  von  allen  transcendentalen  Bedingungen  der  Be- 
griffe abstrahirt,  um  bloss  deren  empirische  Elemente  zurückzu- 
behalten, so  abstrahirt  Kant  umgekehrt  von  diesen,  um  bloss  jene 
einer  Untersuchung  zu  unterwerfen.  Die  Empfindung  ist  ihm  ein 
gegebener  Stoff,  nach  dessen  Entstehung  und  nach  dessen  Beziehungen 
zu  den  Erkenntnissformen  nicht  weiter  gefragt  wird ;  sogar  bei  diesen 
wiederholt  sich  das  einseitig  rationalistische  Interesse:  nachdem  die 
weitere  kritische    Scheidung   in   Anschauungs-   und    Begriffsformen 


Methode  der  immanenten  Begriflbentwicklung.  639 

ToUzogen  ist,  beschränkt  sich  der  Versuch  einer  Deduction  ganz  und 
gar  auf  die  letzteren.  Diese  Deduction  benützt  für  die  Ordnung 
der  Kategorien  die  antithetische  Methode,  von  der  Kant  überdies 
in  sinnreicher  Weise  und  unter  Herbeiziehung  der  apogogischen 
Beweisform  in  den  Antinomien  seiner  transcendentalen  Dialektik 
Gebrauch  macht.  Zugleich  ist  es  die  Deduction  der  Kategorien,  in 
der  die  folgenreiche  Ergänzung  der  Antithese  durch  die  Synthese 
zum  ersten  Male  in  Anwendung  kommt.  Aber  die  Ausgangspunkte 
dieser  Deduction  ermangeln  bei  Kant  noch  der  dialektischen  Noth- 
wendigkeit.  Die  Urtheilsformen  werden  lediglich  als  thatsächlich 
vorhandene  aufgegriffen,  ohne  dass  nach  ihrem  Zusammenhang  mit 
den  allgemeinsten  Gesetzen  des  Denkens  gefragt  würde.  Auf  diese 
selbst,  auf  die  Sätze  der  Identität,  des  Widerspruchs  und  des  Grundes, 
in  dieser  ihrer  logisch  nothwendigen  Reihenfolge  zurückzugehen, 
ergab  sich  daher  als  eine  unmittelbare  Forderung.  Mit  ihr  ver- 
knüpfte Fichte  alsbald  den  Gedanken,  jene  logischen  Grundsätze 
mit  den  einzelnen  Acten  des  antithetisch-synthetischen  Verfahrens  in 
Beziehung  zu  bringen.  So  wurde  das  Identitätsaxiom  zur  ursprüng- 
lichen Thesis,  die  durch  die  Kraft  der  Verneinung  von  selbst  den 
Satz  des  Widerspruchs  als  die  Antithesis  aus  sich  erzeuge,  worauf 
sich  endlich  beide  in  dem  Satz  des  Grundes  als  ihrer  logischen 
Synthesis  vereinigen.  Zu  diesem  ersten  Princip  der  Methode,  das 
auf  die  Platonische  Dialektik  zurückgeht,  tritt  aber  als  ein  zweites 
das  Postulat  der  ontologischen  Methode,  dass  es  einen  ursprünglichen 
Begriffsinhalt  geben  müsse,  der  durch  sich  selbst  Evidenz  besitze. 
Fichte  bestimmte  als  diesen  Begriff  zuerst  das  reine  Ich,  Hegel 
setzte  an  dessen  Stelle  den  allgemeineren  des  reinen  Seins.  In  beiden 
Fällen  ist  es  eine  absolute  Abstraction,  die  das  Resultat  herbeiführt. 
Dort  soll  von  jedem  zufälligen  Inhalt  des  Selbstbewusstseins ,  hier 
von  jedem  wechselnden  Merkmal  des  zu  Denkenden  abstrahirt  werden. 
So  kann  denn  nur  das  reine  Selbstbewusstsein  oder  das  bestimmungs- 
lose Sein  zurückbleiben.  Diese  ersten  ontologisch  nothwendigen 
Begriffe  werden  nun  die  Anfangspunkte  einer  antithetisch-syntheti- 
schen Begriffsentwicklung,  in  der  durch  eine  den  Begriffen  selbst 
immanente  Dialektik  das  System  der  Begriffe  entstehen  soll. 

Wie  diese  Methode  eine  Verbindung  der  beiden  vorangegangenen 
ist,  so  vereinigt  sie  auch  ihre  Fehler  in  sich.  Mit  der  ontologischen 
verwandelt  sie  die  hypothetische  Nothwendigkeit  der  Begriffe  in  eine 
thatsächliche,  und  mit  der  antithetischen  missbraucht  sie  die  Function 
der  Verneinung,  um  leeren  Begriffsformen  reale  Anschauungen  unter- 


640  Methoden  der  Philosophie. 

zuschieben.  Beide  Irrthümer  steigern  sich  gegenseitig,  und  je  mehr 
die  Methode  sich  anheischig  macht  ein  lückenloses  System  des 
Wissens  zu  erzeugen,  um  so  offenkundiger  wird  es,  dass  dieses 
System  ein  leerer  Formalismus  ist,  der  mit  den  Forderungen  der 
wissenschaftlichen  Erkenntniss  überall  in  Streit  gerath.  Insbeson- 
dere ist  es  die  Uniformität  der  Methode,  die  mit  der  lebendigen 
Entwicklung  des  Wissens  und  mit  dem  Reichthum  der  wirklichen 
Methodik  der  Wissenschafken  in  schroffem  Widerspruch  steht.  Hier 
aber  offenbart  sich  zugleich  in  der  Methode  der  immanenten  Be- 
griffsentwicklung nur  am  augenfälligsten  eine  Schwäche,  die  auch 
den  andern  Formen  der  dialektischen  Methode  gemein  ist,  und  bei 
ihnen  bloss  wegen  ihres  mehr  sporadischen  oder  vorzugsweise  auf 
transcendente  Begriffe  gerichteten  Gebrauches  zurücktritt  Diese 
Schwäche  besteht  in  dem  Vorurtheil,  dass  es  eine  einzige  philo- 
sophische Methode  gebe,  die  für  alle  Probleme  gleichmässig  gültig 
sei,  ein  Vorurtheü  das  nothwendig  zugleich  mit  dem  andern  ver- 
bunden ist,  dass  es  eine  speci fisch  philosophische  Methode  gebe, 
die  von  den  sonstigen  wissenschaftlichen  Methoden  verschieden  sei. 
Nun  können,  wie  unsere  Untersuchung  gelehrt  hat,  zwar  im  einzelnen 
die  wissenschaftlichen  Verfahrungsweisen  je  nach  ihren  Objecten 
mannigfach  abweichen;  aber  gewisse  fundamentale  Methoden  und 
bestimmte  allgemeine  Principien  der  wissenschaftlichen  Forschung 
kehren  überall  wieder.  Selbst  die  dialektischen  Methoden  stehen 
nicht  ausserhalb  derselben:  sie  beruhen  auf  Analyse  und  Synthese, 
Abstraction  und  Determination;  aber  sie  wenden  regelmässig  diese 
Operationen  in  einer  einseitigen,  durch  ihre  Uniformität  imfrucht- 
baren  Weise  an,  während  sie  sich  ausserdem  durch  die  Vermengung 
von  Hypothesen  und  Thatsachen,  von  begrifflicher  Gliederung  und 
wirklicher  Entwicklung  in  die  schwersten  logischen  Irrthümer  und 
in  die  bedenklichsten  Widersprüche  mit  den  Ergebnissen  der  Einzel- 
wissenschaften verwickeln.  Um  dieser  gefahrvollen  Lage,  in  die  sie 
durch  die  Verirrungen  der  dialektischen  wie  der  einseitig  empirischen 
Methode  gerathen  ist,  zu  entgehen,  muss  die  Philosophie  vor  allem 
anerkennen,  dass,  wie  sie  mit  den  andern  Wissenschaften  ein  ge- 
meinsames Ziel  hat,  so  auch  keinerlei  specifische  Methoden  ihr 
eigenthümlich  sein  können. 


Philosophie  als  Wissenschaftslehre.  Q^\ 


4.    Die  FhUosopliie  als  Wissenscliaftslehre. 

Auf  eine  selbständige  Aufgabe  kann  die  Philosophie  nur  dann 
Anspruch  erheben,  wenn  es  ihr  gelingt,  die  Stellung  einer  allge- 
na  einen  Wissenschaft  zu  behaupten.  Nicht  wenige  unter  ihren 
eigenen  Vertretern  scheinen  gegenwärtig  der  Meinung  zu  sein,  diese 
Stellung  sei  unhaltbar  geworden.  Die  Philosophie  als  solche  gilt 
ihnen  als  eine  „ verflossene  Wissenschaft.  Die  Psychologie  habe 
sich  zur  selbständigen  Erfahrungsdisciplin  entwickelt,  die  Ethik  werde 
von  der  Qesellschaftslehre  und  Rechtswissenschaft  in  Anspruch  ge- 
nommen, und  um  die  sonstigen  Grundbegriffe  und  Methoden  sollen 
die  Einzelwissenschaften  sich  selbst  kümmern.  Was  bleibt  dann 
dem  Philosophen  zu  thun  übrig,  als  allenfalls  zum  Leichenbestatter 
der  Philosophie  zu  werden  und  der  Welt  zu  verkünden,  die  Philo- 
sophie bestehe  von  nun  an  nur  noch  in  der  Geschichte  ihrer  eigenen 
Vergangenheit. 

Aber  diese  Lage  ist  eine  unmögliche.  Ist  die  Philosophie  wirk- 
lich eine  solche  fossil  gewordene  Wissenschaft,  so  muss  sie  über- 
haupt verschwinden.  Ist  sie  es  nicht,  so  wird  ihre  Entwicklung  wie 
bisher  an  die  der  Einzelwissenschaften  geknüpft  sein;  aber  diesen 
gegenüber  wird  sie  von  nun  an  um  so  mehr  eine  selbständige  Stel- 
limg  behaupten,  je  mehr  sie  sich  bemüht,  Wissenschaftslehre  in 
der  wahren  Bedeutung  des  Worts  zu  sein'*'). 

Als  Wissenschaftslehre  hat  schon  Fichte  seine  Philosophie 
bezeichnet.  Er  verstand  darunter  eine  Wissenschaft,  die  die  Grund- 
lage aller  andern  sei,  ihnen  vorausgehe,  jeder  ihre  Grundbegriffe  und 
Grundsätze  fertig  überliefere.  Eine  Wissenschaftslehre  dieser  Art 
ist  ein  Ding  der  Unmöglichkeit,  weil  ihr  das  Object  fehlt.  Noth- 
gedrungen  geräth  daher  ein  solcher  Versuch  auf  den  Abweg,  eine 
Methode  erfinden  zu  wollen,  der  das  Unerreichbare  zugemuthet  wird, 
ihr  Object  selber  hervorzubringen.  Wissenschaftslehre  kann  die 
Philosophie  nur  in  dem  Sinne  sein,  dass  sie  umgekehrt  die  Me- 
thoden und  Ergebnisse  der  Einzelwissenschaften  als  den  eigentlichen 
Gegenstand  ihrer  Forschungen  betrachtet.  Ihr  letztes  Ziel  bleibt 
dabei  die  Gewinnung  einer  Weltanschauung,  die  dem  Bedürfniss  des 


*)  Vgl.  hierzu  Cap.  I,  S.  25,  und  System  der  Philosophie  S.  21  ff. 
Wandt,  Logik.   II,  2.    2.  Aufl.  41 


642  Methoden  der  Philosophie. 

menschlichen  Geistes  nach  der  Unterordnung  des  Einzehien  unter 
umfassende  theoretische  und  ethische  Gesichtspunkte  Genüge  leistet 
Dieses  Bedürfniss  ezistirt  heute  wie  immer,  und  keine  andere  Wissen- 
schaft kann  es  befriedigen.  Denn  die  Gesichtspunkte,  zu  denen  die 
Einzelforschung  gelangt,  sind  nothwendig  einseitig  und  beschränkt. 
In  nichts  zeigt  sich  dies  augenfälliger  als  in  den  Widersprüchen, 
die  sich  sogar  zwischen  einander  nahe  stehenden  Wissenschaften  in 
Bezug  auf  die  ihnen  gemeinsamen  Begriffe  herausstellen.  Eben 
darum  aber  bedarf  die  Philosophie  bei  ihrer  Untersuchung  der  all- 
gemeinen wissenschaftlichen  Principien  des  vollen  Unterbaues  der 
Einzelwissenschaften.  Nur  wenn  sie  sich  auf  ihn  stützt,  kann  sie 
sich  zugleich  der  Hoffnung  hingeben,  dass  auch  ihre  Ergebnisse 
wieder  klärend  und  fordernd  auf  die  einzelne  Forschung  zurück- 
wirken. 

Hat  demnach  die  Philosophie  die  Arbeit  weiterzuführen,  welche 
die  Einzelwissenschaften  begonnen,  so  liegt  darin  eingeschlossen,  dass 
sie  auch  das  gesammte  Rüstzeug  der  methodischen  Hülfsmittel  er- 
fordert, deren  sich  jene  bedienen.  Eine  bloss  kritische  Philo- 
sophie, eine  solche  die  sich  darauf  beschränkt  die  Elemente  unseres 
Wissens  mit  Rücksicht  auf  ihren  Ursprung  und  ihren  Wahrheits- 
werth  kritisch  zu  sondern,  ist  an  und  für  sich  eben  so  unmöglich, 
wie  Philologie  und  Geschichte  jemals  mit  blosser  Kritik,  unter 
Verzicht  also  auf  jede  Interpretation  der  Erscheinungen,  ausreichen 
können.  In  der  That  ist  auch  Kants  kritische  Philosophie  keines- 
wegs bloss  eine  kritische.  Aber  hinter  dem  in  ihr  vorwaltenden 
Gesichtspunkte  der  Kritik  sind  doch  die  interpretatorischen  Aufgaben 
der  Philosophie  unverhältnissmässig  zurückgeblieben,  und  es  hat  dies 
zugleich  die  richtige  Auffassung  ihres  Verhältnisses  zu  den  Einzel- 
wissenschaften beeinträchtigt.  Insoweit  jedoch  Kant  wirklich  den  Auf- 
gaben der  philosophischen  Interpretation  gerecht  zu  werden  sucht, 
ist  sein  Blick  mehr  nach  rückwärts  als  nach  vorwärts  gekehrt :  seine 
Philosophie  ist  ein  durch  die  empiristische  Skepsis  ermässigter  dog- 
matischer Rationalismus,  der  schon  die  Keime  zu  der  falschen  Form 
einer  den  Einzelwissenschaften  vorausgehenden  Wissenschaftslehre 
in  sich  birgt,  die  Fichte  thatsächlich  aus  ihm  entwickelt  hat.  Da- 
neben bewirkt  es  dann  freilich  der  ernüchternde  Einfluss  einer  die 
empirischen  und  die  transcendentalen  Elemente  des  Erkennens  vor- 
sichtig scheidenden  Kritik,  dass  Kant  selbst  nicht  nur  vor  den 
schlimmeren  Verirrungen  seiner  Nachfolger  bewahrt  bleibt,  sondern 
dass    seinem   eigenen   System    neben   jenen   Keimen  einer    falschen 


Philosophie  als  Wissenschaftslehre.  643 

auch  manche  Anlagen  zu  einer  echten  Wissenschaftslehre  nicht 
fehlen*). 

Wird  die  Aufgabe  der  Philosophie  im  Sinne  dieser  letzteren 
verstanden,  so  versteht  es  sich  nun  aber  von  selbst,  dass  es  eine 
specifische  Methode  der  Philosophie  nicht  geben,  sondern  dass  höch- 
stens von  einer  eigenthümlichen  Gestaltung  der  allgemeinen  Me- 
thoden in  ihr  die  Rede  sein  kann.  In  dieser  Beziehung  ist  besonders 
auf  die  vorwiegende  Betheiligung  der  Analyse  und  der  Abstraction 
an  der  philosophischen  Kritik  und  Interpretation  hinzuweisen.  Wäh- 
rend die  philosophische  Analyse  die  psychologischen  Entstehungs- 
bedingungen und  die  logischen  Elemente  der  wissenschaftlichen  Funda- 
mentalbegrifiPe,  die  von  der  durch  praktische  Zwecke  bestimmten 
Einzelforschung  in  der  Regel  nur  partiell  erkannt  werden,  in  ihrer 
allgemeinen  Bedeutung  zu  erfassen  sucht,  vollzieht  die  philosophische 
Abstraction,  unterstützt  durch  die  vielseitigere  Berücksichtigung  der 
Anwendungsformen,  eine  vollständigere  Elimination  unwesentlicher 
oder  heterogener  Elemente,  als  dies  in  der  Einzeluntersuchung  ge- 
schehen kann.  Femer  hat  bei  der  philosophischen  wie  bei  jeder 
Interpretation  die  Induction,  die  nur  in  diesem  Falle  die  einzelnen 
Thatsachen  den  speciellen  Wissenschaftsgebieten  entnehmen  muss, 
die  Wege  der  Deduction  vorzubereiten. 

Auf  eine  eingehendere  Schilderung  der  Eigenthümlichkeiten 
philosophischer  Methodik  kann  hier  um  so  mehr  verzichtet  werden, 
als  der  ganze  Inhalt  des  vorangegangenen  Werkes  als  ein  Beispiel 
derselben  gelten  möchte.'  Insbesondere  in  der  zuletzt  gegebenen 
Darstellung  der  Methodenlehre  ist  der  Versuch  gemacht  worden, 
eine  der  Aufgaben  zu  bearbeiten,  welche  die  Philosophie  als  Wissen- 
schaftslehre zu  lösen  hat. 


*)  Vgl.  hierzu  meinen  Aufsatz:    «Was  soll  uns  Eant  nicht  sein?'     Phil. 
Stud.  VU,  S.  1  flF. 


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Druckfehler. 

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Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 

Kultorgeschiclite  der  HenscM 

Von 

JULIUS  LIPPERT. 

Zwei  Bände. 

gr.  8.    geh.    1886  u.  1887.    Preis  M.  20.  — ,  eleg.  geb.  M.  25.  — . 

Xxxlialt: 

Einleitang.  —  Die  Lebensfürsorge  als  Prinzip  der  Kulturgeschichte.  —  Die 
Urzeit.  —  Ausblick  auf  die  Verbreitung  der  Menschheit.  —  Die  ersten  Fort- 
schrittsversnche  der  Lebensfürsorge.  —  Die  Zähmung  des  Feuers.  —  Die  Fort- 
sebrittedes  Werkzeugs  als  V^affe.  —  Ausblick  auf  die  Entwickelung  differenzierter 
Geräte.  —  Fortschritte  der  Speisebereitung.  —  Fortschritte  des  Schmuckes  und 
der  Kleidung  und  ihr  sozialer  Einfluss.  —  Der  beginnende  Anbau  und  die  Ver- 
breitung  der  jüngeren  Völker  in  Europa.  —  Das  Komadentum  und  die  Yer- 
breitang  der  Zugtiere.  •—  Die  Nahrungspflanzen  im  Gefolge  der  Kultur.  —  Die 
Genussmittel  engeren  Sinnes  und  ihre  kulturgeschichtliche  Bedeutung. 


Lipperto  leitender  Orundgedanke  Ut,  die  LebensfüTflorKe  als  das  treibende 
Agens  in  der  Entwickelung  der  mensohliohen  Knltiir  anzusehen;  er  geht  von  dem 
Grundsatz  aus:  unsre  Bedürfnisse  sind  unsre  treibenden  Kräfte,  und  von  diesem  Ausgangs* 
punkte  aus  deduziert  er  in  streng  logisober^  von  echt  philosophischem  (leiste  getragener  Weise 
den  ganzen  Aufbau  unsrer  Kultur.  In  der  geistvoll  klaren  Einleitung  zeichnet  er  uns  den 
Urmenschen,  so  wie  er  sich  uns  noch  Im  Wilden  der  heutigen  Welt  darstellt,  als  ein  Wesen, 
welches  beinahe  ohne  Phantasie  und  Oed&chtnis  auch  den  erschütterndsten  Naturerscheinungen 
seiner  Umgebung  im  ganzen  fast  gleichgültig  gegenüberstand  und  die  höchsten  Glieder  der 
Tierwelt  nur  um  weniges  überragte.  Die  an  den  Urmenschen  herantretenden  Anforderungen 
der  Lebeiusfürsorge  weckten  in  dem  Menschen  Thätigkeiten ,  welche  zunächst  als  unbewusst 
vorhandene  «Beflexbewegungen**  sich  geltend  machten,  sich  von  Gesohlecht  zu  Gesohlecht  fort- 
pflanzten, sich  mit  der  Zeit  anhäuften  und  so  den  «vererbten  Instinkt"  bildeten.  Die  Lebens- 
(ürsofge  oder  der  Darwinische  Kampf  ums  Dasein  führte  zur  Erweckung,  Entwickelang  und 
allniählichen  Vervollkommnung  der  Geisteskräfte  des  Menschen,  welche  uns  so  hoch  über  alle 
andern  Glieder  der  organischen  Schöpfung  erheben.  Aus  der  Sorge  für  das  Notwendigste  ent- 
stand die  Sorge  für  das  Nüteliohe,  dann  für  das  Angenehme;  aus  Eitelkeit  und  wirklichem  Be- 
dürfniB  entstand  die  Sorge  für  Kleidung,  Nahrung  und  Obdach,  aus  der  Kot  das  sittliche  und  das 
Pflichtgefühl,  die  Schamhaftigkeit ,  die  BochtsbegrifTe ,  die  Idee  der  Beliglon,  die  Fürsorge  für 
die  Zukunft,  der  Mensch  wurde  erfinderisch  und  haushälterisch  und  er  lernte  sich  den  An- 
forderungen anbequemen,  welche  das  einfache  physische  Dasein  an  ihn.  den  Wehrlosen  und 
Schwächeren,  machte.  So  entstanden  in  ihm  Erinnerungsvermögen  oder  Gedächtnis,  Ideen, 
Vorstellungen.  Gewohnheiten,  Begriffe,  Sprache  u.  s.  w.  Dies  ist  der  Entwiokelungsgang  der 
Kultur,  wie  ihn  Lippert  mit  logischer  Schärfe  und  in  echt  philosophischem  Geiste  schildert, 
und  zwar  in  so  streng  logischem  Gedankengang,  in  solcher  Klarheit  und  Fassllchkeit,  dass 
jeder  Denkende  und  Strebsame  auch  ohne  philosophische  Vorbildung  seinen  Ideen  und  Dar- 
legungen mit  höchstem  Interesse  zu  folgen  vermag.  Lipperts  Buch  ist  ein  Werk  ersten  Banges, 
von  höchstem  Interesse  und  grösster  Lehrhaftigkelt  für  Jeden  Gebildeten. 

(Ausland  1886.   Nr.  24.) 

Ludwig  Feuerbach. 

Von 

IDr-  O-  3^T.  Starolte- 

gr.  8.   1885.   geh.   M.  9.  — 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 


System  der  Nationalökonomie. 

Von  Gustav  Cohn, 

ord.  Professor  der  Staatswissenschaften  an  der  Universität  Oöttingen. 

I.  Band:  Grundlegung. 

gr.  8.    1885.    geh.    M.  12. — 

U.  Band:  Finanzwissenscliaft. 

gr.  8.    1889.    geh.    M.  16.  — 

Deshalb  und  nach  seinen  formellen  und  materiellen  Vorzügen  eignet  sich 
Cohns  Werk  in  besonderem  Grade  für  die  Elite  der  höher  gebildeten  Klassen. 
Staatsmännern,  hohem  Beamten,  Parlamentariern  und  den  doch  gottlob  noch 
nicht  ausgestorbenen  Gelehrten  und  üngelehrten,  welche  nach  universeller 
Lebensbildung  im  Sinne  des  Goetheschen  Ideals  streben,  kann  Cohns  Buch  gar 
nicht  genug  empfohlen  werden. 

(Aas  Prof.  Dr.  Adolf  Wagners  Besprechung  des  Werkes  in  den  Jahrbüchem  für 

Nationalökonomie  and  Statistik.    N.  F.  Bd.  XU) 

Das  Buch  ist  geistvoll  und  mit  einer  sprachlichen  Durchsichtigkeit  ge- 
schrieben, die  es  in  hohem  Grade  zu  einem  Lesebuch  für  alle  Gebildet<en  ge- 
eignet macht.  £s  ist  nicht  ein  trockenes  und  langweiliges  Aneinanderreihen 
von  Lehrsätzen,  sondern  eine  anregende,  gefällige,  lebendige  und  elegante 
Schilderung,  die  uns  fesselt  und  packt. 

(Aus  Prof.  Dr.  Meüis  Besprechung  des  Werkes  in  der  Zeitschrift  für  HandeJarechL 

Bd.  xzxn.) 

Wenn  wir  den  Wert  des  ganzen  Buches  für  unsre  Wissenschaft  kurz 
formulieren  sollen,  so  beruht  er  darauf^  dass  es  energischer  als  irgend  ein 
andres  systematisches  Werk,  das  bisher  erschienen,  die  ganze  Wissenschaft  wieder 
auf  ihre  wahren  Quellen  zurückführt,  auf  die  psychologischen,  sittlichen  und 
historischen  Probleme;  dass  es  jener  Versteinerung  und  Verlederung  der  Wissen- 
schaft, die  durch  eine  scheuklappenartige  Abschliessung  auf  die  angeblich  rein 
volkswirtschaftlichen  Fragen  drohte,  eine  Vergeistigung  und  Ethisierung  ent- 
gegensetzt, wie  sie  auch  von  seinen  Vorgängern  angestrebt,  aber  in  dieser  Weise 
bisher  nicht  erreicht  wurde.  Ein  Teil  der  weiter  notwendigen  Ausbildung  and 
Umwandlung,  welcher  die  Nationalökonomie  —  nach  unsrer  subjektiven  Üeber- 
zeugung  —  noch  entgegengeht,  ist  von  Cohn  noch  nicht  vollzogen.  Ein  erheb- 
licher Teil  dessen,  was  er  an  den  altem  Doktrinen  korrigiert,  ist  Miteigentum 
vieler  Gesinnungsgenossen  des  Verfassers.  Aber  wir  können  nur  wiederholen, 
es  ist  das  nirgends  noch  in  solchem  Zusammenhang,  in  so  schöner  Sprache, 
mit  so  taktvollem  Masse  und  dabei  auch  da,  wo  der  Verfasser  sich  mit  andern 
berührt,  doch  in  so  eigenartiger,  individueller  Weise  gesagt  worden.  Und  des- 
halb wird  das  Buch  nicht  eines  der  zahllosen,  rasch  vneder  den  Fluten  der 
Vergessenheit  anheimfallenden  Lehrbücher  sein,  sondern  es  wird  einen  dauernden 
Markstein  in  der  Entwicklung  unsrer  Wissenschaft  bilden. 

(SchmoUers  Jahrbach  fUr  Gesetzgebong,  Verwaltung  u.  Volkswirtschaft.   X.  S.) 

Aehnlich  wie  Leopold  von  Rankes  Weltgeschichte  zum  ereten  Male  eine 
wirkliche  Weltgeschichte  ist,  in  der  der  Meister,  in  voller  Beherrschung  allen 
Materiales,  sich  loslösend  aus  allem  verwirrenden  Detail,  in  gewaltigen  Zügen 
zu  uns  von  dem  Werden  dessen,  was  wir  unsre  Geschichte  nennen,  spricht,  so 
hat  es  auch  Gustav  Cohn  verstanden,  mit  einem  Bück  die  ganze  Welt  er- 
fassend, uns  mit  meisterhaften  Strichen  den  Stand  der  wissenschaftlichen  Er- 
kenntnis über  die  letzten  Gründe  zu  zeichnen,  welche  die  wissenschaftlichen, 
d.  i.  die  eigentlichen  Grundlagen  unsrer  Gegenwart  so  gestalten,  wie  wir  sie 
vor  uns  sehen.  (Deatsche  Randschaa,  1886,  S.  S18.) 


Druck  der  Union  Deutsche  Verlagtgesellsohaft  In  Stattgart.  y' 


NAMENVERZEIGHNISS 


i^ 


UND 


SACHREGISTER 


v^ 


Zu 


WUNDT'S  LOGIK 


ZWEITE  AUFLAGE. 


;^ 


■    { 


VON 


D«  HANS  LINDAU 


) 


STUTTGART. 
VERLAG   VON   FERDINAND    E  N  K  E. 

1902. 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 


BonhöfFer,  A.,   Epictet  und  die  Stoa. 

UntereuchuBgen  zur  stoischen  Philosophie,  gr.  8^    1890.    geh.   M.  10. — 

Bonhöffer,  A.,  Die  Ethik  des  Stoikers 

^J^II^4-a4'        Anhang:    Ezkane  Ober  einige  wichtige   Punkte  der 
J^piUtOI;«      gtoischen  Ethik,    gr.  8».    1894.    geh.   M.  10.— 

Bozi,  richte?  A..  Pie  natürlichen  Gnindlagen 
des  Strafrechts,  s».  1901.  geh.  H.s.20. 

Cohn,  'au'It.v'  System  der  National -Oeko- 

I10IX116«     Ein  Lesebuch  für  Stndirende.    Vier  Bände. 

I.  Band:  Grundlegung,    gr.  8^    1885.    geh.    M.  12.— 
II.  Band :  Finanzwissenschaft,    gr.  8^    1889.    geh.    M.  16.— 

III.  Band:  Nationalökonomie  des  Handels  und  des  Verkehrswesens,    gr.  8^ 
1898.    geh.    M.  24.— 

Gohn^  7„'Ita°j;  Nationalökonom^      Studien. 

8^    1886.    geh.    M.  16.— 

Gohn,  ''^^!J:  Zur  Geschichte  und  Politik 


des  Verkehrswesens. 


8°.    1900.    geh.    M.  14.- 


John,  Prof.  Dr.  V.,  Geschichte  der  Statistik. 

Ein  quell enmässiges  Handbuch  für  den  akademischen  Gebrauch  wie  fär 
den  Selbstunterricht.  I.  Theil.  Von  dem  Ursprung  der  Statistik  bis  auf 
Quetelet  (1835).    S^    1884.    geh.    M.  10.- 

Knapp,  Doc.  Dr.  L.,  System  der  Bechts- 


philosophie. 


gr.  8°.    1857.    geh.  M.  4.— 


NAMENVERZEICHNISS 


UND 


SACHREGISTER 


zu 


WUNDT'S  LOGIK 


ZWEITE  AUFLAGE. 


VON 


D«  HANS  LINDAU 

IN  BERLtit. 


^4 


STUTTGART. 
VERLAG  VON    FERDINAND   ENKE. 

1902. 

- ,-  I   I 


Die  römischen  Zahlen  „I,  II,  ni**  bedeuten:  „r  den'erstenBand,  „n*  die  erste  Abtheilang 
des  zweiten  Bandes  und  „III"  die  zweite  Abtheilong  des  zweiten  Bandes. 


Druck  der  Union  Deutsche  Yerlagsgesellschaft  in  Stattgart. 


Namen  verzeichniss. 


A. 


Abendroih,  R.,  II,  428  A. 

Adam  UI,  49. 

Aepinus  II»  367. 

Agassis,  LoTiiB,  II,  57.  539. 

Alberi,  E.  (Ediz.  Galilei),  II,  288  A. 

294  A.  382  A. 
d*AIembert    I,    582.    615;    II,    206. 

226.    236.    308.    304  A.   305.   315  f. 

823  A. 
Alexander  der  Grosse  III,  3. 
Althusius,  Johannes,  III,  570  A. 
Ampere  H,  367.  370.  872.  438.  450; 

m,  2  A.  12.  182. 
Anaxagoras  I,  525;  II,  274;  III,  244. 
Anaximenes  II,  580. 
Apelt  I,  373  f.  A.;  II,  24  A. 
Arago  II,  367. 
Archimedes  II,  178.  181.  282.  261.  268. 

291  f.  895.  403.  405;  III,  481. 
d'Arcy  U,  810.  312. 
Aristoteles  I,  4.  87  f.  95.  118.   117  f. 

127.  155.  164  f.  213.  303.  807.  818. 

326.  348.  367  f.  371.  380  f.  399.  450. 

481.  491.  524  f.  564  f.  584  f.  632  f. 

635.  641.  647;    II,  20  f.   28  f.   52  f. 

64.   261  f.  274  f.  277  f.  284.  286  f. 

471. 533;  III,  3f.  121.  126. 128. 129  A. 

151.  159.  212.  241  f.  244.  301.  315. 

392  f.  400.  406.  414. 418.  445  A.  480  f. 

484.  553  A.  554  A. 
Arndt  s.  G.  Schnapper-Arndt. 
ArrheniuB  II,  508.  513  A. 
Ast  III,  87  A. 

Aogastin  I,  554;  UI,  414  A. 
Avenarius  I,  408  A. 
Avogadro  II,  494.  497  f. 

Lindau,  Register  zu  Wandt,  Logik.    2. 


B. 


Baader,  Franz,  I,  682  A. 
Bachofen,  J.  J.,  III,  371.  378  f. 
Bacon  I,  3^;  II,  21  f.  265.  287  f.  841  f. 

363  f.  A.  588;  III,  56.  64.  84  A.  173  f. 
Bar,  A.,  m,  575  A. 
Bärenbach,  Fr.  v.,  III,  425  A. 
Bain,  A.,  m,  161  A. 
Ballot,  Buys,  II,  452. 
Barth,  P.,  III,  825  A.  442  A. 
Bastian,  A.,  III,  104  A. 
Baumann,  J.  J.,  II,  106  A. 
Bawerk  s.  BOhm-Bawerk. 
Beneke  I,  316.  820  f. 
Benfey,  Th.,  III,  105  A. 
Bentham  III,  2  A.  12. 
Bergbohm,  E.,  III,  541  A. 
Bergmann  I,  218;  II,  471.  482  f. 
Berkeley  I,  46.  89.  403.  491  f.  507.  588. 

599;  II,  101  A.  108  f. 
Bemheim,  £.,  UI,  116  A.  124  A.  320  A. 

340  A.  423  A. 
BemhOfb  III,  372  A. 
BemouUi,  Daniel,  I,  446;  II,  304.  310. 

388. 

—  Jacob,  I,  449;  II,  304. 

—  Johann,  I,  351  f.;  II,  202.  804.  388. 
Berthelot  II,  502  A. 

Berthold,  G.,  II,  545  A. 

Berthollet  II,  483.  490.  506. 

Berzelius  II,  484.  491.  497  f. 

Beseler  III,  602  A. 

Bierling  lü,  550  A.  569  A. 

Binding,  K„  III,  549  f.  A.  574  A.  577  A. 

579  A. 
Bischof,  G.,  II,  337  f. 
Blass,  Fr.,  ID,  87  A.  116  A.  313  A. 
Anfl.  1 


Namenverzeichniss. 


Blumenbach,  J.  F.,  II,  538  A. 

Bluntschli  III,  480  A. 

Böckh.  Aug.,  III,  86  f.  A.  116  A.  308  f. 

810  A.  813  A. 
Böhm-Bawerk  III,  511  A. 
Boefame,  Jacob,  I,  632  A. 
Bogthiufi  I,  164. 
du  Bois-Rejmond,  E.,  II,  101  A.  203  A. 

226  A.  528. 
Bolzano,  B.,  II,  152  A. 
Bonnet  II,  561  A.  571  A. 
Boole,  Qeorge,  I,  249  f.  254.  258.  298  f. 

811.  895. 
Boscovich  I,  526;  II,  433. 
Boveri,  Th.,  II,  571  A. 
Boyle,  Robert,  II,  27.  74  f.  264.  361. 

471.  498  f.  506. 
Brahe,  Tycho  de,  I,  456 ;  II,  404  f. 
Bratuschek,   E.    (Boeckh),   III,   86  A. 

303  A. 
Braun,  Alex.,  11,  56,  518  A. 

—  F.,  II,  506  A. 
Braune,  W.,  II,  520  A. 

Brenner,  Oscar  (Bugge),  III,  105  A. 
Brentano,  F.,  I,  178  A.;  III,  171  A. 

—  L.,  III,  506  A.  530  A.  625  A. 
Bresslau,  H.,  III,  340  A. 

Brinz  in,  551  A. 

Brix,  Walter,  II,  141  A. 

Bronn,  H.  G.,  II,  56,  518  A. 

Brown  II,  583. 

Brückner.  A.,  III,  435  A. 

Brugmann  I,    152;    III,  97  A.   140  A. 

358  f.  A. 
Bruno,  Giordano,  I,  526. 
Bruns,  H.,  III,  190  A. 
Buchholz  III,  423  A. 
Buckle,   H.   Th.,   lü,   325.   342.   384. 

483  A. 
Bücheier,  F.,  III,  313  A. 
Bücher,  K.,  lU.  394  A.  401  A.  463  A. 

505  A. 
Bülow,  0.,  III,  535  A.  566  f.  A. 
BuflFon  I,  447. 
Bugge,  SophuB,  III,  105  A. 
Bunsen  II,  399. 
Burckhardt,  J.,  III,  328.  410  f. 


C. 


Candolle  s.  Decandolle. 
Canterbury,  Anseimus  v.,  III,  686. 
Cantor,  G.,  II,  142  f.  152  f. 


Cantor,  M.,  II,  91  A.  115  f.  A.  138  Ä. 

168  A.  293  A.  417  A. 
Carlisle  II,  484. 
Garlyle,  Thomas  III,  323  f. 
Camot,  L.  M.  N.,  11,  328  A. 
Cartedus  s.  Descartes. 
CaruB  II,  63  A. 
CaBsini  II,  398. 
Cauchy  I,  458;  II,  429.  433. 
Cavendish  II,  73. 
Chasles  H,  185  A. 
Chladni  II,  349. 
Christus  III,  49. 
Cicero  III,  626  A. 
Clausius    IL,    75  A.    434  A.    464  A. 

503  A. 
Cohnheim,  Jul.,  II,  517  A.  587  f. 
Columbus  I,  413. 
Comte,  August«,  I,  577;  11,  126,  845; 

III,  12.  132.  149  f.  171  f.  824  f.  391. 

396  f.  404.  406.  431.  440  f.  446.  482  f. 

486. 
Condorcet  III,  390. 
Conrad  III,  506  A.  532  A. 
Copernikus   1,    414.  430  f.  456.   647; 

II,  264.  286  f.  886  f.  398;  III,  430  A. 
Cotes  II,  380. 
Coulomb  II,  371  f.  429. 
Cousin  (Descartes- Ausgabe),  II,  95  A 

101  A. 
Grelle  (Journal  f.  Math.),  II,  114  A. 

141  A.  208  A.  438  A. 
Cues,  Nikolaus  v.,  III,  485. 
Curtius,  G..  I,  184;  UI,  140.  354  A. 
Cuvier  II,  56  f.  566;  III,  411. 


D. 


Dalton  II,  29.  483.  495.  506. 

Dana  II,  421. 

Dante  III,  312  f. 

Danton  III,  327  A. 

Dargun,  L.,  III,  513  A. 

Darmesteter,  A.,  III,  361  A. 

Darwin  I,  377.  459  f.  649  f.;  H,  59.  841. 

535.  539  f.  548  f.  565  f. ;  lU,  358  A.  425. 

485.  494  f. 
Daubr^e,  A.,  II,  338  A. 
Davy,  Humphry,  II,  484. 
Decandolle  II,  58.  57.  487.  566. 
Dedekind  II,  142  f. 
Delboeuf  I,  248. 
Delbrück,  B.,  III,  859  A.  370  A.  373  A. 


Namenverzeichnias. 


Demokrit  I,  525  f.;  II,  275  f.  279.  284. 

289.  431.  445;  III.  242. 
Descartes  I,  4.  400.  408.  427  f.  491. 

496.  502.    527.   540.   568.  587.  618. 

621  f.  626.  684;  II,  89.  92.  94  f.  98. 

101  f.   108.   157.   161  f.   165.   191  f. 

196.  199.  209.  265.  804  f.  382  f.  387  f. 

588;  III,  16.   180.  242  f.  250.  262. 

686. 
Dessoir,  Max,  III,  159  A. 
Diels,  H.,  n,  581  A. 
Dietzel,  H.,  III,  506  A.  510  f. 

—  K.,  m,  527  A. 
Düthey,  W,  III.  84  A. 

Dirichlet  ü,  76  A.  84.   122  A.   125  A. 

182  A. 
Dollond  U,  361. 
Dove,  A.,  III,  852  A. 

—  H.  W.,  n,  840. 
Drobisch  I,  154. 

Drojsen  III,  839  A.  342  A.  348  A. 
DühriDg,  E.,  I,  501  A. ;   II,  293  f.  A. 
Dnlong  n,  494.  500.  510. 
Domae  II,  55.  486. 
Dnzaont  b.  Schmitz-Damont. 
Duncker,  Max,  III,  46  A.  379. 


£. 


Ehrenberg  II,  63. 

Eicken,  v.,  III,  329  A.  398  f.  A.  414  A. 

Eimer,  Th.,  II,  543  A. 

Eisenlofar,  A.,  II,  114  A. 

EIUb,  H.,  III,  575  A. 

Elster,  E.,  III,  348  A. 

—  L.,  lU,  461  A. 
Empedokles  II,  274.  288  f.  581. 
EmpiricoB  b.  Sextas  Empiricvis. 
Encke  UI,  508  A. 
Endlicher  II,  56. 

Engel,  EmBt,  III,  444  A. 
Engelmann,  Th.  W.,  II,  528. 
EngelB,  Fr.,  m,  325  A. 
Epiknr  U,  275. 
Erdmann,  B.,  I,  501. 

—  (Leibniz-Ansgabe),  II,  102  A. 
Espinas,  A.,  III,  495  A. 

Euklid  I,  85.  215.  493.  501  f.;   II,  10. 

41.  67  f.  70  f.  76.  81.  83  f.  94  f.  97  f. 

102  f.  105.  107.  118.  121.  123.  131. 

168.  170  f.  178.  297.  379  f.  382.  886. 

380.  417;  III,  586. 
Euler,   Leonhard,  I,  457.   588,  600 f.; 


II,  103.  206.  225  f.  238  f.  245.  300  A. 

310.  312.  888. 
EuBebiuB  III,  338  A. 
Exner  III,  208  A. 


F. 


Faraday  II,  848  f.  859.  866—73.  437. 

441.  496;  III,  57. 
Fay,  du,  II,  366. 
Fechner,  G.  Th.,  I,  496.  526 ;  II,  350  A. 

433. 451  f.  577;  III,  180  f.  219  A.  230  f. 

vgl.  Dr.  Mises. 
Fetter,  F.,  III,  617  A. 
Fichte.  Johann  Gottl.,  I,  407  f.;  III,  242. 

425.  571.  689.  641  f. 
FiBcher  (Gesch.  d.  Phys.),  II,  848  A. 
—  0.,  II,  520  A. 

Flemming  II,  521  A.  561  A.  571  A. 
Fol  II,  572. 
Fontana  II,  514. 
Foucault  I,  356.  456. 
Fourier  U,  392.  429;  m,  514. 
Frankel,  M.  0.  (LombroBo),  III,  575  A. 
Franklin,  Benjamin,  II,  367. 
Fraunhofer  II,  341.  398. 
Freising,  Otto  v.,  III,  414  A. 
Fresnel  I,  457;  II,  285.  429.  435. 
Friea  I,  448. 


G. 


GalenuB  I,  807.  638;  11,  534.  581. 
Galüei,  GaUleo,  I,  454.  587.  600.  610  f. 

620.  647;  II,  81.  261.  264.  278.  286  f. 

293  f.  300  f.  805.  314  f.  340.  347.  356. 

376.  880.  382.  387.  898.  447  f.  458. 

465  A.;  m,  132. 
Gall  m,  171  A. 
Galle  I,  457. 

Galton,  Francis,  III,  800  A. 
Galvani  II,  362.  402. 
Gassendi  II,  101  A.  347  f. 
Gatterer  III,  380.  332. 
Gauss  II,  313  f.  419.  426.  449. 
Gehler  II,  371  A. 

Geiger,  L.  (Burckhardt),  III,  828  A. 
Geiser,  C.  F.,  II,  182  A. 
Gerhardt,  E.  J.  (Leibniz),  I,  587.  616. 

689  A.;  II,  96  A.  102  A.  200  A.  238  A. 

305  A.;  III,  131  A. 
—  (Chemiker),  II,  486. 


Namenveneichniss. 


Gerland  HI,  451  A. 

Gervinus,  Georg  Gottfr.,  III,  847.  399  A. 

403  A.  413  A. 
Gierke,  0.,  III,  493  A.  550  A.  569  f.  A. 

591  A.  602  A.  608  A.  618  f.  A. 
Gilbert  II,  264. 
Göring,  C,  I,  408  f.  A. 
Goethe  III,  216.  222.  813  f.  431. 
GompertK  (Mill),  III,  171. 
Gothein,  Eberb.,  III,  823  A. 
Grassmann,   H.,   I,   268.   273.   575  f.; 

II.  89  f.  A.  197. 
Green  II,  449. 
Grimaldi  ü,  848. 
Grimm,  Jacob,  III,  103  f.  107  A.   132. 

138  t.  145  f.  149.  857. 
Grotefend,  G.  F.,  III,  318  A. 
Grove  I,  602  A. 
Guldberg  II,  506  A. 
Gumplowicr,  L.,  III,  442  A.  496  f.  A. 

554  A. 


H. 


Häckel,  Ernst,  II,  535  A.  544  A.  566  f. 
Haller,  Albrecht  v.,  II,  514.  584.  583. 
—  K.  L.  V.,  III,  553  A. 
Hamilton,  W.  R.,  I,  258.  521.  569  A., 

599  A.;  TI,  141.  147.  813.  849  f. 
Hankel  H.,  I,  578  f. ;  II,  116  f.  A.  135  f.  A. 

148  A.  168  A.  176  A. 
Hamack,  A.,  I,  501 ;  H,  84  A. 
Hartenstein  (Herbart),  IH,  158  A.  301 A. 
Hartley  III,  158.  160. 
Hartmann,  Ed.  v ,  1, 431  f.  632 ;  III,  577  A. 
Harvey,  William,  11,  265.  514.  586.  562. 
Hasbach,  W.,  III,  502  A. 
Hauff  (Laplace),  II,  552  A. 
Haym,  R.,  III,  85. 
Hazard  I,  599  A. 
Heeren,  A.  H.  L.,  III,  312  A.  322.  380. 

422. 
Hegel  I,  4.  407  f.  492.  594;  II,  10.  64. 

152.  279;  III,  2  A.  35  A.  242.  325  A. 

379.   389  f.  396.    398.    404.    425  f. 

431.  638  f. 
Hehn,  Victor,  III,  370  A. 
Hellwald,  Fr.  v.,  III,  825. 
Helm,  G.,  U,  409  A. 
Helmholtz,  H ,  I,  458.  494.  500  f.  504  f. 

507  f.  580;  H,  308  A.  857.  411 A.  438. 

440  A.   456.    502  A.    522  A.    555  A. 

576  A. 


Helmont,  J.  B.  van,   I,  638;  11,   582. 

585. 
Helvetius  III,  482  A. 
Henle,  J.,  II,  585  A. 
Henrici  (Herschel),  H,  368  A. 
Hensen,  V.,  II,  539  A.  575. 
Heraklit  I,  584;  U,  274. 
Herbart  I,  28.  44  f.  103.  154.  311.  407. 

464.  474  f.  488.  510.  516.  526.  540. 

594 f.  640 f.;  II.  228;  III,  48  f.  158f. 

161  f.  286  A.  248  f.  260.  299.  801  f. 

554  A.  637. 
Herder   lU,   48  f.   329.   378  f.  382  A 

889  f.  404  f.  422  f.  452. 
Herkner,  H.,  III,  625  A. 
Hermann,  F.,  (t'Hoff).  II,  493  A. 

—  (Handbach),  II,  539  A.  575  A. 
Herodot  lU,  2. 

Heron  (von  Alexandrien).  H,  263. 
Herschel,  John,  I.  599;  II  363  f.  A. 
Hertwig.  Herrn.,  II,  424  A. 

—  0.,  n,  571  f. 

Hertz.  H.,  U,  850.  436  A. 

Hesiod  III,  364. 

Hildebrand,  Br..  III,  499  A.  506  A. 

Hipparch  II,  261.  268.  405. 

Hippokrates  II,  581.  583. 

His,   Wilh.,   n,   541  A.    543.   546  A 

571. 
Hobbes,   Thomas,  I,   400;  II,  106  f.; 

m,  482.  489  A.  491t.  496.  558  f.  A. 

571. 
Hoff,  K.  E.  A.  V.,  II,  552  A. 
t'Hoff,  J.  H.  van,  H,  493  A.  499.  506  A 

513  A. 
Hohlfeld  (Krause),  III,  391  A. 
Holtzendorff,  v.,  III,  358  A.  550  A. 
Holzweissig  I,  152  A. 
Homer  III,  364.  368  f.  481. 
Hübschmann  I,  152. 
Humboldt,  A.  v.,  II,  114  A. 

—  W.  V.,  m,  352  A.  451. 

Hume,  D.,  I,  403  f.  466  f.  469.  491. 

531  f.  534.  546.  568.  588  f.  594.  598. 

606  f.;  II,  109  f.;  III,  158  f.  242.  570. 

633  f.  638. 
Huygens  I,  457;  H,  285.  297.  300.  803  f. 

306.  379  f.  414.  429. 


1. 


Ingenhouss  II,  554. 
Isenkrahe  II,  434  A. 


NamenTerzeicbniBS. 


J. 


Jacob  (Hume),  I,  589  A. 

Jacobi  n,  252.  818.  870  A. 

Jellinek»  G.,  III,  550  A. 

Jevons,  W.  St.,  1, 259.  816. 892;  n,  24  A. ; 

m,  509  A.  522  A. 
Jhering,  R.V.,  III,  872  A.  558  A.  562  f.  A. 

566  A.  569.  588  A. 
Jodl,  Fr.,  m,  322  A. 
John  III,  456  A. 
JoUy  (Whitney),  III,  358  f.  A. 
Jossieu  U,  58. 
Jnstinian  III,  4. 


K. 


Kant  I,  116  f.  154.  164.  170  f.  178  f. 

226.  308.  807  f.  814.  848  f.  401.  405  f. 

417.  422.  427.  463.  468  f.  481  f.  486  f. 

491  f.  496.  502  f.  509.  521.  529  f. 

589.  544.  546  f.  552  f.  568.  582.  590  f. 

594.  598  f.  606  f.  616  f.  685  f.  650; 

n,  24.  83.  104  f.  113.  126.  180.  141. 

153  A.  166.  428.  431  f.  460  f.  514  A. 

551  f.  A.;  III,  53.  126.  172.  242.  314. 

829.  422  f.  570.  687  f.  642  f. 
Katscher;  L.,  (Taine),  III,  327  A. 
Eantskj,  E.,  lU,  325  A. 
Kepler  I,  852  f.  481.  647;  II,  27  f.  77. 

264.  287  f.  809  f.  386.  840.  876; 

m,  57.  181  f.  188  f.  141.  517. 
Kiesewetter  I,  810. 
Kirchhoff  I,  577.  615;  II,  818  A.  341. 

845  A.  899.  436  A. 
Kirchmann  I,  416;  III,  554  A. 
Klebs,  E.,  II,  589  A. 
Klein,  Felix,  I,  494  f. 
Klemm  III,  322  A. 
Klöppel,  0.,  III,  602  A. 
Knapp  III,  476. 
Knies,  E.,  HI,  499  A.  504. 
Knight  II,  530. 
Köhler,  Alfr.,  III,  181  A. 
König,  Edm.,  II,  411  f.  A.  484  A. 
Kömer,  Reinh.,  II,  57  A. 
Eörosi,  J.,  m,  461  A.  471  A. 
Kohler,  J.,  III,  372  A. 
Kolb,  G.  F.,  III,  322  A. 
Kopp,  H.,  U,  471  A.  498  A.  510. 
Koro,  A.,  II,  434  A. 
Kossak  II,  124  A. 
Erftpelin,  E.,  DI,  169  A.  800  A. 


Krause,  K.  Chr.  Fr.,  III,  391  f.  A.  396. 

398. 
Kronecker  II,  140  f.  A. 
Kühnemann,  Engen,  III,  423  A. 
Külpe  I,  428. 
Kahn,  Adalb.,  III,  105  A.  107  A.  149  A. 

368  f.  A. 
Enrella,  H.,  (H.  Ellls),  ÜI,  575  A. 


L. 


Laas  I,  529,  591. 

Laband  III,  498  A. 

Lachmann  (Lessing),  III,  120  A.  127  A. 

Lacroix  I,  448. 

Lagrange  II,  108.  225  f.  240  f.  247. 

255  f.  .303.  807.  810.  812  f.  815  f. 

828.  325  A.  328.  831  f.  889  f. 
Laistner,  L.,  III,  369  A. 
Lambert  I,  814  f. 
Lamprechi^  K.,  III,  108  A.  328.  850  A. 

394  A. 
Lange,  A.,  I,  88.  127.  820  f. 

—  L.,  I,  620;  m,  181  A.  195  A. 
Langendorff  III,  227  A. 
Langer,  C,  II,  508  A. 

Laplace  I,  344.  446  f.  664  f.;  II,  429. 

462  f.  552  A. 
Lassalle  III,  516.  619  f.  A. 
Lasswitz,  Kard,  II,  429  A.  441  A. 
Laurent  II,  486. 

Lavoisier  II,  471.  478  f.  558.  569. 
Lazarus  III,  284  A.  236  A. 
Leibniz   I,  4.  18.  65.  117.  249.  254. 

401  f.   414.    468.   491.    525  f.    540. 

562.  564.  568  f.   586  f.   616.   621  f. 

685.  689  f.;  II,  96.  102  f.  192.  200. 

225  f.  281  f.  304  f.  412  A.  430  f.  456. 

463;  m,  48.  180  f.  162.  166.  241. 

248.  251.  266.  481.  627  A.  686  f. 
Lehmann,  A.,  III,  228  A. 

—  H.,  m,  861  A. 

—  Max,  in,  35  A. 
Lehr,  Julius,  in,  499  A. 

Leist,  B.  W.,  m,  872  f.  A.  583  f.  A. 
Lejeune  II,  84  A.  122  A.  125  A.  182  A. 
Lennan,  Mc,  III,  871.  373  f. 
Lessing  HI,  49.  120  f.  126  f.  129. 
Leuwenhoek  II,  898. 
Leverrier  I,  457.  460. 
Lexis,  W.,  III,  466  f.  A.  475  f.  A. 
Liebig,  Justus,  II,  364  A.  485  A. 
Lüienfeld,  P.  v.,  HI,  489  f. 


L 


Namenverzeichniss. 


Linn^  II,  42.  50  f.  53.  487. 

Lippert,  Julius,  III,  325. 

Lissajou  II,  402. 

Littrow  (Whewell),  U,  262  A. 

Lloyd  II,  350. 

Lobatschewsky  I,  498. 

Locke  I,  46.  401  f.  427  f.  466  f.  491. 

568.  588;  II,  107  f.;  HI,  166.  558  A. 

571. 
Lockyer,  J.  N.,  II,  511. 
LombrOBO  III,  574  f.  A. 
Lorenz,  Ottokar,  III,  339  A.  352  A.  399  A. 

415  A. 
Lotze  I,  102.  117.  119.  154.  164.  812f. 

483.  499.  501.  507.  595;  II,  81  f.  A.; 

III,  83  A.  377. 
Labbock,  III,  240  A.  371. 
Lassac,  Gay,  II,  74  f.  497  f. 
Luther,  Martin,  I,  554. 
Lyell  II,  552. 


M. 


Mach  II,  411  A. 

Maclaarin  II,  236. 

Maistre,  de,  III,  553  A. 

Malthus  III,  132.  617  f. 

Multzahn  (Lessing),  III,  120  A.  127  A. 

Mangoldt  m,  499  A. 

Minkowski  III,  105  A. 

Mannhardt  III,  363  A. 

Marat  III,  327  A. 

Marx,  K.,  III,  325.  510.  520.  619  f. 

Matthiessen,  L.,  II,  158  A. 

Maupertius  II,  311  f. 

MaxweU,  Clerk,  I,  448.  458;  II,  350. 

437  A. 
Mayer,  Ad.,  II,  311  A. 

—  J.  R.,  II,  412  A.  456.  555  A. 
Mayr,  G.  v.,  lll,  461  A.  463  f.  476  A. 

524  A.  528  A. 
Melloni  II,  849. 
Menger,  C,  III,  499  A.  506  f.  A.  510. 

520  A.  530  A.  532  A. 
Merkel,  A.,  II,  561 A.  571 A. ;  III,  549  f.  A. 

553  A. 

—  Julius,  III,  187  A.   189  f.  A.  195  A. 
Mersenne  II,  264. 

Meumann  III,  205  A. 
Meyer,  A.  B.,  11,  549  A. 

—  E.  H.,  III,  363  A. 

—  Ed.,  III,  98  A. 

—  G.  H.,  II,  547  A. 


Meyer.  Lothar,  II,  498  A.  506  A.  508  A. 

—  0.  E.,  n,  441  A. 

—  Victor,  II.  503  A. 

—  W.,  I,  457  A. 
Miklosich  I,  178  A. 

Mill,  John  Stuart,  I,    111.  154.  321  f. 

392  f.  408  A.  449.  597.  599. 602. 606  f. ; 

n,  22  f.  41.   106.    110  f.   126.   182. 

363  f.  A.;  III,  2  A.   52  A.   64.  88  f. 

100  A.    161  A.    171  A.   369  A.    483. 

503. 
Mirabeau  III.  327  A. 
Mises,  Dr..  I,  496  vgl.  Fechner. 
Misteli  m,  358  A.  860  A. 
Möbius.  A.  F.,  n,  197  A. 
Mogk  III,  98  A. 

Mohl,  R.  V.,  III,  440  A.  480  A.  485  A. 
Mommsen,  Th.,  III,  385  A.  848.  370  A. 
Monge  II,  184. 
MongeoUe.  F.,  III.  888  f.  A. 
Montesquieu  III,  382  A.  889  A.  482  A. 
Morgan.  L.  H.,  III,  371,  874. 
MosBO,  A.,  III,  227  f. 
MüUer,  Fr.,  I,  152  A.;  III,  359  A.  451  A. 

—  Herrn.,  II,  549  A. 

—  Iwan,  III,  87  A.  116  A.  303  A.  313  A. 

—  Job.,  I,  506  f.;  II.  534. 

—  Max.  m,  107  A.  353  A.  361 A.  368  f.  A. 
367.  370  A. 

Muschenbroek  II,  358. 


N. 


Nägeli  II,  522  A.  542  f.  A.  560  f. 

Napoleon  III,  827  A. 

Naumann.  Moritz,  II,  338;   III,   510. 

520  f.  A. 
Navier  II,  429. 
NaviUe  I,  456. 
Nedich,  L.,  I,  258  A. 
Nemst,  Walther,  II,  504. 
Neuberg,  J.  (Carlyle).  III,  324  A. 
Neumann,  C,  I,  581 ;  U,  482.  465  A. 

—  F.,  II,  500. 

—  F.  J.,  lU,  530  A. 

Newton,  J.,  I,  336  f.  351  f.  453.  459. 
495,  536.  581.  587.  600.  616;  H,  10. 
29  f.  37.  73.  77.  89.  96 f.  184.  225  f. 
229  f.  236  f.  264.  284  f.  297  f.  303. 
307.  309  f.  315.  340.  352  f.  357  f. 
360  f.  876.  379  f.  387.  389.  408.  425. 
429  f.  444.  447  f.  450  f.  453.  465  A. 
482;  III.  130  f.  138  f.  262.  431. 


Namenyerzeichniss. 


Nicholson  II,  488. 
Niebuhr  III,  335. 
Kikoraedes  II,  178. 


0. 


Oerstedt  II,  348.  359.  867. 
Oettinger,  A.  ▼.,  III,  461  A. 
Ohm  II,  850;  III,  132. 
Oken  II,  559  A. 
Oncken,  A.,  III,  502. 
Oppenheim,  L.,  III,  553  A. 
Osthoff  III,  97  A.  140  A.  858  A. 
Ostwald,  W..  11,  409  f.  A.  424  A.  499  A. 
502  A.  504  A.  513  A. 


P. 


Paracelsas  I,  526.  633;  II,  264.  582. 

Pascal  II,  190. 

Paul,   e.,  III,  97  f.  A.  234  A.   304  A. 

313  A.  354  A.  358  A.  360  f.  A. 
Paulsen,  Fr.,  III,  152  A. 
Peirce,  A.,  I,  250.  273. 
Peschel  III^  452  A. 
Petit  II,  494.  500.  510. 
Pfeffer,  W.,  II,   525  A.  544  A.   547  A. 

557  A. 
Pflüger  II,  536.  544  A.  568  f.  579  A. ; 

III,  208  A. 
Philipovich,  E.  v..  lü,  506  A. 
Pictet  III,  370  A.  395  A. 
Planck  II.  409  A.  411  A. 
Plateau  II,  337  f. 
Plato  I.  3.  399  f.  417.  463.  491.   527. 

647 ;  II,  15  f.  57  f.  88.  94  f.  101.  168. 

263.  274.  382.  533  f.;  III,  3. 128.  151. 

262.  314  f.  351  f.  369.  375.  409.  418. 

484.  542.  553  f.  A.  557.  634  f.  638  f. 
Plücker  I,  497. 
Poggendorff  (Gesch.  d.  Phys ),  II,  353  A. 

(Annalen);  II,  337  A.  350  A.  868  A. 

370  A.  450  A.  452  A.  500  A.  522  A.; 

III,  203  A. 
Poincar^  II.  437  A. 
Poinsot  II,  321. 
Poisson  II,  892.  429.  451  A. 
Polybios  m,  299.  398  f.  406. 
Post,  A.  H.,  III,  371  f.  A.  533  f.  A. 
Pott  I.  152;  II,  114  A. 
Preston,  S.  T.,*  II,  434  A. 
Protagoras  II,  284. 


Proat  II,  508. 

Ptolem&us  I,  429.  456.   647;  II,  263. 

286.  386. 
Pythagoras  I,  647;  II,  70.  88.   116  f. 

171 ;  III,  2  f. 


Q. 


Qaesnay  III,  502  A. 

Quetelet  I,  448 ;  III,  80  f.  391  A.  488. 


B. 


Ranke,  Leopold  v.,  III,  319.  324.  328  A. 

832. 388  A.  348. 352  f.  A.  399  A.  408  A. 

409.  411.  414  f.  429  f. 
Ratzel,  Fr.,  II,  552  A.;  III,  888  A.  897  A. 

451  A.  453  A. 
Ratzenhofer,  Gustav,  III,  481  A.  496  f.  A. 
Rauber,  A.,  II,  546  A. 
Rehmke,  J.,  I,  407  f. 
Ribbeck,  0.,  III,  869  A.  375  A. 
Ricardo  III.  503.  511  A.  530. 
Richter,  H.  E.,  II,  576  A. 
Riehl,  A.,  I,  259.  510.  569.  612  A. 
Riemann,  B.,  I,  495  f.  499.  504;  II,  90  A. 

206  A.  252  A. 
Ritter,  Carl,  II,  54;  III,  879.  452. 
Robespierre  III,  327  A. 
RochoU  III,  829  A. 

Rohde,  Erwin,  III,  43  A.  98  A    869  A. 
Röscher,  H.  W.,  lU,  148  A.  363  A.  480  A. 

499  A.  504. 
Roscblau,  E.  (Comte),  III,  441  A. 
Rosenkranz  (Kant),  II,  104  A.,  552  A.; 

III,  172  A.  424  A. 
Rousseau  III,  424.  492. 
Roux,  W.,  II,  523  A.  546  A. 
Rümelin,    B.    G.,    III,    136  A.    444  A. 

461  f. 
Rüge,  A.  (Buckle),   III,  325  A.  842  A. 
Russdorf  (Grove),  I,  602  A. 


S. 


Sachs.  Julius,  II,   57  A.  522  A.  525  A. 

530  A. 
Saussure  II.  554. 
Savigny  III,  541  A.  566  A. 
Sax,  E.,  III,  506  A.  510  A.  520  f.  A. 
Schäfer,  Dietrich,  III,  328  A. 


8 


Namenverzeichniss. 


Scb&ffle  III  442  A.  480  A.  489  f.  495  f. 

527  A.  625  A. 
Scharling  lU,  510  f. 
Scharnhorst  III,  35  A. 
Scheel,  H.  v.,  III,  499  A. 
Schellbach  (Poinsot),  II,  321  A. 
Schelling  I,  594;  II»  279.  518;  III,  485. 
Schiel   (Mül),   I,   597  A.;   II,    110  A.; 

III,  52  A.  84  A.  100  A.  483  A, 
Schüler  HI,  830.  431. 
Schimper,  C,  II,  56.  518  A. 
Schleicher,  Angost,  III,  353  A. 
Schieiden  II,  559. 
Schleiermacher  I,   4.    155.   170  f.;  III, 

116  A.  313  A. 
Schlözer  III,  330. 
Schmidt  (H.  d.  Med.),  II.  576  A. 

—  Leop.,  III,  369  A.  375  A. 
Schmitz-Dumont  I,  259.  510. 
Schmoller,  Gusta?,  III,  493  A.  500  A. 

502  A.  504  f.  A.  569  A. 
Schnapper- Arndt,  G.,  III,  528  A. 
Schneider,  G.  H.,  III,  240  A. 
Schönberg  III,  499  A.  530  A. 
SchOnlein  II,  585. 
Schopenhauer,  A.,  I,  79.  89.  407.  507  f. 

552  f.  566.  569  f.  588  f.  591  f.  599. 

608.  616.  639  f.;  III,  385  f.  577  A. 
Schrader.  0.,  III,  395  A. 
Schröder,   Ernst,    I,   250.   254.    273; 

II,  123  A. 
Schröter,  H.,  II,  176  A. 
Schubert  (Kant),  II,  552  A.;  lU,  172. 

424  A. 
Schubert-Soldem,  R.  v.,  I,  408  A. 
Schuchardt,  Hugo,  III,  140  A.  358  A. 
Scbultze,  Fritz,  III,  425  A. 

—  Max,  II,  560. 
Schuppe,  W.,  I,  306.  408  A. 
Schurtz,  H„  III.  451. 
Schwann  II,  559  f. 

Schwartz,  W.,  III,  104  A.  107  A. 
Schwartze,  Th.,  II.  434  A. 
Schwendener,  S.,  II,  522  A. 
Scripture,  W.  E.,  III,  213. 
Senebier  II,  544. 
SextuB  Empiricus  I,  320.  584. 
Shakespeare  III,  127.  313.  431. 
Sigwart  I,  102.   119  A.   181  A.  213  A. 

223  A.  311  A.  319  A.;  II,  24  A.  81  A. 
Simmel.  G.,  III,  136  A. 
Simon,  St.,  III,  391  A. 
Smith,  Adam,  III,  501  f.  511 A.  527  A. 

530.  554  A. 


Snell  II,  264.  361. 

Sötbeer,  H.,  III,  617  A. 

Sohm,  Rud.,  III,  545  A. 

Sohnke  II,  185  A. 

Sokrates  III.  3.  418. 

Soldem  s.  Schubert-Soldem. 

Sophokles  III,  818  f. 

Spallanzani  II,  515. 

Spencer,  Herbert,  I,  418  f.;  II,  541  A.; 

m,   160  f.   371  A.   398.   404.  441f. 

446.  488  A.  486  f. 
Spinoza  I,  4.  79.  89.  396.  401.  527  f. 

568.  586.  634  f.;  U,  83.  85;  lU,  251  f. 

254  A.  258.  636  f. 
Sprengel,  Kurt,  I,  638;  II,  582  A. 
StaU  I,  633. 
Stammler,  R.,  IH,  549  A. 
Stanley,  W.,  I,  316. 
Starcke,  N.,  lU,  374  A. 
Stein,  Lorenz  v.,  III,  440  A. 
Steiner,  Jacob,  II,  176  A.  182  A.  189  f. 
Steinhansen  III,  350  A. 
Steinthal  ü,   63;   III,   234  A.   236  A. 

859  f.  A. 
Stevinns,  Simon,  II.  264.  293  A. 
Stewart,  Dagald,  I.  408  A. 
Stintzing,  R.,  III,  359  A. 
Störk,  F.,  III,  498  A. 
Strasburger  II,  561  A. 
Sydenham  II,  583  f. 
Symmer,  Robert,  II,  367. 


T. 


Tacitus  III,  373. 

Taine,  H..  III,  87  A.  326  f.  880  A.  382  A. 

411.  423. 
Tait  I,  618;  U,  308  A.  313  A. 
Thomson,  Julius,  II,  502  A. 
Thomson,  W.,  I,  413;  II,  308  A.  813  A. 

438.  576  A. 
Thon,  A.,  lU,  550  f.  A. 
Thukydides  III,  2.  101.  299.  333. 
Tobias  I,  501. 
Tönnies,   Ferdin.,   III,   325  A.   442  A. 

599  f.  A. 
Treitschke,  H.  v.,  III,  8  A.  505  A. 
Trendelenburg  1, 4. 155. 171. 178. 320  A 

325.  492;  II.  80  f.  A. 
Turgot  III,  391  A. 
Tycho  s.  Tycho  de  Brahe. 
Tylor,  E.  B ,  III,  98  A.*  104  A.  366  A 

371  A. 


Naroenverzei  clmies. 


ÜBberweg  I,  4.  155.  348. 
Dmpfenbach  III,  499  A. 
Driichi,  L.  V.,  III,  308  A. 
üsener,  H.,  UI,   116  A.  SOS  A.  869  A. 


V. 

Veno,  J.,  I,  249  f. 

Tenier  in,  149. 

Temlam  e.  Baco. 

VatUr,  B.  (Spencer),  III,  371  A.  442  A. 

Vico,  GiambattUta,  III,  829. 

Virchow.  R.,  11,  547  A.  562.  584;  III, 

SS8A. 
Yitet  I,  127. 
Yolkelt,  J-,  lU,  171  A. 
Volkmann,  F.,  U,  437  A. 
Volt»  U,  362.  368  f.  402.  483  f. 
Voltaire  ID,  127. 
Vriea.  Hugo  de,  II.  542  A. 


Waage  II,  506  A. 
Wnolj,  von  der,  U,  499.  513  A. 
Waclumnth,  C,  III,  312  Ä.  322  A. 
Wlntig,  H.,  lir.  171  A.  891  A. 
Wagner,    Ad,    111,    499  f.  A.,   506  Ä. 

513  f.  A.  530  A. 
Waitz.  Theod.,  111,  867.  451  A. 
Wallace  U,  549  A. 
Wallig  n,  306.  380, 
Wftlrai,  L6on.  IJI,  509  A.  522  A. 
Weber  (Gebrflder).  II,  848. 

—  E.  H.,  lU,  192  f.  284. 

—  H.  F.,  n,  500  A. 


Weber.  W.  E-  U,  482.  450;  III,  132. 
Weierstra»!  II,  124  A.  202  f.  A. 
WoiBmann.  A.,  U,  542  f.  A.  574  A. 
WeiBB,  Julius,  II,  588  A. 
Wenzel  (Chemiker),  11,  471. 

—  Älfr.,  III,  527  Ä. 
Weatergaard  III.  475  A. 
Westermarck  Ol,  374  A. 
Whfttely  I,  SU  A.  320  A. 
Wheatatone  III,  203  f. 
Whewell  II,  18  A.  262  A, 
Whitney  III,  353  f.  A.  361  A. 
Wiedemann     (Annalen),     11,    SSO  A 

506  A. 
Wieser,  v.,  lU,  510. 
Wilke  11,  867. 
Windelband  I,  213. 
Winkler,  H..  III,  361  A. 
Winter,  G.,  III,  850  A. 
Witmer,  L.,  III,  218  A. 
Wolfen  (Newton),  I,  587  A.  600  f.  A,; 

II,  236  A.  382  A.;  (Euler),  1,  588  A. 

600  f.  A.;  II,  300  A. 
Wolff,  Caspar  Friedrich,  II.  541. 

—  Chiist,  I,  89.  401  f,  501.  540.  588. 
588,  631 ;  II.  300  A.  389 :  III,  158. 
241.  260.  209. 

—  JolinB,  II,  547  A. 
Wren  U,  306.  380. 
Wünsche  (Krause),  III,  301  A. 


Zoller,  Edoard  (i.  Jubiläum).  II,  141  A. 

261  A. 
Zeno  II,  228. 
Zennet  II,  380  A. 
Zitelmann  III,  574  A.  577  A. 
ZSckler  I,  632  A. 


Sachregister. 


A. 


Abendwolken  III,  363. 

Aberglaube  I,  420  f.  582;  III,  97  f. 
108  f.  361.  370,  vgl.  Animismus, 
Fetischismus,  Mythologie  etc. 

Aberkennung  I,  216,  vgl.  Verneinung. 

Aberration  II,  81. 

Abgeschlossenheit  I,  521. 

Abgrenzung  vgl.  Definition. 

Abhängigkeit,  A.  der  BegrifiPe  I,  136  f. 
142.  166  f.  274  f.  378  f.  571  f.;  Ab- 
hängigkeitsurtheile  I,  198.  198.  204  f. 
231  f.  240  f.  353  f.  869  f.  382  f.  479; 

II,  8.  11;  nU  144;  A.  und  Vemeinang 
I,  216  f.  231;  A.  von  der  geistigen 
Umgebung  III,  34—40,  vgl.  geistige 
Umgebung ;  A.  der  Empfindung  vom 
Reize  III,  173.  181  f.;  Abhängigkeits- 
verhältnisse III,  166.  188.  217.  230. 
290.  387.  389.  407.  476.  500.  520  f., 
vgl.  Causalität,  Function. 

Ablativ  I,  152. 

Ableitung,  Bildung  abgeleiteter  Urtheile 
I,  227.  243  f. 

Abmessungen  s.  Dimensionen. 

Abnahme,  unbegrenzte  II,  150  f.;  ab- 
nehmende Veränderungen  II,  573; 
A.  der  Intensität  durch  die  Dauer 

III,  283. 

Abnorme  Lebenserscheinungen  II,  515. 
Abortus  II,  57. 

Abplattung  der  Planeten  II,  837. 
Abscissenlinie    II,    227  f.    281.    234  f. 

252.  509  f.;   III,  475  f.,  vgl.  Coordi- 

naten. 
Absicht,   Absichten  des  Schopfers  III, 

130  f. ;  Absichtlichkeit  störend  III,  17 1, 

vgl.  Tendenz  etc. 


I  Absolut,  Begriff  des  Absoluten  I,  517, 
524.  580.  533.  543.  594;  das  Absolute 
bei  Hegel  I,  408;  absoluter  Idealis- 
mus und  Realismus  I,  626 ;  absolute 
Gebilde  der  Physik  I,  581  A.  623  f.; 

II,  282.  820.  825.  439  f.  518;  III.  60  f. 
512.  569  A.;  Absolutheit  von  Null 
und  Unendlichkeit  II,  150 f.;  absolute 
Isolirunglll,  89 ;  politischer  Absolutis- 
mus III,  148f.  400.  481 A.  501.  548 f.; 
absolute  Massbestimmungen  II,  425  f. ; 

III,  188;  abs.  Veigleichung  III,  196. 

Absorption  II,  399.  465.  506.  520. 

Abstammung  II,  574;  Abstammungs- 
lehre II,  561  A.,  vgl.  Entwicklung: 
A.  der  Völker  lU,  448  f. 

Abstoasung  I,  616  f.  622;  elektrische 
A.  und  Anziehung  II ,  366  f.  405. 
481  f.  451  f.  561. 

Abstraction  I,  48  f.  51  f.  362.  871.  495; 

II,  1.  11  f.  25.  48  f.  112  f.  118.  120. 
126.  884.  389.  842.  393.  446;  UI,  .S. 
13  f.  56  f.  96.  102.  147.  149.  160. 
178.  198.  281  f.  241.  268.  298.  347  f. 
356.  359  f.  420  f.  474.  478.  495.  501. 
503.  508  f.  511  f.  521.  569  A.  577  f. 
582  f.  622.  682  f.;  abstracte  Be- 
griffe I,  Ulf.;  abstracter  Charakter 
der  Qegenstandsbegriffe  I,  124.  126. 
157.  162  f. ;  abstractes  Einzelurtheil 
I,  180;  abstractes  Ürtheil  in  be- 
schreibender Form  1, 187  f. ;  abstracte 
Abhängigkeit  210 f.,  vgl.  Bedingung; 
A.  und  Determination  I,  268;  snc- 
cessive  A.  III,  518;  abstracteres  Zeit- 
bewusstsein  I,  185;  abstracte  Zahl 
I,  528 ;  populäre  A.  der  Psychologie 

III,  20;  psychologische  A.  UI,  55  f. 
57—64.  74.  89  f.  157  f.  167.  197.  207. 


Saohregiater. 


11 


282;  isolirende  und  generalisirende  A. 

II,  12  f.  49.  52  f.  564;  generische  A. 

III,  480;  mathematische  A.  II,  125  f. 
183.  375.  458;  III,  129;  physikalische 
A.  II,  373—378. 379. 460 ;  mechanische 
A.  II,  407  f.  460;  chemische  A.  II, 
491—495;  abstracte  Wirthschafta- 
theorie  III,  508—521.  522.  526.  530. 
562;  A.  bei  Hobbes  II,  107;  A.  bei 
Locke  II,    107  f.;  A.  bei  Berkeley 

II,  108 f.;  A.  beiHume  109 f.;  A.bei 
J.  St.  Mill  II,  1 10  f. 

Abstufung  II,  476  f.  479  f.  486  f.  530; 

III,  178  f.  185  f.  217  f.  222.  472  f.; 
unendliche  A.  I,  526;  gradweise  A. 
n,  364  A. ;  III.  65;  mittlere  A.  III.  187 ; 
A.  nicht  übereinstimmender  Erschei- 
nungen II,  339.  341,  vgl.  Grad. 

Abwehr  vgl.  Verneinung. 

Abweichung  III,  186;  zuf&llige  A.  I,  81, 
vgl.  Fehler. 

Abz&hlungsmethoden  III,  185.  187  f. 
190  f.  456. 

Abziehnng  s.  Subtraction. 

Accent  III,  149. 

Acclimatisation  II,  548. 

Accommodation  des  Auges  II.  894;  Ac- 
commodationsbewegungen  III.  204. 

Accord  III.  156.  197.  272. 

Accusativ  I.  145.  148  f. 

Acetylen  II.  480.  579. 

Ackerbau  III,  370. 502.  525.  532;  Acker- 
baustaat III,  480. 

Actiengesellschafb  III,  492  f. 

Actio  in  distans  II,  434  f.  441.  451. 

Action,  kleinste  II.  311  f.;  Gleichheit 
von  A.  und  Reaction  II,  299  f.  324. 

Activit&t  II,  568,  vgl.  Spontaneität 

Actualitat  III,  168.  242.  244  f.  249. 
269—267.  294.  598 ;  A.  der  Substanz 
I,  527  f.;  actuelle  Energie  I,  621  f., 
vgl.  Energie. 

Acute  Krankheiten  II,  586. 

Adams  Sündenfall  III,  49. 

Adel  III.  592 ;  Adelsherrschaft  s.  Aristo- 
kratie. 

Addition  I,  261  f.;  II,  87  f.  97  f.  120. 
132  f.  136.  144  f.  150  f.  155.  168. 
211.  217.  244  f.  247  f.  821.  468; 
III,  214  A.;Add.  von  Geraden  II,  195  f.; 
A.  von  Punkt  und  Gerade  II,  197, 
vgl.  Summation. 

Adhäsionskräfte  II.  892. 

Adjectivnm  I.  119.  145  f.  165  f.  186  f. 


Adverbium  1, 61  f  118  f.  145  f.  168. 184. 

Aegyptisches  Rechnen  II,  114  f 

Aehnlichkeit  II,  196. 585. 589;  III,  159  f. 
355.  363  f.  871  f.  493.  580;  Ae.  und 
Analogie  I,  346  f.  374;  Aehnlichkeits- 
association  1,  24  f.;  III,  159.  212,  214; 
ähnliche  Dreiecke  II.  191.  196;  Ae. 
bei  Hume  I,  589. 

Aenderung  s.  Veränderung. 

Aequator  II,  425. 

Aequidistanz  II,  45. 

Aequipollenz  der  Begriffe  I,  131;  Ae. 
der  ürtheile  I,  227  f.  241  f. 

Aequitas  III.  565.  573. 

Aequivalenz  III,  146 ;  Ae.  von  Ursache 
undWirkung  1,612;  chemisches  Aequi- 
valentgewicht  II,  495  f. 

Aequivoca,  generatio  aequiv.  II,  576  f. 

Aerztlicfae  Schulen  II.  580  f. 

Aesthetik  I,  32;  III,  16.  33.  41.  69.  84. 
116.  118  f.  126  f.  158.  164.  217  f. 
287  f.  274.  282.  814.  318;  ästheti- 
sches Bedürfniss  I,  455,  646  f. ;  ästhe- 
tisirende  Naturbetrachtung  II,  518; 
ästhetischer  Einfluss  der  Naturum- 
gebung III,  42  f. ;  ästhetisches  Gefühl 
und  ästhetische  Urtheilskraft  bei  Kant 

I.  636  f ;  transscendentale  Ae.  Kants 

II.  104  f. 

Aether  II,  376.  393.  434  f.  485;  Aether- 

schwingungen  III.  271 ;  Aetheratome 

II,  482  f 
Aethyl  II,  485.  508. 
Aeusserer  und  innerer  Sinn  bei  Kant 

I.  549. 
Affecte  I,  11;  III,  160.  197.  222  f.  227  f. 

271  f.  283.  295.  625;  A.  bei  Descartes 

I,  634. 
Affectionsgüter  III,  511  A. 
Affen  III.  374. 
Affinität,  chemische  II.  29.  469.  471. 

474  f  478  f.  482  f.  488  f.  494  f  498. 

501  f  511.  516;  Grösse  und  Richtung 

der  A.  II,  484. 
Affirmation  s.  Bejahung. 
Agentien,  chemische  II,  478  f. 
Agglutination,  Theorie  der  A. III.  359 f.; 

A.  der  Vorstellungen  I,  33.  35  f. 
Aggregatszustand  II,  373.  474. 492.  494. 

499  f.  505.  510.  560;   III.   270.  272. 

486  f.  491  f.  590. 
Agricultur  s.  Ackerbau. 
Akademie,  Platonische  III.  3. 
Akustik  II,  78.  264.  396.  400  f. 


12 


Sachregister. 


Albtraum  111,  869  A. 

Alchemie  1,  535;  II,  264.  471.  491. 

Alexandrinische  Periode  III,  5  f. 

Algebra  II,  89;  algebraische  Zeichen 
I,  84.  249;  II,  86.  154;  III,  582;  al- 
gebraische Operationen  II ,  154  f. ; 
algebraische  und  logische  Operatio- 
nen 1 ,  284  f. ;  A.  und  algebraische 
Analyse  II,  154  f. ;  algebraische  Geo- 
metrie II,  192;  algebraische  Functio- 
nen II,  211  f.;  A.  bei  Home  I,  408. 

Algen  II,  575. 

Algorithmus  der  Urtheilsfunctionen 
I,  246  f. ;  A.  des  Schliessens  I,  877  f.; 
mathematischer  A.  II,  90. 

Alibibeweis  II,  80. 

Alkalien  II,  477.  480. 

Alkohol  II,  480.  485. 

Allgemeinbegriffe  I,  105  f.  138  f.  142  f. 
808 f.;  II,  11  f.  538;  III,  67.81.  159. 
212.  241.  259. 

Allgemeine  Psychologie  III,  19.21.  169. 

Allgemeingültigkeit  II,  427. 457 ;  lU,  69. 
71.  123.  129.  135.  148.  150.  168  f. 
180.  195.  202.  214.  232.  236  f.  251. 
273  f.  277.  308.  812.  317.  822.  366. 
378.  381.  405  f.  420.  472.  474.  480. 
498.  509  f.  517.  520  f.  534.  539.  541  f. 
553.  597;  A.  der  Denkgesetse  I,  18. 
86  f.;  III,  84.  120;  A.  der  Begriffe 
I,  98  f.;  A.  im  Urtheil  I,  185  f.; 
Allgemeinheit  und  aligemeingflltige 
Form  I,  192. 

Allgemeinheit  I,  98  f.  117.  309;  II,  251  f. 
859  f.  457;  III,  131.  135.  138.  142  f. 
145.  148.  169.  237.  273  f.  357.  379  f. 
383  f.  508  f.  519.  577.  580.  583;  A. 
der  Zahlgesetze  II,  155;  Erklllrung: 
allgemeinster  Standpunkt  I,  191; 
allgemeiner  Charakter  der  Sprache 
I,  197 :  Grad  der  A.  der  Denkgesetze 
I,  566;  allgemeine  Urtheile  bei  Kant 
I,  173.  182. 

Allgemeinvoratellungen  III,  221. 

Alphabeten  und  Analphabeten  HI,  460. 

Alter,  Lebensalter  III,  391  A.  397.  475; 
Lebensalterstatistik  III,  5.  462. 

Alternation  derBewegungsgesetzel,  516. 

Alternative  I,  201.  203  f.  232  f.  234. 
381;  II,  81  f.;  III,  152  f.;  negative 
A.  I,  220  f.  224.  885;  alternative 
Schlösse  I,  358  f. 

Alterthum  III,  6.  329.  419;  Alterthums- 
Wissenschaft  III,  308. 


Altruismus  III,  513  f. 

Ameisen  III,  240  A. 

Ameisensäure  II,  480.  579. 

Ammoniak  II,  477.  486.  488. 

Amnesie  UI,  228  f. 

Amylon  II,  525. 

Analogie  I.  224  f.  828.  846  f.  878  f. 
488  f.  494  f.  508;  II,  131  f.  149.  868. 
483  f.  493  f.  500.  505.  507  f.  511  f. 
538.  541.  544A.  545.  557.  570.  572f. 
585  f.  588  f.;  III.  14.  88  f.  97.  141. 
154.  159.  244.  269  f.  275.  281.  810. 
813.  887.  345  f.  856.  858.  363.  872. 
891  f.  401  f.  422.  446.  488  f.  526.  566. 
568.  571  f.  578. 585. 611  f.;  historische 
A.  III,  71. 78 ;  analoge  (physiologische) 
und  homologe  (morphologische)  Cha- 
raktere II,  566. 

Analphabeten  III,  460. 

Analyse  I,  158.  170  f.  809.  326  f.  381. 
890  f.  894  f.  501  f.  516;  II,  If.  12.  338. 
839.  842  f.  846.  558.  561;  III,  20. 
27. 118. 175  f.  262. 276. 279.285—289. 
298.  305  f.  408.  410.  412  f.  445.  467. 
472  A.  482.  516.  580  f.  584.  586.  617. 
621.  632  f.;  elementare  A.  II,  3  f. 
475  f.;  causale  A.  II,  4  f.  475.  553; 
III.  197.  201—214.  270;  logische  A. 
II,  6  f.;  psychologische  A.  III,  58. 
55  f.  57—64.  65.  70.  74.  89  f.  94  f. 
101  f.  107.  113.  121  f.  127.  160.  162. 
166  f.  170.  178.  196—201.  288  f.  268. 
300.  379  f.  521;  morphologische  A. 
II,  517—524;  III,  228;  physiologische 
A.  III,  228;  physiologische  und  physi- 
kalische A.  der  Wahrnehmungen 
II,  396 f.;  physiologische  und  patho- 
logische Funcdonsanalysell,  528—538 ; 
mathematische  A.  I,  349  f. ;  II,  61  f. 
89.  94  f.  388.  866.  382  f.  388.  391. 
416.  480.  482.  445;  algebraische  A. 

II,  154  f.  161  f.  430;  geometrische  A. 
IL  194  f.;  chemische  A.  U,  470— 478. 
481.  491  f.  525.  561  f.;  stufenweise 
A.  (der  Chemie)  II,  476  f.  479.  481. 
486  f.  494;  qualiUtive  A.  U,  471  f.; 

III,  200  f.   211  f.;    quantitative    A. 

II,  471  f.  483;  III,  201;  A.  der  Ge- 
fühle, Affecte  und  Willensvorgftnge 

III,  215—227;  A.  der  Natureraehei. 
nungen  II,  347-356.  357  f.  379; 
analytische  Deduction  II,  38.  379. 
382  f. ;  analytische  Classification  II, 
60  f.;  analytisches  Beweisverfahren 


Sachregister. 


13 


ir,  71  f. ;  analytische  Geometrie  II,  89. 
192  f.  883.  417  f.;  analytische  Func- 
tion n,  208  f.;  analytische  Mechanik 

II,  449;  Klanganalyse  II,  857.  401  f.; 

III,  200.  228;  allgemeines  Princip  der 
analytischen  Methode  II,  94.  165. 
210;  Kennzeichen  der  analytischen 
Methode  II,  97;  analytischer  Scharf- 
sinn und  Beobachtungstalent  II,  856. 

Anarchismus  III,  548  f. 

Anatomie   II,  271.    343  f.  515.   517  f. 

523;  III,  67.  489;  pathologische  A. 

II,  584. 
Aneinanderreihung,  zeitliche  III,  197; 

A.  vgl.  Association. 
Anekdotenjagd  III,  240  A. 
Aneroidbarometer  II,  402. 
Anfangszustand  II,  463  f. ;  III,  356. 
Angeborene  Vorstellungen  l,400f.  468f ; 

II,  101  f,  vgl.  Apriorismus. 
Angebot  III,  137.  879.  520.  522  A. 
Anhäufung  kleiner  Wirkungen  II,  551  f. 
Animalculisten  und  Ovulisten  II,  541. 
Animalische     Physiologie ,     Psycholo« 

gie  etc.  s.  Thierphysiologie,  Thier- 
Psychologie  etc. 
Animismus  I,  633;  II,  265.  533 f.  581  f.; 

III,  97  f.  367  f. 

Anlage  I,  26  f.  80;  II,  542.  579.  588; 
III,  40.  63.  226.  229.  289.  260.  275. 
280.  287.  295.  321.  330  f.  414.  423  f. 
433.  458.  587.  542.  574  A.  604;  A. 
bei  Leibniz  I,  402;  psychische  An- 
lagen I,  506  f. 

Anlass  der  Evidenz  I,  85;  A.  der  Ur- 
theilsbildung  I,  214. 

Annäherung  III,  517;  Annäherungs- 
werthe  III,  188;  Annäherungscha- 
rakter der  Infinitesimalmethode  II, 
235  f. 

Anpassung  II,  535.  540.  545  f.  557. 
565.  590;  III,  44  f.;  mechanische  A. 
II,  545  f.  563;  chemische  A.  II,  545. 
547  f.;  functionelle  A.  II,  545.  548 f. 
554. 

Anregung  II,  571. 

Anschaulichkeit  I,  502.  618;  II,  278. 
278  f.  324.  327. 388.  409  f.  480.  485. 
438  f.  444  f.  458  f.  507.  514  A;  III,  55. 
259.  291.  475  f.  489  f.  498  f.  498, 
vgl.  Evidenz;  anschauliches  Denken 
1,208 f.;  griechische  A.  I,  162 f.;  an- 
schauliche Sprachstufe  1 ,  162  f. :  A. 
bei  mathematischer  Synthese  II,  98  f. 


Anschauung  I,  82  f.  151.  225,  544  f. 
571;  II,  880.  387.  893.  518;  III.  259  f. 
510.  582;  Anschauungs-  und  Begriffis- 
gegenüber  Erfahrungswissenschaften 
II ,  83.  86.  40.  49 ;  A.  und  Begriff 
II,  514  A. ;  (Atomistik)  II,  458;  A.  und 
Zahlbegriff  II,  148  f.;  Erfahrung  und 
reine  A.  I,  618  f.;  II,  324;  reine  A. 

I,  508.  505.  574;  II,  88.  130;  reine 
A.  bei  Kant  I,  469.  580;  II,  126; 
Widersprüche  gegen  die  A.  II,  440  f. ; 
A.  bei  Schopenhauer  I,  598. 

Anschauungsformen  I,  435  f.  461.  481. 

510;  II,  463.  513;  A.  bei  Kant  I,  406. 

507 ;  II,  104  f. ;  III,  688  f. 
Anspielung  III,  313. 
Ansteckung  U ,   532.  576.  578.  582  f. 

585  f. 
Anstoss  (impetus)  II,  294  f. 
Anstrengung  vgl.  Spontaneität. 
Antagonismus  der  Anlagen  III,  425. 
Anthropocentrische  Denkweise  III,  44. 
Anthropogeographie  II,  270;  III,  358. 

888  f.  397  A.  458  f 
Anthropologie    III,    235.    320  f.    335. 

366  f.  371  f.  399  A.  428  A.  438.  448. 

452  f.  457  f.  464. 
Anthropometrie  III,  457  f. 
Anthropomorphismus  I,  557.  584.  625. 

649;  II,  287.  294.  801;  III,  582  f  s. 

auch  Teleologie. 
Anthropopathische  Teleologie  I,  631  f.; 

II,  314. 

Anticipation  I,  454;  III,  20.  24.  186. 

Antike  III,  6,  vgl.  Alterthnm. 

Antinomie  UI,  890;  Antinomien  des 
Causalbegriffs  I,  628  f. ;  A.  zwischen 
Endlichkeit  und  Unendlichkeit  11, 
459  f. ;  A.  bei  Kant  II,  83.  460  f. 

Antiteleologie  I,  684  f. 

Antithese  IIL  684  f. 

Anwendungen  III,  517. 

Anwesender  Ort  bei  conditionaler  Be- 
gründung I,  209. 

Anzahl  II,  140. 

Anziehung  I,  616  f.  622 ;  II,  78.  866  f. 
405.  451  f.  471.  561.  572;  III,  262; 
attractio  electiva  III,  482  f. 

Apagogiscber  Beweis  II,  69.  79  f. 

Aphasie  III.  228  f. 

Apodiktische  ürtheile  I,  213.  225  f. 
378.  484 ;  II,  25 ;  apodiktische  mathe- 
matische Sätze  II,  106 ;  apodiktische 
ürtheile  bei  Kant  I,  174  f.  505  f. 


14 


Sachregister. 


Apollon  III,  863  f.  369. 

Apperception  I,  17.  22  f.  28  f.  467  f. 
524.  532  f.  539.  543.  555  f.;  11.273; 
III,  207  f.  211.  219  f.  246.  266  f. 
286  f.  290;  saccessive  A.  I,  55  f.; 
Apperceptionsdauer  III,  458 ;  passive 
und  active  A.  1,  30  f.  80 ;  III,  280. 
282.  287;  Formen  der  activen  A. 
I,  31  f. ;  apperceptiver  Gedanken  ver- 
lauf I,  59  f. ;  Complicaiionen  mit  der 
Association  1 ,  65  f. ;  active  A.  und 
Syllogismus  I,  71;  Einheit  der  A. 
I,  468  f. ;  III,  246.  266  f. 

Approximative  Werthe  III,  188. 

Apriorismus  und  Wahrscheinlichkeit  I, 
342.  440  f. ;  A.  und  Constanz  I,  514; 
A.  und  Causalität  I,  507  f.  514.  592  f. 
606  f.;  mathematischerA.il,  130; 
A.  bei  Aristoteles  I,  308  f.;  A.  bei 
Plato  I,  899;  synthetische  Urtheile 
a  priori  II,  105 ;  Apriorit&t  der  An- 
schauungsformen II,  104  f.;  aprio- 
ristische  Voraussetzungen  I,  400  f. 
426  f.;  aprioristische  GflItigkeit  I, 
574 ;  II,  457. 

Arabische  Mathematik  II,  91  f.  157  f.  A. 

Aräometer  II,  405. 

Arbeit  II,  305  f.  308.  408.  424.  450. 
453  f.  502.  504.  556 ;  III,  499.  509  f. 
519  f.  525;  freie  A.  Ul,  515;  freier 
Arbeitsvertrag  III,  597 ;  Arbeitsschutz 
III,  478;  Vertheilung  der  A.  III,  511 ; 
Arbeitstheilung  III.  3.  13.  15.  22.  231. 
512.  525.  595;  ArbeitsOlhigkeit  II, 
453  f. ;  Arbeitserzeugnng  II.  527. 567 ; 
wissenschaftliche  A.  III,  67 ;  Arbeiter 
III,  511.  516;  Arbeiterstatistik  III, 
527  f. 

Archaistische  Nachahmungen  III,  123. 

Architektur  III,  35  A.  411.  417. 

Argumente  der  Function  II,  199  f. 

Arier  III,  370  A.  533  A. 

Aristokratie  III,  398.  400.  479  f. 

Arithmetik  I,  139.  570.  579  f. ;  II,  37. 
88  f.  155.  380 ;  III,  475;  arithmetische 
Messung  irrationaler  Zahlen  II,  143; 
arithmetischer  Differentialbegriff  II, 
238  f.;  A.  bei  Hume  I,  403;  poli- 
tische A.  III,  456  A. 

Armenpflege  III,  465.  478. 

Armenrecht  III,  478. 

Arragonit  II,  350. 

Areen  II,  478.  485. 

Art  II,  564  f.  574 ;   A.  des  Zählens  II, 


140;  A.  und  Weise  I,  150  f. ;  A.-  und 
Gattungsbegriffe  I,  362  f. 

Artefact  vgl.  Kunsterzeugnin. 

Articulation  III.  357. 

Arzneiknnde  II.  580-590. 

Assertorisches  ürtheil  I,  225;  ass.  ü. 
bei  Kant  I.  174  f. 

Assimilation  I,  17  f.  604 ;  II.  559.  561, 
568 ;  Ul,  206.  539. 599 ;  Assimüations- 
kraft  II,  835;  A.  ein  Associations- 
vorgang  I,  18. 

Association  I,  13 ;  III,  48.  97.  141.  155. 
206  f.  211  f.  218  f.  221.  225  f.  251. 
272.  287  f.  858;  A.  u.  Apperception 
I,  28  f.  34.  60.  65  f.  80.  469 ;  III.  211. 
219.  267.  280.  282;  Associations- 
psychologie  III,  48.  157  f.  164.  166. 
212  f.;  Associationsregeln  I,  23  f.; 
Correctur  derselben  I,  25;  Ass.  und 
Uebung  IIT,  228 ;  simultane  A  1, 13  f. ; 
III,  218;  successive  A.  I,  22  f.  59; 
Ul,  210  f. ;  A.  und  Mehrheitsurtheil 
I,  180  f. ;  A.  und  Beschreibung  und 
Erz&hlung  I,  184  f.;  A.  u.  Causalität 

I,  589  f.;  AsBodationsgesetse  der 
Grössenlehre  I,  579 ;  associative  Ver- 
bindungen bei  der  Addition  I,  266; 
associative  Verschmelzung  I,  13  f. 
509.  512;  A.  bei  Hume  I,  403; 
Associationsgesetz  der  Addition  und 
Multiplication  II,  122. 

Assyrische  Geschichte  III,  338.  414. 

Astrochemie  II,  511. 

Astronomie  I,   447.  641.   644  f.  647; 

II,  31  f.  76  f.  81.  261.  263  f.  269. 
286.  288.  836.  340.  886.  398.  404  f. 
413  f.  415.  463  f.  551  f.;  III,  3.  65. 
76  f.  139.  208.  430  A.  488  A.  487 ; 
Alexandrinische  A.  II.  417. 

Astrophysik  II,  269.  837  f. 

Asymmetrie  für  wechselseitige  Reci- 
procität  I,  274  f. 

Atavismus  III,  575  A. 

Athen  lU,  534  f.  A. 

Athmung  II,  530.  536.  548.  553  f.  567. 
571  f.  580;  III,  222  f.  227. 

Atom,  psychologische  Atombypothese 
s.  Psychologie. 

Atomistik  I,  491.  517.  525  f.  527.  540. 
584  f.  616.  632.  634 ;  II,  273  f.  278  f. 
288  f.  326.  429  f.  457  f.  483  f.  495  f. 
505  f.  533.  542.  559;  lU,  154.  242. 
271  f.  292  f.  295;  chemischer  Atom- 
begriff II,    506—513.    579;    Atom- 


Sachregister. 


15 


gewicht  II,  495  f.  506  f. ;  Atomvolom 
n,  509  f.;  AtomgruppiroDg  II,  55. 
493.  510 ;  socialer  Atomifimus  II],  487. 
491  f. 

A  tropin  II,  581. 

Attractionserscheimingexi  II,  484.  482  f. 
498  f.  572. 

Attribut  I,  60  f.  156.  162  f.  167  f.  252  f. 
473 ;  attributive  Beziehungen  1, 147  f. ; 
A.  u.  Negation  I,  221 ;  A.  bei  Spinoza 
I,  408.  527.  586. 

Aufeinanderfolge  III,  159.  487;  regel- 
massige  Beziehung  der  A.  III,  159; 
Regeln  der  A.  I,  368;  A.  in  der  Er- 
zählung I,  184;  A.  und  Causalität 
I,  409.  598  f.;  A.  und  Bedingtsein 
I,  588.  605  f. ;  A.  rhythmischer  Ein- 
drflcke  I,  519,  vgl.  auch  Rhythmus; 
A.  der  Denkacte  U,  141 ;  A.  der  Vor- 
stellungen III,  208. 

Auffassung,  causale  A.  s.  Cansalit&t, 
genetische  A.  II,  515;  III,  423  f. 

Auffassungswerth,  intensiver  (Klarheit) 
und  extensiver  (Deutlichkeit)  III, 
179. 

Aufgaben  bei  Euklid  II,  172  f.;  bei 
Euler  II,  389. 

Aufhebung  einer  Qualität  I,  272;  A. 
einer  Function  II,  529,  vgl.  Ver- 
neinung. 

Auf  klärungszeitalter  III,  49.  481.  594. 

Auflösung  logischer  Gleichungen  I, 
291  f.;  Methoden  der  A.  I,  877  f.; 
prädicative  A.  167  f. 

Aufmerksamkeit  11,835;  HI,  175.211A. 
212.  215.  225.  282 ;  Umfang  der  A. 
III,  205;  A.  und  Wille  III.  226,  vgl. 
Apperception ;  plan  massige  Richtung 
der  A.  IH,  170.  174.  188  f.  212. 

Aufrechtsehen  I,  508 ;  Auf-  u.  Abwärts- 
bewegung des  Doppelauges  513. 

Aufregung,  Dionysische  III,  369. 

Aufstreben  der  Vorstellungen  bei  Her- 
bart III,  168. 

Aufzählung  I,  200  f. 

Auge  II,  394.  396  f.  404.  412 ;  III,  203  f. 
228;  Augenbewegungen  I,  508  f.; 
III,  204.  228. 

Ausbreitung  der  Erregungen,  Gesetz 
der  A.  d.  E.  bei  A.  Bain  III,  161  A 

Ausdehnung  I,  141,  403.  476;  II,  395 
439.  445.  460.  462  f.;  UI,  569  A. 
Ansdehnungslehre  I,  263  A.;  II,  89 
A.  bei  Spinoza  1, 408.  527,  vgl.  Raum ; 


A.  durch  Wärme  II,  402;  A.  und 
Masse  der  Materie  II,  466. 

Ausdrucksbewegungen  I,  21;  III,  214. 
222  f. 

Ausfallserscheinungen  II,  530. 

Ausgangspunkt,  causaler  A.  einer  Be- 
wegung II.  460. 

Ausgezeichnete  Werthe  II,  224.  421; 
III,  184  f.  188.  190  f.  217  f. 

Ausgleichung  III,  184;  A.  der  Neben- 
wirkungen I,  441;  III,  184;  A.  der 
Störungen  II,  548.  582.  584.  589  f. 

Auslegung  s.  Interpretation. 

Auslösung  II,  544  f.  563  f. 

Ausnahmslosigkeit  III,  140  f.  357. 

Attssageform  I,  118. 

Aus-  und  Einschachtelung  II,  573. 

Ausscheidung  der  Fnnctionszeichen  I, 
279  f. ;  A.  der  subjectiven  Bestand- 
theile  I,  515  f.;  A.  der  Copula  1, 337; 
A.  des  Mittelbegriffs  1 ,  394  f. ;  Un- 
organische Ausscheidungen  des  Or- 
ganischen II,  577,  vgl.  auch  Elimi- 
nation. 

Ausschliessung  I,  218  f.  359.  367  f.; 
II,  79.  277.  399 ;  III,  469  f.  513,  vgl. 
auch  Elimination;  ausschliesslicher 
Grund  1, 231 ;  ausgeschlossenes  Drittes 
I,  358,  565  f. ;  n,  79 ;  III,  46.  152  f. 

Aussonderung  s.  Ausscheidung,  Elimi- 
nation. 

Auswanderung  III,  459  f.  618. 

Aussenwelt  I,  424.  461  f.  516 ;  H,  394. 
563;  m,  158.  164.  244  f.  264;  Stel- 
lung zur  A.  II,  568;  A  u.  geistiges 
Sein  I,  27  f.  80 ;  III,  46   244  f. 

Automatisirung  III,  207.  225  A.  226. 

Autonomie  III,  487.  544  f. 

Autorität  lU,  119  f.  480.  492.  544. 
554  f. ,  Autoritätsglaube  III,  129  A. ; 
Autoritätsstaat  III,  479  f  553  f. 

Avunculus  und  Patruus  III,  378  A. 

Axiome  I,  85.  212.  559;  II,  34  f.  67  f. 
70.  105.  107  f.  118  f.  131.  168  f. 
299  f.  388 ;  III,  25.  100.  130  f.  142. 
383.  511  f.  577;   A.   der  Geometrie 

I,  493  f.  580 ;  algebraische  A.  I,  284. 
578;  allgemeine  Begriffsaxiome  1, 331 ; 
mathematische  A.  I,  574  f. ;  A.  der 
Zeit  1, 482  f. ;  physikalische  A.  1, 618  f. ; 

II,  411  f  A. ;  A.  der  allgemeinen 
Grössenlehre  1 ,  578  f. ;  A.  der  ein- 
zelnen Grössenbegriffe  I,  579  f.; 
arithmetische  A.  I,  579  f. ;  phorono- 


16 


Sachregister. 


mische  A.  I,  580  f. ;  II,  324 ;  A.  bei 
Newton  II,  299  f.  880 ;  A.  bei  Galilei 
II,  882. 


B. 


Babylon,   altbabylonische   Sagen    III, 

105  A. 
Bakteriologie  II,  585  f. 
Barbaren   und   Griechen    and   Römer 

III,  329. 
Barock  III,  411.  417. 
Barometer  II,  401  f.  405  f. 
BasaltkngeWersuch  Bischofs  II,  837  f. 
Basis  II,  215  f.;  chemische  B.  II,  488  f. 
Bastzellen  II,  547. 
Baukunst  III,  85  A.  411.  417. 
Baum  II,  574. 

Bedeutungsentwicklung  in,  90. 
Bedeutungswandel  I,  89  f.  74.  112;  II, 

17 ;  III,  187.  854.  360  f.  364  f.  870, 

vgl.  Sprache. 
Bedingtheit,  physische  B.  III,  28.  94  f. ; 

physische  B.  des  geistigen  Geschehens 

III,   12.   18.  40.  41—46.  55.  379  f. ; 

physische  JB.  des  Einzelnen  III,  42. 
Bedingung  I,  150  f.  173  f.  205  f.  231  f. 

440  f.  569.  577.  587 ;  II,  8.  18  f.  25  f. 

96;  III,  145.  174  f.  184  f.  188.  195  f. 

198.  206  f.  214  f.  289.  264.  279.  842  f. 

356  f.  865  f.  872. 877.  378—382.  895  f. 

405  f.  411  f.  420  f.  483  f.  452  f.  459  f. 

466.  473.  478.  481.  484  f.  489  A.  492. 

494.  496.  500  A.  502  f.  512  f.  516  f. 

520.  523  f.  529.  581.  533.  536  f.  589. 

541.   549.  559  f.  563  f.  573  f.  578  f. 

593  f.  601.  604.  609  f.;  Concurrenz 

der  Bedingungen  III,  469  f.  628;  B. 

und  Aufeinanderfolge  I,  588 ;  B.  und 

Ursache  I,  597.  603.  612;  B.  u.  Ideen 

III,  848;  Bedingungsschlflsse  I,  810  f. 

828.  834.  353  f.  355.  389  f. ;  letzte  B. 

I,  421;  psychophysische  B.  I,  514; 
B.  und  Umstönde  einer  Erscheinung 

II,  887.  350  f.  363;  Elimination  und 
Gradation  der  B.  II,  863  f. ;  Grada- 
tion der  B.  II,  371.  373.  529;  gene- 
relle B.  und  singulare  Ereignisse  III, 
142  f.  \  Variation  der  B.  IH,  202  f. 
208.  212.  216  f.  222.  224  f.  240  A. 
342.  471  f.;  Isolirung  der  B.  UI,  219. 
342;  Constanterhaltung  II,  365;  III, 
186  f.  190.  205.  224  f. 


Bedfirfnisse  III,  478  f.  491.  499.  502. 
529.  588.  538.  604;  ästhetische  und 
ethische  B.  I,  455;  logische  B.  III, 
519;  wirthschafUiche  B.  III,  188. 
520  f. 

Befriedigung  III,  520  f. 

Befruchtung  ü,  515.  524.  542  f.  549. 
564.  572  f.  575. 

Befugniss  III,  548.  546.  557.  568.  680. 

Begabung  III,  63  f.  s.  Anlagen. 

Begehren  III,  264  s.  Wille. 

Begleiterscheinungen,  körperliche  B.  d. 
Gefühle  u.  Affecte  III,  222  f.  227  f. ; 
körperliche  B.  der  Aufmerksamkeit 
III,  226. 

Begleitung  und  Folge  I,  208  f. 

Begreiflichkeit  H,  284.  488  f.;  B.  der 
Erfahrung  I,  89  f.  559  f. ;  objective 
B.  II,  446;  subjective  B.  und  objective 
Anschaulichkeit  II,  279. 

Begrenzung  des  Universums  II,  462  f. ; 
B.  des  Lebens  II,  564.  574;  B.  der 
Begriffe  1, 216,  vgl.  auch  Bestimmung, 
Definition,  Determination. 

Begriffe  III,  221.  518;  B.  bei  Aristoteles 
II,  276;  Begriffsformen  bei  Kant  III, 
688  f.;  wissenschaftliche  B.  I,  95; 
Rechtsbegriffe  111,478;  Begriffsbildung 
1,83.85. 43  f.  828. 391 ;  III,  580;  Defini- 
tion des  Begriffs  1, 51. 502 ;  Merkmale 
der  B.  I,  94  f. ;  Begriff  und  Gattungs- 
Vorstellung  I,  101;  Gattungsbegriffe 
1, 106  f.  493. 502;  U,  25  f.;  Allgemein- 
u. Einzelbegriffe 1, 105 f.;  Beziehungs- 
begriffe 1, 108 ;  Beziehungsformen  der 
B.  I,  144 f.;  abstracte  und  concrete 
B.  I,  111  f.;  Inhalt  und  Umfang  I, 
110  f.;  Begrifisvergleichung  I,  127  f.; 
naturgemässer  und  künstiicher  Be- 
griffswandel I,  138;  Verhältnisse  der 
B.  I,  127  f.;  m,  522  A.;  Arten  der 
B.  I,  116  f.;  Begriffsoperationen  I, 
251  f.;  Begriffszerlegung  u.  -bestim- 
mung  I,  75  f.;  Begriffsanalyse  als 
Hülfsverfahren  der  synthetischen  De- 
duktion II,  85;  B.  a.  H.  d.  analyti- 
schen Deduktion  II,  86  f.  888;  Trans- 
formation von  Begriffen  II,  37  f.; 
Begriff  und  Urtheil  I,  55  f.  93;  B. 
und  Gedankenverlauf  I,  73  f. ;  B.  und 
Sprache  I,  74;  B.  und  Anschauung 
II,  514  A.;  B.  und  Gedanke  I,  158: 
Begriffs-  und  Lautgeschichte  III,  72; 
allgemeine    Begriffsaxiome   I,    381; 


Sachregister. 


17 


Begriffs-  und  Anfichauungs-  gegen* 
über  den  Erfahrangswissenschaften  II, 
33.  36.  40.  49. 

BegrQndungBschlnss  I,  353  f. 

BegrOndungaurtheil  I,  207  f.  826.  459. 

Begrüssung  III,  871.  373. 

Beharren  I,  488.  525.  552 ;  UI,  66. 163. 
168;  Beharrungaprincip  II,  287.  294  f. 
299  f.  304  f.  824;  relatives  Beharren 
III,  249 ;  Beharrlichkeit  der  Substanz 

I,  528  f.  545.  III,  245  f. 
Beiordnung  s.  Coordination. 
Beispiel  I,  814  f.  884  f.;  III,  126.  817. 
Bejahung  I,  137  f.  142  f.  173  f.  212  f. 
Bekenntnisse  III,  169. 
Bekräftigung  I,  213.  225,  vgl.  apodik- 

tiache  Urtheile. 

Beleuchtung,  instantane  B.  III,  204. 

Beleuchtungsapparate  II,  522. 

Benennung  II,  16  f.  29,  vgl.  Sprache. 

Beobachtung  II,  333  f.  384.  894.  395  bis 
403.  416.  514  f.  523.  525.  532.  548  f. 
555  f.  581  f.  589;  HI,  142.  150.  159. 
166.  168  f.  201  f.  279.  299  f.  385. 
465.  483.  485.  501.  512.  515;  Selbst- 
beobachtung III,  29.  169  f.  175.  199. 
212  f.  215  f.  222  f.  226  f.  264.  266. 
800 f.;  unbefangene  Beobachtung  III, 
20.  171.  216.  222;  Sammlung  von 
Beobachtungen  III,  78.  184  f.  310 
385.  465.  483  A. ;  Schwankungen  bei 
der  B.  II.  28.  415.  418  f.;  m,  184 
Präcisionsmass  der  B.  HI ,  190  f. 
gleichartige  Beobachtungen  III,  77 
B.  und  Erleben  UI,  29 ;  geregelte  B 
III,  174  f.  212 :  experimentelle  B.  s 
Experiment ;  astronomische  Beobach 
tungskunst  III,  208;  Hippokratische 
Methode  der  B.  11, 583 ;  Beobachtungs- 
talent und  analytischer  Scharfsinn 

II,  356. 
Bemsteins&ure  II,  477. 

BerOhrung  I,  616  f.;  II,  440.  442  f.  484; 
m,  160;  B.  der  BegriflFe  I,  184  f. 
Berflhrungsassociation  1 ,  24  f. ;  III, 
1 59. 2 12. 214 ;  B.  verglichener  Strecken 
m,  187. 

Beruf  m,  433  f.  511;  B.  und  Verbre- 
chen III.  473;  Berufsstatistik  III,  5. 
450.  460. 

Beruhigung  III,  221. 

Beschaffenheitsurtheil  I,  207. 

Beschleunigung  I,  518 ;  II,  38.  295  f. 
309.  317.  824.  390.  392.  406  f.  448. 
Lindau,  Register  zn  Wundt,  Logik.    S. 


4.52  f.;  III,  194  A.;  centrifugale  B. 
II,  530;  centripetale  B.  III,  141;  Fall- 
beschleunigung II,  425. 

Beschränkung  vgl.  Determination. 

Beschreibung  II,  8.  45  f.  336.  341.  848  f. 
362.  519  f.;  III,  154.  161.  319 f.  355. 
464.  472.  480.  519;  B.  im  ürtheil  I, 
183.  186  f.  363;  B.  und  Verneinung 

I,  216;  B.  und  Erklärung  I,  615  A.; 

II,  844  f.  487 ;  descriptive  Classification 

II,  49  f. 
Beseelung  II,  579. 
Besitz  III,  575.  579. 
Besonderheit,  besondere  Urtheile  bei 

Kant  I,  173. 

Bestätigung  I,  459;  II,  481.  588,  vgl. 
Verification. 

Bestandtheile  III,  209,  vgl.  Elemente, 
Zerlegung. 

Bestimmtheit  des  Begriffs  1, 95  f. ;  die  be- 
stimmten Begriffsverhältnisse  1, 130  f.; 
die  unbestimmten  Begriffsverhältnisse 
I,  137  f.;  B.  im  beschreibenden  ür- 
theil I,  186 ;  B.  der  Conclusion  I,  373. 
880  f.;  B.  mathematischer  Grössen 
I,  260. 

Bestimmung  1, 122. 144;  B.  der  Urtheile 

I,  205  f.;  innere  B.  I,  510;  sittliche 
B.  I,  415  f. 

Betonung  III,  149. 

Betrug  in,  578. 

Beugung  des  Lichts  II,  348.  360.  865; 

B.  der  Wärme  II,  349 ;  B.  des  Schalls 

n,  .365  f. 
Beurtheilung  I,  213  f.;   subjective  B. 

III,  27—34.  34  f.  47. 49. 62.  323. 348  f. 
374  f.  381. 

Bevölkerung  III,  455  f.  617  f.;  Bevölke- 
rungszunahme III,  51 1 ;  Bevölkerungs- 
lehre (Demologie)  III,  5.  76  f.  144. 
437  f.  444  f.  450  f.  455—476.  477. 
529.  608  f. 

Bewaffnung  III,  451.  454. 

Bewegung  I,  403.  428.  486.  489.  517. 
518  f.  545.  575;  II,  38.  193.  273  f.; 
III,  269;  Molecularbewegungen  II, 
329  f.  393.  456.  477.  493 ;  III,  153  f. 
164. 258;  Puls  III,  222. 227 ;  Athmung 

II,  530.  536.  548.  553  f.  567.  571  f. 
580  •,  III,  222  f.  227 ;  Augenbewegun- 
gen 1,508  f;  111,204.228;  Ausdrucks- 
bewegungen I,  21;  III,  214.  222  f.; 
Bewegungsempfindungen  1, 513 ;  will- 
kürliche Bewegungen  1, 642 ;  III,  175. 

Aufl.  2 


18 


Sachregister. 


209;  thierische  B.  II,  520. 524.  567  f.; 
Bewegungsenergie  11, 329.  409  f. ;  Re- 
lativität der  B.  I,  581.  619;  U,  324; 
einfachste  B.  I,  581;  Zusammen- 
setzang  der  B.  I,  582;  II,  301.  820  f.; 
absolute  B.  II,  301  f. ;  absolute  Be- 
wegUchkeit  II,  325;  III,  512;  B.  als 
Figurenerzeoger  II,  178 f.  189. 191  f.; 
gleichförmige  B.  III,  61 ;  Erdbewe- 
gung II,  76.  81.  341.  386.  413  f.; 
Bewegungstheorien  der  Vererbung  II, 
542  f.;  B.  bei  Kant  U,  104;  B.  bei 
Lagrange  II,  318.  328;  B.  bei  Galilei 

II,  347;  Quantität  der  B.  bei  Des- 
cartes  II,  304.  306  f.;  B.  bei  Newton 
ü,  225.  227  f.  299  f.  380 ;  B.  bei  Zeno 
U,  228;  unendlich  dauernde  B.  II, 
441,  vgl.  Mechanik,  Phoronomie,  Kine- 
matik etc. 

Bewegungsgründe  III,  158;  B.  des  Glau- 
bens I,  421,  vgL  Motiv. 

Beweisführung  I,  77.  326.  433  f ,  11,  2. 
65  f.  322;  III,  586  f.;  directe  und 
indirecte  B.  II,  69  f.;  ontologische 
Beweise  I,  400  f.  531 ;  II,  389. 

Bewusstsein  III,  167.  168.  175.  177. 
183  f.  199.  205  A.  207.  212.  220.  229. 
231  f  287.  243  f.  261.  265  f.  273. 
278  f.  282  f.  286  f,  295  f.  361  f.  365  f. 
575.  577  A.;  Enge  des  Bewusstseins 
ÜJ,  412  f.;  Reflexion  über  das  B. 
I,  15.  30  f.  80  f.  470 f.;  Theilinhalte 
des  Bewusstseins  III,  60  f.;  Bewusst- 
Seinsvorgänge  III,  20;  Bewusstseins- 
inhalte  1, 428  f.;  Bewusst^einselemente 

III,  178  f. ;  Umfang  des  Bewusstseins 
III,  205,  vgl.  Apperception  etc. 

Beziehungen  der  Begriffe  I,  104;  Be- 
ziehungsbegriffe I,  108;  Beziehung 
I,  118  f.;  Beziehungsform  der  Be- 
griffe I,  121  f.  144  f.  479  f.;  Be- 
ziehungsschlüsse I,  328  f.  361  f.  439, 
vgl.  Relationen,  Abhängigkeit,  Gau- 
salität  etc. 

Bibliothek  III,  3. 

Bienen  III,  240  A. 

Bild  der  Aussen  weit  I,  516. 

Bildende  Kunst  III,  220. 

Bildung,  geistige  B.,III,  388,  vgl.Gultur. 

Bildungs-  u.  Wacbsthumstrieb  II,  538; 
Bildungsmangel  u.  -excess  II,  564. 

Billigung  s.  Beurtheilung. 

Binäre  GUederung  I,  34.  56.  59  f.  71. 
121.  127.  144.  158.  167;  binäre  Ver- 


bindung der  Chemie  II,  477.  479  f. 

485.  494. 
Bindung,  chemische  B.  U,  473  f.  479. 

495.  497.  501. 
Binoculares  Sehen  III,  208  f. 
Binomium  II,  238. 
Biographie  UI,  34  f.  90. 169. 236.  386  A. 

411.  432. 
Biologie  I,  611.  633  f.  636.  688;   II, 

265.  268.  270  f.  346.  464.  474.  514 

bis  590;  lU,  9.  17.  44.  55.  98.  324. 

461  A.  481  f.  484  f. 
Biophoren  II,  542. 
Biquadratische  Gleichungen  II,  165. 
Blatt  II,  568;  Blattstellnng  n,  56.  546; 

UI,  138. 
Bleiben  s.  Beharren. 
Blickpunkt  des  Bewusstseins  s.  Apper- 
ception. 
Blüthe  n,  568;  Blfithengemch  ü,  549; 

Blüthengestaltung  und  Insekten  II, 

549. 
Blut  II,  525  f.  581.  588.  587;  arterielle 

und  venöse  Beschaffenheit  des  Blutes 

II,  556  f.;  Blutkreislauf  n,  265.  514. 

519.   536.  548;   Blutdruck  II,  530; 

Schwankungen  der  BlutftQle  der  0^ 

gane  UI,  227  f. 
Bodenbeschaffenhdt   lU,  449.   452  f.; 

Bodenertrag  lU,  618  f.;    Bodener- 
schöpfung U,  586. 
Börse  m,  624  f.;  BOrsencurse  lU.  112  f. 
Bogen  II,  417;  Bogenlänge  U,  218  f. 
Botanik  I,  649 ;  II,  56.  843  f. 
Brachystochrone  II,  298. 
Brechbarkeit  der  Sonnenstrahlen  U,  285. 

854  f.  360  f. ;  Brechbarkeitsstnfen  II, 

399. 
Brechung  U,  436.  469.  501 ;  Brechusgs- 

indices  U,  422  f. ;  Brechung  des  Lichts 

II,  312.  349.  361.  365.  373.  377;  B. 

der  Wärme  U,  849;  B.  der  Elektrt- 

cität  U,  350;  B.  des  Schalls  U,  365  f. 
Breite  und  Höhe  UI,  218. 
Brennpunkt  U,  180. 
Brom  II,  478.  510. 
Bruchzahlen  1, 135;  U,  138 f.  140.  Ulf. 

258 f.;    gebrochene    Functionen  II, 

212  f. 
Bruder   der  Mutter  III,  373;   B.  des 

Vaters  UI,  378  A. 
Brustwirbel  lU,  133.  144. 
Buchführung,   doppelte  B.   bei  Kant 

I,  553  f.;  UI,  53. 


Sachregister. 


19 


Bnchstabensymbolik     s.     algebraische 

Symbolik. 
Budget  III,  493. 
Büchereinband   III,    219  A.;    Bacher- 

Sammlung  III,  8. 
BOigerkrieg  ÜI,  U9. 
Bundesstaat  III,  545. 
Butyl  II,  508. 


C. 


Cäsarismus  lU,  148  f.  393.  480  A. 

Cäsiam  II,  508. 

Calcül,  logisches  und  mathemaÜBches 

I,  259.  290  f. 
Calorimetrie  II,  501.  527.  558. 
Capillarität  U,  392.  422  f.;   capiUare 

Kreifilauferscheinungen  11,  524. 

Capital  ni,  500.  509.  520.  525.  620  f. ; 
Capitalisirung  m,  137.  509;  Gapi- 
talist m,  511. 

Cardnome  II,  588. 

Cardinalsäfte  II,  581.  583. 

Caauistik  UI,  586. 

Casusformen  in  kateg.  Function  1, 144  f. ; 
Casussumze  I,  118  f.  149  f. 

Causalit&t  I,  207.  209  f.  354  f.  417  f. 
448.  490.  517.  537.  556.  567  f.  588  f.; 
U,  26  f.  346.  427 ;  causale  Auffassung 

II,  386  f.  343  f.  861.  447  f.  455  f.  461. 
466.  515.  533  f.  538  f  544  f.  553  f. 
563,  574.  586.  588;  III,  46—51. 
62.  73.  110.  116.  131—150.  150  f. 
157.  330.  461  A.  473  f.  519.  528 ; 
Causalzusammenhang  III,    17.  229. 

275.  278  f.  356  f.  407  f.  464  f. ; 
psychische  Causalität  III,  259.  289 
bis  291.  292.  388.  395.  576;  ps.  C. 
und  Naturcausalität  II,  382  f.  551. 
580;  m,  142.  146.  231.  249  f.  256  f 

276.  284.  385;  NaturcausalitAt  III, 
140 ;  geschlossene  Naturcausalit&t  II, 
382  f. ;  III,  256  f.  259 ;  mechanische  C. 

II,  273  f  280.  289;  causale  Auf- 
fassungaufgehoben II,  464;  Causal- 
gleichung  II,  327  f.;   Causalprincip 

III,  25. 140  f. ;  psychologisches  Causal- 
princip n,  29  f.. 332;  ÜI,  57.  142. 
177;  psychophysische  Causalität  III, 
177.  249  f.  256  f.;  Ableitung  von 
Causalgesetzen  II,  28  f.  361;  III,  129. 
145;  regressive  Cansalerklärung  III, 
280  f. ;  höhere  Causalreihe  und  em- 


pirische Causalität  II,  463;  sub- 
stantielle C.  n,  328;  III,  260;  C.  und 
Substanz  I,  614  f.;  II,  280  f.  324. 
383.  394;  logische  C.  und  Natur- 
causalität I,  627  f.;  C.  und  Raum 

I,  543;  II,  281;  apriorische  G.  I, 
507  f.;  Causa  sui  I,  422.  528.  586. 
594;  Erscheinungsformen  der  C.  I, 
596  f. ;  Nothwendigkeit  der  C.  I,  590  f. 
606  f. ;  Causalgesetz  und  Satz  vom 
Grunde  I,  606  f.;  C.  bei  üume  I, 
403  f.  568.  590  f. ;  III,  633  f. ;  C.  bei 
Kant  I,  406 ;  II,  24 ;  C.  bei  Schopen- 
hauer I,  508.  555.  569  f  592  f.  689  f ; 
C.  bei  Hill  I,  606  f. ;  II,  23  f. 

Cellularpathologie  II,  584.  587. 

Cellulose  II,  525. 

Gentimeter  U,  422. 

Centrale  Sinneserregung  III,  193  f.; 
centrale  Processe  III,  228  f. 

Centralkräfte  I,  621  f. ;  U,  448 ;  Centri- 
petalkraft  II,  381. 

Charakter  III,  63;  dauernde  Willens- 
richtungen I,  30.  80;  innere  Cau- 
salität I,  625;  vererbte  Charaktere 

II,  563 ;  Volkscharaktere  III,  46. 235 ; 
Charakter  eines  Zeitalters  III,  382. 
434  f.;  Charakterentwicklung  UI,  87. 
801  f. 

Charakteristisches  Dreieck  II,  231f.  236  f 
Charakterologie  III,  64.  169.  235.  800. 

869  A.  448.  453  f. 
Chemie  I,  535.  611;  II,  3  f.  10  f.  55. 

77  f.  264.  268.  838.  846.  399.  402. 

409.  429.  438.  468—514.  516.  518. 

524  f.  553.  561  f.  579.  581  f.  586 ; 

III,  9.  55.  78.  94.  117.  209  f.  285. 
298  f.  486.  532.  619;  unorganische 
u.  organische  Gh.  II,  270 ;  chemische 
Verbindungen  U,  454. 468—514. 543 ; 
Gh.  und  Contacthypothese  II,  362; 
chemische  Anpassung  II,  545.  547  f. ; 
chemische  Methode  der  Staatswissen- 
schaften III,  483  A.;  physikalische 
Gh.  II,  271;  theoretische  und  syste- 
matische Ch.  II,  271 ;  Structurchemie 
II,  486  f.  494.  512  f. 

China  UI,  394. 

Chlor  II,  477  f.  488.  498;  Chlorkalium 
II.  480 ;  Chlorophyll  H,  525 ;  Chloro- 
phyllathmung  II,  567;  Chlorwasser- 
stofF  II,  488;  Chlorwasserstoffäther 
II,  480 ;  Chlorwasserstoff'Bäure  II,  486. 
497  f. 


20 


Sacliregiiter. 


Chorologie  II,  270. 

Christenthum  III,  829.  399  A.  417.  419. 

•  544.  594;  Christus  III,  49;  christ- 
liche Legenden  III,  105  A.;  christ- 
liche Festbräache  III,  369  A. ;  christ- 
liches Trauerspiel  III,  127. 

Chronologie  II,  270;  III,  388. 

Chronometer  II,  414  f. ;  chronometrische 
Methoden  III,  208.  224  f.,  vgl.  Zeit- 
messung, Chronoskop  II,  414  f. 

Cirkel  II,  895;  C.  und  Lineal  II,  167. 
177. 

Cirkulation  der  Waaren  III,  520 ;  C.  der 
GQter  III,  508. 

Cirkulationsstörnngen  II,  548. 

Civüisation  III,  888  f.  496 ;  civilisato- 
rische  Aufgaben  III,  481  A. 

Civildelict  III,  551. 

CinUstische  Methode  III,  490  f.  561 
bis  563. 

Civilprocess  III,  561. 

Civilrecht  III,  490  f.  561  f. 

Classicismus  III,  129  A.  417 ;  classische 
Sprachen  I,  149;  classische  Volks- 
wirthschaftslehre  III,  502  f.  505  f. 

Classification  I,  77  f.  196  f.  216.  810. 
362  f. ;  II,  2.  18  f.  19.  47  f.  263.  270  f. 
345.  469.  487.  588 ;  III,  2.  4.  12.  22. 
88.  157.  159.  166.  199.  212.  260  f. 
361.  449.  466.  480  f.  581.  585  f.; 
classificirender  Subsumtionsschluss  I, 
866 ;  verfehlte  Cl.  I,  254  A. ;  Classen- 
begriflFe  III,  221,  vgl.  Eintheilung. 

Codification  des  Rechts  III,  4.  586. 
540. 

Coefficient,  unbestimmter  C.  II,  165. 

Coexistenz  III,  251;  räumliche  C.  I, 
150  f.  206  f. ;  C.  von  Ich  und  Körper 

I,  467  f. 

Cohäsion   der  Knochen   und  Muskeln 

II,  526;   Cohäsionskräfbe  der  Mole- 
cüle  II,  392;  Cohäsion  II,  877.  547. 

Collective  Ereignisse  III,  30;  coli.  Er- 
zeugnisse III,  802;  Collectiverschei- 
nungen  III,  75  f.  89  f.  144.  185. 456  f. 
472  f.  477.  507  f.  A.  524;  coUective 
Untersuchung  III,  88. 

Collectivismus  III,  482.  488.  506  A. 
591  A.  601. 

CoUigation  (Mitberücksichtigung  be- 
gleitender Umstände)  II,  18  f.  342  f. 
874.  877  f.  498. 

Colonisation  III,  444.  623. 

Combination  I,  878;  II,  48,  120.  180. 


184.  359.  420.  422;   Combinations- 
f&higkeit  III,  57. 

Communismus  III,  510  A.  515. 

Commutationsgeseti  I,  579;  II,  123. 
181  f.  146 ;  C.  bei  transfiniten  Zahlen 
unzulässig  II,  152;  Commutatintät 
I,  576 ;  C.  aufgehoben  II,  197  f. 

Comparative  Methode  s.  Methode  der 
Vergleichung. 

Compensation  der  Nebenwirkungen  I, 
441;  m,  184. 

Competenz  zur  Psychologie  III,  19. 

Compilation  III,  128. 

Complementärfarben  11,  358. 

Compleze  Grösse  I,  141.  576;  II,  92. 
140.  144  f.  197.  203  f.  212.  258  f.: 
complexe  Variable  II,  219  f.  258  f.; 
complexe  Abhängigkeit  I,  285 ;  Com- 
plex  von  Empfindungen  I,  466  f.  511 ; 
Complex  von  Eigenschaften  und  Zu- 
ständen I,  473;  complexe  Local- 
zeichen  I,  512  f.;  complexer  That- 
bestand  II,  12  f. ;  complexe  Reactions- 
zeit  III,  209. 

Complication  I,  14,  20.  53;  III.  467; 
C.  von  Apperception  und  Association 

I,  65  f.;  C.  der  Bedingungen  II,  368; 
Complicationsmethode  III  >  211  A.; 
complicirte  Structur  des  Protoplasma 

II,  561. 

Gomponenten  III,  269.  274.  280.  408  f. 
482  f.;    C.  der  Bewegung   II,   317; 

III,  269. 

Composition  und  Hierarchie  der  Kräfte 

II,  538. 

Compressibilität  II,  390  f.  444 ;  C.  des 
Aethers  II,  436;  C.  der  Luft  nach 
Boyle  II,  361. 

Concave  und  convexe  Linsen  II,  396  f. 

Concentration  I,  49,  vgl.  Aufmerksam- 
keit. 

Conchoide  II,  178. 

Conclusion  1, 305 ;  Noth wendigkeit  der  C. 
I,  225;  problematischer  Charakter 
der  C.  I,  873  f.;  Bestimmtheit  I, 
880  f. ;  negative  C.  I,  883.  887  f.. 
vgl.  Schlttss. 

Concrete  BegriflFe  I,  111  f.;  c.  Einzel- 
urtheüe  I,  180;  c.  Zahl  I,  523;  cEr- 
fahrung  III,  18 ;  c.-historische  Unter- 
suchung III,  480;  c.  Erscheinungen 

III,  482.  501 ;  c.  Massenerscheinungen 
bei  Lexis  III,  466  f.  A. ;  c.  Bedingun- 
gen III,  484;  c.  Thatsachen  III,  511; 


Sachregister. 


21 


c.  Betrachtung  III,  518.  517  f.;  c,  An- 
wendung III,  527;  c.  Yolkswirth- 
scbaftolehre  III,  521.  522—529. 

Concurreni  III,  379.  496.  597;  C.  der 
Bedingungen  III,  469  f.  628 ;  C.  und 
Variabilität  II,  550. 

Conditionalbeziehung  I,  150  f.  206  f., 
vgl.  Bedingung. 

Conductor  der  Elektricität  II,  865  A. 

Confiict  und  Harmonie,  Gesetz  für  C. 
u.  H.  bei  A.  Bain  III,  161  A. 

Conformität  I,  546. 

Confuse  (ungenaue)  Wahrnehmung  III, 
153  f.  158.  164. 

Congruenz  I,  505.  518.  580;  II,  121. 
134.  173. 

Coi\jecturalkritik  III,  115  f.;  philo- 
logische Conjectur  III,  108.  115. 

Coi\jiinctionen  1, 169. 202 ;  C.  u.  Associa- 
tionen I,  66.  184;  C.  u.  Gedanken- 
kette I,  72;  C.  u.  Kategorie  I,  118 f.; 
C.  u.  Abhängigkeit  I,  206.  853  f.  869. 

Connexion  I,  122. 

Consensus  der  Theile  III,  482  f.  A. 

Consonanten  in,  357. 

Constanz  III,  145.  168.  192  f.  246  f.; 
C.  des  BegriflFs  I,  95 f.;  II,  101.  132; 
constante  Thätigkeit  der  Appercep  tion 

I,  159;  C.  des  Subjects  I,  161  f.; 
Entscheidung  über  C.  I,  182 ;  C.  der 
Wahrnehmung  I,  425;  C.  der  Be- 
dingungen I.  442;  II,  364  A.;  Con- 
stanterhaltung  von  Bedingungen  II. 
365;  III,  186  f.  190.  205.  224  f.; 
Constanterhaltung    von    umständen 

II,  363.  371;  C.  der  Eigenschaften 
m,  133.  247.  464 ;  C.  d.  E.  und  Zu- 
stände I,  462  f. ;  C.  des  Zeitelements 

I,  484 ;  C.  der  Erscheinung  I,  488  f. ; 
C.  und  Aphorismus  I,  514;  C.  der 
Materie  I,  585;  II,  274.  327.  383. 
429.  431.  456  f.  506  f.;  III,  166.  243. 
246  f.;  C.  der  Objecto  I,  563;  II, 
25;  III,  246;  C.  der  Schwere  II, 
406  f. ;  C.  der  Naturvorgänge  III,  182 ; 
C.  der  Wirkungsfähigkeit  I.  621  f. ; 

II,  457 ;  C.  der  Namen  II,  107 ;  Con- 
stanzprincip  der  Mathematik  II,  135. 
139  f.  149 ;  constante  und  veränder- 
Hche  Grössen  II,  156  f.;  III,  190; 
physikalische  Constanten  II,  366. 421 
bis  427.  469.  494  f.  501 ;  III,  226 ; 
psych.  C.  III,  458  f. ;  C.  der  Energie 
U,  466  f.  555 ;  III,  246  f.  276  f.,  vgl. 


Erhaltung  der  Energie ;  C.  bei  mat. 
A^ggreg&ien  II,  438;  constante  Ge- 
wichtsverhältnisse  bei   ehem.  Verb. 

II,  471  f.  482  f.;  Constantenbestim- 
mung  III,  226 ;  C.  der  Arten  II,  58 ; 
C.  der  Raumeigenschaften  III,  183; 
C.  des  Bewusstseinszustandes  III, 
183  f.;  constanter  Fehler  (Abwei- 
chung) III,  186.  191  f. 

Constitutionelle  Monarchie  III,  481 A. 
Construction  I,  385.  570  f. ;  II,  9.  35  f. 

50.  69.  92.  95.  98  f.   109.   113.   117. 

129  f.  166  f.  170  f.  177  f.  333.  417  f. ; 

III,  262.  483  A.  586 ;  C.  bei  Kant  II, 
105 ;  Reconstruction  II,  55.  58  f. 

Contacthypothese  B,  362.  480  f.  442  f. 

458  f.  484;  Contactwirkung  II,  541. 
Contagiöse  Krankheiten  II,  582  f.  585. 
Contiguität  I,  589. 
Contingente  Begriffe  I,  184  f.  142.  200  f. 

238. 
Continuität  I,  465  f.  486.  504  f.  513. 

522.   526.    539.   617;    II.  428—431. 

440.  458  f.  506.  571 ;  III,  274  f.  403  f. 

482  f.,  vgl.  Stetigkeit;  historische  C. 

der  wissenschaftlichen  Arbeit  II,  356 ; 

h.  C.   der  Volksüberlieferungen  III, 

107. 
Continuum  bei  Herbart  II,  228 ;  C.  eines 

Begriffs  I,  284;  C.  ideale  I,  491. 
Contraction  II,  527  f.  557.  561. 
Contradiction  I,  137  f.  237.  239  f.  381. 

385  f.  567 ;  II,  62  f.  79  f.  84  f.  428 

bis  431.  440.  458  f.  506.  571. 
Conträre  Begriffe  I,   134.   137  f.  140. 

142.  200  f.  219 ;  c.  UrtheUe  I,  287  f. ; 

c  Gegensatz  II,  68.  79.  81  f. 
Contraposition  I,  240  f. 
Contrast  III,   159.   219  A.   408.  413  f. 

433  f.  616  f.  624  f.,  vgl.  Gegensatz; 

binocularer  C.  III,  204 ;  Verstärkung 

durch  C.  III,  282—285.  416. 
Controle  III,    175;   C.  der  Wahrneh- 
mungen I,  429  f.  487;  II,  418  f. 
Convention  III,  185. 
Convergenz  der  Gesichtslinien  III,  204. 
Convexe  und  concave  Linsen  II,  396  f. 
Coordinaten  I,  497.  519.  581.  583;  II, 

203  f.   227  f.   317  f.   449  f.;    Coordi- 

natengeometrie  II,  181.  193. 
Coordination  I,  122.  183  f.  142.  166  f. 

182.   193.    199  f.  264.  273  f.  362  f. 

365.  370.  876  f.  479;   III,  581.  587; 

coordinirendes  Identitätsurtheil  1, 196. 


22 


Sachregister. 


200  f.  286;  C.  Ton  Zweck  und  Ur- 
sache I,  685  f.  649  f. 

Gopula  I,  60.  122.  168  f.  168  f.  186  f. 
190  f.  196  f.  210  f.  278  f. ;  C.  und 
Negation  I,  220.  228.  240;  copular 
tives  ürtheü  II,  11;  c.  U.  bei  Sig- 
wart  I,  181. 

GoroUarsatz  II,  67.  85. 

Gorporationen  III,  417  f.  480.  544.  546. 
568.  592 f.  604 f.;  Gorporationsrecht 
III,  478.  561. 

Gorpus,  G.  juris  III,  4;  G.  politicum 
III,  482.  489  A. 

Gorpusculare  Atomistik  I,  526.  542  f.; 

II,  444  f.  471.  506. 

Gorrelation  III,  464  f.  501 ;  G.  der  Merk- 
male II,  51 ;  oorrelate  BegrifÜBpaare 
I,  115.  184.  140.  142.  200  f. 

Gorrespondenz  von  Wirkung  und  Gegen- 
wirkung II,  868;  correspondirende 
Yerftnderungen  II,  163  f. 

Gosinus  II,  217  f.  220  f. 

Gotangente  II,  218  f. 

Credit  III,  137.  509;  Greditverkehr  III, 
110  f.;  Greditwirthschaft  lU,  894. 
400  f.  525. 

GriminaJanthropologie  III,  574  A. ;  Gri- 
minalrechtspflege  III,  459 ;  Griminal- 
Btatistik  III,  5. 144.  146  f.  450.  462  f. 
475. 

Gubikzahl  II,  191;  Cubikcentimeter 
Wasser  (Qramm)  II,  422. 

Gnlpa  III,  575  f. 

Gült,  DionysiBcher  G.  III,  869;  Gultus 
ni,  478.  544 ;  Gült-  und  Kunstformen 

III.  72. 

Gultur  UI,  502.  589.  542.  599 ;  G.  einer 
Zeit  III,  36.  74.  95  f.  809  f.  821.  324  f. 
886. 373  f.  879.  383.  418  f.  432. 434  f. ; 
Pflanzencultur  II,  586 ;  geographische 
Gulturgesetze  III,  388  f.  394  f. ;  Gul- 
tur und  Natur  III,  44  f.  58 ;  üeber- 
gangsepochen  d.  C.  III,  4  f.  74;  chi- 
nesische G.  III,  394;  semitische  G. 
m,  6;  hellenische  C.  III,  418;  helle- 
nistisch-römische G.  III,  4.  419; 
alexandrinische  Periode  III,  5  f.; 
Renaissance  III,  5  f.  328.  393  A.  410  f. 
417;  Aufklärungszeitalter  III,  49. 
481.  594;  primitive  G.  III,  578. 

Gulturgeechichte  ÜI,  7  f.  28  f.  33  f.  46. 
69.  72  f.  74  f.  149  f.  304  f.  307.  321  f. 
325  f.  352.  361.  382.  410  f.  422  f. 
439.  442.  481.  523  f. 


Culturwissenschaft  UI,  804. 

Gurve  ü,  417.  420  f.  546;  IH,  475; 
Gleichung  einer  G.  II,  6.  87  f.  43. 
157.  159  f.  199  f.  224.  249  f. ;  Ein- 
theilung  der  Gurven  II,  51  f. ;  Ent- 
stehung der  G.  n,  54.  180  f.;  Con- 
stmction  von  G.  U,  207 ;  Gurven  als 
Tangentengebilde  II,  188  f.;  G.  als 
mechanische  Linien  II,  191  f.;  vez^ 
wickelte  Gurven  II,  178.  180  f.;  C. 
des  schnellsten  Falls  II,  812. 

Gurvendarstellung  II,  510. 

Gyan  II,  480.  579. 

Gyklus,  Lebenscyklen  niederer  Organis- 
men II,  585. 

Gylinder  II,  178. 


D. 


Dämonen  I,  631 ;  III,  97,  vgL  Animis- 

mus. 
Dämpfung     der     Schallschwingnngen 

II   394. 
Dahanä  III,  864. 
Dampf,  Metalldämpfe  II,  398  f. ;  Dampf- 

kraft  II,  409 ;  Verdampfung  11,  505. 
Daphne  III,  864. 

Darmabschorfungen  des  Typhus  U,  585. 
Darmsaite  II,  528. 
Darstellung,    graphische    11,    420  f.; 

Gurvendarstellung  II,  510;  beschrei- 
bende D.  8.  Beschreibung. 
Dauer  1, 184  f. ;  II,  894  f.  462  f . ;  HI,  224  f.; 

D.  der  Vorstellungen  III,  208;  D.  der 

Gefühle  III,  217,  vgl.  Zeit 
D^cadence  III,  419  A. 
Decimalsystem  II,  136  f. 
Deckung,  theilweise  D.   der  Beg^e 

I,  136.  198  f.,  vgl.  Gongruenz. 
Deduction  I,   324  f.  327  f.   836.   381. 

390  f.  459  f.  510.   516;  II,  1.  31  f. 

99.  117.  162.  166  f.  333  f.  338.  346. 

361.  366.  872.  378.  416.  418.  427  f. 

457.  464.  494;  III,  64.  85.  99  f.  109. 

121  f.  125  f.  187.  202.  237.  308.  810. 

312.  817  f.  826.  841.  343.  346  f.  355. 

860.   385.  408.   449  f.   464  f.   488  f. 

492.   502  f.   513.    522  f.    554.    560  f. 

572.  581.  585 f.  636 f.;  physikalische 

D.  II,  379—394;  chemische  D.  II,  491. 

493-495;  mathematische  D.  II,  181  f. 

458f . ;  synthetischeD.  II,  33f.  379—388 : 

analytische  D.  II,  33.  36  f. ;  syntheti- 


SachregiBter. 


23 


scher  DeductionsbeweiB  II,  70  f. ;  de- 
dactiTer  Beweis  II,  121. 

Definition  I,  77.  189  f.  195.  205  f.  229. 
329.  504;  II,  2.  84  f.  39  f.  67  f.  70. 
105.  107  f.  130  f.  168.  181.880.888; 
III,  192  f.  499  f.  509  f.  517  f.  522  A. 
581.  561.  580  f.  636;  Definitions- 
gleichung  II,  828;  lU,  194;  D.  and 
Axiom  I,  575  f.  580  A.;  II,  118  f.; 
analytische  D.  II,  44  f. ;  synthetische 
D.  II,  45  f.;  genetische  D.  II,  178; 
III,  519. 

Definitive  Atome  II,  444. 

Deismus  I,  422. 

Dekalog  ID,  578. 

Delict  III,  551  f. 

Demographie  III,  444  f.  s.  BeTölkemngs- 
lehre. 

Demokratie  III,  148  f.  398.  400.  479. 

Demologie  III,  488  A.  444  A.  s.  B^vOl- 
kerungslehre. 

Demonstration  II,  2.  65  f.,  vgl.  Bevreis. 

Demonstrative  Wurzeln  I,  125 ;  Demon- 
strativpronomen I,  177  f. 

Denken  I,  11  f.  59;  lU,  17.207.  245 f.; 
discursiTe  Beschaffenheit  I,  65.  158; 
Gedankenverlauf  1 ,  74  f. ;  D.  und 
Zahl  I,  523;  Merkmale  des  logischen 
Denkens  I,  78  f.  96  f. ;  D.  und  Wirk- 
lichkeit I,  479 f.  611  f.  626  f.;  Spon- 
taneität des  Denkens  I,  627  f.;  D. 
und  Anschauung  I,  82  f.  550  f. ;  III, 
529  f.;  das  Denkbare  I,  117.  288; 
Aufgabe  des  Denkens  I,  6  f.  90;  D. 
bei  Spinoza  I,  408.  527;  Denkbarkeit 
anderer  Räume  I,  500;  Denkobjecte 
I,  472;  allgemeine  Denkgesetze  III, 
181 ;  denkende  Bethätigung  des  Wil- 
lens III,  18. 

Denkmäler  lil,  884  f.  864. 

Derivirte  Function  bei  Lagrange  II,  225. 
239  f.  259.  818. 

Descendenz  s.  Abstammung. 

Descriptives  Stadium  11,  836.  487,  vgl. 
Beschreibung. 

Desintegration  bei  Spencer  III ,  486  f. 

Despotismus  III,  148  f. 

DestiUation  II,  472.  474. 

Determination  1,  122.  144  f.  169.  251  f. 
281  f.  885.  877.  390;  II,  1.  17  f.  210. 
216.  246.  384.  339.  885  f.;  III,  13. 
511  f.  640;  innere  D.  I,  147 f.;  äussere 
D.  I,  149  f.  480;  D.  der  Mannigfal- 
tigkeit II,    140;  Determinator  und 


Determinand  I,  258  f.;  D.  als  Nega- 
tion bei  Spinoza  I,  528. 

Determinismus  I,  558  f.  629.  634  f.; 
III,  576. 

Deukalion  III,  864. 

Deutewurzeln  I,  125. 

Deutiichkeit  und  Klarheit  ni,  179.  201. 
266.  286.  492. 

Deutsche  üebertragungen  logisch  be- 
leuchtet I,  148  f.;  altdeutsche  Ag- 
glutinationen I,  87 ;  deutsche  Psycho- 
logie III,  158  f.;  das  junge  Deutsch- 
land III,  417;  das  deutsche  Recht 
m,  591  f. 

Deutschlands  Trennung  von  Oesterreich 
UI,  124. 

Devolutionäre  Auffassung  III,  397  A. 

Dialekt,  sprachlicher  D.  (Mundart)  III,  7. 

Dialektik  III,  396 f.  600 A.  632.  634  f.; 
die  dialektische  Logik  I,  3 f.  7.  407 f.; 
transscendentale  D.  I,  406  f.  533; 
ontologische  D.  I,  407;  synthetische 
D.  II,  10;  Hegels  D.  II,  64;  III,  426; 
Aristoteles*  D.  III,  159. 

Dialog  II,  382;  III,  128.  810. 

Dichotomie  s.  Zweitheilung. 

Dichter  III,  481;  Dichtkunst  III,  222; 
Dichtung  III ,  864  f.  875.  886 ,  vgl. 
Poesie. 

Dichtigkeit  II,  142  f.  149.  423.  466. 
469.  499;  Substanzverdichtung  II, 
510. 

Dicotyle  Pflanzen  II,  529. 

Didaktik  III ,  489.  570  f. ;  Werth  der 
Reihenfolge  I,  97. 

Diebstahl  lU,  552.  578. 

Dielektrika  II,  486. 

Differentia  specifica  II,  42  f. 

Differentialbegriff  1, 135  f. ;  II,  202. 225  f. 

Differentialgleichung  II,  391;  D.  und 
Integral  I,  299. 

Differentialquotient  I,  519  f. 

Differentiation,  partielle  D.  II,  252. 318. 

Differenz  vgl.  Subtraction,  Unterschied, 
grösst-  und  kleinstmögliche  D.  1, 134  f. ; 
Geschlechtsdifferenz  II,  575. 

Differenziren  II,  84;  Differenzirung 
III,  414.  600  A.  629;  D.  der  Formen 
II,  540;  Differenzmethode  III,  209. 

Diffusion  II,  474.  527. 

Digitalin  II,  581. 

Dilemmen  II,  83. 

Dilettantismus  III,  240  A. 

Diluvialfunde  III,  58. 


24 


SachregiBter. 


Dimension,  einfache  D.  1, 141 ;  III,  183  f. ; 
mehrfache  D.  I,  494  f.;  Dreizahl  I, 
497.  513.  580;  II,  845.  492;  Räume 
von  mehr  Dimensionen  II,  134;  Di- 
mensionszahl psychischer  Grössen 
(üebergangsrichtungen)  III,  179. 

DingbegriflF  I,  118,  409.  462  f.  524. 
581  f.  584.  543.  546;  II,  44.  456; 
III.  245;  geistige  Dinge  I,  469  f.; 
Ding  an  sich  I.  899.  405  f.  422.  488. 
533.  541.  546  f. 

Dione  III,  362. 

Dionysischer  Cult  III,  369. 

Diplom atik  III ,  840  A. ;  diplomatische 
Verhandlungen  III,  125. 

Directes  Beweisverfahren  II ,  69  f. ; 
directe  und  indirecte  Elimination  II, 
863 ;  directe  und  indirecte  Methoden 
ps.  Messung  III,  185  f. 

Discrete  Zahl  II.  91,  189;  d.  Elemente 
II.  458;  d.  Grössen  I,  135;  II,  139. 
393.  429 ;  d.  Mannigfaltigkeit  I,  522. 

Disdiaklasten  II,  528. 

Disharmonie  III,  272.. 

Disjunction  I,  184.  138.  142.  200  f.  237. 
283  f. ;  disjunctives  ürtheil  1 ,  173  f. 
182.  201  f.  232.  234.  342.  566  f.;  II, 
8;  disjunctiver  indirecter  Beweis  II, 
79  f.;  disjunctiver  Schluss  I,  310  f. 
859.  3H9f.;  II.  24  A.  79. 

Diskontsatz  III,  110  f. 

Dislocation  I,  516.  518  f. 

Disparate  Begriffe  I,  139  f.  143.  221  f. 
235.  272  f. 

Disposition,  latente  D.  I,  26  f.  30;  III, 
229;  disponible  Association  III,  207; 
individuelle  D.  II,  586.  589;  vererbte 
D.  U,  588. 

Dissociation  11,  502  f.  511.  514  A. 

Distanz  s.  Entfernung. 

Distributionsgesetz  II,  123. 

Divinatorische  Interpretation  III,  116. 

—  Kritik  III,  115  f. 

Division  I,  267  f.  284.  298;  II.  98.  114. 
133.  187.  145.  155.  158f.  191.  211  f. 
239.  242.  247  f.  258.  432;  D.  mit 
Null  II,  150;  D.von  Geraden  II,  195  f. 

Documente,  historische  D.  III,  807. 

Dogmatismus  I,  899  f.  584  f. ;  III,  126. 
581.  541.  642. 

Dolmetscher  III,  56. 

Dolus  III,  575  f. 

Donner  III,  868. 

Doppelbrechung  II,  285.  374.  433.  560  f. 


Doppelte  Verneinung  1, 288  f.  241  f.  286  f. 

—  Reize  bei  Merkel  UI,  187  A. 

Doppeltes  Functionssymbol  I,  278  f. 

Dorf  III,  594. 

Drama  III,  120.  127.  169.  310.  317. 

Drehung  1 .  580  A.  622.  624;  II ,  178. 
310.  321  f.  887.  854.  390.  423  f.; 
magnetische  D.  derPolarisatiooMbene 
n,  349.  437. 

Drehungsgesetz  der  Winde  II,  340  f. 

Drehwage  II,  371.  402.  405  f. 

Dreieck,  charakteristisches  D.  bei  Leib- 
niz  II,  281  f.  236  f. 

Dreieckszahlen  II,  167. 

DreiLheilung  II,  64;  III,  188.  396  f.; 
Mathematik  der  drei  F&Ile  III,  189  f. 

Drittes.,  Satz  vom  ausgeschlossenen 
Dritten  I,  358.  565 f.;  IL  79;  lU.  46. 
452  f. 

Druck  II ,  74  f.  330.  405.  489.  497  f. 
503.  506.  509.  520.  545  f.;  III, 
217. 

Drüsen  II,  529 ;  Drfisengewebe  II,  528. 

Dualismus  I,  636 ;  III,  230.  244 ;  D.  bei 
Plato  I.  527;  IL  584;  D.  bei  Des- 
cartes  lU,  2.50;  D.  bei  Descartes  und 
Wolff  1 ,  540.  626 ;  D.  bei  Schopen- 
hauer J,  555;  dualistische  Richtung 
der  Chemie  II ,  494;  dualistische 
Elektricit&tohypothese  II,  367.  872. 

Dualität  der  Gebilde  II,  189. 

Duft  der  Blüthen  IL  549. 

Dunkelheit  I,  88. 

Duodecimalsystem  II,  137. 

Durchdringung  verschiedener  Materien 
II,  431. 

Durchschneidung  II,  178  f.  183  f.  189; 
Durchschneidungsversuche  II ,  529  f. 

Durchschnittswerthe  H,  419 f.;  III,  77. 
80  f.  138.  219  A.  457  f.  475.  508  A. 
528. 

Durchsichtigkeit  bei  Aristoteles  II, 
284  f. ;  durchsichtige  Körper  II,  873. 
899  f. 

Dynamik  I,  617;  II,  298.  297.  302.  813. 
815  f.  328  f.  389  f.  558;  III.  884.441; 
chemische  D.  II,  469  f.  490.  493  f. 
501 — 506;  abstracte  mathematische 
und  concreto  physikalische  D.  IL 
dynamische  Atomistik  II,  430.  435. 
325  f.;  440 f.  446.  458;  dynamische 
Theorie  der  Materie  bei  Kant  iL 
481. 

Dynamis  bei  Aristoteles  IL  278  f. 


Sachregister. 


25 


E. 


Ebbe  und  Flutb  II,  73. 

Ebenbild  UI,  168. 

Ebene  I,  494  f.;  II,  145.  185.  189.  196. 
810.  491;  schiefe  E.  II,  298. 

Echtheit  III,  818  f.  336  f. 

Edle  Metalle  II,  472  f. 

Effect  III,  281;  E.  einer  Bewegung  II, 
453,  vgl.  Erfolg,  Wirkung. 

Egoismus  I,  631;  III.  497.  512  f.  588. 
554  A. 

Ehe  III,  378  f.  480.  590.  598;  Stotistik 
der  Eheschliessungen  III,  5.  450. 
459  f.  473. 

Ei  II,  541.  543 f.  562.  564.  572  f.;  Eier- 
stock II,  544. 

Eigenart  III,  418  f. 

Eigenname  I,  101. 

Eig^nutz  8.  Egoismus. 

Eigenschaften  III,   19;  E.  und  Kr&fte 

II,  538;  dauernde  Eigenschaft  und 
Wechsel  I,  177.  186  f.;  constante  E. 

III,  133;  E.  und  Wirkung  I,  409; 
E.  und  Zustand  1, 473  f. ;  III,  247 ;  for- 
male E.  III,  13;  psychische  E.  III, 
484;  Vererbung  erworbener  Eigen- 
schaften II ,  543  A. ;  Eigenschafts- 
begriff I,  119.  145  f.  183.  871. 

Eigenthum  lU ,  537  f.  547.  575.  579 ; 

Vergehen  gegen  das  E.  III,  146  f.  463. 
Einbildung  III,  569  A. ;  £.  (Imagination) 

bei  Spinoza  I,  586;  Einbildungskraft 

II,  448;  III,  424;  Einbildungskraft 
bei  Kant  II,  105.  113.  130. 

Eindeutigkeit  der  arithmetischen  Fun- 
damentaloperationen II,  148;  ein- 
deutige Schlüsse  I,  381  f.  390  f. ;  E. 
einer  Function  II,  203  f. 

Eindringen,  intensives  E.,  nicht  exten- 
sives Erschöpfen  IIT,  128  f. 

Eindruck,  subjectiver  E.  II,  413;  E. 

III,  219  f.  223  f..  vgl.  Einwirkung. 
Einfachheit  I,  510  f.  525  f.  544.  647; 

n,  112.  288  f.  325.  327.  836.  840. 
388.  891.  433.  506  f.  513.  559;  III, 
45.  55.  162  f.  198  f.  212.  225.  243  f. 
249.  262.  492.  582  f.  596;  einfache 
und  zusammengesetzte  Körper  II,  479. 
Einfluss,  physischer  E.  1.540;  psychische 
Einflüsse  der  geistigen  Umgebung 
III,  27  f.  34—40.  231  f.  292.  326  f. 
348 f.  352.  380 f.;  individueller  E. 
m,  382  A. 


Einflusslosigkeit  der  Nebennmstände 
I,  441. 

Einfuhr  III,  618. 

Eingriff,  verändernder  E.  III ,  174  f., 
vgl.  Experiment 

Einheit  I,  261.  521;  II,  140.  143  f.; 
III ,  246  f.  595  f. ;  Einheitsgleichung 
I,  283 f.  292 f.  395 f.;  E.  des  geistigen 
Lebens  I,  551;  III,  261.  266  f.;  E. 
der  Apperception  I,  468 f.;  III,  246. 
266;  Einheitsbedürfniss  III,  199.  248 
E.  der  Principien  in  Chemie  und 
Physik  II,  490.  499;  E.  der  Gefühls- 
lage III,  265;  E.  des  Urstoffs  II,  580; 
E.  der  Naturanschauung  II,  587 ;  in- 
nere £.  durch  den  psychischen  Zu- 
sammenhang des  Seelenlebens  III,  33. 
48.  167.  238. 

Einkommen  III,  137. 

Ein-  und  Ausscbachtelung  II,  578. 

Einschaltung  der  Copula  I,  168. 

Einschränkung  und  Determination  II, 
216. 

Einschränkungen  bei  Kant  II,  104. 

Einseitigkeit  III,  128.  412  f.  498. 

Einsicht,  mangelnde  E.  III,  514,  vgl. 
Intelligenz. 

Einstellung  II,  394;  Einstellungsmetho- 
den III,  185  f. 

Eintheüung  I,  201.  216.  566  f.;  III.  117. 
186.  190.  304.  479  f.  511.  560  f.; 
logische  E.  und  praktische  Arbeits- 
theilung  III,  22  f.;  E.  nach  Gegen- 
satz II,  277.  581;  III,  397;  E.  und 
Schluss  I,  312  f.,   vgl.  Classification. 

Eintheilungsgrund  II,  47  f.  60  f.;  III, 
394.  400  f.  532. 

Eintritt  der  Handlung  I,  184  f. 

Einwanderung  III,  459  f. 

Einwirkung  III,  202  f.  218. 

Einzelbegriffe  I,  105  f. 

Einzelerhebung  III,  528. 

Einzelne  Erscheinung  II,  359;  III,  135; 
das  E.  I.  525;  der  einzelne  Mensch 
III,  18  f.  135.  231  f.  292  f.  491  . 
496  f.  508  A.;  EinzelthatsachenII,d59. 

Einzelurtheile  I.  176.  180;  E.  bei  Kant 
I.  173. 

Einzelvorstellung  I,  106. 

Einzelwissenschaften  III,  447,  vgl.  Er- 
fahrungswissenschaften. 

Eisen  und  Elektricität  II,  849.  367. 
369  f.  373. 

Eiweiss  II,  477,  525.  570.  578. 


26 


Sachregister. 


EklekticiBmus,  dogmatischer  E.  I,  401 ; 

E.  III,  511  A.  519. 
Elasticität  II,  19.  282.  354.  378  f.  391  f. 

405  f.  423.  429  f.  482.   435.   489  f. 

444  f.  519.  526  f.  547.  557;  elastische 

Liohttheorie   II ,   437  A. ;    elastische 

Röhre  des  Aneroidbarometers  II,  402 ; 

elastische  PUtten  II,  403. 
Eleaien  I,  400.  584;  III,  684. 
Elektricität  II,  331.  850.  862.  864  f.  A. 

366—873.  874.  877.  892  f.  400.  402. 

405.  409  f.   418.   428  f.  432.   434  f. 

454.  469.  473  f.  478  f.  483  f.  490  f. 

494  f.  501  f.  507.  510.  518.  524.  526  f. 

557.  588;  III,  132. 517;  Elektrochemie 

II,  483  f.  494.  503 f.;  Elektrodynamik 

II,  426.  486.  449 f.;  Elektromagnetis- 
mus II ,  348  f.  350.  859.  367  f.  426. 
442.  491;  elektromagnetische  Feme- 
Wirkung  II,  376;  elektromagnetische 
Lichttheorie  II,  850.  898.  435  f.  449; 
Electrometer  II,  402;  elektrische 
Drehwage  II,  402;  elektromotorische 
Kraft  II,  350;  elektrotonischer  Zu- 
stand II,  872;  elektrostatische  Wir- 
kungen II,  448.  451;  Elektrolyse  II, 
496.  503;  Elektrolyte  II,  495. 

Elemente    der   psychischen   Vorgänge 

III,  158;  ps.  Elementarphänomene 
III,  160;  E.  des  Bewusstseins  III, 
1 78  f. ;  einfacheVorstelluDg  als  psycho- 
logischer ElementbegrifF  I,  18 f.;  III, 
162  f.;  Associationen  der  £.  I,  24 f.; 
herrschende  E.  1 ,  49  f. ;  natürliche 
E.  des  Denkens  I,  97 ;  Gedankenele- 
mente I,  93;  Elementar-  und  Total- 
verbindung 1 ,  68  f. ;  Determination 
und  Summation  für  E.  I,  281  f.; 
Elementaranalyse  II,  8  f.  196-<201; 
III,  196-201.  204  A.;  organische 
Elementaranalyse  II,  475;  E.  der 
Chemie  I,  535;  II,  264.  468—513; 
£.  der  Materie  II,  457  f.;  vier  E. 
des  Aristoteles  II,  64.  471;  E.  des 
Empedokles  II,  288  f.;  arithmetische 
E.  II ,  140  f.  149 ;  discontinuirliche 
E.  II ,  232  f. ;  Elementarorganismus 
II,  559  f. 

Elend  III,  618. 

Elimination  I,  816  f.  376  f.;  II,  11  f. 
877,  vgl.  Ausscheidung  etc.;  E.  der 
Fehler  III,  184.  186.  188.  469  f.;  E. 
der  wechselnden  Zeit-  und  Raumein- 
flüsse  III ,  186  f. ;  E.  und  Gradation 


der  Bedingungen  II,  368  f.  871.  373. 

529;  E.  singulärer  Einflüsse  III,  148  f.; 

Eliminationsmethode  III,  209  f.;  £. 

der  Nebeneinflüsse  III,  216. 
Elle  III,  181. 
Ellipse  II,  180.  182.  187  f.;  elliptische 

Function  II,  257. 
Bmanationstheorie  I,  586;  II,  285.  862. 
Embryonalkürper  II,  541  f. ;  embryonaler 

Charakter  II,  588  f. 
Emission  II,  465;  Emissionsspektrum 

II,  899. 

Empfindung  II,  567  f.  579;  III,  147. 
158  f.  168.  180  f.  218  f.  217.  222. 
245.  255.  258.  268.  268.  271  A.  272. 
292.  688;  reine  E.  I,   15.  410.  474: 

III,  178.  198;  Empfindungacomplexe 

I,  511;  E.  intensive  Grössen  I,  518: 
III,  180  f.;  E.  des  Tast-  und  Muskel- 
sinnes II,  403;  E.  und  Reiz  III,  178. 
181  f.;  Empfindungsstrecken  III,  184. 
186  f. ;  Empfindungszuwachs  III.  198: 
Association  der  Empfindungsbestand- 
theile  der  Vorstellungen  III,  218: 
Empfindungsstärken  verglichen  II, 
412  f. 

Empirismus  1 ,  398  f.  408  f.  427  f. ;  U, 
274;  III.  8.  29.  58.  159.  166;  mathe- 
matischer E.  bei  du  Bois-Reymond 

II ,  101  A. ;  empirische  Gesetze  II, 
26f  ;  III,  129.  181—150.  356f.  472f.; 
£.  bei  Mül  II,  110  f.;  Empiriker  und 
Philosoph  II,  459  f. 

Empirische  Wahrscheinlichkeit  I,  842. 
442  f. 

Endaufgabe  der  Metaphysik  I,  421. 

Ende  aller  Dinge  II,  464 f.;  III,  390f.; 
Endlichkeit  II,  82.  459  f.;  endUche 
Grössen  II,  233.  288.  244  f. ;  endliche 
Femewirkungen  II,  441  f. 

Endlosigkeit  II,  153,  vgl.  Unendlichkeit. 

pjndzweck  I,  648,  vgl.  Zweck. 

Energie  II,  424.  458.  464  f.  502.  518  A. 
564;  III,  223.  381.  405;  E  bei  Ari- 
stoteles I.  527;  II,  278  f.;  E.  und 
Kraft  I,  614f.;  II,  808 f.  828 f.  408 f. 
447;  III,  182  f.;  EnergiegeseUe  II, 
458—457.  555  f.;  III,  25;  Energie- 
gleichungen II,  328 f.;  praktische  E. 

III,  298;  kinetische,  actueUe  E. 
(lebendige  Kraft)  und  potentielle  E. 
(Spannkraft,  E.  der  Lage)  II,  309. 
408.  453  f.  544  f.  556  f.  567;  chemische 

Energetik  II,  490.  514  A.;  psychische 


Sachregister. 


27 


£.  III,  275  f.;  actuelle  und  latente 
psychische  E.  III»  278  f.;  Erhaltung 
der  E.  I,  621  f.  646 ;  U,  304.  808  f. 
410  f.  426.  441.  455  f.  489  f.  494  f. 
504.  555  f.  569;  III,  142.  246  f. 
276  f. 

Englische  Psychologie  III,  158  f. ;  eng- 
lische Philosophie  III,  251 ;  englische 
Anthropologie  III,  867. 

Enqu^  III,  528. 

Entartung  III,  419  A.;  E.  der  Demo- 
kratie m,  148  f. 

EntblÖBstsein  bei  Aristoteles  II,  275. 

Entdeckungen  III,  418.  444;  zufällige 
£.  II,  347  f. ;  £.  unbekannter  Erschei- 
nungen II,  866;  Entdeckung  inter- 
currirender  Gesetze  III,  149. 

Entelechie  bei  Aristoteles  I,  525  f.  584; 
m,  244. 

Entfernung  s.  Ausscheidung. 

Entfernungsbestimmungen  III,  204;  kos- 
mische E.  II,  428. 

Enthaltung  des  ürtheils  III,  16. 

Entlehnung  und  genealogische  Ver- 
wandtschaft III,  106. 

Entropie  der  Welt  II,  464. 

Entstehung  des  ürtheils  I,  154  f.;  E. 
der  Welt  I,  417  f.  468;  E.  der  Raum- 
anschauung  I,  505  f.;  E.  der  Vor- 
stellungen III,  168. 208 ;  E.  der  Staaten 
IIL,  496  f. ;  Entstehungsbedingungen 
geistiger  Vorgänge  III,  68;  E.  der 
Arten  s.  Entwicklung. 

Entwicklung  II,  6.  524;  III,  28.  151. 
269  f.  402  f.  428  f.  441  f.  479.  484. 
487.  494  f.  500  f.  505.  510.  522  f. 
530.  587.  541  f.  556  f.  590;  E.  der 
Arten  I,  649  f.;  n,  841.  537.  589  f.; 
E.  des  Denkens  I,  9  f. ;  E.  des  Willens 
ni,  577.  599;  Gedankenentwicklung 
I,  34  f.  75  f. ;  Entwicklungslosigkeit 
m,  248;  Entwicklungsgeschichte  II, 
516;  III,  18;  Entwicklungslehre  111,16; 
genetische  Classification  II,  49.  52  f. 
845.  565  f. ;  E.  der  Erfahrungswissen- 
schaften ni,  25;  Periodicität  der  Ent- 
wicklungserscheinungen II,  564;  ver- 
gleichende Entwicklungsgeschichte 
in,  78;  geistige  E.  III,  21  f.  66  f.  274  f. 
416;  E.  bei  Aristoteles  II,  275;  gene- 
tische Definition  II,  46;  III,  519; 
genetische  Erklärung  II,  58  f.;  gene- 
tisches Verständniss  II,  515;  III,  428  f.; 
genetische  Construction  II,  169. 


Entzündung  11,524. 587  f.  615  f. ;  Lungen- 
entzündung II,  586;  III,  507  A. 

Enumeration  III,  810. 

Epicykeln  II,  288. 

Epidemien  III,  468.  465.  470. 

Epigenesis  II,  541  f.  568. 

Epithelialgewebe  III,  528.  546.  589. 

Epos  III,  310.  817. 

Erde  II,  442;  III,  68;  Erdkunde  II,  54. 
269  f.  286.  844;  III,  804.  884.  379. 
888  f.  418.  448  f.  478.  476,  vgl.  Geo- 
logie, Geognosie  et<:.;  Kugelgestalt 
der  E.  II,  886;  Erdinneres  II,  837  f.; 
Erdbewegung  II,  76.  81.  841.  886. 
418  f.;  Fortpflanzung  derWärme  durch 
die  Erdrinde  II,  366;  Erdmagnetis- 
mus II,  870;  Bildung  der  Erdrinde  II, 
552;  Erdquadrant  II,  422;  Erdsphä- 
roid  II,  428 ;  Erdpole  II,  425 ;  Aequator 

II,  425;  Gradmessung  11,  422. 
Ereignisscharakter  I,  596  f.;  II,  828; 

III,  167  f.;  historische  Ereignisse  III, 
20.  74.  138.  144,  vgl.  Geschichte; 
collective  Ereignisse  III,  80;  generelle 
Bedingungen  und  singulare  Ereignisse 
ni,  142  f. 

Erfahrung  III,  80.  24  f.  129.  204.  244. 
582  f.  683  f. ;  innere  E.  1, 1 1.  78. 537  f. 
549 f.;  III,  163.  165  f.  172.  178.  194 f. 
196.  198  f.  242  f.  247  f.  291;  äussere 
E.'  II,  279  f.  894;  III,  242.  247  f.  291; 
Zufälligkeit  und  E.  I,  81;  Gebiete 
der  E.  I,  83;  allgemeine  Erfahrungs- 
gesetze I,  574  f.;  II.  26  f.  361.  457; 
III,  145;  allgemeine  Erfahrungsbe- 
griffe I,  461  f.;  Reflexion  über  die 
E.  I,  508;  relative  ünumstösslich- 
keit  I,  506 ;  E.  und  Denken  I,  398  f. 
560  f.  571  f.  624  f. ;  11,461 ;  Erfahrungs- 
wissenschaften I,  7  f.  421.  436.  468  f. 
584  f.  577.  614  f.;  II,  90.  861;  lU, 
24  f.  129.  133.  150.  248  f.  251  f.  304  f. 
339  f.  631  f. ;  Erfahrungs-  gegenüber 
Anschauungs-  und  Begriffswissen- 
schaften II,  38.  36.  40;  Naturerfah- 
rung und  unmittelbare  Auffassung 

I,  422  f.;  III,  83;  allgemeinere  Er- 
fahrungsgesetze und  empirische  Ge- 
setze II,  26  f.;  III,  129;  unmittelbare 
E.  U,  278;  objective  E.  II,  875;  in- 
dividuelle und  concreto  E.  III,  18  f.; 
allgemeine  Lebenserfahrung  III,  19; 
E.  und  reine  Anschauung  I,  618  f.; 

II,  824;  E.  und  Axiome  II,  411  f.  A.; 


28 


Sachregister. 


Erfahrungsseelenkande  III,  64  A. ;  E. 
bei  Baco  II,  287  f.;  E.  bei  Leibniz 
I,  568.  586  f. ;  E.  bei  Hume  I,  589 ; 
innere  E.  und  Gaasalität  I,  604. 
609;  III.  291;  E.  und  Substanz  I, 
537  f.  626  f. ;  E.  und  Theorie  III, 
512  f. 

Erfindungs-  und  Vertragstheorien  III, 
293  f.  556. 

Erfolg  m,  177.  279  f.;  E.  und  Folge 
I,  588  f. ;  ps.  Anticipation  I,  643  f. ; 
E.  und  Zweckmässigkeit  III,  125. 

Ergänzung  der  Begriffe  1, 115;  Wechsel- 
beziehung I.   134;   E.  der  Urtheile 

I.  230;  ideale  E.  I.  421 ;  Ergänzungs- 
farben II,  3r>8;  E.  der  Untersuchungen 
III,  37  f.  261 ;  ergänzende  Abstraction 
III,  232.  277.  515. 

Erhaltung,  Principien  der  E.  II,  304  f. 
324;   E.  der  Energie  I,  621  f.  645; 

II,  304.  308  f.  410  f.  426.  441.  455  f. 
489  f.  494  f.  504.  555  f.  569 ;  III,  142. 
246  f.  276  f.;  E.  der  Quantität  der 
Bewegung  II,  804.  306  f.;  E.  der 
lebendigen  Kräfte  II,  304—306.391; 
E.  des  Totalfortschritts  der  Körper 
II,  305;  E.  des  Schwerpunktes  II. 
806  f.  390  f. ;  E.  der  Flächen  II,  308  f. 
391 ;  E.  der  Art  II,  539. 

Erinnerung  I.  31.  425;  III,  171.  201. 
210  f.  287;  E.  und  Begriff  I,  46  f.; 
Wiedererinnerung  II,  101  f. ;  III,  159. 
210  f.  635 ;  Wiedererinnerung  beiPlato 

I,  399;  bei  Aristoteles  III,  159;  Er- 
innerungszellen III,  229. 

Erkennen  und  Gefühl  III.  158;  Wieder- 
erkennen III,  206.  210.  220.  225; 
Erkennung  III,  209  f.,  vgl.  Erkennt- 
nisskritik. 

Erkennbarkeit  I,  636 ;  II,  279  f.  284. 

Erkenntniss,  Ursprung  der  E.  I,  398  f. ; 
Erkenntnissnormen    und    Erfahrung 

II,  461;  E.  des  Erkannten  III,  303; 
Entwicklung  der  wissenschaftlichen 
E.  III,  828. 

Erkenntnisstheorie  1,2;  II,  512;  III,  19. 
53.  249.  447.  631  f.;   empirische  E. 

III,  159.  166.  251;  Stellung  der  E. 
zwischen  Logik  im  engeren  Sinne  und 
Metaphysik  I,  8;  Aufgaben  der  E.  I, 
411;  Erkenntnisslehre  II,  45. 

Erkenntnisskritik  I,  426  f.;  III,  126; 
klares  und  dunkles  Erkennen  I,  88; 
»verworrene*  Vorstellungen  bei  Leib- 


niz I,  568;  Erkenntnissgmnd  bei 
Schopenhauer  I,  570  f.  593. 

Erkenntnisswerth,  praktischer  E.  111,134. 
480. 

Erklärung,  vgl.  Interpretation  I,  183. 
189  f.;  II,  4.  844  f.  878  f.  458.  538. 
545;  III,  14.  154,  212.  235  f.  24.S. 
245.  247.  260  f.  269  f.  319  f.  355  f. 
864.  474.  513.  518;  £.  und  Inter^ 
pretation  III,  56.  88;  E.  und  Vei^ 
neinung  1, 216  f.;  erklärende  Wissen- 
schaft I,  334.  615  A.;  genetische  E. 

II,  58  f. 

Erlebniss  und  Beobachtung  III,  29; 
subjective  und  auf  aussen  bezogene 
Erlebnisse  III,  153;  ps.  E.  und  Gegen- 
stände III,  164,  vgl.  Erfahrung. 

Erleichterung  III,  221. 

Erleiden  III,  267,  vgl.  Passivität 

Erlösungswerk  Christi  III,  49. 

Ernährung  II,  520.  529  f.  542.  557.  574; 

III,  469;  Emährungssäfte  II,  587. 
Ernst  III,  221. 

Erscheinung  und  Sein  I,  462  f. ;  DI,  82  f.; 
E.  bei  Kant  1, 548.  554;  bei  Schopen- 
hauer  1, 555 ;  Erscheinungen  bei  New- 
ton II,  381;  E.  und  Gesetze  III,  133; 
Körperwelt  eine  Bewusstseinserschei- 
nung  III,  244. 

Erschleichungen  I,  516.  608. 

Erschöpfung  III,  288;  E.  des  Lebens 
II,  574,  vgl.  Tod.  —  Nicht  extensive 
E. ,  sondern  intensives  Eindringen 
m,  128  f. 

Erschütternde  Wirkung  lU,  199.  215. 

Erwärmung,  vgl.  Wärme ;  E.  durch  Gelb 
bei  Goethe  III.  216. 

Erwartung  I,  447;  E.  beim  Experiment 
11,836;  111,191. 

Erwerb  III,  578. 

Erzählung  I,  188  f.;  II,  844;  III,  319  f. ; 
E.  und  Verneinung  I,  216. 

Erzeugnisse,  geistige,  II,  580;  III,  21  f. 
23.  30. 95.  118  f.  140. 213  f.  282  f.  294. 
302.  304  f.  340  f.  381.  546. 

Erziehung  lU,  428.  425 ,  vgl  Pädago- 
gik. 

Essigsäure  II,  485. 

Ethik  I,  1,  411.  646.  648  f.;  III,  2. 16. 
21.  41.  53.  71.  120.  124.  126  f.  152. 
164  f.  219  A.  237  f.  274.  281  f.  294. 
297.  307.  322.  344.  861.  367.  375  f. 
896.  419.  428  f.  432  f.  442  A.  447. 
459.  474.  478  f.  486  f.   504.  515  f. 


Sachregister. 


29 


542  f.  547.  553  f.  555.  559.  564  f.  574. 
578.  580  f.  584.  588,  627  f.  641  f. ; 
ttttliche  Forderungen  I,  414  f. ;  III, 
244.  277  f.  377.  402.  404.  424.  544 ; 
Sittlichkeit  III,  31.  164.  629  f.;  ethi- 
sches  Bedürfniss  I,  455;  III,  424; 
E.  Kants  I,  407. 

Ethnologie  (Völkerkunde),  II,  270;  III, 
22  f.  83.  43.  46.  63.  145.  235  f.  802. 
831.  384  f.  371  f.  874.  379.  441  f. 
448—455.  455  f.  462  f.  476  f.  494  f. 
597. 

Ethologie  III,  240.  307.  369—876.  526. 
629 ;  E.  bei  MiU  III,  64  A. 

Etwas  I,  117. 

Etymologie  III,  4.  59.  148  f.  359.  862  f.; 
Volksetymologie  I,  20,  vgl.  Sprache. 

Evidenz  I,  78.  81  f.  398  f.  406.  435  f. 
568;  II,  109.  277.  411;  III,  28;  un- 
mittelbare und  mittelbare  E.  I,  82  f. 

Evolution  und  Epigenesis  II,  541  f.  563. 

Ewigkeit  I,  84.  488. 641 ;  £.  der  Mensch- 
heit I,  414  f.;  ewiges  Sein  III,  301; 
£.  des  Lebens  II,  576  f.;  ünzerstör- 
barkeit  III,  163.  277  f. ;  ünwandel- 
barkeit  I,  488;  ün Vergänglichkeit  II, 
441;  III,  151.  163  f.  243.  277  f.;  Un- 
verbrüchlichkeit I,  651;  Unerschöpf- 
lichkeit II,  149  f. ;  Unsterblichkeit  I, 
405.  422;  III,  43. 151. 164. 168.  368 f.; 
Unendlichkeit  I,  487 ;  II,  82.  150  f. 
459  f.;  sittlich  beleuchtet  I,  414  f.; 
III,  278;  Unendlichkeit  bei  Spinoza 
I,  528;  unendlich  dauernde  Bewe- 
gung II,  441;  Unumstösslichkeit  I, 
506;  p vollendete*  und  un vollendbare 
UnendUchkeit  II,  153.  226.  460  f.; 
Unendlichkeit  nicht  verstellbar  I,  84, 
vgl.  Substanz,  Zeit,  Gottheit. 

Exacte  Wahrscheinlichkeit  1,345;  e.  Ana- 
logie I,  349  f. ;  e.  Definition  II,  7 ; 
e.  Beschreibung  II,  345.  362;  Ezact- 
heit  durch  Willkür  bei  der  roathe- 
matischen  Wissenschaft  II,  100;  e. 
Wissenschaften  ü,  581 ;  III,  8  A.  53. 
57.  76.  79.  100.  111.  125.  162.  166. 
230.  302.  406.  423.  502  f.  507  A. 
513.  517  A.  569  A.  581 ;  e.  Beobach- 
tung U,  334  f.  394.  403  f.  412  f.  415  f. ; 
III,  93.  146  f.  164.  172.  190  f.  300  f. 
474  f.;  e.  Methoden  III,  9.  90  f.  171. 
177  f.  181.  183. 186  f.  217.  226.239. 
276.  813.  520.  522  A.  531. 

Exantheme  II,  586. 


Excess  der  Bildung  II,  564. 

Excrete,  pflanzliche  und  thierische  E. 

II,  525  f.  571. 

Exegese  III,  81,  vgl.  Interpretation. 
Exemplification  I,  814  f.  334  f.  362. 

374;  II,  24;  III,  88.  120.  129.  582. 

587. 
Exhaustionsmethoden  II,  152.  282. 
Existenzbedingungen  III,  45. 
Existenzialsätze  I,  179. 
Experiment  II,  5.  9  f.  35  f.  117.  286. 

338.  884—339.  339  f.  362.  366.  872. 

377.  380.  384  f.  389.  395  f.  416.  436. 

494.  514  f.  520.  523  f.  525  f.  528  f. 

532.  537.  560.  577  f.  584  f.  587.  589; 

III,  53  f.  57.  65.  76  f.  92  f.  109.  145. 
150.  166  f.  169  f.  172—178.  184  f. 
190.  197  f.  199.  202  f.  207  f.  211  f. 
215  f.  222  f.  283.  239.  240  A.  300  f. 
316.  342.  468.  483  A.;  experimentelle 
Morphologie  II,  519.  528  f.;  experi- 
mentelle Methodik  II,  22;  Experi- 
mentum  crucis  II,  854.  356  f. 

Explication  s.  Erklärung. 
Explicite  Function  II,  208. 
Exponentialfunction  II,  214  f.  244.  247. 

257  f. 
Exstirpationsversuche  II,  529. 
Exsudation  II,  524.  587. 
Extensität,  vgl.  Ausdehnung. 
Extensive   Grössen  I,   513;   m,  178  f. 

210;    e.  monoculare,  Vorstellungen 

III,  204;    extensiver  Umfang   einer 

Vorstellung  III,  205. 
Extra-Strom  Faradays  II,  370. 


F. 


Fabel  III,  105. 

Faden,  absolut  biegsamer,  unausdehn- 
barer F.  II,  319  f.  325;  elastischer 
F.  II,  405. 

Fadenkreuz  II,  398.  404. 

Fähigkeit  III.  19. 

Fälschung  III,  103.  123. 

Fäulniss  II,  364  A.  577  f.,  s.  Fermen- 
tation,  Gährung. 

Fall  und  Wurf  I,  618 ;  II,  294  f.;  schnell- 
ster F.  II,  312;  Fallgesetze  II,  31. 
376;  III,  67;  Fallversuche  ü,  261. 
264. 840 ;  Fallgeschwindigkeit  II,  356. 
Fallbeschleunigung  II,  425. 

Falsche  Folgerungen  bei  Bedingungs- 


30 


Sachregiaier. 


urtheilen  von  bestreitbarer  Triftig- 
keit I,  375. 

Falsche  und  richtige  Fälle  III,  189; 
falsch  und  wahr  III,  126;  Gefahl  des 
Falschen  III,  118. 

Faltungen  der  Eeimscheibe  II,  548. 

FamiUe  II,  564;  III,  284.  870.  878  f. 
448.  477  f.  480.  537  f.  589  f.  597. 
605  f.  611;  Familienrecht  III,  478. 
561. 

Farbe  I,  408.  495.  513.  586;  II,  284  f. 
399  f.  428.  445  f.;  HI,  178.  200.  216  f. 
221  f.  272;  Farbengefühle  III,  222; 
Grundfarben  II,  358;  Farbenkreisel 
II,  858;  Farbenmischung  II,  357  f. 
360;  Farbenmengungen  11,399;  Er- 
gänzungsfarben II,  858;  Farbenzer- 
streuung II,  285. 352—355. 357. 360  f. 
394.  898  f.;  Farbenanpassung  bei 
Thieren  und  Pflanzen  II,  549 ;  pflanz- 
liche und  thierische  Farbstoffe  II, 
525 ;  Färbungsmethoden  der  optischen 
Morphologie  II,  521. 

Fatalismus  I,  554;  III,  81  A. 

Fata  morgana  und  Assimilation  I,  19. 

Favuspilz  II,  585. 

Feder  II,  453;  (Uhr)  II,  414  f. 

Federwage  II,  405  f. 

Fehler  der  Beobachtung  I,  444;  III, 
191 ;  F.  der  Messung  II.  405.  418  f.; 
ontologischer  F.  III,  246;  Fehlereli- 
mination III,  184.  186.  188.  469  f.; 
mittlerer  F.  III,  185  f.  192;  Fehler- 
yertheilung  III,  191. 

Feldmessung  II,  91.  417. 

Feldspat  II,  578. 

Fermente  II,  526.  572  f.;  Fermentation 
II,  585,  B.  Gährung,  Fäulniss. 

Feme,  Wirkung  in  die  F.  I,  616  f.; 
II,  80.  376.  400.  405.  430  f.  440  f. 
448  f.  467;  III,  262;  Femewirkung 
elektrischer  Flüssigkeiten  II,  872. 

Femrohr  II,  395  f.  404. 

Festbräuche  III,  369  A. 

Feste  und  lose  Verbindung  der  Atome 
II,  556;  fester  Punkt  II,  466. 

Festigkeit  I,  588.  628  f.;  feste  Körper 
II,  390  f.  406.  481.  436.  489  f.  501. 
514  A. 

Fetischismus  III,  367. 

Fettsäuren  II,  477. 

Feuchtigkeit  (Luft)  II,  419. 

Fiction,  juristische  F.  III,  566  f.  585. 
588.  612. 


Figuren,  syllogistische  F.  I,  307.  388. 

Fütration  II,  474. 

Finanzyerwtütnng  III,  498. 526;  Finanz- 
wesen III,  478;  Finanzwirthschaft  m, 
466.  532. 

Fixation  III,  204. 

Fixe  Verbindung  II,  475. 

Fixsterne  II,  81.  386.  511;  DI,  134. 

Fläche  II,  204.  825;  Erhaltung  der 
Flächen  n,  808  f.  891 ;  FlAchenkraft 
II,  431;  Prindp  der  kleinsten  Flä- 
chen II,  545;  ungleiches  Fläcben- 
wachsthum  II,  546. 

Flaschensug  II,  297.  319  f.  325. 

Flexion  I,  88.  42.  57;  Suffixe  der  F. 
I,  176  f. 

Fluenten  bei  Newton  II,  227. 

FlQssigkeit,  vollkommene  F.  I,  624;  ab- 
solut verschiebbare  F.  III,  61;  fifls- 
siger  Körper  II,  390  f.  392.  402.  405  f. 
436.  439  f.  491.  498  f.  503.  505.  527  f. 
560.  581;  III,  512. 

Fluida,  unwägbare  F.  II,  367;  Wärme- 
fluidum  II,  481  f. 

Flussspat  II,  578. 

Fluth  und  Ebbe  II,  73. 

Fluthsagen  III,  105  A.  449. 

Fluxionsmethode  bei  Newton  II,  225. 
227  f.  244. 

Fördern  und  hemmen  III,  163. 

Folge,  vgl.  Gmnd. 

Folgen  und  erfolgen  I,  589  f. 

Folgern,  s.  Schluss. 

Forderung  (Postulat),  theoretische  und 
praktische  I,  646;  transscendente  F. 

I,  84;  sitÜiche  F.  I.  414  f.;  DI,  244. 
277  f.  377.  402.  404.  424.  544;  logi- 
sche F.  III,  251  f.  357.  544. 

Form  bei  Aristoteles  I,  525.  527.  585; 

II,  275  f. ;  F.  bei  Baco  U,  21  f. ;  F.  and 
Stoff  der  Erfahrung  I,  480  f.  485; 
formale  Wahrheit  I,  82  f.;  formale 
Identität  I.  193  f.;  formale  Eigen- 
schaften III,  13;  Formen  derürtheile 
I,  172  f. ;  Zurückfahrang  der  ürtheile 
auf  gleiche  F.  I,  227.  233  f. ;  Forma- 
lismus der  Scholastik  I,  332  f.;  For- 
menlehre II,  89  f.;  ni,  97,  vgl.  Mor- 
phologie; Formverhältnisse  III,  218; 
äussere  Form  des  Zählens  II,  140. 

Formeln,  empirische  und  rationelle  F. 

der  Chemie  II,  492. 
Forschung,  Verfahren  der  wissenschaft- 
lichen F.  I,  429  f. 


Sachregister. 


31 


Forstwirthschaft  III,  526. 

Fortpflanzung  II,  539.  543.  550.  559. 
565.  570  f.  572  f.;  m,  618.  623; 
Fortpflanzungsgefichwindigkeit  der 
Gravitation  unbekannt  II,  434  f. 
465  f. 

Fortechritt  UI,  392  f.  403  f.  430  f.  496. 
615;  unendlicher  F.  I,  415  f.;  F.  und 
Drehung  I,  624;  II,  310.  322.  854. 
390. 

Fragestellung  II,  358.  860.  862. 

Frauen  III,  558. 

Freiheit  I,  405.  422;  III,  139  f.  384. 
390.  405  f.  424  f.  491.  501.  515  f.  562. 
576.  578.  589.  597;  F.  bei  Kant  I, 
637 ;  praktische  Willensfreiheit  I,  80. 
553.  629;  kleinster  Zwang  II,  318 f.; 
Willensfreiheit  und  Causalität  111,52; 
freie  Selbstbestimmung  III,  606;  freie 
Pflichten  III,  548;  freier  wirthschafb- 
licher  Verkehr  III,  504.  509,  vgl. 
Liberalismus. 

Friede,  friedliche  Entwicklung  III,  497. 

FroBchschenkel,  Zuckung  der  F.  II,  402. 

Fahlen  s.  Gefahl. 

Fürsorge,  staatliche  F.  III,  529. 

FQrwahrhalten  I,  412. 

Fürwort,  hinweisendes  F.  I,  177  f. 

Function  I,  167.  234  f.  274  f.  393  f. 
572;  II,  8.  11.  37.  45.  62.  84.  155. 
157.  192.  199-259.  866.  392.  449  f. ; 
ni,  475;  Functionscalcfll  II,  88;  Funo- 
tionstheorie  II,  184;  implidte  und  ex- 
plicite  F.  II,  208;  Formen  der  analyti- 
schen F.  II,  211  f.;  willkürliche  F. 
n,  206  f.  223;  physiologische  und 
pathologischeFunctionsanalyse  11,528 
bis  533;  functionelle  Anpassung  II, 
545.  548  f.  554;  functionelle  Krank- 
heitstheorie  II,  582  f.  586  f. 

Fundamentaloperationen,  arithmetische 
F.;  Addition  I,  261  f.;  II,  87  f.  97 f. 
120.  132  f.  136.  144  f.  150  f.  155.  168. 
211.  217.  244  f.  247  f.  321.  468;  DI, 
214  A.;  Subtraction  I,  267  f.  284. 
298;  II,  87  f.  98.  133.  136.  144  f. 
150  f.  155.  195  f.  211.  245.  247  f. 
258.  468;  HI,  209  f.;  Mnltiplication 
I,  251  f.  265  f.;  II,  76.  97  f.  123  f. 
183. 136.  145  f.  150.  155.  158  f.  191, 
195  f.  209.  211.  214.  216  f.  247  f. 
423;  Division  I,  267  f.  284.  298;  II, 
98.  114. 138.  137. 145. 155. 158  f.  191. 
211  f.  239.  242.  247  f.  258.  432. 


Funke,  elektrischer  F.  II,  367.  869  f. 

479  f. 
Furcht  I,  413.  446  f.;  III,  113;  F.  vor 

Verstorbenen  III,  48.  626. 
Furchungszellen  II,  546.  572  f. 


e. 


G&hrnng  II,  561  A.  562.  573.  577  f. 
585,  vgl.  Fäulniss,  Fermentation. 

Galle  II,  581. 

Galvanischer  Strom  II,  348  f.  862. 369  f. 
474  f.  483  f.  502;  galvanische  Kette 
II,  850.  484 ;  Galvanometer  II,  868  f. 

Ganzheit  (Totalitat)  eines  BegrüFs  I, 
259;  ganze  Zahl  II,  140 f.;  ganze 
Functionen  II,  211  f. 

Gas  II,  380 ;  gasförmige  Körper  II,  74  f. 
401  f.  410.  434  f.  475.  479.  483.  489. 
491.  497  f.  503.  511.  527;  vollkomm. 
G.  I.  624;  II,  494;  Gaswechsel  II, 
554  f. 

Gattung  II,  564.  574 ;  m,  19 ;  G.  und 
Begriff  I,  101  f. ;  Gattungsbegriff  I, 
44.  106  f.  182,  196  f.  362  f.  375  f. 
493.  502;  II,  13  f.  18  f.  25  f.  29. 
565 ;  Gattungsmerkmale  und  mittlere 
Gattung  I,  832  f. ;  Gattungskritik  und 
individuelle  Kritik  III,  117;  Gattungs- 
name (genus  proximum)  U,  42  f. 

Geberden  I,  21;  III,  214.  222  f. 

Gebrochene  Zahl  s.  Bruchzahl. 

Geburtenstatistik  III,  5. 450. 459  f.  475  f. 

Gedächtniss  I,  81;  III,  160.  171.  207. 
210  f.  221,  vgl.  Erinnerung. 

Gedanke  I,  59.  158;  Gedankenkette  I, 
58;  Gedankenverlauf  1 ,  84f.  55f.; 
Gedankenverlauf  und  Begriffsbildung 

I ,  78  f. ;  Gedankenverkettung  und 
Gedankenverwebung  I,  67  f.;  Ge- 
dankenentwicklung 1 ,  75  f. ,  vgl. 
Denken. 

Gefässinnervation  II,  548;  III»  222  f. 
Gefrierpunkt  II,  494. 499 ;  G.  des  Wassers 

II,  426. 

GefQhl  III,  61.  117  f.  152  f.  160.  165. 
167.  178.  180.  188.  198  f.  207.  215  f. 
227  f.  237  f.  244.  247.  255.  262  f. 
268.  271  f.  278  f.  282  f.  287.  295. 
801  f.  379.  413.  497  f.  521  f.  533  f. 
554.  556.  599.  625  f. ;  G.  psychisches 
Eriebniss   I,    11;   ThätigkeitsgefÜbl 

III,  265  f.;  reHgiöses  G.  I,  553  f.. 


y 


32 


Sachregüter. 


vgl.  Religion;  Gerechtigkeitsgeft&hl 
III,  584;  Freiheitsgefühl  I,  80;  Ge- 
meinachaftageftthl  III,  497  f.  598; 
Gefühlsrichtung  I.  80;  G.  und  WiUe 
1, 79 ;  III,  17;  GlücksgefÜhle  III,  482  f. ; 
Totalgefühl  III,  265.  280;  G.  bei 
Herbart  III,  168;  G.  und  Erkennen 
III,  158;  G.  und  Gegensätze  III,  16; 
Gefühlspsychologie  III,  165;  Gefahls- 
philosophie  III,  165;  Einheit  der  Ge- 
fühlslage III,  265.  278;  Gefühls- 
schattirungen  III,  221  f.;  Grade  und 
Qualitäten  des  Gefühls  III,  278. 

Gegensatz  (grösster  Unterschied),  vgl. 
Contrast  I,  184.  187  f.  140.  142.  200  f. 
228.  287;  III,  168.  221.  600  A.;  G. 
und  Negation  I,  137 f.  2 19 f.;  II,  62 f.; 
G.  und  Gefühl  III,  16;  Eintheilung 
nach  G.  II,  277.  581;  III,  397;  Ur- 
Stoffe  und  G.  II,  580. 

Gegenstand,  vgl.  Objecto  I,  11,  79. 
428  f.  461  f.  588;  III,  164.  168.  208. 
212.  245  f.;  Gegenstandsbegriff  I, 
118  f.  144  f.  306;  Vermehrung  der 
Gegenstandsbegriffe  I,  124 f.;  secun- 
däre  Gegenstandsbegriffe  I,  146.  180. 
472  f.;  Gegenstände  und  Vorgäntre 
III,  65  f. 

Gegenwart  I,  150  f.  184  f.  206;  III,  29; 
G.  und  anwesender  Ort  bei  conditio- 
naler  Begründung  I,  209;  G.  und 
Gesellschaftswissenschaften  III,  76. 

Gegenwirkung  I,  622  f. ;  Gleichheit  von 
Wirkung  und  Gegenwirkung  II,  299  f. 
824. 

Gehirn  I,  540.  627;  II,  529;  III,  153  f. 
164.  172.  224.  228 f.;  Gehirnfurchen 
II,  546. 

Gehöft  III,  594. 

Gehör  II,  374;  III,  15.  228. 

Geist  III,  245,  vgl.  Bewusstsein;  G.  als 
Bewegungsgrund  I,  627 ;  G.  und 
Körper  I,  540;  III,  12.  21.  173.  181. 
280.  249;  geistiges  Sein  I.  27  f.  80. 
551  f.;  III,  46.  244  f.;  gute  Geister 
1,631;  Geisteswissenschaften  I,  648; 
II,  11. 29  f.  38  f. ;  III,  1—643;  Geistes- 
störung III,  207;  geistige  Welt  III, 
14  f.  139  f.;  das  Geistige  III,  16  f. 
273  f. ;  G.  und  Natur  III ,  46.  258 ; 
Entstehungsbedingungen  geistiger 
Vorgänge  III,  68;  Naturbedingtheit 
des  geistigen  Geschehens  III,  12.  18. 
40.  41—46.   55.  379  f.;  geistige  Er-' 


Zeugnisse  II,  580;  III,  21  f.  23.  30. 
95.  118  f.  140.  213  f.  232  f.  294.  802. 
304  f.  840  f.  381.  546;  psychische 
Entwicklungsgeschichte  des  Geistes 
m,  18;  geistige  Entwicklung  in, 
21  f.  66  f.  274  f.  416;  Vielgestaltig- 
keit der  Geistesschöpfungen  lll,  57; 
geistige  Kräfte  II,  584. 580;  Ul,  489A. ; 
geistige  Gesammtheiten  lU,  21. 88  f. ; 
geistiges  Gesammtleben  HI,  231  f.; 
der  Organismus  eine  geistige  Schöp- 
fung  II,  580;  geistige  Umgebung 
m ,  27  f.  84—40.  231  f.  292.  326  f. 
848  f.  352.  380  f.;  Standpunkte  der 
Beurtheilung  des  Individuellen  in 
den  Geisteswissenschaften  III,  37  f., 
vgl.  Psychologie. 

Gelb  m,  216. 

Geld  III,  5.509.  525;  Geldverkehr  lU, 
108;  Geldwirthschaft  III,  894.  400  f. 

Gelegenheitsursache  der  Evidenz  I,  85; 
G.  der  Urtheile  I,  214;  G.  der  Baum- 
anschauung I,  509;  G.  der  mathe- 
matischen Begriffe  II,  113:  sinnliche 
Bilder  als  G.  bei  Leibniz  II,  102, 
bei  Kant  II,  104  f. 

Gelenkempfindung  I,  513;  III,  222; 
Gelenkenden  II,  520;  Gelenkkopf  II. 
547. 

Gemeinde  III ,  487.  477  f.  544  f.  592. 
604  f.  611;   Gemeinderecht  III,  478. 

Gemeininteresse  III,  572  f. 

Gemeinschaft  111,  39  f.  232  f.  277.  291 
bis  297.  883.  433  f.  444  f.  483  f. 
489  A.  491  f.  497  f.  510.  514  f.  527. 
535.  543  f.  546  f.  556  f.  574.  589  f. ; 
Gemeinschaftsgefühl  III ,  497  f.  598. 

Gemeinsinn  III,  588. 

Gemein wirthschaft  III,  510  A. 

Gemenge  II,  472  f. ;  mechanisches  G.  1, 20. 

Gemüthsbewegung  I,  80;  III,  160  f. 
222 f.  227 f.;  Gemüthsleben in,  164 f.; 
Gemüthslagen  III,  265.  288:  6e- 
müthsbedürfnisse  I,  413  f. ;  UT,  404  f. : 
Gemüthsregungen  III,  158. 

Genauigkeit  II,  386;  III,  186.  190  f. 
210,  vgl.  Ezactheit 

Genealogie  der  Geisteswissenschaften 
III,  10  f.;  G.  III.  448  f. 

Genetische  Auffassung,  genetisches  Ver- 
ständniss  II,  515;  III,  423  f.;  gene- 
tisch-geschichtliche Behandlung  HI, 
6  f.;  genetische  Construction  II,  169; 
genetische  Classification  II,  49,  52  f. 


X 


Sachregister. 


38 


a4S.  665 f.;  genetiflche  Definition  II, 
46;  m,  519;  geMÜsobe  Erklärung 
n,  58f. 

Generalbegriffe  t.  AUgemeinbegriffe. 

Generaüeation  1, 181  f.  828.  370  f.  876; 
II,  120.  125.  848;  HI,  78.  812.  842  f. 
860.  866.  420.  449.  474.  488  A.  505. 
583;  generalisirende  Abttraction  II, 
12  f.  19.  180 f.  842.  375  f.;  Ol,  582; 
G.  der  Gesetze  II,  27  f. 

Generatio  aeqmvoca  II,  576  f. 

Genesmtionen  III,  899  A.;  Generations- 
kraft  U,  588  f. 

Generell  III,  507  f.  A.;  generelle  Bedeo- 
tnng  ni,  185,  vgl.  AUgemeinheit; 
generelle  und  individuelle  Entwick- 
lung II,  539  f. ;  generelle  und  singu- 

.  Iftre  Krscheinmigen  III,  188 ;  generelle 
Bedeutung  und  Singuläres  III,  142  f. ; 
genexische  Maasenerscheinungen  bei 
Lezis  m,  466  f.  A. 

Genitiv  I,  144  f.  147  f. 

Geooesenschaften  III,  437.  478.  480. 
492  f.  514.  545.  591.  605. 

Genus  III,  508  A.;  Genus  proximum 
n,  42  f. 

Geognosie  II,  53  f.  337  f.  843. 

Geographie  II,  54.  269  f.  286.  344.  379. 
388  f.  418.  448  f.  473.  476;  III,  304. 
334. 

Geologie  I,  611 ;  U,  53  f.  270.  338.  552. 
583;  ni,  355. 

Geometrie  l,  498  f.  570  f.  577  f.  580; 
II,  10.  13.  38.  88  f.  156.  281.  291  f. 
375.  393  f.  403  f.  446.  512;  HI,  268. 
384.  507.  569  A.  586;  geometrische 
Methoden II,  166 f.;  alte  G.  II,  190 f.; 
G.  bei  Leibniz  II,  225;  G.  bei  Hume 
I,  403  f. ;  G.  und  Phantasie  I,  646  f. ; 
geometrische  Versinnlichung  I,  127  f. 
140  f.  237  f.  260;  II,  160;  III,  200, 
454. 475;  geometrische  Hülfsconstruo- 
tion  I,  324;  II,  417  f.;  geometrische 
Nothwendigkeit  I,  5Ö5  f.;  geometri- 
sebfir  Ort  II,  181;  geometrischer 
Bifferentialbegriff  II,  231  f. ;  geometri- 
sche Methode  der  Staatswissenschaf- 
ten HI,  483  A. 

Geophysik  H,  269  f.  387. 

Gerade  I,  141.  505.  518  f.  620.  622; 
n,  112  f.  128  f.  145.  179  f.  182  f. 
185.  187.  189.  194  f.  208  f.  281.  307. 
403  f.  413.  421  f.;  UI,  200;  absolut 
geradlinige  Bewegung  III,  61 ;  gerad- 
Lindau,  Begister  zu  Wandt,  Logik.    2. 


linige  Eräftewirkung  II,  299  f.  387; 
geradliniger  Riohtungsgegensatz  I, 
581. 

Gerechtigkeit  III,  558  f.  630;  Gerech- 
tigkeitsgefühl III,  534. 

Gericht,  jüngstes  G.  lU,  49. 

Germanen  III,  104. 373.538;  germanisch 
III,  146,  vgl.  indogermanisch. 

Geruch  der  Blfithcn  II,  549. 

Gesammtheit  (Totalit&t)  eines  BegrüFs 

1,  259;  Totalbegriffe  I,  264.  268  f. 
288  f.;  TotaWerbindung  I,  68 f.  72 f.; 
geistige  Geeammtheiten  III,  21.  38  f. 

Gesammtpersönlichkeit  III,  297.  611  f. 

GeeammtYorstellung  III,  272.  288  f.; 
simultane  G.  und  Reihe  aufeinander- 
folgender Vorstellungen  I,  59  f.  155  f. 

Gesammtschöpfungen ,  geistige  G.  m, 
232 ;  geistiges  Gesammtlebenlll,  281f. ; 
Gesammtwüle  III,  556  f.  600  A.;  Ge- 
sammtzwecke  HE,  574. 

Geschichte  H,  4.  11.  32.  89.  270;  in, 

2.  5  f.  10.  12.  14.  20  f.  34  f.  45  f. 
53  f.  64.  66  f.  70  f.  84.  89  f.  100  f. 
108  f.  116  f.  124  f.  134  f.  145.  234  A. 
236.  288.  244.  285.  298  f.  302  f.  310. 
318—853.  861.  473  f.  480  f.  483  f. 
492.  498  f.  522  f.  530.  555.  559.  597. 
600  A.  614  f.  627  f.  642 ;  Geschichts- 
schreibung III,  875;  Weltgeschichte 
m,  829  f.  378.  382. 446  f. ;  Phüosophie 
der  G.  UI,  21.  26.  31.  44.  49.  53. 
70  f.  74.  124.  186  A.  149  f.  322  f. 
376—378.  884  f.  389  f.  421  f.  441  f. 
446  f.  452.  541 ;  Geschichtswissen- 
schaften m,  28.  30  f.  42.  49.  59. 
63  f.  68  f.  72  f.  298  f.  802  f.  308—485; 
geschichtliche  und  veigleichende  Be- 
handlung III,  69  f.;  G.  und  Sodo- 
logie  III,  486  f. ;  geschichtliche  Natio- 
nalökonomie UI,  504  f. ;  Wirthschafls- 
geschichte  III,  7.  22.  88.  38.  46.  59. 
66.  72  f.  75.  96.  108  f.  144.  349  f. 
379.  894 f.  436.  481.  504.  528  f.;  po- 
Htische  G.  III,  7  f.  88.  59.  73  f.  92. 
96  f.  108.  122.  124  f.  145.  805.  809. 

320  f.  328  f.  879.  388.  523  f.  526  f. 
587,  vgl.  Politik;  G.  und  Mythologie 
in ,  58.  86.  807.  361  f. ;  G.  der  my- 
thologischen Vorstellungen  m,  72  f. 
307;  G.  der  Sitte  III,  72  f.  807.  629; 
Culturgeschichte  III ,  7  f.  23  f.  33  f. 
46.  59.  72  f.  74  f.   149  f.  804  f.  807. 

321  f.   325  f.   852.    361.   382.  410  f. 
Aufl.  8 


34 


Sachregister. 


422  f.  489.  442.  481.  528  f.;  Rechts- 
gescbicbte  m,  22.  83.  88.  59.  78.  75. 
436.  489.  526;  G.  und  Philologie 
III.  808—307.  833  f.  336  f. ;  pragma- 
tische Geschichtsbetrachtung  und 
Interpretation  III,  820  f.  347,  vgl. 
Sprache,  historische  Schule. 

Geschlechtsstatistik  III,  462;  geschlecht- 
liche Fortpflanzung  s.  Fortpflanzung; 
GeschlechtsdifFerenz  II,  575. 

Geschmackssinn  III,  217;  Geschmacks- 
urtheil  vgl.  Aesthetik. 

Geschwindigkeit  I,  518  f.;  II,  38.  77. 
804  f.  828.  845.  879  f.  428  f.  454. 
504;  III,  141;  G.  des  Schalls  II,  847f.; 
G.  des  Lichtes  und  der  Elektricität 
II,  850;  Mass  der  G.  I,  588.  620; 

II,  294  A.;  virtuelle  G.  I,  624;  II, 
315  f.  889  f. 

Geschwülste  U,  578.  588  f. 

Gesellschaft  III,  26.  185.  236.  244.  285. 
297.  802.  821.  883.  435.  440  f.  455  f. 
482.  486.  494.  506.  508  f.  529.  537. 
540.  589  f.;  Gesellschaftsformen  III, 
495;  Gesellschaften  ÜI,  480.  492  f.; 
Gesellscbafkslehre  II,  54;  III,  5.  8. 
238.  380.  440  f.  458  A.  483.  489  f. 
494.  527.  641;  Sociologie  HI,  9.  12. 
28.  53.  71.  100.  186.  299.  324  f. 
338.  436-447.  456.  481  f.  494  f. 
589—680;  Societas  UI,  591;  Gesell- 
schaftswissenschaften III ,  28.  89  f. 
42.  50.  54.  72  f.  76.  78  f.  100.  108  f. 
185  f.  286  f.  299.  802.  426.  485.  486 
bis  630. 

Gesetz  II,  25  f.;  III,  161.  288.  238  f. 
354  f.  865  f.  377.  382—420.  472  f. 
503.  517  f.  521.525.  575.  614 f.;  so- 
genanntes G.  der  grossen  Zahl  I,  448 ; 
Identitätsgesetz  I,  562  f.;  Satz  vom 
Grunde  als  G.  und  Postulat  I,  611; 
Gesetze  der  logischen  Gleichungen 
I-,  281  f.;  Grundgesetz  I,  558,  vgl. 
Axiome;  abstracte  Regeln  und  Ge- 
setze II,  13  f. ;  Grade  der  Allgemein- 
heit II,  251.  359  f.;  empirische  Ge- 
setze II,  861.  365;  III,  129;  G.  in 
den  Geisteswissenschaften  III,  129  bis 
150;  G.  der  Associationspsychologie 

III,  159. 166;  Gesetzgebung  ni,  577  f. 
587  f. ;  politische  Gesetzgebung  III, 
2.  87.  125.  515.  532.  539;  Gesetzes- 
recht m,  534  f. 

Gesetzmässigkeit    III,    214.   234.   236. 


884.  464.  508  A.;  G.  der  Natur- 
erscheinungen I,  490.  588.  591.  612. 
650  f.;  II,  23.  25  f.  499;  lU,  143  f., 
vgl.  Causalität. 

Gesichtssinn,  vgl.  Auge  I,  506  f.;  IT, 
874.  401;  ÜI,  15.  200.  208  f.  228, 
vgl.  Farben  etc. 

Gesittung  m,  322,  vgl.  Ethik. 

Gespenst  III,  127. 

Gestalt  m,  168. 

Gesteinbildnng  U,  578. 

Gestirne  II,  413,  vgl.  Astronomie,  Fix- 
sterne, Sonne  etc. 

Gewebe,  organische  U,  521  f.  545  f. 
557.  582.  584.  586—590;  III,  489; 
Gewebsstoffe  n,  864  A.  525.  527. 

Gewerbe  III,  525  f.  582;  Gewerbe- 
statistik III,  460.  527  f. ;  G.  und  Mor- 
taUtät  m,  478 ;  Gewerberecht  HI,  561. 

Gewicht  II,  291  f.  829.  458;  Gewichts- 
masse II,  403.  405  f.  422;  G.  und 
Schwere  II,  406  f. ;  specifisches  G.  U, 
509;  Gewichtsverhältnisse  bei  chemi- 
8chenVerbindungenII,471f.495f.507 ; 
Gewichtsabnahme    in   Flüssigkeiten 

II,  405. 

Gewissen  III,  544.  547. 
Gewissheit  I,    174  f.  218.  224  f.  803. 
845  f.  352.  855.  898.  408  f.  451  f. ; 

III,  136;  G.  bei  Leibniz  II,  102  f.; 
anschauliche  G.  II,  324;  Wissen  und 
Glauben  I,  400.  412  f. ;  G.  und  Wahr- 
scheinlichkeit I,  422  f.;  sensitive  G. 
bei  Locke  I,  428;  subjective  und  ob- 
jective  G.  I,  470  f. 

Gewitter  U,  885. 

Gewohnheit  III,  175;  G.  und  Causalit&t 

I,  590.  606  f.;  Gewöhnung  II,  547  f. ; 

III.  301  f. 
Gift  II,  581.  585;  Metallgifte  II,  864  A. 
Gilden  III,  544.  606  f. 
Giroverkehr  UI,  110  f. 
Glanz  III,  204. 

Glas  und  Elektricität  U,  866.  869. 
Glaube  I,  899  f.  412  f.  455;  III,  35.  877; 

G.   an  die   Wirklichkeit  abstracter 

Ideen  III,  515;  G.  bei  Hume  I,  590; 

naiver  G.  an  die  objective  Realität 

der  Sinnendinge  III,  258. 
Gleichartigkeit(Homogenität)  derTheile 

m,  211 ;  G.  und  Causalität  UI,  250  f. 

258  f.  508  A.;  G.  der  Grössen  beim 

Addiren  I,   263;   innere  G.  I,  505. 

518.  580  (Congruenz). 


Sachregister. 


35 


Gleicheinstellung,  Methode  der  G.  III, 

185  f.  191. 
Gleichförmigkeit  III,  54.  148.  145;  GL 

der  Zahlgesetze  II,  182 ;  gleichförmige 

Bewegung    III,    61;    gleichförmige 

Veränderlichkeit  II,  158. 
Gleichgewicht!,  608  f.;  II,  291  f.  305. 

308.  315  f.  823  A.  389  f.  892.  401. 

405  f.   489  f.   505.   568  f.  582.  590, 

vgl.  Statik;  Energiegleichgewicht  IL 

455.  464. 
Gleichheit  und   Ungleichheit   I,   180; 

m,  168. 184  f.  188  f.,  8.Vergleichnng; 

numerische  G.  und  logische  Identität 

II,  210  f. ;  G.  der  virtuellen  Momente 

II,  296 ;  G.  von  Wirkung  und  Gegen- 
wirkung II,  299  f.  324;  III,  517; 
sociale  G.  III,  390.  558;  G.  des 
Rechtsschutzes  III,  558. 

Gleichheitsassociation  I,  25. 

Gleichnisse  III,  485. 

Gleichung  I,  192.  195  f.  226.  245.  276  f. 
281  f.  816.  329  f.  349  f.  898  f.;  II, 
96.  155  f.  191  f.  199  f.  208  f.  491  f. ; 

III,  192  f;  einfache  logische  G.  I, 
292  f.;  zusammengesetzte  logische 
G.  I,  295  f.;  thermische  G.  II,  502; 
Zustandsgieichung  II ,  329  f.  558 ; 
Kraft  und  Energiegleichung  II,  328  f. ; 
Definitionsgleichung  II,  828;  III,  194; 
Causalgleichung  II,  327 f.;  Trans- 
formationsgleichungen II,  329  f. 

Gleichzeitigkeit  I,  150  f.  206 ;  III,  159. 
197;  G.  in  der  Erzählung  I,  184; 
G.  von  Ursache  und  Wirkung  1, 598  f. ; 
simultane  Association  I,  18  f. ;  simul- 
tane Apperception  I,  82  f. 

Gliederung  des  Gedankens  1 ,  96  f. ; 
Untergliederung  des  Urtheils  1, 162  f. ; 
Zerlegung  eines  Begriffs  1 ,  75  f. ; 
Zerlegung  einer  Gesammtvorstellung 
I,  59  f.  155  f. ;  Zerlegung  in  einfachere 
Urtheile  I,  243  f.;  Zerlegung  einer 
Summe  I,  265;  Gesetz  der  Zwei- 
gUederung  I,  34.  56.  59  f.  127.  144. 
158.  167 ;  Zweigliederung  und  Syllo- 
gismus I,  71;  Zweigliederung  nicht 
unmittelbar  I,  121;  sociale  G.  III, 
73.  388.  401.  443  f.  496;  wissen- 
schaftliche  G.  und  natürlicher  Zu- 
sammenhang des  Denkens  III,  241; 
rhythmische  0.  I,  85  f.  489  f.  519; 
ra,  202.  205.  218.  268.  487. 

Glücksgefühle  III,  482  f. 


Glacks-  und  Zufallsspiele  III,  77. 

Giahhitze  II,  578  f. 

Gnomon  II,  167.  895. 

Goldener  Schnitt  II,  71  f. 

Goldenes  Zeitalter  III,  366. 

Goldwerth  III,  110  f. 

Gothik  m,  417. 

Gottheit  I,  405.  407.  422.  631.  634  f. 
689;  III,  180  f.  250. 282. 861. 429  f.  A. 
548.  553  f.  686;  Cartesianischer  Be- 
weis I,  427;  Gottesstaat  III,  414. 

Grad  I,  476;  III,  163;  G.  der  Grössen 

I,  283  f. ;  III,  178  f. ;  Gradabstufung 
der  Sicherheit  I,  174  f.;  Gradation 
der  Bedingungen  II,  863  f.  371.  873. 
529;  UI.  210;  Abstufung  II,  476  f. 
479  f.  486  f.  530;  III,  178  f.  185  f. 
217  f.  222.  472  f. ;  gradweise  Abstu- 
fung II,  864  A.;  111,65;  Winkelgrad 

II,  405;  G.  der  Wahrscheinlichkeit 
I,  342;  Grade  und  Qualitäten  des 
Werthes  III,  16.  278  f. ;  des  GefQhls 

III,  273;  G.  der  Abhängigkeits- 
beziehungen III,  146  f. ;  G.  der  Klar- 
heit III,  168;  G.  bei  Baco  II,  342; 
Gradmessung  der  Erde  II,  422. 

Gramm  II,  422. 

Grammatik  I,  92.  118  f.  144  f.;  III,  4. 
117.  309  f.  312.  314. 357. 440;  Aussen- 
Seite  I,  205;  Furcht  der  Logiker  I, 
211. 

Gravitation  I,  409.  535.  610.  684;  II, 
29  f.  78.  255.  264.  268.  291  f.  886. 
840.  378  f.  887.  401.  406  f.  424  f. 
430.  434.  437.  441  f.  448.  465.  482  f. 
580.  547.  588;  III,  11.  48,  vgl. 
Schwere. 

Greisenalter  II,  573. 

Grenzbegriff  I,  135  f. ;  II,  150  f.  225  f. 
457  f.  514  A. 

Grenzmile  III,  528. 

Grenzmethode  II,  236  f. 

Grenznutzen  III,  510.  519  f. 

Griechenthum  III ,  423  A. ;  griechische 
mathematische  Veranlagung  II,  91; 
griechische  Geometrie  II,  167;  grie- 
chische Teleologie  III,  49 ;  griechische 
Philosophie  III,  542;  griechisches 
Reich  III,  414;  griechischer  Genitiv 
I,  148;  griechische  Anschaulichkeit 
I,  162  f. ;  griechische  Zeitart  I,  185. 

Grössen,  discrete  G.  I,  185;  Grössen- 
lehre  I,  578  f.;  II,  88  f.;  Grössen- 
begriffe   I,    135  f.   271.   403.  496  f. 


36 


Sachregister. 


575;  II,  154  f.;  psychische  6.  III, 
178. 276 ;  Grössenoperationen  1, 578  f. ; 
Grössenmessnng  II,  87  f.  281.  880. 
384  f.  894 f.  400  f.  403-416.  504 f.; 
in,  275  f.  474 ;  Messung  psychischer 
G.  m,  178—196.  230.  275  f.  284; 
GrOssenwerth  und  WerthgijSsse  III, 

276. 

Gnind  I,  89.  150  f.  174.  205  f.  207  f. ; 
G.  seiner  seihst  I,  422.  528.  586. 
594;  Satz  vom  Ghmnde  I,  817.  556. 
567  f.  608  f.;  H,  33.  72;  lU,  290  f. 
639;  Satz  vom  Grunde  als  Gesetz 
und  Postulat  1, 611 ;  Säte  Toxn  Grande 
bei  Causalit&t  und  Zweck  I,  645  f.; 
logische  Regel  von  G.  und  Folge  II, 
528,  Tgl.  Abhängigkeit,  Causalitftt  etc. 

Grundetgenthfimer  III,  511. 

Grundfarben  II,  858. 

Orundform  II,  55. 

Grundsatz,  methodologischer  G.  II,  457. 

Gruppen  III,  496  f.;  statistische  Gruppen- 
Verknüpfung  lU,  467.  469  f.;  stati- 
stische Gruppenzerlegung  III,  467  f. 

Grnss  III,  871.  373. 

Gültigkeitsformen  der  ürtheile  I,  176; 
aprioristische,  wahrscheinliche  Gültig- 
keit etc.  s.  Apriorismus,  Wahrschein- 
lichkeit etc. 

Gut  und  böse  (schlecht)  lU,  16.  126. 
282.  630,  vgl.  Ethik. 

Gut,  wirthschaftliches  G.  III,  188.  499  f. 
520  f.;  Güterproduction  HI,  5.  503. 
508  f.  514 ;  Güterverkehr  III,  147. 
vgl.  Verkehr,   Wirthschaft;  Güter- 

.  vertheilung  lU,  503.  509.  512.  514; 
Güterumlauf  III,  508;  Güterzunahme 
in,  521. 


H. 


Haben  bei  Aristoteles  I,  118. 

Hämoglobin  11,  525; 

Härte  II,  481.  444  f. ;  absolute  H.  II, 
513.  514  A.;  Härtungsmethode  der 
optischen  Morphologie  II,  521. 

Häufigkeit,  der  Beobachtung  UI,  159; 
Häufigkeitsattribut  I,  343;  Häufig- 
keitscoefficient  I,  344  f.  440. 

Häuptling  m,  552.  603. 

Häute  der  Zelle  II,  561  A. 

Halbimng  III,  187.  195. 

Hallucination  I,  26. 


Haloidsalze  II,  484  f. 

Handel  III,  395.  418.  501  f.  525  f.  582; 
Welthandel  III,  108;  Handelsrecht 
ra,  561. 

Handelnde  Persfinlichkeiten  HI,  29. 

Handlung  (Thätigkeit)  1, 119. 145. 148  f. 
527  f.  588  f.  616.  626  f.  646  f. ;  a 
275;  HI,  245  f. 

Harmonie  lU,  405.  482  f.  A.;  voraus- 
bestimmte  H.  I,  479;  HI,  251;  uni- 
verselle H.  1, 526 ;  H.  und  Disharmonie 
III,  272;  harmonischer  Accord  ÜI, 
156.  197;  Gesetz  von  H.  und  Con- 
flict  bei  A.  Hain  lU,  161  f. 

Harz  und  Elektridtät  II,  366. 

Hauptbedingungen  I,  440  f. 

HauptbegnffI,  122  f.  144  f.  851  f.  270. 

Hauptrichtungen  s.  Dimensionflo. 

Hausthiere  HI,  451. 

Hauswirthschaft  IH,  394.  400  f.  406. 
525. 

HautempfiAdungen  I,  513;  Haut-  und 
Wärmeregulirung  H,  548. 

Hass  und  Liebe  I,  413  f. 

Hazardspiel  I,  441  f. 

Hebel  H,  297  f.;  Hebelgesetz  I,  624; 
II,  278.  291  f.  319;  Hebelwage  II, 
405  f. 

Hebung  durch  Gontrast  HI,  282-285. 

Heükunde  II,  580— 590;  HI,  579. 

Heilsamkeit  und  SchädHchkeit  II,  531. 

Heliocentrische  Hypothese,  vgl.  Sonnen- 
system. 

Hellenismus  ÜI,  4.  329. 

Hemmung  II,  313  f.  448.  578;  UI,  244: 
H.  ungleichartiger  Vorstellungen  bei 
Herbart  I,  44  f.;  III,  163.  ^44. 

Herauehebung,  vgl.  Abstraction. 

Hermeneia  III,  81,  vgl.  InterpretsticD. 

Hermeneutik  HI,  86  f.,  vgl.  Interpreta- 
tion, hermeneutische  Kritik  HI,  118. 
122  f.  307  f. 

Hemchaft  IH,  497. 

Herstellung  HI,  202  f.  218.  228. 

Herz  n,  580  f.  548.  571  f.;  IH,  223. 

Hestia  III,  862. 
Heterogenes  summirt  I,  288. 
Heterogonie  der  Zwecke  III,  281. 
Heuristische  Prindpien  U,  272  f.  290. 
827.  446.  551 ;  IH,  27—51.  55.  94. 
323  f.  348  f.;   heniistischer  Werth 
III,  134  f.  188  f.  144. 148  f.  859. 490. 
493.  498. 
Hierarchie  und  Composition  der  Kräftse 


Sachregister. 


37 


U.  588;  H.  der  Wissenschafben  nach 
Comte  m,  486. 

Hieroglyphen  lU.  811  f. 

Himmel  IJI,  868;  Himmelsmechanik 
II.  340. 

Hindemifls  III,  515. 

Hinreichender  Grand  I,  568  f. 

Hintereinander  und  Zeitfolge  I,  208  f. 

Hinwegdenken  eines  Begriffs  I,  271  f. 

Hinweisendes  Fürwort  I,  177  f. 

HinanfOgnng  der  Bedingung  I»  282. 

Hirn  s.  Gehirn;  Hinunolekehi  lU,  164. 

Hirtenvolk  III>  363. 

HistoxiBche  Schnle  ÜI ,  504  f.  580  A. 
540 1;'  histoTisdie  Unteraudinng  II, 
4  11.  82.  89,  ygL  Geschichte ;  Histo- 
riker m,  298.  805.  839.f.  854.  376. 
426.  429)  hSstoiischer  Süm  III,  5; 
ungeschichtlitehe  Auffassung  lU,  80. 
82  f.  801  f.  596 f.;  h.  Kritik  lUr  124 f.; 
h.  Dokumente  IH,  807;  h.  und  ver- 
gleichende Behandlnng  HI,  69  f. 

Hoohmtsgebrftnohe  HI,  371. 

Hohe  der  Töne  lU,  195  f.  217;  H.  und 
Breite  III,  218 ;  höhere  ps.  Functionen 
ni,  214. 244. 287;  höhero  Mathematik 
ni,  214  A. 

Hoflöiung  I,  413.  446  f.;  IH,  118.  626. 

Holspflanzen,  diootyle  H.  U,  529. 

Homogene  ganze  Funktion  H,  62;  h. 
Massen  II,  378;  absolut  h.  Körper 
H,  298;  Homogenität  der  Theile  HI, 
211,  s.  Gleichartigkeit. 

Homolog^  und  analoge  Charaktere  II, 
566« 

Horde  III,  878  f.  487. 448. 477.  496.  608. 

Horizontale  IH,  218;  Horisontalebene 
des  Doppelauges  I,  518. 

HfllfsbegrifP  und  Verneinung  I,  221. 

Hfllfsconstruction  s.  Constrnction. 

fifUfsmittel  I,  150  f.  208  f  ;  II,  838  f. 
394—427;  HI,  177. 181  f.  189  A.  214. 
294. 

Hfilikvorstellung,  mathematische  H.  II, 
320. 

Hülfszeitwort  I,  42.  145  f. 

Humanismus  III,  410.  549. 

Humanität  HI,  329.  390  f.  428  f.  594; 
humane  Forderungen  III,  124.  479. 

Humoralpathologie  II,  581.  583  f. 

Hungersnoth  III,  465;  Hunger  III, 
516. 

Hydrat  U,  477.  485;  Kohlehydrat  II, 
526. 


Hydraulik  II,  519. 

Hydrodynamik  II,  825. 392. 440;  Hydro- 
statik II,  263.  293  A.  390.  392.  405. 
424.  499. 

Hylozoismus  II,  538.  577.  579. 

Hyperbel  II,  180  f.  183.  187  f. 

Hyperelliptische  Integrale  II,  257. 

Hyperozyd  H,  477. 

Hypnose  IH,  177  A. 

Hypothese  1, 439;  ü,  25. 66. 340  f.  360  f. 
883. 387  f.  893. 410. 411 A.  418. 425  A. 
427  f.  438-447.  451  f.  456  f.  458  f. 
462  f.  472.:  481  f.  487.  490.  493  f. 
513.  514  A.  515.  526.  528.  537.  541. 
548.  553.  557  f.  572  f.  576.  578. 581. 

.  583. .585. .589:  III,  14.  25  f.  49.55 f. 
65.  85.  91.  lOO.  160  f.  194.  202  f.  222. 
229.  250.  252  f.  259.  262.  271.  293  f. 
306.  311  f.  .315  f.  887  f..  841.  855  f. 
866.  369  A.  372.  874  f.  389.420. 464  f. 
468  f.  474.  509. 511.  517.  520  f.  569A. 
637. 639 ;  physikalischen.  1, 324.536:f. ; 
II,  282  f.  331  f. ;  H.  des  Optimismus  und 
Pessimismus  1, 415  f. ;  H.  d^Erfahrangs- 
wissenschaflen  I,  421.  631;  H,  166f.; 
H.  der  Aussenwelt  I,  428;  Hv  und 
Thatsacben  1, 452  f.;  II,  289  f.;  hypo- 
thetische Abstraction  II,  37S;  pro* 
visorische  und  definitive  H.  I,  458 f.; 
II,  288.  361  f.  372;  leitende  H.  III, 
102  f.  158;  hermeneutischeH.111, 116; 
Gesetz  und  H.  UI,  132. 136. 139. 142; 
unzulängliche  und  unreine  H.  ü,  447 ; 
H.  der  Mathematik  bei  Mill  II,  110  f. 

Hypothetisches  ürtheil  s:  Bedingung; 
h.  Element  der  Gausalges^tze  II,  30  f. 
hypothetisdier  analytischer  Beweis 
II,  71  f.;  h.  Gesetz  II,  371  f. 


I. 


i  als  Symbol  II,  144  f. 
latromechanik  II,  265.  586.  553  f.  581. 

583. 
Ich  I,  79.  159.  467  f.  524.  533  f.  625  f. 
Ideal  m,  366.  423  f.  433;   Begriff  als 

logisches  I.  1,44;  ideale  Mittelwerthe 

II,  419  f. 

Idealismus,  neuerer  I.  I,  89..  492.  594; 

III,  243.  323  f.;  absoluter  I.  I,  626; 
L  Berkeleys  I,  491.  588;  mathemati- 
scher I.  bei  du  Bois'Beymond  U, 
101 A. 


38 


Sachregister. 


Idealstaat  III,  3. 

Ideen  U,  273;  III,  348.  351  f.  378.  515; 
angeborene  I.  I,  400  f.;  I.  Piatos  I, 
527.  584;  II,  57  f.  101.  351  f.;  reli- 
giöse I.  I,  420,  Tgl.  Religion;  Idee 
der  Gattung  (Typus)  bei  Cuvier  II, 
57. 

Ideenflucht  I,  23;  m,  207. 

Iden  II,  542. 

Identität,  Gesetz  der  I.  I,  562  f. ;  III, 
290.  639;  I.  von  Denken  und  Sein 
I,  4.  528;  I.  von  Vorstellung  und 
Gegenstand  I,  424.  508;  Statt  L  toi^ 
aus  ist  Uebereinstimmung  als  Ziel 
zu  setzen  I,  6 f.;  Identitätsurtheil  I, 
82.  85.  193  f.  196.  200  f.  226.  233  f. 
241.  273  f.  290  f.  388  f.  341.  378  f. 
479;  III,  581;  Identitätsschluss  1, 327. 
829  f.  345  f.  381  f.;  I.  der  Begriffe 

I,  180  f.  141  f.  315  f.;  I.  und  Ver- 
neinung I,  222.  229.  235  f. ;  I.  der 
logischen  Gesetze  mit  den  Gesetzen 
der  Objecto  des  Denkens  I,  90.  559; 

II,  26*,  mathematisches  Identitätsur- 
theil s.  Gleichung;  logische  I.  und 
numerische  Gleichheit  U,  210  f.;  iden- 
tische Punkte  III,  204. 

Imagination,  vgl.  Einbildungskraft;  I. 
bei  Spinoza  I,  586;  imaginäre  Ge- 
bilde II,  118;  imaginäre  Grössen  II, 
183;  imaginäre  Zahl  II,  140  f.  145  f. 
198;  imaginäre  Argumente  II,  222  f. 

Imbibitionsfähigkeit  II,  560. 

Immanenz,  metaphysische  logische  Ten- 
denz I,  3  f.  87  f.  118  f.  407  f.;  I.  des 
Zwecks  I,  632  f.  641;  UI,  49.  321. 
330.  428  f.  427  f.;  immanente  Kritik 

III,  120  f.  124  f. 
Immersion  II,  522. 

Immunität  gegen  Ansteckungen  II,  532. 
586. 

Impersonalien  I,  176  f. 

Impfung  II,  586;  III,  470  f. 

Implicite  Function  II,  208. 

Impuls  I,  588;  II,  294  f. 

Incompressibilität  des  Aethers  II,  436. 

Inconsequenz,  heilsame  I.  III,  52. 

Indeterminismus  III,  576. 

Indicienbeweis  II,  66;  III,  587  f. 

Indien  III,  105  A.;  indische  mathema- 
tische Veranlagung  II,  91 ;  indisches 
Positionssystem  II,  137  f. 

Indifferenzlage  III,  16;  Indififerenzpunkt 
III,  217. 


Indirectes  Beweisverfahren  II,  69. 79  f. ; 
indirecte  Grössenmessung  II,  87  f. 

Individualität  III,  169.  231  f.  277.  292  f. 
309  f.  321.  347.  349.  380  f. ;  indivi- 
duelle  Erfahrung  III,  18;  individuelle 
Qualität  III,  109;  individuelle  Erzeug- 
nisse III,  214.  273 ;  Individualisirung 
III,  78 ;  Individualisirung  historischer 
Ereignisse  IQ,  75;  einseitige  indivi- 
dualistische Auffassung  in,  30.  82  f. 
34  f.  219  A.  281  f.;  Individualpsycho- 
logie  m,  19.  21.  39.  168—281.  292  f. 
301  f.  442;  Individualismus  III,  323  f. 
410.  424  f.  481  f.  486.  491  f.  497. 
504  f.  537.  555.  562.  571.  591 A.  596  f. 
601  f.;  I.  und  Allgemeinheit  I,  101. 
525  f.;  individuelle  und  generelle 
Entwicklung  U,  539  f.;  m,  276;  in- 
dividuell III,  507  f.  A. ;  Individuum 
III,  457.  474  f.  483  f.  487.  491  f.  495. 
585.  537:  Individualb^^  H,  60; 
individueller  Organismus  II.  558  f. 
564;  individuelle  Disposition  II,  586; 
m,  63.  226;  individuelle  Willkür  m, 
140.  142  f. 

Indogermanisch 1, 152;  III,  104  f.  188  f. 
146.  857  f.  362  f.  369  f.  895. 

Indra  lü,  363. 

Induction  I,  69  f.  74.  77.  181.  225.  815. 
821.  825  f.  328.  362.  869  f.  391  f. 
438  f.;  II,  1.  7.  14.  19  f.  99  f.  162  f. 
166.  168.  287.  888  f.  387.  841  f.  846. 
880.  418.  427.  555.  588;  HI,  65.  85. 
99  f.  109.  113.  121  f.  129.  202  f.  808. 
310.  317.  341  f.  345  f.  855  f.  385. 
464.  516  f.  522.  587  f.  648;  I.  und 
An.  I,  351  f.;  I.  bei  Mill  U,  111  f.; 
III,  483  A.;  chemische  I.  II,  470.  476. 
478.  481—492.  494;  Alschlich  soge- 
nannte «vollständige  I.**  I,  851  f.;  II, 
125.  131  f. ;  Inductionsbeweis  II,  66  f. 
73.  75  f. ;  Inductionslehre  Bacons  11, 
363  A.;  III,  84  A. 

Industrie  IH,  388. 431. 502 ;  industrielles 
Stadium  bei  Spencer;  III,  898;  In- 
dustrialismus  III,  623. 

Industriestaat  III,  480. 

Infection  H,  532.  584  f.;  Infections- 
bakterien  ü,  585* 

Infinite  Grössen  II,  226  f.,  vgl.  Unend- 
lichkeit. 

Infinitesimalmethode  II,  101  A.  225  f. 
316  f.  888.  458. 

Infinitiv  I,  146.  149. 


Sachregiflter. 


39 


Influenz  der  Elektricität  II,  865  A.  367. 
371  f. 

Inflaxus  physicus  I»  540. 

Infusionen  II,  577  f. 

Infusorien  II,  575. 

Inhalt  eines  BegpifFs  I,  1 10  f.  182 ;  I. 
und  Umfang  I,  279  f. 

Innerer  Sinn  bei  Kant  I,  549;  soge- 
nannte innere  Wahrnehmung  III,  14. 

innerration  II,  548.  557;  III,  222  f. 
227  f. 

Innigkeit,  Grade  der  I.  I,  82  f. 

Insecten  and  Blüthengestaltnng  II,  549. 

Instantane  Beleuchtung  III,  204. 

Instinct,  intellectueller  I.  I,  824  f.;  in- 
stinctives  Taktgefühl  und  Plan  11, 
347;  III.  57;  glücklicher  I.  III,  68. 
580;  politischer  I.  III,  485. 

Instrument  s.  Hülfsmittel. 

Instrumentalis  I,  152. 

Integral  I,  299;  n,  245  f. 

Integration  II,  244  f.  254  f.  259 ;  in, 
214  A.;  I.  bei  Spencer  III,  486  f. 

IntelUgenz  III,  17  f.  158.  824 f.;  I.  und 
Wille  bei  Kant  I,  554 ;  bei  Schopen- 
hauer I,  554  f.  689  f. ;  I.  als  Welt- 
schöpfer I,  640  f. ;  höhere  intellectuelle 
Functionen  III,  170.  207;  intellec- 
tuelle Erzeugnisse  III,  41;  intellec- 
tuelle Werthe  III,  16;  Last  der  Lö- 
sung eines  intellectuellen  Problems 
III»  199 ;  einseitiger  Intellectualismus 
III,  30  f.  61  f.  64.  151  f.  258.  293  f. 
301.  804;  naturalistischer  Intellec- 
tualismus III,  325;  intellectualistische 
Psychologie  III,  151  f.  156—164. 167. 
262.  292  f. 

Intelligibler  Raum  I,  515  f.;  intelli- 
g^bles  Vermögen  I,  553. 

Intensität  I,  15  f.  29.  476.  480.  518; 
m,  147.  161.  178  f.  217.  283  f.  520  f.; 
Intensitäts&nderungen  I,  518;  I.  und 
Längenmeesung  II,  406 f.;  intensive 
Raumgrössen  II,  298;  Intensitäts- 
messnng  II,  501;  ursprüngliche  In- 
tensitätsmessung II,  412  f. 

Intercurrirende  Gesetze  III,  149.   357. 

Interesse  I,  30;  II,  385;  III,  16.  117. 
503.  508  f.  513. 

Interferenz  der  Begriffe  I,  136.  142. 
274  f. ;  I.  der  Gesetze  III,  141  f. ;  Inter- 
ferenzerscheinungen in  der  Ündula- 
tionstheorie  II,  285.  850.  860.  365  f. 
410.  429.  485. 


Internationale  Verbindungen  III,  477. 

Interpolation  III,  365;  I.  der  Copula 
I,  168. 

Interpretation,  vgl.  Erklärung  III,  22. 
56  f.  65. 81—118. 114  f.  117. 121  f.  128. 
130. 192f.801.842.472A.474.484.486f. 
499.  521.  559.  575.  586 f.  632.  642 f.; 
psychologische  I.  III,  143.  152  A. 
237  f.  240  f.  259.  261.  269.  289  f.  296. 
866.  368.  525;  philologische  I.  III, 
307—817;  historische  I.  lü,  81.  833. 
887  f.  340—352.  383;  causale  I.  s. 
Causalität,  widerspruchslose  I.  der 
Wahrnehmungen  III,  14;  prodnctive 
I.  III,  87  f.;  divinatorische  L  III, 
116. 

Intoxication  II,  581  f. 

Intramoleculare  Strahlung  II,  392. 

Intuition  II,  120  f.;  I.  bei  Schopenhauer 
I,  407;  instinctive  I.  III,  57. 

Inversion  (ümkehrung)  1, 222.  227.  229. 
239  f.  267  f.  274  f.  284.  814  f.  392. 
578 ;  in,  162  f.  248  f. 

Inzucht  II,  574. 

Ionen  II,  503. 

Ionische  Physiker  II,  580. 

Irrationale  Grössen  II,  117.  133.  139  f. 
242.  258  f. 

Irregulär  III,  507. 

Irritabüität  n,  514.  588.  583. 

Irrsinn  I,  23. 

Irrthum  I,  627  f.;  III,  575. 

Islam  III,  415. 

Isokrymen  II,  421. 

Isolirung  II,  836  f.  342  f.  378  f.  377. 
523  f.;  III.  163.  192  f.  222.  263.  268. 
856  f.  419.  495.  518.  516;  chemische 
I.  II,  472  f.;  I.  des  Einfachen  I,  97  f.; 
I.  der  Empfindung  I,  475;  absolute 
I.  III,  89;  willkürliche  Isolation  in, 
216;  bei  der  causalen  Analyse  II,  5; 
isolirte  Variabilität  II,  865;  isoli- 
rende  Abstraction  II,  12  f.  18  f.  81. 
180.  839.  342.  373.  375  f.  491.  493; 
ni,  13.  96.  197  f.  508.  569  A.  582. 
584;  abstracte  L  III,  18;  I.  der  Be- 
dingungen III,  219.  342;  isolirter 
Stamm  III,  444. 

Isomere  Verbindungen  II,  512. 

Isomorphe  Verbindungen  II,  500. 

Isoperimetrische  Probleme  II,  812. 

Isothermen  II,  421. 


40 


Sachregister. 


J. 


Jahres-  und  Tageseiniheilung  11,  187. 

886.  418  f.  415.  422. 
Jahresringe  II,  546. 
Janus  m,  862. 

Jenseits  III,  829>  vgl.  Traasscendenz. 
Jod  II.  478  f. 
Juno  III,  862. 
Jupitermonde  II,  286.  898. 
Jurisprudenz  s.  Rechtswissenschaft. 
Juristische  Methode  der  Staatswissen- 

Schaft  m,  481  f.  490  f. 


K. 


Kaiserthum,  mittelalterliches  K.  III, 
589. 

Kalium  H,  480.  496.  508.  510;  KaUum- 

■   oxyd  II,  496. 

Kamm  des  Hahnes  II,  550. 

Kampf  ums  Dasein  1, 649  f. ;  II,  535. 549  f.; 
III,  495  f.  499  A.;  K.  um  die  Herr- 
Schaft  III,  497;  K.  um  die  Lebens- 
kraft  II,  582. 

Kartographie  II,  420  f.;  III,  458  f. 

Katastrophe  III,  590;  Katastrophentheo- 
rie n,  552;  III,  898  f. 

Kategorieen  HI,  221;  logische  K.  I, 
116  f.  172  f.;  U,  280;  III,  282;  kate- 
gorisches ürtheil  I,  178  f.  869  f.;  K. 
bei  Kant  1, 406. 529  A. ;  K.  der  QrOssen- 
vergleichung  III,  189 ;  kategorischer 
analytischer  Beweis  II,  71  f. 

Kegel  II,  178. 188 ;  Kegelschnitte  II,  46. 
54.  61.  159  f.  180.  182  f.  187  f.  417; 
ezcentrische  Kegelschnitte  II,  881. 

Keilschrift  ni,  812  A. 

Keim  II,  562  f. ;  niedere  Keime  II,  578 ; 
Keimplasma  II,  542  f. ;  Keimscbeibe 
II,  546;  Keimung  der  Krankheit  II, 
582. 

Kenntniss  III,  801  f. 

Kern  der  Zelle  II,  559  f.  571.  575;  Kem- 
substanzen  U,  525;  Kemtheilung  II, 
542. 

Kette»  Gedankenkette  I,  58 ;  Gedanken- 
verkettung und  -verwebung  I,  67  f. ; 
Kettenschluss  I,  71  f.  76.  875  f. ;  II, 
84;  K.  als  psycholog^che  Grundform 
der  Definition  I,  77. 

Kind  III,  612;  Kinderpsychologie  III, 
240  A. ;  erste  Sprach&usserungen  1, 55 ; 


Benken  des  Kindes  I,  157;  Augen- 
bewegungen  des  Kindes  I,  508. 

Kinematik  II,  823  f.,  vgl.  Phoronemie. 

Kinetische  Atomtheorie  U,  484  f.  440. 
444.  446.  504.  518  A.;  kinetiM^e 
W&rmetheorie  II,  464;  kinetische 
Theorie  der  Gase  and  FlilBBigkBiteD 
II,  491.  499.  508. 

Kirche  lU,  409.  485.  589.  544  f. 

Klammem  beim  Addiren  I,  266 ;  K.  bei 
logischer  Darstellung  I,  275.  287  f. 

Klang  m,  272;  Klangbewegong  II,  366; 
Klangfignren  II,  349.  408;  IQaog- 
analyse  II,  857. 401  f. ;  III,  900. 804  A. 
228. 

Klarheit  HI,  171.  201.  266.  S86.  492; 
Grade  der  K.  III,  168:  179  f. ;  Usm 
und  dunkles  Erkennen  1, 88 ;  ü,  101  f. 

Klein,  unendlich  k.  ü,  281  f.  244  f; 
kleinste  Action  11,  811  f.;  kleinster 
Zwang  II,  313  f.;  versehwindend 
kleine  Zeit  II,  466;  unmessbare  KleiB- 
heit  II,  405;  nnendHdi  kleine  Ent- 
fernung n,  441  f. ;  Princip  der  klein- 
sten Flächen  II,  545. 

KHma  II,  548;  in,  44.  884.  449.  452  A.; 
Klimatologie  II,  270. 

Klinische  Beobachtung  II,  582. 

Knochen  II,  520.  526.  546;  Knoehen- 
formen  11, 519 ;  Knochenmark  II,  587. 

Knotenlinien  n,  403. 

König  III,  552;  K5nigthum  m,  898. 

Körper  I,  503.  585.  588 ;  H,  188.  191. 
291  f.  439  f.  509;  m,  161.  268.  483. 
489  A.  569  A. ;  unendliche  Zeriegmig 

II,  459;  KörpergrOsse  und  -gestalt 
bei  Elektridtät  U,  378;  absolut  fester 
K.  I,  623  f. ;  absolht  elastischer,  star- 
rer K.  n,  282.  891.  489;  absolat 
homogener,  starrer  K.  II,  293.  325; 
eigener  K.  1,467  f.  540.  551.  556 f.; 
Körperfarben  II,  860 ;  Weltkörper  als 
Punkte  II,  877;  Körperwelt  11,  512; 
m,  11;  körperliche  Seele  I,  588;  III. 
151;  K.  und  Seele  in,  178. 181.  280. 
249  f.;  K.  nnd  Geist  I,  540;  TU,  12. 
21 ;  elektrische  K.  II,  866  f. ;  K.  nnd 
Licht  n,  373;  Körperatome  n,  432  f. : 
K.  im  Eleinen  II,  444;  zusammen- 
gesetzte und  einfache  K.  II,  474: 
Körperbau  11,  568 ;  Körperverletzmig 

III,  463;  Staat  als  künstlicher  K.  III, 
482.  489  A.;  MassverhSltnine  des 
menschlichen  Körpers  IXI;  457;  mitt* 


Sachregister. 


41 


l«re  Klftage  HI,  458;  KOrpermnskeln 
n.  526f.;  m.  228  f.,  Tgl.  Motkelii, 
Söiperwett  eine  Bewoastseiiisanchei- 
ttimg  m,  244;  feste  £.,  flflaoige,  gas- 
förmige» harte,  homogene  K.  s.  Festig- 
keit u.  8.  w. ;  darchsichtige  K.  II,  378. 
89^  f.;  Körperschaft  s.  Corporation. 

Kohlenoxyd  U,  488. 

KohloM&iire  U,  475.  477.  480.  576  f. 

KoUeattoff  U,  475.  479.  508.  510.  556; 
K.  als  vierwerihiges  Element  II,  77. 
512 ;  KOrperverbindnngen  11,270.477  f. 
48Sf.  579. 

Kohlenwasserstoffe  II,  477.  479  f.  488. 

Komet  m,  508  A. 

Komödie  III,  875. 

Koeitaologie  I,  685  f. ;  II,  88.  277.  286. 
462  f.;  m,  If.;  kosmische  Entfer- 
nongen  II,  428;  kosmologische  Anti- 
nomien Kants  II,  460;  kosmologische 
Prindpen  III,  486;  kosmische  Physik 
n,  269. 

Kosmopolitismus  III,  322.  418. 

Kosten  HI,  510  f.  520. 

Krämpfe  II,  531. 

Kraft  I,  577  f.   595  f.   614  f.;   H,  29. 

•  298  f.  845  f.  875.  880. 890:  408.  405  f. 
424  f.  480.  432  f.  440  f.  446.  504. 
514  A.  520. 544  f., ^  lU,  29. 163. 194  A. ; 
Parallelogramm  der  Kräfte  I,  582; 
n,  296.  809.  319 f.;  psychische  K.  I, 
625 f.;  II,  584.  580;  m,  221.  489  A., 
vgl.  Vermögen;  K.  und  Ursache  I, 
587;  II,  447  f.;  Kräftemass  bei  Leib- 
nis  I,  587  A.;  II,  804  f.;  K.  bei  Schel- 
ling  I,  594;  K.  bei  Newton  II,  299  f.; 

*  K.  bei  Galilei  H,  293  f. ;  K,  bei  d*Alem- 
bert  II,  815  f.;  328  A. ;  K.  und  Eigen- 
schafben II,  538;  verlorene  K.  II,  316; 
sogenannte  constitutionelle  K.  II, 
539  A;  K.  und  Energie  II,  308  f. 
323  f.  408  f.  447.  458  f.  567.  614  f. ; 
m,  146.  182  f. ;  Kraftgleichungen  II, 
828;  Kraftgesetze  und  -functionen 
11, 447—453.  465  f. ;  III,  146 ;  Central- 
krafb  II,  448;  Materie  als  Kraftträger 
U,  459;  Muskelkraft  II,  528;  Kraft- 
centrum  1/527.  621;  Erhaltung  der 
lebendigen  Kräfte  II,  304—806.  308 ; 
todte  K.  bei  Leibniz  II,  805;  leben- 

■  dige  (actuelle,  kinetische)  K.  (Energie) 
n,  408f.  454;  Spannkraft  u.  s.  w. 
8.  Energie;  Kräftepaar  n,  821  f.;  all- 
gemeisesPxincip  derKräftezusammen- 


Setzung  U,  820  f.;  III,  142;  thieri- 

scher  Kräftewechsel  11,  553.  555. 557. 

567;  thiexiBoher  Kräfteverbrauch  II, 

554. 
Kraniometrie  III,  449. 
Krankheit  n,  515.  582.  580—590;  III, 

135. 893 ;  KraakheitsstatisÜk  III,  459  f. 

465.  470  f.  507  A. 
Kreis  II,  129.  180  f.  187  f.  217  f.  256; 

ni,  200;  Kreisbewegung  in,  392  f.; 

Kreisbewegung  bei  Aristoteles  l,  647 ; 

II,  277 ;  DeEnition  des  Kreises  II,  45  f. ; 

Quadratur  des  Kreises  II,  115;  Kreis- 
peripherie II,  224;  Kreistheilung  II, 

404. 
Kreisel,  Farbenkreisel  II,  358. 
Kreislauf  des  Blutes  II,  265.  514.  553 ; 

Kreislaufsorgane  II,  519;  capillare 

Kreislaufserscheinungen  II,  524;   K. 

der  Stoffe  II,  554. 
Kreuzung  der  Begriffe  1, 136.  280.  287. 

288  f.;  Kreuzungsurtheil  1, 198  f.  234. 

274  f.  878  f. 
Krieg  III,  468;  kriegerisches  Stadium 

bei  Spencer  III,  398;  Kriegsgeschichte 

Öl,  122.  125;  Bürgerkrieg  HI,  149; 

Krieger^taat  m,  480. 
Krisen  lÜ,  624  f. 
Kriterien  (Merkmale)  der  Classification 

I,  882  f. ;  beim  Vergleichsschluss  I, 
368  f. ;  K.  der  Gewissheit  I,  424  f. 

Kritik  III,  56  f.  65.  118—129.  301.  447. 
499.  632  f.  643 ;  philologische  K.  lU, 
313-318;  historische  K.  IH,  333 
bis  340.  385;  Kriticismus  I,  399;  kri- 
tische Zweifel  II,  284  f. ;  kritische 
Methode  III,  3.  25. 

Krümmung,  vgl.  Gurve ;  krumme  Ober- 
flache II,  224 ;  krumme  Linien  II,  354 ; 
krummliniges  Coordinatensystem  II, 
204. 

KrystaU  III,  67,  270 ;  Krystallisation  II, 
541;  Kiystallographie  II,  55.  100; 
K.  u.  Licht  II,  849  f.  874.  377.  400. 
488;  K.  u.  Zelle  II,  560;  Krystallisir- 
barkeit  II,  488;  Krystallvergrösserung 

II,  570;  kiniscbe  Structur  U,  522. 
Kühe  III,  363. 

Künstler  III,  220 ;  künstliche  Züchtung 
und  üebertragung  FF,  585;  künst- 
liches System  II,  50;  künstlicher  Kör- 
per,  Staat  III,  482. 

Kugel  II,  178.  881.  386.  417.  481.  440. 
506;  Kugeloberfläche  II,  146  f. 


42 


Sachregister. 


Kunst,  III,  86.  126.  164.  222.  287.  289. 
810.  814.  821.  828.  843.  864  f.  875. 
886.  418.  417.  449.  538;  K.  des  Alter- 
thums  in,  6;  Kunst-  u.  Naturformen 
III,  218;  Kunsterzeugnisse  III,  449; 
logische  Artefacte  I,  224.  889.  841. 
874.  897;  Kunstwerk  I,  646  f.;  II, 
274;  III,  80.  33.  67.  116.  118  f.  126. 
214.  585.  595 ;  kunstgerechter  Zwang 
III,  174  f.;  K.  der  Beobachtung  III, 
176;  Kunstgeschichte  III,  61  f.  72  f. 
805.  807.  382  A.  436. 

Kupfer  und  Elektricität  II,  868  f.  528. 

Kurbel  II,  337. 


L. 


Labile  Körper  II,  890  f. 

Lächerlichkeit  III,  127. 

Länge  III,  182  f. ;  unennessliohe  L.  der 
Schdpfungsperioden  II,  551  f.;  L., 
Masse,  Zeit  II,  423—427;  Längen- 
und  Intensitätsbemessung  II,  406  f.; 
Längemass  II,  404. 

Lage  I,  504  f.  518  f.  580;  II,  194  f. 
210.  809.  329.  408.  453  f.;  III,  804; 
Liegen  bei  Aristoteles  I,  118;  Ge- 
setzgebung und  allgemeine  L.  III, 
87;  Lagerung  der  Atome  U,  498. 
512;  Raum-  und  Zeitlage  III,  218. 

Landbau  s.  Ackerbau,  Landwirthschaft 
III,  526. 

Landschaft  III,  216. 

Last  II,  294. 

Laster  III,  618. 

Latein,  L.  u.  Altindisch  I,  38 ;  Römisch 
und  romanisch  I,  42;  lateinischer 
Accusativ  I,  149. 

Lautgesetze  III,  140  f.  146.  148  f. 

Lautlehre  III,  354  f. ;  sprachliche  Laut- 
veränderungen III,  854;  Lautbilder 
und  Lautbewegungen  III,  155 ;  Laut- 
wandel und  Lautverschiebung  III, 
145;  Lautwandel  und  Bedeutungs- 
wandel UI,  137  f.  809.  884 ;  sporadi- 
scher Lautwandel  III,  141;  Laut- 
verschiebung III,  132.  138  f.  145. 
148  f. ;  Lautassociation  III,  97 ;  Laut- 
geschichte III,  72.  96  f.;  Lautgesetze 
III,  140  f.  145.  148  f. 

Lautnachahmutig  (Onomatopo'ie)  1, 19  f. 

Leben  II,  538  f.  554.  568  f.;  III,  66; 
L.  und  Beseelung  II,  579;  geistiges 


L.  III,  281  f.  242  f.,  vgl.  Bewosstaein, 
Geiste  verändernde  Lebensbedingun- 
gen II,  550.  590;  Begrenzung  des 
Lebens  II,  564.  574;  Lebensgeister 

II,  581;  Lebenscyklen  niederer  Or- 
ganismen II,  585 ;  allgemeine  Lebens- 
erfahrung III,  19.  28;  Lebensdauer 
I,  445;  mittlere  Lebensdauer  III, 
458.  475 ;  Lebensalter  in,  891 A.  897. 
475;  Lebensalterstatistik  in,  5.  462; 
Lebensversicherung  III,  475 ;  Lebens- 
regeln ni,  1 ;  sittliche  Lebensführung 

I,  647;  Lebenserscheinungen  s.  Bio- 
logie. 

Leber  II,  529. 

Leere   Zeit   I,   482.  486  f.   530;    m, 

211:  leerer  Raum  I,  491.  503;  n, 

466. 
Legende  in,  864;  christliche  Legenden 

III,  105  A, 
Legirang  II,  472. 
Lehenswesen  III,  400  f. 

Lehre  ni,  558  A. ;  Lehrerschaft  III,  592 ; 
Lehrsatz  I,  212 ;  II,  389 ;  fundamen- 
tale und  abgeleitete  Lehrsätze  II, 
67.  70. 

Leiche  II,  517;  Leichengebräuche  ni, 
871.  878. 

Leib  und  Seele  ni,  178,  vgL  Körper. 

Leiden  bei  Aristoteles  l,  118. 

Leidenschaft  I,  684. 

Leistung  s.  Arbeit;  Leistungsßlhigkeit 
der  Organe  II,  520. 

Leitüm'e  II,  183. 

Leitungen  III,  224;  Leitung  des  Schalls 

II,  400;  elektrisches  Leitnngsver- 
mögen  II ,  469.  494  f. ;  Leiter  und 
Nichtleiter  der  £lektricität  II,  436  f. 

Lese  bei  Baco  II,  22. 

Leukocyten  II,  587. 

Liberalismus,  wirthschaftlicber  L.  m, 
504  f.  516.  580. 

Licht  I,  409.  515 ;  II,  268.  284  f.  312. 
831.  878  f.  876.  887.  892  f.  896  f. 
409  f.  412  f.  422  f.  434  f.  489.  442. 
448  f.  454.  465.  469.  556.  560.  564. 
567 ;  III,  20.  67.  188.  200  f.  263.  363. 
517 ;  Lichtempfindungen  I,  511 ;  UI, 
228;  Lichtbrechung  II,  12  f.  849. 
861.  365.  878.  377.  897.  494.  510. 
521 ;  Lichtbeugung  II.  848.  860.  865; 
conische  Refraction  n,  850;  polari- 
sirtes  L.  II,  349.  859.  528;  Licht- 
zerstreuung II,  898;  Lichtäther  n, 


Sachregister. 


43 


342;  Gontinaum  der  Lichtqoalit&ten 
IQ>  179;  elektromagnetische  Licht- 
theorie II,  350.  893.  410.  449 ;  elek- 
trische Lichtbogen  II,  402;  Licht- 
beeinfiaasnng  grüner  Pflanzentheüe 
n,  554. 

Liebe  nnd  Hass  I,  413  f. ;  Liebesbedürf- 
niss  II,  550. 

Liegen  bei  Aristoteles  I,  118. 

Lineal  ü,  167.  177  f. 

Lineare  Darstellung  I,  141;  1.  Anord- 
nung n,  492;  1.  A.  des  natürlichen 
Systems  II,  53;  1.  Gleichungen  II, 
158.  161  f. ;  Messung  der  Strecken 
m,  179. 

Linguistik  III,  353—361,  Tgl.  Sprache. 

Linie  U,  107.  183.  281.  325.  403  f.  413; 
Fraunhofer*sche  Linien  II,  341.  398; 
Liniengeometrie  1, 497 ;  mechanische 
Linien  11,  191  f. 

Linsen  II,  396  f. ;  Linsenimmersion  II, 
522. 

Literatur  III,  3  f.  36.  321.  328.  343. 
364  f.  367.  375.  408  A.  410  f.  538. 
595;  poetische  L.  III,  165.  364  f. 
411 ;  Literaturgeschichte  in,  4  f.  305. 
307.  328  A.  382  A.  411 A.  436.  439; 
literarische  Denkmäler  III,  23.  30. 
304.  309.  535. 

Lithium  II,  508.  510. 

Localisation  I,  13  f.  150  f.;  ursprüng- 
liche L.  I,  411.  506  f. ;  Conjuncibionen 
der  L.  I,  206  f. ;  L.  bei  Schopenhauer 

I,  508;  Localzeichen  III,  271 A.; 
Localseichen  Lotzes  1, 507 ;  compleze 
Localzeichen  I,  512  f.;  locale  Ein- 
flüsse U,  586.  589. 

Locativ  I,  152. 

Löslichkeit  II,  512;  chemische  Lüsung 

II,  472  f.  499.  503;  Lösung  eines 
Problems  DI,  199. 

Logarithmus  II,  215  f.  244.  247.  257. 

Logik  I,  648  f.;  III,  117. 120.  181. 133. 
237  f.  274.  542.  631  f. ;  die  L.  eine 
normative  Wissenschaft  I,  1;  die 
formale  L.  I,  2 ;  ihr  technischer  und 
hypothetischer  Charakter  I,  3;  die 
metaphysische  oder  dialektische  L. 
I,  3  f.  7;  propädeutische  Stellung 
der  L.  I,  7 ;  die  wissenschaftliche  L. 
I,  5  f. ;  ihre  Stellung  zu  den  Einzel- 
wissenschaften I,  7  f. ;  immanente  L. 
I,  3  f.  8  f.;  III,  61  f.;  L.  als  Erkennt- 
nisslehre und  Methodenlehre  I,  9  f. ; 


L.  und  Grammatik  I,  118  f.;  L.  und 
Mathematik  I,  246  f.  260  f. ,  L.  und 
Psychologie  I,  324  f. ;  L.  und  Axiome 
I,  559;  logisches  Denken  I,  78  f. 
96  f. ;  logisches  Denken  und  Phan- 
tasiethätigkeit  1, 32 ;  logische  Normen 
I,  1  f.  87;  logisch  -  metaphysische 
Tendenz  I,  3  f.  87  f.  118  f. ;  logische 
Verbindung  III,  14;  logische  Forde- 
rungen III,  251  f.  357.  544 ;  logische 
Functionen  III,  156 ;  logische  Einheit 
III,  247. 

Lohn  III,  500.  519.  525 ;  ehernes  Lohn- 
gesetz III,  516.  619  f.  A. 

Longitudinalwellen  II,  435  f. 

Lorbeerbaum  III,  364. 

Lot  III,  202. 

Luft  II,  530.  580 ;  Luftdruck  II,  401  f. 
419;  Luftströmungen  II,  341;  Zu- 
sammendrückbarkeit  der  L.  II,  361 ; 
Luftwiderstand  II,  892. 

Lungen  und  Wärmeregulirung  II,  548 ; 
Lungenentzündung  11, 586 ;  III,  507  A. 

Lupe  IL  397. 

Lust  III,  198  f.  215.  217.  221.  282.  416. 
520.  623. 

Lymphdrüsen  II,  587. 

Lytische  Operation  I,  578  f. 


Macht  III,  546.  553  f.  558  f. 

Männerkindbett  III,  871. 

Märchen  IH,  103  f.  370. 

Magnetismus  II,  264.  348  f.  359.  867  f. 
374.  387.  892  f.  400.  402.  405  f.  409. 
411.  413.  424.  429.  434  f.  448  f.  484 ; 
Erdmagnetismus  II,  370;  magneto- 
elektrische Induction  11,  368  f. 

Malayen  III,  374. 

Malerei  III,  127.  411. 

Mangel  III,  521 ;  Mangel  an  Sauerstoff 
II,  586;  M.  an  Interesse  III,  16; 
Bildungsmangel  II,  564. 

Mann,  Grösse  III,  188. 

Mannigfaltigkeit  I,  495  f.  517.  522  f. 
576;  n,  140.  142  f.  149;  III,  200  f. 
215,  220  f.;  Mannigfaltigkeitslehre 
II,  89  f.  134. 

Manometer  II,  405  f. 

Markstrahlen  U,  546. 

Mars  III,  868;  Marsrotationen  II,  898. 

Maschine  I,  639.  644.  646;  II,  268,  298. 


44 


Sachregister. 


302  f.  306.  311.  588.  5&8  f.  555  f.; 
m,  17.  582. 

Masse  I,  578.  628  f.;  U,  294  f.  804  f. 
824  t  328  f.  375.  379  f.  406  f.  413. 
423  f.  480.  448  f.  462  f.  482  f.  505  f. 
560.  564;  m,  456.  469  A.;  homo- 
gene M.  II,  878;  glühende  M.  II, 
577;  M.,  L&nge,  Zeit  II,  428—427; 
Masse  und  Ausdehnung  der  Materie 
n,  466  f.;  Massensystem  II,  804  f. 
458.  468. 

Massenerscheinungen  III,  75  f.  89  f. 
144. 185.  456  f.  472  f.  477.  507  f.  A. 
524. 

Mass  der  Geschwindigkeit  I,  583.  620; 
II ,  294  A. ;  Massmittel  lU ,  181  f. ; 
M.  der  Kräfte  II,  804  f.;  Maasein- 
heit  II,  422  f.;  Schwere  als  Massstab 

II,  407;  Raummasse  II,  408  f.;  Zeit- 
masse U,  408.  413  f. ;  Gewichtsmatte 
lU  403.  405  f.;  ezacte  Massbestim- 
mungen III,  474;  Masssiab  II,  895; 
lU,  181  f.;  Measbarkeit  I,  260;  H, 
202.  467;  Messung  II,  87  f.  281.  880. 
884  f.  394  f.  400  f.  403—416.  504  f.; 

III,  275  f.  474 ;  indirecte  Messung  II, 
416  f.;  Messung  psychischer  Grössen 
III,  178—196.  230.  275  f.  284;  ab- 
solutes Masssystem  II,  425  f. 

Materialismus  I,  626;  II,  583  f.;  lU, 
151  f.  166.  256  f.  323.  482.  489  A.; 
psychologischer  M.  III,  48.  50;  so- 
cialer M.  III,  45;  socialer  und  psycho- 
logischer M.  III,  42 ;  materialistische 
Psychologie  III,  151  f.  153-156. 158. 
172  f.  193.  242  f.  256  f. ;  materiali- 
stische  Geschichtsphilosophie  III, 
324  f.  379.  421 ;  unbewusster  M.  I, 
552 ;  teleologischer  M.  I,  633 ;  II,  534. 

Materie  I,  458.  528.  583.  535  f.  540. 
551.  619;  II,  29  f.  66.  266  f.  274. 
282  f.  326  f.  375.  383.  398  f.  406  f. 
409  f.  425  A.  428  f.  437  f.  438—447. 
455  f.  457—468.  490.  512  f.  576  f.; 
UI,  16.  25.  181.  242  f.  247.  262.  517; 
M.  bei  Aristoteles  I,  585;  M.  bei 
Kant  I,  616  f.;  M.  bei  Newton  II, 
229;  M.  bei  Descartes  II,  387  f.;  M. 

'    als  Eraftreservoir  II,  448. 

Mathematik  I,  436;  II,  6  f.  82.  38.  45  f. 
83  f.  375  f.  379.  395.  470.  514  A.; 
III,  1.  3.  10.  13.  79.  181.  133.  806. 
510.  515.  517.  581  f.  632.  685; 
Mathematiker  III,  481;   mathemati- 


sche BegniESBrerbiadongen  I,  246  f.; 

mathematiacbe  Grundbegriffe  I,  487 ; 

mathematJBohe  Wahrecfaeinlichkiäi  I, 

438;  mathematiBcher  Raumbegriif  I, 

498  f.;    mathematisohe  Analyse  I, 

849  f.;   U,  61  f.  89.  94  f.  38a  S66. 

382  f.  888.  89L  416.  43a  482.  445; 

M.  und  Axiome  I,  559.  570.  574 f.; 

II ,  85.  67;    xaathematäohe 

Schaftstheorie  III,  521  f.  A,;  M. 

Home  I,  408  f.;  U,  109  f.;  Logik  det 

M.  II,  87—259 ;  höhere  M.  UI,  214  ▲. ; 

neuere  M.  und  Erfithrung  II,  122. 
Masdma  und  Minima  bei  Functionen 

U,  253  f.  890;   Maximal-  und  JExd- 

malprincipien  II,  810  f.;  Maximal- 

unterschied    der    Begriffe   I»    134; 

Maxinialwerth  der  Lust  in,  217. 
Maximen,  leitende  M.  II,  272  f.;  UI, 

27  f.  40.  152  A. 
Medianik  I,  577  £.  588.  610.  628  f. 

644  f.;   II,   18  f.  82.  88.  98  f.  103. 

193.  268  f.  266«  278  f.  281  f.  290  £ 

840.  345.  873.  375  £  881.  388.  890  f. 

406  f.  424  f.  434  f.  446.  456.  460. 

466.  470.  490  f.  512.  515.  518.  580. 

546  f.;  III,  9.  U.  17.  55.  57.  60  f. 

94.  131.  155. 157. 194  A.  269  f.  884. 

440  f.   507.   511  f.   515.   517.   S82. 

569  A. ;  synthetisehes  System  der  M^ 

II,  300  f. ;  M.  bei  Herbart  HI,  48 1 ; 

mechanische  Anpassung  II,   545  f. 

563;  mechanische  Linien  II,  191  f.; 

mechanische  Morphologie  II,  519  f.; 

mechanische  Scheidung  II,  474. 
Mechanisohe  Weltanschauung  I,  682  f. 

638  f. ;  n,  273—383.  366.  409  f.  ^8  f. 

455  f.   515.   538  f.   581  f.;  m,   53. 

151  f.  242  f.  250.  482. 
Mechanisirung  III,  207;  Mechaniifiius 

der  Gewohnheit  III,  175. 
Mechanismus    der   Vorstellungen   III, 

157.  161—164.  166.  244.  260.  29». 

301. 
Medicamente  II,  582. 
Medidn  II,  580—590;  III,  459;   Ga- 
lenische M.  II,  534. 
Medisch-persisehes  Reich  III,  414. 
Medium,   continnirliches  M.  II,   892; 

aus  discreten  Theilen  bestehendes  M. 

II,  398;  geistiges  M.  HI,  34—40,  vgl. 

Umgebung;    flflssigee   M.   II,   487: 

Doppelmedium    aus    K5rper-     und 

Aetherpunkten  II,  433. 


ßacfaregisier. 


45 


Meer  11,  421. 

Hehr  I,  146. 

Mehrdeutigkeit  Hl,  355.  878.  449.  487; 
M.  der  Partikel  I,  151 ;  M.  der  Aus- 
drücke I,  230  f.  A. ;  M.  der  Sohlflese 

I,  328.  862.  874.  384  f.  891  f.  439; 
n,  24  f.  95;  III,  372;  M.  einer  Func- 
tion II,  203  f.  219  f.  258;  M.  der 
NaturencheinuDgen  II,  850.  ^7; 
m,  42. 

Mehrdimenaionale  Rftnme  II,  184. 

Mehrfach,  Methode  der  mehrfachen 
Fälle  III,  189  f. 

MehrheäBBDhject  I,  180  f.;  Mehrheite- 
urtheil  I,  176.  180  f. 

Mehrwerth  III,  520.  620  f. 

Meinung  1, 412  f.  422;  Kritik  der  Mei- 
nnngen  HI,  128  f. 

Melodie  lU,  216  A. 

Memhran  II,  526  f.  559  f.  571 ;  schwin- 
gende M.  n,  349. 

Menge  III,  602  f. 

Menech  U,  516;  III,  11.  18  f.  41.  188. 
144.  168.  227.  231  f.  257.  318  f. 
830  f.  865  f.  868  A.  442  f.  448  f. 
457  f.  475.  495.  512  f.  515.  539.  542. 
548.  574  f.  598,  vgl.  Psychologie, 
Anthropologie  etc.;  Menschheit  III, 
514. 594;  Menschenkenntniss  III,  169. 
298. 576 ;  Menschlichkeit  s.  Humanität. 

Meridian  III,  208. 

Merkantilsjstem  III,  501  f. 

Merklichkeit  III,  186;  minimale  M. 
m,  184.  190;  das  Gleichmerktiche 
und  das  Ebenmerkliche  III,  198. 

Merkmale  II,  565  f.;  III,  15.  480. 
508  A. ;  M.  der  Classification  1, 332  f. ; 
Correlation  der  M.  11,  51 ;  M.  beim 
Vergleichungsschlasse  I,  868  f.;  M. 
der  Yergleichung  III,  91;  M.  der 
Gewis^eit  I,  424  f.;   M.  und  Name 

II,  16;  M.  und  Werth  III,  13;   M. 
•    des  Geistigen  III,  16  f.;   Merkmals- 

karten  III,  454. 

Messung  s.  Mass. 

Metaäe  II,  472  H  478  f.  485.  494.  496. 
508.  510  f. ;  M.  und  Elektricität  II, 
849  f.  862.  868  l  872.  436  f. ;  Metall- 
d&mpfe  II,  898  f.;  MetaUgifte  U, 
364  A. 

Metaphysik  HI,  24  f.  152.  250  f.  282. 
324.  829  f.  378.  405.  482.  576  f.  629. 
632  A.  638;  Gegenstand  der  M.  I, 
7  f.  42L  546  f.;  M.  der  Seele  I,  471; 


III,  48.  248  f. ;  M.  und  Psychologie 
m,  1.  19  f.  166;  M.  und  Natur- 
Wissenschaft  I,  615  f.  630  f.  650  f.; 

II,  346 ;  III,  83 ;  metaphysische  Dog- 
men III,  126;  logisch-metaphysische 
Tendenz  I,  87  f.  118  f.  407  f. ;  meta- 
physisches Stadium  bei  Comte  III, 
149  f.  391.  406.  481 ;  M.  des  Aristo- 
teles I,  899;  m,  128  A.;  M.  Her- 
barts I,  474  f.;  lU,  243  f.;  M.  Kants 
und  Schopenhauers  I,  552  f.  588. 
616.  689  f.;  M.  Schellings  I,  594; 
M.  Hegels  I,  594. 

Meteor  III,   135;   Meteorinfection  U, 

576.  578. 
Meteorologie  I,  61 1 ;  H,  270.  835.  338. 

340  f.  419;   III,  52.  76.  299.  457  f. 

474. 
Meter  II,  422. 
Methoden  III,  9.  51-57.  116  f.  169  f. 

180  f.  238  f.  242. 305.  310  f.  A.  886  f. 
631  f. ;  Methodenlehre  (Methodologie) 
I,  2.  9  f.  248  f. ;  M.  der  Mathemathik 
bei  Hobbes  II,  107;  M.  der  Auf- 
lösung logischer  Gleichungen  1, 377  f. ; 
M.  der  einfachsten  Bedingangen  II, 
288  f. ;  M.  der  Yergleichung  n,  339 
bis  344;  IH,  54.  56  f.  64—81.  88  f. 
102.  104.  109.  121  f.  125.  145.  150. 

181  f.  209  f.  218  f.  223.  238  f.  300. 
310.  314  f.  336.  342  f.  854  f.  362  f. 
449  f.  471.  479  f.  490;  dialektische 
M.  der  Antithese  III,  634 f.;  onto- 
logische  M.  HI,  635  f.;  M.  der  im- 
manenten Begriffsentwicklung  III, 
638  f. ;  philosophiBche  M.  III,  640  f. ; 
veigleichende  psychologische  und 
historisch-psychologische  M.  III,  240. 
844;  philologische  M.  III,  362  f.  499. 
507  A. ;  historische  M.  III,  366  f.  494. 
499;  philologisch-historische  M.  III, 
871  f.  375.  504;  anthropologische  M. 

III,  368;  M.  der  getheilten  Unter- 
suchung der  Ursachen  III,  515;  Ein- 
stellungs-  und  Abz&hlungsmethoden 
III,  185  f. ;  M.  der  Gleicheinstellung 
(der  mittleren  Fehler)  lU,  185  f.; 
M.  der  Einstellung  minimaler  Unter- 
schiede (der  Minimal&nderungen)  HI, 
186;  M.  der  Einstellung  gleicher 
Strecken  III,  186  f.;  M.  der  doppel- 
ten Reize  III,  187  A.;  M.  der  zwei 
F&lle  III,  188  f.  191.;  M.  der  Gleich- 
heits-  und  der  Uogleichheitsfälle  Ol, 


46 


SachregiBter. 


188  f. ;  M.  der  positiven  und  nega- 
tiven Fälle  III,  188  f.;  M.  der  drei 
Fälle  (M.  der  richtigen  nnd  falschen 
Fälle)  III,  189  f.;  M.  der  mehrfachen 
Fälle  III,  189  f.;  Aasdrucksmethode, 
physiologisch-symptomatische  M.  III. 

222  f.  227  f.;  M.  der  Einwirkung 
(Eindrucksmethoden)  III,  202  f.  218. 

223  f.  228;  M.  der  Herstellung  III, 
202  f.  218.  223;  Differenzmethoden 
(Reactionsmethoden)  III,  209  f.  212  f. 

224  f.;  Gradationsmethoden  III,  210; 
Reproductionsmethoden  III,  210  f.; 
Complicationsmethoden  111,211 ;  phy- 
siologische Hülfsmethoden  (sphygmo- 
graphische,  pneumatographische,  ple- 
thysmographische M.)  III,  222. 227  f. ; 
M.  der  Verwendung  III,  219  A. ;  M. 
der  paarweisen  und  reihenweisen  Vex^ 
gleichung  III ,  218  f. ;  Eliminations- 
methoden II,  363;  III,  209  f.;  ex- 
perimentelle M.  8.  Experiment ;  chro- 
nometrische M.  III,  208;  Härtungs- 
methoden der  optischen  Morpho- 
logie U,  521;  Grenzmethoden  II, 
236  f.;  M.  der  Staatswissenschaft 
III,  571  f.;  physikalische  M.  der 
Staatswissenschaft  III,  481  f.;  geo- 
metrische M.  der  Staatswissenschaft 
III,  483  A. ;  chemische  M.  der  Staats- 
wissenschaft III,  483  A.,  biologische 
M.  der  Staatswissenschaft  III,  481  f. 
484  f.;  juristische  M.  der  Staats- 
wissenschaft III,  481  f.  490  f.  571; 
Bociologische  M.  der  Staatswissen- 
schaft III,  481  f.  494  f.  572;  civili- 
stische M.  III,  490  f.  561  f.;  publi- 
cistische  M.  III,  493  A.  561.  564  f.; 
M.  der  juristischen  Fictionen  III, 
566  f. ;  M.  der  civilistischen  Analogie 
III,  566.  571  f.;  statistische  M.  der 
Gruppenzerlegung  und  -Verknüpfung 
III,  467  f.;  analytische,  synthetische, 
deductive,  inductive  u.  s.  w.  M.  s. 
Analyse,  Synthese,  Deduction,  In- 
duction  u.  s.  w. 

Methyl  II,  508. 
Miasmen  II,  583. 
Micelle  bei  Nägeli  U,  560  f. 
Migrationstheorie  des  Mythus  III,  106  f. 
Mikrochemische  Analyse  II,  561  f. 
Mikrokosmos  II,  555. 
Mikrometer  II,  398.  404  f.  415. 
Mikroorganismen  II,  585. 


Mikrophon  II,  400  f. 

Mikroskop  ü,  895  f.  404  f.  415.  519. 
521  f.  541  f.  559  f.  584  f.  587  f. 

Milieu  III,  380.  411,  vgl.  locale  Ein- 
flüsse. 

Milligramm,  Millimeter  II,  422. 

Müz  II,  529.  587. 

Mimik  I,  21 ;  HI,  222  f. 

Mineralogie  U,  53,  343  f. 

Minima,  vgl.  Maxima;  Princip  der 
kleinsten  Flächen  II,  545. 

Minimalunterschied  I,  134  f. ;  III,  184. 
186.  190  f.  196. 

Minute  (Winkel)  II,  405;  (Zeitmass)  II, 
414. 

Mischung  der  Farben  II,  357  f.;  M. 
heterogener  binocnlarer  Eindrücke 
III,  204;  chemisches  Mischungsge- 
wicht  n,  496;  M.  von  Beschreibang 
und  Erzählung  I,  187. 

Missbilligung  I,  218  f. 

Missfallen  III,  217. 

Missverständniss  III,  364. 

Mitgliedervertretung  III,  493. 

Mitte,  richtige  M.  bei  Aristoteles  III, 
400;  der  mittlere  Mensch  III,  475; 
M.  einer  Empfindungsstrecke  III,  184. 
190;  mittlere  Lebensdauer  IH,  458; 
mittlere  Körperlänge  III,  458 ;  mitt- 
lerer Fehler  10, 185  f.  192;  miUlere 
Abstufung  III,  187. 

Mittheilung  s.  Sprache. 

Mittel  I,  642  f.  646;  III,  281;  arith- 
metisches M.  II,  418  f.;  Mittelur- 
Sache  I,  643. 

MittelalterlicheWeltan8chauungIII,S13. 
329. 414. 425. 484  f. ;  mittelalterliches 
Kaiserthum  III,  539 ;  mittelalterliche 
Corporationen  III,  544. 

Mittelbare  Gewissheit  I,  422  f.  437; 
m.  Realität  1 ,  629  f. ;  m.  Zeitmasse 
1, 490;  m.  Zeitvergleichungen  HI,  211. 

Mittelbegriff  I,  135  f.  305.  323.  829  f. 
332  f.  361  f.  369  f.  390.  894  f. 

Mitübung  I,  27. 

Modalität  bei  Kant  I,  117.  174  f. 

Mode  III,  219  A. 

Modification  bei  Spinoza  I,  528. 

Möglichkeit  I,  173.  448  f.  501.  525; 
n,  528;  m,  159. 

Molecül  n,  74  f.  392.  444.  559  f.  569; 
III,  270;  Molecularstructur  II,  377  f. 
400 ;  Molecularbewegung  (Molecular- 
mechanik)  II,  329  f.  393.  456.  477. 


Sacfaregirter. 


47 


493;  m,  158  f.  164.  258;  Molecolar- 
physik  II,  430  f.  452  f.  456:  intra- 
molecnlare  Strahlung  II,  392 ;  Mole- 
colarentfemtiDgen  II,  450;  Mole- 
cularwirkungen  II,  451  f. ;  chemische 
MolecQle  II,  474.  497  f.  501  f.  512: 
Molecularge wicht  11,  508  f.;  Mole- 
culargewichtBw&rme  II,  500. 

Momentane  Geschwindigkeit  II,  229  f. ; 
m.  Veränderung  II,  226.  237.  240. 

Momente  der  Geschwindigkeit  (Newton) 
II,  230. 

Monadologie  I,  408.  517.  525  f.  538. 
540  f.  552.  586.  626;  II,  232  f.:  III, 
241.  243. 

Monarchie  III,  393.  400.  479;  oonsti- 
totionelle  M.  III,  481  A. 

Mond  II.  340;  Mondbewegong  II,  77  f. 
386.  414. 

Monocoiylen  II,  547  A. 

Monocalare  extensive  VorsteUongen 
m,  204. 

Monogamie  III,  874.  480.  590. 

Monophyletische  Abstammung  II,  565. 

Monotheismus  III,  367,  vgl.  Gottheit 

Moral,  vgl.  Ethik;  GeseU  der  M.  bei 
Leibniz  I,  639;  moralische  Wahr- 
scheinHchkeit  I,  446;  Moralstatisük 
in,  79  f.  144.  146  f.  351.  459  f.; 
moralische  Tendenzen  III,  127.  137  f. 
320  f.  347. 

Morbidität  UI,  471. 

Mord  lU,  552.  578. 

Morgenröthe  III,  363  f.;  Morgenwolken 
m,  368. 

Morphologie  11,  56  f.  343.  517—524. 
525  f.  535  f.  560  f.  565.  588. 

Mortalität  s.  Todesfälle. 

Motiv  I,  80.  642  f.;  ÜI,  124  f.  142. 
146  f.  158.  229.  287.  273.  281.  298. 
304  f.  320  f.  341  f.  371.  879  f.  882. 
384  f.  395.  406  f.  416.  421.  425.  478  f. 
504.  508.  512  f.  516.  518.  546.  560; 
M.  bei  Schopenhauer  I,  570  f.  689  f.: 
M.  der  Transscendenz  I,  84;  logisches 
M.  und  Noth  wendigkeit  I,  225:  melo-  ' 
disches  M.  UI,  217  A.  j 

Motoren  II,  409. 

Motorische  Leitung  III,  224. 

MOnzusg  m,  111  f.  - 

MultipHcation  I,  251  f.  265  f.:  II,  76.  | 
97  f.  123  f.  133.  186.  145  f.  150.  155.  l 
158  f.  191.  209.  211.  214.  216  f.  : 
247  f.  423;  M.  von  Geraden  II,  195  f.: 


multiple    Proportionen   der  Chemie 

II,  471  f.  483. 
Mundschleimhaut  II,  .S36:   Anpassung 

der   Mundtheile   II,   .H9:    Mundart 

III,  7, 
Moscarin  II,  531. 

Musik  III, 220f.:  Mosikgefchidite III, 72. 

Muskeln  n.  526  f.:  III,  223  f.:  Muskel- 
kraft U,  294.  .301.  44A:  Muskel- 
empfindungen  II,  408:  UI,  21.5. 
271  A.:  Muskelbewegung  11,  524: 
III,  209.  224  f. ;  Muskelspannung  III, 
218,  222:  MuskelzeUen  II,  .V>1  A.: 
muskuläre  Beaction  III,  225  A.; 
Muskelsystem  II,  519  f. 

Mutter  III,  373  f. 

Mystidsmns  III,  31  A.  414;  mystisdier 
SchOpfnngsplan  II.  .>85. 

Mystik,  unbewusste  M.  II,  57  f.:  M.  un- 
voistellbarer  Ideen  11,  103. 

Mythologie  III,  103  f.  240.  344.  361 
bU  869.  369  f.  406;  M.  n.  GcKfaidite 
ni,  58.  86.  307.  861  f. :  vergleicheade 
M.  III,  6  f.  69;  mytfcologisdie  Tor- 
stelluBgen  II,  .>^0.  582:  III.  2.  29. 
43.  149  f.  238.  295.  809.  835.  54a 
5.56.  610;  Geschichte  der  mytho- 
logischen YonteUungen  III,  72 1  :^07. 

Mythus  11.  .551;  III,  6.  89.  43.  58  f. 
78.  106  f.  234  A.  23^.  ^TC^f.  802.  843. 
369.  37.5.  384.  449.  473.  538 1  .540. 
546. 


5. 


!  Nadiafamungeii.  natärlicke  N.  II,  549. 
<  Nadibildung  III.  22u:  X.  organischer 
:      Processe  II.  5^5  f. 

Nachfrage  III.  137.  379.  .>-2»>.  5'>2  A. 

NäherungsmeChoden  11,  1V2;  typische 
Näherungswertbe  UI,  22^. 

Nahrung  II,   5*27.  55«>.  .>>4;   III.  l^A; 
Nahmngsei weiss  II,  .S70. 

Naive  pbyiikalisefae  Abstraetion  II,  374; 
naive  Beflezion  III,  1. 

Name  III.  362  f. 

NatioBalökonomie  II.  II.  18.  19.  Z2. 
39.  45:  III,  5.  7.  10.  12.  14.  21  f. 
87.  4-5.  99.  109  f.  IST.  ^Sr^.  42«, 
438  f.  4.57  f.  466.  472  A-  4C^.  4&0 
bis  533.  595;  prakti.«.h«  N  liK  4*»- 
529  f.;  abstracte  Wirthüctaftstiieorie 
III,  50=1—521.  5-22.  52r;.  52Sr  f.  5^2, 
vgl.    Wi rtk jcha  ft. 


48 


Bftchrcgifltcr. 


Natioiuüit&t  UI,  48.  46.  189. 

NatiTumas  I,  411.  506  f. 

Natnum  U,  480.  508.  510. 

Natur  II,  279 :  III,  174  f.  502 ;  natOr- 
liehe  Entstehung  oder  Satznsg?  III, 
3;  geschlossene  Naturcansalit&t  II, 
332  f.;  III,  256  f.  259;  Natummge- 
bung  m,  18.  84  f.  292.  848  f.;  N. 
und  Geist  ÜI,  46.  258 ;  Naturbedingt- 
heit UI,  28.  94  f. ;  Natnrbedingtheit 
des  geistigen  Geschehens  III,  12.  18. 
40—46.  55.  879  f.;  N.  und  Kunst 
UI,  218.  540  f. ;  Naturkr&fte  lU,  181 ; 
Naturvölker  UI,  331.  865  f.  371  f. 
444.  449 ;  Naturproduct  III,  6 ;  Natur- 
mythus  s.  Mythus;  N.  und  Cultur 
III,  44  f.  58. 

Naturalismus  UI.  53.  824  f.  842.  884. 
502.  504. 

Naturalwirthschaft  m,  108.  894.  400  f. 

NaturgenusB  I,  647  f.;  Asthetisirende 
Natnrbetrachtung  11,  518. 

Naturgesetse  II,  359  f.  375.  427;  lU, 
52.  138  f.  144.  159.  884  f.  482  A. 
578;  teleologische  N.  I,  640  f.;  III, 
130  f.;  Gesetzmässigkeit  der  Natur- 
ersdieinungen  I,  490.  588.  591.  612. 
650  f. ;  m,  174  f. 

Naturmensch,  Zeitbewusstsein  desNatu]> 
menschen  1, 1 85 ;  Naturvölker  s.  Natur ; 
Quinftrsystem  der  Naturvölker  II,  137; 
primitives  Denken  I,  211.  419.  425. 
508.  515.  538.  584.  681;  primitive 
Werkzeuge  III,  58;  natflrliches  vor- 
wissenschaftliches  Denken  II ,  15  f. 
261,  Tgl.  Mythus  etc. 

Naturrecht  III,  58.  426.  482.  492  f. 
496  f.  502  f.  540  f.  549  A.  553  A. 
555  f.  560.  562.  570  f.  597.  600  A. 
626  f.  A. 

Naturwissenschaft,  Naturforschung  I, 
438.  577  f. ;  ü,  260—590 ;  IH,  1.  5. 
8.  10  f.  17.  21  f.  26 f.  58.  78f.  82f. 
94  f.  98  f.  116.  129  f.  185.  187  f. 
152.  157.  178  f.  179.  197.  202.  242. 
244.  246  f.  250.  252  f.  259  f.  262. 
269  f.  280.  285.  297  f.  306.  319.  341  f. 
345  f.  851  f.  354.  876.  879.  418  f. 
426.  440.  443.  448.  450.  456  f.  461 A. 
465.  472.  474.  482.  494.  515.  517. 
569  A.  682;  Definition  der  N.  III,  14; 
N.  und  psychologische  Grössenmes- 
sung  m,  179  f.  182  f.;  ältere  N.  I, 
88  f.;  Naturphilosophie  I,  650;  II; 


272  f.  276  f.  887;  m,  8A.  151.*976. 
406.  418.  442.  446.  482.  485  £  4il  f. ; 
Natotpfailosophie  8cfa«iTSii^  ü,  518; 
lU,  485;  ältere  NatoTphOoK»!^  I. 
899.  524  f.;  H,  260  f.  273  f.  288  f. 
481.  588  f.  580;  N.  und  Natorphüo- 
Sophie  II,  262  f.;  Causalbegriff  der 
N.  I,  687;  II,  278  f.;  ID,  I8er.;  ge- 
schlossene Naturcaosalität  a.  Natur; 
N.  und  Gehteewissensdiaft  I,  648; 
lU,  1  f.  10  f.  24  f.  88  f.  180.  1S5  f. 
145.  147.  150;  ezacte  N.  H,  861  f.; 
systematische  Natnrgesefaicfale  II,  42. 
46.  50  f.  271  f.  588;  nattkrliclies 
System  II,  50.  53  f. ;  natarlidie  Me- 
thode der  synthetischen  Geomatria 
U,  175;  Naturbeschreilraiig  II.  514; 
Natnrgeschidite  II,  874 ;  ältere  Natur- 
geschichte II,  564;  III,  450;  Natni^ 
erklärung  II,  362.  885  f.  518.  518; 
m,  82  f . ;  Naturbeschreibnag,  Natur- 
geschichte und  Natnrerklftning  ü, 
344  f. 

Naturzweck,  immanenter  N.  I,  682  f. 

Nebel,  planetarische  N.  II,  511 ;  Nebel* 
ball  von  Kant  und  Laplace  II,  463  f. 

Nebenbegriff  I,  122  f.  144.  251  f.; 
Nebenordnung  der  Begriffe  I,  122. 
188  f.  142.  166  f.  182.  193.  199  f. 
264.  273  f.  362  f.  365.  870.  876  f. 
479,  vgl.  Goordination. 

Nebeneinander  I,  150  f.  206  f.  510  f. 

Nebengedanke  derBeurtheQuiig  1, 218  f. 

Nebenschlflsse  I,  849. 

Nebenumstände  der  Wahrscheinlichkeit 
I,  441. 

Negation  I,  137  f.  142  f.  178  f.  212  f. 
251.  267  f.  281  f.  840  f.  566;  N.  bei 
Spinoza  I,  527  f. ;  negativ  prftdiciren- 
des  UrtheU  I,  217  f.  285  f. ;  n^aÜTes 
Trennungsurtheil  I,  221  f.  285  f.; 
doppelte  N.  I,  228  f.  241  f.  286  f. 
565;  N.  bei  Bildung  von  Begriffen 
und  Regeln  I,  372;  negative  Pril- 
missen  I,  887  f.  891  f.;  ne;gative 
Zahlen  U,  133. 140.  258  f. ;  negative 
und  positive  FäUe  III,  188  f.;  nega- 
tive und  positive  Gefähle  III,  215; 
negative  und  positive  Werthe  III. 
16;  Uebersehen  negativer  Instanten 
III,  368 ;  Umwandlung  positiTor  Ur- 
theile  in  negative  ürtheile  I,  228  f. ; 
positive  und  negative  BlektridCÜ  U, 
367. 


Sachregister. 


49 


Neigung  und  AbneiguDg  I,  413  f. 

Nenner  und  Zähler  II,  141  f. 

Nennwurzeln  I,  125. 

Neptunismus  II»  583. 

Nerven  I,   26  f.;   II,  517.  528  f.  532. 

544.  548.  554.  587;   III,   154.   160. 

209.  227. 
Nervengeister  II,  581.  583. 
Nervenphysiologie  II,  530. 
Netzhaut  III,  228 ;  Netzhautbild  I,  506 ; 

III,  203  f.;   Netzhautempfindung   I, 

511. 
Neue  Werthe  durch  Zusammensetzung 

III,  197;  neuere  Sprachen  I,  184  f. 
Neutrum  I,  176  f. 
Neuzeit  III,  501. 
Nichts  I,  117. 
Niedere    Keime,    lebensz&h    II,    578; 

niedere  Organismen  II,  585. 
Niederschlag  II,  478. 
Nivellirung  des  Ausdrucks  III,  214  f.  A. 
Nomaden  III,  363.  400.  603. 
Nomen  I,  60.  125.  156.  167. 
Nominaldefinition  II,  41  f. 
Nominalismus  I,  111.  400;   II,  458  f.; 

mathematischer  N.  II,  100  f.  226. 
Nominativ  I,  168. 
Nonius  II,  404. 
Nordamerika  III,  149. 
Normalmass  II,  422;  III,  520. 
Normen  III,  120,  602.  626  f. ;  logische 

N.  1.  1  f.  87.  91 ;  III,  84.  126  f.  341. 

542;  praktische  N.  III,  1.  9;  ethische 

N.  ni,  479.  542.  584;  N.  der  Sitte 

III,    537;    Rechtsnormen    III,    495. 

533  f.  542.  575.  577  f. ;  Normwissen- 
schaft III,  284. 

Nothwendigkeit  I,  173;  III,  131.  636 f.; 
innere  N.  I,  81 ;  N.  gegenüber  Will- 
kür I,  96;  N.  eines  Urtheils  I,  225. 
308;  innere  Begriffsnothwendigkeit 
I,  408;  N.  und  Erfahrung  I,  406 
505  f. ;  Denknothwendigkeit  des  Rau- 
mes I,  500.  510;  Denknothwendig- 
keit der  Substanz  I,  529  f.  585  f.; 
Denknothwendigkeit  der  Causalität 
I,  590  f.  596.  606  f. ;  N.  der  Folgen 
I,  612  A.;  mechanische  N.  I,  632. 
634.  639  f.,  vgl.  Causalität. 

Noumena  bei  Kant  I,  407.  554. 

Nucleus,  Nucleolus  11,  575. 

Nürnbergs  Einfluss  auf  Hegel  III,  85  A. 

NuU  n,  136  f.  150;  N.  als  verschwin- 
dende Grösse  II,  228  f.  238  f.  245. 
Lindau,  Register  zu  Wandt,  Logik.    2. 


Numerale  I,  119. 

Nutzen  II,  311 ;  III,  509,  519.  565.  573. 
585;  N.  und  Schaden  I,  631;  III, 
158;  Nutzeffect  II,  556;  Grenznutzen 
III,  610  f. 


0. 


Oberschenkel  II,  547. 

Objecte,  vgl.  Gegenstand  I,  11.  79. 
423  f.  461  f.  514  f.  538  f.  552 ;  III, 
168.  201.  212,  247  f.  254.  263 f.;  0. 
als  Ursachen  I,  592  f. ;  0.  und  Stand- 
punkt III,  236  f.;  Objectivismus  I, 
487  f. ;  grammatikalisches  Object  I, 
60  f.;  Objectcasus  I,  145.  156.  167 f.; 
objeotive  Beziehungen  I,  148  f. ;  Ob- 
jectivirung  des  Denkens  I,  99;  ob- 
jective  Erfahrung  II,  375;  objecüve 
Werthurtheile  III,  273;  mangelhafte 
Objectivität  III,  38  f. 

Occasionalismus  III,  250. 

Ochlokratie  III,  393  A.  400. 

OeffentUches  Recht  III,  478.  537.  550  f. ; 
560  f.  588;  öffentliche  Pfiichten  III, 
548. 

Oekonomie  der  Sprache  I,  101.  104. 

Oel  als  Immersionsflüssigkeit  II,  522; 
Oelkugelversuch  Plateaus  II,  337. 

Oesterreichs  Ausscheidung  aus  Deutsch- 
land III,  124. 

Oheim  III,  373. 

Ohr  II,  394.  396.  401  f. 

OnomatopoYe  I,  19  f. 

Ontologie  Wolffs  I,  501 ;  Ontologismus 
Spinozas  I,  527  f. ;  ontologische  Be- 
weise I,  400  f.  531;  II,  389;  onto- 
logischer  Irrthum  I,  416  f.  548 ;  onto- 
logischer  Fehler  III,  246;  ontologische 
Erankheitstheorie  II,  582.  584. 

Operationen  der  Begaffe  I,  251  f.; 
Operationssymbole  I,  273  f.  393  f.; 
II ,  154. ;  Grössenoperationen  I, 
578  f.;  chemische  Operationsformel 
II,  492. 

Optik  II ,  264.  352  f.  362.  394.  396  f. 
401.  404.  422  f.  429.  432.  435  f.  490  f. 
512  f.  521  f.  526;  optische  Eigen- 
schaften II,  377;  optische  Morpho- 
logie II,  519  f.  526  f.;  Durchsichtig- 
keit II,  284  f.  373.  899  f. 

Optimismus  I,  415  f.  631 ;  III,  366.  392. 

549  A. ;  bestmögliche  Welt  I,  496. 
Aufl.  4 


50 


Sachregister. 


Ordinalen  II,  227  f.  252,  vgl.  Coordi- 
naten. 

Ordnung,  rhythmische  0. 1,  35  f.  489  f. 
519;  III,  202.  205.  218.  268.  487; 
zeitlich  räumliche  0. 1,  480,  s.  Raum, 
Zeit ;  objective  0.  der  Dinge  I,  514  f. ; 
begriffliche  0.  I,  516. 

Organismus  I,  638.  641.  644.  646,  650; 
II,  268.  274.  400.  518  f.  521  f.  533  f. 
545.  558  f.  560  f.;  III,  12.  17.  21. 
78.  283.  260.  285.  292.  290  f.  402. 
482  f.  A.  487  f.  526  f.  602  f. ;  Organ- 
empfindungen III,  198  f.  213.  215; 
organische  Chemie  II,  476  f.  480.  497. 
504.  524  f. ;  Wachsthum  der  Organe 
II,  545  f. ;  organische  Elementar- 
anal jse  II,  475;  Organisationskraft 

II,  538.  542 ;  Organisation  III,  445  f. 
456.  477  f.  489  f.  497  f.  529.  602  bis 
613 ;  Personal-  und  Realorganisation 

III,  477  f.;  stoffliche  Zusammen- 
setzung der  Organismen  II,  574; 
Priorität  des  Organischen  II,  577; 
der  0.  eine  geistige  Schöpfung  11, 
580. 

Orient  III,  6. 

Orientirung  durch  das  Auge  II,  394. 

Ort  I.  150  f.  206  f.  478;  0.  der  Ver- 
neinung I,  219  f.  222  f. ;  Ortsadver- 
bien I,  118 f.;  Ortsgemeinschaft III, 
234;  geometrischer  0.  II,  181.  430. 
460;  Ortsbewegungen  derThiere  II, 
553. 

Oscillation  II,  410. 482,  s.  Schwingungen. 

Osmotischer  Druck  II,  499.  503;  os- 
motische Eigenschaften  II,  526  f. 

Okulisten  II,  541. 

Oxalsäure  II,  477.  480. 

Oxydation  II,  475.  477  f.  480.  485.  489. 
525  f.  556  f.  567.  569. 


P. 


Paarweise  Vergleichung  III,  218. 
Pädagogik  III,  21.  37.  41.  82.  87.  298  f. 
Paläontologie  II,  539. 
Pangene  II,  542 ;  Pangenesis  II,  541  f. 
Panlogismus  I,  407  f.  528. 
Pantheismus  I,  517. 
Pantomimik  III,  222,  vgl.  Ausdrucks- 
bewegungen. 
Papiergeld  III,  111. 
Parabel  II,  180.  183  f.  187  f. 


Paradiesessage  III,  105  A. 

Paradoxien  des  unendlichen  II,  1.32. 

Parallaxe  II,  81. 

Parallelepiped  II,  197. 

Parallelismus  I,  85;  II,  195.  461:  P. 
von  Denken  und  Sein  I,  4.  90.479; 
psychophysischer  P.  I,  26  f. ;  III,  231. 
250—259.  260.  292 ;  Parallelenaxiom 
II,  134;  Durchschnittspunkt  der 
Parallelen  im  absolut  Unendlichem 
II,  151;  Parallelismus  Spinozas  ni, 
251  f.  254  A.  258. 

Parallelogramm  II,  170  f. ;  sphärisches 
P.  II,  146  f.;  P.  der  Kräfte  I,  582: 
II,  296.  309.  819  f. 

Parallelprojection  II,  184  f. 

Parenchymzellen  11,  547. 

Parlamentarismus  III,  481  A. 

Partialtfine  II,  357. 

Participium  I,  146.  149.  169.  256. 

Partikel  I,  118  f.  150  f. 

Partikulares  ürtheil  I,  173.  182.  198  f- 
237.  240.  339  f. 

Passives  Sein  der  Atome  I,  527;  Pas- 
sivität III,  267 ;  Passivität  im  Gegen- 
satz zur  Spontaneität  I,  80 ;  II,  568 : 
passive  Apperception  I,  30,  s.  Apper- 
ception;  Passivität  der  Körper  II» 
295  f. 

Pathologie  II.  515.  517.  524.  528  f. 
680—590;  III,  466. 

Patriarchalisches  Königthum  III,  393. 

Patruus  III,  373  A. 

Peptone  II,  526. 

Perception  I,  58. 

Perigenesis  II,  544  A. 

Periodisirung  III,  391  f.  431;  Zeit- 
perioden und  Territorien  III,  145: 
Perioden  der  Schöpfungsgeschichte 
II,  551  f. ;  Periodicität  (Regelmässig- 
keit) der  Reizungserscheinungen  II, 
543;  Periodicität  der  Entwicklongs- 
erscheinungen  II ,  564.  571 ;  rhyth- 
mische Periode  I,  36;  periodische 
Function  II,  217  f.  257 ;  periodische 
Bewegung  11,  413. 

Peripatetiker  II,  534. 

Peripherie  II,  224 ;  peripherische  Sinnes- 
erregung III,  194. 

Permanenzprincip  I,  579;  II,  135. 139  f. 
148  f.  151  f.  235.  257  f. 

Permeable  Wand  II,  499. 

Perpetuum  mobile  II,  411. 

Persische  Geschichte  III,  338. 


Sachregister. 


51 


Person  III,  537 ;  Persönlichkeit  III,  29, 
32  f,  49.  63.  74  f.  125.  142  f.  161  f. 
323  f.  326  f.  899  A.  408.  410  f.  416. 
428.  481  f.  508  A.  592.  599  f. ;  Ge- 
sammtperson  III»  297.  611  f.;  Ver- 
brechen gegen  die  P.  III,  146  f.  463 ; 
Personalorganisationen  III,  477  f. 
608  f. ;  juristische  P.  III,  568  f. ;  Per- 
sonalstatistik UI,  458  f.  527  f.  608  f. 

Perspectivische  Projection  II,  184. 

Pessimismus  I,  415  f.  682 ;  III,  366. 

Pflanzen  (Botanik)  I,  649;  II,  516;  III, 
12.  67.  133 ;  Pflanzengeographie  II, 
270;  Pflanzenphysiologie  II,  271. 
518.  520.  522.  524  f.  544.  556  f.; 
III,  440;  Pflanzenmorphologie  II, 
343 ;  Pflanzenkultur  II,  586 ;  P.  und 
Thier  II,  566  f.;  P.  als  chemische 
Werkstatte  II,  555. 

Pflicht  III ,  433  f.  543  f.  546  f.  557  f. 
630. 

Ph&nomena  I,  407. 

Phantasie  I,  425;  III,  43.  59.  272  f. 
287.  290.  862.  364  f.  386.  413 ;  wiU- 
kfirliche  Pbantasiethätigkeit  1 ,  32 ; 
willkürliche  PhantasieschOpfungen 
III,  390 ;  P.  in  der  Erzählung  I,  185 ; 
phantastische  Gonception  I,  455; 
phantastische  Deutung  I,  646  f. 

Philologie  III,  4  f.  14.  21.  23.  31.  66. 
68.  74.  84.  86  f.  100.  115  f.  187—143. 
237  f.  240  f.  298.  303—818.  333  f. 
336  f.  449.  642;  philologische  Gon- 
jectnr  III,  103.  115;  philologische 
Methode  III,  362  f.  499.  507  A. ;  philo- 
logisch-historische Methode  III,  371  f. 
375.  504. 

Philosophie  I,  534  f. ;  II,  35.  83 ;  III,  3. 
5.  9.  24.  27.  116.  126  f.  257  f.  306. 
343.  365.  375.  416  f.  434.  437  f.  440. 
447.  488.  502.  539  f.  631—643;  P. 
und  Psychologie  III,  19  f.;  151  f.; 
Gef&hlsphilosophie  III,  165;  philo- 
sophische Würdigung  eines  histori- 
schen Gegenstandes  III,  69;  P.  der 
Geschichte  III,  21.  26.  31.  44.  49. 
53.  70  f.  74.  124.  136  A.  149  f.  322  f. 
376-378.  384  f.  389  f.  421  f.  441  f. 
446  f.  452.  541 ;  P.  der  Einzelwissen- 
schaften III,  25. 

Phlogiston  U,  471. 

Phoronomie  I,  578.  580  f.  619  f.;  II, 
302.  828  f.  875;  phoronomischer 
Differentialbegriff  11,  227  f. 


Phosphor  II,  478.  485. 

Photometrie  II,  412  f. 

Phrenologie  III,  575  A. ;   P.  Galls  III, 

171  A. 

Phrygische  Tonleiter  II,  360. 

Physik  I,  515.  647;  II,  4.  10  f.  33.  38. 
73  f.  77  f.  83.  205.  252.  266  f.  309. 
314.  826  f.  334.  838.  847—468.  470. 
482.  488.  490  f.;  III,  9.  20.  55.  68. 
78.  84.  94.  117.  122.  128  A.  147. 
171.  173.  175  f.  179.  182.  184  f.  200. 
209  f.  226.  244  f.  260.  269.  275.  277. 
298  f.  312.  342.  354  f.  379.  395. 
402.  405.  443.  449.  455.  461 A. 
473  f.  481  f.  486.  489  f.  511.  515. 
517.  532.  569  A. ;  physische  Chemie 
II,  470 ;  physische  Causalgesetze  II, 
29;  P.  und  Axiome  I,  559;  experi- 
mentelle und  mathematische  P.  II, 
267;  kosmische  P.  II,  269  f.;  mecha- 
nische P.  II,  278  f. 

Physikotheologie  I,  631. 

Physiokraten  III,  502  f. 

Physiologie  I,  644;  II,  265.  271.  314. 
327.  402.  514  f.  534  f.  544.  556  f. 
583  f.  589  f.;  III,  11  f.  21.  67.  84. 
94  f.    98.    138.    154  f.    160.     171 A. 

172  f.  192  f.  201.  222  f.  244.  249. 
255  f.  269.  292.  399  A.  439  f.  473. 
487  f.  495.  579.  605 ;  physiologische 
und  physikalische  Analyse  der  Wahr- 
nehmungen II,  396  f. ;  physiologisches 
Experiment  II,  523  f. ;  physiologische 
Physik  II,  526—528;  chemische  P. 
II,  524—526.  553  f  ;  physiologische 
und  pathologische  Functionsanalyse 

II,  528 — 588;  physiologische  Erregung 

I,  26;  falsche  Annahmen  der  P.  I, 
88;  physiologische  Psychologie  III, 
280;  physiologischer  Nativismus  I, 
506  f. 

Pietät  III,  538. 

Pilze  II,    532.    585  f.;    Pilzsporen    II, 

576  A. ;  Spaltpilze  II,  532.  585  f. 
Plan  III,  31 ;  P.  und  Zufall  II,  347  f.; 

III,  169  f.  174  f.;  P.  der  Schöpfung 

II,  535. 

Planeten  11,  337;  Planetensystem  I, 
447.  641;  II,  376.  386.  577;  III,  139. 
141;  planetarische  Nebel  II,  511. 

Plastidula  11,  544  A. 

Plethysmographische  Methode  III,  227  f. 

Plurales  Urtheil  bei  Sigwart  I,  181. 

Plutokratie  III,  480  A. 


52 


Sachregister. 


Pneumatiker  II,  581. 

Pnenmatographiscfae  Methode  III,  226. 

Pocken  III,  470  f. 

Poesie  und  bildende  Kunst  III,  220. 
222;  P.  und  Malerei  III,  127;  poesie- 
Tolle  Symbole  III,  538;  poetische 
Literatur  III,  165.  364  f.  411;  Ge- 
schichte der  poetischen  Formen  III, 
72;  Poetik  III,  3.  120  f.  126. 

Polare  II,  176;  Polarinkop  II,  400  f.: 
Polarisation  II,  285.  349  f.  359.  393. 
396.  399  f.  429.  435  f.  560 ;  magne- 
tische Drehung  der  Polarisations- 
ebene II,  349;  Polarisationsinstru- 
mente II,  522  f. 

Politie  m,  393.  400. 

Politik  III,  2  f.  19.  54.  64.  71.  120.  122. 
125  f.  145.  148  f.  298.  392  f.  403  A. 
417  f.  422.  424  f.  431.  434.  439.  442. 
455  f.  460  f.  A.  477  f.  497.  515.  531. 
544.  628  f.;  Wirthschaftapolitik  III, 
503.  529.  531;  P.  bei  Hobbes  II,  107; 
politische  Geschichte  III,  7  f.  38.  59. 
73  f.  92.  96  f.  108.  122.  124  f.  149. 
305.  309.  320  f.  328.879.  888.  523  f. 
526.  537. 

Polizei  III,  459.  462.  478.  564. 

Polygamie  III,  480. 

Polymere  Verbindungen  II,  570.  573. 

Polynesien  III,  43. 

Polyphyletische  Abstammung  II,  565. 

Polytheismus  III,  867. 

Ponderabüität  II,  401  f.  475,  vgl.  Ge- 
wicht,  Schwere  II,  291  f.  829.  406  f. 
453. 

Populationistik  III,  459. 

Positionssystem  II,  136  f. 

Positive  und  negative  Begriffe  I,  137  f. 
564;  p.  und  negative  Werthe  III,  16 : 
p.  und  negative  ürtheile  I,  173  f. 
212  f.  563  f. ;  p.  und  negative  Ge- 
fühle III,  215;  p.  und  negative  Zah- 
len II,  140.  143 ;  Umwandlung  posi- 
tiver ürtheile  in  negative  ürtheile 
I,  228  f.;  p.  und  negative  Elektrici- 
tät  II ,  867 ;  p.  und  negative  Fälle 
III,  188  f.;  positives  Recht  III,  542. 
553. 

Positivismus  I,  408;  U,  345;  III,  149. 
391.  406. 

Postulate  an  das  Denken  1 ,  84  f. ;  II, 
457 f.  462  f.;  P.  der  AllgemeingOltig- 
keit  I,  98  f.;  Axiome  als  P.  I,  561. 
.563;  Axiome  und  P.  III,  512;  Zweck 


als  Postulat  I,  646;  logiache  P.  IH. 
251  f.  357.  544;  ethische  P.  I.  414  f.. 
III,  244.  277  f.  377  f.  402.  404.  424. 
544;  P.  der  Unendlichkeit  II,  151  f.: 
praktische  P.  III,  505. 

Potential  II,  37;  Potentialfunction  bei 
Green  II ,  449  f. ;  P.  bei  Gauss  II. 
449  f. 

Potentielle  Energie  I,  621  f. 

Potenxen  II,  84.  148.  423. 

Potenzirung  II,  97  f.,  155.  247. 

Pr&cipitation  der  Bechtss&ise  III.  583. 

Prädaion  III,  500;  mangelhafte  P.  der 
Sprache  II,  45;  Pr&cisionsmasa  der 
Beobachtung  III,  190  f. 

PrÄdicat  I.  60  f.  82.  122.  156  f.  161  f. 
168  f.;  III,  246;  pr&dicative  Wurzeln 
I,  125;  P-  und  Negation  I,  220.  223. 
272;  Pr&dicatsformen  des  Urtheils 
I,  174  f.  183  f.  878  f.;  prädicative 
Verknüpfung  I,  272  f. 

Prftempirismus  I,  508  f. 

Pr&misse  I,  305;  Stellung  der  P.  1. 
308  f.  337  f.  374.  378  f. ;  negative  F. 
I,  387  f.  895: 

Pr&position  I,  42.  118  f.  145.  149  f. 
208. 

Prärogative  Instanzen  bei  Baco  II,  842. 

Präsensform  in  der  Logik  I,  163  f; 
das  Präsens  hat  allgemeinen  Charak- 
ter I,  185  f. 

PräsUbilirte  Harmonie  1, 479;  III,  251. 

PragmatischeGeschichtsbetrachtunglll 
320  f  ;  p.  Interpretation  III,  347. 

Praktischer  Freiheitsbegriff  I,  80; 
praktische  Forderungen  I,  646  f.;  p. 
Charakter  der  ersten  Naturwissen- 
schaft II,  263;  praktische  Disciplin 
ni,  21;  praktißche  Wichtigkeit  ein- 
zelner Wissenschaften  III,  23;  prak- 
tische Wissenschaft  III,  535;  prak- 
tischeNationalökonomielll.  460. 5291 . : 
praktische  Tendenzen  III,  501.  527; 
praktische  Forderungen  III,  505: 
praktische  Lebensauffassung  III.  276. 
297  f.  428;  Praxis  lU,  297  f. 

Preis  III ,  187.  500.  509.  519.  522  A. 
525;  Preisschwankungen  III,  99. 109  t. 

Priester  III.  533  f.  552;  Priesteraristo- 
kratie III,  480  A. 

Primfactoren  II,  125. 

Primitives  Denken  I,  185.  211. 

Primzahlen  II,  82.  84. 

Principien  III,  25.  142.  180;  P.  alsür 


Sachregister. 


53 


Sachen  I,   584  f.;   kosmologische  P. 
III,  486. 
Priorit&t  des  Organischen  II,  577. 
Prisma  II,  285.  852—855.  857.  860 f. 

398  f. 
Privatdelict  III,  551  f.;  Privatrecht  lü, 
490  f.  551.  560  f.  564  f.  570  f.  585. 
588;  Privatrecht  der  ROmer  III,  4. 
587;  Privatverbande  lü,  492  f.;  Pri- 
vatvertrag III,  492  f. 
Privatwirthschaft  III,  501.  503.  509  f. 

514  f.  528. 
Problem  bei  Euklid  II,   69;   Problem- 
lösung und  Lust  III,  199;  problema- 
tische  ürtheile   I,    224  f.   487;   bei 
Kant  I,  174  f.;  problematische  Be- 
stimmung I,  244.  839.  350.  856  f. 
865  f.  373  f.  381.  489. 
Product  II,  191,  vgl.  Multiplication; 
P.  von  Grossen  I,   271;   prodnctive 
Interpretation  III,  87  f.  90;  prodnc- 
tive Synthese  II ,  8  f. ;  Productions- 
kraft  II,  573;   Gaterproduction  III, 
5.  503.  508  f.  514;  Waarenprodnction 
m,  99.  111. 
Progressus,  unendlicher  P.  II,  461. 
Projidrung  des  Objects  1, 427 ;  III,  162  f. ; 
projectivistische   Geometrie   II,    88. 
175  f.;  Projection  II,  179.  184  f. 
Proletariat  III,  480  A. 
Promiscuim  III,  373  f. 
Pronomina  I,  42.  169.  176  f.;  P.  und 

Verneinung  I,  188. 
Proportion    nnd    Analogie    I,    848  f.; 
mittlere  Proportionale  II,  191,;  mul- 
tiple  Proportionen   der   Chemie  II, 
471  f.  483.  488.  495  f.  506;  Propor- 
tionalität  von  Bewegungs-  und  Krafb- 
Snderung  II,  299  f. ;  Proportionalität 
der    centralen   Sinneserregung    und 
Empfindung  III,  198  f. 
Propyl  II,  508. 
Protisten  II,  566  f. 

Protoplasma  II,  561.  565.  569  f.  578. 
575.    577  f.;    Protoplasmabewegung 
II,  524. 
Protoioen  II,  575.  585.  589. 
Provisorische  Hypothese  I,  458  f.;  II, 

288.  361  f.  372. 
Proxeesrecht  III,  561. 
Prüfung  der  ürtheile  I,  226  f.  241  f.; 

P.  der  Folgerungen  I.  391  f. 
Pseudosphärische  Oberfläche  I,  494  f. 
Psyche,  psychisches  Leben,  Zusammen- 


hang, Einheit  der  inneren  Erlebnisse 

I,  11.  80 f.;  III,  88.  48;  höhere 
psychische  Function en III,  2 1 4 ;  psychi- 
sche Anlage,   Leben  und  Beseelung 

II,  579;  psychische  Kräfte  u.  dergl. 
s.  Geist,  Psychologie. 

Psychiatrie  III,  800. 

Psychologie  II,  2.  68.  882.  895;  lU, 
87.  4L  50.  63.  60  f.  92  f.  101.  122. 
138.  147.  150.  151—808.  874  f.  878. 
883.  447.  457  A.  462.  473.  484. 497  f. 
504  f.  521.  574  f.  598  f.  629  f.  641; 
experimentelle  P.  III,  172  f.,  vgl. 
Experiment;  Individualpsychologie 
und  aUgemeine  P.  III,  19.  21;  In- 
dividualpsychologie III,  19.  21.  89. 
168-231.  292  f.  301  f.  442;  allge- 
meine P.  III,  19.  21.  169;  Völker- 
psychologie m,  21  f.  89.  92  f.  107  f. 
169  f.  214.  219.  281—241.  295  f.  302. 
881  f.  865  f.  371.  374  f.  388.  442  f. 
446.  448.  455.  468.  495.  498.  525. 
611.  629;  Thierpsychologie  I,  649 f.; 

III ,  92.  169.  240  A.  494  f. ;  Kinder- 
psychologie Iir,  240  A. ;  Aufgabe  der 
P.  I,  1.  11.  436.  628;  II,  4;  Ul,  254; 
P.  keine  reine  Geisteswissenschaft 
III,  14. 249 ;  P.  Grundlage  der  Geistes- 
wissenschaften I,  648;  III,  1.  9.  19. 
21.  39.  55.  60.  248.  297.  306.  443; 
psychologische  Analyse  s.  Analyse; 
psychologische  Abstractionen  s.  Ab- 
straction;  psychologische  An.  und 
Abstraction  I,  468  f.;  III,  57—64; 
psycliologische  nicht  psychische  Ana- 
lyse III,  95  f.;  psychologischer  Vor- 
gang der  Begriffsentwicklung  I,  43  f. ; 
psychologischer  Vorgang  beim  Schluss 
I,  67  f.  805  f. ;  psychologische  Grund- 
formen für  Definition,  fortschreitende 
Gedankenentwicklung,  Classification 
und  Beweisführung  I,  77  f. ;  psycho- 
logische Reflexion  fiber  das  Bewusst- 
sein  I,  15  f.;  psychologische  Atom- 
hypothese der  Empfindungen  1, 15  f.; 
psychologische  und  logische  Denk* 
gesetze  I,  90 f.;  psychologische  Vor- 
aussetzungen zu  Urtheilen,  anschau- 
licher Anlass  I,  179.  214;  psycholo- 
gischer Vorgang  beim  Mulüpliciren 
I,  255;  Zeitbewnsstsein  in  der  Er 
Zählung  1 ,  184  f. ;  psychologische 
Hypothesen  I,  537  f. ;  Zustand  der  P. 
I,  611;  psychologischer  Kraftbegriff 


54 


Sachregister. 


1, 625  f. ;  psychologische  Entwicklung 
des  Zweck*  nndCausalbegriffs  1, 642  f. ; 
psychologische  Untersuchung  der  Zeit 
1 ,  484  f. ;  des  Raumes  1 ,  505  f. ;  P. 
und  Axiome  I,  559  f. ;  P.  der  Wahr- 
scheinlichkeit I,  446  f. ;  P.  und  Logik 

I,  324 f.;  P.  und  Philosophie  III.  19 f.; 
P.  und  MeUphysik  III,  248  f. ;  P.  der 
Sprache  III,  455;  allgemeine  psycho- 
logische Erwägungen  III ,  149  f. ; 
materialistische  P.  III,  151  f.  153 
bis  156.  158.  172 f.  193.  242 f.  256 f.; 
intellectualistische  P.  III,  151  f.  156 
bis  164.  167.  262.  292  f.;  volunta- 
ristische  P.  III.  152  f.  164—168.  298; 
Gefühlspsychologie  III.  165 ;  Assoda- 
tionspsychologie  III,  48.  157  f.  164. 
166.  212  f.;  P.  des  Vorstellungs- 
meclianismus  III,  157.  161—164.  166, 
vgl.  Vorstellungen;  deutsche  und 
englische  P.  III,  158  f. ;  populäre  P. 
III,  19  f.;  rationale  P.  I,  532  f.; 
Specialgebiete  der  P.  III,  21;  Cha- 
rakterologie III,  64.  169.  253.  800. 
369  A.  448.  453  f.;  vergleichende  P. 
III,  240  A.;  psychologische  Intei'pre- 
tation  III,  143.  152  A.  237  f.  240  f. 
259.  261.  269.  289  f.  296.  866.  368. 
525;  SeelenvermOgen  (VermOgens- 
psychologie)  III,  47  f.  61.  93.  157  f. 
162.  164.  166.  221.  241.  260.  262. 
299;  Triebe  I,  79.428;  II,  550.  568: 
III,  19.  163.  235.  237  f.  265.  267. 
301.  495.  497  f.  520.  537.  556,  572. 
577  A.  597  f.  604;  Gefühl  und  Wol- 
len III,  17,  vgl.  Gefühl.  Wille,  äusserer 
und  innerer  Sinn  III ,  14  f. ;  psycho- 
logische Entwicklungsgeschichte  des 
Geistes  III,  18;  Unmittelbarkeit  der 
psychologischen  Erfahrung  III,  28; 
psychische  Causalität  II,  29  f.  332; 
III.  57.  142.  177.  vgl.  Causalität; 
Geisteswissenschaft  als  System  der 
Interpretation  der  sogenannten  in- 
neren Wahrnehmung  III,  14;  psycho- 
logische Auffassung  des  historischen 
Geschehens  III ,  2 ;  Organismus  als 
geistige  Schöpfung  II,  580;  geistige 
Schöpfungen  III,  21  f.  23.  30.  95. 
118  f.  140.  213  f.  232  f.  294.  302. 
304  f.  340  f.  381.  390.  546;  Entwick- 
lung als  psychologisches  Problem  II, 
550  f. ;  Empfindungsstärken  verglichen 

II,  412  f.,  vgl.  Empfindungen. 


Psychometrie  III,  458  f. 

Psychophysisches  I,  514:  III.  21.  76  f. 
96  f.  122  f.  138.  145  f.  153  f.  172  f. 
176  f.  192  f.  204. 209.  222  f.  227-231. 
249  f.  270.  278  f.  292  f.  899  A.  407. 
421.  457  A.  459  f.  520  f.  526.  610: 
psychophysische  Causalität  III,  177. 
249  f.  256  f. ;  psychopbysischer  Pa- 
rallelismns  1, 26 f.:  III,  231. 250—259. 
260.  292. 

Publicistische  Methode  III,  493  A.  561. 
563  A.  585. 

Puls  III,  222.  227. 

Punkt  I,  497.  504.  517  f.  526.  544:  U, 
13.  107.  109.  112.  128.  179  f.  185. 
187  f.  196  f.  229.  282.  345.  378.  433. 
440  f.  443.  514  A.;  III,  198.  217; 
arithmetischer  P.  II,  140;  Vegetations- 
punkte II,  546;  Abstraction  des  pfav- 
eikalischen  Eraftpunktes  II,  460. 513; 
identische  Punkte  III,  204;  ausge. 
zeichnete  Punkte  s.  ausgezeichnet: 
punktuelle  Atome  II,  444 f.;  Zeit- 
punkt III,  827.  382  A.;  fester  P.  II, 
466 ;  Punkte  auf  Empfindungsstrecken 
III,  186  f.  191  f.:  Weltkörper  als 
Punkte  II,  377;  Kraftpunkte,  vgl. 
Atomistik. 

Pyrochemie  II,  503. 

Pyrrha  III,  364. 


Q- 


Quadrat  II,  115  f.  167;  Quadratur  des 
Kreises  II,  115;  Quadratzahl  II,  191: 
Quadratriz  II,  178. 

Qualität  I,  15.  29;  bei  Kant  I,  117: 
bei  Aristoteles  I,  118:  significatio 
qualitatis  I.  164;  qualitative  Analyse 
II.  471  f.;  III,  200  f.;  qualitative  und 
quantitative  Analyse  I,  350  f.;  Q.  und 
Quantität 1, 259  f.;  primäre  undsecuo* 
däre  Qualitäten  bei  Locke  1, 403.  428: 
qualitativ  eund  quantitative  Constanz 
der  Materie  II.  383;  qualitative  und 
quantitative  Untersuchung  II,  351  f 
362  f.  371  f.  506  f.;  Abstraction  von 
Qualitätsunterschieden  II,  456:  qua- 
litative Reizversuche  II,  530;  qn^Ji- 
tative  und  quantitativeReproductions- 
methode  III,  210  f.;  Gefühlsqualitftt 
und  Gefühlsgrad  III,  273;  qualitative 
und  quantitative  Aufgaben  des  Vor- 


Sachregister. 


55 


stellangsproblems  III,  207  f.  212  f.; 
Qualitäten  und  Qrade  des  Werths 
III,  16.  278;  qualitative  Einheiten 
•der  inneren  Erfahrung  III,  196  f-; 
Q.  und  Intensit&tsgrade  III,  178  f.; 
Q.  und  Intensität  einfachster  psychi- 
scher Zustände  III,  147 ;  qualitativer 
Charakter  der  psychologischen  Ge- 
setze III,  146. 

Quantität  I,  475  f.;  bei  Kant  I,  117, 
178;  II,  104;  bei  Aristoteles  I.  118; 
Quantificationssymbol  I,  234  f.  292. 
398  f.;  Quantification  der  Begriffe 
I,  285  f. ;  quantitative  Analyse  II, 
471  f.  483;  III,  201 ;  quantitative  Ver- 
bindungsverhältnisse II,  488.  496  f. 
507 ;  Q.  der  Bewegung  II,  304.  306  f. 
387;  quantitative  Functionsverände- 
rong  II ,  529  f. ;  quantitativer  Cha- 
rakter der  Kraft-  und  Energiegesetze 
III,  146,  vgl  sonst  Qualität. 

Quarz  II,  578. 

Quaternäre  Verbindungen  II,  484  f. 

Quaternionen  II,  147  f.  197  f. 

Quecksilber  II,  348;  Quecksilberbaro- 
meter II,  402 

Quellenkritik  III,  74.  117.  122  f. 

Quellung,  thermische  Q.  II,  528. 

Quinärsystem  II,  137. 

Quotient,  vgl.  Division. 


B. 


Badicale,  chemische  R.  II,  485.  494. 

508  f. 
Radicirung  II,  98.  144  f.  155.  247.  258. 
Räderwerk  der  Uhr  II,  414  f. 
Randwinkel  II,  422. 
Rangordnung  der  Merkmale  I,  365. 
Rasse  UI,  327.  382  A.  438.  443.  450. 

477.  496. 
Rationalismus  I,  4.  89.  898  f.  549.  567  f. 

585  f.  608;  DI,  31.  164  f.  293.  556. 

596.   636  f.  642;   causa  und  ratio  I, 

567;  rationale  Psychologie  I,  532  f. 

rationale  Zahl  II,  140. 
Raum  1 ,  476.  480.  490  f. ;  II ,  130  f. 

193.  280  f.  375.  459  f.;  III,  61.  130  f. 

139.  156  f.  178  f.  186  f.  197  f.  204  f. 

211.  218.  387.  472  f.  475  f.;  objec- 

tiver  R.  1,   515  f.;   R.  bei  Hume  I, 

403  f.;  R.  bei  Kant  I,  406;  II,  104 f. 

166;  R.  bei  Locke  I,  428;  räumliche 


Verbindung  I,  868;  Constanz  der 
Raumeigenschaften  III,  183;  Raum- 
erfallung  II,  428  f.;  Raummasse  II, 
403  f.;  R.  bei  Newton  II,  380;  R. 
bei  Descartes  II,  387;  R.  und 
Zeit  als  Fluenten  II,  227  f.;  Raum- 
beziehung 1, 150  f.  206  f.  575;  Raum- 
anschauung I,  485;  III,  247;  Raum- 
gebilde I,  494.  504.  594  f. ;  Definition 
des  Raumes  II,  119;  endlicher  oder 
unendlicher  R.  II,  462  f. ;  Raumsinn 
III,  211;  Raumdimensionen  s.  Dimen- 
sionen. 
Reaction,  Gleichheit  v.  Action  und  R. 

II,  299  f.  324;  chemische  R.  II,  524: 
Reactionsfähigkeit  II,  512;  gesetz- 
massige  R.  III,  175;  Reactions- 
methode  III,  209  f. .  212  f.  224  f.: 
einfache  Reactionszeit  III,  209. 

Reagentien  II.  473  f.  477. 

Realbegriffe  I,  437. 

Realdefinition  II,  41  f. 

Realen  bei  Herbart  I,  474  f.  526.  540. 

Reale  Wissenschaft  I,  436;  III,  13. 

Realismus  I,  400.  594;  absoluter  R.  I, 
626;  mathematischer  R.  II,  100  f. 
126.  225  f.  458  f. 

Realität,  vgl.  Wirklichkeit;  mittelbare 
und  unmittelbare  R.  1 ,  548  f. ;  ob- 
jective  R.  der  Anschauungsformen  I, 
516;  reale  Identität  I,  193  f.;  R.  der 
Erfahrung  I,  542;  II,  283  f.;  R.  all- 
gemeiner Begriffe  1, 400 ;  R.  abstracter 
Ideen  III,  515;  R.  der  Sinnendinge 

III,  258. 
Realorganisationen  III,  477  f.  G08  f. 
Realstotistik  UI,  458.  460.  472  A.  527. 

608  f. 
Recht  III,  39.  288.  293.  297.  378  f. 
445  f.  478  f.  480.  490  f.  524.  526. 
533  f.  598.  611.  629  f.;  Rechtsspre- 
chung II,  66.  78.  80;  Rechtsordnung 
I,  646  f.;  III,  129.  321.  498.  563.  584: 
Rechtsbegriffe  III,  478;  Rechtsan- 
schauungen III.  66.  438.  479.  551  f. 
580 f.;  Rechtswissenschaft  II,  7.  19. 
35.  37.  39.  45;  III.  4  f.  9  f.  12.  14. 
21  f.  31.  33.  37.  298.  306.  314.  426. 
437  f.  445  f.  478.  492.  495.  502.  504. 
533—588.  629.  641;  vergleichende 
Rechtswissenschaft  III,  6.  33;  Rechts- 
geschichte III,  22.  33.  38.  59.  73.  75. 
436.  439.  526;  Rechtsphilosophie  III, 
539  f.   570  f.;  Rechtsstaat  III,  480: 


56 


Sachregister. 


Rechtsgeschäft  III,  575 ;  Rechtsschatz 
UI,  558;  Privatrecht  III,  4.  490  f. 

587.  551.  560  f.  564  f.  570  f.  585. 
588;  öffentUcfaes  R.  III,  478.  537. 
550  f.  560  f.  588 ;  Rechtsnormen  III, 
495.  583  f.  542.  57r>.  577  f. ;  histori- 
sche Rechtsschule  III,  504,  vgl.  histo- 
rische Schale;  juristische  Methode 
der  Staatswissenschaften  III,  481  f. 
490  f.  571;  Staatsrecht  III,  478  f. 
561.  571;  Strafrecht  UI,  479.  561. 
564.  574  A.,  vgl.  Strafe;  Processrecht 
m,  561;  Handelsrecht  III,  561; 
Richteramt  UI,  534  f.  548  f. ;  R.  und 
Pflichten  III ,  546  f. ;  rOmisches  R. 
III,   4.  536  f.  562  f.  567.  673.  585. 

588.  591  A. 

Reciprocität  im  Dedmalsystem  II,  138  f. 
Reconstruction  II,  55.  58  f. 
Redekunst  III,  2  f.  126.  310.  317.  375. 

Reduction  II,  475.  480.  567.  579;  R. 
auf  Schwere  II ,  407  f. ;  logische  R. 
der  Kategorie,  vgl.  Verschiebung. 

Reflexion  I,  508;  II,  436;  III,  15.  27. 
157  f.  164.  175.  246.  301;  R.  des 
Lichtes  II,  312;  der  Elektricit&t  II, 
350;  des  Schalles  II;,  365  f.  400;  R. 
von  Licht  und  Wftrme  II,  349.  365 f.; 
Reflezmechanismen  II,  548;  ps.  R.  I, 
539;  III.  385. 

Reformation  III,  124.  399  A.  409. 

Reformen,  sociale  R.  III,  45. 

Regel  und  Specialfall  I,  310;  Regeln 
III,  133.  140.  145.  148.  357.  449.  480. 
508  A.  517;  Conventionelle  R.  III, 
120  f.;  Regel  de  tri  I.  349  f.;  II,  158; 
R.  der  Einfachheit  I,  647;  Entwick- 
lung allgemeiner  Regeln  I,  362.  372; 
abstracto  R.  und  Gesetze  II ,  13  f. ; 
R.  der  Kritik  der  Meinungen  III, 
128  f.;  regelmässige  Beziehung  II, 
361;  III,  134  f.  141.  472.  475.  501. 
524;  r.  B.*  der  Aufeinanderfolge  III, 
159;  bei  Hume  I,  590;  Regelmässig- 
keit II,  377.  543  f.;  III,  133  f.  189  f. 
159.  389.  394.  473.  617. 

Regeneration  II,  524  f.  572  f. 

Regenmenge  II,  419. 

Registrirung,  astronomische  R.  III,  208 ; 
physiologische  R.  III,  222  f.  227  f. 

Regressive  Gausalerklärung  III,  280  f. 

Regulär  III,  507  f.  A.,  vgl.  Regel. 

Reibung  II,  366  f.  414  f.;  reibungslos 
bewegliche  iilüssigkeit  II,  440. 


Reichthum  III,  501. 

Reifung  II,  544.  572.  574  f. 

Reihe,  arithmetische  R.  II,  120:  wech- 
selnde Reihenfolge  II,  217:  Reihen- 
folge s.  Stellung;  Reihenentwicklung 
II,  125;  Reihenbildung  bei  Herbsrt 

I,  510  f.;  III,  168;  reihenweise  Ver- 
gleichung  III,  218. 

Reindarstellung  edler  Metalle  II,  473. 

Reinigung  des  Organischen  II,  577. 

Reiz  m,  209.  230.  284.  379;  R.  und 
Empfindung  IH,  173.  181  f.;  Reiz- 
zuwachs III,  192  f. ;  Reizschwelle  und 
Reizhöhe  III,  458;  qualitative  Reiz- 
versuche ü,  530;  ReizungserKbei- 
nungen  II,  543  f.  557.  571  f. 

Reizbarkeit  II,  583;   R.  der  Pflanzen 

II,  544. 

Relationen  IH,  408.  410  f.  435.  616  f. 
620  f.,  vgl.  Beziehungen ;  Relations- 
princip  1,  122.  127  f.  817  f.  572  f.; 
Relationsprincip  bei  Kant  I,  174  f.: 
Relationsform  der  ürtheile  I,  174  f. 
182  f.  198  f.;  Relationsform  uud 
Verneinung  I,  217;  R.  und  Schluss 
I,  318  f. 

Relativität,  Gesetz  der  R.  bei  A.  Bain 

III ,  161  A. ;  R.  der  Bewegung  I, 
581,  619;  U,  324;  R.  der  Atome  II, 
444;  R.  der  Energiegesetze  II,  468; 
relativer  Reizzuwachs  III ,  192  f. ; 
relative  und  absolute  Vergleichuog 
III,  196;  relative  Beharrlichkeit  III, 
249. 

Relativpronomina  I,  169. 

ReUgion  I,  407.  417.  419  f.  488.  553  f. 

634;  II.  436;  III,  31,  97  f.  124. 150. 

164.  282.  293.   304.   829.  835.  361. 

366  f.   377.   408  A.   410.  415.  418. 

423  A.  429  f.  A.  484.  448.  454.  533. 

544  f.    594.    598.    611;     Religions- 

Statistik    III,    462,    vgl.    Gottheit, 

Monotheismus  u.  s.  w. 
Renaissance  UI,  5  f.  828.  893  A.  410  f. 

417. 
Repräsentation  s.  Stellvertretung. 
Reproductionskraft  II,  638;  Reproduc- 

tion  der  Vorstellungen  III,  164.  168: 

Reproductionsmethode  III,  210;  re* 

productive  Synthese  II,  8. 
Repulsivkraft  I,  616  f.;  II,  434.  499. 
Resistenz  s.  Widerstand. 
Resonatoren  II,  357.  401. 
Respiration  s.  Athmung. 


Sachregiitor. 


57 


Rest  bei  Eneigienmirandlaiig  II,  4oo  f. 

Reraltante  III»  269.  274.  408  f.  482  f. 
616  f 

BeTolaiion  IH.  571;  fnuuUtaiache  R. 
III,  124.  323.  327  f.  A. 

Rhetorik  III.  2  f.  126.  310.  317.  875. 

Rheumatismos  II,  586. 

RhythmuB  I,  35  f.  489  f.  519;  III,  202. 
205.  218.  268.  487. 

Richteramt  ID.  534  f.  543  f. 

Richtige  und  falsche  Fälle  III,  189. 

RichtDDg  I,  150  f.  478;  R.  des  Be 
wuastseins  I,  30.  80  f.;  R.  beim 
Schliessen  I,  330  f. ;  RichtiuagRgegen- 
satz  I,  139;  Richtaogsftndenuig  II, 
234  f.  251  f.;  R.  der  Zeit  I,  486  f. 
504  f.  513.  518  f.;  RichtoDgen  des 
Baumes  s.  Dimension;  R.  des  elek- 
trischen Stromes  II,  370;  R.  des 
Zihlens  II,  140:  Richtungsverschie- 
denheit  der  Zahlen  II,  145  f. 

Ringsjrstem  des  Satnm  II,  337. 

Ritteraristokratie  III.  480  A. 

Rom  III,  534  A.;  römisches  Reich  III, 
414;  römisches  Recht  III,  4.  536  f. 
562  f.  567.  573.  585.  588.  591  A. 

Roman  III,  169.  375. 

Romantik  III,  417. 

Rotation  I,  580  A.  622.  624;  II.  178. 
310.  321  f.  337.  354.  390.  423  f. 

Rubidium  II,  508.  510. 

Rudimentäre  Organe  II,  566. 

Rückenmark  II,  529.  531. 

Rückläufigkeit  s.  Umkehrung. 

Rückschritt  III,  392. 

Rückständige  Piiychologie  III,  19  f. 

Ruhe  II,  228  f.  299.  307.  408.  505.  527. 


S. 


Sacrales  und  weltliches  Recht  III,  533  f. 

Säugethier  bei  Guvier  II,  56. 

Säule,  Yolta^sche  S.  II,  368. 

Säure  und  Basis  II,  483  f.  503. 

Saft  der  Zellen  II,  520;  Ernährougs- 
Säfte  II,  587;  Gardinalsäfte  II,  582; 
Saftströmun^  II,  529. 

Sage  III,  59.  103  f.  335  f.  348.  361. 
370.  449  f. 

Saiten  (Schwingungsknoten)  11,  349; 
Saitenlängen  der  phrygischen  Ton- 
leiter II,  360 

Salpetersäure  II,  477. 


SaU  II,  503. 

Samenstanb  II.  549. 

Sammlung  von  Beobachtungen  III.  78. 
184  f.  310.  385.  465.  483  A.;  S.  über- 
einstimmender Erscheinungen  11,839. 
341.  364  f.  A. ;  III,  315. 

Sanduhr  II,  414. 

Sanskrit  I,  151  f.  185. 

Saturn  II.  337. 

Satzung  III.  540;  S.  oder  natürliche 
Entstehung  III,  3. 

Sauerstoff  II,  475.  477  f.  484  f.  488. 
496  f.  553.  569;  III,  269. 

Schädlichkeit  11,  573;  S.  und  Heil- 
samkeit II,  531. 

Schätzung  II.  394  f.  401  f.  414;  III, 
205.  465  f. 

SchaU  I,  409.  515;  II,  347  f.  365  f. 
373  f.  392.  394.  400  f.  412  f.  422. 
429.  439.  442.  448  f;  III,  67.  183. 
211. 268;  Schallreflezion  und  -leitung 
II,  400. 

Scharfsinn,  analytischer  S.  und  Beob- 
achtungstalent II,  356. 

Schatten  II,  414;  farbig  umsäumte  S. 
II,  348;  Schattenprojection  II,  54. 
184  f. 

Schauspieler  III,  63. 

Scheidemittel  II,  474. 

Schein  und  Wesen  1 ,  89.  462  f.  475 : 
S.  und  Wirklichkeit  1 ,  425  f.  528 ; 
S.  bei  Schopenhauer  I,  655;  sinn- 
licher S.  II,  273  f.  286. 

Schematisirung  III,  212.  221.  327.  382. 
426.  431.  480.  484.  487.  521.  52r). 
541.  574  f.  A. 

Scheukang  III,  578. 

Schichtungen  epithelialer  Gewebe  II, 
546. 

Schicksale  der  Völker  III.  46. 

Schiedsrichterthum  III,  562.  567. 

Schiefe  Lage  II,  187. 

Schilderung  III,  220  f. 

Schlaf  II,  544.  571. 

Schlecht  in.  126. 

Schleim  II,  581. 

Schluss  I.  226;  einfacher  S.  I,  76; 
Kettenschluss  I,  71  f.  76;  S.  und 
Urtheil  I,  86;  III,  155.  207;  unbe- 
wusster  S.  I,  88;  apodiktischer  Cha- 
rakter 1 ,  225  f. ;  Structur  1 ,  306  f. : 
Grundgesetz  für  den  S.  I,  314  f. 
372  f. ;  Werth  I,  319  f. ;  Schlusskette 
I,  327.  362.  374  f. ;  einfache  Schluss- 


58 


Sachregister. 


formen  I,  327 f.;  ps.  Vorgang  beim  8. 

I,  69  f.    76  f.;    Entwicklung    des 
Schliessens  I,  303  f. 

Schmelzwärme  II,  501.  512. 
Schmuck  und  Zuchtwahl  II,  550. 
Schmerz  II,  530;  III,  199.  215. 
Schnitt,  goldener  S.  II,  71  f. 
Schnittpunkte,  gesuchte  S.  für  Curven 

II,  159  f. 

Schönheit  III,  16.  118  f.  126.  282,  s. 
Aesthetik. 

Schöpfung  I,  641.  647;  II,  463.  535. 
551  f.;  geistige  S.  II,  580;  IH,  21  f. 
.30.  95.  118  f.  140.  213  f.  232.  294. 
302.  304  f.  340  f.  381.  546;  will- 
kürliche S.  III,  49;  Yielgestaltigkeit 
der  geistigen  Schöpfungen  III,  57; 
schöpferische  Synthese  III,  267—281. 
296.  408.  412.  598.  617;  Phantasie- 
schöpfung III,  390;  Absichten  des 
Schöpfers  III,  130  f.  429  A.;  alt- 
babylonische Schöpfungssage  III, 
105  A. 

Scholastik  I,  111.  116.  164  f.  172  f. 
212  f.  227.  237  f.  305.  332  f.  400. 
405.  600  f.;   III,  5.  35  A.  128.  299. 

Schraube,  Mikrometerschraube  II,  404. 

Schrift  II,  492;  III,  311  f.;  Schrift- 
zeichen I,  21.  45.  .58  f.  74;  Gestalt 
der  Schriftzüge  III,  66.  128;  Schrift- 
centren III.  229. 

Schullogik  8.  Scholastik. 

Schutzpockenimpfung  II,  586 ;  III,  470  f. 

Schutzzoll  III,  472  A. 

Schwankungen  III,  475.  528;  S.  bei 
der  Beobachtung  II,  28.  415.  418  f.: 

III,  184. 

Schwedische  Fockenstatistik  III,   470. 

Schwefel  II,  487  f. 

Schweiz  III,  149. 

Schwelle,  Unterschiedsschwelle  III,  186. 
191  f.;  S.  der  Gefühle  III.  217;  S. 
des  BewusRtseins  III,  283. 

Schwere  I,  409.  535.  610.  634;  II,  29  f. 
78.  255.  264.  268.  291  f.  336.  340. 
373  f.  375  f.  387.  401.  406  f.  424  f. 
430.  434.  437.  441  f.  448.  465.  482  f. 
530.  547.  583;  III,  11.  48;  8.  und 
Wachsthum  II,  530.  547 ;  S.  und  Ge- 
wicht n,  406  f.:  Schwerpunkt  II, 
196  f.  291  f.  306—308.  310.  390  f. 
465. 

Schwierigkeit  III,  510. 

Schwingungen  II ,  402  f.  410 ;   Saiten- 


und  Schwingungsknoten  II,  349: 
Schwingungsgesetze  II,  366;  Schall- 
schwingungen II,  392.  394;  Trans- 
versalschwingungen II,  393;  Schwin- 
gungsrichtungen II,  399;  Schwin- 
gungsverhältnisse m,  156;  Longi- 
tudinalwellen  II,  435  f. 

Sechseck,  vollständiges  II,  190. 

Secularveränderungen  11,  886. 

Secundäre  Gegenstandsbegriffe  I,  146: 
secundäre  Gliederung  I,  158. 

Secunde  U,  405  (Zeiteinheit)  II,  407. 
422  f. 

Seele  I.  471.  551;  II,  533;  DI,  241 
bis  250.  292  f.  596;  Leib  und  8. 
I,  540;  III.  12.  21.  173.  181.  230. 
249  f.,  vgl.  P«yche,  Psychologie, 
Geist  etc. ;  S.  bei  Herbart  I,  510  f. : 
III,  243  f.;  körperliche  S.  I,  538; 
III,  151;  Seelen  vermögen  III,  47  f. 
61.  93.  157  f.  162.  164.  166.  221. 
241.  260.  262.  299;  Wesen  der  S. 
III,  152  A. 

Sehen  I,  506  f.;  III,  203  f.;  stereosko- 
pisches S.  I,  516:  III.  203  f.;  Seh- 
centren III.  155.  228;  WetUtreit  der 
Sehfelder  ni,  204;  vgl.  Optik  etc. 

Sehr  I,  146. 

Sein  I,  162  f.  462  f.;  ÜI,  301.  687: 
S.  und  Denken  I.  3  f.  87  f.;  das 
Seiende(ens)  I,  117;  S.  bei  den 
Eleaten  I,  584;  Seinsgrund  I,  570: 
inneres  S.  III,  246;  S.  und  Sollen 
III,  515. 

Selbständigkeit  (räumlich)  I.  465  f. 
467  f.  521. 

Selbstbekenntniss  III,  169. 

Selbstbeobachtung  III.  29.  169  f.  175. 
199.  212  f.  215  f.  222.  226  f.  264. 
266.  300  f. 

Selbstbestimmung  I,  553. 

Selbstbewusstsein  I.  159  f.  467  f. ;  HI. 
246. 

Selbstentäusserung  des  Historikers  III, 
32  f. 

Selbsterlöschen  II,  295. 

Selbstinteresse  s.  Egoismus. 

Selbstlosigkeit  DI.  428. 

Selbstmord  III,  459. 

Selbstorganisation  III,  491  f.  500 A. 
.529.  603  f. 

Selbstregulirung  II.  554  f.  580.  582. 
590.  610;  S.  der  Interessen  III,  504. 
516.  563.  597.  610. 


Sachregister. 


59 


Selbflttäuechungen  III,  170. 
Selbstthätigkeit  s.  Spontaneit&t. 
Selbstverständliclikeit    III,    178,    vgl. 

Evidenz. 
Selbstzersetzong  II,  569. 
Seltenheit  III.  510  f.  519  f. 
Semiten  III,  105  A.  533  A. ;  semitische 

Sprachen  I,  184  f. 
Senkrechte  III,  202. 
Sensible  Leitung  III,  224;  Sensibilität 

II,  514.  538. 

Sensorielle  Reaction  III,  225  A. 
Sentimentalität  III,  165. 
Sexagesimalsystem  II,  137. 
Sezoalzellen  II,  541.  543.  572;  sexuelle 

Verbindung  II,  565.  573  f. ;  sexuelle 

Fortpflanzung  II,  572  f. 
Sicherheit  III,  184;  unfehlbare  S.  der 

Naturgesetze    III,    159;    sociale   S. 

III,  537.  552;  Grade  der  S.  I,  174  f. 
224  f. 

Siedepunkt  II,  494.  501.  512. 

Silberwährung  III,  111. 

Silidum  II,  510. 

Simultane  Association  III,  213:  s.  Ver- 
bindung III,  206. 

Singulärer  Charakter  II,  6;  III,  52  f. 
67.  73.  89.  123  f.  168  f.  237.  299  f. 
308  f.  337  f.  340.  346.  354.  360.  365. 
616.  622.  626;  s.  Zusammenhang 
III,  135  f.  524;  singulare  und  gene- 
relle Erscheinungen  UI,  138;  singu- 
lare Thatsachen  II,  132;  III,  396. 
507  f.  A.  514;  singulare  Ereignisse 
und  generelle  Bedingungen  III,  142  f. ; 
Elimination  singulärer  Einflüsse  III, 
143  f. 

Sinn,  äusserer  und  innerer  S.  I,  549; 
III.  14. 

Sinnenfälligkeit  I,  186. 

Sinnesorgane  III,  153  f.  227. 

Sinnestäuschung  I,  424  f. 

Sinneswahmehmung  I,  29.  1-59  f.  423  f.; 
II,  334.  394;  III.  13  f.  29.  138.  153  f. 
201.  205.  214.  227.  229.  255.  259. 
262.  271 ;  Sinnesempfindung,  Sinnes- 
reiz U.S.W.  S.Empfindung.  Reiz  u.  s.w. 

Sinnlichkeit  und  intellectuelle  Leistun- 
gen III,  151. 

Sippe  III,  552. 

Sitte  III,  3.  6.  21.  35  f.  39.  43.  60. 
103  f.  238.  296  f.  301  f.  309.  835. 
343.  869—376.  384.  434.  4.S8.  448  f. 
454.  484.  505.  524.  526.  533  f.  539  f. 


546.  556.  584.  595.  598  f.  610.  629  f.; 
Geschichte  der  S.  III,  72  f.  307.  629 : 
Sittlichkeit  III,  31.  164.  629  f.,  vgl. 
Ethik. 

Skelet  II,  519  f. 

Skepsis  I,  899  f.  423.  549.  634;  II, 
846;  III,  642;  skeptischer  Empiris- 
mus lU,  53;  S.  und  Schluss  I,  319  f.: 
antike  S.  I.  584. 

Socialismus  III,  520;  socialer  Atomis- 
mus III,  487.  491  f. 

Sociologie  III,  9.  12.  23.  53.  71.  100. 
136.  299.  324  f.  333.  436—447.  456. 
481  f.  494  f.  589-630. 

Solidarpathologie  II,  581.  583  f. 

Sollen  III,  515.  578  f.  626  f. 

Sommer  und  Verbrechen  III,  146  f. 

Sonne  III,  364;  Sonnensystem  I,  447. 
641.  644  f. ;  II,  286.  288.  442.  463  f. 
555;  Eigenbewegung  des  Sonnen- 
systems II,  81;  Sonnenspectrum  s. 
Spectrum;  Sonnenuhr  II,  395.  414; 
Sonnenlicht  s.  Licht ;  Sonnenstrahlen 
II,  285.  353  f.  360,  vgL  Astrono- 
mie. 

Sophisten  III,  2.  4.  418.  492.  553  A. 

Spaltung  II,  525.  570  f.  588;  Spalt- 
pilze II,  532.  585  f. 

Spannkraft  (potentielle  Energie,  E.  der 
Lage)  II,  453  f.,  vgl.  Energie. 

Spannung  II,  545  f.  561  A.;  III,  133. 
163;  elektrische  S.  II,  583;  ge- 
spannte Feder  II,  453;  Spannungs- 
empfindungen III,  222. 

Sparen  der  Kräfte  IT,  311  f. 

Sparta  III,  534  f.  A. 

Specialisirung ,  vgl.  Exemplificirung ; 
specielle  Gausalgesetze  II,  28  f. 

Species  II,  564  f. ;  logische  S.  I,  251. 

Specification  II,  18  f.  843. 

Specifische  Qualität  III,  197;  s.  Em- 
pfindung III,  198. 

Speculation  III,  161  f.  301.  384;  S. 
und  Erfahrung  I,  410  f.;  II,  274  f. 
386.  388;  III,  515. 

Speichel  II,  536. 

Spektra  chemischer  Elemente  II,  511; 
Spektrum  II,  341.  355.  357  f.  860. 
398  f. ;  Spektralanalyse  II,  511 ;  Spek- 
troskop II.  396.  398  f.  511. 

Spermatozoen  II,  898.  541. 

Spermazelle  II,  562.  572. 

Sphäre  III,  327.  382  A.;  sphärische 
Oberfläche  I,  494;  IT,  417. 


60 


Sachreg^ter. 


Sphygmographische  Methode  III,  227, 
vgl.  Puls. 

Spiel  Glacks-  und  Zufallsspiel  III,  77 ; 
Spielraum  der  Schwankungen  III, 
79;  Spielarten  III,  443. 

Spiraltheone  II,  56;  Spirale  II,  178. 
181;  III,  183. 

Spiritualismus  III,  53.  249. 

Spongiöse  Substanz  II,  547. 

Spontaneität  I,  12  f.  78  f.;  S.  des 
Denkens  I,  627  f.;  spontane  Be- 
•wegung  II,  559. 

Sporadischer  Lautwandel  III,  141. 

Sporn  und  Kamm  des  Hahnes  II,  550. 

Sprache  III,  21.  35  f.  89.  60.  66.  138. 
140.  214.  282  f.  236  f.  289.  298. 
295  f.  302.  804.  809.  335.  348  f. 
353—361.  361  f.  365  f.  369  f.  375. 
383  f.  448  f.  451.  454  f.  473.  484. 
505.  524.  533  f.  538.  540  f.  546. 
556.  595.  598  f.  609  f. ;  Volksetymo- 
logie I,  20;  Sprachbewegungen  I,  21 ; 
Agglutination  I,  36  f. ;  Flexion  I,  88. 
42.  57.  147;  Bedeutungswandel  I, 
39  f.  74.  112;  II,  17;  III,  137.  354. 
360  f.  864  f.  370 ;  Laut-  und  Bedeu- 
tungswandel III,  137  f.  309.  384; 
Lautform  und  Bedeutungsinhalt  des 
Wortes  III ,  71  f. ;  Wortstellung  I, 
42;  Synonyma  I,  45.  131.  195;  Syn- 
tax I,  60  f.;  m,  97.  141.  854  f.  358 f.; 
Verschlingung  I,  64;  Conjunctionen 
und  Association  I,  66 ;  Conjunctionen 
und  Gedankenkette  I,  72;  S.  und 
Begriffsbildung  I,  49  f.  74  f. ;  S.  und 
Urtheil  I,  55  f.  91 ;  Sprachlaut  und 
Schriftbild  I,  21.  45.  52  f.  74;  zu- 
fällige Abweichungen  der  S.  I,  81 ; 
Grammatik  I,  92.  118  f.  144  f.;  III, 

4.  117.  309  f.  312.  814.  357.  440; 
Worte  als  Hülfsmittel  des  Denkens 
I,  98  f. ;  Eigennamen  I,  101 ;  Oeko- 
nomie  der  S.  I,  101.  104;  logische 
unterschiede  unter  übereinstimmen- 
der Bezeichnung  I,  109.  112;  Par- 
tikel I,  118  f.  150  f.;  Wurzeln  I,  125; 

5.  und  logische  Kategorien  I,  118  f.: 
relative  Stabilität  der  Verbaltheorie 
I,  178;  Worte  I,  246;  Verneinung  I, 
137  f.  142  f.  173  f.  212  f.  251.  267  f. 
281  f.  340  f.;  sprachliche  Besonder- 
heiten I,  148  f.;  S.  und  Determina- 
tion I,  144  f.  206  f.;  Neutrum  I. 
176  f.;    Zeitbestimmung   des  Prädi- 


cats  I,  184  f. ;  AUgemeinheit  I,  197 : 
Benennung  und  Merkmal  II,  16  f.: 
Worterklärung   II,   41  f.;    mangel- 

.  hafte  Präcision  der  S.  II,  45;  glfick- 
lieber  Instinct  in  der  S.  II,  516; 
Entstehung  der  S.  III.  3:  Sprach- 
geschichte III,  7.  59.  69  f.  90.  95  f. 
307.  309.  364;  Phüologie  UI,  4  f. 
14.  21.  23.  31.  66.  68.  74.  84.  86  f. 
100.  115  f.  137—148.  237  f.  240  f. 
298.  803—318.  338  f.  336  f.  449. 
642 ;  vergleichende  Sprachwissen- 
schaft III,  92.  95.  104;  Laut-  und 
Begiiffsgeschichte  III,  72;  S.  und 
Seelenleben  III,  272;  Sprachcentren 
III,  229;  dialektische  Färbung  IH, 
309;  tropischer  Wort^ebrauch  III, 
309;  Lautassociation  III,  97;  Laut-, 
Bedeutungs-  und  Formvergleicbung 
III,  95  f.;  Bedeutungsentwicklung 
III,  90;  metaphorische  Ausdrftcke 
III,  107;  Lautgesetze  lU,  140  f.  145. 
148  f.;  Lautiehre  UI,  354  f.;  Laat- 
veränderungen  III,  354;  Lautbilder 
und  Lautbewegungen  III,  155;  Laut- 
wandel III.  145.  148  f.  354;  Laut- 
wandel und  Lautverschiebung  III, 
145;  sporadischer  Lautwandel  III, 
141 ;  Lautverschiebung  III,  132. 188  f. 
145.  148  f.;  Lantgeschichte  III,  72. 
96  f.;  Etymologie  III,  4.  59.  148  f. 
359.  362  f. ;  Aufbau  der  Wortformen 
III,  141;  Namengebung  der  Gefühle 
III,  220  f. ;  S.  und  Schriftweise  zur 
Quellenkntik  III,  123;  Acoent  IIL 
149;  stammverwandte  Sprachen  III, 
148  f.  862 ;  semitische  Sprachen  I, 
184  f.;  indogermanisch  I,  152;  III, 
104  f.  138  f.  146. 857  f.  362  f.  369  f.  395 ; 
Latein  und  Altindisch  I,  35 ;  ROmisch 
und  Romanisch  I,  42;  lateinischer 
Genitiv  I,  144  f.  147  f.;  Locativ  I, 
152;  Accnsativ  I,  149;  neuere  Spra- 
chen I,  184  f.;  Linguistik  III,  358 
bis  361;  Hfllfszeitwort  I,  42.  145  f.; 
hinweisendes  Fürwort  I,  177  f. ;  Lite- 
ratur III ,  3  f.  86.  821.  328.  348. 
364  f.  367.  375.  403  A.  410  f.  588. 
595,  vgL  Logik,  Psychologie. 

Sprichwörter  III,  375. 

Spruchweisheit  III,  1. 

Sprungweiser  Uebergang  III,  472  f. 

Staat  III.  3  f.  24.  26.  66.  288.  293. 
297.  383.  390  f.  424.  435.  437.  448. 


Sachregister. 


61 


477  f.  482.  484  f.  490  f.  500  A.  508  A. 

514.  537.  540  f.  543  f.  568  f.  589  f. 

602  f. ;  Stadtestaat,  VolksBtaat  IIIp  4 ; 

Thierstaat  III,   494  f.;    Staatslehre 

III,  2  f.  7.  24.  487.  440.  488.  491  f. 

502.  506;  PoUtik  III,  2  f.  19.  54.  64. 

71.  120.  122.  125  f.  145.  148  f.  298. 

392  f.  408  A.  417  f.  422.  424  f.  431. 

434.  439.  442.  455  f.  460  f.  A.  477  f. 

497.  515.  531.  544.   628;   Staatswis- 

senschaft  III,  5.  9.  306.  438  A.  442. 

445  f.  456.  460.  477—499,  504.  527. 

529  f.;   StaaUrecht  III,  478  f.  561. 

571;     Staatswirthschaft    III,    478; 

Staatsphilosophie  III,  485. 
Stab,  schwingender  S.  II,  415. 
Stabilität  bei  Laplace  I,  644  f.;   Sta- 

bilitätsprincip  II,  464.  552  A.  557  f. 

569. 
Stadien  bei  Comte  III,  149  f. 
Stadtwirthschaft  III ,  394.  400  f.  406. 

525. 
Städtearistokratie  III,  480  A. 
Städtestaat  III,  4. 
Stärke  (Intensität)  der  Empfindung  III, 

178  f.  183.  217. 
Stahl  and  Elektricität  II,  367. 
Stamm,  Stammesgemeinschaft  II,  574 ; 

III,  233  f.  444.  477.  496.  552  f.  589  f. ; 

stammverwandte  Sprachen  III,  148  f. 

362. 
Starambeg^iffe  bei  Kant  I,  406. 
Stand,  Stände  III,  496. 
Standpunkt  und  Object  III,  286  f. 
Starrer  Körper  I,  581  A.;  II,  282.  293. 

325.  391.  436.  439  f.;  III,  61.  512. 
Starrkrämpfe  II,  531. 
Statik  II,  261.  ^68  f.  291  f.  315  f.  828. 

389  f.  403.  407.  434.  444 ;  III,  441  f. 

569  A. ;  statisch-elektrische  Induction 

II,  366.  872  f. ;  chemische  S.  II,  469  f. 

489  f.  493  f.  495—501 ;  8.  und  Mechanik 

der  Vorstellungen  III,  161 ;  statische 

Momente  I,  624. 
Statistik  I,  445;  II,  29  f.  54.  341;  III, 

.5,  38.  76—81.  89  f.  98  f.  109  f.  136. 

143  f.   148.   184  f.   212.   219  A.  830. 

350  f.  444  A.  450.  456  f.  483  A.  506. 

522  f.  608  f. 
Status    nascendi    (Chemie)     II,    478. 

480. 
Steigerung   der  Function   11,  530;   S. 

durch  Contrast  III,  282  f.;    Steige- 
rungsformen I,  146. 


Stellung  der  Prämisse  I,  308  f.  337  f.; 
S.  des  Mittelbegriffs  I,  371  f.;  S.  der 
Sätze  I,  184;  S.  der  Verneinung  I, 
219  f.  222  f. ;  S.  der  Attribute  I,  255; 
8.  bei  der  Summe  I,  265;  S.  im 
Identitätsurtheil  I,  200  f. ;  S.  im  Ab- 
hängigkeitsurtheil  I.  205  f. 

Stellvertretende  Vorstellungen  11,5 14  A. ; 
Stellvertretung  II,  572;  Stellvertre- 
tung der  herrschenden  Vorstellung 
im  Begriff  I,  33  f.  46  f.  111  f. 

Stengel,  durchschnittener  S.  II,  529. 

Sterbefälle,  Statistik  der  S.  III,  5. 

Stereometrie  II,  513. 

Stereoskop  III,  203  f. 

Stemdurchgang  III,  208;  Stemzeit  II, 
415;  Sternkunde  s.  Astronomie. 

Stetigkeit  I,  465  f.  486.  504  f.  513.  522. 
526.  539.  617;  II,  91.  142  f.  200  f. 
432.  458;  III,  75.  179  f.  201.  246. 
265.  361.  472  f.;  S.  bei  Leibniz  II, 
232  f. ;  stetig  veränderliche  Function 
n,  224  f. 

Stickstoff  II,  488.  511  f. 

Stiftung  III,  568.  614  A. 

Stilformen  III,  417. 

Stillstand  II,  564.  572  f. 

Stöchiometrie  II,  472.  491  f.  506. 

Störungen  H,  574.  582.  584.  589 f.;  III, 
228  f.  243  f.  277.  579;  anatomische 
S.  II,  532;  astroDomischeS.il,  551: 
S.  der  Realen  l,  526;  Ausgleichung 
der  S.  II,  548.  582.  584.  589  f. 

Stoiker  II,  534;  III,  4. 

Stoff  I,  480  f.  525.  527 ;  II,  275  f.  468  f. ; 
S.  bei  Aristoteles  I,  633;  chemische 
Stoffbewegung  II,  469;  Stofftheorie 
der  Vererbung  II,  542  f. ;  Kreislauf  der 
Stoffe  II,  554;  Stoffwechsel  II,  364  A. 
520.  530.  555.  562.  567  f.  572.  586; 
SUtik  des  Stoffwechsels  II,  554.  556. 

Stoss  I,  616;  II,  273.  276.  279.  289. 
294  f.  305  f.  312.  431  f.  434  f.  440. 
442.  448.  452.  458.  533;  III,  512. 

Strafe  ül,  551  f.  555.  575  f.;  Straf- 
delict  III,  551  f.;  Strafgesetz  III, 
462.  466.  578  f. ;  Strafrecht  III,  479. 
561.  664.  574  A. 

StrahlenbüBchel  II,  177.  185  f. 

Strahlende  Energie  bei  Ostwald  II, 
410  A. 

Strahlung,  intramoleculare  S.  II,  392: 
Wärmestrahlung  II,  465. 

Strategie  III,  125. 


l 


62 


Sachregister. 


Streben  III,  167.  262.  265;  S.  bei  Leib- 
niz  I,  408.  526  f.;  8.  bei  Herbart 
III,  163  f.;  S.  und  Widerstreben  III. 
282. 

Strecke,  zurückgelegte  und  zurückzu- 
legende S.  I,  150  f.  206  f.;  zeitiich- 
räumlicbe  S.  III,  179 ;  Einpfindungs- 
strecke  III,  184.  186  f. 

Sti-eit  III,  496;  S.  der  Meinungen  III, 
128. 

Structurchemie  II,  486  f.  494.  512  f.; 
mechanische  Structurformen  11,  547; 
Structur-  u.  Wachsthumsyerh&ltnisse 

II,  567. 
Strychnin  II,  531. 

Stufenfolge  der  Gewissheit  I,  403  f. ; 
S.  dunkler  und  klarer  Vorstellungen 

III,  48,  vgl.  Abstufung. 
Sturm  und  Drang  III,  417. 
Subaltemation  I,  238  f. 
Subconträres  Verhältniss  I,  288  f. 
Subject —  Object  1, 583 ;  Subjectivität  u. 

Objecte  I,  79  f.  428  f.  552;  II,  283 f.; 

III,  254  f.  268;  S.  III,  245  f.  258. 263  f. ; 

grammatikalisches  S.  I,  60  f.  82.  122. 

125.  156  f.  161  f.  167  f.  258;  III,  246; 

unbestimmtes  S.  I,  273;  Subjectivis- 

mus  I,  482;  Subjectformen  der  Ur- 

theile   I,    174  f.;    Princip    der   sub- 

jectiven    Beurtheilung   III,    27 — 34. 

34  f.  47.  49.  62.  323.  848  f.  374  f. 

381 ;  subjective  Gemüthsbedürfnisse 

I,  413  f.;  III,  404  f. 
Sublimation  II,  472.  474. 
Subordination  I,  102. 
Substanz  I,  118.  460.  463  f.  475.  481. 

517.  524  f. ;  II,  29.  875.  412  A.  428. 

466.  513;   III,  164.  242  f.   2-50.  258. 

259  f.   293  f.;   8.   und  Causalität  I, 

614  f.;  II,  280  f.  324.  383.  394;  III, 

25  f. ;  substantielle  Causalität  II,  328; 

III,  260;  Substanzverdichtung  II,  510; 

Erfahrung  und  S.  I,  537  f.  626 ;  S. 

und  Denken  I,  627;   S.  bei  Spinoza 

I,  173.  408.  586.  634  f. ;  S.  bei  Locke 

I,  402  f. ;  S.  bei  Hume  I.  403-  409 ; 

III,  633  f.  636  f. ;  S.  bei  Kant  I,  406. 
Substantivum  s.  Gegenstandsbegriff. 
Substitution  III,  581 ;  S.  der  Umfangs. 

Verhältnisse  für  Inhaltsbeziehungen 

I.   279  f.   290.   397 ;   Princip   der  S. 

I,  315  f.;  Substitutionsgesetz  I,  578; 

Substitutionsschluss  I,  329  f.  345;  S. 

der  Bedingungen  I,  209  f.;  IT,  383  f.; 


chemische  S.  II,  478.  4S5  f.;  S.  in 
der  mathematischen  Symbolik  II,  37. 

Substrat  der  Erscheinung  III,  145;  S. 
der  Bewegung  II,  410. 

Subsumtion  I,  102.  128.  131  f.  140. 160. 
165  f.  172  f.  180  f.  190  f.  229  f.  233  f. 
241  f.  249  f.  (A).  273  f.  280  f.  290  f. 
306  f.  378  f.;  II,  20  f.  70.  251.  277- 
493;  lU,  67.  86  f.  131.  134.  147.  157. 
159 f.  212. 503. 519. 566 f.  681  f.;  Sub- 
sumtionsschluss  I,  327  f.  331  f.  348  f. 
367  f.  374  f.  382  f.;  lU,  88;  classifi- 
cirender  Subsumtionsschluss  I,  366; 
subsumirender  Bedingungaschluss  I, 
354.  360  f.;  11,  33  f.;  Subsamtions- 
technik  I,  102.  128.  140.  160.  165  f. 
172  f.  192  f.  298. 

Subtraction  1.  267  f.  284.  298:  U,  87  f. 
98.  133.  136.  144  f.  150  f.  155.  211. 
245.  247  f.  258.  468;  III,  209  f.:  S. 
von  Geraden  II,  195  f. 

Succession  III,  251 ;  unmittelbare  S.  bei 
ps.  Grössenvergleichong  HI,  183  f. : 
successive  Behandlnngsweiae  der  ps. 
Analyse  III,  62  f. ;  successiye  Verbin- 
dung III,  206;  successive  Association 
I,  22  f.  59;  III,  210  f.;  successive 
Apperception  I,  55  f.;  successive  Ab- 
straction  III,  513. 

Sühne  HI,  550.  552.  555. 

Suggestion  III,  177  A. 

Summation  II,  244  f. ;  S.  der  Begriffe 
I,  251.  261  f.  274.  281  f.;  logische  S. 

I,  389;  Summe  vgl.  Addition;  S.  der 
Impulse  II,  294;  S.  kleiner  Wirkungen 
in  langer  Zeit  11,  551  f. 

Sumpfgas  II,  486.  488. 

Syllogismus  II,  20 f.  34 f.;  S.  und  active 

Apperception  I,  71 :  Grundform  I,  76. 
Symbol  I,  297  f. ;  Symbolik  I,    140  f. 

237  f.  246  f.  265  A.  378  f.  393  f.  523; 

II,  190  f.;  III,  361  f.  370 f.;  exacte 
Symbolik  der  Mathematik  II,  7 ;  alge- 
braische Symbolik  I,  84.  249;  II,  36. 
73  f.  95.  154.  190  f.  202;  III,  582: 
chemische  Symbolik  II,  491  f. 

Symmetrie  I,  142;  II,  386;  8.  der  Ope- 
rationszeichen I,  274  f. 

Sympathie  III,  554. 

Symptomatik  III,  226  f.  388.  484  f.; 
Symptomatologie  II,  583  f. ;  physio- 
logisch-symptomatische Methode  III, 
222  f.;   symptomatische    Bedeutung 

III,  278.  280.  435. 


Sachregister. 


63 


Syntax  I.  60  f.;  III,  97.  141.  354 f.  358  f. 

Sjnthese  U,  1  f.  18.  338.  339.  342  f. 
346.  352.  857—359.  359  f.  578;  HI, 
63.  197.  200.  202  f.  288.  305  f.  332  f. 
337.  412.  467.  581.  638 f.;  gynthe- 
tische  Deduction  II,  33  f.  879—383; 
synthetischer  Deductionsbeweis  II, 
70  f  ;  mathematische  S.  II,  94.  97  f. ; 
chemische  S.  I,  512;  II,  470.  476. 
478-481.  489.  491  f.  525;  III,  269. 

.  285;  stufenweise  8.  II,  479  f.  487. 
494.  200;  Vorstellangssynthese  I,  33. 
37  f.  74;  synthetischer  Subsumtions- 
schluss  1 ,  835  f. ;  synthetische  Ur- 
theile  1, 170  f.;  synthetische  Urtheile 
a  priori  II,  105;  synthetischer  Cha- 
rakter des  Denkens  I,  809.  324  f.  328. 
493;  schöpferische  S.  III.  267—281. 
296.  408.  412.  598.  617. 

System  I,  192.  196  f.;  lU,  8.  13.  25. 
480. 483  A.  488 ;  systematische  Wissen- 
schaft I,  334;  II.  343  f.  515.  583;  III, 
22.  436.  518.  526  f. ;  systematische 
Darstellung  II,  1  f.  12.  19.  89  f.  564  f. ; 
Massensystem  II,  304  f.;  S.  von  Kör- 
pern n,  310.  317;  S.  der  Wissen- 
schaften lU,  443. 447. 486 ;  Systemati- 
simng  des  Rechts  III,  535  f.  581 ; 
physiokratisches  S.  III,  502';  Decimal- 
system  II,  136  f. 


T. 


Tabellen  s.  Kartographie. 

Tauschung  1, 424  f.  627  f. ;  T.  des  Augen- 

masses  I,  511.  514.  516. 
Tages-  und  Jahreseintheilung  U,  137. 

886.  413  f.  415.  422. 
Takt  III,  216;  Taktfolge  I,  486.  489  f ; 

intellectueller  T.  I,  324  f.;  Taktirung 

III,  202;  Taktirung  der  Apperception 

I,  35  f. ;  instinctives  Taktgefühl  und 

Plan  II,  847. 
Taktik  III,  125. 
Tangente  und  Cotangente  II,  218  f.; 

T.   und   Curve  II,   224.   231  f.   242. 

250.253;  Tangentengebilde  II,  188 f.; 

tangentiale  Geschwindigkeit  III,  141. 
Tastsinn  I.  428.  510;  II,  374.  401.  403. 
Tausch  III,  509.  519.  525.  595.  621  f. 
Tautologie  I,  170  f.  232;   III,  499;  T. 

der  Zeitaxiome  I,  438 ;  tautologische 

Urtheile  I,  566. 


Technik  II,  521;  III,  86  f.  116  f.  297  f. 
888.  431.  449.  619;  T.  und  Wissen- 
schaft II,  476,  vgl.  Maschine,  Hülfs- 
mittel;  Subsumtionstechnik  s.  Sub- 
sumtion. 

Teleologie  I,  88  f.  585  f.  631  f.;  II,  265. 
274  f.  279.  803-314.  520.  533  f.  537  f. 
563;  III,  47  f.  62.  83.  130  f.  320. 
329  f.  409.  421  f.  452  A.  519;  teleo- 
logischer Einfluss  der  Naturumgebung 
III,  42.  44  f. 

Telephon  II.  400  f. 

Teleskop  II,  395  f. 

Temperament  III,  420  A.  454. 

Temperatur  II.  75.  205  f.  330.  337  f. 
841.  864  A.  402. 410.  415. 419  f.  424  A. 
426.  464.  469.  473.  475.  488  f.  497  f. 
500.  502  f.  509  f.;  III,  217.  228. 
826. 

Temporalbeziehung  I.  150  f.  206  f.; 
Tempusunterschiede  I,  184  f. 

Tendenzen,  zeitige  T.  III,  382.  403  A.; 
moralische  T.  III,  127.  317  f.  320  f. 
347;  erbauliche  T.  III,  424;  prak- 
tische T.  III,  501 ;  Tendenz  nach  Ge- 
sichtsbildern II,  401  f.  403. 

Terminologie  III,  489  A. ;  wissenschaft- 
liche T.  II,  17. 

Territorien  III,  146;  T.  und  Perioden 
III,  145. 

Tetraeder  H,  512. 

Tetratomie  s.  Viertheilung. 

Textkriük  HI,  117. 

Thatigkeit  I,  119.  145  f.  148  f.  583  f. 
626  f.;  II,  311  f.;  III,  19.  245 f.;  thä- 
tiges  Principl,  527  f.;  III.  151,  vgl. 
Actualitat,  Handlung,  Apperception; 
Thun  bei  Aristoteles  I,  118;  III,  151 ; 
Thätigkeitegefühl  III,  265  f. 

Thatsachen  und  Hypothesen  I,  452  f. ; 

II,  289  f.;  Zusammenhang  logisch 
selbständiger  T.  III,  133;  juristischer 
Thatenbeweis  III,  587  f.;  unmittel- 
bare Thatsächlichkeit  III,  28. 

Thaubildung  II,  364  A. 

Theilbarkeit  I,  259  f.;  II,  142  f.  459  f.; 
theilweise  Deckung  1, 136. 198f.;Thei- 
lung,  vgl.  Division ;  Theilung  von  Fi- 
guren II,  1 70  f. ;  Theilung  einer  Strecke 

III,  188.  218;  Theilinhalte  des  Be- 
wusstseins  III,  60  f. 

Theologie  III,  368.  423.  632  f.  A.  636; 
T.  bei  Berkeley  I,  588 ;  theologischer 
Grenzbegriflf  I,  635.  640  f.,  vgl.  Gott- 


64 


Sachregister. 


heit ;  theologisches  Stadium  hei  Oomte 
111,  149  f.  391.  406.  481. 

Theorem  II,  34.  40  f.  69  f.;  III,  181. 
133:  T.  und  Aufgaben  II,  172  f.;  T. 
bei  Galilei  II,  882. 

Theorie  I,  192;  III,  298.  501;  theore- 
tische Welterkenntnias  und  GemUths- 
bedürfnisse  I,  413  f.;  T.  und  Erfah- 
rung III,  512  f. ;  theoretische  Postulate 
I,  646;  T.  und  Hypothesen  1,459 f.; 
theoretische  Nationalökonomie,  vgl. 
Nationalökonomie. 

Thermische  Erscheinungen  II,  878  f. 
409  f.  469.  489,  vgl  Warme,  Tempe- 
ratur ;  thermoelektrische  Erscheinun- 
gen II,  874. 

Thermochemie  n,  489  f.  494.  501  f.  556. 
569. 

Thermodynamik  II,  502. 

Thermogalvanometer  II,  402. 

Thermometer  II,  75  A.  402. 

Thetische  Operationen  I,  578  f. 

Thier  II,  576;  III,  18.  67.  235;  T.  und 
Pflanze  II,  566  f.;  III,  12;  Thier- 
Psychologie  I,  649  f.;  III,  92.  169. 
240.  494  f. ;  Thiergeographie  II,  270 ; 
Thierphysiologie  (animalische  Phy- 
siologie) II,  271.518.  524 f.;  Thier- 
versuch  II,  589;  III,  228,  vgl.  Vivi- 
section;  Thierstaat  III,  494  f.;  III, 
440;  thierischer  Ursprung  des  gal- 
vanischen Stromes  II,  862. 

Thunar  III,  363  f. 

Tiefenvorstellung  I,  513.  516;  11,  394; 
III,  203  f. 

Tod  II,  517.  564.  568.  574;  III,  43.  135. 
277.  507  A. ;  Statistik  der  Todesfälle 
in,  450.  459  f.  465.  468  f.  475  f. 

Todtschlag  III,  463. 

Ton  I,  403;  II,  423;  III,  156.  163.  178. 
197.  200  f.  204  A.  211.  221.  228.  272; 
Tonreihe  1,511;  Tonhöhe  III,  195  f. 
217;  phrygische  Tonleiter  II,  360. 

Topographie  III,  454.  469. 

Totalität  des  Universums  II,  457.  459 
bis  468;  T.  eines  Begriffis  I,  259; 
Totalbegriffe  I,  264.  268  f.  288  f. ; 
Totalgefühl  III,  265.  280;  Totalver- 
bindung I,  68  f.  72  f. ;  T.  einer  unend- 
lichen Grösse  II,  152;  Totalfortschritt 
bei  Leibniz  II,  305. 

Toxikologie  II,  531. 

Tracht  III,  451.  454. 

Träger,  unbekannter  T.  vgl.  Substanz. 


Trägheit  I,  578.  588.  600.   610.  620 ; 

II,  294  f.  299  f.  309.  887.  411  A.  423. 

III.  25.  132.  142.  517. 
Tragödie  III,  199. 

Transfinite  Grössen  II,  152  f.  226.  460  f. 

467. 
Transformation  der  Naturki^fte  11,408  f. 

504;  Transformationen  der  Urtheüe 

I,  226  f.;  T.  von  Begriffen  II,  37  f. ; 
Transformationsgleichungen  11,329  f. ; 
T.  der  Energieformen  II,  454  f. ;  T. 
andersartiger  Eindrflcke  in  Gesichta- 
eindrficke  II,  401  f. 

Translatorische  Wirkung  s.  Fortschritt. 

Translocation  I,  580  A. 

Transscendens  I,  84.  400  f.  417.  422. 
492.  494.  526.  554.  630.  640  f.;  II, 
15  f.  57;  III,  49.  247.  251.  261.  329  f. 
851  f.  877  f.  384.  409.  414.  428  f. 
429  f.  638  f. ;  T.  bei  Kant  1, 636 ;  trans- 
scendentalesSchema  1,529 ;  Transscen- 
dentalphilosophie  III,  638 f.;  trans- 
scendentale  Aesthetik  Kants  II,  104  f.; 
transscendentale  Bedingungen  bei 
Kant  II,  130;  transscendente  Function 

II,  192.  213  f.  256  f. ;  transscendente 
Curve  II,  200  f.;  transscendente  Kritik 

III,  119  f.  126. 

Transversale  am  Massstab  11,404 ;  TranB- 
versalschwingungen  II,  393.  435  f. 

Traum  III,  43.  369  A. 

Trennung  I,  264  f.  368  f. ;  T.  von  Ich 
und  Gegenständen  I,  470  f.;  ver- 
neinendes Trennungsurtheil  I,  221  f. 
235  f.  272. 

Triangulum  characteristicum  (Leibnis) 
II,  231  f.  286  f. 

TrichinosiB  II,  585. 

Trichotomie  s.  Dreitheilung. 

Trieb  I,  79.  428;  II,  568;  lü,  19.  235. 
237  f.  265.  267.  301.  495.  497  f.  520. 
537.  556.  572.  577  A.  597  f.  604;  T. 
bei  Herbart  III,  168 ;  Triebäusserungen 
niederster  Organismen  11,  550. 

Triftigkeit  einer  Analogie  1, 847;  T.  der 
ürtheile  I,  375. 

Trigonometrie  11,  217  f. ;  II,  417;  trigo- 
nometrische Function  II,  256  f. 

Trügerische  Erfahrungserkenntniss  I, 
401. 

Tuberculose  II,  586. 

Typhus  II,  585. 

Typus  II,  55  f.  565  f.;  ÜI,  133.  157. 
160  f.  168  f.  172.  235  f.  259.  323  A. 


Sachre^ter. 


65 


411.  457  f.  528  f.  597;  chemische 
Typen  II,  486  f.;  typische  N&herungs- 
werihe  III,  226 ;  typische  Charaktere 
in,  64;  typischer  Krankheitsverlauf 
II,  582  f. 
Tyrannis  III,  398.  400. 


U. 


üebereinstiminung  1, 214 f.  346 f.  372 f.; 
U,  342.  363  f.  A.;  III,  65.  118.  163. 
289  f.  266.  838.  362  f.  371  f.  471. 
490.  493;  Uebereinstimmungsschluss 
1, 363;  U.  der  Wahrnehmungen  1, 425. 
434  f . ;  U.  als  Vemunftspostulat  I, 
420  f..  vgl.  Identität. 

üeberendlichkeit  U,  152  f.  226.  460  f. 
467. 

Uebergang  der  Begriffe  I,  185  f.  146 ; 
Uebergangsformen  II,  568;  üeber- 
gangsform  des  erzählenden  zum  er- 
klärenden ürtheil  I,  185  f.;  ü.  der 
Energieformen  II,  454  f.  464;  Ueber- 
gangsepochen  III,  4;  Uebergangs- 
richtungen  III,  179. 

üeberlegung  (Reflexion)  I,  508;  II,  436; 
m,  15.  27.  157  f.  164.  175.  246.  301. 

üeberlieferuDg  lU,  75. 

Ueberordnung  und  Unterordnung  1, 102. 
128.  181  f.  140  f.  160.  165  f.  172  f. 
180  f.  190  f.  193.  196  f.  273  f.;  II. 
251;  mathematische  U.  II,  258,  vgl. 
Subsumtion. 

Ueberreste,  historische  U.  III,  834  f. 

üeberschätzen  III,  186  f. 

Ueberschwemmungen  III,  893. 

Uebersetzung  III,  86  f. 

Uebersichtlichkeit  der  Erklärung  1, 190. 

Uebersinnliche  Welt  III,  48 ;  Uebersinn- 
lichkeit,  vgl.  Transscendenz. 

üebervemünftige,  das  U.  (Leibniz)  II, 
463. 

Ueberzeugimg  I,  225.  412;  moralische 
ü.  I,  406. 

Uebung  III,  228.  287  f.  301 ;  unmittel- 
bare ü.  und  Mitflbung  I,  27;  U.  und 
NichtÜbung  II,  548. 

Uhr  II,  395.  414  f. 

Umdenken  der  eigenen  Persönlichkeit 
UI,  63  f.  298. 

Umfang  des  Bewusstseins  III,  205;  U. 

einer  Vorstellung  III,   205;  U.  der 

Aufmerksamkeit  III,  205;  U.  eines 

Lindau,  Register  zu  Wandt,  Logik.    2, 


Begri£f8  I,  110  f.  181  f.;  U.  eines  Ur- 
theüs  I,  22  f.  279  f. 
Umformungen  des  logischen  Denkens 

I,  479  f. 

Umgebung,  geistige  U.  III,  27  f.  34 
bis  40.  231  f.  292.  326  f.  348  f.  352. 
880  f. 

Umkehrbarkeit  I,  222  f. ;  II,  216.  243  f. ; 
Umkehrung  der  Urtheile  I,  227.  229. 
239  f.  274  f.  314  f.  578;  inverse  Ope- 
ration I.  267  f.  284.  392. 

Umlauf  der  Güter  III,  508;  Waaren- 
umlauf  III,  520. 

Umstände  und  Bedingungen  einer  Er- 
scheinung II,  837.  350  f.  363;  Varia- 
tion der  U.  II,  386  f.  852.  863 ;  III, 
78.  203.  216.  222  f.  225  f.  468. 

Umstellbarkeit  I,  258  f.  265  f.  882. 

Umwandlung  s.  Transformation ;  U.  der 
Urtheüe  I,  226  f. 

Umwelt  III,  880  f. 

Unbefangenheit  III,  20.  171.  216.  222. 
885. 

Unbegreiflichkeit  I,  595. 

Unbegrenztheit,  vgl.  Unendlichkeit  III, 
890;  unbegrenzt  grosse  (kleine)  Zahl 

II,  138  f. 

Unbekannte  Grösse  II.  156  f. 

Unbeschränktheit  s.  Freiheit,  Unend- 
lichkeit. 

Unbestimmtheit,  vgl.  Mehrdeutigkeit; 
U.  der  Schlüsse  1, 384  f. ;  unbestimmte 
Begriffsverhältnisse  I,  137  f.  217  f.; 
unbestimmte  Urtheile  I,  176  f. 

Unbewusste  Schlüsse  1, 88 ;  unbewusster 
Wille  I,  556.  616;  III,  579  A.;  das 
U.  III,  576  f. 

Undulationstheorie  I,  586 ;  II,  285.  348. 
350.  362.  892  f.  429.  435  f.  448  f. 

Undurchdringlichkeit  I,  403.  527.  588. 
617.  634;  II,  489.  442.  444  f.;  IH, 
262. 

Unendlichkeit  1, 487 ;  II,  82. 150  f.  459  f. ; 
sittiich  beleuchtet  I,  414  f.;  UI,  278; 
U.  bei  Spinoza  I,  528;  unendliche 
Reihe  der  psychischen  Bedingungen 
I,  80;  U.  nicht  vorstellbar  I,  84; 
unendliche  Uitheile  1, 173;  unendlich 
dauernde  Bewegung  II,  441;  relative 
Unendlichkeiten  II,  285;  III,  220; 
ein-,  zwei-,  dreifache  U.  II,  462—468; 
vollendete  und  unvoUendbare  U.  11, 
158.  226.  460  f. 

Unerforschbarkeit  des  Zufalls  I,  451. 

Anfl.  5 


L 


66 


Sachregister. 


ünerkennbarkeit  I,  418.  421. 

ünerschöpflichkeit  der  Zahlbegriffe  II, 
149  f. 

Unerwartetes  Ereigniss  II,  336. 

Unfallstatistik  Ul,  462. 

Ungenaue  Wahrnehmung  III,  153  f.  158. 
164. 

Ungeschichtliche  Auffassung  III,  30. 32f. 
301  f.  596  f. 

Ungewissheit  I,  437  f. 

Ungleichheit  der  Menschen  III,  513. 

Unhistorisch  s.  ungeschichtlich. 

Uniformität  III,  540. 

Unitarische  Elektridt&ts- Hypothese 
Franklins  II,  367;  ps.  Unitarismus 
ni,  48. 

Universalgeschichte  (Welig.)  III,  329  f. 
878.  382.  446  f. ;  Universalsprache  III, 
540;  Universalrecht  III,  540;  Univer- 
salismus III,  828. 

Universellerer,  vergleichender  Stand- 
punkt III,  7. 

Universum  II,  457.  459-468. 

Unlust  III,  198  f.  215.  217.  221.  282. 
416.  520.  623. 

Unmittelbarkeit  des  Subjects  I,  539. 
549  f.  629  f.;  III,  28;  unmittelbare 
geistige  Wirltlichkeit  III,  248;  un- 
mittelbare Auffassung  und  Natur- 
erfahrung  I,  422  f.;  III,  83;  unmittel- 
bare Gegenwart  III,  29;  unmittelbare 
Wahrnehmung  III,  179 ;  unmittelbare 
Zeitvergleichung  III,  211. 

Unrecht  III,  549  f.  575. 

Unsicherheit  des  Gedächtnisses  III,  171. 

Unsterblichkeit  1, 405. 422;  III.  43. 151. 
164.  168.  368  f. 

Unstetigkeit  II,  200  f. 

Untergliederung  der  Urtheile  I,  162  f. 

Unterordnung,  vgl.  Ueberordnung  und 
Subsumtion. 

Unterricht  III,  301.  478;  Unterrichts- 
Pädagogik  III,  21 ;  Unterrichtsstatistik 
III,  460. 

Unterschätzen  III,  186  f. 

Unterscheidung  I,  202  f.  214  f.  232  f. 
264  f.  314  f.  339.  343  f.  372  f.  563  f. 
566;  II,  63.  342.  364  f.  A.;  III,  15. 
186.  195.  239  f.  481 ;  örtliche  U. 
1, 478;  Unterscheidungsschluss  1, 363. 
366  f. 

Unterschied  II,  363  f.  A.  (bei  Mill) ;  III, 
65.  188  f.  471.  490;  grQsst-  u.  kleinst- 
möglicher  U.  I,  134  f.;  minimaler  U. 


III,  184. 186. 190  f.  196;  Unterschiedfl- 
schwelle  m,  186.  191  f.  45a 

Untersuchung  und  Voruntersuchung  II, 
351  f. 

Unterurtheile  I,  205  f. 

Untheilbarkeit  I,  525  f.;  II,  282  f.  444; 
U.  des  Denkens  und  Wollens  I,  555. 

Unumstösslichkeit  der  Erfahrung  1, 506. 

UnveränderUchkeit  III,  243. 246;  U.  der 
Materie  II,  266;  unveränd.  QuaHtft- 
ten  der  Vorstellungen  nach  Herbart 
ni,  163  f. ;  U.  der  Substanz  II.  324 ; 
U.  der  Stoffelemente  II.  472,  vgl. 
Unwandelbarkeit. 

Unverbrüchlichkeit  der  Weltordnun^ 
I,  651. 

Unver^glichkeitn,441 ;  in,  151. 163f. 
243.  277  f.,  vgl.  Ewigkeit. 

Unvergleichlichkeit  I,  139  f.;  U.  der 
Begriffe  I,  189  f. 

Unvollkommenheit  III,  158. 

UnWahrscheinlichkeit  I,  345. 

Unwandelbarkeit  der  Denkgesetee  I, 
448;  U.  der  klaren  Idee  II.  102,  vgL 
Unvei^nderlichkeit 

Unzerstörbarkeit  lU,  277  f.;  U.  der  Vor- 
stellungen nach  Herbart  ITI,  163. 

Unzweideutigkeit  I,  381. 

Uratome  IL  509  f. 

Urbläschen  bei  Oken  II,  559  A. 

Urgeschichte  m.  872  f. 

Urkunden  III,  334. 340,  vgl.  Documente. 

Urorganismufi  II,  566.  568. 

Ursache  I,  583  f.;  HI,  160.  513 f..  vgl. 
Causalität;  U.  und  Sache  I,  587  f. 
596  f. ;  Gelegenheitsursache  I.  85;  U. 
und  logischer  Grund  I.  88  f.  207  f. 
567  f.;  Weltursache  I,  417  f.;  Ursach- 
losigkeit  und  Zufall  HI,  143:  U.  bei 
Newton  II.  380. 

Ursprung  der  Raumanschauung  1, 505  f.: 
Ursprünglichkeit  des  Lebens  H,  576. 

Urstoff  II,  580:  chemischer  ü.  H,  507  f. 

Urtheil  I,  55  f.  59  f.  93.  127;  HL  155. 
207.  210.  225;  Urtheilsformen  und 
Kategorien  I.  406;  Gesetze  der  Ur- 
theilsbildung  I,  272  f.;  ü.  und  Ver- 
gleichung  I,  86;  U.  und  Denken  I. 
96 ;  analytisches  und  synthetisches  U. 
I,  170  f.;  Entstehung  des  Urtheils  I, 
154  f. ;  Bestandtheile  des  Urtheils  I, 
161  f.;  zusammengesetztes U.  1, 167 f.; 
Formen  der  Urtheile  L  172  f.;  Iden- 
titätsurtheUe  I,  82.  85.  198  f.   196. 


Sachregister. 


67 


200  f.  226.  233  f.  241.  273  f.  290  f. 
333  f.  341.  378  f.  479;  Transforma- 
tionen der  Urtheile  1, 226  f. ;  ürtheils- 
kraft  bei  Kant  I,  636  f.;  ürtheils- 
enthaltong  IIT,  16 ;  Urtheilsarten  III, 
187  f. ;  Werthurtheile  III,  273  f. 

ütilitarismua  III,  558  A.  555.  571;  üti- 
Htas  III,  565.  573. 

Utopie  III,  514,  vgl.  Idealstaat. 


T. 


Vaccination  HI,  470  f. 

Yalenzhypothese,  chemische  V.  II,  487  f. 
494.  501.  511  f. 

Valuta  III,  111. 

Variabilit&t,  vgl.  Veränderlichkeit  III, 
521 ;  isolirte  V.  II,  365 ;  unbegrenzte 
V.  II,  549  f. 

Variable,  complexe  V.  II,  219  f.;  varia- 
bler Fehler  (Abweichung)  III,  186. 
192;  logische  V.  II,  47  f.  A.  60  f., 
vgl.  veränderliche  Grösse. 

Variation  (Varürung)  II,  568 ;  III,  197  f. ; 
V.  bei  Lagrange  II,  255  f.  312;  V. 
der  Beziehungen  II,  163  f.;  V.  der 
Elemente   II,  5;  V.   der  Umstände 

II.  836  f.  352.  363;  lU,  78.  203. 
216.  222  f.  225  f.  468;  V.  der  Be- 
dingungen m,  202  f.  208.  212.  216  f. 
222.  224  f.  240  A.  342.  471  f.;  quan- 
titative V.  der  Ursachen  II,  365,  371; 
V.  der  qualitativen  und  quantitativen 
Bedingungen  II,  358,  vgl.  Verände- 
rung. 

Varietät  bei  Darwin  U,  565. 

Vater  III,  373  f. 

Vegetationsbedingungen  II,  586 ;  Vege- 
tationspunkte II,  546. 

Venusphasen  II,  286.  398. 

Veränderlichkeit,  vgl.  Variabilität  I, 
476;  ps.  fesselnder  Charakter  der  V. 

I,  185;  veränderlicher  Charakter  der 
Prädicate  I,  161  f.;  veränderliche 
Grösse  s.  Variable  II,  156  f. ;  III,  183. 
476.  513;  stetig  veränderliche  Grösse 

III,  180. 

Veränderung  vgl.  Variation  I,  504.  518. 
531.  596;  II,  311  f.;  abnehmende  V. 

II,  573;  stetige  V.  II,  201  f. ;  III,  472; 
momentane  V.  II,  226;  begleitende 
V.  bei  Mill  II,  364  A.;  qualitative 
V.  II,  274;   quantitative  Functions- 


Veränderung  11,  529  f. ;  verändernder 
Eingriff  III,  174  f.,  vgl.  Experiment. 

Verallgemeinerung,  Trieb  zur  V.  bei 
Mill  I,  606;  V.  empirischer  Gesetze 
II,  26  f.  361. 

Veranlassung  s.  Anlass. 

Veranschaulichung  II,  320.  322.  338, 
vgl.  Anschaulichkeit 

Verantwortlichkeit  I,  563;  III,  576. 

Verbände  III,  480.  538.  544.  601. 

Verbalbegriff  I,  37  f.  118  f.  125.  145  f. 
167.  176  f.  184  f.;  Verbalnomina  I, 
146. 

Verbaltheorie  I,  178. 

Verbindung,  vgl.  Synthese,  V.  III,  163; 
V.  und  Zersetzung  II,  558.  556.  567. 
569;  chemische  V.  s.  Chemie;  chemi- 
sches Verbindungsgewicht  II,  495; 
Verbindungsschluss  I,  362.  368  f.; 
II,  24.  26;  V.  von  Vorstellungen  I, 
13;  UI,  206  f.;  Verbindungsformen 
I,  479;  der  Begriffe  I,  121  f.;  der 
Worte  I,  147;  V.  von  Begriffen  I, 
154  f.  264  f. ;  Verbindungsgesetz  I, 
578;  organische  V.  II,  567;  logische 
V.  III,  14. 

Verbrechen  III,  302.  579 ;  Statistik  der 
V.(Criminalstatistik)  UI,  5. 144. 146  f. 
460.  462  f.  475 ;  V.  und  Beruf  KI, 
473;  Verbrecher  III,  574  f.  A. 

Verbrennung  II,  899.  471.  475.  489. 
501  f.  527.  553.  556.  569. 

Verdampfung  II,  505. 

Verdauung  II,  525  f.  536.  554. 

Verdeutlichung  vgl.  Deutlichkeit. 

Verdichtung  der  Vorstellungen  I,  40  f. ; 
V.  der  Begriffe  III,  583. 

Verdoppelung  einer  Empfindung  III, 
187  A. 

Verdunkeln  III,  163. 

Verein  III,  437.  477  f.  480.  546.  568. 

Vereinbarkeit  der  Urtheile  I,  227  f. 

Vereinfachung  UI,  218.  300.  536.  566, 
vgl.  Einfachheit. 

Vererbung  II,  535.  540  f.  549.  551.  557. 
563.  565.  588;  HI,  574  A. 

Verfassung  lU,  526.  537.  564.  603  f., 
vgl.  Politik ;  Verfassungsgeschichte 
UI,  72  f.  75;  Verfassungsrecht  lU, 
537.  573.  579  f. 

Verfeinerung  der  Messungen  II,  404  f. 
415  f. 

Verfügbarkeit  UI,  279  f.;  verfügbar^ 
Association  III,  207. 


68 


Sachregister. 


Vergangenheit  I,  150  f.  184  f.  206; 
III,  29.  523  f.;  geistige  V.  I,  30.  80. 
Vergehen  II,  274.  217,  vgl.  Delict 
Vergleichen  I,  13.  86.  126;  V.  der  Be- 
griffe I,  127  f.  165  f.  193;  Verglei- 
changsBchluss  I,  362  f.;  II,  14  f.  19  f. 
21.  24;  Vergleichung  II,  5  f.  406. 
412  f.;  III,  275  f.  431  f.  458.  475. 
508  A.;  Methode  der  Vergleichung 

II,  339—344;  III,  54.  56  f.  64—81. 
88  f.  102.  104.  109.  121  f.  125.  145. 
150.  181  f.  209  f.  218  f.  223.  238  f. 
300.  310.  314  f.  336.  342  f.  354  f. 
362  f.  449  f.  471.  479  f.  490;  indivi- 
duelle  Vergleichong  III,  523  f.;  in- 
dividuelle und  generische  Verglei- 
chung II,  842;  III,  65  f.  101  f.  122. 
239.  800.  810.  314.  844  f.  354  f.  365. 
450  f.  463.  479  f.  498;  generische 
Vergleichung  lU,  145.  317  f.  340. 524; 
vergleichende  Wissenschaften  II,  53  f. 
339. 566;  III,  6  f.  91  f.;  vergleichende 
Beobachtung  II,  334. 339—344. 365  A. 
525;  III,  185  f.;  paarweise  und  reihen- 
weise Verbindung  III,  218:  Kat.  der 
Grösdenvergleichung  III,  189. 

Vergrösserung  des  Erystalls  II,  570. 
Verharren  der  Wirkung  I,  600  f. 
Verhältniss  und  Beziehung  1 ,  122  f. ; 

V.  der  Begriffe  I,  127  f. 
Verification  I,  459 ;  II,  334.  352.  385  f. 

481.  526.  528.  588  f.;   III,  317.  356. 

385.  483.  503.  522;  verificirender  Be- 

dingungsschluss  I,  354  f. 
Verkehr  III,  371.  478.  593  f.;  freier  V. 

III,  504.  509.  515;  Verkehrswesen 
III,  526;  Verkehrsrecht  III,  478.  561; 
wirthschaftlicher  V.  III,  39.  45  f. 
110  f.  137  f.  147.  379.  438  f.  457. 
484.  500  f.  595. 

Verkettung  der  Gedanken  I,  67  f. 

Verknüpfung,  pradicative  V.  I,  272  f. ; 
GruppenverknOpfung  III,  467.  469  f. 

Verkürzung  des  Denkens  I,  156  f.;  V. 
durch  Erwärmung  II,  528. 

Verletzung  des  Rechts  III,  575. 

Vermehrung  II,  542  f.  562.  564.  570. 
573. 

Vermögenstheorie  I,  79;  III,  47  f.  61. 
93.  157  f.  162.  164.  166.  221.  241. 
260.  262.  299 ;  wirthschaftliches  Ver- 
mögen III,  500;  Vermögensrecht  m, 
561  f.  568;  Vermögensstatistik  III, 
402. 


Vermnthung  I,  343.  412  f.  422.  454. 

Verneinung  I,  137  f.  142  f.  173  f.  212  f. 
251.  267  f.  281  f.  340  f.  566 ,  vgl. 
Negation. 

Vernunft  III,  482  A.  496 ;  V.  bei  Kant 
I,  637;  Vernunftspostalat  der  Ueber- 
einstimmnng  I,  420  f. 

Verschiebung  der  Vorstellungen  1, 40  f  . ; 
verschiebbare  Verbindung  II,  325. 
439;  kategoriale  V.  I,  123  f.  157. 
162.  185.  188  f.  193.  306.  472. 

Verschiedenheit  der  Vorstellungsele- 
mente I,  25;  V.  und  Identität  I, 
130;  V.  und  Trennung  I,  221  f. 

Verschlingung  des  Gredankens  I,  64. 

Verschmelzung  II,  572;  III,  155.  163. 
204  A.  288;  associative  V.  I,  13  f. 
509.  512;  intensive  und  extensive  V. 
der  Empfindungen  I,  16  f. 

Verschwendung  III,  514. 

Verschwindende  Grössen  II,  233  f.  242. 

Verstärkung  der  Schalles  II,  400;  V. 
durch  Wiederholung  III,  280;  Gon- 
trastverstärkung  III,  282—285.  416. 

Verstand  III,  160.  221.  272  f.  287.  290. 
324  f.;  V.  und  Wille  I,  79;  Ver- 
standesform I,  468 ;  V.  und  Sinnlich- 
keit I,  43;  Verstehen  III,  81.  98. 
113;  Verstehen  und  Erklären  III,  86, 
vgl.  Interpretation. 

Vertheilung  der  Güter  III,  503;  räum- 
liche V.  I,  480;  Fehlervertheilung 
III,  191;  V.  der  Arbeit  III,  511. 

Verticale  III,  218. 

Vertrag  III,  491  f.  496.  536.  537.  540. 
552.  563;  Vertragstheorie  III,  293. 
485.  492  f.  540.  556.  570  f.  597. 
600  A. 

Vervielfältigung  s.  Multiplication. 

Vervollkommnung  II,  577. 

Verwaltung  ET,  125.  532.  537.  564. 
611;  Verwaltungslehre  III,  460;  Ver- 
waltungsrecht III,  478.  537.  561.  573. 
579  f. 

Verwandlung  der  Energieformen  II, 
454  f.  464.  490 ;  Verwandlungsf&hig- 
keit  der  Stoffe  II,  471. 

Verwandtschaft  ps.  Erscheinungen  III, 
239:  V.  der  Denkinhalte  I,  106  f.; 
stammverwandte  Sprachen  III,  148  f. ; 
Stammesverwandtschaft,  vgl.  Stamm. 

Verwebung  der  Gedanken  I,  69  f. 

Verwechselung  III,  210. 

Verwendung  III,  219  A. 


Sachregister. 


69 


Verwirklichung  ursprünglicher  Bedin- 
gungen I,  509. 

Vesta  III,  862. 

Vibrograph  II,  402. 

Viehzucht  III,  525. 

Vieldeutigkeit  s.  Mehrdeutigkeit. 

Vielheit  der  Richtungen  I,  518;  Ver- 
vielfältigung 8.  Multiplication. 

Viereck  II,  175  f. 

Vierseit  II,  175  f. 

Viertheilung  II,  64. 

Vierwerthigkeit  II,  77.  512. 

Vigesimalsystem  II,  137. 

Visirpunkte  II,  404. 

Visitenkarten  III,  219  A. 

VitaHemus  I,  638  f.;  II,  265.  515.  533  f. 
536.  538.  581  f.;  Vitalkräfte  I,  650. 

Vivisection  II,  528  f.  532. 

Vocale  III,  357. 

Volk  III,  283  f.  437.  445  f.  448  f.  477. 
508  A.  597.  601;  Volkswirthschaft 
III,  24.  394.  400  f.  525.  601.  611. 
628;  Volkswirthschaftslebre  III,  437. 
445  f.  478  f.  484.  499—583;  Völker- 
recht  III,  477.  545.  561.  573;  Völker- 
geschichte  und  Universalgeschichte 
III ,  329  f. ;  Völkerkunde  s.  Ethno- 
logie; Völkerpsychologie  s.  Psycho- 
logie: Volkscharaktere  III,  46.  235; 
Volkslieder  III.  375 ;  Volksstaat  III,  4; 
Volkswohlstand  III,  502;  Völkerwan- 
derung III,  305.  444;  Volksetymo- 
logie I,  20. 

Vollendung  I,  184  f.;  vollendete  und 
unvoUendbare  Unendlichkeit  II,  153. 
226.  460  f. 

Vollkommenheit  I,  647;  II,  277.  386; 
III,  158;  V.  des  Typus  II,  55  f.;  V. 
in  der  Mechanik  I,  624. 

Volta-elektrische  Induction  II,  368  f.; 
Volta*sche  Säule  II,  368.  483  f. 

Volum  II,  74  f.  410.  497  f.  506. 

Voluntarismus  III,  152  A. ;  voluntari- 
stische  Psychologie  s.  Psychologie. 

Vorausnähme  I,  643  f. 

Voraussage  III,  52. 

Vorbengungsmassregeln  III,  470  f. 

Vorgänge  I,  177  f. ;  III,  12  f.  201. 213  f. ; 
V.  und  Sachen  I,  596.  602;  Vorgang 
und  Sein  III,  268. 

Vorsehung  III,  324  A.  429  A. 

Vorsicht  III,  16. 

Vorstellen  I,  527;  V.  und  Denken  I, 
59;  V.  bei  Leibniz  I,  408.  526;  III, 


48;  V.  und  Objecte  1,  11.  79.  423  f.; 
Vorstellungen  III,  17  f.  20.  61.  152  A. 
153.  157  f.  164  f.  197.  200.  201—214. 
215.  220.  222  f.  228.  235.  237  f. 
244  f.  247.  255.  260.  262  f.  271  f. 
279  f.  293.  295.  379.  599;  Vorstel- 
lungen keine  substantiellen  Wesen  I, 
12.  24;  Zerfliessen  der  Vorstellung 
1, 41 ;  Vorstellung  und  Begriff  1, 105f.; 
angeborene  Vorstellungen  I,  400  f. 
463  f.;  II,  101  f.,  vgl.  Apriorismus; 
Vorstellung  anderer  Räume  I,  500; 
Vorstellung  der  Veränderung  I,  531 ; 
einfache  Vorstellung  als  psycholo- 
gisches Element  I,  13  f.;  Verschie- 
bung und  Verdichtung  I,  40  f. ;  Vor- 
stellungsverbindungen 1, 13;  111,206  f., 
vgl.  Association ;  stellvertretende  Vor- 
stellung I,  47  f. ;  Vorstellungsmecha- 
nismus III,  157.  161—164;  Vorstel- 
lungsverlauf III,  207  f. 

Vortheü  III,  510. 

Voruntersuchung  III,  74. 

Vorurtheile  III,  576  f. 

Vulkanismus  II,  .583. 


W. 


Waaren  III,  520.  620  f. ;  Waarencircu- 
lation  III,  520;  Waarenverkehr  III, 
5.  109  f. ;  Waarenproduction  III,  99. 
111. 

Wachen  II,  544.  571  f. 

Wachsthum  II,  542  f.  564.  569  f.  577  f. 
588;  III,  138;  unbegrenztes  W.  als 
Unendlichkeitserzeuger  II,  153;  W. 
und  Gleichung  II,  158  f.  203;  Wachs- 
thumsbedingungen  II ,  519  f.  522  f. 
530.  546.  561 ;  Wachsthumsgesch win- 
digkeit n,  523.  546;  Wachsthums- 
trieb  II,  538;  Wachsthums-  und 
Structurverhältnisse  II,  567;  W.  und 
Assimüation  II,  559.  561.  568;  W. 
der  ps.  Energie  III,  276  f.  403.  405 ; 
W.  der  Güter  III,  511. 

Wägung  II,  401  f.  475. 

Währungsmittel  III,  110  f. 

Wärme  I,  403.  409.  515;  II,  268.  329  f. 
349.  366.  373  f.  377.  387.  392.  402. 
409  f.  424.  434.  439.  445.  452.  454  f. 
464  f.  469.  473  f.  477  f.  488  f.  494. 
499  f.  501  f.  506.  510.  518.  524. 
526  f.  554.  556  f.  567;  III,  20.  67. 


70 


Sachregister. 


216;  mechanische  Wärmeiheorie  II, 
78  f.  434.  494.  498.  503;  Warme- 
iönung  II,  502;  Wärmefluidum  II, 
431  f. ;   Wärmeregulirang  der  Haut 

'•   and    Lungen    II,    548;    thierische 

Wärmebildung  II,  553. 
Wage  II,  395.  401.  405  f.  413.  429  f. 
482;  Dreh  wage  Coulombs  II,  371. 

Wahl  I,  30.  48.  68;  III,  210.  225  f. 
577  A.  600  A. 

Wahlverwandtschaft  (attractio  electiva) 
II,  482  f.  543. 

Wahnsinn  I,  23. 

Wahr,  Gefühl  des  Wahren  und  Fal- 
schen III,  118;  wahr  und  falsch  III, 
126. 

Wahrheit,  reale  und  formale  W.  I, 
82  f. ;  erschlossene  W.  I,  225.  422  f. ; 
objective  W.  I,  426  f. 

Wahrnehmung  I,  29.  159  f.  423  f. ;  III, 
13  f.  29.  138.  153  f.  201.  205.  214. 
227.  229.  255.  259.  262.  271 ;  W.  und 
Denken  I,  411;  II,  280  f.;  W.  und 
Hypothesen  I,  452 ;  W.  und  Glauben 
I,  414.  550  f.;  innere  W.  III,  198; 
innere  W.  unzuverlässig  III,  172; 
ungenaue  W.  III,  153  f.  158.  164; 
zufällige  W.  III,  169  f.  216.  233; 
unmittelbare  W.  III,  179;  Grenzen 
der  W.  II,  415  f. 

Wahrscheinlichkeit  I,  224  f.  303.  355. 
431  f.;  II,  420.  457;  III,  77.  79.  112. 
185.  188.  191.  202.  339.  372  f.  407. 
469  f.  475;  WahrscheinUchkeits- 
Schlüsse  I,  328.  339  f.  342  f.  873  f. 
432;  II,  24  A.;  Wahrscheinlichkeits- 
quotient I,  345;  W.  bei  Hume  I, 
404;  qualitative  und  quantitative 
W.  I,  437  f. ;  apriorische  W.  I,  440  f. ; 
empirische  W.  I,  442  f. ;  moralische 
W.  I,  446;  W.  beim  Inductions- 
beweise  II,  66. 

Wandelbarkeit  s.  Zufall. 

Wanderungen  der  Völker  III,  305.  395. 
444 ;  W.  der  farblosen  Blutzellen  II, 
587,  vgl.  Migrationstheorie. 

Wann  und  Wenn  I,  207;  Wann  bei 
Aristoteles  I,  118. 

Warum,  das  W.  der  Erscheinungen  II, 
336.  362. 

Wasser  II,  422.  426,  475.  477  f.  486. 
488. 496  f.  528. 560 ;  III,  269 ;  Wasser- 
stoff n,  475.  478  f.  484.  496  f. 
508  f.  511.  556;  III,  269;    Wasser- 


Stoff  als  Mass  der  Afßnitätsgrösse 
II,  77 ;  Wasserkraft  II,  409 ;  Wasser- 
uhr II,  414;  Wasserwellen  U,  435; 
Wasserzersetzung  II,  402. 

Wechsel  II,  94.  96;  IH,  163  f.  239, 
vgl.  Veränderung,  Variation;  W.  und 
Beharren  I,  530  f.;  Wechselbestim- 
mung I,  274  f. ;  II,  8 ;  HI,  381 ;  der 
Begriffe   I,    136  f.    142.    356.    382; 
Wechselwirkung  n,  26  f.  448;   UI, 
35  f.   229  f.   231  f.   250.  252.   259. 
270  f.  282.  292  f.  321.  352.  368. 380. 
395.  410.  419.  446.  448.  455.  504. 
529.  547.  598  f.  602.  617 ;  Wechael- 
vnrkung  des  inneren  Lebens  I,  80; 
der  Atome  H,  441  f.  451 ;  IH,  163 ; 
der  Vorstellungen  III,   157.   161  f.; 
der  Gesetze  III,  141  f. ;  elektrischer 
Ströme  II,  450 ;  chemische  Wechsel- 
wirkung n,  473.  493.  505 ;  Wechsel- 
wirkung   im    Organismus    II,    548. 
562  f.  587 ;  Wechselwirkung  zwischen 
Natur  und  Cultur  III,  44 ;  psychische 
Wechselwirkung  III,  154;  geschicht- 
liche    Wechselwirkung     III,    104; 
psychophysische  Wechselwirkung  III. 
173 ;    Wechselwirkung    psychischer 
Grössen  III,  178;  Wechselbeziehun- 
gen III,  21 ;  Wechselverhältniss  der 
Disciplinen  III ,   22  f. ;  Wechselwir^ 
kung  der  Centralkräfte   I,   622  f.; 
Wechselbegiiffe  III.  232;  Wechsel- 
beziehung zwischen  Körper  und  Seele 
III,  181.  242  f. ;  der  Begriffe  I,  115. 
134.  140.  142 ;  der  Gefühle  zu  Be- 
dingungen und  Zuständen  III,  199; 
Energiewechsel  II,  331.  564. 

Weib,  Grösse  III,  133. 

Weg  der  Kraft  ü,  316. 

Weiche  Massen  der  Zellbildung  II,  560. 

Weihnachtsfest  III,  369  A. 

Weisheit,  Spruchweisheit  III,  1. 

Weissagungen  III,  390. 

Wellenbewegung  II,  285.  348.  350. 
374.  376.  514  A.  544  A.  Wellenlänge 

II,  423. 

Weltursache  I,  417  f.;  Weltzweck  I, 
422 ;  bestmögliche  W.  I,  496 ;  Welt- 
Ordnung  I,  640  f.  650  f.;  III,  252. 
277  f. ;  Weltsystem  Newtons  U,  381  f. ; 
des  Copemikus  II,  386;  geistige  W. 
ni,  14 ;  Weltgeschichte  III,  332,  vgL 
Universalgeschichte,  Weltwirthschaft 

III,  625;  Weltuntergang  und  Welt- 


Sachregister. 


71 


Bchöpfong  II,  463;  Weltanschauung 
III,  641  f. ;  weltliches  und  sakrales 
Recht  ni,  558  f. 
Wendepunkte  IT,  224. 
Werbung  der  Thiere  II,  550. 
Werden  IT,  274.  277 ;  W.  bei  Heraklit 

l,  584. 
Werk  der  Wissenschaft  III,  214 ;  Kunst- 
werk s.  Kunst;  Werkzeuge  II,  335; 
TU,  208;   primitive  Werkzeuge  III, 
58,  vgl.  Hülfsmittel. 
Werth  III,  151.  427  f.  500.  509  f.  519  f. 
525.  680;  geistiger  W.  der  Associa- 
tionen 1, 28 ;  logischer  W.  d.  Schlusses 
I,  390  f. ;  objectiver  W.  der  Wahr- 
scheinlichkeit 1 ,  445  f. ;  Werthbeur- 
theilung  TII,  115 ;  subjeetive  und  ob- 
jectiye  Merkmale  für  Werthbestim- 
mungen  ITI,   13;  Werthbestimmung 
III,  16  f.  138.  206  f.  214  f.  Ä.  273  f. 
419;  wirthschaftliche  Werthschwan- 
kungen   III,   110  f.;   approximative 
Werthe   III,  188;  Werthkritik  III, 
118  f.  122.   124  f.  273  f.;  Gesetzes- 
werth  III,  148  f. ;  Werthzunahme  III, 
276  f.  521 ;  Entstehung  neuer  Werthe 
durch    Zusammensetzung   ITT,    197. 
272  f. 
Wesen  I,  546  f. ;  W.  und  Schein  I,  89 ; 
W.  und  Begriff  I,   94.   98;   ünaus- 
drückbarkeit  des  Wesens  IT,  43  f.; 
wesentliche  Bedingung  II,  363. 
Wespen  m,  240  A. 
Wetterkunde  s.  Meteorologie. 
Wettstreit  und  Kampf  ums  Dasein  II, 
550;  W,    der    Sehfelder    ni,   204; 
W.  der  Interessen  III,  497. 
Wichtigkeit  in  der  Erzählung  I,  184 ; 

W.  in  der  Beschreibung  I,  186- 
Widerspruch,  Satz  des  Widerspruchs 
I,  316.  318.  564  f.;   III,   290.   639; 
Gefühl  des  Widerspruchs  III,   118; 
Widerspruchslosigkeit   T,    480;    IT, 
326.  382.  468  f.;  III,  14.  82.  251  f. 
262.  518.   586;   der  Wahrnehmung 
I,  516. 
Widerstand  IT,  295.  325,  vgl.  Reibung ; 
Widerstandsföhigkeit  II,  588  f.  548 ; 
Widerstandsempfindung  I,  428. 
Widerstreben  TII,  282. 
Wie,   das  W.   der  Erscheinungen  II, 

836.  362. 
Wiedererinnerung  II,  101  f. ;  III,  159. 
210  f.  685 ;  W.  bei  Plato  I,  399. 


Wiedererkennung  I,  19;  III,  206.  210. 
220.  225. 

Wiederemeuerung  s.  Renaissance. 

Wiederholung  III,  201.  217.  280;  W. 
auf  höherer  Stufe  TII,  487. 

Wille  I,  588.  604.  616.  618.  625  f.  640. 
646  f.;  II,  538.  568;  III.  20.  152  f. 
158.  164—168.  207.  220.  288  f.  247. 
262  f.  272  f.  293.  297.  302.  416. 
482  A.  512.  543  f.  556  f.  574  f.  586. 
599  f.  611  f.  628  f.;  W.  bei  Herbart 
III,  168 ;  W.  und  Association  T,  23 ; 
III,  207;  W.  und  Apperception  I, 
468;  Willensregung  ps.  Erlebniss 
I,  11;  W.  und  Gefühl  I,  79;  II,  17; 
W.  und  Wahl  I,  80.  48.  68 ;  W.  und 
Aufmerksamkeit  III,  226;  W.  und 
Verstand  I,  79;  W.  und  Freiheits- 
gefühl  I,  80.  553 ;  W.  bei  Schopen- 
hauer 1 ,  555.  639  f. ;  Willenshand- 
lungen ITT,  168.  197.  207.  265.  271  f. 
280 ;  der  Thiere  II,  550  f. ;  Willens- 
acte  III,  61;  Willensvorgänge  III, 
160.  210.  223  f.;  Wülenslage  III, 
278;  Willensmotive  ITI,  210;  trans- 
scendenter  W.  I,  680;  Willensbethä- 
tigung  III,  16  f. 

Wülkür  III.  201  f.  600  A. ;  individuelle 
W.  III,  140.  142  f.;  zumilige  For- 
mulirung  der  Causalgesetze  II,  29  f. ; 
willkfirliche  Sonderung  der  geistigen 
und  Natureinflüsse  III,  41 ;  willkür- 
liche Geistesacte  III,  171;  willkür- 
liche Wiederholung  III,  174;  W. 
macht  exact  IT,  100;  willkürliche 
Schöpfung  III,  491;  willkürliche 
Function  II,  206  f.  223 ;  W.  bei  Con. 
struction  und  Experiment  II,  86. 
Wimperbewegung  II,  524. 
Wind,  Drehungsgesetz   der  Winde  II, 

340  f. 
Winkel  II,  281.  403  f.  418.  417.  421  f.; 
III,    182  f.;    Winkelgrad    II,    405; 
Winkelgeschwindigkeit     der     Erd- 
drehung II,  76. 
Winter   und    Verbrechen   III,    146 f.; 

Winterlandschaft  gelb  TU,  216. 
Wirbelthiere  und  Wirbellose  III,  12; 
Brustwirbel  III,  133.  144;  Wirbel- 
bewegung II,  437;  Wirbelfaden  II, 
438;  Wirbelatome  II,  440  f. ;  reibungs- 
lose W.  II  513. 
Wirklichkeit  I,  154  f.  525;  III,  13.  263  f. 

271;  Schein  und  W.  I,  425;  W.  der 


72 


Sachregister. 


Erfahrung  II,  283  f. ;  W.  abstracter 
Ideen  HI,  515, 

Wirksamkeit  I.  527  f.  544  f.  619  f. 

Wirkung  I.  409.  583;  Gleichheit  von 
W.  u.  Gegenwirkung  II,  299  f.  324; 
Correspondenz  von  W.  und  Gegen- 
wirkung II,  868 ;  Wirkungssphäre  II, 
432  f.  446.  459 ;  Materie  nur  in  Wir- 
kungen II,  282.  445.  459 ;  Wirkungs- 
föhigkeit  II,  309.  412  A.  457;  III, 
275  f. 

Wirthschaft  IH,  26.  145.  350.  388. 
445  f.  499  f.  518.  525 ;  wirthschaft- 
licher  Zustand  I,  646  f. ;  wirthschaft- 
licher  Verkehr  III,  39.  45  f.  137  f. 
147.  379.  438  f.  457.  484.  500  f.  595; 
Wirthschaftspolitik  III,  503.  529.  531. 
628  f.;  Wirthschaftslehre  III.  5.  7. 
10.  12.  14.  21  f.  37.  45.  99.  109  f. 
137.  298. 426.  438  f.  457  f.  466.  472  A. 
496.  499—533.  595;  Wirthschafta- 
geschichte  III,  7.  22.  33.  38.  46.  59. 
66.  72  f.  75.  96.  108  f.  144.  349  f. 
379  f.  394  f.  436.  481.  504.  523  f.; 
ökonomischer  Materialismus  III,  325. 
379,  vgl.  Nationalökonomie,  Wirth- 
schaftsformen  III,  525;  Staatswirth- 
schaft  III.  478. 

Wissen  und  Glauben  I,  400.  412  f. ; 
wissentliche  Einflüsse  III,  191. 

Wissenschaft  III,  413. 417 ;  wissenschaft- 
liche Aufgaben  I,  534  f.;  II,  346; 
wissenschaftliche  Begriffsbildung  I, 
40  f.,  74  f.  95 ;  wissenschaftliches  Werk 
III,  214. 237;  wissenschaftliches  Nach- 
denken III,  1;  erklärende  und  syste- 
matische W.  III,  22;  Geschichts-  und 
Gesellschaftswissenschaft  II,  23;  Wis- 
senschaftslehre III,  641  f. 

Wo  bei  Aristoteles  I,  118. 

Wohlgefallen  III,  217  f. 

Wohlstand  III,  472  A.  502. 

Wohnungen  III,  469.  528. 

Wolken  IIL  153.  363. 

Worte,  Wortlehre  Jll,  641  f. ;  Wort- 
erklärung II,  41  f. ;  W.  und  Musik 
III,  220  f. ;  Aufbau  der  Wortfoimen 
III.  141 ;  Geschichte  der  Wortbedeu- 
tungen III,  354. 360  f. ;  Wortbildungen 
III,  353.  358  f..  vgl.  Sprache. 

Wucherung  II.  573.  587. 

Wunder  III,  339 ;  das  Wunderbare  im 
Drama  III.  127. 

Wurf  I,  610  f.  618. 


Wurzeln,  vgl.  Radirung,  Nenn-  und 
Deutewurzeln  I,  125;  W.  des  Satses 
vom  Grunde  I,  569  f. ;  aprachlicbe  W. 
III,  359;  Pflanzenwurzeln  und  Emäh- 
rungsflüssigkeiten  II,  530. 


Z. 


Zähigkeit  des  Lebens  niederer  Keime 
II,  578;  Zähflüssigkeit  II,  545.  561. 

Zahl  I,  135  f.  403.  504  f.  521  f.  575. 
579  f. ;  II,  44.  125.  135  f.  198.  375. 
467  f.;  III,  180  f.;  diskrete  Z.  II,  91. 
189;  complexe  Z.1, 141. 576;  II,  197  f.: 
Zahlentheorie  IL  88  f.;  Zahlarten 
und  Zahlensysteme  ü,  140 f.;  Zähler 
und  Nenner  11,  141  f.;  Z.  und  Logik 

I,  260  f.;  grosse  Z.  L  443;  Z.  nnd 
Zeit  IL  141;  Zahlonsymbolik  L647: 
Z.  als  Ausgang  zum  Däferentialbegfriff 

II,  225. 
Zahnschmerz  IIL  199.  215. 
Zeichensystem  der  Chemie  11.  491  f., 

vgl.  Symbolik;  Zeichen  der  Begriffe 

I,  246  f. 
Zeigerwage  II,  405. 

Zeit  (vgl.  Dauer)  I,  476.  480.  481  f.  518 : 

II,  38.  130.  280  f.  408;  IIL  61.  130. 
139.  155.  163.  178  L  186  f.  197  f. 
204  f.  218.  224  f.  386  f.  472  f.  475  f. ; 
Z.  bei  Kant  I,  406-  529  f. ;  IL  104  f. 
141;  Zeitanschauung  I,  435;  Zeitr 
bestimmung  II,  394  f. ;  des  Prftdicats 
L  184  f. ;  Ewigkeit  L  84;  Zeitadver- 
bien I,  118  f. ;  Zeitbeziehung  L  150  f. 
206  f. ;  Zeitstufe  L  184  f. ;  subjectives 
Zeitmass  I.  185;  II,  394  f.;  Zeitmaase 
II,  403 ;  Z.,  Länge,  Masse  IL  428--427 
Zeitart  L  184  f. ;  Zeitpunkt  L  184  f. 
IIL  327.  382  A.;  Zeitlosigkeit  L  488 
Zeitwort  L  118 f.  125.  145 f.;  Z.  end- 
lich oder  unendlich  IL  462  f. ;  Zeit- 
sinn  III.  205.  211;  Zeitmessung  11, 
413—416;  IIL  182. 208.  224 f.;  Stem- 
zeit  II,  415;  Z.  beim  Energiewechsel 
IL  331 ;  Z.  bei  Newton  II,  380;  che- 
mische Zeitberücksichtigung  II,  490. 
504  f. ;  Zeitcharakter  (Cultur)  IIL  86 ; 
Z.  und  Raum  als  Fluenten  IL  227  f.: 
Zeitpunkt  bei  Herbart  11,  228. 

Zellen  H,  517.  520  f.  545  f.  559  f.  570. 
584.  587  f. ;  IH,  269.  605 ;  Zellhäute 
IL  561  A.;  Zellentheilungen  IL  561  f. 


Sachregister. 


73 


571  f. ;  in,  269 ;  Zellenwucherung  IT, 
578. 

Z«n  m,  362. 

Zerfliessen  der  Vorstellungen  I,  41.  57. 

Zergliederung,  vgl.  Analyse. 

Zerlegung  I,  173  f.;  III,  122.  200;  Zer- 
legnngsgesetz  I,  578;  Z.  einer  Ge- 
sammtvorstellung  I,  59  f.;  155  f.; 
Z.  in  einfachere  Ürtheile  I,  243  f. ; 
Z.  einer  Summe  I,  265;  Z.  einer  Er- 
scheinung II,  3  f.  347—356.  857  f., 
vgl.  Analyse;  Z.  eines  Allgemein- 
begriffs II,  19 ;  chemischer  Zerlegungs- 
process  II,  468  f.  472  f. ;  Z.  der  Wärme 
und  £iektricit&t  II,  473;  Z.  geometri- 
scher Figuren  U,  168;  Z.  eines  Be- 
griffs bei  synthetischer  Deduction  II, 
35 ;  bei  analytischer  Deduction  II,  36f.; 
Gruppenzerlegung  III,  467  f. 

Zersetzung  des  Wassers  II,  402;  che- 
mische Z.  II,  468  f.  478.  488  f.  493  f. 
496.  502  f.  526.  553.  567.  569.  573. 
577.  579. 

Zerstreuung  der  Farben  II,  285.  352 
bis  355.  357;  des  Lichts  II,  398. 

Zeugenbeweis  II,  66. 

Zeugung  n,  539.  543.  562.  569  f. ;  Ur- 
zeugung II,  576  f. 

Zeus  m,  362.  864. 

Ziffemsystem  II,  135  f. 

Zink  II,  528. 

Zinsfuss  III,  HO  f. 

Zollschranken  III,  111. 

Zoologie  II ;  55  f.  63.  843  f . ;  m ,  3. 
443.  448.  495  f.;  Zootomie  n,  348  f. 

Zopfzeit  m,  417. 

Zorn  m,  268. 

Zuchtwahl  II,  549  f. ;  künstliche  Züch- 
tung II,  585. 

Zuckung  des  Froschschenkels  II,  402. 

Zünfte  m,  544.  606  f. 

Zufall  I,  449 f.;  III,  52. 105.  301.  307. 
466.  469  f.  588  f.;  Wandelbarkeit  der 
Erfahrung  I,  81.  608;  Zufallsspiele 
I,  441  f.;  III,  77;  zufölüges  Bild  zur 
SteU Vertretung  I,  46  f.;  Zufälligkeit 
der  Kategorien  I,   116  f.;  bei  Kant 

I,  178  f.  501;  n,  106;  zufällige  Auf- 
findung I,  158 ;  der  Wahl  der  nega- 
tiven Seite  I,  841 ;  zufällige  Schran- 
ken der  Erfahrung  I,  492;  Zufällig- 
keit bei  Aristoteles  I,  173.  585.  633; 

II,  277;  Z.  und  Planetensystem  I, 
447 ;  Z.  der  äusseren  Sinneseindrücke 


1, 592 ;  zufällige  Eigenschaften  1, 619 ; 
Z.  als  Weltschüpfer  I,  640  f. ;  Z.  und 
Plan  (Entdeckungen)  U,  347  f.  353. 
360.  372;  III,  169  f.  174  f.;  Z.  beim 
Mikroskopiren  II,  521;  Z.  in  der  pa- 
thologischen Beobachtung  U,  532; 
Z.  (Willkür)  der  Benennung  II,  29; 
Z.  bei  Construction  und  Experiment 

II,  36.  190.  885;  scheinbare  Zufällig- 
keit beim  Beweise  II,  70  f. ;  Mathe- 
matik dem  Z.  entrückt  II,  100; 
tastende  Zufälligkeit  bei  Euklid  II, 
118.  131;  bei  Oersted,  Faraday  II, 
348  f. ;  Z.  der  äusseren  Zahlenent- 
wicklung II,  139;  Z.  des  Kunstgrifib 
der  Quaternionen  II,  148;  Zufällig- 
keit der  alten  Geometrie  II,  175. 
178  f. ;  Ausschliessung  des  Zufalls  II, 
206.  280.  549;  Z.  im  Functionen- 
calcül  II,  258;  zufällige  üeberein- 
stimmnng  II,  386;  III,  266;  Z.  und 
Willkür  II,  448 ;  Z.  und  ürsachlosig- 
keit  in,  148;  Z.  und  unbekannte 
Ursachen  III,  472;  zufällige  Einwir- 
kungen III,  287;  zufällige  Einwir- 
kungen auf  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung der  Wissenschaften  II,  11; 
Zufälligkeit  des  Individuellen  III, 
86  f.;  der  Tagesmeinungen  III,  53; 
der  Ueberlieferung  III,  75;  der  Vor- 
stellungsinhalte III,  266;  zufällige 
Wahrnehmung  III,  169  f.  216;  zuÄl- 
lige  Associationen  III,  214;  zufällige 
Störungen  III,  248;  zufällige  Ver- 
bindung III,  280;  zuAUige  Beobach- 
tung m,  299  f.;  zufällige  Rolle  des 
räumlichen  Factors  III,  395;  zufäl- 
lige Gasuistik  III,  536. 

ZufQgung  s.  Addition. 
Zug  und  Druck  II,  545.  547. 
Zugehörigkeit  und  Aehnlichkeit  I,  374. 
Zugleichsein  s.  Gleichzeitigkeit. 
Zukunft  I,  150  f.  184  f.  206.  342.  447  f. ; 

III,  150. 

Zunahme  der  Masse  II,  564;  der  Be- 
völkerung III,  511;  Güterzunahme 
III,  521;  Werthzunahme  III,  276  f. 
521. 

Zurechnungsfähigkeit  III,  549.  576.  612. 

Zureichender  Grund  I,  568  f.  586.  612  A. 

Zurückführung  auf  gleiche  Form  I,  227. 
233  f. 

Zusammendrückbarkeit  II,  390  f.  444 ; 
Z.  der  Luft  (Boyle)  II,   861;  Z.  des 


Sachregister. 


Aethers  II,  436;  Aether  incompres- 
sibel  II,  486 ;  nicht  zassmmendrilck- 
bare  Flüssigkeit  II,  438. 

Zosammenfassang  III«  205. 

ZusammenfQgung,  vgl.  Synthese. 

Zosammengeböngkeit  yon  Objecten  im 
Begriff  II.  26. 

Zusammenhang  I,  368  f.  534;  HL  247. 
595  f.;  Z.  der  inneren  Zustände  I. 
80.  484  f.  551 ;  Z.  der  Dinge  I,  478  f. 
571.  611;  II,  374  f.;  Z.  der  Erfah- 
rungeo  II,  26.  327.  339.  393.  428. 
461;  III,  22;  Z.  der  Begriffe  I.  95  f.; 
Z.  der  Vorgänge  und  Eigenschaften 
1 .  368 ;  widerspruchsloser  Z.  1 .  90. 
434  f.  452  f.  613;  III,  82.  247.  251  f. ; 
begrifflicher  und  anschaulicher  Z.  IL 
279.  428  f.;  Z.  des  Phys.  und  Ps.  III. 
41 ;  allgemeingültige  Zusammenhänge 
III,  129;  regelmässige  Znsammen- 
hänge III,  134.  136;  singulärer  Z. 
III,  135  f. 

Zusammenklang  III,  156.  197. 

Zusammensein,  Regeln  des  Zs.  I,  368; 
Z.  und  Substanz  I,  409. 

Zusammensetzung  III,  482;  Z.  einer 
Erscheinung  II,  359,  vgl.  Synthese; 
chemische  Z.  II .  470  f. ;  Z.  erzengt 
neue  Werthe  III.  197;  zusammen- 
gesetzte und  einfache  EOrper  II,  374 ; 
Z.  der  Kräftewirkungen  II,  296.  816; 
Z.  der  Bewegung  I,  582  f.;  II,  301. 
320  f.;  zusammengesetzte  Ürtheile  I, 
167  f.  204  f. ;  Bildung  zusammenge- 
setzter Ürtheile  I,  244  f. 

Zusammenstellung  von  Farben  III,  217  f. 

Zustand  I,  119.  145.  161  f.  176  f.  183  f.; 
III,  464  f.  472.  474  f. ;  Zustandsgiei- 
chungen II,  329  f.  558;  sociale  Zu 
stände  III,  522  f.  526 ;  Zustände  und 
geschichtliche  Begebenheiten  III,  7, 
75  f.  92.  436  f.;  Z.  und  Entwicklung 
III,  23. 

Zustimmung  anderer  1 .  425 ;  Z.  aller 
Sinne  I,  428. 

Zuwachs,  unendlich  kleiner  Z.  II,  234 f.: 
Z.  bei  Lagrange  II,  240 f.;  Z.  an 
Geschwindigkeit  II,  294  f.;  Reizzu- 


wachs  ni.    192  f.;    EmpfindungBZQ- 
wachs  m,  193. 

Zwang,  m,  405  f.  479.  548.  578;  Z.  der 
Gegenstände  I,  470;  kleinster  Z.  II. 
313  f.;  kunstgerechter  Z.  III,   174  f. 

Zweck  I,  88  f.  150  f.  574.  681  f.;  H, 
274.  279.  808  f.;  520.  583  f.;  IH,  47 
bis  51.  119.  175.  177.  206  f.  245. 
280  f.  294.  298.  300.  305.  310.  317  f. 
320  f.  376  f.  390  f.  404  f.  421—435. 
479  f.  487.  489  f.  499.  526.  546. 557  f. 
584  f.  589  f.  600  f.  630;  Heterogonie 
der  Zwecke  III,  281;  Mannigfaltig- 
keit der  Zwecke  III ,  598.  606  f. : 
coUective  und  individuelle  Zweck- 
thätigkeit  III,  557;  Zweckursache  I. 
208  f.  682  f.  643.  646  f.;  II.  550  f.: 
III,  17.  421 ;  Z.  bei  Aristoteles  I.  527. 
585.  632  f. ;  Z.  bei  Kant  I,  635  f. ;  Z. 
bei  Leibniz  L  635;  Z.  bei  Spinoza  I, 
634  f. ;  Z.  bei  Descartes  I.  634 ;  Z.  bei 
Schopenhauer  I,  639 f.;  Z.  als  Ur- 
sache I,  649  f.;  II,  537;  III,  51;  Z. 
als  umgekehrte  Gausalbeziehung  I, 
642;  II,  280.  307.  310  f.  520.  585. 
537;  in,  17;  ZwecknOtoigkeit  III. 
558  f.  580.  588;  Zweckmässigkeit  der 
Organismen  II,  585  f.  587  f.  568.  580 ; 
111,229  ;Zweckmä8sigkeitBerwägunf^en 
III,  81.  124  f.  219  A.;  zweckmässige 
Anpassung  II,  549;  Zwecksetzang 
III,  16  f. 

Zwei  Fälle,  Methode  der  z.  F.  III,  188  f. 
191. 

Zweifeln,  284  f.;  m,  16. 117  f.  267  f., 
vgl.  Gewissheit  etc. 

Zweigliederung,  Gesetz  der  Z.  I,  34. 
56.  59  f.  127.  144.  158.  167;  Z.  und 
Syllogismus  I,  71;  Z.  nicht  unmittel- 
bar I,  121;  Zweitheilung  II,  62  f.: 
dualistische  Richtung  der  Chemie  II. 
494. 

Zwischenempfindungen  III,  190. 

Zwischenräume ,  leere  Z.  II .  398.  432. 
444.  466. 

Zwittergeschlechtliche  Pflanzen  und 
Thiere  II,  574. 

Zwölftafelgesetz  III,  578. 


v^ 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 


Kraepelin,  Dr.  E.,  Die  Abschafiimg  des 

Oi^MO  f lYI  A  MM AQ  ^>D  Vorschlag  zur  Reform  der  heutigen  Straf: 
1  rechtspflege.    8\    1880.    geh.    M.  2  — 

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berei von  den  ältesten  Zeiten  an  bis 

•|1I    A\fk    CTA0*ATlWfl.l*1^      Deutsche,  autorisirte  Ausgabe  von 

^ 1    Dr.  Petersen.     Mit   75    in    den 

Text  gedruckten  Abbildungen,  gr.  8^  1898.  geh.  M.  12.—  ;  in  Lein- 
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Lippert,  J.,  Die  Geschichte  der  Familie. 

8».    1884.    geh.    M.  6.— 

Lippert,  J.,  Kulturgeschichte  der  Mensch- 
heit in  ihrem  organischen  Aufbau. 

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&  M.  12.50. 

Beichesberg,  d^n:,  Die  Statistik  und  die 
Gesellschaftswissenschaft.  ®°  i^f  *"'' 

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Die  seelischen  Erscheinungen  vom  Standpunkte  der  'Physiologie  und  der 
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Starcke,  Dr.  C.  N.,  Ludwig  Feuerbach. 

gr.  8".    1885.    geh.    M.  9.— 


Verlag  von  FERDINAND  ENKE  in  Stuttgart. 


Frag( 


Lichte  der  FhilosopMe.  vori«.«ngen 

*  ptauoaoplii 


über  Social- 

liie  und   ilire 

Geschichte,    gr.  8^    1897.    geh.  M.  16.—;  ra  Halbfrans  geb.  M.  18.50. 

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0*Afipll1^1li'/l  ^^  ^^^  Bedeutung  fQLr  das  Staats-  und  Privatrecht. 
gCgUmi/UUP   ^^  2  Tafeln.    8».    1891.    geh.    M.  8.- 

Wundt»  Prof.  Dr.  W,^  Die  physikalischen 

A^v|/\||iA  und  ihre  Beziehung  zum  Causalprincip.  Ein  Capitel 
—.—1.1.—.-».  aus  einer  Philosophie  der  Naturwissenschaften.  8^. 
1866.    geh.    M.  2.40. 

Wundt,  Prof.  Dr.  W.,  Ethik.  ^tJ?"*T'*'^ 

^  ^  der  Thatsachen  und 

Gesetze  des  sittlichen  Lebens.  Zweite,  ungearbeltete  Attflafe.  gr.  8^ 
1892.    geh.    M.  15  — 

Wundt    Prof.     Dr.     W,,     Logik.   fneJJntenmchmig 

^  ^  ^  der  Fnncipien  der 

Erkenntniss  und  der  Methoden  wissenschaftlicher  Forschung.  Zwei  B&nde. 
gr.  8».    1893—1895.    geh.    M.  48.— 

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Logik  der  Mathematik  und  der  Naturwissenschaften. 
Zweite,  umfearlieltete  Auflage,  gr.  8^  1894.  geh. 
M.  13.- 

U.  Band.  Methodenlehre.  2.  Abtheilnng.  Logik  der  Geisteswissen- 
schaften. Zweite,  umgearbeitete  Auflage,  gr.  8^  1895. 
geh.    M.  15.— 

Ziegler,  Prof.  Dr.  H.  E.,  Die  Naturwissen- 
schaft md^esodal^mokratische 

nrilAni*1A  ^^^  Verhältniss  dargelegt  auf  Grund  der  Werke  von 
AllvVXAw.  Dai-^^  ^^d  ßebel.  Zugleich  ein  Beitrag  zur  wissen- 
Bcbafilichen  Kritik  der  Theorien  der  derzeitigen  Socialdemokratie.  8^. 
1884.    geh.    M.  4.— 


Drude  der  Union  Deutsch.  Yarla«89M.Ilidi«ft  tn  Stutt^wt        ^  i^   a^ 


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